Adipositas permagna - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft
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Adipositas permagna - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft
Psychosomatische Fachklinik Münchwies Münchwieser Hefte Heft Nr. 6 Adipositas permagna Ein Unternehmen der Reihe Konzepte Herausgeberin: Psychosomatische Fachklinik Münchwies Chefärztin Dr. med. Monika Vogelgesang Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Rehabilitationswesen Turmstraße 50-58 66540 Neunkirchen/Saar Tel. (0 68 58) 6 91- 2 15 Fax (0 68 58) 6 91- 4 20 2. Auflage Januar 2005 ISSN 0946-7351 Münchwieser Hefte Heft Nr. 6 Ernst S. Ott Adipositas permagna Behandlungskonzept f ü r Pa t i e n t e n m i t A d i p o s i t a s p e r m a g n a Reihe Konzepte Ansprechpartner Dr. Ernst S. Ott, Ltd. Psychologe Telefon: (06858) 691- 216 oder Sekretariat der Chefärztin Dr. med. M. Vogelgesang Tel. 06858 691-215 Inhalt 1. Einleitung Psychische Aspekte des Übergewichts Medizinische Aspekte des Übergewichts Volkswirtschaftliche Aspekte des Übergewichts 5 5 5 6 2. Definition der Adipositas Klassifizierung des Übergewichts 6 6 3. Ursachen des Übergewichtes Theorien zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Übergewichts Die Schwierigkeit der langfristigen Gewichtsreduktion 9 9 10 4. Behandlungsmöglichkeiten und Behandlungsangebote der Adipositas Medikamente gegen das Übergewicht Chirurgische Behandlungsmöglichkeiten Diätetische Maßnahmen, Bewegungstherapie und Psychotherapie 10 10 10 10 5. Stationäres Behandlungsprogramm für Adipositas permagna in der Psychosomatischen Fachklinik Münchwies 12 5.1 Grundüberlegungen Parallelen zur Sucht Behandlungsansatz des Übergewichts in Anlehnung an die Prinzipien der Suchtbehandlung Anpassung der Essmenge an den Energiebedarf des Körpers Folgen des Verzichts auf Überessen 12 12 13 14 14 5.2 Gruppenstruktur 14 5.3 Indikation 15 5.4 Kontraindikation 15 5.6 Therapieziele 15 5.7 Methoden und Techniken 5.7.1 Einführungsgespräch 5.7.2 Adipositasgruppe 16 16 16 Ablauf der einzelnen Sitzungen Bestandteile des Therapieprogramms 5.7.3 Regelungen für die Adipositasgruppe 5.7.3.1 Die Absichtserklärung 5.7.3.2 Essprotokolle 5.7.3.3 Wiegen 5.7.3.4 Essenausgabe und Zwischenmahlzeiten 5.7.3.5 Fotos 5.7.4 Abschluss der Behandlung 5.7.5 Zusätzliche Therapiebausteine 5.7.5.1 Adipositasgymnastik im Wasser 5.7.5.2 Ernährungsberatung 5.7.5.3 Sport- und Bewegungstherapie 5.7.5.4 Zusätzliche Therapieangebote nach Indikation 5.8 Zuweisungskriterien für die Psychosomatische Abteilung oder für die Abhängigkeitsabteilung Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 4 17 17 20 20 20 22 23 23 24 24 24 25 25 26 26 6. Der Behandlungsrahmen 26 Literatur 28 Anhang: Absichtserklärung, Protokoll 31 1. Einleitung Übergewicht wird von den Betroffenen meist deshalb als Problem gesehen, weil sie glauben, dadurch schlechter auszusehen und deshalb Zielscheibe für Spott und Abwertungen durch die Mitmenschen zu sein. Die Benachteiligungen wegen ihres Übergewichtes können schwerwiegend sein, Beförderungen werden zum Beispiel im Hinblick auf das bestehende Übergewicht verweigert, oder sie bekommen erst gar keine Anstellung Psychische Aspekte des Übergewichts Deshalb unternehmen Übergewichtige oft erhebliche Anstrengungen, ihr Gewicht zu senken, probieren alle möglichen Diäten aus und investieren viel Geld in Diäten, Schlankheitsmittel und Spezialkuren. Aber die Erfolge sind meistens von kurzer Dauer oder bleiben sogar ganz aus.. Das Erlebnis, immer wieder zu scheitern und nach zwischenzeitlich erfolgreicher Abmagerung dann doch wieder das alte Gewicht zu erreichen, macht Schuldgefühle. Langsam entwickelt sich die Einstellung, minderwertig zu sein: „So wie ich bin, bin ich schlecht, ich müsste erst mal abnehmen, dann wäre ich akzeptabel“. Das Selbstwertgefühl sinkt und damit auch Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Häufig ist sozialer Rückzug die Folge und ein Teufelskreis beginnt, der das Leiden der Übergewichtigen immer mehr verstärkt. Medizinische Aspekte des Übergewichts Die körperlichen Probleme durch das Übergewicht werden von den Betroffenen erstaunlicherweise oft übersehen oder geleugnet. Besonders junge Übergewichtige, die noch nicht zu sehr unter den Folgeerkrankungen des Übergewichtes leiden, neigen dazu, ihr Übergewicht als Nebensächlichkeit oder Äußerlichkeit herunterzuspielen. Übergewichtigen ist häufig nicht klar, wie tiefgreifend ihr Übergewicht ein gesundheitliches Problem ist. Dabei sind aus medizinischer Sicht die gesundheitlichen Schäden so gravierend, dass die Behandlung von Übergewicht unbedingt notwendig ist, weil die körperlichen Folge- und Begleiterscheinungen bei länger bestehendem Übergewicht unausweichlich sind. Zu den Folge- und Begleiterscheinungen gehören: Atemnot, Ermüdbarkeit, Gelenkbeschwerden, hoher Blutdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall, Gallensteinerkrankungen, Venenleiden, Herzinsuffizienz, Gicht und sogar Krebs. Alle diese Begleit- und Folgeerkrankungen können nachweislich durch Gewichtsreduktion gebessert oder teilweise sogar beseitigt werden. Deshalb ist die Behandlung des Übergewichts auch aus medizinischer Sicht unbedingt notwendig. 5 Volkswirtschaftliche Aspekte des Übergewichts Auch die volkswirtschaftliche Seite des Problems wird häufig nicht gesehen, aber es ist so, dass schätzungsweise 30 Milliarden DM jährlich für die Behandlung der Adipositas und ihrer Folgeerkrankungen aufgebracht werden müssen. Schätzungen besagen, dass in der Bundesrepublik Deutschland ca. 40 % der Bevölkerung übergewichtig sind, 16 % adipös und 1 % extrem adipös (zu den Abgrenzungen siehe unten). 2. Definition der Adipositas Adipositas wird definiert als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes. Da die direkte Messung des Körperfettes nur mit großem Aufwand möglich ist, hat sich eine Schätzung des Körperfettes nach den Körpermasseindex (englisch Body-Mass-Index oder BMI) durchgesetzt. Diese Größe ist eine Kennziffer, die mit der Menge an Körperfett hoch korreliert. Berechnet wird der Körpermasseindex nach der Formel: BMI = Körpergewicht in kg geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat (kg/m2). Klassifizierung des Übergewichts Nach dieser Formel ergibt sich ein Kennwert, der die Klassifizierung des Übergewichtes nach Graden ermöglicht. Obwohl die Festlegung der Grenzen zwischen Normalgewicht und Adipositas in verschiedenen wissenschaftlichen Studien immer wieder geringfügig unterschiedlich festgelegt werden, hat sich doch die Definition der Weltgesundheitsorganisation durchgesetzt, die folgende Einteilung vornimmt: Tabelle 1 Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 6 Übergewicht und Adipositas klassifiziert anhand des BMI (WHO 1998) BMI kg/m2 Normalgewicht Übergewicht Adipositas Grad I Adipositas Grad II Extreme Adipositas Grad III 18,5 – 24,9 25,0 – 29,9 30,0 – 34,9 35,0 – 39,9 ≥ 40 In der folgenden Tabelle kann für die entsprechenden Körpergrößen die Klassifizierung abgelesen werden. Tabelle 2 Klassifizierung des Gewichts unter Verwendung der Berechnungsformel BMI (Body Mass Index) Untergewicht Größe in cm Normalgewicht Übergewicht Adipositas (BMI unter 20) (BMI 20 bis 25) (BMI 25 bis 30) (BMI über 30) 49 kg bis 59 kg über 59 kg Adipositas permagna (BMI über 40) 140 unter 39 kg 39 kg bis 49 kg über 78 kg 142 unter 40 kg 40 kg bis 50 kg 50 kg bis 61 kg über 61 kg