Economic Research Allianz Group and Dresdner Bank

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Economic Research Allianz Group and Dresdner Bank
Economic Research
Allianz Group
Dresdner Bank
Working Paper
Nr.: 61, 9. Februar 2006
Autor:
Werner Heß
_________________________________________________________________
Die Strompreise in Deutschland – warum sie
gestiegen sind und wie man sie senken kann
Inhalt
Zusammenfassung
1. Einleitung
2. Auf den Strompreis wirken vielfältige Einflüsse
3. Struktur und Entwicklung der Strompreise
4. Wettbewerbsprobleme beim Netzzugang
5. Staatliche Energiepolitik belastet Strompreise über Gebühr
6. Preisschub auf dem Großhandelsmarkt für Strom
7. Ausblick: Mittelfristig tendenziell sinkende Strompreise wahrscheinlich
Verwendete Literatur
1
Zusammenfassung
Um die wesentlichen Ursachen der gestiegenen Strompreise und Ansatzpunkte für ihre Senkung
zu erkennen, muss man drei zentrale Einflussgrößen – die Netzkosten, den Staatsanteil und die
Großhandelspreise – genauer unter die Lupe nehmen.
(1) Im Zuge der Liberalisierung des deutschen Strommarktes 1998 wurde für die Erzeugung von
Strom und dessen Vertrieb freier Wettbewerb zugelassen, die Übertragungs- und Verteilnetze
blieben dagegen als natürliche Monopole weiter reguliert. Deshalb muss eine unabhängige
Institution darüber wachen, dass Unternehmen, die Stromnetze betreiben, ihr Monopol nicht
missbrauchen. Inzwischen wurden mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz die Voraussetzungen für mittelfristige Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen im Bereich der Netznutzung
geschaffen. Eine konsequente Deregulierung des Stromnetzes wirkt sich nicht nur unmittelbar dämpfend auf die Strompreise aus, sondern auch mittelbar über mehr Wettbewerb durch
neue Stromanbieter.
(2) Während die Politik im Hinblick auf die Netzentgelte ihren Teil dazu beigetragen hat, mittelfristig für eine Entlastung bei den Strompreisen zu sorgen, zeigt sich der Staat weit weniger verantwortungsbewusst, was seinen eignen Einfluss auf die Strompreissteigerungen betrifft. So
hat sich von 1998 bis 2005 der Anteil der staatlich verursachten Kostenkomponenten am
Strompreis für Haushaltskunden von rund 25 auf knapp 40 % erhöht. Insgesamt sind in
diesem Zeitraum die im Strompreis enthaltenen Abgaben, Steuern und Umlagen um fast 75 %
gestiegen, insbesondere durch die Einführung der Stromsteuer als Bestandteil der Ökosteuer
sowie durch die deutlich ausgeweitete Förderung erneuerbarer Energien und der KraftWärme-Kopplung, wobei die Mehrwertsteuer noch nicht berücksichtigt ist. All diese umweltpolitisch motivierten Instrumente erscheinen durch die Einführung des europaweiten Handels mit
Emissionsrechten für Kohlendioxid in ganz neuem Licht. So hat in diesem System, wenn es
so funktioniert wie erhofft, eine Stromsteuer im Grunde keinen zusätzlichen positiven Effekt für
den Klimaschutz. Auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz führt in Kombination mit einem gut
funktionierenden Emissionshandel zu keiner zusätzlichen Einsparung von Kohlenddioxid. Damit bieten sich aus dem Bereich der Abgaben und Steuern zumindest zwei Ansatzpunkte für den Staat, um die Strompreise zu senken - nicht zuletzt auch zur Förderung des
Industriestandort Deutschlands.
(3) In letzter Zeit war es gleichwohl keineswegs die vom Staat zu verantwortende Preiskomponente, die den stärksten Schub beim Strompreis ausgelöst hat. Dieser resultiert vielmehr aus den
Entwicklungen am Großhandelsmarkt für Strom. Neben der Angebotsverknappung durch die
Stilllegung von Kraftwerken beruhen die Preissteigerungen auf diesem Markt auch zum Teil auf
den gestiegenen Preisen für Brennstoffe, die bei der Stromerzeugung zum Einsatz kom2
men. Darüber hinaus zu berücksichtigen sind die Preise für die Zertifikate zur Emission von
Kohlendioxid, welche die Stromerzeuger seit Anfang 2005 benötigen, wenn sie dieses Treibhausgas bei der Stromerzeugung ausstoßen. Die Überwälzung der Zertifikatspreise auf den
Strompreis durch die Stromkonzerne ist fast ausschließlich für den Anfang 2005 einsetzenden Preisschub auf dem Großhandelsmarkt für Strom verantwortlich.
Nicht zuletzt dürfte das Ausmaß der Preissteigerungen auf diesem Markt seit der Liberalisierung auch zu einem gewissen Teil auf der starken Marktstellung der großen Stromkonzerne beruhen. Dass diese Unternehmen ihre Marktposition in den letzten Jahren sogar noch festigen konnten, kann man ihnen allerdings kaum zum Vorwurf machen. Zurückzuführen sind
derartige Konzentrationsprozesse vielmehr auf die ordnungspolitischen Rahmensetzungen, die
sie ermöglicht haben. Die Stromkonzerne selbst haben sich unter den gegebenen Bedingungen einzelwirtschaftlich rational verhalten.
Im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Großhandelspreise ist davon auszugehen,
dass Preissteigerungen als Folge einer Angebotsverknappung kaum noch zum Tragen kommen, da die Preise inzwischen ein Niveau erreicht haben, dass potenziellen Wettbewerb durch
den Neubau von Kraftwerken ermöglicht. Sofern sich außerdem in naher Zukunft die Brennstoffpreise und der Zertifikatspreis für die Emission von Kohlendioxid, die zur Zeit beide auf einem ungewöhnlich hohen Niveau liegen, zurückbilden, ist auf mittlere Sicht tendenziell mit einem Rückgang der Strompreise auf dem Großhandelsmarkt zu rechnen. Die Tendenz zu sinkenden Großhandelspreisen würde noch verstärkt, wenn man die Laufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke verlängert. Denn dann könnten die Kohlendioxid-Emissionen stärker
sinken als im Falle der Substitution von Strom aus Kernenergie durch Strom aus fossil befeuerten Kraftwerken. Die infolgedessen sinkenden Zertifikatspreise würden zu einem entsprechend
geringeren Aufschlag auf den Strompreis führen.
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1. Einleitung
Die Preise für Öl, Strom und Gas kennen seit einiger Zeit nur noch eine Richtung: aufwärts. In
Deutschland liegen die Strompreise inzwischen deutlich über ihrem Niveau vor der Marktliberalisierung im Jahr 1998 – fast nirgendwo in Europa sind sie höher als hierzulande. Die Preissteigerungen belasten nicht nur die Budgets der privaten Haushalte, sondern beeinträchtigen auch die internationale Konkurrenzfähigkeit der energieintensiven Industriebranchen. Verbraucher und Unternehmer äußern deshalb ihren Unmut wie selten zuvor. Die Strompreise sind zu einem regelrechten
Reizthema geworden und häufig Anlass kontrovers geführter Diskussionen. Vorwürfe richten sich
sowohl an die Stromkonzerne, sie nutzten ihre marktbeherrschende Stellung aus, als auch an die
staatliche Energiepolitik, die den Strompreis mit Steuern und Abgaben unnötig belaste. Spiegeln
die hohen Strompreise die derzeitigen energiewirtschaftlichen Gegebenheiten tatsächlich wider
oder sind sie – wie oft behauptet – Ausdruck mangelnden Wettbewerbs in der deutschen Stromwirtschaft?
