Skript - Fakultät für Mathematik
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Vorlesungsskript WS 2015/2016 Stochastische Geometrie Prof. Dr. Daniel Hug, Prof. Dr. Günter Last 2. Dezember 2015 Pascal Bäthke, Julia Hörrmann, Marius Leonhardt Fakultät für Mathematik Karlsruher Institut für Technologie Inhaltsverzeichnis 1 Einführung 1.1 Zufällige geometrische Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4 4 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.1 Grundlegende Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Stationäre Keim-Korn-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Boolesche Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 10 13 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.1 Zufällige abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zufällige Maße und Punktprozesse . . . . . . . . . . . . . 3.3 Poissonprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Stationarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 16 20 27 37 . . . . 39 39 44 50 55 . . . . . 59 59 61 65 77 82 4 Das Boolesche Modell 4.1 Das Kapazitätsfunktional . . . . . . . . . . . 4.2 Partikelprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Steinersche Formel . . . . . . . . . . . . 4.4 Das Boolesche Modell mit konvexen Körnern . . . . . . . . 5 Dichten innerer Volumina 5.1 Geometrische Dichten von Partikelprozessen . . 5.2 Geometrische Dichten von Keim-Korn-Modellen 5.3 Integralgeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Geometrische Dichten des Booleschen Modells . 5.5 Ebenenprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einführung 1 Einführung 1.1 Zufällige geometrische Strukturen 1. Zufällige abgeschlossene Mengen 2. Systeme konvexer Partikel und deren Vereinigung (Keim-Korn-Modell). Die Keime bilden einen Punktprozess. 3. Systeme von Hyperebenen 4. Mosaike: Unterteilung des Raumes in paarweise “disjunkte” konvexe Gebiete. Beispiele sind Voronoi- und Hyperebenenmosaike. 5. Exkursionsmengen reellwertiger zufälliger Felder (Xt )t∈I , I ⊂ Rd : Z := {t ∈ I : Xt ≥ c}, c ∈ R. 1.2 Fragestellungen Sei Z eine Vereinigung von Partikeln oder von Teilen (z.B. Kanten) von Partikeln o.Ä. Gegeben seien (geometrische) reelle Funktionale f1 , . . . , fm (z.B. Volumen, Oberfläche, EulerCharakteristik, etc.). 1. Gilt lim Vd (W )−1 fi (Z ∩ W ) = f¯i P-f.s.? W ↑Rd 2. Gilt lim Vd (W )−1 Cov(fi (Z ∩ W ), fj (Z ∩ W )) = σij ? Wie sehen die σij in AbhänW ↑Rd gigkeit von den Eingangsparametern aus? Gilt der multivariate Zentrale Grenzwertsatz? 3. Perkoliert Z, d.h., gibt es eine unbeschränkte Zusammenhangskomponente von Z? Diese Frage ist Gegenstand der Perkolationstheorie. 4. Wie sehen die Wahrscheinlichkeiten P(x1 ∈ Z, . . . , xk ∈ Z) für x1 , . . . , xk ∈ Rd aus? Das sind die sogenannten k-Punkt-Korrelationsfunktionen. 5. Es sei X ein zufälliger Punkt in Rd \Z. Was ist die Verteilung von d(X, Z)? Diese Frage führt auf den Begriff der Kontaktverteilungen. 4 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell In diesem Abschnitt geben wir eine informelle Einführung in Begriffe und Argumente im Kontext von markierten Punktprozessen und daraus abegeleiteten Keim-Korn-Modellen. 2.1 Grundlegende Definitionen Es sei (Ω, A, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Wir verwenden folgende Notationen: Fd Cd Kd Od System der abgeschlossenen Teilmengen des Rd , System der kompakten Teilmengen des Rd , System der konvexen und kompakten Teilmengen des Rd , System der offenen Teilmengen des Rd . Hierbei heißt eine Teilmenge A ⊂ Rd konvex, wenn für alle x, y ∈ A und alle t ∈ [0, 1] stets auch (1 − t)x + ty ∈ A gilt. Offenbar ist dann Kd ⊂ C d ⊂ F d . Auf diesen Mengensystemen, auf dem Raum der lokalendlichen Maße sowie auf dem Raum der Zählmaße werden in Kapitel 3 jeweils σ-Algebren eingeführt. Beispielsweise ist zu der dort angegebenen Definition die folgende äquivalent. 2.1.1 Definition. Auf F d betrachte man die kleinste σ-Algebra, die alle Mengen der Form FC := {F ∈ F d : F ∩ C 6= ∅}, C ∈ C d , enthält. Eine zufällige abgeschlossene Menge ist ein zufälliges Element Z von F d , d.h., eine messbare Abbildung Z : Ω → F d , ω 7→ Z(ω). In diesem Abschnitt werden Messbarkeitsfragen weitgehend ausgespart. Wir halten lediglich fest, dass ein zufälliger Punkt im Rd eine messbare Abbildung ξ : Ω → Rd ist. Eine zufällige kompakte Menge im Rd (d.h. ein zufälliges Element von C d ist eine messbare Abbildung Z : Ω → C d . Hierbei bezieht sich Messbarkeit auf die σ-Algebra A auf Ω beziehungsweise auf die Spur-σ-Algebra auf C d der auf F d eingeführten σ-Algebra (vgl. Abschnitt 3.1). Wir bezeichnen mit A + B := {x + y : x ∈ A, y ∈ B} die Minkowski-Summe der Mengen A, B ⊂ Rd . Für A ⊂ Rd und x ∈ Rd sei A + x := A + {x}. Ferner wird die Spiegelung A∗ := −A = {−x : x ∈ A} von A ⊂ Rd am Ursprung erklärt. 2.1.2 Definition. Sei ξn für n ∈ N ein zufälliger Punkte im Rd , Zn für n ∈ N ein zufälliges Elemente in C d und τ eine (N0 ∪ {∞})-wertige Zufallsgröße. Es gelte card{n ∈ N : ξn ∈ C, n ≤ τ } < ∞ P-f.s. für alle C ∈ C d . Ferner gelte P-f.s., dass ξm 6= ξn für m < n ≤ τ . Dann nennt man Ψ = {(ξn , Zn ) : 1 ≤ n ≤ τ } in Rd × C d einen markierten Punktprozess auf Rd mit Markenraum C d . Das zugehörige KeimKorn-Modell ist τ [ Z := (Zn + ξn ). (2.1.1) n=1 5 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell Hierbei heißt ξn Keim, Zn Primärkorn und Zn + ξn := {x + ξn : x ∈ Zn } Sekundärkorn. Außerdem nennt man Φ := {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } einen Punktprozess auf Rd . Die Zufallszahl τ ist die Anzahl der (markierten) Punkte von Ψ und auch die Anzahl der Punkte von Φ. Die vorangehende Definition ist vorläufig und wird später in modifizierter und präzisierter Form angegeben. Zum einen fehlt die genaue Angabe von σ-Algebren, auf die sich Messbarkeitsaussagen beziehen. Ferner ist die Beschreibung eines (markierten) Punktprozesses als Menge nicht immer günstig. Die später angestrebte Beschreibung eines Punktprozesses als ein (zufälliges) Zählmaß kann auch Vielfachheiten zulassen. 2.1.3 Definition und Satz (Campbellsche Formel). Ist Ψ = {(ξn , Zn ) : 1 ≤ n ≤ τ } ein markierter Punktprozess mit Markenraum C d (andere Räume sind ebenfalls möglich), so heißt das durch A ⊂ Rd × C d messbar, Θ(A) := E[card{n ∈ N : (ξn , Zn ) ∈ A, n ≤ τ }], definierte Maß auf Rd × C d das Intensitätsmaß von Ψ. Ist f : Rd × C d → [0, ∞] messbar, so gilt " τ # Z X E f (ξn , Zn ) = f (x, C) Θ(d(x, C)). (2.1.2) Rd ×C d n=1 Beweis. Dass Θ in der Tat ein Maß ist, ist leicht zu sehen (auch aus nachfolgender Darstellung) und verwendet den Satz von der monotonen Konvergenz (oder den Umordnungssatz für Doppelreihen mit nichtnegativen Summanden). Der Beweis der behaupteten Gleichheit für beliebige messbare Funktionen f wird mit algebraischer Induktion geführt. R (i) Sei f = 1A für eine messbare Menge A ⊂ Rd × C d . Dann gilt Rd ×C d f dΘ = Θ(A). Nach Definition von Θ ist das gleich dem Erwartungswert auf der linken Seite von Gleichung (2.1.2). P (ii) Nun sei f = ki=1 ci 1Ai für ci ≥ 0 und messbare Mengen Ai ⊂ Rd × C d , i = 1, . . . , k. Dann ergibt sich mit (i) einerseits Z k X Z f dΘ = Rd ×C d Rd ×C d i=1 ci 1Ai dΘ = k X i=1 Z ci Rd ×C d 1Ai dΘ = k X ci Θ(Ai ). i=1 Andererseits erhält man für die linke Seite von (2.1.2) # " τ # " τ # " τ k k X XX X X E f (ξn , Zn ) = E ci 1Ai (ξn , Zn ) = ci E 1Ai (ξn , Zn ) n=1 n=1 i=1 = k X i=1 ci Θ(Ai ). i=1 Zusammen ergibt dies die Behauptung im betrachteten Fall. 6 n=1 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell (iii) Für eine beliebige Funktion f findet man eine Folge von Funktionen fn , die die in (ii) vorausgesetzte Form besitzen und für die außerdem fn ↑ f für n → ∞ gilt. Mit dem Satz von der monotonen Konvergenz und dem in (ii) Gezeigten folgt die Behauptung. Wir betrachten nun markierte Punktprozesse, bei denen die Marken unabhängig und gleichverteilt sind sowie unabhängig von den Keimen. Ganz analog zur Definition des Intensitätsmaßes eines markierten Punktprozesses erklären wir das Intensitätsmaß eines Punktprozesses Φ = {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } (Notation wie zuvor) durch " τ # X Λ(B) := E [card{n ≥ 1 : ξn ∈ B, n ≤ τ }] = E 1{ξn ∈ B} , n=1 d wobei B ⊂ R messbar sei. Alternativ lässt sich auch Λ(B) = E [card(Φ ∩ B)] schreiben, da Φ einfach ist und bislang als Menge erklärt wurde. 2.1.4 Definition. Es sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf C d . Ein markierter Punktprozess Ψ wie in Definition 2.1.2 heißt unabhängige Q-Markierung von Φ := {ξn : 1 ≤ n ≤ τ }, falls für alle m ∈ N ∪ {∞} unter dem bedingten Wahrscheinlichkeitsmaß P(· | τ = m) die beiden folgenden Aussagen gelten: • Die (endliche oder unendliche) Folge zufälliger Mengen Zn , 1 ≤ n ≤ m, ist von Φ unabhängig. • Die zufälligen Mengen Zn , 1 ≤ n ≤ m sind unabhängig und haben die Verteilung Q. u.i.v. Im Fall P(τ = ∞) = 1 sind Φ und (Zn )n≥1 unabhängig und es gilt Zn ∼ Q für n ∈ N. Man kann zeigen, dass die Verteilung einer Q-Markierung unabhängig von der gewählten Nummerierung der Punkte von Φ ist. 2.1.5 Satz. Ist Ψ eine unabhängige Q-Markierung von Φ := {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } und hat Φ ein σ-endliches Intensitätsmaß Λ, so hat Ψ das Intensitätsmaß Λ ⊗ Q. Beweis. Wir setzen N̄ := N ∪ {∞}. Sei f : Rd × C d → [0, ∞] eine messbare Funktion. Dann gilt aufgrund von Satz 2.1.3, nach Aufspaltung entsprechend der möglichen Werte von τ und aufgrund der (nur teilweise genutzten) Voraussetzung der unabhängigen Markierung, dass " τ # Z X f dΘ = E f (ξn , Zn ) Rd ×C d n=1 " =E N XX # f (ξn , Zn )1{τ = N } N ∈N̄ n=1 = N XX E [f (ξn , Zn )1{τ = N }] N ∈N̄ n=1 7 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell = N XX E [g(ξn )1{τ = N }] , N ∈N̄ n=1 wobei Z g(x) = f (x, K) Q(dK). Cd Damit folgt dann weiter " Z f dΘ = E Rd ×C d τ X # g(ξn ) n=1 Z = g(x) Λ(dx) Rd Z Z f (x, K) Q(dK) Λ(dx) = Rd Cd Z f d(Λ ⊗ Q), = Rd ×C d wobei erneut Satz 2.1.3 sowie der Satz von Fubini verwendet wurde. Für f = 1A erhält man Θ(A) = (Λ ⊗ Q)(A). Man überlegt sich leicht, dass die Vereinigung abzählbar vieler kompakter Mengen nicht abgeschlossen zu sein braucht. Dies kann auch bei Bildung der Vereinigungsmenge einer unabhängigen Q-Markierung geschehen, wie wir in den Übungen sehen werden. Der folgende Satz enthält daher die Zusatzbedingung (2.1.3). 