Quo vadis, Einhorn?

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Quo vadis, Einhorn?
Quo vadis, Einhorn?
Das kultisch-kultige Überleben jugendlicher Existenz in der Postmoderne
Solbrig; Steven: Quo Vadis, Einhorn?
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Disclaimer/Hinweis: Zur Stimulation der Leselust und zur atmosphärischen Verstärkung der
Gesamtsituation, empfiehlt Ihr Personal-Mood-Management-Instructor zusätzlich zur Textlektüre die
Post-70's-Pop-Schnulze The Last Unicorn. Denn nur America bringt Sie sicher durch eventuelle, textliche
Dürreperioden und verleiht gleichzeitig Ihrem Haar den natürlichen Glanz, den es verdient. - Zwar mag
Essay dieser als flachwitziger Blogeintrag daher gelaufen kommen. Dies sei ihm jedoch verziehen: Denn
Fun ist für gewöhnlich ein Stahlbad.
Es war einmal das Märchen von Menschen im großen, dunklen Nichts; und von einem,
der da kam, die Glühlampen in die Fassung der Welt schraubte; und es wurde Licht. Er
monopolisierte die dunkelnen Mächte des Urknalls und verordnete selbst im hintersten
Zipfel des Globus' LED-Lampen; bei Bedarf auch gern in bunt.
Und als er am siebten Tag, durchgefeiert, gehangovert hängengeblieben ward, da
verabschiedete sich plötzlich der Party-Planet dankend von ihm, versprach auf jeden Fall
wieder einmal vorbeizuschauen und flog frei auf seinem eigenen(kultur)evolutionären
Goa-Selbsterleuchtungstrip durch das Universum.
Irgendwann aber begannen die Erdenmenschen sich zu langweilen und kamen
allmählich von ihrem exzessiven Nicht-Sein herunter. Sie stellten Fragen wie wer sie
denn eigentlich seien?, woher sie kamen?, wohin sie gingen?, warum eigentlich das
ganze Theater?, wem man das jetzt zu verdanken hätte?, ob man den Filialleiter dieses
Ladens denn noch einmal sprechen könnte; und vor allem, was wenn nicht? Cogito ergo
sumdidumm; Butter musste bei die Fische:
- Egal welch höhlenindesignte, inquisitionierte Ethnie, bürgerlich-scheiblettierte Klasse
und Generation-W-Company; - die Menschen waren und sind sich instinktiv einig, dass
jede Zeit ihres Seins mit einer nachhaltigen Promoaktion gepusht, mit Devotionalien und
biologisch abbaubaren Kugelschreibern supportet werden muss; - den übergestülpten
Sinn aus dem Ausweg, dem selbstlosen Elektrolytesponsor der Zivilisation frohlockt:
LIFESTYLE! - wbäömmm - Touching is believing!
Lifestyle ist umgangssprachlich und bedeutet eigentlich nichts anderes als die kulturell
orientierte Art der Lebensweise jeweiliger, epochaler Erdenbewohner.
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- Auf Deutsch klingt das Ganze zu sperrig; Englisch rulez ohnehin, gerade in unserem sich
zunehmend verglittertenden Pop-Kultur-Zeitalter.
Doch wir erinnern uns: Vor ein paar Jahrhunderten war der Glaube an eine auf die
Metaebene gehiefte Gottheit ange-sagt. In den letzten Jahren haben die
Religionsingenieure allerdings nur mittelprächtige Updates und Patches auf den Markt
des Lebenssinns geschmissen und so scheint die Götterverehrung unmodisch. Aus
kultisch wurde schlichtweg kultig. Der theologische Aspekt am Glauben als Lebenssinn
wurde mit einer materiellen Welt-sicht substituiert auf einer global-neoliberalen Agora,
deren Maxime heißt: Ohne Trend kein Kult, ergo kein LIFESTYLE! - Wenn Gott also
altanbackt, Lebensphilosophien zu neo-aging-eso und Prinzipen generell zu spießig sind,
was bleibt, was bestimmt dann das Leben der heutigen Menschen? Das muss einmal
geklärt werden.
Was aber geschah bisher? Angemerkt sei nebenbei: Da die formalen Vorgaben dieses
Essays nur eine Snippet-Culture-Timeline erlauben, sei es zu entschuldigen, dass in
diesem Rahmen nur vornehmlich westliche Schmankerl des kulturellen WeltHappenings rausgepickt werden. Wem diese Entschuldigung dennoch zu
pfadenschlawninerisch ist und wer eher nach einer extended, verified Version verlangt,
dem sei der Studiengang der „Cultural Studies“ empfohlen. Für Personen mit
geringerem Aufmerksamkeitsfassungsvermögen, Zeitpensum, etc. seien hingegen die
trendigen Kulturperlchen der Experten, die schon seit 1952 Weltgeschichte auf ihre ganz
besondere Art und Lebensweise schreiben, hier ans Herz gelegt.