Im vorliegenden Working Paper betrachten wir zunächst die verschiedenen Komponenten des
Strompreises (Abschnitt 2), um anschließend deren Struktur und Entwicklung seit Ende der neunziger Jahre darzustellen (Abschnitt 3). Zum besseren Verständnis der Ursachen für die Strompreisentwicklung, aber auch um Ansatzpunkte zur Senkung der Strompreise zu erkennen, richten
wir danach unser Augenmerk auf die Wettbewerbsprobleme beim Zugang zum Stromnetz (Abschnitt 4), die staatliche Energiepolitik (Abschnitt 5) und die Preisentwicklung auf dem Großhandelsmarkt für Strom (Abschnitt 6). Zum Abschluss folgt ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung
der Strompreise (Abschnitt 7).
2. Auf den Strompreis wirken vielfältige Einflüsse
Der Strompreis hat im Spannungsfeld der energiepolitischen Ziele – Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit – grundsätzlich unterschiedliche Funktionen. Dem Ziel der
Wirtschaftlichkeit dienen möglichst niedrige Strompreise, um die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industriezweige zu stärken. Hierzu zählen vor allem die Branchen Chemie, Glas,
Nichteisen-Metalle, Papier, Stahl und Zement. Für sie ist preisgünstiger Strom ein entscheidender
Standortfaktor. Hohe Strompreise dagegen erfordert das Ziel der Umweltverträglichkeit, um Anreize zum Energiesparen zu geben. Will man Versorgungssicherheit gewährleisten, müssen
ausreichende Kapazitäten für die Erzeugung von Strom sowie dessen Übertragung und Verteilung
vorhanden sein. Die Strompreise sollten deshalb ausreichend hoch sein, um den Stromversorgern
eine angemessene Rendite für Investitionen in Kraftwerke und Netze zu bieten. Die kontrovers
geführten Diskussionen über die Höhe der Strompreise sind letztlich Ausdruck dieser bestehenden Zielkonflikte. Um diesbezüglich mehr Klarheit zu gewinnen, müssen wir den Blick
zunächst darauf richten, welche Faktoren den Strompreis bestimmen. Zu unterscheiden sind dabei
im Wesentlichen vier zentrale Einflüsse: die Kosten der Stromerzeugung, die Entwicklung der
Großhandelspreise, die Netzkosten sowie staatliche Abgaben und Steuern.
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(1) Bei der Stromerzeugung kommen Kraftwerke mit unterschiedlichen Technologien zum Einsatz. Sie unterscheiden sich nach der Höhe des Brennstoff- und Kapitaleinsatzes und haben
dementsprechend unterschiedliche Kostenstrukturen. Die Kosten der Stromerzeugung untergliedern sich grob in Fixkosten, die mit dem Bau eines Kraftwerks anfallen, in dessen betriebsbedingte Kosten und in die variablen Kosten, die von der erzeugten Strommenge abhängen.
Die variablen Kosten eines Kraftwerks werden damit vor allem durch den Preis des eingesetzten Energieträgers bestimmt, aber auch durch den Wirkungsgrad eines Kraftwerks, also
dem Verhältnis von erzeugter zu eingesetzter Energie. Ein weiterer Teil dieser Kosten sind die
vom Staat erhobenen Abgaben und Umlagen, da diese in Deutschland proportional mit der erzeugten Strommenge steigen. Nicht zuletzt beeinflusst die variablen Kosten auch der Preis für
die Zertifikate zur Emission von Kohlendioxid, welche die Stromerzeuger seit Anfang 2005
benötigen, wenn sie dieses Treibhausgas bei der Stromerzeugung ausstoßen (siehe Kasten).
Dies bedeutet, dass die Stromwirtschaft Entscheidungen über den Einsatz von Primärenergie
auch immer unter Berücksichtigung dieses Zertifikatspreises treffen muss. So hat bei den derzeit hohen Gaspreisen ein verstärkter Einsatz von Kohlekraftwerken zur Folge, dass für die
kohlenstoffintensivere Kohle zusätzliche Emissionsrechte gekauft werden müssen. Der Zertifikatspreis und damit die Kosten der Stromerzeugung steigen infolgedessen, was sich letztlich
auch in der Höhe des Strompreises niederschlägt.
Der Theorie nach muss die Vergütung des erzeugten Stroms den variablen Kosten jenes Kraftwerks entsprechen, das gerade noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu befriedigen.
Dieses wird als Grenzkraftwerk bezeichnet. Sämtliche Kraftwerke mit niedrigeren variablen
Kosten erzielen einen Überschuss, der vor allem dazu dient, die fixen Kosten (Kapitalverzinsung und Kapitalamortisation, Personalkosten) zu decken. Wenn der Strompreis hinreichend
hoch ist, erzielen die Kraftwerksbetreiber einen Gewinn, der einen Anreiz bietet, die Produktionskapazitäten zu erneuern bzw. auszuweiten.
Emissionshandel: Kostenlos zugeteilte Zertifikate verursachen Opportunitätskosten
Im Kyoto-Protokoll haben sich die Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet, die Emissionen
von Kohlendioxid zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde Anfang 2005 der Handel mit
Emissionsrechten eingeführt. Dabei verpflichten sich Kraftwerksbetreiber und große Industrieunternehmen, für jede Tonne Kohlendioxid, die durch die Produktion von Energie oder Gütern
ausgestoßen wird, eine Berechtigung nachzuweisen. Diese wurden den Unternehmen in Form
von Zertifikaten von den Regierungen der EU überwiegend kostenlos zugeteilt. Um den Anreiz
zu erhöhen, die Kohlendioxid-Emissionen zu senken, haben die Unternehmen weniger Zertifikate erhalten als sie für eine Vollausstattung ihrer Produktion benötigen. Dieser Knappheit
können die Unternehmen auf unterschiedliche Weise begegnen: Entweder durch den Zukauf
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von Zertifikaten oder durch die Modernisierung ihrer Anlagen, um die Produktionsprozesse emissionsärmer zu gestalten. Da es also Käufer und Verkäufer von Zertifikaten gibt, bildet sich
durch das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage ein Preis für die Zertifikate zur Emission von Kohlendioxid.
Dieser Zertifikatspreis fließt in die Bildung des Strompreises ein, obwohl die Zertifikate kostenlos zugeteilt wurden. Denn die spätere Nutzung der Emissionsrechte verursacht Opportunitätskosten: Nutzt ein Kraftwerksbetreiber sie zur Stromerzeugung, entgehen ihm Erlöse, die er bei
emissionsärmerer Stromerzeugung durch den Verkauf der Emissionsrechte am Markt hätte erzielen können. Da diese Opportunitätskosten bei Investitions- und Betriebsentscheidungen zu
berücksichtigen sind, werden die Emissionsrechte kosten- und damit auch preiswirksam.
Problematisch am derzeitigen System des Handels mit Emissionsrechten ist, dass bei einer
vorab festgelegten Menge dieser Rechte die Möglichkeit besteht, die Strommärkte durch deren
Aufkaufen zu "vermachten". Neuen Stromanbietern könnte auf diese Weise der Marktzutritt
verwehrt werden, da sie keine Möglichkeit haben, an die erforderlichen Zertifikate zu kommen.
Dieser durch strikte Mengenvorgaben beim Emissionshandel möglichen Ausnutzung von
Marktmacht könnte man allerdings entgegenwirken durch die Einführung eines flexiblen staatlichen Interventionssystems, einer Art "Offenmarktpolitik" für Emissionsrechte. Dabei könnte
man unerwartete Preissprünge auf dem Markt für Emissionsrechte durch den Verkauf zusätzlicher Zertifikate nivellieren.