2.1.6 Satz. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung von Φ und Z das zugehörige Keim-KornModell (2.1.1). Sei Λ das Intensitätsmaß von Φ. Gilt Z Λ(K ∗ + C) Q(dK) < ∞, C ∈ C d , (2.1.3) Cd so ist Z eine zufällige abgeschlossene Menge. Beweis. Ist Q({∅}) = 1, so ist Z = ∅ P-f.s. Wenn dagegen Q({∅}) < 1 gilt, dann folgt aus (2.1.3), dass Λ ein σ-endlices Maß ist, wie wir in den Übungen sehen werden. Streng genommen beweisen wir, dass es ein A ∈ A mit P(A) = 1 gibt, sodass ( Z(ω), falls ω ∈ A, ω 7→ Z̃(ω) := ∅, sonst, eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Dazu seien Cm ∈ C d mit Cm ↑ Rd und Cm ⊂ int Cm+1 , m ∈ N. Setze Am := {card{1 ≤ n ≤ τ : (Zn + ξn ) ∩ Cm 6= ∅} < ∞} 8 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell und A := T∞ m=1 Am . Wir zeigen E[card{1 ≤ n ≤ τ : (Zn + ξn ) ∩ Cm 6= ∅}] < ∞, m ∈ N. (2.1.4) Dann folgt P(Am ) = 1, m ∈ N, und damit auch P(A) = 1. Die linke Seite von (2.1.4) ist wegen der Sätze 2.1.3 und 2.1.5 gleich " τ # Z Z X E 1{(Zn + ξn ) ∩ Cm 6= ∅} = 1{(K + x) ∩ Cm 6= ∅} Λ(dx) Q(dK). Cd n=1 Rd Wegen (K + x) ∩ Cm 6= ∅ ⇔ x ∈ Cm + K ∗ folgt die Endlichkeit aus Voraussetzung (2.1.3). Wir zeigen jetzt, dass Z(ω) für ω ∈ A abgeschlossen ist: Für xk ∈ Z(ω), k ∈ N, und xk → x ∈ Rd müssen wir dazu x ∈ Z(ω) zeigen. Es gibt ein m ∈ N, sodass xk ∈ Cm für alle k ∈ N. Wegen ω ∈ Am gibt es ein n0 = n0 (ω) ∈ N, sodass n0 ∧τ (ω) [ (Zn (ω) + ξn (ω)) ⊂ Z(ω), k ∈ N. xk ∈ Cm ∩ Z(ω) ⊂ ∩ n=1 Weil die endliche Vereinigung n0 ∧τ (ω) [ (Zn (ω) + ξn (ω)) n=1 abgeschlossen ist, folgt x ∈ Z(ω). Zum Nachweis der Messbarkeit genügt es, {Z̃(ω) ∩ C 6= ∅} = {Z̃ ∈ FC } ∈ A für C ∈ C d zu zeigen. Für C ∈ C d \ {∅} gilt {Z̃ ∩ C 6= ∅} = A ∩ {Z ∩ C 6= ∅} =A∩ τ [ {(Zn + ξn ) ∩ C 6= ∅} n=1 =A∩ [ k∈N̄ {τ = k} ∩ | {z } ∈A k [ n=1 {(Zn + ξn ) ∩ C 6= ∅} | {z } ∈ A. ∈A Hier wurde verwendet, dass Zn + ξn eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Dies werden wir in Kapitel 3 nachweisen. 2.1.7 Bemerkung. Es sei Λ ein σ-endliches Maß auf Rd . Man kann zeigen, dass die Abbildung K 7→ Λ(C +K) für jedes C ∈ C d eine messbare Abbildung ist (vgl. Kap. 3). Genauer gilt, dass K 7→ C + K stetig und K 7→ Λ(K) oberhalbstetig bzgl. der Hausdorffmetrik ist. Letzteres bedeutet, dass aus Kn → K stets lim sup Λ(Kn ) ≤ Λ(K) folgt. 9 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.2 Stationäre Keim-Korn-Modelle Häufig begegnet man der Annahme, dass die Verteilung eines markierten Punktprozesses oder einer zufälligen abgeschlossenen Menge invariant unter Translation um einen festen Verschiebungsvektor ist. Man nennt diese Eigenschaft dann Stationarität. Wir geben wieder eine vorläufige Definition. 2.2.1 Definition. (i) Ein markierter Punktprozess Ψ = {(ξn , Zn ) : 1 ≤ n ≤ τ } heißt stationär, falls d {(ξn + x, Zn ) : 1 ≤ n ≤ τ } = {(ξn , Zn ) : 1 ≤ n ≤ τ }, x ∈ Rd , gilt. Insbesondere heißt Φ = {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } stationär, falls d {ξn + x : 1 ≤ n ≤ τ } = {ξn : 1 ≤ n ≤ τ }, x ∈ Rd . (ii) Eine zufällige abgeschlossene Menge Z heißt stationär, wenn d Z + x = Z, x ∈ Rd . 2.2.2 Satz. Ist Φ = {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } ein stationärer Punktprozess, so gilt P(τ ∈ {0, ∞}) = 1. Beweis. Übung. Idee: Wir nehmen P(0 < τ < ∞) = 1 an, da diese Situation durch Bedingen immer erreicht werden kann. Dann hat das lexikographische Minimum von {ξn : n ≤ τ } eine verschiebungsinvariante Verteilung. Widerspruch! 2.2.3 Vereinbarung. Ist Φ = {ξn : 1 ≤ n ≤ τ } ein stationärer Punktprozess, so setzen wir P(τ = 0) = 0 voraus. Damit ist P(τ = ∞) = 1. Wir schreiben Φ = {ξn : n ≥ 1}. 2.2.4 Satz. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung eines Punktprozesses Φ = {ξn : n ≥ 1}. Genau dann ist Φ stationär, wenn Ψ stationär ist. Beweis. Die Äquivalenz folgt aus der Beschreibung ZZ P (Ψ ∈ ·) = 1 {ψ ∈ ·} K ∗ (ϕ, dψ) PΦ (dϕ), wobei für ϕ= m X δxi i=1 ∗ Pm K (ϕ, ·) die Verteilung des Punktprozesses i=1 δ(xi ,Yi ) sei mit zufälligen kompakten Mengen Y1 , Y2 , . . ., die unabhängig und nach Q verteilt sind. Der Kern K ∗ ist hierbei verschiebungsinvariant, genauer erfüllt K ∗ die Bedingung Z ∗ K (ϕ + x, ·) = 1{ψ + x ∈ ·} K ∗ (ϕ, dψ) für ein beliebiges x ∈ Rd . 10 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.2.5 Satz. Ist Ψ ein stationärer markierter Punktprozess mit Intensitätsmaß Θ und γ := E[card{n ≥ 1 : ξn ∈ [0, 1]d }] < ∞, (2.2.1) dann gibt es ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C d mit Θ = γλd ⊗ Q, wobei λd das ddimensionale Lebesgue-Maß bezeichnet. Beweis. Für jedes messbare H ⊂ C d betrachte man ΛH (B) := E[card{n ≥ 1 : ξn ∈ B, Zn ∈ H}], B ∈ Bd . (2.2.2) Dann ist ΛH ([0, 1]d ) ≤ γ < ∞. Das Maß ΛH ist verschiebungsinvariant, das heißt ΛH (B + x) = E[card{n ≥ 1 : ξn − x ∈ B, Zn ∈ H}] Ψ stationär = E[card{n ≥ 1 : ξn ∈ B, Zn ∈ H}] = ΛH (B). Mit einem Resultat der Maßtheorie folgt also ΛH (B) = Q0 (H)λd (B), B ∈ Bd , (2.2.3) für ein Q0 (H) ∈ [0, ∞). Mit B = [0, 1]d erhalten wir Q0 (H) = E[card{n ≥ 1 : ξn ∈ [0, 1]d , Zn ∈ H}]. Damit ist Q0 ein Maß auf C d . Nach Voraussetzung ist Q0 (C d ) = γ < ∞. Wegen (2.2.2) und (2.2.3) ist Θ(B × H) = Q0 (H)λd (B), d.h. Θ = λd ⊗ Q0 . Wegen Vereinbarung 2.2.3 gilt γ > 0 (Ansonsten wäre Q0 ≡ 0, d.h. Θ ≡ 0). Mit Q := γ −1 Q0 folgt die Behauptung. 2.2.6 Definition. Die Zahl γ heißt Intensität von Ψ bzw. Φ und Q heißt (Palmsche) Markenverteilung. 2.2.7 Bemerkung. Für einen stationären Punktprozess Φ = {ξn : n ≥ 1} gilt E[card{n ≥ 1 : ξn ∈ B}] = γλd (B). 2.2.8 Satz. Es sei Ψ = {(ξn , Zn ) : n ≥ 1} ein stationärer markierter Punktprozess mit endlicher Intensität γ und einer Markenverteilung Q, welche Z λd (K + C) Q(dK) < ∞, C ∈ C d , (2.2.4) Cd erfüllt. Dann ist das zugehörige Keim-Korn-Modell Z = fällige abgeschlossene Menge. S∞ n=1 (Zn + ξn ) eine stationäre zu- Beweis. Dass Z eine zufällige abgeschlossene Menge ist, folgt mit dem Beweis von Satz 2.1.6. Man beachte dabei Λ = γλd und λd (K ∗ + C) = λd (K + C ∗ ). Die Stationarität folgt aus ∞ ∞ [ [ d Z +x= (Zn + (ξn + x)) = (Zn + ξn ) = Z. n=1 n=1 11 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.2.9 Bemerkung. Gilt (2.2.4) für eine Kugel C mit positivem Radius, so gilt (2.2.4) für alle C ∈ C d . Zu einer Kugel B und gegebenem C wählt man Vektoren xi ∈ Rd , i = 1, . . . , m, m sodass C ⊂ ∪m i=1 (B + xi ). Dann ist K + C ⊂ ∪i=1 (K + B + xi ) und die Behauptung folgt mit der Subadditivität des Lebesguemaßes. Man kann zeigen, dass die Abbildung F d ×Rd → R, (F, x) 7→ 1F (x) messbar ist. Ist Z eine zufällige abgeschlossene R Menge, so ist also (ω, x) 7→ 1Z(ω)d(x) ebenfalls messbar. Damit ist d ω 7→ λ (B ∩ Z(ω)) = Rd 1B (x)1Z(ω) (x) dx messbar, d.h. λ (Z ∩ B) ist eine Zufallsvariable. 2.2.10 Definition. Ist Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge, so heißt pZ := p := E[λd (Z ∩ [0, 1]d )] Volumenanteil von Z. 2.2.11 Satz. Es sei Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge mit Volumenanteil p. Dann gelten E[λd (Z ∩ B)] = pλd (B), B ∈ B d , (2.2.5) und p = P(x ∈ Z), x ∈ Rd . (2.2.6) Beweis. Wegen der Stationarität gilt p(x) := P(x ∈ Z) = P(0 ∈ Z) = p(0). Aus dem Satz von Fubini folgt Z d E[λ (Z ∩ B)] = E Rd Z = Rd Z = Rd Z = Rd Z = Rd 1Z (x)1B (x) dx E[1Z (x)1B (x)] dx 1B (x)E[1Z (x)] dx 1B (x)P(x ∈ Z) dx 1B (x)p(0) dx Z = p(0) Rd 1B (x) dx = p(0)λd (B). Mit B = [0, 1]d folgt p = p(0) = p(x) und damit die Behauptungen. 12 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.3 Das Boolesche Modell 2.3.1 Definition. Ein Punktprozess Φ = {ξn : n ≥ 1} auf Rd heißt homogener (stationärer) Poissonprozess mit Intensität γ > 0, falls gilt: (i) Für m ≥ 2 und paarweise disjunkte Borelmengen B1 , . . . , Bm ∈ B d sind die Zufallsvariablen Φ(B1 ), . . . , Φ(Bm ) stochastisch unabhängig. (ii) γ k (λd (B))k −γλd (B) e , P(Φ(B) = k) = k! B ∈ Bd , k ∈ N0 . Dabei ist ∞ · e−∞ := 0 und es bezeichne Φ(B) := card{n ≥ 1 : ξn ∈ B}. Der leere Punktprozess Φ = ∅ hat die beiden Eigenschaften (i) und (ii) aus Definition 2.3.1 mit γ = 0. Auch er heißt homogener Poissonprozess mit Intensität γ = 0. 2.3.2 Bemerkung. Es sei Φ ein homogener Poissonprozess mit Intensität γ ≥ 0. (i) Es gilt E[Φ(B)] = γλd (B), B ∈ B d . (ii) Im Fall γλd (B) = ∞ gilt P(Φ(B) < ∞) = 0, d.h. P(Φ(B) = ∞) = 1. Man schreibt Φ(B) ∼ Poiss(γλd (B)) bzw. Φ ∼ Poiss(γλd ). 2.3.3 Definition. Es sei Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf C d mit Z λd (K + C) Q(dK) < ∞, C ∈ C d . (2.3.1) Cd Ferner sei Ψ = {(ξn , Zn ) : n ∈ N} eine unabhängige Q-Markierung eines homogenen Poissonprozesses Φ = {ξn : n ∈ N} mit Intensität γ > 0. Dann heißt das zugehörige Keim-KornModell Z= ∞ [ (Zn + ξn ) n=1 homogenes Boolesches Modell (mit Parametern Q und γ). Man bezeichnet γ auch als Keimintensität des homogenen Booleschen Modells. Den Zusatz “homogen” lassen wir gelegentlich weg, wenn die Voraussetzung der Homogenität des zugrunde liegenden Poissonprozesses aus dem Zusammenhang klar ist. Allgemeinere (inhomogene) Boolesche Modelle werden wir später einführen. 2.3.4 Bemerkung. Im obigen Rahmen ist es bequem, eine zufällige abgeschlossene (sogar kompakte) Menge Z0 ∼ Q einzuführen. Man nennt Z0 typisches Korn. Bedingung (2.3.1) lässt sich dann schreiben als E[λd (Z0 + C)] < ∞, C ∈ C d. (2.3.2) Allgemeiner kann das typische Korn auch im Rahmen von Satz 2.2.5 eingeführt werden. 13 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.3.5 Satz. Ein homogenes Boolesches Modell ist stationär. Beweis. Man zeigt leicht, dass Φ ∼ Poiss(γλd ) stationär ist. Hierzu überlegt man sich, dass auch Φ + x (für ein beliebiges x ∈ Rd ) ein homogener Poissonprozess mit Intensität γ ist. Wegen Satz 2.2.4 ist Ψ ebenfalls stationär und die Behauptung folgt aus Satz 2.2.8. 