die Predigt von Superintendent Wüster zum Download.

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die Predigt von Superintendent Wüster zum Download.
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O Haupt, voll Blut und Wunden
Karfreitag, 6. April 2007 – Rundfunkgottesdienst Lutherkirche Bonn
Predigt Superintendent Eckart Wüster
- Es gilt das gesprochene Wort -
Chor: „O Haupt, voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt – Evangelisches Gesangbuch (EG) 85, 1-4
(nach einem Satz von Max Reger)
I.
Liebe Gemeinde!
Es gibt wohl kaum einen Choral, der die Stimmung des Karfreitags so nachhaltig geprägt hat, wie
dieser von Paul Gerhardt. „O Haupt, voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn…Und: Du
edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut…Und: Die Farbe deiner Wangen, der roten Lippen
Pracht ist hin und ganz vergangen…Und: Nun, was du Herr erduldet, ist alles meine Last.“
Für viele Christinnen und Christen zielen diese Worte ins Zentrum ihrer Karfreitagsfrömmigkeit.
Wehe, ein Pfarrer, eine Pfarrerin lässt dieses Lied am Karfreitag nicht singen! Die Worte und die Musik gehen unter die Haut. Kaum einer bleibt davon unberührt. Und selbst dann, wenn diese Frömmigkeit überhaupt nicht zum eigenen Glauben passt und einem der Karfreitag fremd bleibt – selbst dann
lässt einen das Lied nicht kalt.
Ich bin davon überzeugt, dass auch dieses Lied mit dafür gesorgt hat, dass der Karfreitag für viele
zumindest ältere Evangelische immer noch der höchste evangelische Feiertag ist.
Es war in manchen Gegenden der Tag, an dem das einzige Mal im Jahr Abendmahl gefeiert wurde.
Ältere Gemeindeglieder haben mir erzählt, dass sie sich beim Pfarrer einen Tag vorher zum Abendmahl anmelden mussten. Und dass sie nüchtern zum Gottesdienst gingen. Ich kenne einige Gemeindeglieder, die auch heute noch in Trauerkleidung zum Gottesdienst kommen. Und ich kann mich noch
gut daran erinnern, dass ich als Kind froh war, wenn es am Karfreitag 15.00 Uhr wurde. Das war die
Sterbestunde Jesu und ich war erleichtert, dass die Qualen für ihn nun beendet waren.
O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn. In drei Strophen beschreibt Paul Gerhardt, wie brutal und grausam es war, am Kreuz zu hängen.
Im Jahre 1656 hat Paul Gerhardt das Lied geschrieben.
Der 30jährige Krieg war noch nicht lange vorbei, das Land lag verwüstet da, der Verlust vieler Menschen war noch in schmerzhafter Erinnerung. Der Hunger zehrte an den Menschen. Die Pest wütete.
Paul Gerhardt selbst hatte eigene Kinder zu Grabe tragen müssen. Für viele Menschen war das Leben
ein purer Überlebenskampf.
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Aber darüber klagt Paul Gerhardt in seinem Lied nicht. Alles scheint er in diesem „O Haupt voll
Blut und Wunden“ auf Jesus übertragen zu haben. Er malt den Menschen nicht das eigene furchtbare
Schicksal vor Augen; dafür hätte er Stoff genug vorgefunden. Er beschreibt in drastischer Weise den
leidenden Jesus am Kreuz. So, als wollte er sagen: „Da, seht hin! Seht auf ihn! Euer „liebster Freund“
(V.8) hat ebenso gelitten wir ihr!“
Paul Gerhardt war aus seiner Schulzeit die lateinische Vorlage bekannt. In sieben Gedichten werden
darin die verwundeten Glieder Jesu betrachtet und verehrt; die Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz
und das Angesicht Jesu. Darauf greift er nun zurück und lässt uns damit auf das Kreuz sehen.
Er lässt uns aber nicht nur zusehen, sondern er macht sich und damit wohl alle Betrachter verantwortlich für das, was Jesus erleiden musste. Die Ursache für das Leiden Jesu liegt bei mir, dem Betrachter
dieses Bildes: „Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat. Gib mir, o mein Erbarmer, den
Anblick deiner Gnad.“
Jesus für uns gestorben. Jesus für unsere Sünden gestorben. So formulieren viele ihr Glaubensbekenntnis bis auf den heutigen Tag.