(2) Auf den Großhandelsmärkten für Strom, die sich seit der Liberalisierung der europäischen
Strommärkte in den Mitgliedsstaaten der EU etabliert haben, trifft das Angebot der Stromerzeuger auf die Nachfrage von weiterverteilenden Versorgungsunternehmen, Stromhändlern
und industriellen Großkunden. Auf liberalisierten Strommärkten ist funktionierender Wettbewerb auf dem Großhandelsmarkt sehr wichtig, da dieser Markt für einen kurzfristig effizienten
Einsatz von Kraftwerken sorgt und von ihm auch längerfristige Preissignale für Kraftwerksinvestitionen ausgehen. Bei Einführung der Strombörsen standen die Großhandelspreise unter
dem Einfluss hoher, noch aus Monopolzeiten stammenden Kraftwerksüberkapazitäten. In einem solchen Wettbewerbsumfeld ist es nicht möglich, die Investitionskosten von Kraftwerken
vollständig zu erwirtschaften, da die Kraftwerksbetreiber in dieser Situation Preise auf Vollkostenniveau am Markt nicht durchsetzen können. Das preissetzende Grenzkraftwerk kann lediglich gerade seine variablen Erzeugungskosten decken. Werden nun aber aufgrund altersbedingter Stilllegungen von Kraftwerken Neubauten zur Sicherung der Stromversorgung erforderlich, steigen infolge des knapperen Angebots die Strompreise und setzen damit Anreize für
entsprechende Neuinvestitionen. Langfristig werden also die Preise auf dem Großhandelsmarkt für Strom auch durch die Investitionskosten für neue Kraftwerke beeinflusst.
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Eine große Herausforderung für die Stromwirtschaft ist die Deckung der spätestens ab 2010
anstehenden Angebotslücken bei den Kraftwerkskapazitäten. Für Deutschland werden die in
den nächsten 25 Jahren erforderlichen Investitionen in Kraftwerke auf 50 bis 60 Mrd. EUR geschätzt. Der Bau neuer Kraftwerke ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Zum einen ist
das Investitionsrisiko grundsätzlich relativ hoch, da Kraftwerke mit einer Bindung des eingesetzten Kapitals von bis zu 40 Jahren sehr lange Amortisationszeiten haben. Obendrein ist unter den Bedingungen liberalisierter Strommärkte der Risikoaufschlag bei der Verzinsung des
investierten Kapitals höher anzusetzen als unter Monopolbedingungen mit garantierten Erlösen. Zum anderen entstehen weitere Investitionsrisiken dann, wenn sich die umweltpolitischen
Prioritäten und Regelungen unvorhersehbar und sprunghaft ändern.
Die kurzfristige Preisbildung auf dem Großhandelsmarkt richtet sich zum einen nach verschiedenen fundamentalen Einflüssen (Wetterbedingungen, Brennstoffpreise, Zertifikatspreise
für die Emission von Kohlendioxid), zum anderen spielen auch spekulative Elemente und Erwartungen, z.B. bezüglich der Preise für Kraftwerksbrennstoffe, eine wichtige Rolle. Letztlich
unterliegen damit die Großhandelspreise für Strom auch den hohen Volatilitäten auf den Rohstoffmärkten. Bedingt durch den asiatischen Wirtschaftsboom, vor allem in China, ist die internationale Nachfrage nach Energierohstoffen kräftig gestiegen. Da das Angebot nicht Schritt
halten konnte, mussten die Preise für Primärenergieträger und infolgedessen auch die Strompreise zwangsläufig steigen.
Die Großhandelsmärkte sind auch äußerst wichtig für das Risikomanagement der Marktteilnehmer, mit dem sie sich gegen schwankende Strompreise absichern. Darüber hinaus haben
die Preise an den Großhandelsmärkten für Strom für die Bezugsverträge der Industrie und der
Weiterverteiler von Strom eine Indikatorfunktion. Steigende oder sinkende Trends bei den
Großhandelspreisen zeigen sich mit einer gewissen Zeitverzögerung in den Bezugspreisen für
Strom.
(3) Von den Kraftwerken muss die erzeugte Energie über ein weit verzweigtes Stromnetz zu den
Verbrauchstellen transportiert werden. Dabei unterteilt man die Leitungen nach Spannungsebenen. Während die großräumige Stromübertragung im Höchst- und Hochspannungsnetz
vom Ort der Erzeugung bis zur Region der Verteilung über das so genannte Übertragungsnetz erfolgt, transportieren lokale Mittel- und Niederspannungsnetze (Verteilnetze) den Strom
von einer Übergabestelle des Übertragungsnetzes (Netzknotenpunkt) bis zum Endverbraucher.
Der Aufbau und die Unterhaltung dieser Übertragungs- und Verteilnetze verursacht Kosten, die fast ein Drittel des Gesamtpreises einer Kilowattstunde Strom ausmachen. Das
überregionale Übertragungsnetz in Deutschland betreiben die Unternehmen E.ON Netz, RWE
Transport-Netze Strom, Vattenfall Europe Transmission und EnBW Transportnetze, die jeweils
wiederum mit den konzernzugehörigen Kraftwerksgesellschaften verbunden sind.
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Ökonomisch gesehen ist der Netzbetrieb als natürliches Monopol zu klassifizieren. Es ergibt
sich aus Sachzwängen, denen mit den üblichen kartellrechtlichen Instrumenten nicht beizukommen ist, und ist grundsätzlich dann gegeben, wenn ein einziger Anbieter in der Lage ist,
den gesamten Markt zu geringeren Kosten zu beliefern als es mehrere Anbieter können. Da
die Durchschnittskosten des Netzbetriebs mit einer zunehmenden Zahl von Nutzern sinken,
wäre der Aufbau eines neuen, zusätzlichen Netzes gesamtwirtschaftlich und auch für neue
Stromanbieter nicht sinnvoll. Letztere müssen vielmehr die bestehenden Stromnetze der ehemaligen Monopolisten nutzen und ihnen dafür ein sogenanntes Netznutzungsentgelt zahlen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Intensität des Wettbewerbs auf dem Strommarkt ist somit
die diskriminierungsfreie Netznutzung (siehe Abschnitt 4).
(4) Darüber hinaus erhöhen verschiedene Steuern und Abgaben die Strompreise für Endkunden.
So zweigt der Staat von rund 19 Cent, die eine Kilowattstunde für Privatkunden kostet, mehr
als 7 Cent für andere Zwecke ab. Im einzelnen sind dies
die Konzessionsabgaben an Kommunen dafür, dass diese den Stromversorgern gestatten, öffentliche Wege für die Stromversorgung zu nutzen. In Abhängigkeit von der Einwohnerzahl können die Kommunen zwischen 1,32 und 2,39 Cent pro Kilowattstunde als
„Wegmiete“ erheben.
die Stromsteuer als Teil der 1999 in Kraft getretenen Ökologischen Steuerreform. Nach
der fünften und letzten Stufe der Reform gilt seit 2003 bei Tarifstrom eine Stromsteuer von
2,05 Cent pro Kilowattstunde.
die Umlage für Kraft-Wärme-Kopplung, die dazu dient, über einen Aufschlag auf den
Strompreis Kraftwerke zu fördern, die im gleichen Prozess Strom und Wärme erzeugen. Im
Jahr 2004 betrug die Umlage 0,31 Cent pro Kilowattstunde.
die Umlage für erneuerbare Energien, die ebenfalls über einen Aufschlag auf den Strompreis die Förderkosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes finanziert. Es verpflichtet die
Energieversorger, den derzeit noch nicht konkurrenzfähig erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig in das Netz einzuspeisen und den Anlagenbetreibern hierfür gesetzlich festgelegte Mindestvergütungen zu zahlen. Diese Vergütungen werden auf alle
Stromverbraucher umgelegt. Die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz bedingten
Mehrkosten für die Stromverbraucher lagen 2004 bei rund 0,5 Cent pro Kilowattstunde.
die Umsatzsteuer, die von den Stromversorgern in Höhe von 16% auf den Strompreis erhoben und an das Finanzamt abgeführt wird.