2.3.6 Satz. Der Volumenanteil p eines Booleschen Modells mit Keimintensität γ und typischem Korn Z0 beträgt d p = 1 − e−γE[λ (Z0 )] . (2.3.3) Beweis. Nach Satz 2.2.11 gilt p = P(0 ∈ Z). Es sei Φ0 := {ξn : 0 ∈ Zn + ξn }. Dann ist Φ0 eine sogenannte Verdünnung von Φ. Für jedes x ∈ Φ wird mit Wahrscheinlichkeit q(x) := P(0 ∈ Z0 + x) entschieden, ob es zu Φ0 gehört oder nicht. REin Ergebnis aus Abschnitt 3.3 zeigt, dass die Anzahl der Punkte von Φ0 mit dem Parameter γ Rd q(x) dx (dies entspricht der erwarteten Anzahl der Punkte von Φ0 ) poissonverteilt ist. Insbesondere folgt Z 0 q(x) dx . 1 − p = P(0 6∈ Z) = P(Φ = ∅) = exp −γ Rd Die Behauptung folgt nun aus Z Z Z q(x) dx = P(0 ∈ Z0 + x) dx = E Rd Rd Rd 1{0 ∈ Z0 + x} dx = Eλd (−Z0 ) = Eλd (Z0 ). Alternativ kann man wie folgt argumentieren. Sei Ψ eine unabhängige Q-Markierung des stationären Poissonprozesses Φ in Rd × C d . Wir werden später zeigen, dass Ψ ein Poissonprozess in Rd × C d ist mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q (vgl. die Sätze 2.1.5 und 2.2.4). Dann ist {Zn + ξn : n ≥ 1} ein stationärer Poissonprozess in C d mit Intensitätsmaß Z Z γ 1{C + x ∈ ·} λd (dx) Q(dC). Rd Cd Es folgt 1 − p = P(0 ∈ / Z) = P(card{n ≥ 1 : 0 ∈ Zn + ξn } = 0) ZZ d = exp −γ 1{0 ∈ C + x} λ (dx) Q(dC) = exp −γEλd (Z0 ) . Notation: B(x, r) := {y ∈ Rd : ky − xk ≤ r}, B d := B(0, 1), κd := λd (B d ). 2.3.7 Satz. Es seien Φ = {ξn : n ≥ 1} ∼ Poiss(γλd ) und R, R1 , R2 , . . . eine von Φ unabhängige Folge unabhängiger, nicht-negativer Zufallsvariablen mit derselben Verteilung. Sei Z= ∞ [ B(ξn , Rn ). n=1 Dann gilt P(Z = Rd ) = 1 genau dann, wenn E[Rd ] = ∞. 14 2 Keim-Korn-Modelle und das Boolesche Modell 2.3.8 Bemerkung. Mit den Überlegungen in Abschnitt 3 folgt, dass Z0 = B(0, R) eine P-f.s. kompakte zufällige abgeschlossene Menge ist. Bedingung (2.3.2) ist zu E[Rd ] < ∞ äquivalent. Beweis von Satz 2.3.7. Wir können formal nicht davon ausgehen, dass Z eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Gleichwohl zeigt der Beweis von Satz 2.2.11, dass E[λd (Z ∩ B)] = P(0 ∈ Z) λd (B), | {z } B ∈ Bd . (2.3.4) =:p Die Messbarkeit von (x, ω) 7→ 1{x ∈ Z(ω)} folgt aus ( ) [ 1 x ∈ (Zn + ξn ) = max 1{x ∈ Zn + ξn }, n≥1 n≥1 wobei Zn + ξn für n ∈ N eine zufällige abgeschlossene Menge ist. Aus dem Beweis von Satz 2.3.6 folgt p = 1 − e−γE[λ d (Z 0 )] d = 1 − e−γκd E[R ] . (2.3.5) Gilt P(Z = Rd ) = 1, so folgt p = P(0 ∈ Z) = 1, also E[Rd ] = ∞. Umgekehrt folgt aus E[Rd ] = ∞ für beschränktes B ∈ B d , dass λd (Z ∩ B) = λd (B) P-f.s. Zunächst besitzen die Zufallsvariablen auf beiden Seiten dieser Gleichung wegen (2.3.5) und (2.3.4) den gleichen Erwartungswert. Mit λd (Z ∩ B) ≤ λd (B) folgt die Gleichheit auch P-f.s., d.h. λd (B \ Z) = 0 P-f.s. Da es eine Folge (Bn ) in B d gibt mit Bn ↑ Rd , folgt λd (Rd \ Z) = 0. Das bleibt richtig, falls Z durch Zε := ∞ [ B(ξn , (Rn − ε)+ ) n=1 ersetzt wird. Hierbei ist ε > 0 fest gewählt. Beachte hierzu, dass E[(R − ε)d+ ] = ∞. Also gilt für [ Zε0 := B(ξn , Rn − ε) n : Rn >ε immer noch λd (Rd \ Zε0 ) = 0 P-f.s. Außerdem ist Zε0 + εB d ⊂ Z P-f.s. Angenommen, es gäbe ein x ∈ Rd \ (Zε0 + εB d ), d.h. x ∈ / Zε0 + εB d , so ist der Abstand 0 0 d 0 d(x, Zε ) ≥ ε, womit die offene Kugel B (x, ε) in R \ Zε liegt. Dann ist aber λd (Rd \ Zε0 ) 6= 0. Somit kann Zε0 + εB d 6= Rd nur auf einer P-Nullmenge gelten, das heißt, es folgt Zε0 + εB d = Rd P-f.s. und damit auch die Behauptung. 15 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse In diesem Kapitel geben wir eine prägnante Einführung in die Theorie der zufälligen abgeschlossenen Mengen und Punktprozesse, so wie sie in dieser Vorlesung benötigt wird. Weitere Details finden sich zum Beispiel im Skript der Vorlesung “Räumliche Stochastik”. 3.1 Zufällige abgeschlossene Mengen Wir betrachten Teilmengen des Rd . Für A ⊂ Rd erklären wir F A := {F ∈ F d : F ∩ A = ∅} FA := {F ∈ F d : F ∩ A 6= ∅}. und 3.1.1 Definition. Die Fell-Topologie τ d auf F d ist die kleinste Topologie, welche die Systeme {F C : C ∈ C d } und {FG : G ∈ Od } enthält. Die zugehörige Borelsche σ-Algebra wird mit B(F d ) bezeichnet. 3.1.2 Satz. Der topologische Raum (F d , τ d ) ist ein kompakter Hausdorffraum mit abzählbarer Basis und damit insbesondere metrisierbar. 3.1.3 Bemerkung. (i) Das System {F C ∩ FG1 ∩ . . . ∩ FGk : C ∈ C d , G1 , . . . , Gk ∈ Od , k ∈ N0 } 0 0 ist durchschnittsstabil (F C ∩ F C = F C∪C ) und bildet eine Basis der Fell-Topologie, d.h. jede offene Menge ist Vereinigung von Elementen der Basis. (ii) Das System {F C : C ∈ C d } ist eine Umgebungsbasis von ∅, d.h. für alle H ∈ τ d mit ∅ ∈ H existiert ein C ∈ C d mit F C ⊂ H. (iii) Für C ∈ C d ist FC als abgeschlossene Teilmenge des kompakten Raumes F d wiederum kompakt. (iv) Ist L ⊂ F d \ {∅} kompakt, so ist F d \ L offen, ∅ ∈ F d \ L, und es gibt nach (i) ein C ∈ C d mit F C ⊂ F d \ L, d.h. L ⊂ FC . 3.1.4 Satz. Für F, F1 , F2 , . . . ∈ F d sind äquivalent: (i) Fn → F bezüglich τ d . (ii) a) Für jedes x ∈ F existiert eine Folge (xn ) mit xn → x und xn ∈ Fn für fast alle n ∈ N. b) Sind I ⊂ N eine unendliche Teilmenge (d.h. card I = ∞) und xn ∈ Fn für n ∈ I mit limn→∞ xn = x ∈ Rd , so gilt x ∈ F . 16 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Beweis. Es gelte (i). Wie zeigen zunächst (ii) a). Sei dazu x ∈ F . Setze 1 1 d 0 := y ∈ R : ||y − x|| < , n ∈ N. Gn = B x, n n Wegen Gn ∩ F 6= ∅ gilt F ∈ FGn ∈ τ d . Also gibt es ein kn ∈ N mit Fk ∩ Gn 6= ∅ für k ≥ kn und n ∈ N. O.B.d.A. gelte k1 < k2 < . . . Wähle xp ∈ Fp ∩ Gn , p = kn , . . . , kn+1 − 1, n ∈ N. Dann konvergiert (xp )p≥k1 gegen x ∈ F . Nun wollen wir (ii) b) zeigen. Dazu sei xn ∈ Fn für n ∈ I ⊂ N. Angenommen, xn → x ∈ / F. (3.1.1) Wähle C ∈ C d mit x ∈ int C und C ∩ F = ∅, d.h. F ∈ F C ∈ τ d . Damit ist Fn ∩ C = ∅ für fast alle n ∈ N. Wegen (3.1.1) ist xn ∈ C ∩ Fn , wenn n hinreichend groß ist, ein Widerspruch. Nun gelte (ii). • Es gelte F ∈ FG für G ∈ Od . Wir zeigen, dass Fn ∈ FG für fast alle n ∈ N gilt. Wähle dazu x ∈ F ∩ G. Wegen (ii) a) gibt es xn ∈ Fn , n ∈ N, mit xn → x. Aus x ∈ G folgt dann xn ∈ G für fast alle n ∈ N, d.h. Fn ∩ G 6= ∅ für fast alle n ∈ N. Daraus folgt Fn ∈ FG für fast alle n ∈ N. • Es gelte F ∈ F C für ein C ∈ C d . Wir zeigen Fn ∈ F C für fast alle n ∈ N. Angenommen, Fn ∈ / F C für n ∈ I mit einer Teilfolge I ⊂ N. Wähle dann xn ∈ Fn ∩ C 6= ∅ für n ∈ I. Da C kompakt ist, existiert eine unendliche Teilmenge J ⊂ I mit xn → x für n → ∞ und n ∈ J. Dann ist aber x ∈ C, da C abgeschlossen ist, und es ist x ∈ F wegen (ii) b), im Widerspruch zu F ∩ C = ∅. Die Kombination dieser beiden Teilpunkte ergibt (i). 3.1.5 Bemerkung. Sowohl {F C : C ∈ C d } als auch {FG : G ∈ Od } erzeugen B(F d ). Zu G ∈ Od gibt es eine Folge C d 3 Cn ↑ G ∈ Od , und daher folgt FG = ∞ [ FCn = ∞ [ F d \ F Cn . n=1 n=1 Zu C ∈ C d gibt es eine Folge relativ kompakter Mengen Od 3 Gn ↓ C ∈ C d , und daher folgt C F = ∞ [ F d \ FGn . n=1 3.1.6 Bemerkung. Es gilt C d ∈ B(F d ). Für Cn := B(0, n) gilt nämlich d C = ∞ [ n=1 F Rd \Cn = ∞ [ F d \ FRd \Cn ∈ B(F d ). n=1 17 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.1.7 Beispiel. (i) Wenn xn → x in Rd und rn → r in R+ , dann folgt B(xn , rn ) → B(x, r). (ii) Aus ||xn || → ∞ folgt {xn } → ∅. 3.1.8 Satz. Die Abbildung F d × F d → F d , (F, F 0 ) 7→ F ∪ F 0 ist stetig. Beweis. Es gelte Fn → F und Fn0 → F 0 . Wir zeigen mit Satz 3.1.4, dass Fn ∪ Fn0 → F ∪ F 0 gilt: a) Es sei x ∈ F ∪ F 0 . O.B.d.A. sei x ∈ F . Dann gibt es für fast alle n ∈ N ein xn ∈ Fn ⊂ Fn ∪ Fn0 , so dass xn → x. b) Ist I ⊂ N eine unendliche Teilmenge mit xn ∈ Fn ∪ Fn0 , xn → x ∈ Rd für n ∈ I, so gibt es eine unendliche Teilmenge J ⊂ I mit (o.B.d.A.) xn ∈ Fn , n ∈ J, d.h. x ∈ F ⊂ F ∪ F 0. 3.1.9 Satz. (i) Die Abbildung F d → F d , F 7→ −F = F ∗ ist stetig. (ii) Die Abbildung R × F d → F d , (α, F ) 7→ αF ist stetig auf (R \ {0}) × F d . Beweis. Übung. Dort wird auch gezeigt, dass die zweite Aussage auf R × F d nicht richtig ist. 3.1.10 Beispiel. Die Abbildung F d × F d → F d , (F, F 0 ) 7→ F ∩ F 0 ist nicht stetig. Dies sieht man folgendermaßen: Seien xn ∈ Rd , n ∈ N, mit xn → x, xn 6= x. Dann gilt {xn } → {x}, aber mit Fn := {xn } und F := {x} konvergiert ∅ = Fn ∩ F nicht gegen F ∩ F = {x}. 3.1.11 Satz. (i) Die Abbildung F d × F d → F d , (F, F 0 ) 7→ F ∩ F 0 ist messbar. (ii) Die Abbildungen F d → F d , F 7→ cl(Rd \ F ) und F d → F d , F 7→ ∂F sind messbar. (iii) Die Abbildung F d × F d → F d , (F, F 0 ) 7→ cl(F + F 0 ) ist messbar. (iv) Die Abbildung Rd × F d → R, (x, F ) 7→ 1F (x) ist messbar. Beweis. Wir zeigen (i) und (iv) und verweisen für die restlichen Aussagen auf [2]. Zu (i): Sei d ϕ die Durchschnittsabbildung, d.h., ϕ(F1 , F2 ) := F1 ∩ F2 . Wir zeigen, dass für C ∈ C stets −1 C d d −1 C ϕ F offen ist. Sei dazu (F1 , F2 ) ∈ F ×F mit (F1 , F2 ) ∈ ϕ F , alsoF1 ∩F2 ∩C = ∅. Angenommen, es gäbe keine offene Umgebung von (F1 , F2 ), die in ϕ−1 F C enthalten ist. Dann existieren Folgen F1i , F2i , i ∈ N, mit F1i → F1 , F2i → F2 und F1i ∩ F2i ∩ C 6= ∅ für i ∈ N. Wähle Punkte xi ∈ F1i ∩ F2i ∩ C für i ∈ N. Da C kompakt ist, existiert eine Teilfolge I ⊂ N mit xi → x ∈ C für i → ∞, i ∈ I. Dann ist aber x ∈ F1 und x ∈ F2 wegen F1i → F1 und F2i → F2 . Dies zeigt x ∈ F1 ∩ F2 ∩ C 6= ∅, ein Widerspruch. Zum Nachweis von (iv) zeigen wir, dass für ϕ(x, F ) := 1{x ∈ F } die Urbildmenge −1 ϕ ({1}) abgeschlossen ist. Seien dazu (xi , Fi ) ∈ ϕ−1 ({1}) für i ∈ N und (xi , Fi ) → (x, F ) für i → ∞. Dann ist xi ∈ Fi und x ∈ F wegen Satz 3.1.4 (ii) b). Also folgt (x, F ) ∈ ϕ−1 ({1}). 18 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.1.12 Definition. Für B ⊂ Rd und ε > 0 sei B⊕ε := B + εB d die Parallelmenge von B mit Abstand ε > 0. 3.1.13 Bemerkung. Ist B ∈ F d , so gilt B⊕ε = {x ∈ Rd : d(x, B) ≤ ε}, wobei d(·, ·) die euklidische Metrik bezeichnet und d(x, B) := inf{d(x, y) : y ∈ B}. 3.1.14 Definition. Die Hausdorff-Metrik δ auf C d \ {∅} ist definiert durch 0 , C 0 ⊂ C⊕ε }. δ(C, C 0 ) := min{ε ≥ 0 : C ⊂ C⊕ε Ferner definiert man δ(∅, C) = δ(C, ∅) := ∞, C ∈ C d \ {∅}, und δ(∅, ∅) := 0. 3.1.15 Satz. Die Hausdorff-Metrik ist sowohl auf C d \ {∅} als auch auf C d eine Metrik. 