Paul Gerhardt zeichnet aber nicht nur ein Bild des Leidens. Nur drei von den zehn Strophen verwendet er darauf, die Brutalität des Kreuzestodes zu beschreiben. Er sieht im Kreuz etwas sehr Tröstliches. Sein Lied ist eine Liebeserklärung an den leidenden Jesus. „Ich will hier bei dir stehen…Ich
will mein Leben von mir geben…Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu.“
Die so eingängige Melodie war ursprünglich ein Liebeslied aus dem 16. Jahrhundert. Darin besingt
ein Sänger seinen Liebeskummer. „Mein Gmüth ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart, bin
ganz und gar verirret, mein Herz, das krenkt sich hart. Hab Tag und Nacht kein Ruh, führ allzeit große Klag, thu stets seufzen und weinen, in Trauern schier verzag.“
Liebe und Leiden – beides sind Grenzerfahrungen unseres Lebens. Beides kann das Gemüt verwirren.
Nicht selten hängen Liebe und Leiden eng zusammen. Vielleicht lag es ja doch nicht nur an der eingängigen Melodie des alten Liebesliedes, dass Paul Gerhardt darauf zurückgegriffen hat. Sein Liebeslied zielt auf Jesus, seinen liebsten Freund (V.8). Der „Quelle aller Güter“ (V.5), die ihm viel Gutes
getan hat.
Hören wir nun die Vorlage dieses Liebesliedes, das Hans Leo Haßler geschrieben hat „Mein Gmüth
ist ganz verwirret“.
Chor: Hans Leo Haßler, Mein Gmüth ist mir
II.
O Haupt voll Blut und Wunden – das Leiden Jesu als Ausdruck seiner Liebe? Wie kann das sein?
So ungewöhnlich ist das aber doch nicht, dass ein Mensch leidet, mitleidet, weil er liebt. Wie oft sind
wir eingebunden und verflochten in das Leiden eines Menschen, den wir lieben. Und leiden zugleich
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mit. Wenn ich mein krankes Kind pflege. Wenn ich sehe, wie Vater oder Mutter immer weniger
werden und schließlich sterben.
Liebe und Leiden sind nicht selten eng aufeinander bezogen. Ja, ich bin davon überzeugt: Jesus ist
seinen Weg der Liebe zu den Menschen sehr bewusst gegangen; mit allen Konsequenzen. Er hat geliebt durchs Leiden hindurch, bis in den Tod.
Aber so nahe dieses „O Haupt voll Blut und Wunden“ vielen noch ist, nicht alle teilen Paul Gerhardts
Gefühle. Manche schreckt die Blutrünstigkeit dieses Liedes, wie sie es empfinden, sogar ab. Kann
man sich – so fühlen und fragen sie – kann man sich am Leiden eines Menschen so ergötzen? Müsste
uns nicht vielmehr Zorn ergreifen, wenn man einen Menschen so leiden sieht? Und dürfen einem eigentlich beim Anblick unsagbaren Leidens Schauer religiöser Gefühle über den Rücken laufen? Das
Kreuz (war und) ist immer noch anstößig. Es bleibt ein Ärgernis. Es leuchtet nicht einfach ein.
Der Gedanke, dass am Kreuz der Sohn Gottes leidet und stirbt, ist von Anfang an Ziel des Spottes
gewesen, den sich Christinnen und Christen gefallen lassen mussten. So ist uns z.B. das Bild eines
Kruzifixes überliefert, das mit einem Eselskopf versehen wurde.
Eine ähnliche Ablehnung habe ich in den Worten eines Konfirmandenvaters gefunden, der zu seinem
Sohn gesagt hat: „Glaube ist was für schwache Leute. Schau ihn dir doch an, diesen Jesus, wie er am
Kreuz hängt: Ne Jammergestalt!“
Alles das hängt an diesem Tag mit am Kreuz. Trost und Hilfe. Und zugleich Spott, Trauer, Kälte, Ablehnung.
Jemand hat einmal gesagt: „Kein Wort würde ich diesem Jesus glauben, wenn er nicht am Kreuz geschrieen hätte: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Warum hast du mich verlassen? So hat Jesus geschrieen. So schreien viele Menschen auch heute.
