Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung

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Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
Gerhard Spiess, Universität Konstanz
Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
(Stichpunkte zu einem Vortrag zur Vorbereitung empirischer Diplomarbeiten für
Studierende der Fachhochschule Villingen-Schwenningen - Hochschule für Polizei)
Gerhard Spiess, Universität Konstanz: Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
Was ist der Zweck einer empirischen Arbeit?
Eine relevante Fragestellung
o so präzisieren, dass sie in der verfügbaren Zeit
o anhand von Tatsachen
o d.h. mit vorhandenen oder zu erhebenden Daten
o untersucht und beantwortet werden kann.
Aufbau:
1 )Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
Gerhard Spiess, Universität Konstanz: Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
1. Fragestellung der Arbeit
Die Antwort ist in der Regel nicht intelligenter als die Frage.
Deshalb:
- Intelligent (auf Hintergrund theoretischen und
empirischen Wissens) fragen
- Frage so wählen und abgrenzen, dass sie in der
gegebenen Zeit seriös zu beantworten ist.
• Einordnung der Frage - Bedeutung der Frage
auf dem Hintergrund aktuellen Theoriediskussion
und des ggw. Wissensstandes;
Wissenslücken; Zweifelsfragen?
• Hypothesen, Alternativhypothesen + Begründung
Es kommt auf die Qualität der Antwort an, nicht darauf, ob die
Hypothese bestätigt wird: Den meisten Fortschritt verdankt
die Wissenschaft der Widerlegung von für sicher gehaltenen
Wahrheiten!
> Beispiel: "Die Erde ist eine Scheibe" (Seine Heiligkeit Papst Urban VIII, 1633). Oder nicht?
Gerhard Spiess, Universität Konstanz: Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
Es kommt auf die Qualität der Antwort an, nicht darauf, ob die Hypothese bestätigt wird:
Den meisten Fortschritt verdankt die Wissenschaft der Widerlegung von für sicher gehaltenen
Wahrheiten!
Beispiel: ‚Die Erde ist eine Scheibe‘ *)
(Johannes Chrysostomus, Bischof und Kirchenlehrer, ca. 350-407).
Oder nicht?
Verschiedene Möglichkeiten
des Vorgehens:
1.) Naive Beobachtung:
„Kuckt Euch doch
mal um - alles flach!"
(vgl. auch weitere Einwände
der Flat Earth Society - s.
http://en.wikipedia.org/
wiki/Flat_earth_society)
2.) Hypothesengeleitete
Beobachtung;
Prüfung von
Alternativhypothesen
*) oft – vermutlich unzutreffend, jedenfalls nicht belegbar - auch Maffeo Barberini (Papst Urban VIII) zugeschrieben, unter dessen Pontifikat der Prozess der
Heiligen Römischen Inquisition gegen Galileo Galilei stattfand und zahlreiche der kirchlichen Lehre widersprechende wissenschaftliche Schriften verboten wurden.
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1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
Hypothesengeleitete Beobachtung:
Prüfung von Alternativhypothesen
• Wenn die Erde eine Scheibe ist, wird ein Schiff beim
Versuch der Erdumsegelung abstürzen.
• Ist sie eine Kugel, kann man auf der einen Seite
starten und von der anderen Seite wiederkommen.
(Sollte für die Diplomarbeit nur begrenzte Zeit zur Verfügung stehen,
könnte sich anstelle einer vollständigen Erdumseglung auch ein etwas kurzfristiger
realisierbares Untersuchungsdesign empfehlen:)
Wenn die Erdoberfläche gekrümmt
ist, müsste von weiter entfernten
Booten zunächst nur die
Mastspitze zu sehen sein.
Wenn sie flach ist, ist auch der
untere Teil schon von weitem
sichtbar.
> 2. Von der Hypothese zur Untersuchungsplanung
Gerhard Spiess, Universität Konstanz: Hinweise zum Ablauf einer empirischen Untersuchung
1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
2. Von der Hypothese zur Untersuchungsplanung
2.1 Datenzugang
• Was muss ich erheben, um die Frage beantworten /
die Hypothese(n) prüfen zu können?
• Und wie und woher kann ich die benötigten Informationen bekommen?
Primärdatenerhebung oder Sekundärdatenanalyse?
• Bevölkerungsbefragung;
spezifische (ausgewählte) Untersuchungsgruppen
(z.B. Geschädigte, Anzeigeerstatter)
Problem: Selektivität
• bei Dritten (zB Sachbearbeiter, ExpertInnen)
• aus Akten oder anderen prozessproduzierten Quellen
• aus Statistiken
• auf welcher Rechtsgrundlage?