3.1.16 Satz. Es seien C, C1 , C2 , . . . ∈ C d \{∅}. Gilt δ(Cn , C) → 0, so folgt Cn → C bezüglich τ d . Die Umkehrung ist richtig, falls Cn ⊂ K, n ∈ N, für ein K ∈ C d . Beweis. "⇒": Sei δ(Cn , C) → 0 für n → ∞. Sei x ∈ C. Zu i ∈ N gibt es ni ∈ N mit x ∈ Cn + 1i B d für n ≥ ni , wobei ni+1 > ni gewählt werden kann. Wir können für n ∈ {ni , . . . , ni+1 − 1} also xn ∈ Cn so wählen, dass x ∈ xn + 1i B d . Insbesondere ist xn ∈ Cn für n ≥ n1 und kx − xn k ≤ 1/i für n ≥ ni , d.h. xn → x für n → ∞. Daher ist (ii) a) in Satz 3.1.4 erfüllt. Wir zeigen nun, dass auch (ii) b) gilt. Sei hierzu I ⊂ N eine unendliche Teilmenge mit xn ∈ Cn für n ∈ I und xn → x ∈ Rd . Nach Voraussetzung gilt Cn ⊂ C + εB d für n ≥ n(ε), also ist x ∈ C + εB d , und zwar für alle ε > 0. Dies zeigt x ∈ C. "⇐": Sei Cn → C für n → ∞ bezüglich τ d und Cn ⊂ K für n ∈ N. Satz 3.1.4 (ii) a) zeigt, dass dann auch C ⊂ K gilt. Sei ε ∈ (0, 1). Betrachte C̃ := cl (K \ C⊕ε ). Wegen C ∩ C̃ = ∅ ist Cn ∩ C̃ = ∅ für fast alle n ∈ N. Daher folgt Cn ⊂ C⊕ε für fast alle n ∈ N. Wir zeigen nun noch C ⊂ (Cn )⊕ε für fast alle n ∈ N. Angenommen, diese Inklusion wäre mit einer unendlichen Teilmenge I ⊂ N für n ∈ I nicht erfüllt. Für n ∈ I gibt es dann xn ∈ C mit d(xn , Cn ) ≥ ε. Da C kompakt ist, gibt es eine unendliche Teilmenge J ⊂ I sowie x ∈ C mit xn → x für n → ∞ und n ∈ J. Zu x ∈ C gibt es nach Satz 3.1.2 (ii) a) yn ∈ Cn mit yn → x für n → ∞. Zusammen erhält man für n ∈ J, dass ε ≤ d(xn , Cn ) ≤ d(xn , x) + d(x, Cn ) ≤ d(xn , x) + d(x, yn ) → 0 für n → ∞ (mit n ∈ J), ein Widerspruch. 3.1.17 Beispiel. Es seien x, xn ∈ Rd , n ∈ N, mit kxn k → ∞. Dann gilt {xn , x} → {x} in F d , aber δ({xn , x}, {x}) → ∞. 3.1.18 Definition. Eine zufällige abgeschlossene Menge ist eine messbare Abbildung Z : Ω → F d . Ihr Kapazitätsfunktional TZ : C d → [0, 1] ist definiert durch TZ (K) := P(Z ∩ K 6= ∅), 19 K ∈ C d. 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse d 3.1.19 Satz. Für zufällige abgeschlossene Mengen Z, Z 0 gilt Z = Z 0 genau dann, wenn TZ = TZ 0 gilt. d d Beweis. "⇒": Z = Z 0 impliziert f (Z) = f (Z 0 ) für messbare f : F d → Ω0 . Wähle f (F ) = 1{F ∩ K 6= ∅} = 1FK (F ) für K ∈ C d und bilde den Erwartungswert. "⇐": Wir benutzen den Monotonen Klassensatz. Setze D := {H ∈ B(F d ) : P(Z ∈ H) = P(Z 0 ∈ H)}. Dann ist D ein Dynkin-System, d.h. F d ∈ D und D ist abgeschlossenen gegenüber echten Differenzen und monotonen Vereinigungen. Außerdem enthält D den ∩-stabilen Erzeuger D0 := {F K : K ∈ C d } von B(F d ), siehe Bemerkung 3.1.5. Es gilt σ(D0 ) = δ(D0 ), da D0 ein ∩-stabiles Mengensystem ist. Also impliziert der Monotone Klassensatz B(F d ) = σ(D0 ) = δ(D0 ) ⊂ D, wobei δ(D0 ) das von D0 erzeugte Dynkin-System bezeichnet. Schneller folgt dies, da PZ (F K ) = P(Z ∈ F K ) = 1 − P(Z ∈ FK ) = 1 − TZ (K) = 1 − TZ 0 (K) = PZ 0 (F K ) gilt und {F K : K ∈ C d } ein durchschnittsstabiles Erzeugendensystem von B(F d ) ist. 3.2 Zufällige Maße und Punktprozesse Es sei (X, ρ) ein separabler metrischer Raum mit Borelscher σ-Algebra B(X) =: X . 3.2.1 Definition. (i) B ⊂ X heißt beschränkt, falls ρ(B) := sup{ρ(x, y) : x, y ∈ B} < ∞. ρ(B) heißt Durchmesser von B. Weiter sei Xb := {B ∈ X : B beschränkt}. (ii) A ⊂ X heißt lokal-endlich, falls card(A ∩ B) < ∞, B ∈ Xb . Jede kompakte (und auch jede relativ kompakte) Teilmenge von X ist beschränkt. 3.2.2 Definition. (i) M (X) := {µ : µ ist ein Borel-Maß auf X mit µ(B) < ∞ für B ∈ Xb } heißt Menge der lokal-endlichen Maße auf X. 20 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse (ii) N (X) := {ϕ ∈ M (X) : ϕ(B) ∈ N0 für B ∈ Xb } heißt Menge der lokal-endlichen Zählmaße auf X. (iii) Ns (X) := {ϕ ∈ N (X) : ϕ({x}) ∈ {0, 1} für x ∈ X} heißt Menge der einfachen Zählmaße auf X. (iv) M(X) sei die kleinste σ-Algebra auf M (X), für die die Abbildungen µ 7→ µ(B) für jedes B ∈ X messbar sind, d.h. M(X) ist die kleinste σ-Algebra, welche alle Mengen der Form {µ : µ(B) ∈ C}, B ∈ X , C ∈ B([0, ∞]), enthält. Ferner seien N (X) := M(X) ∩ N (X) und Ns (X) := M(X) ∩ Ns (X). Ist µ ∈ M (X), so ist µ endlich auf kompakten Mengen. 3.2.3 Definition. Für n ∈ N sei {Bn,i : i ∈ N} eine Zerlegung von X in Mengen aus Xb . Wir nennen eine Folge ({Bn,i : i ∈ N})n∈N solcher Zerlegungen eine (ausgezeichnete) gerichtete Folge von Zerlegungen, wenn jedes B ∈ {Bn,i : i ∈ N} eine Vereinigung von Mengen aus {Bn+1,i : i ∈ N} ist und wenn sup{ρ(Bn,i ) : i ∈ N} → 0 für n → ∞ gilt. 3.2.4 Bemerkung. In separablen metrischen Räumen (X, ρ) existieren (ausgezeichnete) gerichtete Folgen von Zerlegungen. Zunächst existiert eine abzählbare Umgebungsbasis offener Mengen Bn ⊂ X, n ∈ N. Das Teilsystem derjenigen Mengen Bn mit Durchmesser höchstens 1/k für ein festes k ∈ N, ist dann immer noch eine Umgebungsbasis, überdeckt also insbesondere X. Hieraus erhalten wir sukzessiv eine abzählbare, messbare Zerlegung von X in disjunkte Mengen vom Durchmesser höchstens 1/k. Durch Schneiden mit den Mengen der Stufe k − 1 erhalten wir eine Verfeinerung dieser Zerlegung wie gefordert. 3.2.5 Definition. Ein Maß µ auf X heißt diffus, falls µ{x} := µ({x}) = 0 für alle x ∈ X. 3.2.6 Definition. Ein Punkt x ∈ X heißt Atom eines Maßes µ, falls µ{x} > 0. 3.2.7 Beispiel. Sei x ∈ Rd . Das Dirac-Maß δx , δx (B) := 1B (x), hat ein Atom bei x. 3.2.8 Beispiel. Jedes Maß auf Rd mit Lebesgue-Dichte ist diffus. 3.2.9 Bemerkung. Ist B ∈ Xb , so hat µ ∈ M (X) nur endlich viele Atome mit Masse mindestens r > 0. Insgesamt hat µ also maximal abzählbar unendlich viele Atome. 21 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.2.10 Satz. Jedes µ ∈ M (X) besitzt eine Darstellung µ = µc + τ X ai δxi i=1 mit einem diffusen Maß µc , τ ∈ N0 ∪ {∞}, ai > 0 und xi ∈ X. Dabei können die Abbildungen µ 7→ (µc , τ ) und µ 7→ (a1 , x1 , a2 , x2 , . . .) messbar gewählt werden, wobei wir (ai , xi ) := (0, x0 ) für i > τ mit einem festen x0 ∈ X wählen. Beweis. Definiere für r > 0 ein Maß µ∗r durch µ∗r (B) := card{x ∈ B : µ({x}) ≥ r} für B ∈ X . Dann ist µ∗r ∈ Ns (X). Sei nun ({Bn,i : i ∈ N})n≥1 eine gerichtete Folge von Zerlegungen von X mittels Mengen aus Xb . In den Übungen soll gezeigt werden, dass X µ∗r (B) = lim 1{µ(Bn,i ∩ B) ≥ r} für B ∈ Xb . n→∞ i∈N Folglich ist die Abbildung µ 7→ µ∗r messbar. Sei υ ∈ / X fest gewählt. Der Beweis von Lemma 2.1.6 in [1], der auf der Einführung einer (mit Hilfe gerichteter Zerlegungen erklärten) lexikographischen Ordnung auf X beruht, zeigt, dass es eine Folge messbarer Abbildungen ζi : Ns (X) → X ∪ {υ}, i ∈ N, gibt, so dass X δζi (η) , η ∈ Ns (X). η= i∈N Wir erklären ζn,i (µ) := ζi µ∗1 , n i, n ∈ N. Dann ist µ 7→ ζn,i (µ) messbar, und jedes Atom von µ ist in (ζn,i (µ) : n, i ∈ N) enthalten. Hieraus erhalten wir eine Abzählung (ζ10 (µ), ζ20 (µ), . . .) der Atome von µ mittels messbarer Abbildungen ζi0 : M (X) → X ∪ {υ}, i ∈ N, so dass mit τ := limr→0 µ∗r (X) ∈ N0 ∪ {∞} gilt ζi0 (µ) ∈ X für i < τ + 1 und ζi0 (µ) =Pυ für i > τ . Setze xi := ζi0 (µ) und ai := µ({xi }) für i ∈ N mit µ({υ}) := 0 und µc := µ− τi=1 ai δxi . Dann ist µ 7→ µc messbar und atomfrei. 3.2.11 Bemerkung. Im Beweis von Satz 3.2.10 wird (für den Nachweis der Messbarkeit von ai ) verwendet, dass die Abbildung X × M (X) → [0, ∞], (x, µ) 7→ µ({x}), messbar ist. Allgemeiner gilt: Ist f : X × X → [0, ∞] messbar, so ist die Abbildung Z X × M (X) → [0, ∞], (x, µ) 7→ f (x, y) µ(dy), messbar. Dies zeigt man für f = 1A und messbare Mengen A mit einem Monotone Klassen Argument. Details sollen in den Übungen bearbeitet werden. 22 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.2.12 Folgerung. Die Mengen N (X) und Ns (X) sind messbare Teilmengen von M (X). Beweis. Es gilt µ ∈ N (X) ⇔ µc = 0 und ai ∈ N0 für i ∈ N. Ferner gilt µ ∈ Ns (X) ⇔ µ ∈ N (X) und ai ∈ {0, 1} für i ∈ N. 3.2.13 Definition. M (X). (i) Ein zufälliges Maß η auf X ist eine messbare Abbildung η : Ω → (ii) Ein Punktprozess Φ auf X ist eine messbare Abbildung Φ : Ω → N (X). Gilt P(Φ ∈ Ns (X)) = 1, so heißt Φ einfach. 3.2.14 Bemerkung. (i) Manchmal wird ein Punktprozess auf X auch als zufälliges Maß Φ mit P(Φ ∈ N (X)) = 1 definiert. (ii) Für ϕ ∈ N (X) sei der Träger von ϕ definiert durch supp ϕ = {x ∈ X : ϕ({x}) > 0}. Jedes Maß ϕ ∈ Ns (X) kann mit supp ϕ identifiziert werden. (iii) Ist η ein zufälliges Maß, so schreibt man η(ω, B) := η(ω)(B) für ω ∈ Ω und B ∈ X sowie η(B) für die Zufallsvariable ω 7→ η(ω, B). (iv) Eine Abbildung η : Ω → M (X) ist genau dann messbar, wenn die Abbildung ω 7→ η(ω, B) für jedes B ∈ X messbar ist. Das folgt aus dem Monotonen Klassensatz. 3.2.15 Bemerkung. Es sei Φ ein Punktprozess auf X. Gemäß Satz 3.2.10 gibt Pτ es dann Zufallsvariablen Ai ∈ N, ξi ∈ X und τ (mit ξi 6= ξj , i, j ≤ τ , i 6= j) mit Φ = i=1 Ai δξi . Analog P0 gibt es Zufallsvariablen τ 0 und ξi0 mit Φ = τi=1 δξi0 . Oft wird Φ direkt so definiert. Im folgenden Beispiel und auch später verwenden wir das j-dimensionale Hausdorffmaß Hj auf Rd . Für die Definition verweisen wir auf Abschnitt 14.5 in [2]. Ist B ⊂ Rd eine konvexe Menge, deren affine Hülle die Dimension k ≥ 1 hat, so ist Hk (B) das k-dimensionale Lebesguemaß von B, Hj (B) = 0 für j < k und Hj (B) = ∞ für j > k. Ferner ist H0 das Zählmaß auf Rd . Ist B eine j-dimensionale glatte Fläche, so ist Hj (B) der (differentialgeometrische) Flächeninhalt von B. 3.2.16 Beispiel. Sei Z eine zufällige abgeschlossene Menge in Rd . Dann definiert η(B) := λd (Z ∩ B), B ∈ Bd , ein zufälliges Maß η auf Rd . Dies folgt mit Satz 3.1.11 (iv) und dem Satz von Fubini. Auch B 7→ Hd−1 (∂Z ∩ B) ist ein zufälliges Maß auf Rd , falls Hd−1 (∂Z ∩ ·) lokal endlich ist. Dabei sei Hd−1 das (d − 1)-dimensionale Hausdorffmaß auf Rd . Dies folgt aus Satz 3.1.11 (ii) zusammen mit Corollary 2.1.4 in [?]. 3.2.17 Beispiel. Es sei {Xt : t ∈ Rd } ein R+ -wertiges zufälliges Feld, sodass (ω, t) 7→ Xt (ω) messbar ist. Dann ist Z η(B) := 1B (t)Xt dt Rd unter Integrabilitätsbedingungen ein zufälliges Maß. 23 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.2.18 Beispiel. Es seien X1 , . . . , Xm unabhängige Zufallsvariablen in X mit gemeinsamer P Verteilung V = P(Xi ∈ ·). Dann heißt der Punktprozess Φ = m δ i=1 Xi Binomialprozess mit Parametern m und V. Man beachte ( m ) ! X [ \ \ {Φ(B) = k} = 1B (Xi ) = k = {Xi ∈ B} ∩ {Xj ∈ / B} ∈ A i=1 I⊂{1,...,m},|I|=k j∈I c i∈I für k ∈ {0, . . . , m}, d.h. Φ ist ein Punktprozess. Ferner gilt m P(Φ(B) = k) = V(B)k (1 − V(B))m−k k für k ∈ N0 , da m = 0 für k > m. k 3.2.19 Beispiel. Es seien X1 , X2 , . . . unabhängige, identisch verteilte Zufallsvariablen in X und τ eine von (Xn )n∈N unabhängige, N0 -wertige Zufallsvariable. Dann heißt Φ := τ X δXi i=1 gemischter Binomialprozess. Wir sind nun in der Lage, den bereits in Definition 2.3.1 eingeführten homogenen Poissonprozess im Rd weiter zu präzisieren. 