Nicht wenige scheitern radikal, fühlen sich von Gott und den Menschen verlassen; ausgeliefert dem,
was sie erleiden müssen. Für manchen ist die Welt so dunkel, dass da kein Gott mehr ist. Keine Hoffnung, nur die große Einsamkeit.
Schonungslos erzählt die Bibel, dass es Jesus genau so ergangen ist. Nichts wird hier beschönigt.
Wer leidet, liebe Gemeinde – und das werden wir wohl alle aus eigener Erfahrung wissen – wer leidet, der ist ganz bei sich. Wer leidet, ist oft nicht in der Lage, etwas anderes um sich herum wahrzunehmen. Menschen, die nach einem Unfall unter Schock stehen und unentwegt auf das Unglück starren, muss man zur Seite nehmen und ihren Blick von ihrem Unheil weglenken. Und das hilft!
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Das tut Paul Gerhardt auch. Er wendet den Blick von den Leiden seiner Zeit und seines persönlichen
Lebens ab. Stattdessen blickt er auf den leidenden Jesus.
Denn das Sterben Jesu ist die logische Konsequenz dessen, was wir an Weihnachten gefeiert haben:
Gott wurde Mensch. Menschliches Leben gibt es nicht ohne Leiden und Sterben. Der Blick aufs
Kreuz zeigt mir, dass Gott Ernst gemacht hat damit, dass er Mensch wurde. Er entzieht sich nicht den
Schattenseiten des Menschseins, unseres Lebens.
Der leidende Jesus ist damit nicht nur der radikal gescheiterte Mensch. Es ist Gott, der am Kreuz
hängt. Ein ungeheuerlicher Gedanke, auch noch nach 2000 Jahren.
Paul Gerhardt beschreibt deshalb das Grauen so eindrücklich. Und sagt gleichzeitig: Gott ist mir in
meinem Leiden und im Leiden meiner Zeit ganz nahe. Er weiß, wie es um mich steht. Er weiß, wie
mir zumute ist. Die Jammergestalt ist vor seinem Kreuz nicht weggelaufen.
Gott ist tatsächlich geworden wie wir. Selbst die Erfahrung, von allen verlassen zu sein, hat er gemacht. Wirklich verstehen kann ich das nicht, aber staunen kann ich, dass er uns Menschen so nahe
gekommen, so auf den Leib gerückt ist. Ich begreife: das Kreuz lädt mich ein: Verlass dich mit Leib
und Seele, mit allem was dein Leben mit Licht und Schatten ausmacht ganz auf den, der selbst gelitten hat und seinem Leidensweg nicht ausgewichen ist. Auf ihn, der von Gott und den Menschen verlassen wurde, kann ich mich ganz verlassen.
Und um es klar zu sagen: Gott hat das Opfer Jesu zugelassen, aber er braucht das Opfer Jesu nicht.
Jesus hat sich geopfert, indem er seinen Weg bis in den Tod gegangen ist. Und deshalb kann auch ich
für mich sprechen: Jesus ist für uns gestorben.
Wir blicken auf das Kreuz. Aber wir werden wir dabei nicht eins mit dem leidenden Jesus, sein Leiden ist nicht unser Leiden. Dass wir Menschen eins werden könnten mit Jesus, dieser Gedanke ist
Paul Gerhardt fremd.
Deshalb lenkt er im weiteren Verlauf des Liedes dann wieder den Blick von Jesus weg auf sich. Und
er dichtet:
„Erkenne mich, mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an. Von dir, Quell aller Güter, ist mir viel Guts
getan…Es dient zu meinen Freuden und tut mir herzlich wohl, wenn ich in deinem Leiden, mein Heil,
dich finden soll…“
Das ist seine Antwort auf die Frage, was der Tod Jesu für ihn bedeutet. Dort, so sagt er, findet er sein
Heil und seine Erlösung. Dort weiß er sich mit seinen furchtbaren Erfahrungen verstanden und aufgehoben.
Gemeinde: O Haupt, voll Blut und Wunden (EG 85, 5-8)
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III.