• bei personenbezogenen Daten: Rechtsgrundlage
• mit informierter Zustimmung der Betroffenen (TV; KollegInnen)
o ggf: mit erforderlicher Genehmigung
o auf gesetzlicher Rechtsgrundlage (zB § 41 BZRG)
o aber nicht im Rahmen polizeilicher / hoheitlicher Aufgaben
2.2 Operationalisierung der Hypothese: was - woher - wie
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1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
2.2 Operationalisierung der Hypothese: was - woher - wie
•Auf was - welche Merkmale (Variablen) und auf welche Zusammenhänge zwischen
den Merkmalen bezieht sich meine Frage/Hypothese? Wie ist die Hypothese theoretisch
begründet? Gibt es alternative Hypothesen?
Beispiel: Beeinflusst die Häufigkeit von Polizeistreifen das Sicherheitsgefühl der
Bevölkerung?
•Wie können die Merkmale 'operationalisiert' (erfassbar, messbar gemacht) werden?
Gütekriterien: Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit Objektivität - Validität - Reliabilität
• Welche Erhebungsmethoden kommen in Betracht?
Primärdatenerhebung / Sekundärdatenanalyse?
• Beobachtung: keine Einwirkung des Forschers auf das Feld
• teilnehmende Beobachtung: mögliche (störende) Einwirkung des
Forschers („Wenn die Ethnologen kommen, verlassen die Geister die Insel“ [P. Duerr])
• Experiment: gezielte und kontrollierte Beeinflussung des Feldes,
z.B: Verdoppelung der Polizeistreifen während eines bestimmten
Zeitraumes in einem bestimmten Gebiet
• schriftliche Befragung strukturiert / unstrukturiert / mit erprobten
Messinstrumenten wie Skalen
• mündliche Befragung strukturiert / unstrukturiert
• Sekundäranalyse prozessproduzierter Daten: Akten, Statistiken
• Entwicklung und Pretest der Erhebungsinstrumente; Stichprobendesign
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2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
2.2 Operationalisierung der Hypothese: was - woher - wie
• Entwicklung und Pretest der Erhebungsinstrumente
• Verständlichkeit, z.B. der Deliktsdefinitionen; Aufwand; Trennschärfe
• Eignung für Datenerfassung (Codierung)
• Stichprobendesign: Über welche Grundgesamtheit
(Problem: auch nicht deutschsprachige; nicht gemeldete; hospitalisierte Personengruppen?)
sollen Aussagen mit welcher Auflösung (-> Stichprobenumfang!) gemacht werden?
2.3 Besondere Erhebungsverfahren - besondere Probleme:
• Primärdatenerhebung durch schriftliche Bevölkerungsbefragung
o Stichprobe - warum? woher? wie?
o Information und vertrauensbildende Maßnahmen
Wer führt die Befragung durch? Wo können Befragte sich vergewissern?
Rathaus, Polizeidienststellen müssen informiert sein; Tel.Nr. für Rückfrage
o Anonymität Problem: Anschreiben, Erinnerung / Konflikt mit Anonymität
• Sekundäranalyse von Akteninhalten
o Rechtsgrundlage für Aktenzugang?
o Zugang zu / Zusammenführung mit ausserpolizeilichen Informationen
(StA; JGH; Sozialamt)??
o Anonymität; faktische Anonymisierung; potentielle Identifikatoren
• Sonderfall: Befragung von Polizeiangehörigen:
Sicherstellung der Validität (Gültigkeit) durch Sicherung der Anonymität;
Rücklaufverfahren, das Einsichtnahme durch Vorgesetzte ausschließt;
Verzicht auf Merkmale/Merkmalskombinationen, die Identifikation ermöglich könnten,
wie Kombination Geschlecht/(Dienst)alter.
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1) Fragestellung
2) Untersuchung + Dokumentation
3) Antwort
2.4 Erfassung, Aufbereitung, Auswertung der Daten
Was soll mit den Daten geschehen? Inhaltsanalyse, einfache Auszählung,
Zusammenhänge? -> angepasste Technik
• Anonymität/Anonymisierung; gesicherte Umgebung Auswertung nicht auf Dienstcomputer!
• Zustimmung der Betroffenen entbindet nicht vom Datenschutz
• Statistische Verfahren: nur Verfahren einsetzen, die verstanden und
verständlich zu machen sind
3. Von der Frage zur Antwort
• Theoretische Einordnung und Bewertung des Gefundenen.
• Folgerungen. Probleme, Ausblick auf offene Fragen
• Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit: Dokumentation der Befunde
• Sicherstellung des Datenschutzes auch bei der Veröffentlichung!
• Rückmeldung an Befragte/Beteiligte
Besondere Empfehlung:
• ILMES - Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung
• Internet Guide to SPSS for Windows
(mit instruktiven Beispielen) (Wolfgang Ludwig-Mayerhofer)
• Konstanzer Inventar mit Links und Suchmöglichkeiten
http://www.uni-konstanz.de/rtf/gs/methoden.htm
****
\w\www\rtf\gs\GS-Methoden-FHPol.pdf

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