3.2.20 Definition. Ein Punktprozess Φ : Ω → N (Rd ) auf Rd heißt homogener (stationärer) Poissonprozess mit Intensität γ ≥ 0, falls gilt: (i) Für m ≥ 2 und paarweise disjunkte Borelmengen B1 , . . . , Bm ∈ B d sind die Zufallsvariablen Φ(B1 ), . . . , Φ(Bm ) stochastisch unabhängig. (ii) P(Φ(B) = k) = γ k (λd (B))k −γλd (B) e , k! B ∈ Bd , k ∈ N0 . Dabei ist ∞ · e−∞ := 0. 3.2.21 Bemerkung. Nach Satz 3.2.10 gibt es eine FolgeP von Zufallspunkten ξ1 , ξ2 , . . . in Rd und eine Zufallsvariable τ in N0 ∪ {∞}, so dass Φ = τi=1 δξi gilt. Insbesondere ist dann Φ(B) := card{n ∈ N : n ≤ τ : ξn ∈ B} für B ∈ X . 3.2.22 Beispiel. Es bezeichne Πγ die Verteilung eines homogenen Poissonprozesses Φ mit Intensität γ ≥ 0. Ist Y ≥ 0 eine Zufallsvariable und ist Φ ein Punktprozess auf Rd mit P(Φ ∈ A|Y ) = ΠY (A) P-f.s., A ∈ N (X), dann heißt Φ gemischter Poissonprozess mit zufälliger Intensität Y . 24 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.2.23 Definition. Das Intensitätsmaß Θ eines zufälligen Maßes η ist definiert durch B ∈ X. Θ(B) := E[η(B)], (i) Für den Binomialprozess Φ aus Beispiel 3.2.18 gilt " m # m m X X X Θ(B) = E δXi (B) = E[1{Xi ∈ B}] = P(Xi ∈ B) = mV(B). 3.2.24 Beispiel. i=1 i=1 i=1 (ii) Für einen gemischten Binomialprozess gilt " # ∞ m ∞ X X X Θ(B) = E 1{τ = m} 1{Xi ∈ B} = P(τ = m)mV(B) = E[τ ]V(B). m=0 m=0 i=1 (iii) Für den gemischten Poissonprozess gilt Z Θ(B) = E E[Φ(B)|Y ] = E η(B) ΠY (dη) = E[Y λd (B)] = E[Y ]λd (B). In der dritten Gleichung wurde Bemerkung 2.3.2 (i) verwendet. Zur Erinnerung: Ist ν ein Maß auf X und f : X → [−∞, ∞] eine messbare Funktion, so sei f := max{0, f } der Positiv- und f − := − min{0, f } der Negativteil von f . Für f ≥ 0 ist das R Integral X f dν immer definiert, aber den Wert ∞ an. Für beliebiges R R nimmt R möglicherweise + − f definieren wir X f Rdν := X f R dν − X f dν, sofern dieser RTerm nicht von der Form ∞ − ∞ ist. Im Fall X f + dν = RX f − dν = ∞ definieren R − wir X f dν := 0. Außerdem + nennen wir f ν-integrierbar, wenn f dν < ∞ und f dν < ∞ gilt. Äquivalent dazu X X R ist die Forderung X |f | dν < ∞. + 3.2.25 Satz (Campbellsche Formel). R Ist η ein zufälliges Maß auf X mit Intensitätsmaß Θ und f : X → [−∞, ∞] messbar, so ist X f (x) η(dx) eine [−∞, ∞]-wertige Zufallsvariable. Falls zusätzlich f ≥ 0 gilt oder f Θ-integrierbar ist, so gilt Z Z E f (x) η(dx) = f (x) Θ(dx). (3.2.1) X X Beweis. Für f ≥ 0 kann der 2.1.3 Rangewendet werden. Für allgemeiR Beweis vonR Satz + nes, Θ-integrierbares f gilt |f | dΘ = f dΘ + X f − dΘ < ∞. Aus (3.2.1) folgt X X R ± E X f (x) η(dx) < ∞. Nach Definition und (3.2.1) folgt: Z Z Z + − E f dη = E f dη − f dη X X Z X + Z f dη − E =E X f dη X 25 − 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Z Z + f dΘ − = X f − dΘ X Z = f dΘ. X 3.2.26 Bemerkung. Ist Φ ein Punktprozess von der Form Φ = " τ # Z X E f (ξi ) = f dΘ. Pτ i=1 δξi , so bedeutet (3.2.1): X i=1 Die Verteilung Pη eines zufälligen Maßes η ist die Abbildung A 7→ P(η ∈ A) von M(X) nach [0, 1]. Wir charakterisieren Verteilungsgleichheit von zufälligen Maßen. 3.2.27 Satz. Für zufällige Maße η und η 0 auf X sind äquivalent: d (i) η = η 0 . R d R (ii) X f dη = X f dη 0 für alle messbaren f ≥ 0. R R (iii) E exp − X f dη = E exp − X f dη 0 für alle messbaren f ≥ 0. d (iv) (η(B1 ), . . . , η(Bm )) = (η 0 (B1 ), . . . , η 0 (Bm )) für alle m ∈ N, B1 , . . . , Bm ∈ Xb . Beweis. (i) ⇒ (ii) und (ii) ⇒ (iii): Klar. (iii) ⇒ (iv): Wählt man in (iii) f = c1 1B1 + . . . + cm 1Bm mit ci ≥ 0, Bi ∈ Xb , so folgt " !# " !# m m X X E exp − ci η(Bi ) = E exp − ci η 0 (Bi ) . i=1 i=1 Hiermit und mit dem Satz von Cramér-Wold ([?, Seite 205]) oder alternativ mit einem Eindeutigkeitssatz für die Laplacetransformation von nichtnegativen Zufallsvektoren (siehe Bemerkung 2.2.6 in [1]) erhält man (iv). (iv) ⇒ (i): Es sei G das System der Mengen A := {µ ∈ M (X) : (µ(B1 ), . . . , µ(Bm )) ∈ C} ∈ M(X) mit m ∈ N, Bi ∈ Xb , C ∈ B(Rm ). Dann ist G ∩-stabil und es gilt σ(G) = M(X). Wegen Voraussetzung (iv) enthält das Dynkin-System D := {A ∈ M(X) : P(η ∈ A) = P(η 0 ∈ A)} das Mengensystem G. Aus dem Monotonen Klassensatz folgt σ(G) = M(X) ⊂ D, man erhält d also die Verteilungsgleichheit η = η 0 . 26 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.2.28 Bemerkung. Lemma 2.2.3 in [1] gibt im Fall von Punktprozessen eine zu (iv) äquivalente Bedingung an, nach der es genügt, in (iv) paarweise disjunkte messbare Mengen B1 , . . . , Bm ∈ Xb zu betrachten. 3.2.29 Bemerkung. Für ein zufälliges Maß µ auf X wird das durch Z Lµ (f ) := E exp − f dµ X für messbare Funktionen f : X → [0, ∞] erklärte Funktional als Laplace-Funktional von µ bezeichnet. Damit ist auch das Laplace-Funktional eines Punktprozesses erklärt. Satz 3.2.27 besagt, dass das Laplace-Funktional eines zufälligen Maßes µ die Verteilung von µ eindeutig festlegt. 3.3 Poissonprozesse Sei (X, ρ) ein separabler metrischer Raum. 3.3.1 Definition. Es sei Θ ein lokal-endliches Maß auf X. Ein Punktprozess Φ auf X heißt Poissonprozess mit Intensitätsmaß Θ, falls gilt: (i) Φ(B1 ), . . . , Φ(Bm ) sind stochastisch unabhängige Zufallsvariablen für paarweise disjunkte messbare Mengen B1 , . . . , Bm ∈ X . (ii) P(Φ(B) = k) = Θ(B)k −Θ(B) e , k! B ∈ X , k ∈ N0 , wobei ∞k e−∞ := 0. Man schreibt Φ ∼ Poiss(Θ). 3.3.2 Bemerkung. (i) Es gilt E[Φ(B)] = Θ(B), B ∈ X. (ii) Im Fall Θ(B) = ∞ gilt P(Φ(B) = k) = 0, k ∈ N0 , d.h. P(Φ(B) = ∞) = 1. Man schreibt Φ(B) ∼ Poiss(∞). Sind Φ und Ψ Poissonprozesse mit gleichem lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ, so haben Φ und Ψ die gleiche Verteilung. Dies folgt aus der Definition von Poissonprozessen zusammen mit Bemerkung 3.2.28. Ist η ein zufälliges Maß, so auch die Einschränkung ηxB auf eine messbare Menge B ∈ X . In diesem Zusammenhang halten wir fest: 27 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.3.3 Bemerkung. Ist Φ ein Poissonprozess mit Intensitätsmaß Θ und sind B1 , B2 , . . . paarweise disjunkte Elemente von X , so sind die Einschränkungen ΦxB1 , ΦxB2 , . . . unabhängige Poissonprozesse mit Intensitätsmaßen ΘxB1 , ΘxB2 , . . . Das folgt leicht aus den Definitionen sowie aus dem Beweis von Satz 3.2.27 (iv) (und Bemerkung 3.2.28). 3.3.4 Theorem. Es sei Φ ein Punktprozess auf X und Θ ein lokal-endliches Maß auf X. Dann sind äquivalent: (a) Φ ∼ Poiss(Θ). (b) Für alle messbaren Funktionen f : X → [0, ∞] gilt Z Z −f (x) E exp − f dΦ = exp − (1 − e ) Θ(dx) . X (3.3.1) X Beweis. Es gelte Φ ∼ Poiss(Θ). Für B ∈ X mit Θ(B) < ∞ und c ≥ 0 gilt E[exp(−cΦ(B))] = e−Θ(B) ∞ X Θ(B)k k! k=0 −c ) e−ck = e−Θ(B) e(Θ(B)e = exp(−Θ(B)(1 − e−c )). Für f := c1 1B1 + . . . + cm 1Bm mit ci ≥ 0 und paarweise disjunkte Mengen Bi ∈ Xb gilt " !# Z m X E exp − f dΦ = E exp − ci Φ(Bi ) X i=1 " =E m Y # exp(−ci Φ(Bi )) i=1 = m Y E[exp(−ci Φ(Bi ))] i=1 = m Y exp(−Θ(Bi )(1 − e−ci )) i=1 = exp − m X ! Θ(Bi )(1 − e−ci ) i=1 = exp − m Z X i=1 ! (1 − e−ci ) dΘ Bi Z −f = exp − (1 − e ) dΘ , X 28 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse wobei im dritten und im letzten Schritt die Disjunktheit der Mengen Bi verwendet wurde. Für eine messbare Funktion f : X → [0, ∞] gibt es Treppenfunktionen fn mit fn ↑ f . Dann folgt (3.3.1) mittels monotoner Konvergenz. Umgekehrt nehmen wir nun an, dass (3.3.1) erfüllt sei. Sei B ∈ X mit Θ(B) < ∞ und c ≥ 0. Setze f := c1B . Dann gilt nach Voraussetzung LΦ(B) (c) = E [exp (−cΦ(B))] Z −c1B (x) 1−e Θ(dx) = exp − X Z = exp − −c 1−e Θ(dx) B = exp − 1 − e−c Θ(B) = Lξ (c), wenn ξ ∼ Poiss(Θ(B)), wie im ersten Beweisteil nachgerechnet wurde. Also ist mit dem Eindeutigkeitssatz für die Laplace-Transformation Φ(B) ∼ Poiss(Θ(B)). Ist Θ(B) = ∞, so zeigt obige Umformung, dass E [exp (−cΦ(B))] = 0 gilt (für c > 0, also ist Φ(B) = ∞ P-fast sicher. P Seien nun B1 , . . . , Bm ∈ Xb paarweise disjunkt und c1 , . . . , cm ≥ 0. Setze f := m i=1 ci 1Bi . Dann folgt wieder aufgrund der Voraussetzung " !# Z m X E exp − ci Φ(Bi ) = E exp − f dΦ X i=1 Z = exp − 1 − exp − X = exp − = exp − m X !! ci 1Bi (x) ! Θ(dx) i=1 m Z X i=1 m X ! 1 − e−ci Θ(dx) Bi ! 1−e −ci Θ(Bi ) i=1 m Y = E e−ci Φ(Bi ) . i=1 Hieraus schließt man, dass Φ(B1 ), . . . , Φ(Bm ) stochastisch unabhängig sind. Den allgemeinen Fall leitet man hieraus ab. P 3.3.5 Satz. Es sei Φ = τi=1 δXi ein gemischter Binomialprozess wie in Beispiel 3.2.19 mit τ ∼ Poiss(c) für ein c ≥ 0 und Xi ∼ V für i ∈ N, wobei τ, X1 , X2 , . . . stochastisch unabhängig seien. Dann ist Φ ∼ Poiss(cV). 29 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Beweis. Für eine messbare Funktion f : X → [0, ∞] gilt " !# Z τ X E exp − f dΦ = E exp − f (Xk ) X k=1 = ∞ X " E 1{τ = m} exp − m=0 = ∞ X = !# f (Xk ) k=1 " P(τ = m)E m=0 ∞ X m X m Y # exp(−f (Xk )) k=1 −c c e m m Y m! k=1 m=0 E[exp(−f (Xk ))] Z m ∞ X cm −f (x) e V(dx) =e m! X m=0 Z −c −f = e exp c e dV −c X Z −f = exp −c 1 − e dV X Z −f = exp − (1 − e ) d(cV) . X Nach Theorem 3.3.4 folgt Φ ∼ Poiss(cV). 3.3.6 Theorem. Ist Θ ein lokal-endliches Maß auf X, so gibt es einen Punktprozess Φ auf X mit Φ ∼ Poiss(Θ). S∞ Beweis. Zerlege den Raum X = i=1 Xi in messbarer Weise, sodass Θ(Xi ) < ∞. Setze dann ci := Θ(Xi ) ≥ 0 und Vi := (ci )−1 ΘxXi , falls ciP> 0, bzw. wähle Vi als beliebiges Wahrscheinlichkeitsmaß im Fall ci = 0. Dann gilt Θ = ∞ i=1 ci · Vi . Seien Φ1 , Φ2 , . . . unabhängige gemischte BinomialprozesseP mit den Parametern Poiss(ci ) und Vi . Man bestätigt nun mit Theorem 3.3.4 leicht, dass Φ := ∞ i=1 Φi ∼ Poiss(Θ) gilt. In der Tat ist " !# Z XZ E exp − f dΦ = E exp − f dΦi i≥1 " =E Y Z # exp − f dΦi i≥1 Z Y = E exp − f dΦi i≥1 30 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse = Y Z exp −ci 1−e −f dVi i≥1 = exp − XZ ! 