Jedenfalls flog da schon einiges aus der Wiege der Zivilisation: Ob Glasnost- Stoiker,
Senatus Populusque Romanus, Carpe-Diem-Personalberater oder lebensbejahende
Memento-Mori-Fans, - ob 3 Wetter-Taft-vergoethtete Werthers, metrosexuelle Dandies
oder existenzialistische schwarze Gallen, - ob Hippies, Neo-Hippies, Neo-Nazi-BussinesPunks oder weltschmerzende Hipsters; sie alle haben/hatten einen relativ
konsequenten Bro-Kodex und gathern in der Mischpoke der aktuellen Kulturgeschichte
bis zur ihrer finalen Vaporisierung durch die mächtige Zukunft. Und noch immer
kreieren die Menschen auf der Suche nach sich selbst, ein Bild ihrer Kultur.
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Es wird nur zunehmend schwieriger in diesen postmodernen Zeiten; hat man doch
schon überall geurlaubt, eigentlich alles geinstagrammt, gedacht, quasi alles und jeden
erfahren. Das nervt, vor allem mit diesem Drang nach ständiger Progression und diesem
Hang sich durch sein Handeln von Anderen abgrenzen zu müssen, um so seine eigene
Existenz berechtigt heraus-zustellen. Und dann noch der Overflow an vorgelebten Sinn
und der Unfähigkeit mit sich selbst, hat zu einer heimlichen Leere in einem voll
gestellten Nichts geführt; oh Gott, oh Gott: Wenn früher bei Fragen bezüglich dem Sinn
des Lebens keine Antworten gefunden wurden, dann war man ja praktisch gezwungen
an etwas Übergordnetes zu glauben. Doch heute sieht man sich mit so vielen Antworten
konfrontiert, dass man praktisch erst gar keine Fragen stellen kann/braucht.
Gerade deshalb leben wir in einem messianistischen Zeit-alter, in dem wir insgeheim auf
irgendjemanden warten, der uns erklärt, wie das hier funktioniert, welche Rolle wir
dabei spielen und der Ruhe ins Schiff bringt, wenigstens für einen kleinen Moment (der
Zerstreuung).
Das Leben erreicht einen Komplexitätsgrad, der sich nicht so einfach nachpinseln lässt
und noch immer ist der Bob Ross nicht erschienen, der das wirklich kann. So tapert die
Menschheit weiter und weil die reale Welt für die soulige Pilgerfahrt schon zu leer
gefischt scheint, wird dieses langsam komische Nichts binärer. Immer mehr Leben ist im
Internet und jeder noch so klein erscheinende kulturelle Pups wird schwuppdiwupp zum
digitalen Urknall.
Aus ebensolch einem ward bereits vor einigen Jahren ein Wesen emporgestiegen, in
messianistischer Manier, perlweiss-rein, anmutig wie die neue S-Klasse, schwebt es mit
Erdgashufenantrieb in der pinken Endlosschleife des Netzes durch Online-Game-Levels
und zerdasht mit seinem Regenbogenpowerstrahl jeden erloschenen Stern, bis in die
Herzen der followenden Jünger 3.0: Die Rede ist von niemanden anderen als vom Super(Robot)-Pony itself, von keinem geringeren soll also von nun an gesprochen werden, als
vom almighty Einhorn und den chronischem Wunsch junger Menschen endlich zu sein;
press „Z“ to chase your dreams again.
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Urban Dictionary, Unicornism: A cult started in Maryland by two crazy teenage girls.
