Gute Pillen – Schlechte Pillen 2/11 Wenn`s beim Pinkeln brennt

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Gute Pillen – Schlechte Pillen 2/11 Wenn`s beim Pinkeln brennt
Gute Pillen – Schlechte Pillen
2/11
Nachgefragt
Wenn’s beim Pinkeln brennt
Warum Antibiotika nicht immer erste Wahl sind
Viele Frauen erkranken häufiger an einer Blasenentzündung durch Bakterien, manche sogar mehrmals im Jahr. Besonders jüngere Frauen leiden
– als Folge gelebter Sexualität – unter solchen Infektionen. Jenseits der
Sechzig nehmen Harnwegsinfekte erneut zu. Bei jungen Männern sind
sie selten. Wie lassen sich solche Infektionen vermeiden und wie behandeln? Das fragten wir die Allgemeinmedizinerin Eva Hummers-Pradier.
GPSP: Wenn’s beim Pinkeln brennt
und man ständig zur Toilette muss,
sind Antibiotika für ein oder drei
Tage doch eine tolle Sache.
Hummers-Pradier: Stimmt. Sie wirken rasch und ziemlich zuverlässig.
Aber die Frage ist, ob sie wirklich immer und sofort notwendig sind.
GPSP: Warum ist das eine Frage?
Hummers-Pradier: Immer mehr
Bakterien werden gegen die üblichen
Antibiotika resistent. Das heißt, sie
wirken nicht mehr, weil sie zu oft verordnet werden. Wir müssen sehen,
dass wir die Wirksamkeit nicht weiter
schwächen und die Mittel vor allem
für schlimme Krankheiten vorhalten.
GPSP: Darum haben Sie verglichen,
wie gut die Beschwerden abklingen,
wenn Frauen ein Antibiotikum einnehmen oder nur ein antientzündliches Schmerzmittel?
Hummers-Pradier: Genau. Man
darf zweierlei nicht vergessen: Antibiotika haben ja auch Nebenwirkungen, und gegen die Bakterien, die
eine Blasenentzündung verursachen,
kommt die körpereigene Abwehr
bei ansonsten gesunden Frauen offenbar gut an. Damit das wirklich
sehr unangenehme Brennen nicht
so schlimm ist, bekamen in unserer
Studie1 Frauen, die keine Antibiotika einnahmen, ein entzündungshem-
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mendes Schmerzmittel. Natürlich
war den Ärzten und ihren Patientinnen nicht bekannt, wer welches
Medikament erhielt.
GPSP: Also, die Studie war doppelblind. Aber warum sprechen Sie nur
von Frauen?
Hummers-Pradier: Bei Männern
ist die Situation anders. Bei ihnen
sind Antibiotika generell das Mittel
der Wahl. Zuvor sollte aber per Antibiogramm getestet werden, welche
Antibiotika wirksam sind und gegen
welche Antibiotika die auslösenden
Bakterien bereits resistent sind.
GPSP: Zurück zu Ihrer kleinen, aber
interessanten Frauenstudie. Was kam
heraus?
Hummers-Pradier: Eine Pattsituation, mit etwas besseren Ergebnissen
für die reine Schmerztherapie. Nach
drei Tagen waren die Infekte bei jeder zweiten Frau überstanden. Einige dieser Frauen ohne antibiotische
Therapie, und zwar jede Dritte,
benötigten dann aber doch ein Antibiotikum. In der anderen Gruppe
benötigte allerdings jede fünfte Frau
ein weiteres Antibiotikum.
GPSP: Besteht nicht die Gefahr,
dass die Bakterien hochwandern
und in den Nieren eine Entzündung
entsteht?
Prof. Dr. Eva Hummers-Pradier ist
Fachärztin für Allgemeinmedizin und
lehrt an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sehr wichtig ist ihr die
rationale Pharmakotherapie – also die
Arzneimittelverordnung auf Grundlage zuverlässiger Studien – und eine
gute Qualität in der hausärztlichen
Versorgung. Zu den Schwerpunkten
ihrer Arbeit zählt Gesundheit im Alter.
Sie gehörte mehrere Jahre lang dem
Präsidium der Deutschen Gesellschaft
für Allgemeinmedizin (DEGAM) an und
hat die Leitlinie „Brennen beim Wasserlassen“ entwickelt.7
Hummers-Pradier: Das kommt
selten vor und ist auch nicht immer
gleich gefährlich. Man denkt bei uns
meist, dass nur Antibiotika gegen das
Fortschreiten des Infekts helfen, aber
in der Regel verursachen ja körpereigene Bakterien solche Harnwegsinfekte. Und mit denen kommt unser
Immunsystem oft ganz gut selbst zurecht. Es gibt natürlich Ausnahmen.
GPSP: Woran denken Sie?
Hummers-Pradier: Unsere Befunde
gelten nur für unkomplizierte Harnwegsinfekte, also zum Beispiel nicht
für Kinder, Schwangere oder für
Frauen mit anatomischen Besonderheiten oder nach Operationen im
Blasen-Nierenbereich. Da können
die Abflussverhältnisse ungünstig
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sein. Auch für Menschen mit fieberhaften Harnwegs- und Niereninfektionen oder mit Abwehrschwäche
gelten unsere Befunde nicht. Ebenso
wenig für Diabetikerinnen, weil wir
sie in die Studie nicht eingeschlossen
hatten.
GPSP: Kann man denn etwas tun,
damit Bakterien nicht in die Blase
hochwandern?
Hummers-Pradier: Frauen erkranken unterschiedlich leicht an Harnwegsinfekten. Manche erhöhen offenbar wirklich ihr Risiko, wenn sie sich
ungewohnten Kältereizen aussetzen.