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3. Struktur und Entwicklung der Strompreise
Wie hoch ist nun der Anteil der einzelnen Kostenblöcke am Strompreis und wie haben sie sich
seit der Liberalisierung des Strommarktes 1998 entwickelt? Betrachten wir zunächst die so genannten Tarifkunden, das sind überwiegend private Haushalte. Deren durchschnittlicher Strompreis liegt bei rund 19 Cent pro Kilowattstunde. Davon entfallen knapp 40 % auf Steuern und Abgaben, gut 36 % auf die Netzkosten, 20 % auf die Stromerzeugung (Großhandelspreise) und gut
4 % auf den Vertrieb (siehe Grafik 1).
Grafik 1
Kostenanteile einer Kilowattstunde Strom
für Haushaltskunden
Stromerzeugung,
-transport und -vertrieb
Staatliche Abgaben, Steuern
und Umlagen
Umsatzsteuer 13,7 %
Stromerzeugung
(Großhandelspreise)
20,2 %
Umlage für erneuerbare
Energien 3,5 %
Umlage für Kraft-WärmeKopplung 1,7 %
Vertrieb 4,3 %
Stromsteuer 10,9 %
Konzessionsabgabe 9,5 %
Netzkosten 1) 36,2 %
1) Netzentgelt, Messung und Energiedatenmanagement.
Quelle: RWE.
Um die Kostenbelastung der Tarifkunden über mehrere Jahre vergleichen zu können, betrachtet
man üblicherweise einen Haushalt mit drei Personen, der pro Jahr durchschnittlich 3.500 kWh
Strom verbraucht (siehe Tabelle 1). Dessen monatliche Stromrechnung war in den Jahren 1998 bis
2000 zunächst um 8½ % bzw. fast 10 EUR auf rund 40 EUR gesunken, danach aber wieder von
Jahr zu Jahr bis auf über 54 EUR im Jahr 2005 gestiegen. Damit liegt das Strompreisniveau für
Haushaltskunden inzwischen um 9 % über dem Stand von 1998.
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Tabelle 1
Stromrechnung eines Drei-PersonenMusterhaushalts *
- Euro pro Monat 1998
Insgesamt
1999
2000 2001
2002
2003 2004
2005
49,95 48,20 40,66 41,76 46,99 50,14 52,38 54,43
davon:
Umsatzsteuer
6,90
6,65
5,60
5,75
6,48
6,92
7,24
7,51
Konzessionsabgabe
5,22
5,22
5,22
5,22
5,22
5,22
5,22
5,22
0
0
0,38
0,58
0,76
0,90
0,85
0,93
0,23
0,28
0,58
0,70
1,02
1,23
1,58
1,90
0
2,25
3,73
4,46
5,22
5,97
5,97
5,97
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz
Erneuerbare-Energien-Gesetz
Stromsteuer (Ökosteuer)
Stromerzeugung, -transport und
-vertrieb
37,60 33,80 25,15 25,05 28,29 29,90 31,52 32,90
*) Basis: Mittlerer Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden pro Jahr.
Quelle: Verband der Elektrizitätswirtschaft.
Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, die Liberalisierung des deutschen Strommarktes sei kein
ökonomischer Erfolg gewesen, wäre allerdings voreilig. Denn erstens ist zu berücksichtigen, dass
sich während des betrachteten Zeitraums der Anteil der staatlich verursachten Kostenkomponente
am Strompreis von rund 25 auf knapp 40 % erhöht hat. Insgesamt sind die im Strompreis enthaltenen Abgaben, Steuern und Umlagen von 1998 bis 2005 um fast 75 % gestiegen. Dagegen liegen die von Haushaltskunden zu tragenden Kosten für Stromerzeugung, -transport
und -vertrieb im Jahr 2005 sogar um 12½ % unter dem Stand von 1998 (siehe Grafik 2). Zweitens ist zu bedenken, dass die Kosten der Stromerzeugung heute wesentlich höher sind als 1998,
da zwischenzeitlich die Preise für Primärenergie deutlich gestiegen sind.
10
Grafik 2
Stromkosten für Haushaltskunden *):
Staat als Preistreiber
190
180
1998 = 100
170
160
staatlich verursachte
Kostenkomponente
150
140
130
120
110
Stromkosten insgesamt
100
90
80
Kosten für Stromerzeugung,
-transport und -vertrieb
70
60
50
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
*) Auf Basis eines Drei-Personen-Musterhaushalts mit einem mittleren Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden pro Jahr.
Quelle: Verband der Elektrizitätswirtschaft, eigene Berechnungen.
Von den Haushaltskunden zu unterscheiden sind die so genannten Sondervertragskunden. Hierzu zählen überwiegend die großen gewerblichen Stromkunden, die mit den Stromversorgern einen
individuellen Tarif vereinbaren, der ihre spezifischen Anforderungen berücksichtigt. Im Gegensatz
zu den Haushaltskunden gilt für die energieintensiven Industriekunden ein ermäßigter Satz bei der
Stromsteuer und bei der Kraft-Wärme-Kopplungs-Umlage sowie eine Härtefallregelung, welche die
Lasten durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz begrenzt. Diese Härtefallregelung gilt für Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als zehn Gigawatt im Jahr, bei denen der Stromkostenanteil mehr als 15 % der Bruttowertschöpfung beträgt.
Auch die Sondervertragskunden profitierten zunächst vom Strompreisverfall nach der Marktöffnung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren deren Strompreise von 1998 bis 2000
um knapp 20 % gesunken. Doch auch hier hat sich die positive Entwicklung in den nachfolgenden
Jahren nicht fortgesetzt. Vor allem seit Ende 2004 sind die Strompreise erheblich gestiegen: Im
Oktober 2005 mussten Sondervertragskunden für Strom im Durchschnitt gut 10 % mehr bezahlen
als im Dezember 2004. Damit liegt der Strompreis allerdings immer noch um gut 6 % unter dem
Stand von 1998. Belegt wird der starke Aufwärtstrend bei den Strompreisen für Industriekunden
auch durch die jüngste Entwicklung des vom Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft
ermittelten Strompreisindex, der zwischen Dezember 2004 und Oktober 2005 sogar um fast 24 %
gestiegen ist (siehe Grafik 3).
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Grafik 3
Preisschub bei Strom für Industriekunden
160
Januar 2002 = 100
150
140
130
120
110
100
90
2002
2003
2004
2005
Quelle: Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft.
Soweit zu den verschiedenen Komponenten des Strompreises und ihrer Entwicklung. Im folgenden
wollen wir nun drei zentrale Einflussgrößen – die Netzkosten, den Staatsanteil und die Großhandelspreise – etwas genauer unter die Lupe nehmen.
4. Wettbewerbsprobleme beim Netzzugang
Vor der Liberalisierung war die deutsche Elektrizitätswirtschaft geprägt durch Unternehmen mit
jeweils monopolistischem Versorgungsauftrag in vertraglich voneinander abgegrenzten Gebieten.
Diese Gebietsmonopole existieren seit 1998 nicht mehr. Für die Erzeugung von Strom und dessen
Vertrieb wurde freier Wettbewerb zugelassen. Die Übertragungs- und Verteilnetze dagegen blieben
als natürliche Monopole weiter reguliert. Das heißt nicht, dass sich aufgrund des Netzmonopols
kein wirksamer Wettbewerb in der Stromwirtschaft entfalten könnte. Allerdings stellt der Betrieb
des Stromnetzes die Wettbewerbspolitik vor besondere Aufgaben. Entscheidende Voraussetzung für Wettbewerb auf dem Strommarkt ist, das Netzmonopol so zu regulieren, dass die
mit dem Monopol verbundenen Ineffizienzen so weit wie möglich ausgeschaltet werden und
die Netzinfrastruktur für neue Anbieter auf dem Strommarkt kostengünstig verfügbar ist.
