Programm 2013-10-15

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Programm 2013-10-15
88. Saison, 1. Konzert, Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal, 19.30 Uhr
Szymanowski Quartett (Hannover)
Andrej Bielow, Violine
Grzegorz Kotów, Violine
Vladimir Mykytka, Viola
Marcin Sieniawski, Violoncello
Seit seiner Gründung 1995 hat sich das Szymanowski Quartett,
bestehend aus Musikern der Ukraine und aus Polen, innerhalb
kürzester Zeit zu einem der bemerkenswertesten Streichquartette seiner Generation entwickelt. Die kammermusikalische
Ausbildung erhielt das Quartett an der Musikhochschule Hannover von Hatto Beyerle. Neben der regen Konzerttätigkeit
verfeinerte das Szymanowski Quartett seine Interpretationen
ausserdem durch wiederholte Arbeit mit Isaak Stern, Walter
Levin, dem Amadeus und Emerson Quartet, dem Juilliard Quartet, dem Guarneri Quartet und zuletzt im Dialog mit Alfred
Brendel. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, wie etwa bei
den Wettbewerben von Melbourne, Osaka und Florenz, bestätigen das aussergewöhnliche Niveau des Quartetts. Von 2001 bis
2003 war das Ensemble «New Generation Artists» der BBC und
erhielt 2005 erhielt den renommierten «Szymanowski-Preis»,
der von der Karol Szymanowski Foundation in Warschau zum
ersten Mal an ein Streichquartett vergeben wurde. 2007 wurde
das Ensemble für seine Verdienste an der polnischen Kultur
von der polnischen Regierung mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet. Mittlerweile hat das Szymanowski Quartett in zahlreichen grossen Konzerthäusern wie der New Yorker Carnegie
Hall, der Londoner Wigmore Hall, im Amsterdamer Concertgebouw, dem Wiener Musikverein, in Paris, Berlin, Hamburg,
Leipzig, im Beethovenhaus Bonn etc. gastiert. Das Ensemble ist
ausserdem ein gern gesehener Gast bei international renommierten Festivals. Jährliche Tourneen führen das Quartett auch
in die USA und nach Kanada, wo es regelmässig zu Gast in den
renommierten Konzertreihen ist. Im Jahr 2008 hat das Quartett
das Lviv Chamber Music Festival gegründet. Dieses Projekt
rückt mit Lemberg eine Stadt in den Mittelpunkt, die an der
Grenze zwischen der Ukraine und Polen liegt und zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. In diesem Sinne möchte auch das
Szymanowski Quartett – als musikalische Grenzgänger – zu
einem aktiven Kulturaustausch beitragen und lädt dazu namhafte Künstlerkollegen zu gemeinsamen Konzerten ein.
Kammermusik Basel
Konzerte 2013/2014
1
15.10.2013
Szymanowski Quartett
(Hannover)
Wir danken für die namhafte Unterstützung durch:
Abendkasse
Stadtcasino
Veranstalter
Gesellschaft für Kammermusik
Malzgasse 15, CH–4052 Basel, 061 461 77 88
www.kammermusik.org
In Zusammenarbeit mit Radio SRF 2 Kultur
© Marco Borggreve
Vorverkauf
Stadtcasino, 061 273 73 73
Bider&Tanner/Musik Wyler, 061 206 99 96
starticket, www.starticket.ch
VORPROGRAMM
19.00 Uhr, Hans Huber-Saal
Einführungsgespräch zur Uraufführung mit Balz Trümpy
Gesprächsleitung: Prof. Dr. Elmar Budde
PROGRAMM
Joseph Haydn (1732-1809)
Streichquartett Nr. 35, f-moll, op. 20/5, Hob. III:35 (1772)
Moderato
Menuetto – Trio
Adagio
Finale. Fuga a 2 soggetti
Balz Trümpy (* 1946)
Streichquartett II (2012)
Auftragswerk der Gesellschaft für Kammermusik Basel
Uraufführung
Novelle
Elegie
Ballade
—
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Streichquartett Nr. 4, c-moll, op. 18/4 (1798/1800)
Allegro ma non tanto
Scherzo. Andante scherzoso, quasi Allegretto
Menuetto. Allegretto – Trio
Allegro – Prestissimo
Karol Szymanowski (1882-1937)
Streichquartett Nr. 2, op. 56 (1927)
Moderato dolce e tranquillo
Vivace, scherzando
Lento – Doppio movimento
Nächste Konzerte:
Dienstag, 22.10.2013 (B)
Armida Quartett (Berlin)
Schubert, Ligeti, Kurtág, Mozart