Has already gained a pretty big following. Was hat es nicht alles schon gegeben? Aber
ein Einhorn als Emoticon für einen kultig-kultischen Lifestyle? - Ja, das gibt es und ist mit
einer gesunden Portion Humor auch nicht so schlimm. Zwar scheint es schwer nachzuvollziehen, warum à la Oldschool-Religiösität ein über-geordnetes Wesen angehimmelt
werden soll, wenn mit theo-logischer Weltanschauung als Sinngebungssysteme back in
the old days schon kein Blumentopf zu gewinnen war. Doch aus diesem Knackepunkt
ziehen die Fans des trendig kultischen Einhornkults, die verlorenen Lämmer des
postmodernen Identiätsdilemmas, ihre Existenzberechtigung in heutiger Zeit. Sie spüren
die systemimmanenten, schlechten Vibes, wollen dennoch die Wurzel allen Übels nicht
packen und fliehen ihr Unbehagen kompensierend in (digitale) Glittermystik. Das mag
zwar vieles mit herkömmlichen Religionsmethoden gemein haben, nur aber mit einem
kleinen feinen Unterschied: Anbeten ist so Mittelalter. Heute frönt man lieber einem
(hufenden) Hirten, den man selbst erschaffen und inszeniert hat. Es ist ein vermeintlich
selbstbestimmtes Frönen, dem man sich bewusst hingibt in einer verrasten,
fragementierten Welt. „Fröning“ ist Andacht in den Zeiten permanenten Konsums.
Daran festzuhalten gilt als Glaube, der sich nicht auf ein Symbol hin zementiert, das über
Jahrhunderte hinweg göttlich aus sich selbst existiert, sondern auf die gesamte Produktpalette der Warenwelt.
Es steht nicht der Glaube im Mittelpunkt des übergestülpten Sinneskonstrukts, sondern
der Gläubige und seine Bedürfnisse selbst. Das ist magic am Einhorn by seinen Jüngern
und mit ihm bleibt ein bisschen Eigensinn für die sonst so rauhe Welt; why not create
my own religion, one that will suit my personal beliefs? - So ist der Einhornismus die
Substitutionstherapie versus schul-medizinischer Religionspraktiken in einer Zeit der
man ständig nach einer Alternative suchen muss; nach einem eigenen Glauben 2.0 und
somit auch nach einer eigenen Kulturgeschichte. So ist das Einhorn eine bloße rip-off of
Pantheism -Ikone unserer Pop-Kultur, der diasporaisch weltweit gefrönt wird,
widdewiddewitt.
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Die Followerzahl des Einhorns ist schwer auszumachen. Es ist eine lose Jüngerschaft, ein
unorganisierter, nach seinen Belangen verhaltener Schwarm, vereint durch den LikeButton auf Tumblr, Facebook, im Blog. Was der Einhornjünger in der realen Welt macht,
weiß man nicht genau; Streetart gelegentlich. Es ist ein Lifestyle, der sich transmedial
des herkömmlichen globalen Promotions-sytems bedient, um seine unkonventionelle
Message konventionell zu verbreiten.
Im deutschen Sprachraum hat das Einhorn längst natürlich auch eine Fanbase. Der
populärste Walfahrtsort, für knapp 9.300 Followers, scheint hier der Blog für Liebe,
Kultur und Revolution in Zeiten der Lethargie - Kotzendes Einhorn, auf dem der
Prophet Daniel Decker zu diesen Themenschwer-punkten bloggt, schreibt, und einhornt.
Der Daniel ist ein Guter, wohnt in Berlin und man kann ihn auch anrufen. Seit 2009
dokumentiert er wie man das Leben so lebt mit einer Einhornism-Beliefs-App. Seine
Beiträge fächern sich ver-schieden für jedes alternative Surfer-Herz: Rambo trifft auf
Grumpy-Merkel, backgrounded by Pussy Riot und Brain May. Topics zur Pressefreiheit,
zu Femen oder gleich-geschlechtliche Ehen zeigen, dass zum Einhornism auch irgendwie
Politik gehört. Das zeugt von einer 16:9- Weltsicht und ist auch ohne Unicornism für
Menschen empfehlenswert, die ständig im digital-kulturellen Diskurs unterwegs sind,
um uptodate zu sein, was den Trend betrifft, abseits der Massenmedien. Ja gut, den
eigenen zeitgenössischen Lifestyle füttern; das tun andere Blogs doch auch, aber
braucht es dazu ein Einhorn? Man weiß es nicht und wenn man das Mystic-LiteKonstrukt des Einhornismus betrachtet, kommt man allenfalls darauf, dass der
Blogautor eine entschuldigende Erklärung für seine Posts alibiiert und warum er
eigentlich soviel Zeit im Internet verbringt. Auch wenn Propheten und Jünger des
Einhorns etwas eigenes, für sich ganz allein, erschaffen wollten; neu ist es oder besser,
frei vom Alten ist das nicht. So verwundert es nicht, dass bei der Manifestierung des
Lifestyles postmodern gepuzzelt wird(Es ist der postmoderne Rekurs, der den
künsterlichen Anspurch des Einhorns ebnet): Da ist der Glaube an das Schöne und
Wahre des Sturm und Drang, der Regenbogen und das Kotzen als Verkörperung vom
daoistischen Yin und Yan, ein spiritueller Glaube ohne institutionalisierte Religion, die
Wut eines post-hessel'schen Politikbewusstseins ohne Establishment und noch jede
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Menge weitere klingende Passagen, bei denen jemand vielleicht noch einmal
drüberlesen sollte, damit es nicht im Geflügelten verschwimmt.