Die Mitte 2003 in Kraft getretenen neuen EU-Richtlinien zur Beschleunigung des Binnenmarktes für Strom und Gas schließen künftig eine rein privatwirtschaftliche Regelung des Netzzugangs aus und fordern die Einrichtung einer nationalen Regulierungsbehörde, welche die Entgelte und weitere Konditionen für den Netzzugang festlegen soll. Außerdem gelten für die Stromkonzerne künftig verschärfte Vorschriften für die Trennung von Netz und sonstigen Aktivitäten
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(Unbundling). War bislang die buchhalterische Trennung der Geschäftsbereiche ausreichend,
wird nun eine gesellschaftsrechtliche und operationale Trennung von Netz und den übrigen Wertschöpfungsstufen gefordert. Ziel hierbei ist, eine Ausnutzung der Monopolmacht auf der Netzebene
zur Diskriminierung anderer Unternehmen auf vor- oder nachgelagerten Teilmärkten der Stromwirtschaft zu verhindern. Denn sofern der Netzbetreiber Teil eines Verbundunternehmens ist, kann
er versuchen, die auf der Erzeugungs- und Vertriebsebene anfallenden Kosten teilweise den Netznutzungsentgelten zuzurechnen, um durch diese Quersubventionierung einen Wettbewerbsvorteil
zu erlangen.
Um den Anforderungen der EU gerecht zu werden, ist in Deutschland Mitte 2005 die zweite Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes in Kraft getreten, das die Verhältnisse auf dem heimischen
Energiemarkt so tief greifend verändern wird wie keine andere Maßnahme seit der Liberalisierung.
Dafür sorgt vor allem die in „Bundesnetzagentur“ (für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post
und Eisenbahn) umgetaufte Regulierungsbehörde. Ihre Aufgabe ist u.a., die Netznutzungsentgelte
vorab zu genehmigen und dafür zu sorgen, dass der Zugang zu den Stromnetzen einfacher und
preisgünstiger wird. Ihr wichtigstes Instrument dabei ist die so genannte Anreizregulierung, die
möglichst innerhalb von zwei Jahren in Kraft treten und dann per Rechtsverordnung für alle Netzbetreiber verbindlich werden soll.
Eine international weit verbreitete Variante der Anreizregulierung legt für einen Netzbetreiber während eines bestimmten Zeitraums eine Obergrenze für seine Erlöse aus dem Netzbetrieb fest, die
an die Entwicklung der Einzelhandelspreise und eine (von der Regulierungsbehörde geschätzte)
Rate für den Produktivitätsfortschritt (X-Faktor) gebunden ist. Dadurch will man weniger effektive
Netzbetreiber zwingen, ihre Kostenstrukturen anzupassen und ihre Effizienz zu verbessern. Der
Anreiz hierfür besteht darin, dass die regulierten Unternehmen Kostensenkungen in einer Regulierungsperiode, die über die geschätzten Produktivitätsfortschritte hinausgehen, als zusätzliche Gewinne einbehalten dürfen. Die Tatsache, dass Kostensenkungen nicht sofort an die Kunden weiterzugeben sind, ist für eine langfristig effiziente Bereitstellung der Netze äußerst wichtig. Denn nur
wenn ein Netzbetreiber für eine begrenzte Zeit von den Ergebnissen seiner Bemühungen profitieren kann, wird er auch in Zukunft bestrebt sein, seine Kosten weiter zu senken, was dann letztlich
mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch den Stromkunden zugute kommt.
Alles in allem hat die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes die Grundlage dafür geschaffen,
dass der von der Regulierung ausgehende Druck auf die Netzentgelte in absehbarer Zukunft seine
Wirkung entfalten kann. Um deren Höhe und Spreizung angemessen zu reduzieren, bieten die
Genehmigung der Entgelte vorab in Verbindung mit dem geplanten Übergang zu einem System
der Anreizregulierung einen sachgerechten Ansatz. Allerdings überprüft die Regulierungsbehörde
nicht die Strompreise insgesamt, sondern lediglich die Netzentgelte, die im Durchschnitt nur ein
Drittel des Preises für die Endverbraucher ausmachen. Man sollte deshalb den Einfluss der
Regulierung auf das Strompreisniveau nicht überschätzen. Selbst für Haushaltskunden, bei
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denen der zu regulierende Anteil am Strompreis mit rund 36 % am höchsten ist, würde eine Senkung der Netzentgelte um 10 % den Endverbraucherpreis lediglich um rund 3½ % vermindern.
5. Staatliche Energiepolitik belastet Strompreise über Gebühr
Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Politik im Hinblick auf die Netzentgelte ihren Teil dazu beigetragen hat, zwischen Netzbetreibern und Netznutzern ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen.
Das neue Energiewirtschaftsgesetz und die Bundesnetzagentur schaffen gute Voraussetzungen
für einen verstärkten Wettbewerb auf dem Strommarkt. Allerdings zeigt der Staat weit weniger
Bereitschaft, seinen eigenen Anteil an den Energiepreisen zu senken. Wie schon erwähnt, entfallen vom Strompreis, den ein durchschnittlicher Drei-Personen-Haushalt zahlen muss, rund 40% auf
Steuern, Abgaben und Umlagen – im Jahr 1998 lag dieser Anteil bei nur 25%. Ohne den gestiegenen Staatsanteil wären die Strompreise für Haushalte 2005 immer noch um 12½ % niedriger gewesen als 1998. Für die Industrie ist der staatliche Anteil am Strompreis zwar geringer, dennoch
hat auch er sich (ohne Stromsteuer) seit 1998 von 2% auf 9% erhöht.
Absolut betrachtet haben sich die staatlichen Zusatzlasten auf den Strompreis zwischen
1998 und 2005 von 2,3 auf 11,8 Mrd. EUR mehr als verfünffacht (siehe Tabelle 2), insbesondere durch die Einführung der Stromsteuer als Bestandteil der Ökosteuer sowie durch die deutlich
ausgeweitete Förderung erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, wobei die Mehrwertsteuer noch nicht berücksichtigt ist. Die hohen staatlichen Sonderlasten tragen auch dazu bei,
dass das Strompreisniveau in Deutschland mit am höchsten in ganz Europa liegt (siehe Grafik 4).
Tabelle 2
Staatliche Zusatzlasten für Strom:
mehr als verfünffacht
Mrd. Euro
1998
Stromsteuer
1999
2000
2001
2002
2003 2004
2005
2,1
3,4
4,3
5,1
6,5
6,6
6,6
Erneuerbare-Energien-Gesetz
0,3
0,3
0,9
1,2
1,6
1,9
2,3
2,4
Konzessionsabgabe
2,0
2,0
2,1
2,0
2,1
2,2
2,2
2,1
0,6
1,0
0,7
0,8
0,7
0,8
6,9
8,5
9,4
11,4
11,8
11,8
Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz
Insgesamt
2,3
4,4
2005: Schätzung.
Quelle: Verband der Elektrizitätswirtschaft.