„Es dient zu meinen Freuden und tut mir herzlich wohl, wenn ich in deinem Leiden, mein Heil, dich
finden soll.“
Ich weiß nicht, liebe Gemeinde, wie viele unter uns dies nachsprechen und nachempfinden können.
Ich weiß aber, dass immer mehr Christen mit Karfreitag ihre Schwierigkeiten haben. Das Osterfest
mit der Feier des Lebens ist vielen deutlich näher. Die Worte Paul Gerhardts sind für viele sperrig,
seine Frömmigkeit fremd. Wieso soll der brutale Tod eines Menschen für uns von Bedeutung sein?
Durch das Paul Gerhardt Lied hat der Karfreitag eine Melodie bekommen, die uns nicht unberührt
lässt. In den Jahrhunderten haben sich immer wieder Musiker daran versucht, diese Melodie neu zu
interpretieren. So hat sie auch Eingang gefunden in die Popmusik. 400 Jahre nach Paul Gerhardt hat
Paul Simon ein Lied geschrieben, das sich textlich an das alte Liebeslied anlehnt.
Paul Simon singt davon, dass er sich in seinem Leben oft geirrt habe. Sein Leben sei von Schmerz,
Sehnsucht und zerstörten Träumen durchzogen gewesen. Die Schattenseiten des Fortschritts würden
immer deutlicher. Und er singt am Ende: „That’s all I’m trying, to get some rest.” Das ist alles, was
ich versuche: etwas Schlaf, etwas Ruhe.
Das sind ganz andere Worte zum Karfreitag, diese ganz anderen Töne werden wir gleich hören. Sie
fordern uns heraus, neu zu formulieren, was der Tod Jesu für uns sein kann. Es geht bei dem Kreuzestod Jesu nicht um ein historisches Ereignis. Es geht um die Frage, wie ich mich dem Tod Jesu gegenüber verhalten will.
-Von Anfang an hat es nicht nur ein Verständnis des Todes Jesu gegeben. Auch die vier Evangelien
haben den Tod Jesu auf unterschiedliche Weise gedeutet. Aber eines war allen gleich: von Ostern her,
von der Überwindung des Todes her haben die Christen auf den Karfreitag gesehen. Und sie entdeckten einen Gott, der sich dem Leiden nicht entzogen hat. Ein Gott voller Passion, voller Leiden und
Leidenschaft. Und sie begriffen: Bei diesem Gott sind wir gelitten.
Chor: Paul Simon, American Tune
IV.
Ein wenig Schlaf, ein wenig Ruhe. Das klingt so profan, so wenig fromm. Das klingt so ganz anders,
als die Worte, die Paul Gerhardt gewählt hat. Es ist aber gar nicht so weit weg von dem Empfinden,
das Paul Gerhardt in seinen beiden letzten Strophen mit den Bildern seiner Zeit ausdrückt: „So reiß
mich aus den Ängsten… Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod. Und lass mich sehn
dein Bilde in deiner Kreuzesnot.“ Gott, lass mich zur Ruhe in dir kommen.
Im Mittelalter war es noch üblich, den Sterbenden ein Kruzifix vor Augen zu halten. So konnten sie
bis zum letzten Atemzug auf das Kreuz Jesu schauen. Paul Gerhardt will voller Glauben und Vertrauen angesichts seiner eigenen Nöte darauf blicken. Denn: wer so stirbt, der stirbt wohl.
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Aber noch einmal: Was, wenn wir mit diesen Bildern Paul Gerhardts zum Karfreitag nicht viel anzufangen wissen?
Ganz gleich, wie unsere Empfindungen heute sind: unberührt bleiben wir nicht. Und deshalb werden
wir heute neu vor die Frage gestellt: Was bedeutet uns dieser Tag? Was bedeutet uns der Tod Jesu?
Welche Melodie wollen wir dazu singen?
Aber wie immer unsere Antworten und unsere Versuche ausfallen, für mich ist die Klammer diese
Hoffnung:
Wenn ich einmal soll scheiden, dann Gott, scheide nicht von mir. Diese Hoffnung, dass wir im Leben
und im Sterben umfangen sind von dem Gott, der uns umgibt, wie die Luft, die wir einatmen. Denn
„weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ Amen.
Chor und Gemeinde gemeinsam: O Haupt, voll Blut und Wunden (EG 85, 9+10)