FIRE und ATHON
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FIRE und ATHON
EU-Projekte FIRE und ATHON Studien zur Wirkung von halogenierten Kohlenwasserstoffen Hellmuth Lilienthal Halogenierte Kohlenwasserstoffe werden auf grund ihrer chemischen Eigenschaften in vielen Industriebereichen eingesetzt. Dort können sie eine Belastung für die Mitarbeiter darstellen. Spe ziell in der elektronischen Industrie und Gummi fabrikation können Beschäftigte bromierten Flammschutzmitteln ausgesetzt sein, während bei Arbeitern in der Abfall- und Recyclingwirtschaft auch Belastungen mit chlorierten Kohlenwasser stoffen auftreten können. Die EU-Kommission hat mehrfach internationale Projekte gefördert, die die Verbreitung dieser Substanzen sowie to xische Wirkungen der Exposition des Menschen und der Umwelt untersuchen. Das BGFA ist ak tuell an zwei dieser Projekte mit experimentel len Studien zur Neurotoxikologie beteiligt: Das kurz vor dem Abschluss stehende FIRE, in dem bromierte Flammschutzmittel untersucht wur den, sowie das gerade begonnene ATHON, das sich mit toxischen Wirkungen nicht dioxin artiger polychlorierter Biphenyle beschäftigt. Von den weltweit 470000 Tonnen jährlich produzierten Broms entfällt der überwiegende Teil auf die Herstellung von Flammschutzmitteln. Unter den verschiedenen Flammschutzmitteltypen haben bromierte Verbindungen weltweit den höchsten Marktanteil, in Europa steht ihre Verwendung an vierter Stelle. Bei toxikologischen Untersuchungen standen zunächst die polybromierten Diphenylether (PBDE) im Mittelpunkt, nachdem Ende der 1990er Jahre Berichte aus Skandinavien über rapide ansteigende PBDE-Konzentrationen in Humanmilch publiziert worden waren. Anschließende Studien, darunter auch ein von der EU finanziertes Projekt über neurotoxische Wirkungen, haben zahlreiche Daten zur Exposition beim Menschen und zur Wirkung von PBDE im Tierversuch ergeben. 20 In diesem bereits 2003 abgeschlossenen EUProjekt führte das BGFA eine Teilstudie durch. Neben geschlechtsspezifischen neurotoxischen Wirkungen fanden die Neurotoxikologen einen reduzierten Steroidhormonspiegel und Störungen der sexuellen Entwicklung PBDE-belasteter Versuchstiere. Andere Arbeitsgruppen fanden Einflüsse auf Steroidrezeptoren im Gehirn und in den Reproduktionsorganen sowie ausgeprägte Wirkungen auf Schilddrüsenhormone. Im Gegensatz zu den PBDE weist der Kenntnisstand über andere Flammschutzmittel wie Tetrabrombisphenol A (TBBPA) und Hexabromzyklododekan (HBCD) deutliche Lücken auf. Verwendung von Flammschutzmitteln TBBPA ist das mengenmäßig häufigste Flammschutzmittel. Es wird reaktiv gebunden in Kunststoffen eingesetzt, die zur Herstellung von Fernsehgeräten und Stereoanlagen, Computern, Druckern, Kopierern, Mobiltelefonen und anderen elektronischen Geräten verwendet werden. HBCD wird rein additiv in zur Thermoisolierung gebrauchten Polystyrolschäumen und bei der Textilfaserbehandlung beispielsweise von Polsterstoffen eingesetzt. Aufgrund der bestehenden Wissenslücken wurde von der EU das Projekt Flame redardants Integrated Risk assessment FIRE (F für Endocine effects) mit 19 Partnern aus 7 Ländern gefördert, in dem die Untersuchung neurotoxischer und endokriner Effekte von TBBPA und HBCD im Mittelpunkt stand. Das Projektziel war, eine Risikoabschätzung beider Flammschutzmittel sowohl für den Menschen als auch für die Umwelt zu liefern. Wirkungen auf das Hörsystem An FIRE ist die Arbeitsgruppe Neurotoxikologie des BGFA mit experimentellen Untersuchungen be- FORSCHUNG teiligt, die in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Institut für Gesundheit und Umwelt (RIVM) in Bilthoven, Niederlande durchgeführt worden sind. Im Vordergrund