1 − e−f (x) (ci Vi )(dx) i≥1 Z 1−e = exp −f (x) Θ(dx) , was zu zeigen war. 3.3.7 Theorem (Mecke-Charakterisierung von Poissonprozessen). Sei Φ ein Punktprozess auf X und Θ ein lokal-endliches Maß auf X. Genau dann ist Φ ein Poissonprozess mit Intensitätsmaß Θ, wenn Z Z E f (Φ, x) Φ(dx) = E[f (Φ + δx , x)] Θ(dx) (3.3.2) X X für alle messbaren Abbildungen f : N (X) × X → [0, ∞] gilt. Beweis. Siehe [1]. Wir leiten nun noch zwei Konsequenzen von Satz 3.3.7 her, die insbesondere bei geometrischen Anwendungen von Poissonprozessen sehr nützlich sind. Sei Φ ein Punktprozess in X und n ∈ N. Dann ist Φn := ⊗ni=1 Φ, das n-fache Produktmaß von Φ, ein Punktprozess auf Xn . Ist etwa Φ = geeignete (zufällige) Indexmenge I, so folgt X Φn = δ(ζi1 ,...,ζin ) . P i∈I δζi für eine (i1 ,...,in )∈I n Das Intensitätsmaß Γn von Φn heißt n-tes Momentenmaß von Φ und ist gegeben durch Γn (·) := E[Φn (·)] auf Xn . Speziell für A = ×ni=1 Ai , Ai ∈ X , hat man Γn (A) = E[Φn (A)] = E[Φ(A1 ) · . . . · Φ(An )] Neben Φn erklären wir eine „faktorielle Version“ durch X Φ(n) := δ(ζi1 ,...,ζin ) (i1 ,...in )∈I∗n mit I∗n := {(i1 , . . . , in ) ∈ I n | k 6= l ⇒ ik 6= il }. 31 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Hierdurch ist wieder ein Punktprozess in Xn erklärt. Ist Φ einfach, so haben die hier auftretenden Tupel (ζi1 , . . . , ζin ) paarweise verschiedene Einträge, sodass Φ(n) = Φn xXn∗ , Xn∗ := {(x1 , . . . , xn ) ∈ Xn | i 6= j ⇒ xi 6= xj }. Speziell ist daher für einen einfachen Punktprozess Φ und A ∈ X Φ(n) (An ) = Φ(A) · (Φ(A) − 1) · . . . · (Φ(A) − n + 1). Für n = 2 etwa ersieht man dies aus X X Φ(2) (A2 ) = δ(ζi ,ζj ) (A × A) i∈I j∈I\{i} = X X = X 1{ζi ∈ A}1{ζj ∈ A} i∈I j∈I\{i} 1{ζi ∈ A} i∈I 1{ζj ∈ A} X j∈I\{i} ! = X = X i∈I 1{ζi ∈ A} X 1{ζj ∈ A} − 1{ζi ∈ A} j∈I 1{ζi ∈ A}(Φ(A) − 1) i∈I = Φ(A)(Φ(A) − 1), wobei für die vorletzte Gleichung die Fälle ζi ∈ A und ζi ∈ / A unterschieden werden. (n) Um eine alternative Beschreibung für Φ für nicht notwendigerweise einfaches Φ zu erhalten, erklären wir schrittweise für x1 , . . . , xn ∈ X die Punktprozesse Φ \ δx1 := Φ − 1{Φ({x1 })>0} δx1 , Φ \ δx1 \ δx2 := (Φ \ δx1 ) \ δx2 etc. Hier ist die Messbarkeit von N (X) × X → N (X), (η, x) 7→ η \ δx , zu zeigen. Dann gilt für A ∈ Xn Z Z (n) Φ (A) = · · · 1A (x)(Φ \ δx1 \ . . . \ δxn−1 )(dxn ) . . . (Φ \ δx1 )(dx2 )Φ(dx1 ). (3.3.3) X X Man nennt Γ(n) := E[Φ(n) ] das n-te faktorielle Momentenmaß von Φ. Wir unterscheiden also Γn = E[Φn ], Γ(n) = E[Φ(n) ] und Θn := E[Φ]n = ⊗ni=1 E[Φ]. Das folgende Theorem ergibt sich aus Theorem 3.3.7 und vollständiger Induktion. 32 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse 3.3.8 Theorem (Multivariate Mecke-Formel). Sei Φ ein Poissonprozess in X mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ, und sei f : N (X) × Xn → [0, ∞] messbar. Dann gilt " # Z Z n X E f (Φ, x) Φ(n) (dx) = E f (Φ + δxi , x) Θn (x). Xn Xn i=1 3.3.9 Korollar. Ist Φ ein Poissonprozess in X, so gilt Γ(n) = Θn . 3.3.10 Korollar. Sei Φ ein Poissonprozess in X mit diffusem Intensitätsmaß. Dann ist Φ einfach. Beweis. Mit Korollar 3.3.9 erhalten wir Z Z (2) E 1{x = y} Φ (d(x, y)) = (Rd )2 (Rd )2 Z = (Rd )2 Z 1{x = y} Γ(2) (d(x, y)) 1{x = y} Θ2 (d(x, y)) Z = Rd Rd 1{x = y} Θ(dy) Θ(dx) = 0, woraus die Behauptung folgt. 3.3.11 Definition. Sei (Y, Y) ein separabler metrischer Raum und K ein stochastischer Kern von X nach Y, d.h. K : X × Y → [0, 1] erfüllt die folgenden Eigenschaften: (i) K(x, ·) ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf (Y, Y). (ii) Die Abbildung x 7→ K(x, C) ist für alle C ∈ Y messbar. P P Für ϕ = ki=1 δxi ∈ N (X) sei K ∗ (ϕ, ·) die Verteilung des Punktprozesses ki=1 δ(xi ,Yi ) , wobei Y1 , Y2 , . . . unabhängig mit Verteilungen K(x1 , ·), K(x2 , ·), . . . (xi := x0 , i > τ ) seien. Die obige Definition besagt mit anderen Worten, dass ) Z (X k K ∗ (ϕ, A) = 1 δ(xj ,yj ) ∈ A (⊗i∈N K(xi , ·)) d (yi )i∈N . j=1 für A ∈ N (X × Y). Man kann zeigen (Übung!), dass K ∗ ein stochastischer Kern von N (X) nach N (X × Y) ist. 3.3.12 Definition. Ein Punktprozess Ψ auf X × Y heißt K-Markierung eines Punktprozesses Φ auf X, falls P(Ψ ∈ A|Φ) = K ∗ (Φ, A) P-f.s. für alle A ∈ N (X × Y) gilt. Im Fall K(x, ·) = Q für alle x ∈ X bezeichnet man eine K-Markierung als unabhängige Q-Markierung. 33 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Genau dann ist Ψ eine unabhängige K-Markierung von Φ, wenn die gemeinsame Verteilung von Ψ und Φ gegeben ist durch Z Z P((Ψ, Φ) ∈ ·) = 1{(ψ, ϕ) ∈ ·} K ∗ (ϕ, dψ) PΦ (dϕ). Inbesondere ist Z Z P(Ψ ∈ ·) = 1{ψ ∈ ·} K ∗ (ϕ, dψ) PΦ (dϕ). die Verteilung von Ψ. 3.3.13 Bemerkung. Die Voraussetzungen an (Y, Y) stellen lediglich sicher, dass auch X × Y (mit der Produkt-Metrik) ein separabler metrischer Raum ist. 3.3.14 Satz. Ist Ψ eine K-Markierung eines Punktprozesses Φ mit Intensitätsmaß Θ, dann hat Ψ das Intensitätsmaß Z Z 1C (x, y) K(x, dy) Θ(dx), C ∈ X ⊗ Y. (Θ ⊗ K)(C) := X Y Beweis. Mit der Notation (und den Voraussetzungen) des Satzes gilt zunächst für ϕ = und C ∈ X ⊗ Y, dass Z ∗ ψ(C) K (ϕ, dψ) = Z X k δ(xj ,yj ) (C) (⊗i∈N K(xi , ·)) d (yi )i∈N δ(xj ,yj ) (C) (⊗i∈N K(xi , ·)) d (yi )i∈N j=1 = k Z X j=1 = k Z X δ(xj ,y) (C) K(xi , dy) j=1 = k X gC (xj ) j=1 Z = gC dϕ, wobei Z gC (x) := δ(x,y) (C) K(x, dy). Hiermit erhalten wir nun E [Ψ(C)] = E [E [Ψ(C) | Φ]] Z =E ψ(C) P (Ψ ∈ dψ | Φ) 34 Pk i=1 δxi 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Z =E ∗ ψ(C) K (Φ, dψ) Z =E gC dΦ Z = gC (x) Θ(dx) ZZ = δ(x,y) (C) K(x, dy) Θ(dx) ZZ 1C (x, y) K(x, dy) Θ(dx), = was zu zeigen war. 3.3.15 Korollar. Ist Ψ eine unabhängige Q-Markierung eines Punktprozesses Φ mit Intensitätsmaß Θ, dann ist das Intensitätsmaß von Ψ das Produktmaß Θ ⊗ Q. 3.3.16 Theorem. Es seien Φ ein Poissonprozess auf X und Ψ eine K-Markierung von Φ. Dann ist Ψ ein Poissonprozess. Beweis. Es sei f : X × Y → [0, ∞]. Es gilt (siehe unten) Z Z ∗ LΨ (f ) := E exp − f dΨ = E exp − f dΦ = LΦ (f ∗ ), X×Y X wobei f ∗ (x) := − ln Y e−f (x,y) K(x, dy) und − ln(0) := ∞. Aus Theorem 3.3.4 folgt, wenn Θ das Intensitätsmaß von Φ ist, Z −f ∗ LΨ (f ) = exp − (1 − e ) dΘ R X Z Z −f (x,y) K(x, dy) Θ(dx) = exp − 1− e X Y Z Z −f (x,y) (1 − e ) K(x, dy) Θ(dx) = exp − X Y Z = exp − (1 − e −f ) d(Θ ⊗ K) . X×Y Eine erneute Anwendung von Theorem 3.3.4 impliziert nun Ψ ∼ Poiss(Θ∗ ). Wir tragen nun noch den fehlenden Nachweis nach. Durch Bedingen nach Φ erhält man Z Z Z E exp − f dΨ =E exp − f dψ P (Ψ ∈ dψ | Φ) Z =E Z ∗ exp − f dψ K (Φ, dψ) . 35 (3.3.4) 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Nun ist mit derselben Notation wie früher ! Z Z Z k X exp − f dψ K ∗ (ϕ, dψ) = exp − f (xi , yi ) (⊗j∈N K(xj , ·)) (d (yj )j∈N )) i=1 = Z Y k e−f (xi ,yi ) (⊗j∈N K(xj , ·)) (d (yj )j∈N )) i=1 = k Z Y e−f (xi ,yi ) K(xi , dyi ) i=1 = k Z Y e−f (xi ,y) K(xi , dy) i=1 " = exp k X Z ln # e−f (xi ,y) K(xi , dy) i=1 Z Z −f (x,y) = exp − − ln e K(x, dy) ϕ(dx) X Y Z ∗ = exp − f (x) ϕ(dx) . (3.3.5) X Die Gleichungen (3.3.4) und (3.3.5) ergeben zusammen die Behauptung. 3.3.17 Definition. Es sei p : X → [0, 1] messbar und K der durch K(x, ·) := (1 − p(x))δ0 + p(x)δ1 (3.3.6) definierte Kern von X nach {0, 1}. Ist Ψ eine K-Markierung von Φ, so heißt Φp := Ψ(· × {1}) p-Verdünnung von Φ. 3.3.18 Korollar. Sei K wie in (3.3.6), und sei Ψ eine K-Markierung eines Poissonprozesses Φ mit Intensitätsmaß Θ. Dann sind Φp := Ψ(· × {1}) und Φ − Φp := Ψ(· × {0}) unabhängige Poissonprozesse mit Intensitätsmaßen Z Z Θ1 (B) = p(x) Θ(dx) bzw. Θ0 (B) = (1 − p(x)) Θ(dx) B B für B ∈ X . Beweis. Nach Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf X × {0, 1}. Aus Bemerkung 3.3.3 folgt, dass die Einschränkungen von Ψ auf X × {1} bzw. auf X × {0} unabhängige Poissonprozesse sind. Dann sind aber auch Φp und Φ − Φp als die Bildmaße dieser Einschränkungen unter Projektion auf X unabhängige Poissonprozesse. Ferner gilt nach Satz 3.3.14 Z Z E[Φp (B)] = E[Ψ(B × {1})] = 1B (x)K(x, {1}) Θ(dx) = p(x) Θ(dx), B X 36 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse was alle Behauptungen beweist. 3.4 Stationarität Sei µ ∈ M (Rd ). Wir erklären x ∈ Rd , A ∈ B(Rd ). (µ + x)(A) := µ(A − x), Allgemeiner lässt sich die Translation (oder Drehung) eines Maßes wie folgt erklären. Seien für x ∈ Rd bzw. ρ ∈ Hom(Rd , Rd ) Abbildungen Tx : Rd → Rd erklärt durch Tx (z) := z + x bzw. Tρ : Rd → Rd erklärt durch Tρ (z) := ρz. Dann definiert man µ + x := Tx (µ), ρµ := Tρ (µ), das heißt als die entsprechenden Bildmaße von µ unter der jeweiligen Transformation. Insbe−1 sondere ist dann (ρµ)(A) = µ(ρ A), wobei ρ−1 A := {x ∈ Rd : ρx ∈ A} für A ⊂ Rd erklärt P ist. Für ϕ ∈ N (Rd ) mit ϕ = ki=1 δxi etwa erhält man (Tx ϕ)(A) = ϕ(Tx−1 (A)) = k X δxi (Tx−1 (A)) i=1 = k X δTx (xi ) (A) i=1 = k X ! δTx (xi ) (A), i=1 also Tx ϕ = k X δTx (xi ) . i=1 Eine analoge Beschreibung erhält man für Tρ ϕ. Eine gute Merkregel ist Tx (δ0 ) = δx . Außerdem erwähnen wir die für alle messbaren f : Rd → [0, ∞] gültige Formel Z Z f (y) (Tx ϕ)(dy) = f (y + x) ϕ(dy). Die Abbildungen Tx , Tρ : M (Rd ) → M (Rd ) sind messbar und ebenso die entsprechenden Abbildungen auf N (Rd ) 3.4.1 Definition. Ein zufälliges Maß (ein Punktprozess) µ in Rd heißt stationär, falls µ+x ∼ µ für alle x ∈ Rd gilt. Man nennt µ isotrop, falls Tρ µ ∼ µ für alle ρ ∈ Od gilt. 37 3 Zufällige abgeschlossene Mengen und Punktprozesse Sei nun µ ein stationäres (isotropes) zufälliges Maß in Rd mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ = Eµ. Dann ist Θ translationsinvariant (rotationsinvariant) und daher gilt Θ = γλd mit γ ≥ 0. Man nennt γ die Intensität von µ. Ist speziell Φ ein stationärer Poissonprozess in Rd mit Intensität γ > 0, so ist Θ atomfrei (undPnicht der Nullprozess). Folglich ist Φ einfach und hat daher eine Darstellung der Form Φ = n∈N δξn mit einer Folge paarweise verschiedener zufälliger Punkte ξ1 , ξ2 , . . . in Rd . 