Dienstag, 05.11.2013 (A)
Bennewitz Quartett (Prag) / Reto Bieri, Klarinette
Gideon Klein, Brahms, Dvořák
Dienstag, 12.11.2013 (B)
Thomas Bauer, Bariton/Jos van Immerseel, Hammerklavier
Beethoven, «Ferne Geliebte»; Schubert, «Schwanengesang»
Haydn bezeichnete die Quartette seines Opus 20 im Autograph
wie in den zuvor entstandenen Sechsergruppen noch immer als
Divertimenti. Doch erreicht nach Donald Tovey «mit Opus 20 die
historische Entwicklung von Haydns Quartetten ihren Endpunkt;
und weiterer Fortschritt ist nicht Fortschritt in irgendeiner geschichtlichen Bedeutung, sondern schlicht der Unterschied zwischen einem Meisterwerk und dem nächsten.» Die Lösung vom
Divertimentohaften hebt Haydn hervor, indem er das Finale dreimal als Fugen gestaltet. Das Opus weist zudem zwei MollQuartette auf – sonst ist es immer nur eines. Man hat das f-mollQuartett als tragisch und als typischen Vertreter der Tonart bezeichnet oder seine ernste, schwermütige Grundhaltung hervorgehoben. Von einem tragischen Hintergrund wissen wir nichts.
Haydn ging es um Ernsthaftigkeit absoluter Musik, welche das op.
20 generell auszeichnet. Im ersten Satz entwickelt sich das ausgedehnte erste Thema in mehreren Windungen, bevor es in Asdur wiederholt wird. As-dur ist auch die Tonart des zweiten Themas. Das Ende bildet eine lange Coda; sie schliesst piano in fmoll. Das Menuett steht wie zwei weitere Male im op. 20 an zweiter Stelle. Die schwermütige Stimmung wird weitergeführt und
das Trio in F-dur bildet kaum einen Kontrast. In F-dur steht auch
das Adagio in der Art eines im Sechsachteltakt wiegenden Siciliano; es hellt sich in den Variationen auf. Das Finale ist eine Fuge
mit zwei kontrastierenden Themen, die in ihrer streng konsequenten Ausführung zum Ernst der Anfangssätze zurückkehrt.
Balz Trümpy, 1946 in Basel geboren, verbrachte die Kindheit in
Glarus. Nach der Matur am Humanistischen Gymnasium Basel
erhielt er seine musikalische Ausbildung am Konservatorium
Basel bei Rolf Mäser und Paul Baumgartner (Klavier), Jacques
Wildberger und Robert Suter (Musiktheorie) und Gerald Bennett
(Komposition). Anschliessend studierte er bei Luciano Berio in
Rom. Er war von 1979 bis 2011 Dozent für Musiktheorie und
Komposition an der Hochschule für Musik in Basel. Von 1982 bis
1987 war er stellvertretender Leiter des Konservatoriums. Er lebt
in Nuglar. Zu seinem neuen Werk schrieb Trümpy im April 2013:
Die drei Sätze meines 2. Streichquartetts tragen Titel, die auf
literarische Formen und Gattungen hinweisen. Dadurch soll der
narrative und poetische Gehalt meiner Musik hervorgehoben
werden. Der erste Satz – Novelle – ist dementsprechend ein Prosastück. Das betrifft sowohl seinen entwickelnden Charakter, wie
er von einer Novelle verlangt wird, als auch die teilweise «prosamässig» geführte Diktion der Stimmen, die stellenweise nicht in
ein gemeinsames metrisches Gefüge eingebunden sind. Insgesamt ist aber meine Musik seit einiger Zeit stark metrisch geprägt, was mit einer Verwendung von «Themen» im althergebrachten Sinn einhergeht. Ein Thema mit gemeinsamer Metrik
bildet in Novelle denn auch den Kontrast zu den frei geführten
Passagen. Elegie und Ballade wiederum sind gebundene Formen.
Bei Elegie äussert sich das in einem dem klagenden Charakter
entsprechenden ruhigen Gang, der sich beim Höhepunkt zu äusserster Erregung steigert. Der Titel Ballade meint nicht das erzählende Gedicht der Romantik, wie insbesondere Chopin es auf die
Musik übertragen hat, sondern bezieht sich auf die ursprüngliche
Bedeutung als Tanzlied des Mittelalters. Wie dieses hat meine
Ballade einen Refrain, der verschiedentlich variiert wird. Sein
tänzerischer Charakter wechselt ab mit teilweise lyrischen, teilweise in stark kontrastierender Dynamik gehaltenen Episoden.