Meinst du das Einhorn werde dir dienen […] Magst du dich auf das Tier verlassen, daß
es so stark ist, und wirst es dir lassen arbeiten; - wie gesagt, das ist alles doch nicht so
neu: Die Bibelbewanderten unter uns werden es eh gemerkt haben, das Einhorn war
schon einmal ikonisierte Beauty-queen, allerdings christlich. Luther selbst übersetzte es
in das auflagenstärkste Buch worldwide. 1984 verschwand das Einhorn wegen
zweifelhafter Übersetzungen wieder daraus. Auch der prophetische Blogger des
kotzenden Einhorns weiß das natürlich, findet das aber nicht weiter schlimm, sieht
hierbei vielmehr die Magischsprechung gott-approved. Und munkelt man nicht auch,
dass das Einhorn sowieso ein Symbol für Jesu himself sei? So würde sich Americas
Hymne eines auferstehenden Einhorns in der Apokalypse dann deutlicher lesen lassen.
Jedenfalls sind die Einhornfollower schon ein wenig inkonsequent, bedienen sie sich
eines alteingesessenen Symbols, dessen Religion das heutige Wertesystem der rauen
Welt noch immer prägt und von der man durch das Einhorn erlöst werden will.
Losgelöst von seinem widersprüchlich messianistischen Glitzercharakter, fänden sich
sicher im Einhornism einige Inhalte der hedonist internationl, wenn man diesem bei so
viel Einhorn ein aktives politisches Handlungsbewusstsein zu schreiben wolle. Als Hedos
bezeichnete sich Anfang der 2000er eine linksradikale Gruppe, die fand, dass zur
politischen Intervention neben aktiver Partizipation, auch kreatives Nichts-Tun, z.B.
Durchtanz-Raves und bewusstes Verschlafen gehörten. Doch das Einhorn tanzt lieber
mit der Faust in der Tasche einmal am Wochenende, als den Klassenkampf, because
that's too idealistisch.
So ist es ein Lifestylestatussymbol einer Generation, die christlich erzogen und
weltbürgerlich gebildet wurde, irgendwie links, doch dafür zu ohnmächtig, den gesellschaftlichen Zwängen unterliegend. Sie wartet auf jemanden, sucht nach etwas, das ihr
zeigt wer sie ist. Die Follower des Einhorns würden wahrscheinlich die Piraten wählen,
wenn die wirklich cool und der eigene Schweinehund der Politikverdrossenheit nicht zu
groß wären. Sie sind eine Generation, die sich mit dem Leben im gesellschaftlichen,
sowie digitalen Netz arrangieren; für die nichts mehr Neuland ist, da alle Revolten und
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Tabus schon gebrochen wurden. Sie hat gelernt diese Welten kultiviert hinzu-nehmen,
gegebenenfalls zu kritisieren. Es ist das Kind einer Informationsgesellschaft, das hippiegebarfusst digtial durch die Weltgeschichte spaziert, Freizeit ist Freiheit konterfeit, mit
dem chronischen Selbstver-wirklichungszwang einer Pop-Kultur und dem Wissen, dass
man eigentlich ja einmal alles anders machen müsste. Doch diese böse, raue Welt ist zu
mächtig. Als Übersprungshandlung bleibt so nur die Flucht in die Lifestyle-Unterhaltung,
beziehungsweise der Zerstreuung. Das Internet als Messias und doch bleibt man
irgendwie zerrissen: Wenn Du Einhornism anwendest, wirst Du glücklicher. Es schärft
Deinen Blick für das Wichtige, es animiert Dich dazu mitzumachen. Er gibt Dir die
Möglichkeit Dein Bedürfnis nach Trägheit alltäglich zu stillen.
Der Einhornismus ist dieses ewige menschliche Bedürfnis nach einem stillen Moment in
dieser rasenden Welt, eine Pause, in der man einmal was Gutes mit seinem ganzen Sein
tun könnte. Vielleicht bräuchte es dazu das Einhorn gar nicht. Vielleicht steht dieses nur
symbolisch für die heutige junge Generation. Doch manchmal möchte man hoffen, dass
es ein Anfang wäre, wenn viele ihm folgten. Das wäre zumindest besser als dieses
dämliche Nichts.

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