14
In ganz neuem Licht erscheint die bisherige Umweltpolitik durch die Einführung des europaweiten Handels mit Emissionsrechten für Kohlendioxid, mit dem ein völlig neues Instrument zur
Verminderung von Treibhausgasen zum Einsatz kommt. Es stellt sich daher die grundsätzliche
Frage, ob dieses System mit den bisherigen nationalen umwelt- und energiepolitischen Instrumenten kollidiert und wie diese Instrumente gegebenenfalls anzupassen sind. Sinn und Zweck des
Handels mit Emissionsrechten ist es, einen Preis für Kohlendioxid-Emissionen zu ermitteln, der
letztlich dafür sorgt, dass die Verminderung dieser Emissionen volkwirtschaftlich möglichst kostengünstig erfolgt. Wenn dieser Markt so funktioniert wie erhofft, dann ist der Preis für das Recht, eine
Tonne Kohlendioxid auszustoßen, eine Art Maßstab für die Einbußen an volkswirtschaftlicher
Wertschöpfung, die man zur Einsparung einer zusätzlichen Tonne Kohlendioxid hinzunehmen bereit ist. Der Preis für Emissionsrechte steigt solange bis die Unternehmen zu dem Urteil kommen,
dass die Einsparung von Kohlendioxid durch verbesserte Technologien oder den Einsatz erneuerbarer Energien für sie kostengünstiger ist, als der Zukauf von teuren Emissionsrechten.
Grafik 4
Strompreise für die Industrie in Europa *)
3,29
Lettland
50 GWh/5.000 Wa
3,62
Estland
3,82
Schweden
Finnland
4,70
Norwegen
4,80
Tschechien
4,88
Polen
4,92
Litauen
5,03
Griechenland
5,07
Ungarn
5,26
Portugal
5,53
Belgien
5,58
Niederlande
5,73
Spanien
6,10
6,33
Slowakei
6,82
Österreich
7,61
Irland
Deutschland
8,40
Italien
9,18
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Cent pro Kilowattstunde
Stand: Januar 2005.
*) Einschließlich Energiesteuern, ohne Mehrwertsteuer.
Quellen: Eurostat, Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft.
15
In diesem System des Emissionshandels entfällt zunächst die ökologische Rechtfertigung
für eine zusätzliche Stromsteuer. Denn die von der gesetzlich festgelegten Höchstmenge für
Kohlendioxid ausgehenden Preiseffekte fließen bereits in den Strompreis ein und sorgen damit
auch beim Endverbraucher für entsprechende Preissignale. Wird aber der Stromverbrauch durch
eine Besteuerung zusätzlich reduziert, können die Stromversorger Emissionsrechte in entsprechendem Umfang verkaufen. Da infolgedessen andere Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre
Emissionen entsprechend zu erhöhen, verändert sich die Gesamtmenge der Emissionen nicht. Die
Stromsteuer hat also keinen zusätzlichen positiven Effekt für den Klimaschutz.
Ein weiteres Problemfeld ergibt sich durch ein Nebeneinander von Emissionshandel und dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auch mit der Subventionierung erneuerbarer Energien will man
die Voraussetzungen für einen langfristig kostengünstigen Klimaschutz schaffen. Allerdings führt
das Gesetz in Kombination mit dem Emissionshandel zu keiner zusätzlichen Einsparung von Kohlendioxid. Denn mit steigendem Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung benötigt die deutsche Energiewirtschaft weniger Emissionsrechte. Der infolgedessen sinkende Zertifikatspreis kommt nicht nur ihr zugute, sondern auch den in den Emissionshandel einbezogenen
Unternehmen aus anderen Branchen und aus dem Ausland. Sie alle können aufgrund der Förderung erneuerbarer Energien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ihren Umweltschutz zurückfahren. Letzten Endes würde damit genauso viel Kohlendioxid ausgestoßen wie im Falle des Verzichts auf das Gesetz. Es deshalb abzuschaffen, wäre allerdings voreilig. Denn neben dem Klimaschutz verfolgt das Erneuerbare-Energien-Gesetz auch noch andere Ziele. So wird angestrebt, die
Versorgungssicherheit zu erhöhen und weniger abhängig von importierten Energierohstoffen zu
sein. Außerdem will man den Verbrauch knapper Ressourcen einschränken und technologische
Fortschritte auf den Gebiet der nachhaltigen Energieerzeugung fördern.
All dies ist jedoch mit hohen Kosten verbunden (siehe Tabelle 2). So ist bislang geplant, die
Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen bis zum Jahr 2010 auf einen Anteil von
12½ % zu verdoppeln. Da dieses Ziel nach Einschätzung von Experten nur zu erreichen ist, wenn
die Einspeisevergütungen für Strom aus erneuerbaren Energien weiter angehoben werden, ist
damit zu rechnen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Stromwirtschaft im Jahr 2010 mit
schätzungsweise rund 5 Mrd. EUR belasten und damit den Strom pro Kilowattstunde um 0,8 Cent
verteuern wird. Aufgrund dieser Belastung würden die Kosten der gesamten Stromerzeugung, die in herkömmlichen Kraftwerken pro Kilowattstunde durchschnittlich 2½ Cent
betragen, um fast ein Drittel steigen. Die Kosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien liegen heute im Durchschnitt vier mal so hoch wie bei fossilen Energieträgern. Dabei noch
nicht berücksichtigt sind die Mehrkosten für den höheren Bedarf an Spitzenlastausgleich und für
den Netzausbau, da Strom aus Wind- und Solaranlagen nicht immer bedarfsgerecht verfügbar ist.
Angesichts der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz verursachten beträchtlichen Kostensteigerungen stellt sich die Frage nach der Effizienz dieses Gesetzes. Problematisch am derzeitigen
Fördersystem ist vor allem, dass es für die Anbieter von erneuerbaren Energien nicht genügend
16
Anreize bietet, Potenziale zur Kostensenkung bei der Energieerzeugung zu nutzen, um damit aus
eigener Kraft zumindest etwas wettbewerbsfähiger zu werden. Deshalb richten Anlagenbetreiber
ihre Anstrengungen oft zu wenig auf die Vermarktung ihres Produktes, was Innovationen und die
marktwirtschaftliche Integration von erneuerbaren Energien erschwert. Außerdem folgt das Erneuerbare-Energien-Gesetz weitgehend dem Prinzip der Kostenerstattung. Beispiele hierfür sind die
unterschiedlichen Vergütungssätze für einzelne Energiearten und Anlagengrößen. So wird teure
Sonnenenergie höher vergütet als die preisgünstigere Windkraft und kostspielige Kleinanlagen
werden stärker gefördert als rentablere größere Anlagen.
Grundsätzlich gilt: Die ineffizienteren Formen der Energieerzeugung werden stärker gefördert als
diejenigen, die den herkömmlichen Kraftwerken am ehesten Konkurrenz machen könnten. Ein
wirklicher Wettbewerb unter den verschiedenen Arten der erneuerbaren Energien ist daher kaum
möglich. Auch die lange Zeitdauer der Förderung und die geringe Degression der Fördersätze für
Neuanlagen stehen einer raschen Integration in den nicht subventionierten Energiemarkt im Wege.
Hinzu kommt, dass die wahren Kosten der erneuerbaren Energien nicht zum Vorschein kommen,
da ihnen die Folgekosten, die diese verursachen (Bereitstellung von Reservekraftwerken, zusätzlicher Netzaufbau), nicht zugerechnet werden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verfolgen Ziele nicht auch auf anderem Weg zu erreichen sind. Ein alternativer Ansatz zur Förderung
erneuerbarer Energien besteht darin, den Energieversorgern vorzuschreiben, einen bestimmten
Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen in das Netz einzuspeisen. Ein solches Quotenmodell,
das zum Beispiel in Großbritannien bereits praktiziert wird, hat jüngst der Verband der Elektrizitätswirtschaft auch für Deutschland vorgeschlagen. Analog zu den Emissionsrechten für Kohlendioxid könnte man ein System für den Handel mit Einspeise-Verpflichtungen für erneuerbare Energien einführen, um zu gewährleisten, dass deren angestrebter Anteil an der Stromerzeugung möglichst kostengünstig produziert wird. Ein solches Modell würde einen stärkeren Wettbewerb zwischen denjenigen erneuerbaren Energiearten entfachen, die bereits in der näheren Zukunft ihre
Wettbewerbsfähigkeit erreichen könnten. Es setzt nicht nur auf Kostensenkungen durch Größenvorteile, sondern vertraut auch den Kräften des Wettbewerbs, für eine effizientere Bereitstellung
von erneuerbaren Energien zu sorgen. Dies bedeutet allerdings auch, dass die Förderung weniger
konkurrenzfähiger Energiearten wie zum Beispiel Sonnenenergie unter solchen Rahmenbedingungen ohne zusätzliche Maßnahmen kaum möglich wäre.
