Homo homini lupus
Transcription
Homo homini lupus
Homo homini lupus ? ! Dieter Loosli Kürzlich sendete Radio DRS die Nachricht, dass der Nationalrat in der Schweiz Delphinarien verbieten will, da Meeressäuger dort nicht «artgerecht» gehalten werden könnten. Daraus könnte man zynisch schliessen, dass artgerechte Tierhaltung heute Vorrang zu haben scheint vor «artgerechter Haltung» des Menschen, dank der er nicht Gefahr laufen würde, als einer aufgefasst werden zu müssen, der Angst macht und sich gegenüber seinen Mitmenschen eigennützig und unmenschlich verhält. In einem ersten Schritt werden die Mechanismen im Zentrum der kapitalis tischen Gesellschaft, die zu dieser entmenschlichenden Entwicklung und damit zur heutigen globalen Lage beitragen, analysiert, die diesbezügliche Verantwortlichkeit von Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft untersucht und die moderne Form von Arbeit in ihrer Wirkung auf heutige Individuen entschlüsselt. Die daraus resultierenden und bis heute bestim menden Veränderungen der Alltagsausrichtungen von Menschen in modernen industrialisierten Ländern äussern sich im flächendeckend gewordenen Milieu abhängiger und dadurch zur Anpassung an entsprechende Betriebsund Staatsorganisationsformen gezwungener Angestellter. Diese früheren Organisationsformen weisen historische Analogien auf zu heutigen Reformen, wo unter dem Stichwort von «weniger Bürokratie» zentrale, direkt von der politischen Ökonomie weisungsabhängige Parallel strukturen hinter der eigentlichen Bürokratie geschaffen werden: Hierarchi sierungen mit Loyalitätszwang, die Abhängigkeit schaffen, Informationen und damit Macht konzentrieren und getarnt als Qualitätsmanagement, Evalua tionsmanagement, Reporting und Controlling nichts produzieren ausser Angst und «Linientreue». In einem zweiten Schritt werden Begründungsversuche gesellschaftlicher Tradierung dieser Kultur und ihrer Normen – die das im Menschen eigentlich angelegte Entwicklungspotenzial systematisch verhindern – gedeutet als Zwang der älteren Generation zur Sicherung ihrer eigenen Identität und der Stabilität ihrer antagonistischen, durch Herrschaft strukturierten Sozialität; indem die neue Generation durch systematische Unbewusstmachung unter worfen bzw. angeeignet wird, soll Neues verhindert und Altes möglichst wiederholt werden. Das Niveau unseres moralischen Bewusstseins bzw. unserer Mündigkeit wird nicht nur direkt nach unten gezogen durch individuelle, zu moralischem Entwicklungsstillstand bzw. Regression führende Mechanismen einerseits und die gesellschaftlich erzwungenen Verzerrungen und Unbewusstmachun gen andererseits, sondern zusätzlich indirekt durch den somit schon gesenkten, kulturellen Schwerpunkt der Gesellschaft: Deren Anerkennung unserer Zurechnungsfähigkeit «auf Bewährung», auf die wir in den aller meisten Fällen angewiesen sind, zwingt uns zur zumindest vordergründigen (Über-)Anpassung an ihre Werte – und damit zum moralischem Entwick lungsstillstand bzw. zur Regression. 40 41