stand die Verarbeitung akustischer Reize im Hörsystem von TBBPA-exponierten Ratten, die neurophysiologisch anhand auditorischer Potenziale untersucht wurde. Die wichtigsten Ergebnisse waren eine Erhöhung der Reizschwelle im niederfrequenten Hörbereich bei weiblichen Tieren sowie bei beiden Geschlechtern eine verzögerte Reizantwort, die insbesondere bei den späten Wellen des auditorischen Potenzials auftrat. Da die Entwicklung des Hörsystems von einer ausreichenden Versorgung mit Schilddrüsenhormonen abhängt, deren Spiegel ebenfalls durch TBBPA verändert waren, sind die beobachteten Schädigungen des auditorischen Systems wahrscheinlich eine indirekte Folge dieser Veränderungen im endokrinen System. Daher bilden beide Wirkungen zusammen die Grundlage für die toxikologische Bewertung von TBBPA im Projektteil „risk assessment“. Die Untersuchung der Wirkung von HBCD auf das Hörsystem ergab bei männlichen Ratten ebenfalls erhöhte Schwellen und verzögerte Reizantworten nach auditorischer Stimulation. Im Gegensatz zu TBBPA waren diese bei späteren Wellen des Potenzials jedoch nicht stärker ausgeprägt. Dies deutet auf Veränderungen vor allem im Innenohr bei HBCD-Exposition hin, während bei TBBPA neben Innenohrveränderungen zusätzlich neuronale Wirkungen auftreten. Wirkungen beim Menschen? Insgesamt konnte durch die tierexperimentellen Untersuchungen am BGFA ein Zusammenhang zwischen der Belastung mit TBBPA und HBCD sowie spezifischen neurophysiologischen und endokrinen Veränderungen erhärtet werden. Auch wenn Untersuchungen der inneren Belastung des Menschen mit HBCD und insbesondere mit TBBPA noch spärlich sind, wurden die beobachteten Wirkungen auf das Hörsystem bei Konzentrationen gefunden, die etwa drei Größenordnungen über den entsprechenden Werten beim über die Umwelt exponierten Menschen liegen. Allerdings ist anzunehmen, dass Expositionen an bestimmten Arbeitsplätzen mit Umgang von TBBPA /HBCD höher sind. Hierzu liegen jedoch unzureichende Daten vor. Mehr Informationen zu dem Gesamtprojekt FIRE sind im Internet zu finden: www.rivm.nl/fire EU-Projekt ATHON Assessing the Das aktuelle EU-Projekt ATHON (A Toxicity and Hazard Of Non-dioxinlike PCBs present in food), in dem ebenfalls die Neurotoxikologie des BGFA involviert ist, hat im Sommer diesen Jahres begonnen. Dabei wird die Toxizität von nichtdioxinartigen polychlorierten Biphenylen (NDL-PCB) in einer Vielzahl von Wirkungsbereichen in vitro und in vivo untersucht. PCB sind Industriechemikalien, die zunächst für den Einsatz als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen und Kunststoffen verboten wurden, dann auch für die Verwendung in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren und in Hydraulikanlagen im Bergbau. Seit 2001 gilt das Verbot weltweit. Gesundheitliche Gefahren drohen heute vor allem Arbeitern, die in der Abfallwirtschaft tätig sind, wo sie Kontakt mit Elektroschrott, Baustoffen und Altölen haben. Da PCB eine lange biologische Halbwertszeit besitzen und in der Umwelt praktisch überall vorhanden sind, stellen sie darüber hinaus ein umweltmedizinisches Problem dar. Während dioxinartige PCB gut untersucht sind, fehlen für NDL-PCB Erkenntnisse über die Wirkungen auf den Menschen und im Tierversuch. Im Rahmen von ATHON untersucht das BGFA experimentell die Neurotoxizität bestimmter NDL-PCB, die an spezifische Rezeptoren binden. Dabei gibt es eine enge Kooperation mit dem Nationalen Institut für Gesundheit von Finnland in Kuopio (KTL). Koordinatorin des Projekts mit 14 Partnern aus 11 Ländern ist Prof. Helen Hakansson vom Karolinska Institut in Stockholm. Mehr Informationen unter: www.athon-net.eu Der Autor: Dr. Hellmuth Lilienthal BGFA 21