über 81 kg 144 unter 42 kg 42 kg bis 52 kg 52 kg bis 62 kg über 62 kg über 83 kg 146 unter 43 kg 43 kg bis 53 kg 53 kg bis 64 kg über 64 kg über 85 kg 148 unter 44 kg 44 kg bis 55 kg 55 kg bis 66 kg über 66 kg über 88 kg 150 unter 45 kg 45 kg bis 56 kg 56 kg bis 68 kg über 68 kg über 90 kg 152 unter 46 kg 46 kg bis 58 kg 58 kg bis 69 kg über 69 kg über 92 kg 154 unter 47 kg 47 kg bis 59 kg 59 kg bis 71 kg über 71 kg über 95 kg 156 unter 49 kg 49 kg bis 61 kg 61 kg bis 73 kg über 73 kg über 97 kg 158 unter 50 kg 50 kg bis 62 kg 62 kg bis 75 kg über 75 kg über 100 kg 160 unter 51 kg 51 kg bis 64 kg 64 kg bis 77 kg über 77 kg über 102 kg 162 unter 53 kg 53 kg bis 66 kg 66 kg bis 79 kg über 79 kg über 105 kg 164 unter 54 kg 54 kg bis 67 kg 67 kg bis 81 kg über 81 kg über 108 kg 166 unter 55 kg 55 kg bis 69 kg 69 kg bis 83 kg über 83 kg über 110 kg 168 unter 56 kg 56 kg bis 71 kg 71 kg bis 85 kg über 85 kg über 113 kg 170 unter 58 kg 58 kg bis 72 kg 72 kg bis 87 kg über 87 kg über 116 kg 172 unter 59 kg 59 kg bis 74 kg 74 kg bis 89 kg über 89 kg über 118 kg 174 unter 61 kg 61 kg bis 76 kg 76 kg bis 91 kg über 91 kg über 121 kg 176 unter 62 kg 62 kg bis 77 kg 77 kg bis 93 kg über 93 kg über 124 kg 178 unter 63 kg 63 kg bis 79 kg 79 kg bis 95 kg über 95 kg über 127 kg 180 unter 65 kg 65 kg bis 81 kg 81 kg bis 97 kg über 97 kg über 130 kg 182 unter 66 kg 66 kg bis 83 kg 83 kg bis 99 kg über 99 kg über 132 kg 184 unter 68 kg 68 kg bis 85 kg 85 kg bis 102 kg über 102 kg über 135 kg 186 unter 69 kg 69 kg bis 87 kg 87 kg bis 104 kg über 104 kg über 138 kg 188 unter 71 kg 71 kg bis 88 kg 88 kg bis 106 kg über 106 kg über 141 kg 190 unter 72 kg 72 kg bis 90 kg 90 kg bis 108 kg über 108 kg über 144 kg 192 unter 74 kg 74 kg bis 92 kg 92 kg bis 111 kg über 111 kg über 147 kg 194 unter 75 kg 75 kg bis 94 kg 94 kg bis 113 kg über 113 kg über 151 kg 196 unter 77 kg 77 kg bis 96 kg 96 kg bis 115 kg über 115 kg über 154 kg 198 unter 78 kg 78 kg bis 98 kg 98 kg bis 118 kg über 118 kg über 157 kg 200 unter 80 kg 80 kg bis 100 kg 100 kg - 120 kg über 120 kg über 160 kg 7 Normalgewicht bedeutet: das Gewicht liegt im wünschenswerten Bereich, also in dem für die Gesundheit besten Bereich. Übergewicht bedeutet: das Gewicht ist zu hoch, ist aber für sich selbst genommen noch nicht unbedingt behandlungsbedürftig, wenn keine weiteren Risikofaktoren vorliegen. Bei Vorhandensein eines oder mehrerer Risikofaktoren wird aber auch bei diesem Übergewicht eine Behandlung notwendig, zum Beispiel bei hohem Blutdruck, Diabetes, Beschwerden des Bewegungsapparates, Gelenkbeschwerden, Fettstoffwechselstörung, hohem Harnsäurespiegel. Adipositas (Adipositas I und II) bedeutet: das Übergewicht hat bereits einen Grad erreicht, der eine Behandlung unbedingt erforderlich macht, auch wenn keine weiteren Risikofaktoren vorhanden sind. Adipositas permagna (Adipositas III) bedeutet: Wenn dieses extreme Übergewicht erreicht ist, ist eine Behandlung unbedingt notwendig, da in jedem Fall mit erheblichen Folgeerkrankungen und einer deutlichen Verkürzung der Lebenserwartung zu rechnen ist. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 8 3. Ursachen des Übergewichtes Die Ursachen des Übergewichtes liegen hauptsächlich in gesundheitsschädigenden Lebensgewohnheiten und da insbesondere in der Überernährung und Fehlernährung. Aber auch Bewegungsmangel und psychische Faktoren spielen eine große Rolle. Für die Entstehung des Übergewichtes sind auch genetische Faktoren mitverantwortlich, es gibt also eine Veranlagung zu Übergewicht. Übergewichtige berufen sich gerne auf diese Veranlagung, um ihr Übergewicht einerseits damit zu entschuldigen, andererseits aber auch, um darauf hinzuweisen, dass man gegen das Übergewicht nichts machen kann. Damit sind auch zukünftige Misserfolge beim Versuch, abzunehmen, bereits entschuldigt. Ärzte und Therapeuten betonen eher die ungesunden Lebensgewohnheiten für die Entstehung des Übergewichts, weil nur hier Veränderungsmöglichkeiten und Behandlungsmöglichkeiten liegen. Theorien zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Übergewichts Unter den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen für die Entstehung und Aufrechterhaltung des Übergewichts sind zwei Hypothesen besonders hervorzuheben: die Sollwerthypothese (Set-Point-Theorie) und die Fließgleichgewichtshypothese. Die Erfahrung, dass nach Gewichtsabnahme oft das alte Gewicht wieder erreicht wird oder sich sogar erhöht, hat zu der Sollwerttheorie geführt, die besagt, dass der Körper ein bestimmtes individuelles Sollgewicht möglichst zu halten versucht. Nur mit größter Anstrengung lässt sich erreichen, dass das tatsächliche Gewicht von diesem Sollwert abweicht (Gewichtsabnahme). Bei Nachlassen der Anstrengung geht das Gewicht dann aber automatisch wieder auf diesen Sollwert zurück. Überraschenderweise gibt es auch Untersuchungen, die belegen, dass die Abweichung des Gewichts nach oben, also eine Gewichtszunahme, wieder ausgeglichen wird, wenn die Fehlernährung aufhört. Diese Untersuchungen wurden aber nur in verhältnismäßig kurzen Zeitabschnitten gemacht und lassen daher keine Rückschlüsse zu über lange Zeiträume. Obwohl die Sollwertheorie nicht wissenschaftlich widerlegt ist, setzt sich aber in letzter Zeit mehr und mehr die Fließgleichgewichtstheorie durch. Auch diese Theorie geht davon aus, dass der Körper bestrebt ist, sein Gewicht zu halten. Dies geschieht durch verschiedene Rückmeldeschleifen im Stoffwechsel, die fein abgestimmt sind durch genetische Veranlagung. Diese Rückmeldeschleifen bestehen innerhalb des Körpers, stehen aber auch in Wechselwirkung mit Einflüssen von außen, z. B. wirtschaftlichen, 9 kulturellen oder Umwelteinflüssen. Zum Beispiel ist es nach dieser Theorie auch möglich, dass bei Veränderungen der wirtschaftlichen Situation das Körpergewicht erheblich gesteigert wird und sich auf einem neuen höheren Niveau einpendelt. Der Unterschied zu der Sollwerttheorie liegt darin, dass nicht ein genetisch vorbestimmtes Gewicht gehalten wird, sondern dass der Gleichgewichtspunkt durchaus in bestimmten Grenzen verschiebbar ist. Die Schwierigkeit der langfristigen Gewichtsreduktion Beide Theorien beziehen ein, wie schwer es ist, eine bewusste Veränderung des Gewichts herbeizuführen. Dies ist deshalb so, weil alle beteiligten Stoffwechselabläufe und Rückmeldeschleifen unbewusst gesteuert werden und unbewusste Prozesse nur schwer mit dem Willen beeinflusst werden können. Die Fließgleichgewichtshypothese lässt aber hoffen, dass zumindest durch eine tiefgreifende Veränderung der Lebensgewohnheiten und der Grundeinstellung das Einpendeln auf ein neues (niedrigeres) Gewicht möglich ist. Die Theorie zeigt aber auch, dass die Veränderung des Gewichts einer hinreichend großen Umstellung der bisherigen Lebensgewohnheiten bedarf. Dies impliziert, dass dies in der Regel nur mit therapeutischer Hilfe möglich ist. 4. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 10 Behandlungsmöglichkeiten und Behandlungsangebote der Adipositas Medikamente gegen das Übergewicht Große Hoffnung wird von Seiten der Übergewichtigen auf die Entwicklung von Medikamenten gesetzt. Die Forschung bemüht sich darum, ein Medikament für die Behandlung von Adipositas zu entwickeln. Aber alle bisherigen medikamentösen Versuche bringen nicht den gewünschten Erfolg und die Nebenwirkungen sind so gravierend, dass der Schaden durch das Medikament manchmal größer ist als der erzielte Nutzen. Weder Appetitzügler noch Abführmittel sind letztlich erfolgreich. Auch Medikamente, die die Fettaufnahme im Darm einschränken sind wegen der Nebenwirkungen (z. B. Fettstühle, Durchfälle) nicht empfehlenswert, zumal die Einnahme der Medikamente nur bei gleichzeitiger Reduktion der Nahrungsaufnahme empfohlen wird. Es gibt bisher noch kein Medikament, mit dem dauerhafter Erfolg zu erzielen wäre. Es greifen zu viele Faktoren in der Gewichtsregulation ineinander und deshalb ist auch in absehbarer Zukunft nicht mit durchgreifenden Erfolgen einer alleinigen medikamentösen Therapie zu rechnen. Chirurgische Behandlungsmöglichkeiten Chirurgische Maßnahmen, vom Einsetzen eines Magenballons bis zur Magenverkleinerung oder Darmverkleinerung stellen große Eingriffe in das Gleichgewicht des Organismus dar und sind immer mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Die Erfolge sind andererseits oft sehr viel geringer, als die Hoffnungen, die in diese Maßnahmen gesetzt werden. Obwohl aus einigen Ländern über Erfolge mit diesen Methoden berichtet wird, sind diese Methoden keine echte Alternative, sie werden nur als letzter Ausweg bei extremer Adipositas angesehen, wenn alle andern Therapiemaßnahmen erfolglos geblieben sind. Das manchmal praktizierte Fettabsaugen wird ausdrücklich nur als Sekundär-Therapieverfahren bezeichnet und sollte nur nach erfolgreicher Gewichtsabnahme zur Therapie von Hautveränderungen durchgeführt werden. Insgesamt ist die Behandlung der Adipositas sehr schwierig und frustrierend, weil die langfristigen Erfolge oft ausbleiben. Es gibt keine schnellen und einfachen Abspeckmethoden. Die Erfolge der meisten Methoden sind sehr gering, nachhaltige Erfolge sind nur zu erwarten, wenn es dem Übergewichtigen gelingt, seine Einstellung grundsätzlich zu ändern und auch in seinen Lebensgewohnheiten und Lebensumständen notwendige Veränderungen herbeizuführen. Diätetische Maßnahmen, Bewegungstherapie und Psychotherapie Auf diätetische Maßnahmen, Bewegungstherapie und Psychotherapie zur Behandlung des Übergewichts wird in diesem Zusammenhang nicht eingegangen, weil unser Behandlungsprogramm diese drei Maßnahmenbereiche integriert. Deshalb werden sie unten noch näher erläutert. Erfolgseinschätzung der Behandlungsangebote Übergewicht kann nur entstehen, wenn man dauerhaft mehr Nahrung zu sich nimmt, als der Körper zur Deckung seines Energiebedarfs verbraucht. Ein Verringern des Gewichts kann nur erreicht werden, wenn man die Nahrungsmenge reduziert und den Energiebedarf des Körpers durch Bewegung erhöht. Erfahrungsgemäß ist die Behandlung der Adipositas sehr schwierig und frustrierend, weil die langfristigen Erfolge oft ausbleiben. Es gibt keine schnellen und einfachen Abspeckmethoden. Die Erfolge der meisten Methoden sind sehr gering, nachhaltige Erfolge sind nur zu erwarten, wenn es dem Übergewichtigen gelingt, seine Einstellung grundsätzlich zu ändern und auch in seinen Lebensgewohnheiten und Lebensumständen notwendige Veränderungen herbeizuführen. 11 Stationäres Behandlungsprogramm für Adipositas permagna in der Psychosomatischen Fachklinik Münchwies 5.1. Grundüberlegungen 12 Viele Übergewichtige können sich nicht erklären, wie es zu dem Übergewicht kommt. Häufig meinen sie, dass sie nicht viel mehr essen als andere Menschen. Sie klammern sich an Theorien von hormonellen Störungen, erblicher Belastung, Veranlagung. Dass das Übergewicht auf eine Fehlernährung und Überernährung zurückzuführen ist, streiten viele ab. Dieses zuzugestehen fällt ihnen schwer, weil sie glauben, dieses Eingeständnis ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, dass sie sich nicht beherrschen können oder willensschwach sind und das ist für sie beschämend. Manche Menschen essen sehr viel und werden trotzdem nicht dick. Und es ist auch richtig, dass der Drang nach zu vielem Essen zum großen Teil genetisch bedingt ist. Aber trotzdem ist es auch eine Tatsache, dass Übergewicht nur entstehen kann, wenn man dauerhaft mehr Nahrung zu sich nimmt, als der Körper zur Deckung seines Energiebedarfs verbraucht. Das bedeutet, dass ein Verringern des Gewichts nur erreicht werden kann, wenn man die Nahrungsmenge reduziert und den Energiebedarf des Körpers durch Bewegung erhöht. Andere Möglichkeiten, wie Medikamente zur Appetitzügelung, Fett-Absaugen oder Eingriffe in das körperliche Gleichgewicht zur Erhöhung des Energieverbrauchs sind gesundheitsschädlich und deshalb abzulehnen. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 5. Parallelen zur Sucht Die Erfahrung zeigt, dass es sehr schwer ist, auf Dauer Gewicht zu reduzieren und dieses Gewicht dann auch zu halten. Wenn man ein Verhalten, das einem langfristig erheblich schadet, trotz vieler Anstrengungen nicht abstellen kann, dann liegt der Vergleich mit einer Sucht nahe. Übergewichtige fühlen sich dem Drang nach Essen gegenüber machtlos. Sie fühlen sich unfähig, ihr Essen zu kontrollieren und spüren häufig einen unbändigen Drang nach Essen, der schnell befriedigt werden muss. Wenn das nicht geschieht, kommt es zu starken inneren Spannungen bis hin zu Verärgerung, Ungeduld, Aufregung und Aggression. Da in unserer Gesellschaft Essen immer reichlich verfügbar ist, kommt es in der Regel nicht zur Eskalation dieser Spannungen, sondern der Drang nach dem Essen wird vorher befriedigt. Die eigene Gefühlslage kann Auslöser für den Drang nach Essen sein. Das Essen wird dann eingesetzt, um die Stimmungslage und die eigenen unangenehmen Gefühle zu verbessern oder zu verdrängen. Esssüchtige essen zum Beispiel aus Kummer, Trauer, Einsamkeit, Ärger, Wut, Trotz, nach Frustrationserlebnissen und anderen unangenehmen Gefühlen. In diesem Umgang mit Essen sind Parallelen zu wesentlichen Merkmalen der Sucht erkennbar. Und in der Tat bezeichnen viele Übergewichtige ihr Verhalten selbst als eine Sucht. Behandlungsansatz des Übergewichts in Anlehnung an die Prinzipien der Suchtbehandlung Da Überessen in vieler Hinsicht Ähnlichkeit mit süchtigem Verhalten hat, wenden wir Elemente aus der Suchtherapie auch bei der Adipositasbehandlung an. Wir erarbeiten mit den Patienten, dass sie ähnlich wie Alkoholiker ihr Essverhalten nicht mehr kontrollieren können, zum Beispiel bei Fressanfällen. Eine weitere Parallele besteht darin, dass das Essen wie ein Suchtmittel zur Gefühlsmanipulation eingesetzt wird. Durch dieses Denkmodell entsteht für die Betroffenen ein neues Verständnis für ihre Verhaltensweisen im Umgang mit Essen. Sie werden von ihren Schuldgefühlen wegen ihres Versagens entlastet, wobei ihnen gleichzeitig vermittelt wird, dass sie trotzdem nicht ohnmächtig ihrem Problem ausgeliefert sind, sondern - wie Alkoholiker auch - sich entschließen müssen, grundsätzliche Veränderungen in ihrer Lebensweise vorzunehmen und dass sie sich auf einen langen, beschwerlichen aber letztlich lohnenden Weg einstellen müssen. Therapieziel ist das Erreichen und langfristige Halten eines gesundheitlich unbedenklichen Gewichtes. Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es des Verzichts auf das übermäßige Essen als Mittel zur Veränderung eines Gefühlszustandes. Der Esssüchtige versucht nach diesem Modell, das Essen nicht mehr als Mittel zur Manipulation von Gefühlen einzusetzen. Er versucht nur noch soviel zu essen, wie er zur Deckung des Energiebedarfs des Körpers braucht. Auf den natürlichen Mechanismus von Hunger und Sättigung als Maß für die richtige Essensmenge können sich Übergewichtige nicht mehr verlassen, weil sie diese Gefühle zu oft übergangen haben. Hungergefühle sind überlagert und vermischt mit dem Bedürfnis andere unangenehme Gefühle in den Griff zu bekommen oder einfach nicht mehr zu spüren. Deshalb funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr zuverlässig als Maß für den Energiebedarf des Körpers. 