Soweit zu den Ansatzpunkten aus dem Bereich Steuern und Abgaben, die der Staat nutzen könnte, um die Strompreise zur Förderung des Industriestandorts Deutschland zu senken. Gleichwohl
ist es keineswegs die vom Staat zu verantwortende Preiskomponente, die in letzter Zeit den stärksten Schub beim Strompreis ausgelöst hat. Dieser resultiert vielmehr aus den Entwicklungen am
Großhandelsmarkt für Strom.
17
6. Preisschub auf dem Großhandelsmarkt für Strom
Seit Mitte 2002 sind die Strompreise auf dem Großhandelsmarkt für Strom von einem Niveau um
die 20 EUR pro Megawattstunde unter starken Schwankungen bis auf etwa 30 EUR pro Megawattstunde Anfang 2005 gestiegen. Mit Beginn des Handels der Emissionsrechte für Kohlendioxid
sorgte vor allem der Preis für diese Zertifikate für einen weiteren Schub: Strompreise von deutlich
über 40 EUR pro Megawattstunde waren die Folge. Wie ist diese für viele überraschende Preissteigerung zu erklären? Herrschen auf dem Strommarkt noch Wettbewerbspreise oder sind die
Gesetze des Wettbewerbs außer Kraft gesetzt? Nach unserer Auffassung haben bei der Preisentwicklung auf dem Großhandelsmarkt für Strom in den letzten Jahren im Wesentlichen vier unterschiedliche Faktoren eine Rolle gespielt:
(1) Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Strompreis auf dem Großhandelsmarkt in den ersten
Jahren nach der Liberalisierung regelrecht eingebrochen war. Der Grund war ein in dieser Zeit
harter Verdrängungswettbewerb, angeheizt vor allem durch in den Markt drängende ausländische Anbieter. Die zu den stark gedrückten Preisen realisierten Erlöse deckten bei weitem
nicht mehr die Vollkosten der Stromerzeugung. Die deutschen Stromkonzerne waren deshalb
zu radikalen Anpassungsmaßnahmen gezwungen und haben vor allem die Kraftwerksüberkapazitäten deutlich zurückgeführt. Seit Beginn der Liberalisierung wurden bereits rund 10
bis 15 Gigawatt Nettoleistung vom Netz genommen. In den nächsten Jahren werden weitere
zahlreiche altersbedingte Stilllegungen von Kraftwerken folgen. Die zunehmenden Knappheiten haben die Möglichkeiten der Kraftwerksbetreiber verbessert, Strompreise auf Vollkostenniveau am Markt durchzusetzen.
(2) Neben der Angebotsverknappung durch die Stilllegung von Kraftwerken sind die Preissteigerungen am Großhandelsmarkt für Strom zum Teil auch auf die gestiegenen Brennstoffpreise
zurückzuführen. Seit der Liberalisierung haben sich die Preise der Primärenergieträger Öl, Gas
und Kohle deutlich erhöht. Dabei ist der starke Anstieg des Ölpreises nur indirekt relevant, da
Öl bei der Stromerzeugung kaum zum Einsatz kommt und sich der Einfluss der Ölpreise auf
die Strompreise im Wesentlichen auf die Abhängigkeit der Erdgas- und Steinkohlepreise vom
Ölpreis beschränkt. Zu beachten ist auch, dass der Euro-Dollar-Wechselkurs von Mitte 2000
bis heute um fast 50 % gestiegen ist, was stark preisdämpfend auf die für die Strompreise in
Deutschland maßgeblichen Brennstoffpreise in Euro wirkte.
(3) Wie bereits erwähnt sind außerdem die Preise für die Zertifikate zur Emission von Kohlendioxid zu berücksichtigen. Sie haben sich von 6 Euro Anfang 2005 auf inzwischen gut 21 Euro
mehr als verdreifacht. Die Überwälzung dieser Zertifikatspreise auf die Strompreise durch die
Stromkonzerne ist fast ausschließlich für den Anfang 2005 einsetzenden Preisschub verantwortlich. Obwohl die Emissionsrechte kostenlos zugeteilt wurden, erhöhen sie die Opportunitätskosten der in den Handel mit diesen Zertifikaten einbezogenen Unternehmen (siehe Kasten
Seite 5). So steigen die variablen Kosten der Stromerzeuger in Höhe des Produkts aus Zertifi18
katspreis und Kohlendioxid-Ausstoß je produzierter Kilowattstunde Strom. Eine Überwälzung
dieser Kosten ist auf funktionierenden Wettbewerbsmärkten dann möglich, wenn die Nachfrage
relativ unelastisch ist, was auf dem Großhandelsmarkt für Strom der Fall ist.
In der öffentlichen Diskussion über die Ursachen der gestiegenen Strompreise ist auch die Ansicht weitverbreitet, dass es den Stromkonzernen aufgrund ihrer Marktmacht gelungen sei, eine Einpreisung des Marktwertes der Emissionsrechte in den Strompreis durchzusetzen. Dies
führe zu erheblichen "windfall profits" bei den Stromerzeugern und zu entsprechenden unakzeptablen Kostenbelastungen bei den Verbrauchern. Der Verband der industriellen Energieund Kraftwirtschaft (VIK) beziffert diese nach seiner Ansicht für die deutsche Strombranche
ungerechtfertigten Gewinne auf über 5 Mrd. EUR pro Jahr. Eine der Ursachen hierfür sei, die
unzureichend formulierte Gesetzesgrundlage für den Emissionshandel. Der VIK und einzelne
Großverbraucher von Strom haben dagegen beim Bundeskartellamt Beschwerde eingelegt,
die derzeit noch überprüft wird. Die Bundesregierung beabsichtigt laut Koalitionsvertrag, die
Kostenbelastung, die der Wirtschaft durch den Emissionshandel entsteht, zu senken. Ziel sei
es, „Mitnahmeeffekte (windfall profits) zu vermeiden und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Energie verbrauchenden Wirtschaft besonders zu berücksichtigen.“
(4) Das Ausmaß der Preissteigerungen auf dem Großhandelsmarkt für Strom dürfte in der Tat
auch zu einem gewissen Teil auf der starken Marktstellung der großen Stromkonzerne beruhen. Schon zu Monopolzeiten war die deutsche Elektrizitätswirtschaft auf der Ebene der
Stromerzeugung stark konzentriert und auch über alle Wertschöpfungsstufen in hohem Maße
vertikal integriert. Nach der Marktöffnung hat sowohl der horizontale als auch der vertikale
Konzentrationsprozess noch erheblich zugenommen. Inzwischen dominieren die vier Verbundunternehmen E.ON, RWE, Vattenfall Europe und EnBW den Markt: Sie verfügen über
mehr als 80 % der inländischen Kapazitäten zur Stromerzeugung und zudem über zahlreiche
Beteiligungen an Regionalunternehmen und Stadtwerken. Dass diese Unternehmen ihre
Marktposition in den letzten Jahren sogar noch festigen konnten, kann man ihnen allerdings
kaum zum Vorwurf machen. Zurückzuführen sind derartige Konzentrationsprozesse vielmehr
auf die ordnungspolitischen Rahmensetzungen, die sie ermöglicht haben. Die Stromkonzerne
selbst haben sich unter den gegebenen Bedingungen rational verhalten.
