1 Domprediger Michael Kösling Heiligabend, 24. Dezember 2014

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1 Domprediger Michael Kösling Heiligabend, 24. Dezember 2014
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Michael Kösling
Heiligabend, 24. Dezember 2014, 16.30 Uhr
Gnade sei mit euch und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus.
So, geschafft. Noch einmal tief durchatmen. Sie sind dem Ruf gefolgt: Herbei, oh ihr Gläubigen.
Langsam können sich Ihre Muskeln entspannen. Sie haben lange angestanden. Machen Sie es sich jetzt
bequem – so gut es geht – auf den Bänken, auf den Stufen hier unter dieser hohen Kuppel und im
Schein des Weihnachtsbaums. Sie haben es sich verdient. Alles ist gut vorbereitet: die Geschenke, das
Essen, die Wohnung und im Kühlschrank steht der Sekt. Alles hat seine Ordnung. Und wenn nicht - es
wäre jetzt eh zu spät, daran noch etwas ändern zu wollen. Sie sind alle miteinander angekommen in
dieser lichtheiligen Nacht. Durchs Jahr sind Sie gegangen und wieder durch den Advent. Anders als im
letzten Jahr sind Sie hier, verändert, unter anderen Umständen, in anderen Verhältnissen, mit anderen
Sorgen, mit einer anderen Fröhlichkeit. Jeder anders. So wie jedes Jahr haben Sie die Worte gehört, die
alten, gut bekannten, die immer gleichen, die unveränderlichen. Aus der Geschichte, deren Fetzen
schon in den Krippenspielen angeklungen sind: Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland
geboren. Und die Klänge, die schon ihre Wohnungen erfüllten: Vom Himmel hoch, da komm ich her.
Und alles hier und jetzt. Zur rechten Zeit am rechten Ort. Jetzt kann Weihnachten werden. Das Kind
liegt, endlich, gewickelt in der Krippe. Und wir haben es gemeinsam gesucht und gefunden. Die
Geschichte dieser Nacht ist unsere Geschichte, sie ist die Geschichte unserer Mütter und Väter, bis auf
den Grund der Zeit. Ein Menschheitstext. Und alles ist schon gesagt – durch die Jahrhunderte
hindurch. In Friedenszeiten. In Kriegszeiten. In Zeiten der Not und in Zeiten des Wohlstands. Wir
haben von den Zweifeln der Maria gehört, von ihrer Not und ihrer Angst um ihr Kind. Wir kennen den
Optimismus des Josef, seine Treue und seine zurückgenommene Stärke. Wir wissen von den Hirten, wie
sie Unglaubliches hören, gerade sie, in ihrem schweren Leben, abseits der großen Städte und am Rand.
Das Versprechen der Engel: Frieden auf Erden! Wir haben das schon einmal gehört. Schon oft sogar. In
jedem dieser weihnachtlichen Figuren, haben wir uns erkannt. Als stünden wir mit ihnen an der Krippe.
Wir könnten sie sofort aufführen, die Geschichte dieser Nacht. Sie ist unser ganzes Leben. Gott wird
Mensch und wir wissen seither wer wir sind und wie das geht, gehen soll, Mensch sein. Und diese
Geschichte ist noch nicht zu Ende. So, wie Josef, Maria und die Hirten verändert werden, verändern wir
uns. Ist das unsere weihnachtliche Sehnsucht jenseits von allem Stress, aller Furcht, allen Bedenken die
sich mit diesem Fest ja auch verbinden? Wir hoffen, dass wir uns verändern und mit uns die Welt. Diese
Nacht ist eine Hoffnungsnacht. So, wie sich die Geschichte dieser Nacht auf ein Ziel hin bewegt:
Frieden und Gerechtigkeit und ein segensvolles Leben, so bewegen wir uns auf dieses Ziel hin. Dass wir
durch die Jahre hindurch immer an diesem Tag zusammen kommen, zu hören, was in jener Nacht
geschah, ist nichts anderes als die Sehnsucht, dass wir auch an diesem Ziel ankommen wollen und –
glauben wir, wenn auch zögernd und schüchtern der Verheißung – auch ankommen sollen. Dass wir
selbst lichtheilig werden. Wie soll das gehen? Es wäre ein weihnachtliches Leben an jedem Tag. Alle
sind in Bewegung, in dieser Nacht. Josef und Maria auf dem Weg in die Stadt Davids, die da heißt
Bethlehem. Die Engel aus dem Thronsaal Gottes hinunter aufs dunkle Feld der Hirten. Die Hirten selbst,
von den Hürden zum Stall. Und überhaupt alle Welt in die Herbergen der Städte. Was für eine heilige
Unruhe. Stille Nacht? Eine Nacht höchster Mobilität. So wie unser Leben, atemlos, unruhig, viel zu
schnell so oft. An jedem Tag sind wir ja irgendwie einer Verzweckungskultur unterworfen, der wir uns
gar nicht entziehen können. Immer und überall gilt es Entscheidungen zu treffen. Meistens ohne
weinigsten einen Augenblick einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Oft überrollen uns die Ereignisse –