Jugendliche wollen davon oft nichts
wissen. Einer skandinavischen Studie2 zufolge ist da aber etwas dran.
GPSP: Gibt es weitere Risiken?
Hummers-Pradier: Gebärmutterund Blasensenkung im Alter. Und
alles, was die Flora im Scheidenbereich verändert, ist ein Problem. Also
zum Beispiel Intimsprays, auch Seife
und lokale Verhütungsmittel wie das
Scheidendiaphragma und spermizidhaltige Präparate. Häufiger als viele
vermuten ist Sex ein Risikofaktor.
GPSP: Da gibt es also viel zu
beachten.
Hummers-Pradier: Es scheint große
individuelle Unterschiede zu geben
und darum ist es gut, wenn Frauen
herausfinden, was für sie ein Risiko
ist. Wenn Geschlechtsverkehr ein
Problem ist, kann es hilfreich sein,
danach die Blase zu entleeren.
GPSP: Ist denn sicher, dass Frauen
das Gesäß von vorne nach hinten abputzen sollen, um Bakterien aus dem
Darm nicht in den Scheiden-BlasenBereich zu verschieben?
Hummers-Pradier: Das klingt zwar
logisch und daher empfehlenswert,
aber Studien dazu gibt es nicht.
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GPSP: Warum werden diese Bakterien denn überhaupt zum Problem?
Hummers-Pradier: Bakterien kommen öfter im Urin vor und sind
ungefährlich. Ausschlaggebend ist,
ob sie eine Entzündung der Blasenschleimhaut hervorrufen. Damit
verbundene Beschwerden führen
Frauen in die Arztpraxis.
GPSP: Und dann?
Hummers-Pradier: In Deutschland
ist es üblich, dass der Urin mit einem
Teststreifen auf weiße Blutkörperchen und Nitrit3 untersucht wird.
Ein positives Ergebnis bestätigt die
Ursache der Beschwerden.
GPSP:Für Kinder oder Seniorinnen
kann es schwierig sein, für den Test
den so genannten Mittelstrahlurin zu
gewinnen. Wichtig?
Hummers-Pradier: Wichtig ist vor
allem, dass der Urin frisch untersucht
wird und nicht stundenlang herum
gestanden hat.4 Frauen sollten möglichst die Schamlippen etwas spreizen und Männer vorher das Genital
waschen.
GPSP: Manchmal guckt der Arzt
oder die Ärztin durchs Mikroskop.
Hummers-Pradier: Was man da
sieht, kann zusätzliche Hinweise
geben. Für eine genaue Diagnostik
muss man eine Bakterienkultur anlegen.5 Das bedeutet, den Urin einschicken und drei Tage warten. Mir
erscheint es sinnvoller, bei unkomplizierten Harnwegsinfekten zunächst
die Schmerzen zu lindern.
GPSP: Mehr nicht?
Hummers-Pradier: Es hat sich ja gezeigt, dass bei vielen Frauen nach drei
Tagen das Problem wie von selbst
behoben ist. Sicherlich ist es oft günstig, viel zu trinken und so eine große
Menge Bakterien aus den Harnwe-
gen zu spülen. Aber eine hohe Flüssigkeitszufuhr ist zum Beispiel bei
Herzinsuffizienz problematisch.6
GPSP: Was halten Sie von Blasentee?
Hummers-Pradier: Zum Durchspülen reicht Wasser. Die Studien
zu Blasentees sind schlecht. Und
gelegentlich kommen Frauen in die
Praxis, die davon so viel getrunken
haben, dass es ihnen am Mineralstoff
Kalium mangelt. Das ist ein Problem
bei entwässernden Tees.
GPSP: Können Cranberry oder die
Bärentraube vor wiederkehrenden
Harnwegsinfekten schützen?
Hummers-Pradier: Solche traditionellen Heilmittel sind leider oft
schlecht untersucht.7
GPSP: Weil sie sich auch so gut verkaufen?
Hummers-Pradier: Vielleicht. Jedenfalls geht auch aus einer systematischen Bewertung von Studien8
hervor, dass der Nutzen dieser pflanzlichen Mittel schwer zu beurteilen
ist. Die zugrundeliegenden Studien
sind miserabel. Da gibt es noch viel
zu überprüfen.
GPSP: Frau Hummers-Pradier, herzlichen Dank für das Gespräch.
1 Bleidorn J at al. (2010) Symptomatic treatment
(ibuprofen) or antibiotics (ciprofloxacin) for
uncomplicated urinary tract infection? BMC
Medicine; 8, S. 30-38
2 Baerheim A, Laerum E (1992) Symptomatic lower
urinary tract infection induced by cooling of the feet.
Scand J Prim Health Care; 10, S. 157-160
3 Nitrit ist ein Produkt von bestimmten Bakterien. Der
Teststreifen zeigt aber auch Bakterien an, die gar nicht
aus der Blase stammen. Es besteht also möglicherweise
gar keine Harnwegsinfektion. Deshalb ist das
Nitritfeld im Test eigentlich entbehrlich.
4 Baerheim A, Laerum E (1990) Home-voided urine
specimen in women. Scand J Prim Health Care; 8,
S. 207-211
5 Danach kann der Arzt oder die Ärztin Antibiotika
meiden, gegen die eine Resistenz besteht.
6 GPSP 5/2007 S. 6 (Trinkmenge)
7 DEGAM (2009) Leitlinie Brennen beim Wasserlassen
1999. Überarbeitung von Schiemann G und
Hummers-Pradier E
8 Jepson RG, Craig JC (1998) Cranberries for
preventing urinary tract infections. Cochrane review.
www.cochrane.org/reviews/en/ab001321.html
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