13 Anpassung der Essmenge an den Energiebedarf des Körpers Wie groß der Energiebedarf des Körpers ist, wird deshalb zunächst durch Informationen aus der Ernährungswissenschaft abgeschätzt. Später kann man sich auf eigene Erfahrungswerte stützen, weil man durch das Schreiben von Essensprotokollen feststellen kann, bei welcher täglichen Kalorienzahl man sein Gewicht hält und bei wieviel Kalorien man ab- oder zunimmt. Die Tabellen der ernährungswissenschaftlichen Bücher können immer nur erste Hinweise geben, denn die Essmengen, die zu Verringerung oder Halten eines Körpergewichtes führen, sind von Mensch zu Mensch extrem unterschiedlich. Es ist also notwendig, die für jeden richtige Nahrungsmenge durch genaues Protokollieren herauszufinden. Als erster Anhaltspunkt und für den Einstieg kann gelten: Wenn man Abnehmen will, liegt der tägliche Energiebedarf bei etwa 1000 bis 1200 Kalorien (kcal) täglich. Um das Gewicht zu halten, kann man von einem täglichen Kalorienbedarf von 1500 bis 2000 Kalorien ausgehen. Viele Übergewichtige haben schon oft versucht, durch weniger Essen und Kalorien-Zählen abzunehmen. Wenn jetzt in dieser Therapie wieder Kalorien gezählt werden müssen, glauben sie zunächst, hier handelt es sich um die alte und wenig erfolgreiche Methode. Es bedarf zunächst vieler aufklärender Gespräche bis alle verstanden haben, dass der Verzicht auf das Überessen als Suchtmittel, das heißt als Mittel zur Bewältigung von unangenehmen Gefühlszuständen oder Mittel zur Manipulation der Gefühle, der zentrale Gedanke in diesem Therapieansatz ist. Das Zählen der Kalorien ist nur eine Methode, um die angemessene Essensmenge zu bestimmen und von dem übermäßigen Essen abzugrenzen. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 14 Folgen des Verzichts auf Überessen Wenn Übergewichtige auf ihr Suchmittel, Überessen, verzichten, treten die Probleme und Bedürfnisse, die zum Überessen geführt haben, stärker in den Vordergrund, werden sichtbar und dadurch in der Therapie behandelbar. Die Behandlung der grundlegenden Probleme ist notwendig, denn erst, wenn für diese Probleme neue Lösungswege gefunden werden, kann auf das Essen als Lösungsweg verzichtet werden. Es ist Aufgabe der Therapie, die grundlegenden Gefühle, Bedürfnisse und Probleme bewusst zu machen und zu helfen, neue und bessere Wege des Umgangs mit diesen Problemen zu erarbeiten. 5.2 Gruppenstruktur Die Gruppe wird als halboffene Gruppe geführt mit einer wöchentlichen Frequenz von zwei Gruppensitzungen á 90 Minuten. Die Teilnehmerzahl liegt bei 10 Patienten. Die Patienten nehmen an dieser Gruppe über ihre gesamte Therapiedauer teil. In einigen Fällen kann die Frequenz auf eine Gruppensitzung pro Woche gesenkt werden, wenn die Teilnahme an zusätzlichen indikativen Therapieangeboten indiziert ist. Die Leitung der Gruppe liegt bei einem Diplom-Psychologen, in regelmäßigen Abständen werden Gruppensitzungen zu besonderen Fragen von einer Diätassistentin durchgeführt. 5.3 Indikation Die Indikation zur Behandlung ist gegeben, wenn eine Adipositas permagna vorliegt, also der BMI über 40 liegt (siehe Tabelle). Es können auch geringergradig Übergewichtige und Adipöse behandelt werden, die unter ihrem Übergewicht leiden und schon oft versucht haben, ihr Gewicht zu senken, aber immer wieder gescheitert sind. Auch diese Patienten können in das Behandlungsprogramm aufgenommen werden, wenn sie in ihrem Essverhalten süchtige Verhaltenzüge erkennen können und einen ernsthaften Versuch machen wollen, ihr Gewicht auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß zu senken. 5.4 Kontraindikation Eine Kontraindikation im eigentlichen Sinne gibt es nicht, ganz selten gibt es Patienten, die sich im Grenzbereich zur Bulimie befinden, d.h. sie versuchen ihr Übergewicht, zumindest gelegentlich, durch Erbrechen zu regulieren. Bei Vorliegen einer manifesten Bulimie erfolgt die Behandlung in dem indikativen Programm Bulimie. 5.6 Therapieziele Langfristiges Therapieziel ist das Absenken des Körpergewichtes auf ein gesundheitlich verträgliches Maß. Das sogenannten Normalgewicht oder sogar Idealgewicht ist als Theapieziel unrealistisch. Laut wissenschaftlicher Untersuchungen erbringt aber bereits eine Absenkung des Gewichtes um 10 % über einen Zeitraum von 5 Jahren 15 einen beträchtlichen Gewinn für die Gesundheit. Deshalb ist jede Absenkung des Gewichtes über einen längeren Zeitraum ein lohnendes Therapieziel. Weitere Therapieziele, die dem Erreichen des übergeordneten Therapiezieles dienen sind: - Realistische Zielsetzung und Planung der einzelnen Schritte Ehrlichkeit zu sich selbst bezüglich der Nahrungsaufnahme Selbstakzeptanz trotz Übergewichts Wissenserweiterung über Zusammenhänge zwischen gesunder Ernährung und Gesundheit - Einbeziehung von mehr Bewegung in das tägliche Leben - Übernahme von Verantwortung für Essanfälle - Annahme und aktives Aufsuchen von Hilfsmöglichkeiten Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 16 5.7 Methoden und Techniken 5.7.1 Einführungsgespräch Mit jedem einzelnen Patienten wird ein Einführungsgespräch geführt, in dem das Denkmodell der Adipositasgruppe dargestellt wird und die Regelungen der Gruppe erklärt werden. Dazu gehören die Absichtserklärung, die Protokolle, Umgang mit dem Essen und Wiegen. Zusätzlich bekommt jeder Patient eine Informationsbroschüre, in der die grundsätzlichen Gedanken zur Adipositasgruppe schriftlich dargelegt sind. Das Vorgespräch dient außerdem dazu, die Grundeinstellung jedes einzelnen Patienten zu seinem Übergewicht festzustellen und anamnestische Daten zu dieser Problematik zu erheben. Dazu gehört auch die Frage, wie das Übergewicht in die Gesamtproblematik eingebettet ist. Anhand der bisherigen Lösungsversuche zum Problem Übergewicht und deren Scheitern werden die in dieser Gruppe angebotenen alternativen Lösungswege dargestellt. Am Ende des Einführungsgespräches steht die Entscheidung für eine aktive Teilnahme an der Adipositasgruppe. 5.7.2 Adipositasgruppe Die wöchentlich zwei Mal stattfindenden Adipositasgruppe wird so geführt, dass jederzeit neue Patienten einsteigen können und sofort Anschluss finden, nachdem sie das Einführungsgespräch mitgemacht haben. Es können aber alle Patienten ihre Problematik in der Gruppe bearbeiten. Das bedeutet, dass die Themen sehr breit gestreut sind und jeweils den aktuellen Bedürfnissen der Patienten angepasst werden. Neue Teilnehmer steigen in die Gruppe ein, indem sie ihre Übergewichtsgeschichte berichten und weitere Aspekte darstellen, die zu dem Übergewicht geführt haben, also z. B. die Diätgeschichte, Lebensgewichtskurve, Essverhalten, typische Auslöser für übermäßiges Essen, Folgen des Übergewichts, Motivation, Nachteile durch das Übergewicht, Vorteile durch das Essen, Zielvorstellungen und Zielgewicht. Ablauf der einzelnen Sitzungen Zu Beginn jeder Sitzung werden die täglichen Essensprotokolle eingesammelt und die Essprotokolle der letzten Sitzung an die Patienten zurückgegeben. Einmal wöchentlich wird das aktuelle Gewicht jedes Gruppenteilnehmers protokolliert, wobei immer wieder darauf hingewiesen werden muss, dass die natürlichen Gewichtsschwankungen so groß sind, dass wöchentliche Gewichtsverluste dadurch überlagert werden können, und dass nicht immer bei einer großen Gewichtsabnahme innerhalb einer Woche auf guten Umgang mit dem Essen geschlossen werden kann und umgekehrt, dass stagnierende Gewichtsabnahme nicht unbedingt auf falsches Essverhalten zurückzuführen ist. Immer wieder wird versucht darauf hinzuweisen, dass das Kriterium für richtiges Verhalten dann erfüllt ist, wenn ein Patient sich an seine Vorsätze für die tägliche Kalorienmenge gehalten hat. Bestandteile des Therapieprogramms Die Gesprächsthemen ergeben sich aus den aktuellen Fragestellungen der Patienten bzw. aus den Berichten der Patienten, in denen problematische Ansichten und Einstellungen deutlich werden. Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die immer wieder behandelt werden und die insgesamt dazu dienen, dass das grundlegende Denkmodell bis in alle Einzelheiten und Auswirkungen von dem Patienten verstanden, akzeptiert und übernommen werden kann. Im Therapieprogramm werden die Informationseinheiten so vermittelt, dass alle wesentlichen Bestandteile im Verlaufe einer normalen Therapiedauer bearbeitet werden. Folgende Themengruppen sind als wesentliche Therapiebestandteile enthalten: - Fehlverhalten erkennen und zugeben Zunächst geht es darum, einzusehen und zuzugeben, dass ein behandlungsbedürftiges Übergewicht besteht, und dass es notwendig ist, aktiv etwas gegen das Übergewicht zu tun. Im weiteren Verlauf der Therapie und in 17 weiterer Aufdifferenzierung geht es darum, Fehlverhalten zu erkennen, Fehler zuzugeben, ertragen zu lernen, dass man Fehler macht, sich Fehler verzeihen zu lernen, mit Fehlern umgehen zu lernen, eigene Misserfolge und Erfolge in der Therapie erkennen zu lernen und daraus weitere notwendige Schritte abzuleiten. Es werden Erfahrungsberichte zum Thema Essen ausgewertet und über Probleme im Zusammenhang mit dem Essen gesprochen. - Wissensvermittlung über Entstehung und Aufrechterhaltung von Übergewicht Es geht hier um Fragen wie etwa die Erblichkeit von Übergewicht oder medizinische Ursachen für Übergewicht oder warum manche viel essen können und andere bei weniger Nahrungsaufnahme übergewichtig sind. Es werden auch die seelischen Ursachen für Übergewicht besprochen, zum Beispiel das Essen zur Aufrichtung eines Schutzpanzers gegen mögliche Annäherungen von anderen. - Parallelen des Essverhaltens zur Sucht Es werden die Parallelen des Essverhaltens zu süchtigem Verhalten gezogen. Es wird aufgezeigt, wie Gefühle mit Hilfe des Essens manipuliert werden, wie sich Gefühle auf das Essen auswirken und umgekehrt, wie sich das Essen auf Gefühle auswirkt. Aus dem Denkmodell Sucht können auch Antworten auf die Frage abgeleitet werden, warum es so schwer ist abzunehmen und die Einsicht in die Notwendigkeit der Übernahme von Verantwortung. Es kann die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Änderung der Einstellungen und der Lebensgewohnheiten gewonnen werden. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 18 - Gesunde Ernährung Übergewicht ist immer auf Überernährung oder Fehlernährung zurückzuführen. Es werden deshalb die Ernährungsgewohnheiten eingehend besprochen und mögliche Ernährungsfehler herausgearbeitet. Vor- und Nachteile von Diäten werden kritisch beleuchtet und dabei auf die reichhaltige Erfahrung der Gruppenteilnehmer zurückgegriffen. Gesundheitsschädigende Aspekte von Diäten werden aufgelistet. Süßstoffe und LightProdukte werden kritisch besprochen und Alternativen erörtert. Positive Schritte des Ernährungsverhaltens werden aufgezeigt und eine Motivation zur Umstellung des Essverhaltens aufgebaut. Besonderen Wert legen wir darauf, dass genussvolles, gesundes und vollwertiges Essen auch dann möglich ist, wenn die Essmenge reduziert werden muss. - Bewältigung von Fressanfällen Da Fressanfälle für viele Patienten ein zentrales Problem darstellen, nimmt deren Bearbeitung in der Gruppe einen großen Raum ein. Es werden die typischen Auslöser aufgedeckt, Patienten werden angeleitet ihre eigenen Auslöser zu erkennen und Gefühle im Zusammenhang mit Fressanfällen genau zu beobachten und zu analysieren. Dann werden Bewältigungsmöglichkeiten erarbeitet, deren Erprobung eingeleitet und anschließend besprochen. - Emotionale Aspekte des Übergewichts Bestehendes Übergewicht löst eine große Menge von Gefühlen aus, die aber meistens unterdrückt oder verdrängt werden, da es oft unangenehme Gefühle sind: Scham, Schuldgefühle, Ärger über sich selbst. In der Gruppe werden diese Gefühle besonders beachtet und es wird versucht, den Patienten dabei zu helfen die Gefühle zuzulassen, auch wenn sie unangenehm sind, damit sie der therapeutischen Bearbeitung zugänglich werden. Insbesondere macht es den Patienten große Schwierigkeiten, sich selbst zu akzeptieren und trotz des Übergewichts ein positives Selbstwertgefühl aufzubauen. - Medizinische Aspekte des Übergewichts Obwohl Übergewichtige meistens erhebliche körperliche Nachteile und Folgeerkrankungen haben, sehen sie selbst das Übergewicht manchmal nur als kosmetisches Problem. Sie glauben, sie sehen mit diesem Gewicht nicht so gut aus, darüber hinaus machen sie sich oft wenig Gedanken. In der Gruppe müssen deshalb die körperlichen Begleit- und Folgeerkrankungen des Übergewichts deutlich gemacht werden. Es wird der Zusammenhang des Übergewichts mit der Lebenserwartung und dem Auftreten von bestimmten Erkrankungen vermittelt. Darüber hinaus wird kritisch über medikamentöse und chirurgische Maßnahmen zur Gewichtsregulierung gesprochen. Es werden sinnvolle und realistische Vorstellungen über die Geschwindigkeit der Gewichtsabnahme vermittelt und realistische Zielvorstellungen gefunden. - Soziale Aspekte des Übergewichts Übergewichtige ziehen sich oft aus sozialen Kontakten zurück, weil sie einerseits körperlich nicht in der Lage sind, mit ihren Mitmenschen Schritt zu halten, aber vor allem auch, weil sie oft ausgelacht werden und zu Außenseitern gemacht werden. Dies führt dann zu Einsamkeit, Verbitterung oder Langeweile. Ein weiteres Problem ist häufig der Umgang mit dem Partner und die Sexualität. Auch diese Themen werden besprochen und Lösungsansätze erarbeitet. 19 - Hilfsmöglichkeiten Da das Senken des Gewichts nicht einfach ist, ist es nötig, Unterstützung von außen zu suchen. Selbsthilfegruppen, Angebote von örtlichen Krankenkassen, Volkshochschulen, Hilfsmöglichkeiten durch die Familie und andere Hilfsmöglichkeiten werden besprochen und schon in der Therapie erste Schritt unternommen, sich Hilfe von anderen zu holen. Es werden therapeutische Hilfsmöglichkeiten und ihre Erfolgsaussichten besprochen. Diese Liste gibt nur die häufigsten Themen an, die immer wiederkehren, zusätzlich bringen Patienten weitere Fragestellungen ein, die dann im einzelnen behandelt werden. Ziel der Gespräche ist einerseits die Wissensvermittlung, andererseits aber auch Unterstützung bei der Selbstakzeptanz trotz des Übergewichts, beim Umgang mit Schuldgefühlen, beim Erreichen der richtigen Einstellung zu sich selbst und als Hilfe zur Erreichung der notwendigen Geduld. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 20 5.7.3 Regelungen für die Adipositasgruppe 5.7.3.1 Die Absichtserklärung Jeder Patient wird zu Beginn der Therapie gebeten, eine Absichtserklärung auszufüllen. Damit soll gewährleistet werden, dass jeder Teilnehmer für sich eine klare Entscheidung fällt, ob er bereit ist, die Anstrengungen auf sich zu nehmen, die no—wendig sind langfristig sein Gewicht auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß zu senken. Außerdem soll damit erreicht werden, dass die Einsatzbereitschaft und Motivation für jeden einzelnen Patienten erhöht wird. Die Absichtserklärung ist in drei Punkte gegliedert: zunächst das Eingeständnis, übergewichtig zu sein, dann, die Vorstellungen bezüglich der Gewichtsentwicklung und die Auswahl der Regelungen, die der Patient für sich übernehmen will, um seinem Ziel, der Senkung des Gewichtes, näherzukommen. Die Absichtserklärung kann im Laufe der Therapie dem aktuellen Stand angepasst und den therapeutischen Notwendigkeiten entsprechend geändert werden. (Muster der Absichtserklärung siehe Anhang) 5.7.3.2 Essprotokolle Jeder Teilnehmer der Gruppe wird aufgefordert, täglich Essprotokolle zu schreiben. Auf diesen Essprotokollen wird die Uhrzeit, Art und Menge der Nahrungsaufnahme vermerkt und für jede Nahrung die entsprechende Kalorienzahl berechnet. Für jeden Tag wird eine Kalorienmenge als Vorsatz in das Protokoll eingetragen. Am Ende des Tages wird dann die tatsächliche Kalorienzahl zusammengezählt und mit der vorgenommenen Menge verglichen. Außerdem gibt es auf dem Protokoll vier Felder, in denen der Patient sich für den betreffenden Tag zu folgenden Fragen kurze Notizen machen kann: - Meine Erfolge heute Heutige Fehler, aus denen ich lernen will Was ich heute körperlich getan habe Welche Gefühle im Zusammenhang mit dem Essen mir heute aufgefallen sind Diese Felder dienen dazu, den Übergewichtigen dabei zu helfen, ihre Selbsterkenntnis in wichtigen Bereichen zu erhöhen. Neben der offensichtlich wichtigen Frage der Bewegung wird besonders die Frage der Gefühle im Zusammenhang mit dem Essen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Durch diese Frage sollen die Patienten angeleitet werden, möglichst differenziert ihre Gefühle im Zusammenhang mit dem Essen wahrzunehmen. In der Tat ist es so, dass zu Beginn, und für viele auch im Verlauf der Behandlung, diese Fragen nur schwer zu beantworten sind. Viele Patienten denken, dass sie auf die Frage, welche Gefühle im Zusammenhang mit dem Essen aufgetreten sind, nicht viel Verschiedenes gesagt werden kann, weil ihrer Meinung nach immer dieselben Gefühle auftreten und deshalb nur jeden Tag dasselbe geschrieben werden kann. Die Gruppenteilnehmer müssen deshalb erst dazu angeleitet werden, wahrzunehmen, dass die Gefühle durchaus differieren. Wenn man die Wahrnehmung genügend geschärft hat, sogar in erheblichem Maße. Die Frage der Zufriedenheit zielt auf die Schuldgefühle ab und darauf, dass Übergewichtige ihre Zufriedenheit meist viel zu eng an das Gewicht koppeln. Jede 200-Gramm-Abnahme wird mit großer Freude quittiert, während umgekehrt die Zunahme von 200 Gramm oft tiefe Resignation und sogar Depressionen auslösen kann. Die Stimmung wird also häufig durch die geringfügigsten Veränderungen auf der Waage bestimmt. Die Fragen zur Zufriedenheit sollen helfen, sich innerlich unabhängiger von der Waage zu machen und die Zufriedenheit mehr an das Essverhalten und die Einhaltung der vorgenommenen Kalorienzahl zu koppeln als an geringfügige Gewichtsschwankungen. Die Protokolle sollen täglich geschrieben werden. Da dies erfahrungsgemäß immer ein Schwachpunkt ist, sind wir dazu übergegangen, die Protokolle bei jeder Gruppentherapiesitzung einzusammeln und die Protokolle der letzten 21 Sitzung zurückzugeben. Dies dient weniger der Kontrolle, wieviel gegessen wurde, denn natürlich können wir nicht beurteilen, ob die Protokolle ehrlich ausgefüllt werden oder nicht, sondern es dient der Kontrolle, ob überhaupt Protokolle geschrieben wurden. Wir halten uns dadurch die Möglichkeit offen, sofort zu reagieren, wenn Patienten beginnen, nachlässiger zu werden und die Protokolle nicht zu schreiben. 5.7.3.3 Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 22 Wiegen Die Patienten der Adipositasgruppe dürfen sich nur wöchentlich einmal wiegen, dann allerdings auf unserer Aufnahmestation durch unsere Schwestern. Das Gewicht wird dann in der Adipositasgruppe öffentlich mitgeteilt und notiert. Trotz der Tendenz der Übergewichtigen, sich über jede 100 Gramm zu freuen, bestehen wir darauf, dass nur ganze kg gezählt werden, wobei das Gewicht ab 0,5 kg auf das nächste volle kg aufgerundet wird. Zu Anfang haben viele Patienten große Schwierigkeiten mit dem seltenen Wiegen, weil sie gewohnt sind, häufiger auf die Waage zu gehen. Wir bestehen aber trotzdem auf diesem selteneren Wiegen, weil bei einer Abnehmgeschwindigkeit von 1 bis 2 kg pro Woche und einer täglichen Gewichtsschwankung von 1 - 2 kg (je nach Wassereinlagerung in Gewebe, Darmfüllung, Magenfüllung, Blasenfüllung usw.) jedes häufigere Wiegen unsinnig wäre. In der Tat ist es so, dass Patienten dazu neigen, an ihren Gewichtsschwankungen abzulesen, ob sie sich richtig verhalten haben oder nicht. So kommt es dazu, dass nach einem übermäßig großen Abendessen von einem Patienten der Schluss gezogen wird, dass das übermäßige Essen nicht „angeschlagen hat“, weil die Waage am nächsten Tag keine Gewichtszunahme anzeigt. Umgekehrt wird häufig der Schluss gezogen, dass trotz eingeschränkten Essens auch eine Gewichtszunahme möglich ist, wenn die Waage auf Grund natürlicher Schwankungen kurzfristig höheres Gewicht anzeigt. Wir versuchen den Patienten zu vermitteln, dass ein noch selteneres Wiegen manchmal noch besser wäre, weil das Senken des Körpergewichtes immer langfristig geplant werden muss und deshalb auch schon beim Wiegen nur in längeren Fristen gedacht werden sollte. Einige Patienten können sich diesen Gedanken anschließen und stimmen zu, dass sie nur in größeren Zeiträumen gewogen werden. Das seltene Wiegen führt dazu, dass diese Patienten ihr Hauptaugenmerk auf die Nahrungsaufnahme legen und sich innerlich von dem Diktat der Waage etwas lösen können. In der Praxis haben aber die meisten Patienten Schwierigkeiten damit, länger als eine Woche ohne Wiegen zu überstehen, deshalb haben wir aus pragmatischen Gründen den wöchentlichen Wiegerhythmus gewählt. 5.7.3.4 Essenausgabe und Zwischenmahlzeiten Für Adipositaspatienten gibt es im Speisesaal ein eigenes Buffet, wo sie ihre Speisen abholen können. Es werden zwar keine speziellen Mahlzeiten zubereitet, allerdings wird das normale Essen so angeboten, dass ein Erkennen und Trennen der einzelnen Bestandteile der Mahlzeit für die Patienten noch möglich ist, damit sie z.B. Kartoffeln oder Fleischstücke abwiegen können, um dadurch festzustellen, wieviel Kalorien dieser Teil der Nahrung hat. Für dieses Wiegen steht eine Briefwaage mit Tarafunktion zur Verfügung. Der separate Bereich in der Essenausgabe für die Adipositaspatienten hat ausdrücklich nicht den Sinn, Light-Produkte, Diätspeisen oder sonstige kalorienarme Nahrung speziell für die Übergewichtigen bereitzuhalten. Wir vermitteln unseren Patienten, dass zu der grundsätzlichen Einstellungsänderung gegenüber dem Essen auch gehört, dass man nicht mit verminderten Kalorienzahlen die alte Gewohnheit beibehalten kann, Riesenmengen zu verzehren. Wir empfehlen deshalb vollwertige gesunde Ernährung und Mischkost. Die Mengen sollten dabei dem Kalorienbedarf des Körpers angepasst werden. Wir empfehlen außerdem, 5 Mahlzeiten täglich zu sich zu nehmen, so dass wir für die Patienten der Adipositasgruppe Zwischenmahlzeiten anbieten. Dies erscheint vielen unverständlich, weil sie glauben, eine zusätzlich Mahlzeit verführt zu mehr Essen. Viele gewöhnen sich erst langsam daran, dass Abnehmen nicht gleichbedeutend ist mit Hungern, sondern dass zum Abnehmen auch gehört, dass man sein Essen genießt, und dass man soviel isst, dass man nicht übermäßig Hunger leidet. 