38 4 Das Boolesche Modell 4 Das Boolesche Modell In diesem Kapitel setzen wir die im Unterabschnitt 2.3 begonnen Untersuchungen fort. Sei Φ ein homogener Poissonprozess in Rd mit Intensität γ > 0 und Q ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf C d , sodass für alle C ∈ C d gilt Z λd (K + C) Q(dK) < ∞. (4.0.1) Cd d Dann P gibt es eine Folge paarweise verschiedener zufälliger Punkte ξ1 , ξ2 , . . . in R mit Φ = n∈N δξn . Weiter sei Z0 eine zufällige abgeschlossene Menge mit Verteilung Q. Man nennt Z0 typisches Korn. Bedingung (4.0.1) ist dann äquivalent zu E[λd (Z0 + C)] < ∞, C ∈ C d. Sei ferner Z1 , Z2 , . . . eine Folge stochastisch unabhängiger zufälliger kompakter Mengen mit der gemeinsamen Verteilung Q (wie Z0 ), wobei diese Folge von der Folge ξ1 , ξ2 , . . . stochastisch unabhängig sei. Dann ist X Ψ := δ(ξn ,Zn ) n∈N eine unabhängige Q-Markierung von Φ und damit ein Poissonprozess in Rd × C d mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q. Man bezeichnet diesen Poissonprozess auch als einen stationären Poissonschen Keim-Korn-Prozess. Wir betrachten nun Z= ∞ [ (Zn + ξn ). n=1 Die Überlegungen aus Kapitel 2 zeigen, dass Z eine zufällige abgeschlossene Menge ist, wenn (4.0.1) vorausgesetzt wird. Eine solche zufällige abgeschlossene Menge wird als Boolesches Modell mit den Parametern γ und Q bezeichnet. 4.1 Das Kapazitätsfunktional Wir bestimmen für ein Boolesches Modell Z verschiedene Kenngrößen und beginnen mit dem Kapazitätsfunktional, das die Verteilung von Z schon festlegt. 4.1.1 Theorem. Für C ∈ C d gilt TZ (C) = 1 − exp − γE[λd (Z0 + C ∗ )] . (4.1.1) Beweis. Gemäß Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf Rd × C d mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q. Es sei C ∈ C d \ {∅}. Setze AC := {(x, K) ∈ Rd × C d : (K + x) ∩ C 6= ∅}. 39 4 Das Boolesche Modell Dann gilt Ψ(AC ) ∼ Poiss((γλd ⊗ Q)(AC )). Es gilt Z Z d (λ ⊗ Q)(AC ) = 1 {(K + x) ∩ C 6= ∅} dx Q(dK) {z } C d Rd | ⇔x∈C−K Z Z = Cd Z = Rd 1C+K ∗ (x) dx Q(dK) λd (C + K ∗ ) Q(dK) Cd Z = λd (K + C ∗ ) Q(dK) Cd = Eλd (Z0 + C ∗ ). Mit P(Z ∩ C = ∅) = P(Ψ(AC ) = 0) = exp − γE[λd (Z0 + C ∗ )] folgt die Behauptung. Setzt man C = {0} in (4.1.1), so erhält man den Volumenanteil von Z: p = P(0 ∈ Z) = TZ ({0}) = 1 − exp[−γEλd (Z0 )]. Aufgrund von Satz 2.2.8 wissen wir bereits, dass Z stationär ist, das heißt d Z + x = Z, x ∈ Rd . Für das Kapazitätsfunktional von Z bedeutet dies TZ+x (C) = P((Z + x) ∩ C 6= ∅) = P(Z ∩ (C − x) 6= ∅) = TZ (C − x) = P(Z + x ∈ FC ) = P(Z ∈ FC ) = TZ (C). Also ist TZ translationsinvariant, was man konkret auch an (4.1.1) erkennen kann. Umgekehrt folgt aus der Translationsinvarianz des Kapazitätsfunktionals einer ZAM Z die Stationarität von Z. Im Folgenden bezeichnen wir die (eigentliche) Drehgruppe auf Rd mit SOd . Wir nennen d eine zufällige abgeschlossene Menge Z auf Rd isotrop, wenn ϑZ = Z für alle ϑ ∈ SOd gilt. Mit einer ähnlichen Überlegung wie oben sieht man, dass Z genau dann isotrop ist, wenn TZ rotationsinvariant ist. 4.1.2 Satz. Sei Z ein Boolesches Modell mit Intensität γ und Formverteilung Q (typischem d d Korn Z0 ). Gilt Z0 = ϑZ0 für jedes ϑ ∈ SOd (d.h. ist Q rotationsinvariant), so ist ϑZ = Z, ϑ ∈ SOd . 40 4 Das Boolesche Modell Beweis. Man kann zeigen, dass die Abbildung F d → F d , A 7→ ϑA für festes ϑ ∈ SOd stetig ist. Mit C ∈ C d \ {∅} erhält man aufgrund von (4.1.1) die Gleichungskette TϑZ (C) = P((ϑZ) ∩ C 6= ∅) = P(Z ∩ (ϑ−1 C)) = TZ (ϑ−1 C) = 1 − exp − γE[λd (Z0 + (ϑ−1 C)∗ )] = 1 − exp − γE[λd (Z0 + ϑ−1 C ∗ )] = 1 − exp − γE[λd (ϑZ0 + C ∗ )] = TZ (C), wobei wir im letzten Schritt die Isotropie von Z0 ausnutzen. Außer in Spezialfällen (Übungsaufgabe) gilt keine Umkehrung dieser Aussage. 4.1.3 Definition. Sei Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge. Die Kovarianzfunktion von Z wird definiert durch C(x) := P(0 ∈ Z, x ∈ Z), 4.1.4 Bemerkung. x ∈ Rd . (i) Wegen der Stationarität von Z gilt C(x) = P(y ∈ Z, x + y ∈ Z), x, y ∈ Rd . (ii) Man betrachte das zufällige Feld Y (x) := 1Z (x), x ∈ Rd . Dann gilt Cov(Y (0), Y (x)) = E[Y (0)Y (x)] − E[Y (0)]E[Y (x)] = C(x) − p2 . (iii) Ist Z nicht stationär, so definiert man die Kovarianzfunktion als Funktion von zwei Punkten druch C(x, y) := P(x ∈ Z, y ∈ Z), x, y ∈ Rd . 4.1.5 Satz. Es gilt C(x) = 2p − 1 + (1 − p)2 exp γC0 (x) , wobei C0 (x) := E[λd (Z0 ∩ (Z0 − x))] das sogenannte erwartete Kovariogramm von Z0 in x ist. Beweis. Es gilt C(x) = 1 − P(({0 ∈ Z} ∩ {x ∈ Z})c ) = 1 − P({0 6∈ Z} ∪ {x 6∈ Z}) 41 4 Das Boolesche Modell = 1 − P(0 6∈ Z) − P(x 6∈ Z) + P(0 6∈ Z, x 6∈ Z) = 1 − (1 − p) − (1 − p) + P({0, x} ∩ Z = ∅) = 2p − 1 + 1 − TZ ({0, x}) = 2p − 1 + exp − γE[λd (Z0 + {0, −x})] = 2p − 1 + exp − γE[λd (Z0 ∪ (Z0 − x))] = 2p − 1 + exp −γ E[λd (Z0 )] + E[λd (Z0 − x)] − E[λd (Z0 ∩ (Z0 − x))] , woraus die Behauptung folgt. 4.1.6 Folgerung. Es gilt lim C(x) = p2 kxk→∞ und (unter technischen Voraussetzungen an Z0 ) auch lim C(x) = p. x→0 In der Tat, da wir voraussetzen, dass E[λd (Z0 )] < ∞ gilt, kann der Satz von der majorisierten Konvergenz verwendet werden, um d d lim E λ (Z0 ∩ (Z0 + x)) = E lim λ (Z0 ∩ (Z0 + x)) = 0 kxk→∞ kxk→∞ zu erhalten. Die Asymptotik lim C(x) = p2 kann als asymptotische Unabhängigkeit von kxk→∞ {0 ∈ Z} und {x ∈ Z} verstanden werden. Wir setzen für die zweite Behauptung zusätzlich voraus, dass λd (∂Z0 ) = 0 fast sicher gilt. Dann folgt h i lim E λd (Z0 ∩ (Z0 + x)) = E lim λd (Z0 ∩ (Z0 + x)) x→0 x→0 Z = E lim x→0 Z =E 1Z0 (y)1Z0 +x (y) λ (dy) d lim 1Z0 (y)1Z0 +x (y) λ (dy) d Rd x→0 = E λd (intZ0 ) = E λd (Z0 ) , wobei zweimal der Satz von der majorisierten Konvergenz verwendet wurde. Hiermit erhält man lim C(x) = 2p − 1 + (1 − p)2 exp γE[λd (Z0 )] = 2p − 1 + 1 − p = p. x→0 42 4 Das Boolesche Modell d 4.1.7 Beispiel. Es gelte Z0 = B(0, R) für eine Zufallsvariable R ≥ 0, d = 3, E[R3 ] < ∞. Bezeichnet F die Verteilung von R, so gilt: Z ∞ 4 4 3 3 r3 F (dr). E[λ (Z0 )] = E πR = π 3 3 0 Ferner gilt: 4 C0 (x) = π 3 Z ∞ 3 kxk 2 u 3kxk kxk3 + 1− 4u 16u3 F (du). Es sei daran erinnert, dass wir mit Kd die Menge der konvexen und kompakten Teilmengen des Rd bezeichnen. Außerdem sei im Folgenden K0 := Kd \ {∅} die Menge der konvexen Körper. 4.1.8 Definition. Es sei B ∈ Kd mit 0 ∈ B. Dann heißt die Abbildung r 7→ HB (r) := P(rB ∩ Z 6= ∅|0 ∈ / Z) = 1 − P(rB ∩ Z = ∅|0 ∈ / Z) Kontaktverteilungsfunktion zum Eichkörper (oder strukturierenden Element) B. Wir setzen hierbei voraus, dass P(0 ∈ / Z) > 0 gilt. 4.1.9 Bemerkung. Die Kontaktverteilungsfunktion wird für beliebige stationäre zufällige abgeschlossene Mengen eingeführt. Im Fall dim(B) ≤ d − 1 (z.B. sei B das Segment [0, n]) kann der Fall HB (∞) := lim HB (r) < 1 r→∞ eintreten. 4.1.10 Definition. Im Fall B = B d heißt HB d sphärische Kontaktverteilungsfunktion. Im Fall B = [0, u] mit u ∈ S d−1 := {x ∈ Rd : ||x|| = 1} heißt HB lineare Kontaktverteilungsfunktion. Aus 0 ∈ B folgt HB (r) = 1 − P(Z ∩ rB = ∅, 0 ∈ / Z) P(Z ∩ rB = ∅) =1− . P(0 ∈ / Z) P(0 ∈ / Z) Man beachte dabei, dass P(0 ∈ / Z) = 1 − p = exp − γE[λd (Z0 )] > 0 für ein Boolesches Modell Z gilt. 43 (4.1.2) 4 Das Boolesche Modell 4.1.11 Bemerkung. Man betrachte die Zufallsvariable R := inf{r > 0 : Z ∩ rB 6= ∅} mit inf ∅ := ∞. Dann gilt {R ≤ r} = {Z ∩ rB 6= ∅}, wobei die Inklusion “⊆“ aus der Abgeschlossenheit folgt und “⊇“ offensichtlich gilt. Außerdem gilt {R = 0} = {0 ∈ Z}, d.h. HB (r) = P(R ≤ r|R > 0). 4.1.12 Satz. Für B ∈ K0 mit 0 ∈ B gilt 1 − HB (r) = exp − γE[λd ((Z0 + rB ∗ ) \ Z0 )] . Beweis. Aus (4.1.2) und Theorem 4.1.1 folgt exp − γE[λd (Z0 + rB ∗ )] 1 − HB (r) = exp − γE[λd (Z0 )] = exp − γE[λd (Z0 + rB ∗ )] − E[λd (Z0 )] = exp − γE[λd ((Z0 + rB ∗ ) \ Z0 )] , da Z0 ⊆ Z0 + rB ∗ ist. d 4.1.13 Beispiel. Es gelte Z0 = B(0, R0 ). Dann folgt aus Satz 4.1.12: HB d (r) = 1 − exp − γE[λd (((R0 + r)B d ) \ R0 B d )] = 1 − exp − γκd E[(R0 + r)d − R0d ] ! " d−1 #! d−1 X d j X d = 1 − exp −γκd E R0 rd−j = 1 − exp −γκd rd−j E[R0j ] . j j j=0 j=0 Auf der rechten Seite treten Momente der Radienverteilung von R0 auf. Mit Hilfe der angegebenen Relation kann man Schätzer für diese Momente bestimmen. 4.2 Partikelprozesse Es bezeichne F 0 := F d \ {∅} und C 0 := C d \ {∅}. Damit ist F 0 ein lokalkompakter Hausdorffraum mit abzählbarer Basis, insbesondere also ein separabler, vollständig metrisierbarer topologischer Raum (Polnischer Raum). 44 4 Das Boolesche Modell 4.2.1 Definition. Ein Partikelprozess Φ (in Rd ) ist ein Punktprozess auf F 0 mit P(Φ(F 0 \ C 0 ) = 0) = 1. Dies bedeutet, dass mit Wahrscheinlichkeit 1 nur kompakte Mengen auftreten. Ein Partikelprozess in Rd lässt sich in der Form Φ= τ X δCi i=1 mit zufälligen kompakten Mengen Ci und einer Zufallsvariablen τ in N0 ∪ {∞} darstellen. 4.2.2 Definition. Eine Zentrumsfunktion c : C 0 → Rd ist eine messbare Abbildung mit c(K + x) = c(K) + x, K ∈ C 0 , x ∈ Rd . Man nennt c kovariant unter Translation (translationskovariant). 4.2.3 Beispiel. Für K ∈ C 0 sei c(K) der Mittelpunkt der (eindeutig bestimmten) Umkugel B(K) von K. Weil B(K + x) = B(K) + x, K ∈ K0 , x ∈ Rd , gilt, ist c(·) kovariant. Man kann zeigen, dass B(·) und c(·) stetig bezüglich der HausdorffMetrik sind (Übung!). Wegen B(F d ) ∩ C d = B(C d ) (ohne Beweis, vergleiche [2]) ist damit c messbar. Wir fixieren eine Zentrumsfunktion c. Unter gewissen Voraussetzungen an einen Partikelprozess Φ mit τ X Φ= δKi i=1 liefert dann Z Ψ:= C0 = 1{(c(K), K − c(K)) ∈ ·} Φ(dK) τ X δ(c(Ki ),Ki −c(Ki )) i=1 einen Punktprozess auf Rd × C 0 (einen markierten Punktprozess auf Rd mit Markenraum C 0 ). Man erhält somit Ψ als Bildmaß von Φ unter der Abbildung T : K 7→ (c(K), K − c(K)). Genauer kommen als Marken nur Mengen aus C0 := {K ∈ C 0 : c(K) = 0} vor. 45 4 Das Boolesche Modell 4.2.4 Definition. Für ϕ ∈ N (F d ) und x ∈ Rd sei Tx : N (F d ) → N (F d ) definiert durch Z (Tx ϕ)(A) = 1{K + x ∈ A} ϕ(dK), A ∈ B(F d ), Fd die Translation von ϕ um x, also (Tx ϕ)(A) = ϕ(Tx−1 (A)). Ist ϕ= k X δKi , i=1 so ist Tx ϕ = k X δKi +x . i=1 Speziall ist Tx δK = δK+x . 4.2.5 Bemerkung. Die Abbildung N (F d ) × Rd → N (F d ), (ϕ, x) 7→ Tx ϕ, ist messbar. 4.2.6 Definition. Ein Punktprozess Φ auf F d (insbesondere kann Φ ein Partikelprozess sein) heißt stationär, falls d Tx Φ = Φ, x ∈ Rd , gilt. 4.2.7 Definition. Sei M ein separabler metrischer Raum mit σ-Algebra M. (i) Ein markierter Punktprozess auf Rd mit Markenraum M ist ein Punktprozess Ψ auf Rd × M mit Ψ(B × M) < ∞, B ∈ C d . Insbesondere ist dann Ψ(· × M) ein Punktprozess auf Rd . d (ii) Ein markierter Punktprozess Ψ auf Rd mit Markenraum M heißt stationär, falls Tx Ψ = Ψ für alle x ∈ Rd gilt. Dabei ist für ein Maß µ auf Rd × M das Maß Tx µ auf Rd × M definiert durch Z (Tx µ)(A) = 1A (y + x, m) µ(d(y, m)). (4.2.1) Rd ×M Erklärt man Tx (z, C) := (z + x, C), so ist Tx µ das Bildmaß von µ unter Tx . Speziell gilt für B ∈ B d , C ∈ M, die sogenannte „shadowing property“: Tx µ(B × C) = µ((B − x) × C). Merkregel: Tx δ(0,m) = δ(x,m) bzw. Tx δ(y,m) = δ(y+x,m) . 