Das zweite Streichquartett wurde im Auftrag der Gesellschaft für
Kammermusik Basel für das Szymanowski Quartett geschrieben
und ist meinem Sohn Samuel gewidmet, dem ich während der
Zeit der Entstehung besonders stark verbunden war.
«Das ist ein rechter Dreck! gut für das Saupublikum.» So reagierte Beethoven, als sich Kritik und Publikum für das c-mollQuartett des op. 18 begeisterte – ein Quartett in Moll, notabene
– und erst noch im Beethoven vermeintlich so eigenen c-moll!
Doch erstaunlicherweise steht unter den frühen Quartetten
gerade dieses Werk stärker im Bereich der Konvention als die
andern. Noch hatte Beethoven nicht zum c-moll-Pathos der
«Pathétique» op. 13, des 3. Klavierkonzerts oder der 5. Sinfonie
gefunden. Daher hat man für op. 18/4 eine frühere Entstehung
annehmen wollen. Beethoven war bei der Veröffentlichung des
op. 18 kein jugendlicher Komponist mehr wie Mozart oder
Schubert bei ihren ersten Quartetten – und er musste auch
nicht die Gattung neu schaffen wie Haydn. Darum überraschen
die formale Einfachheit und der Verzicht auf Durchführungselemente ebenso wie der wenig individuelle c-moll-Charakter.
Man höre etwa das Finale, um dieses wohl gewollt Einfache
festzustellen. Die Überarbeitung der Stücke 1 bis 3 hatte den
entscheidenden Schritt vorwärts gebracht, ohne dass
Beethoven deshalb auf eine Veröffentlichung des 4. Quartetts
verzichtet hätte. Und so hat das Werk positive Beurteilungen
erfahren, die Beethoven damals nicht recht anerkennen wollte.
Seine bisher einzige Aufführung bei der Kammermusik Basel
erfuhr Szymanowskis 2. Streichquartett zehn Jahre nach der
Entstehung am 10.12.1937 durch das Basler Streichquartett,
acht Monate nach dem Tod des Komponisten (29.3.1937) an
Knochentuberkulose in einem Sanatorium bei Lausanne. Der
polnische Komponist wurde 1882 in Tymoszówka (heute Ukraine) in eine kulturbewusste Familie des Landadels geboren.
Erste Reisen nach Wien und in die Schweiz liessen ihn Wagner
entdecken. Ab 1901 studierte er in Warschau und komponierte
vor allem Klaviermusik unter dem Einfluss Chopins und Skrjabins. Die Oper «Król Roger», sein Hauptwerk, entstand 1918 bis
1924. Neben Klavier- und Kammermusik stehen vier Sinfonien,
Ballettmusik, zwei Violinkonzerte. Trotz der Bewunderung für
seinen Klangsinn und seine Freiheit im Umgang mit Harmonik
und Formen ist Szymanowski bis heute eher ein Unbekannter
geblieben. Wie das 1. Streichquartett von 1917 (eine geplante
Schlussfuge wurde nicht ausgeführt) ist das zweite in drei
Abschnitte gegliedert, hier in der Abfolge Langsam – Rasch –
Langsam. Der erste Satz, den man noch als eine Art Sonatensatz mit zwei Themen ansehen kann, setzt mit flirrenden Klängen ein; sie werden im Mittelteil von harmonisch markanten
Passagen weitergeführt. Eine rasche Bewegung (Tempo deciso)
bildet diese durchführungsartige Entwicklung, bevor – Tempo I
– die Reprise und eine Coda folgen. Der rondoartige zweite Satz
besteht aus mehreren Episoden und orientiert sich mit seinen
ostinaten Elementen an der Volksmusik der Goralen, welche
Szymanowski in Zakopane kennengelernt hatte. Der symmetrisch gebaute Schlusssatz ist eine freie langsame Fuge. Den
Mittelteil bildet eine Art Stretta im doppelten Tempo. Das Quartett entstand für einen Wettbewerb in Philadelphia, doch erhielt
es den Preis nicht – der ging (gemeinsam mit einem Stück von
Casella) an Bartóks 3. Streichquartett.
rs