5.7.3.5 Fotos Von jedem Patienten der Adipositasgruppe werden nach dem Vorgespräch 3 Fotos angefertigt, eins von vorne und eins von der Seite als Ganzkörperaufnahme sowie ein Bild von dem Gesicht in Großaufnahme. Diese Fotos werden dem Patienten als Anfangsstatus mitgegeben. Die Fotos dienen dazu, dass die Patienten sich mit ihrem eigenen Aussehen auseinandersetzen, denn viele von ihnen haben bisher vermieden, sich im Spiegel zu betrachten, sich fotografieren zu lassen und diese Fotos auch zu betrachten. So können die Fotos als Ansporn dienen und die Motivation für eine Gewichtsabnahme verstärken. Am Ende der Behandlung werden die selben Fotos noch einmal gemacht und nicht selten fällt der Vergleich sehr deutlich aus. Bei kürzeren Behandlungsdauern und Gewichtsabnahmen von 8 kg kann es allerdings auch vorkommen, dass auf den Fotos keine deutlichen Unterschiede feststellbar sind. Dann müssen andere Kriterien zur Beurteilung des Erfolges herangezogen wie z.B. Verminderung der Kleidergrößen, Gürtellängen und Erhöhung der Beweglichkeit. 23 5.7.4 Abschluss der Behandlung Am Ende der Behandlung wird in der Gruppensitzung über Erfolge und Fortschritte in der Behandlung noch einmal abschließend gesprochen. Jeder Patient zieht ein Fazit aus dem in der Therapie Gelernten. Einstellungs- und Verhaltensänderungen werden mitgeteilt und Rückmeldungen über Erfolge und Aussichten für die nachstationäre Zeit von den Mitpatienten eingeholt. Die Patienten bekommen am Ende einen Umschlag, in dem 12 frankierte Umschläge sind sowie 12 Rückmeldebogen enthalten sind. Die Patienten werden gebeten, über ein ganzes Jahr hinweg nach der Behandlung jeden Monat einmal einen solchen Rückmeldebogen auszufüllen und an die Klinik zurückzuschicken. In diesem Bogen wird nach der Gewichtsentwicklung gefragt, danach, ob die Patienten sich einen Plan für ihr Essen gemacht haben, ob sie sich an den Plan gehalten haben und wie zufrieden sie mit ihrer Gewichtsentwicklung zur Zeit sind. Diese Rückmeldebogen dienen uns als Informationsquelle, damit wir die weitere Entwicklung des Gewichts nach Behandlung besser einschätzen können. Der viel wichtigere Grund für diese Bogen ist aber, dass diejenigen, die sich dazu entschließen, einmal monatlich ihr Gewicht an uns zu melden, sicher durch diese Aktion einen gewissen Halt bekommen und sich dadurch ihr Gewicht insgesamt günstiger entwickelt als ohne diese Aktion. Von diesem Angebot machen etwas mehr als ein Drittel aller Patienten Gebrauch und natürlich ist es so, dass eher diejenigen schreiben, deren Gewicht sich günstig entwickelt hat. Trotzdem können wir dadurch feststellen, dass etwa 30 Prozent aller Patienten, die in der Adipositasgruppe waren über einen Zeitraum von einem Jahr nach der Behandlung ihr Gewicht noch weiter senken oder zumindest das Gewicht nicht über das Entlassungsgewicht ansteigt. Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 24 5.7.5 Zusätzliche Therapieangebote 5.7.5.1 Adipositasgymnastik im Wasser Für alle Adipositaspatienten der Fachklinik Münchwies bieten wir eine Adipositasgymnastik im Wasser an, die wöchentlich einmal für 45 Minuten durchgeführt wird. Die Leitung dieser Gruppe hat eine Diplom-Sportlehrerin. Sie wird als offene Gruppe geführt , eine regelmäßige Teilnahme ist allerdings für die Teilnehmer verpflichtend. Diese Gruppe soll übergewichtigen Patienten helfen, einen Einstieg in sportliche Aktivitäten zu finden. Die Arbeit in dieser Gruppe teilt sich in zwei Schwerpunkte auf, die eng miteinander verbunden sind. Zum einen geht es darum, den häufig als negativ bewerteten Körper neu zu erleben und Schritte hin zur Akzeptanz des Körpers zu machen. Zum anderen geht es um die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Zu dem Punkt Akzeptanz des Körpers gehören folgende Themen: - Bewegungshemmungen und Schamgefühl abbauen und Freude und Zutrauen in die eigene Bewegung (wieder-) gewinnen - Den Kreislauf: Übergewicht ( beschwerliche Motorik ( geringer Bewegungsantrieb ( mangelnde Bewegung ( Übergewicht zu durchbrechen - Durch neue Bewegungserfahrungen ein positives Körperbild aufbauen Unter den Begriff Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit fallen: - Verbesserung der allgemeinen Kondition (Herz-/Kreislauftraining) - Dehnung, Kräftigung und Lockerung der Muskulatur Unter dem gesundheitlichen Aspekt ist die Bewegung im Wasser für übergewichtige Personen günstig, weil sich das Körpergewicht durch den Wasserauftrieb reduziert. Damit werden Wirbelsäule und Gelenke entlastet. Gleichzeitig bedeutet es für viele Adipöse eine große Überwindung, das Bewegungsangebot im Wasser anzunehmen. In der Gruppe unter „Gleichen“ ist die Hemmschwelle meistens etwas geringer und damit der Einstieg in das Bewegungsangebot erleichtert. Erfolgserlebnisse stellen sich dadurch schneller ein. 5.7.5.2 Ernährungsberatung Regelmäßig wird für Patienten der Adipositasgruppe eine Ernährungsberatung durch eine Diätassistentin durchgeführt. Mit dieser Beratung sollen alle Fragen der Patienten zu gesunder Ernährung beantwortet werden, es soll aber auch Bewusstsein für vollwertige und gesunde Ernährung bei denjenigen Patienten geweckt werden, die bisher nicht daran gedacht haben, dass sie sich falsch ernährt haben. Grundsätzlich empfehlen wir unseren Patienten vollwertige Mischkost. Wir raten ab von Diät- oder Light-Produkten oder von Tricks, mit denen man sich selbst betrügt wie Riesensalate oder Wasser trinken vor der Mahlzeit. Wir glauben, dass Selbstbetrug nicht der richtige Weg ist. Besser ist bewusste Einstellung auf die gegebene Situation, das heißt auch auf bewusste und gesunde Ernährung und bewussten Verzicht auf Überessen. 5.7.5.3 Sport- und Bewegungstherapie Die Patienten der Adipositasgruppe nehmen wie alle Patienten am Sport- und Bewegungstherapieprogramm teil. In der Regel werden sie in das Programm 25 ihrer Bezugsgruppe integriert, in einigen Fällen ist es allerdings nötig, durch gezieltes Ergometertraining, Spaziergänge und Schwimmen die allgemeine Ausdauer, Leistungsfähigkeit und Kondition zu verbessern. 5.7.5.4 Zusätzliche Therapieangebote nach Indikation Je nach Grundstörung und zusätzlichen Problembereichen können Adipositaspatienten auch an anderen indikativen Therapieangeboten teilnehmen, z.B. Körperwahrnehmung, Aggressionsgruppe, Selbstsicherheitstraining, Frauengruppe, Männergruppe, Umgang mit Depressionen, Wege aus der Angst, Genießen lernen oder anderen indikativen Angeboten. 5.8 Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 26 Zuweisungskriterien für die Psychosomatische Abteilung oder für die Abhängigkeitsabteilung Die Patienten der Adipositasgruppe werden in der Regel in der psychosomatischen Abteilung unserer Fachklinik behandelt. Nur wenn zusätzlich eine Suchterkrankung besteht, z.B. eine Alkoholabhängigkeit oder Medikamentenabhängigkeit, müssen sie in unserer Abteilung für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit behandelt werden. Auch Patienten bei denen ein Missbrauch von Alkohol oder Medikamenten vorliegt werden in der psychosomatischen Abteilung behandelt, wobei dann besonderes Gewicht auf die indikative Gruppe für Alkohol- und Medikamentenprobleme gelegt wird. In unklaren Fällen vereinbaren wir ein Vorgespräch, um zu der für die Patienten besten Entscheidung zu kommen. 