im eigenen Leben und mit Blick auf das Weltgeschehen erst recht: Ukraine, Ebola, und der IS. Die
Krisen dieser Welt tragen Namen, die wir öfter hören und die uns bald vertrauter sind, als die Namen
der Menschen, von denen wir in diesen Tagen Briefe bekamen, oder die uns besuchen und wir hören
staunend, was im letzten Jahr geschehen ist: Wunder und Tragödien, Glück und Trauer. Es geht schnell
zu, in unserem Leben. Es gibt kaum Stillstand. Wir sollen uns zählen lassen. Dann machen wir uns auf
und lassen uns eben zählen. Wer die Zahlen hat, hat die Macht. Kaum Ruhe, so etwas wie
Kontemplation oder Meditation. Aber nicht jetzt und nicht zu dieser Stunde. Diese Nacht ist die
Ausnahme. Sie läutet die Weihnachtstage ein. Zwei Tage, die, wie aus der Zeit gefallen, so über uns
kommen. Auf einmal ist Weihachten. Das weihnachtliche Zentrum ist das gewickelt Kind. Wir kreisen
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um dieses Geheimnis, in diesen Tagen, schleichen scheu um die Krippe herum. Nähern uns ihr auf leisen
Sohlen. Ganz ruhig und behutsam. Eine heilige Suche, die uns miteinander verbindet. Tastend und
ahnend, dass mehr als unsere reine Innerlichkeit gemeint sein muss. Wir spüren, dass wir mehr nötig
haben als uns selbst. Unsere Seele dürstet nach Frieden und Segen. Wir können diesen Durst nicht
selbst stillen. Wir würden verdursten, machten wir uns nicht auf. So, wie in dieser Nacht, die ja das
Bild unserer Sehnsucht und der Schlüssel zu unserem Menschensein ist. Bliebe ein jeder bei sich, es
würde uns alle das Leben kosten. Das ist ja das Geschehen dieser Nacht: Gott bleibt nicht bei sich,
hoch oben im Himmel, ganz fern und so, wie wir ihn uns vorstellen: mächtig und stark. Gott lässt sich
selbst los. Lässt sich, sozusagen, vom Himmel fallen, hinein in unsere menschlichen Hände. Er lässt das
Leben zu. Er vertraut sich uns an und traut uns so unser Leben zu. Er lässt zu, dass Weihnachten
geschieht und verzaubert so uns und die Welt. Gott ist bereit, aus sich heraus zu gehen und sich mit
uns Menschen zu verbinden. Und jeder von uns ist gemeint. Ja, diese Geschichte, diese Nacht ist
wirklich unsere Nacht: Fürchtet euch nicht. Diese Worte sind der Keimling unseres Lebens. Er treibt die
Wurzel, die uns leben lässt. Habt keine Angst. Und wir hätten wahrlich Grund genug zur Angst. Die
Angst ist ja so unbestimmt in diesen Tagen und überhaupt. Sie kommt daher in einem Gefühl, dass wir
nicht so recht einordnen können. Die Namen, die wir unseren Ängsten geben, reichen nicht aus, zu
sagen, was uns unruhig macht und sorgenvoll in die Zukunft blicken lässt. Wie werden wir in einem
Jahr diese Geschichte hören, abgesehen einmal von unserem ganz persönlichen Ergehen? Werden wir sie
hören vor dem Hintergrundrauschen eines näher rückenden Krieges, der jetzt noch, mehr schlecht als
recht und unter unfassbaren politischen und diplomatischen Anstrengungen an der Grenze Europas im
Zaum gehalten wird? Werden wir an der Krippe zusammen kommen und uns sorgen, wie wir sicher
wieder nach Hause kommen, öffentliche Plätze großzügig meidend? Wie wird es um unseren
gesellschaftlichen Frieden bestellt sein, um unsere Freiheit und unsere Weltoffenheit und
Gastfreundlichkeit? Wird uns unsere Angst regieren, oder unser Menschsein? Fürchtet euch nicht! Die
Antwort liegt in dieser Nacht. Der uns versprochene Frieden passt nicht in Worte. Man muss sich auf
den Weg machen und ihn sehen! So wie Sie es heute getan haben. Er liegt ruhig in unserer Mitte, dieser
Frieden. Frieden und Segen werden Fleisch und Blut, werden ein Mensch. Ein Mensch trägt sie zu uns
hinein. Frieden und Segen sind uns in unsere Hände gefallen. Wir können sie tragen, bewahren und
stärken damit sie wachsen und groß werden. Jeder von uns ist seit dieser Nacht jeden Tag Träger einer
Sehnsucht und einer Hoffnung und eines Versprechens nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze
Welt, für jeden anderen Menschen. Große Freude ist allem Volk in dieser Nacht widerfahren. Uns ist
diese Freude widerfahren. Freude und Frieden werden auch durch uns. Hier, unter dieser hohen Kuppel,
im Schein des Weihnachtsbaumes, vor der Krippe merken wir, was an uns geschehen ist in jener stillen
Nacht.
Amen.
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