Schon aufgrund der technischen Gegebenheiten sind die Großhandelsmärkte für Strom anfällig für strategisches Verhalten der Anbieter. Die Hauptursachen hierfür sind zum einen
die unelastische Stromnachfrage, da sich Strom nicht speichern lässt und für Verbraucher nur
begrenzt substituierbar ist. Steigende Strompreise haben deshalb kaum Auswirkungen auf die
nachgefragte Menge. Zum anderen ist in Spitzenlastzeiten, in denen Stromanbieter an ihre
Kapazitätsgrenzen stoßen, aber auch die Preiselastizität des Stromangebots gering, da zusätzliche Erzeugungskapazitäten nur langfristig bereit gestellt werden können. In einer solchen Situation ist eine strategische Beeinflussung der Preise sehr profitabel: Selbst bei einer kräftigen
19
Preiserhöhung müssen Stromanbieter weder einen Nachfragerückgang noch einen Verlust an
Marktanteilen befürchten.
Besonders anfällig für strategisches Anbieterverhalten sind Großhandelsmärkte mit nur einer
geringen Zahl von Anbietern und einem kleinen Handelsvolumen. Die zunehmenden horizontalen und vertikalen Verflechtungen in der deutschen Stromwirtschaft tragen hierzu in erheblichem Maße bei. Durch ihre vertikalen Beteiligungen an Stromweiterverteilern und Stadtwerken haben Verbundunternehmen großen Einfluss auf deren Beschaffungspolitik. Sie sichern sich dadurch ihren Stromabsatz an die Beteiligungsunternehmen. Die auf dieses Weise
abgesicherten, aber auch die durch langfristige Lieferverträge gebundenen Mengen an Strom
sind dem Großhandelsmarkt entzogen und tragen zu dessen Ausdünnung bei.
7. Ausblick: Mittelfristig tendenziell sinkende Strompreise wahrscheinlich
Natürlich sind auch für die zukünftige Entwicklung der Strompreise die in den letzten drei Abschnitten betrachteten zentralen Einflussgrößen – Netzkosten, Staatsanteil und Großhandelspreise – von
entscheidender Bedeutung. Im Hinblick auf die Großhandelspreise ist davon auszugehen, dass
Preissteigerungen als Folge einer Angebotsverknappung kaum noch zum Tragen kommen werden,
da die Preise inzwischen ein Niveau erreicht haben, dass potenziellen Wettbewerb durch den
Neubau von Kraftwerken ermöglicht. Sofern sich außerdem in naher Zukunft die Brennstoffpreise
und der Zertifikatspreis für die Emission von Kohlendioxid, die zur Zeit beide auf einem ungewöhnlich hohen Niveau liegen, zurückbilden, ist auf mittlere Sicht tendenziell mit einem Rückgang
der Strompreise auf dem Großhandelsmarkt zu rechnen.
Die Tendenz zu sinkenden Großhandelspreisen würde noch verstärkt, wenn man die Laufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke verlängert. Denn dann könnten die KohlendioxidEmissionen stärker sinken als im Falle der Substitution von Strom aus Kernenergie durch Strom
aus fossil befeuerten Kraftwerken. Die infolgedessen sinkenden Zertifikatspreise würden zu einem
entsprechend geringeren Aufschlag auf den Strompreis führen.
Darüber hinaus bestehen auf mittlere und längere Sicht weitere Möglichkeiten zur Senkung der
Strompreise. Zum einen wurden mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz die Voraussetzungen für
mittelfristige Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen im Bereich der Netznutzung geschaffen.
Die konsequente Deregulierung des Stromnetzes wirkt sich nicht nur unmittelbar dämpfend
auf die Strompreise infolge geringerer Nutzungsentgelte aus, sondern auch mittelbar über
mehr Wettbewerb durch neue Stromanbieter.
Mit einer Intensivierung des Wettbewerbs im Bereich der Stromerzeugung wären mittelfristig erhebliche Effizienzverbesserungen zu erwarten. Mehr Wettbewerb dient nicht zuletzt auch der
Durchsetzung des technischen Fortschritts in der Stromerzeugung. Angesichts der Herausforderungen im Bereich des Klimaschutzes und der Tatsache, dass fossil befeuerten Kraftwerken vor20
erst noch ein hoher Stellenwert bei der Stromerzeugung zukommt, ist die technologische Weiterentwicklung der konventionellen Kraftwerkstechnik eine wichtige Zukunftsaufgabe.
Zum anderen ließe sich durch eine effizientere Ausgestaltung des Klimaschutzes und der Förderung erneuerbarer Energien die staatliche Komponente des Strompreises erheblich verringern.
Das bestehende System zur Förderung erneuerbarer Energien ist deshalb – etwa im Sinne des
vom Verband der Elektrizitätswirtschaft vorgeschlagenen Quotenmodells – grundlegend neu auszurichten. Bleibt es dagegen bei den heutigen Förderplänen für erneuerbare Energien, werden sich
Schätzungen zufolge die reinen Kosten der Stromerzeugung in Deutschland bis zum Jahr 2010 um
fast ein Drittel verteuern. Dabei führen die einzelnen umweltpolitisch motivierten Instrumente, die
den Strommarkt direkt betreffen, kumuliert zu hohen Belastungen, ohne dass die Wirksamkeit dieser Instrumente in Kombination mit dem Handel von Emissionsrechten sichergestellt ist.
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Verwendete Literatur (Auswahl)
Ameling, Dieter: Hohe Energiepreise gefährden die industrielle Wertschöpfungskette, ifo Schnelldienst 19/2005, Seite 15-17
Bardt, Hubertus: Regulierungen im Strommarkt – Umweltschutz und Wettbewerb, IW-Positonen
Nr. 17, Köln 2005
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Was Strom aus erneuerbaren Energien wirklich kostet, Berlin, Juni 2005
Dohmen, Frank und Sauga, Michael: Aufstand der Kunden, Der Spiegel, 35/2005
Kurth, Matthias: Wie sollte der Energiemarkt reguliert werden? Wirtschaftsdienst 11/2004, Seite
686-689
Marnette, Werner: Energiepreise gefährden den Industriestandort Deutschland, Wirtschaftsdienst
11/2004, Seite 679-683
Meller, Eberhard: Energie: Ein ganz besonderer Markt, Wirtschaftsdienst 11/2004, Seite 683-686
Derselbe: Strompreise: Markt bestimmt Entwicklungen, ifo Schnelldienst 19/2005, Seite 3-7
Monopolkommission: Wettbewerbspolitik im Schatten „Nationaler Champions“, XV. Hauptgutachten, Kapitel VI: Entwicklung und Perspektiven des Wettbewerbs in der Energieversorgung, BadenBaden 2004
Ockenfels, Axel; Gatzen, Christoph und Peek, Markus: Sind die Gesetze des Wettbewerbs auf
dem Strommarkt außer Kraft gesetzt? Analyse der Strompreisentwicklung auf dem Großhandelsmarkt in Deutschland, Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 11/2005, Seite 4 – 11
Richmann, Alfred: Energiepreise auf Spitzenniveau – Standortnachteile für die deutsche Industrie,
ifo Schnelldienst 19/2005, Seite 8-11
Schmitt, Dieter: Energiepreisentwicklung kritisch hinterfragt, Wirtschaftsdienst 11/2004, Seite 694701
Verband der Elektrizitätswirtschaft: Diskussionsverschlag zur künftigen Förderung Erneuerbarer
Energien: Ausbauziele effizient erreichen, Berlin, Juni 2005
Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft: VIK-Berechnungen zu den Windfall
Profits der Strombranche, Essen 2005
von Weizsäcker, Carl Christian: Was erklärt die steigenden Strompreise? Frankfurter Allgemeine
Zeitung, September 2005
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Gutachten zur Förderung erneuerbarer Energien, Berlin, Januar 2004
22