6. Der Behandlungsrahmen Die Psychosomatische Fachklinik Münchwies besteht aus einer Abteilung für psychische und psychosomatische Erkrankungen und einer Abteilung für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. In beiden Abteilungen leben die Patienten in Bezugsgruppen zusammen. Jeweils 12 Patientinnen und Patienten wohnen auf einem Flur mit sechs Doppelzimmern. Gemeinsam durchlaufen sie ein basistherapeutisches Regelprogramm: In der Eingangsphase finden umfassende anamnestische Datenerhebung, eingehende internistische und neuropsychiatrische Untersuchung sowie gesundheitsmedizinische Aufklärungs- und Informationsarbeit statt. Zum Basisprogramm gehören Gruppenpsychotherapie (interaktionelle problemlöseorientierte Arbeit), Sport- und Bewegungstherapie sowie Ergotherapie. Darüber hinaus werden anhand erstellter Bedingungsanalysen Einzelpsychotherapie, indikationsgeleitete Gruppenpsychotherapien, medizinische und physikalisch-balneologische Behandlungsmaßnahmen sowie soziotherapeutische Maßnahmen als weitere Bausteine in den Tagesablauf integriert. Durch die Therapie in der Bezugsgruppe und das gleichzeitige Zusammenwohnen und -leben der Patienten bietet sich die Möglichkeit eines intensiven Selbsterfahrungsprozesses in einem neuen sozialen Milieu mit einer dichten Realitätsnähe. Sowohl für die sozial überangepassten, aggressionsgehemmten Adipositaspatienten als auch für die eher aggressiven, opponierenden und kämpferisch eingestellten Patienten mit extremem Übergewicht bietet die Wohngruppe eine Chance, sich mit den eigenen, eingefahren Verhaltensweisen und Normvorstellungen auseinanderzusetzen, sie korrigieren zu lernen und auf der Verhaltensebene zu erproben. Von ihrem Bezugstherapeuten werden die Patienten der Adipositasgruppe zugewiesen, verbleiben aber immer in ihrem Bezugsgruppenverband. Der Bezugstherapeut koordiniert weiterhin die Therapie und entscheidet gegebenenfalls über die Einbeziehung weiterer indikativer Gruppen. Über Therapiefortschritte und Therapieplanung findet über die ganze Therapiedauer ein regelmäßiger Austausch statt. 27 Literatur Bouchard, C., Bray, G.A. (Eds.) (1996). Regulations of Body Weight: Biological and Behavioral Mechanisms. New York: John Wiley & Sons Brewerton, T.D. (1995). Toward a unified theory of serotonin dysregulation in eating and related disorders. Psychoneuroendocrinology 6, 561-590. Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) (Hrsg). (1995). Gesund Essen - Leitlinien für die ärztliche Ernährungsberatung und Ernährungstherapie. 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Man sollte sich aber genau überlegen, welche Anstrengungen man auf sich nehmen kann und will und welche Anstrengungen unbedingt notwendig sind. Um eine klare Entscheidung bewusst zu treffen, sollte diese Absichtserklärung ausgefüllt werden, dadurch wird klarer und verbindlicher was man für sich selbst zu tun bereit ist. Bitte kreuzen Sie an, was für Sie zutrifft. ■ Ich bin übergewichtig ■ Ich möchte mein Gewicht langfristig auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß senken ■ Ich weiß, dass ich mir für meine Ziele Regeln aufstellen muss, die mir helfen, meine Ziele zu erreichen ■ Ich glaube, dass ich Essen benutzt habe, um meine Gefühle zu manipulieren und Problemen aus dem Wege zu gehen ■ Ich glaube, dass ich esssüchtig bin Ich habe folgende Vorstellungen bezüglich meines Gewichts: Ich will mein Gewicht auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß bringen und das ist bei mir __________ kg (bei einer Größe von ________ cm) Ich stelle mir vor, dass ich das in folgenden In 1 Monat, am ___________ will ich In 2 Monaten, am ___________ will ich In 3 Monaten, am ___________ will ich In 6 Monaten, am ___________ will ich In 12 Monaten, am ___________ will ich In 24 Monaten, am ___________ will ich Schritten erreichen kann: ______ kg wiegen ______ kg wiegen ______ kg wiegen ______ kg wiegen ______ kg wiegen ______ kg wiegen Um mein Ziel zu erreichen, wähle ich mir folgende Ziele und Regeln: ■ Ich nehme mir eine feste Nahrungsmenge vor und zwar ____________ kcal pro Tag ■ Ich verteile mein Essen gleichmäßig über den Tag, ich plane meinen Umgang mit Essen und meine Essenszeiten jeden Morgen im voraus ■ Ich warte morgens nicht, bis ich Hunger habe, sondern esse nach meinem Plan ■ Ich schreibe jeden Tag ein Protokoll mit genauen Angaben über jede Nahrungsaufnahme ■ Ich wiege mich nicht öfter als einmal wöchentlich und zähle nur gerundete kg ■ Ich nehme mir vor, mein tägliches Maß an Bewegung zu erhöhen ■ Ich versuche, die Probleme und Gefühle, die ich bisher mit Essen in den Griff zu kriegen versucht habe, zu erkennen und lerne neue Bewältigungsmöglichkeiten ■ Ich schreibe mir täglich auf womit ich bei mir zufrieden bin und womit ich bei mir unzufrieden bin ■ Um mein Ziel zu erreichen, wähle ich mir weitere Regeln für mich aus und schreibe sie auf der Rückseite auf. Diese Absichtserklärung kann im Laufe der Zeit immer dem aktuellen Stand angepasst werden, es können neue Regelungen und Vorsätze getroffen werden und alte Regeln können beendet oder abgeändert werden, um sie der aktuellen Situation anzupassen. Datum: Unterschrift: 31 Tagesprotokoll der Nahrungsaufnahme Name: Gruppe: Anzahl der Kalorien, die ich heute essen will: Uhrzeit: Tatsächlich gegessene Nahrung, Art und Menge möglichst ausführlich Kalorien Gesamtsumme der heute tatsächlich gegessenen Kalorien: Meine Erfolge heute: Heutige Fehler, aus denen ich lernen will: was ich heute körperlich für mich getan habe: welche Gefühle im Zusammenhang mit Essen mir heute aufgefallen sind: Münchwieser Hefte Reihe Konzepte Heft Nr. 6 32 © Dr. Ernst S. Ott, 1/2000 Psychosomatische Fachklinik Münchwies Die „Münchwieser Hefte“ werden von der Klinik seit 1985 herausgegeben. Im wesentlichen sind darin die Referate der jährlich stattfindenden Münchwieser Symposien niedergelegt, ein Sonderheft enthält Informationen für Angehörige von Suchtpatienten. Neu eingeführt wurde die Reihe „Konzepte“ der Münchwieser Hefte. In dieser Reihe haben wir seit 1996 begonnen, Behandlungskonzepte einzelner Therapiebausteine, die bisher in unterschiedlicher Form und Ausführung vorlagen, zusammenzufassen. Das Gesamtkonzept der Klinik erscheint weiterhin in der bisherigen Form, d. h. außerhalb dieser Reihe. Es kann – wie die Münchwieser Hefte und die Reihe Konzepte der Münchwieser Hefte – in der Klinik angefordert werden. In der Reihe sind bisher erschienen: Heft 1 – Pathologisches Glücksspielen Heft 2 – Stationäre Rückfallprävention als Auffangbehandlung Heft 3 – Angststörungen Heft 4 – Der chronisch Kopfschmerzkranke Heft 5 – Anorexia/Bulimia nervosa Heft 6 – Adipositas permagna Heft 7 – Sexueller Missbrauch Heft 8 – Aggressive Störungen Heft 9 – Frauenspezifische Therapieangebote Heft 10 – Männerspezifische Therapieangebote Heft 11 – Depression Heft 12 – Schädlicher Gebrauch von Alkohol und Medikamenten Heft 13 – Einführungstraining in die Psychosomatik Heft 14 – Medikamentenabhängigkeit Heft 15 – Behandlungskonzept „Problembewältigung am Arbeitsplatz“ Erfüllt die Qualitätsgrundsätze Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation e.V. ISSN 0946-7351