4.2.8 Satz. Es sei Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ 6= 0. Ferner sei c : C 0 → Rd eine Zentrumsfunktion. Dann ist Z Ψ(·) := 1{(c(C), C − c(C)) ∈ ·} Φ(dC) (4.2.2) C0 46 4 Das Boolesche Modell ein stationärer markierter Punktprozess mit Markenraum C0 = {C ∈ C 0 : c(C) = 0}. Ferner gibt es eine eindeutig bestimmte Zahl γ > 0 und ein eindeutig bestimmtes Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C 0 mit der Eigenschaft Q(C0 ) = 1 und Z Z 1H (K + x) Q(dK) dx, H ∈ B(C 0 ). (4.2.3) Θ(H) = γ Rd C0 Beweis. Wir betrachten C d := [0, 1]d , C0d := [0, 1)d und den “rechten oberen Rand”von C d , der erklärt ist als ∂ + C d := {(x1 , . . . , xd ) ∈ C d : maxi=1,...,d xi = 1}. Ferner sei z1 , z2 , . . . eine Nummerierung der ganzen Zahlen in Rd , d.h. von Zd . Da Φ stationär ist, ist Θ translaS tionsinvariant. Aus der Campbellschen Formel (Satz 3.2.25) sowie i (C0d + zi ) = Rd folgt nun Z d γ:=E 1{c(C) ∈ C0 } Φ(dC) C0 Z = C0 ≤ 1{c(C) ∈ C0d } Θ(dC) ∞ Z X C0 i=1 = ∞ Z X i=1 = C0 ∞ Z X i=1 Z = C0 C0 1{C ∩ (C0d + zi ) 6= ∅, c(C) ∈ C0d } Θ(dC) 1{(C + zi ) ∩ (C0d + zi ) 6= ∅, c(C + zi ) ∈ C0d } Θ(dC) 1{C ∩ C0d 6= ∅, c(C) ∈ C0d − zi } Θ(dC) 1{C ∩ C0d 6= ∅} Θ(dC) < ∞. Zuletzt wurde die lokale Endlichkeit von Θ sowie C0d ⊂ C d benutzt, vergleiche Bemerkung 3.1.3 (iii), wonach FK kompakt ist für K ∈ C d . Da Φ stationär ist, gilt Z Z d E 1{c(C) ∈ C0 + x} Φ(dC) = E 1{c(C − x) ∈ C0d } Φ(dC) C0 C0 Z =E C0 1{c(C) ∈ C0d } Φ(dC). Für eine beliebige Menge K ∈ C gibt es x1 , . . . , xm ∈ Rd , so dass K ⊂ folgt Z E C0 1{c(C) ∈ K} Φ(dC) ≤ E Z X m C 0 i=1 47 Sm d i=1 (C0 1{c(C) ∈ C0d + xi } Φ(dC) + xi ). Dann 4 Das Boolesche Modell = m X Z E C0 i=1 Z 1{c(C) ∈ C0d + xi } Φ(dC) 1{c(C) ∈ C0d } Φ(dC) < ∞. = mE C0 Dies zeigt, dass fast sicher Ψ(· × M) ein Punktprozess (insbesondere lokal endlich) ist. Wir ignorieren jetzt die messbaren Nullmengen {c(C) : Φ({C}) > 0} ist nicht lokal-endlich und {Φ(F 0 \ C d ) > 0}. Dann ist Ψ ein markierter Punktprozess (die Messbarkeit folgt aus dem Satz von Campbell). Für eine messbare Abbildung f : Rd × C 0 → [0, ∞) und x ∈ Rd erhält man mit Hilfe von (4.2.2), dass Z Z f d(Tx Ψ) = f (y + x, C) Ψ(d(y, C)) Rd ×C 0 Rd ×C 0 Z f (c(K) + x, K − c(K)) Φ(dK) = C0 Z f (c(K + x), K + x − c(K + x)) Φ(dK) = C0 Z f (c(K), K − c(K)) (Tx Φ)(dK) = C0 d Z f (c(K), K − c(K)) Φ(dK) = C0 Z = f dΨ, Rd ×C 0 d wobei im vorletzten Schritt die Stationarität von Φ verwendet wurde, d.h. Tx Φ = Φ. Damit d folgt Ψ = Tx Ψ (vergleiche Satz 3.2.27). Die anderen Behauptungen folgen, indem wie im Beweis von Satz 2.2.5 argumentiert (siehe Vorlesung). 4.2.9 Bemerkung. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 gilt für eine Menge B ∈ B d mit 0 < λd (B) < ∞ Z 1 1B (c(K)) Φ(dK) . γ= d E λ (B) C0 Dazu setzt man H := {K ∈ C 0 : c(K) ∈ B} in (4.2.3) und erhält Z E 1{c(K) ∈ B} Φ(dK) = Θ(H) C0 Z Z =γ C0 48 Rd 1{c(K + x) ∈ B} dx Q(dK) 4 Das Boolesche Modell Z =γ λd (B − c(K)) Q(dK) C0 Z =γ λd (B) Q(dK) = γλd (B). C0 Allgemeiner und mit gleicher Argumentation erhält man (siehe Vorlesug) Z 1 E 1B (c(K))1H (K − c(K)) Φ(dK) . Q(H) = γλd (B) C0 4.2.10 Definition. Ist Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokalendlichem Intensitätsmaß, so heißt γ die Intensität und Q die Formverteilung von Φ (jeweils bezüglich der gegebenen Zentrumsfunktion). 4.2.11 Lemma. Es sei c0 eine weitere Zentrumsfunktion. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 gilt Z 0 γ=E 1{c (K) ∈ B} Φ(dK) C0 für B ∈ B d mit λd (B) = 1. Intensitäten hängen also nicht von der gewählten Zentrumsfunktion ab. Beweis. Übung. 4.2.12 Bemerkung. Unter den Voraussetzungen von Lemma 4.2.11 sei Q0 die Formverteilung bezüglich c0 . Dann gehen Q und Q0 durch “Verschiebung” auseinander hervor. Ist etwa H ⊂ C 0 verschiebungsinvariant (d.h. H = H + x := {K + x : K ∈ H} für jedes x ∈ Rd ), so gilt Q(H) = Q0 (H). Nachweis: Übung. 4.2.13 Bemerkung. Nicht jedes Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C kann unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 als Formverteilung vorkommen. Für C ∈ C 0 gilt: Z Z Z ∞ > Θ(FC ) = γ 1{(K + x) ∩ C 6= ∅} dx Q(dK) = γ λd (K + C ∗ ) Q(dK). C0 Rd C0 Also gilt Z λd (K + C ∗ ) Q(dK) < ∞, C ∈ C d. (4.2.4) C0 Dies wird in den Übungen genauer besprochen. 4.2.14 Satz. Unter den Voraussetzungen von Satz 4.2.8 sei Φ ein Poissonprozess. Dann ist Z Ψ := 1{(c(K), K − c(K)) ∈ ·} Φ(dK) C0 ein Poissonprozess auf Rd × C 0 . 49 4 Das Boolesche Modell Beweis. Wir verwenden den „Abbildungssatz“ für Poissonprozesse, der in den Übungen besprochen wird. Sei Φ ein Poissonprozess auf X mit Intensitätsmaß Θ und T : X → Y messbar. Definiere Z T (Φ)(B) := 1{T (x) ∈ B} Φ(dx). X Gilt nun zusätzlich Z E[T (Φ)(B)] = 1{T (x) ∈ B} Θ(dx) < ∞, B ⊂ Y beschränkt, X so ist T (Φ) ein Poissonprozess. In unserem Fall ist T (K) := (c(K), K − c(K)). 4.2.15 Satz. Es sei Ψ ein Poissonprozess auf Rd × C 0 mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q für γ > 0 und ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf C 0 . Es gelte (4.2.4). Dann ist Z Φ(·) := 1{K + x ∈ ·} Ψ(d(x, K)) Rd ×C 0 ein stationärer Poissonprozess. Beweis. Da Ψ als Poissonprozess durch sein Intensitätsmaß in Verteilung festgelegt ist, ist Ψ stationär. Dann ist auch Φ stationär und ein Poissonprozess, wie aus dem Abbildungssatz für Poissonprozesse folgt. 4.2.16 Bemerkung. Es sei Φ ein stationärer Poissonscher Partikelprozess mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ. Es sei [ Z := K K∈Φ das zugehörige Boolesche Modell. Dann folgt TZ (C) = 1 − P(Z ∩ C = ∅) = 1 − exp(−Θ(FC )), in Übereinstimmung mit Theorem 4.1.1 und Satz 4.2.14. Gemäß Übungsaufgabe 6.5 legt TZ das Intensitätsmaß Θ fest. 4.3 Die Steinersche Formel Im Folgenden bezeichnen wir mit Vd (B) das d-dimensionale Volumen und mit Od−1 (B) den Oberflächeninhalt einer Borelschen Menge B ⊂ Rd . Formal erklärt man Od−1 (B) als das (d − 1)-dimensionale Hausdorffmaß des Randes ∂B von B. 4.3.1 Lemma. Für K ∈ C d und ε ≥ 0 ist K + εB d := {x + y : x ∈ K, y ∈ εB d } = {x ∈ Rd : d(x, K) ≤ ε}. 50 4 Das Boolesche Modell Beweis. Übungsaufgabe. Wir untersuchen jetzt das Parallelvolumen Vd (K + εB d ) in Abhängigkeit von ε. Beobachtung 1. Vd (K + εB d ) ≈ Vd (K) + εOd−1 (K) + R(ε), wobei R(ε) ∈ O(ε2 ), d.h. R(ε) ist im Vergleich zu ε klein. Beispiel. Sei d = 2, K = rB 2 . Dann gilt V2 (K + εB 2 ) = V2 ((r + ε)B 2 ) = π(r + ε)2 = πr2 + 2πrε + πε2 = V2 (K) + εO1 (K) + πε2 . Beobachtung 2. Sei wieder d = 2 und K ein konvexes Polygon. V2 (K + εB 2 ) = V2 (K) + εO1 (K) + πε2 ist ein Polynom in ε vom Grad zwei. 4.3.2 Definition. Für d ∈ N sei κd := Vd (B d ) = π d/2 /Γ((d/2) + 1) das Volumen der ddimensionalen Einheitskugel. Ferner sei κ0 = 1. Es gilt: κ1 = 2, κ2 = π, κ3 = 43 π, . . . 4.3.3 Satz (Steinersche Formel). Für K ∈ Kd gibt es Zahlen V0 (K), . . . , Vd (K) ≥ 0, sodass Vd (K + εB d ) = d X κd−j εd−j Vj (K) (4.3.1) j=0 für alle ε ≥ 0 gilt. Beweis. O.B.d.A. sei K 6= ∅. Für x ∈ Rd sei p(K, x) := y ∈ K, falls kx − yk = d(x, K). Für x ∈ K ist p(K, x) = x und für x ∈ / K ist p(K, x) ∈ ∂K. Weil K konvex ist, ist y eindeutig bestimmt. Der Vektor p(K, x) heißt metrische Projektion von x auf K. u(K, x) := x − p(K, x) ∈ S d−1 , d(K, x) x∈ / K, ist eine äußere Normale von K im Punkt x. Eine Stützhyperebene von K ist eine Hyperebene H mit K ∩ H 6= ∅ und K ⊂ H − , wobei H − einer der beiden Halbräume ist, die von H berandet werden. Wir setzen zunächst voraus, dass K ein Polytop ist, d.h. ein endlicher Durchschnitt von Halbräumen, der beschränkt ist (äquivalent dazu ist ein Polytop die konvexe Hülle einer endlichen Punktmenge). Für ein Polytop K definieren wir eine Seite von K als einen Durchschnitt von K mit einer Stützhyperebene. Wir bezeichnen eine Seite F von K als eine j-Seite, falls dim F := dim(aff F ) = j gilt. Für j = 0, . . . , d − 1 erklären wir außerdem Fj (K) als das 51 4 Das Boolesche Modell endliche System aller j-Seiten von K. Eine wichtige Beobachtung ist, dass der Rand jedes Polytops die disjunkte Vereinigung des relativen Inneren seiner Seiten ist. S Des Weiteren ist der Normalenkegel N (K, F ) eines Polytops zu einer Seite F ∈ d−1 j=0 Fj (K) von K die Menge der äußeren Normalenvektoren in einem beliebigen Punkt x ∈ relint F . Diese Definition ist unabhängig von der konkreten Wahl von x. Ferner sei γ(F, K) := Hd−j−1 (N (K, F ) ∩ S d−1 ) , Hd−j−1 (L ∩ S d−1 ) F ∈ Fj (K), der äußere Winkel von K bei F , wobei L das orthogonale Komplement des Richtungsraums von F und Hk das k-dimensionale Hausdorff-Maß auf dem Rd ist. Dann gilt Z d Vd (K + εB ) − Vd (K) = 1{x ∈ (K + εB d ) \ K} dx Rd = d−1 X X Z j=0 F ∈Fj (K) = d−1 X X Z j=0 F ∈Fj (K) = Rd d−1 X X 1{x ∈ (K + εB d ) \ K, p(K, x) ∈ relint F } dx Z Rd Rd 1 {z ∈ N (K, F ), ||z|| ≤ ε, y ∈ relint F } Hd−j (dz) Hj (dy) Z j H (relint F ) Rd j=0 F ∈Fj (K) = d−1 X X j=0 F ∈Fj (K) = d−1 X X Hj (relint F ) 1 {z ∈ N (K, F ), ||z|| ≤ 1} Hd−j (dz) · εd−j 1 κd−j d−j Hd−1−j (N (K, F ) ∩ S d−1 ) ·ε d−j κd−j Hj (F ) · γ(F, K) · κd−j · εd−j . j=0 F ∈Fj (K) Mit X Vj (K) := Hj (F ) · γ(F, K) (4.3.2) F ∈Fj (K) gilt (4.3.1). Für allgemeines K ∈ Kd \ {∅} gibt es Polytope Kn , n ∈ N, mit ρ(Kn , K) → 0, n → ∞. (Der Beweis dieser Aussage sei Übungsaufgabe.) Aus (4.3.1) ergibt sich für k ∈ {1, . . . , d + 1}: Vd (Kn + kB d ) = d X κd−j k d−j Vj (Kn ). j=0 Dieses lineare Gleichungssystem kann nach Vj (Kn ) aufgelöst werden: Vj (Kn ) = d+1 X αjk Vd (Kn + kB d ). k=1 52 4 Das Boolesche Modell Die Koeffizienten αjk ∈ R hängen nicht von Kn ab. Man kann außerdem leicht Vd (Kn + εB d ) → Vd (K + εB d ), n → ∞, ε ≥ 0 (4.3.3) zeigen. Nun erklärt man Vj (K) := d+1 X αjk Vd (K + kB d ). (4.3.4) k=1 Da Vd stetig ist und ebenso die Bildung der Minkowskisumme eine stetige Operation ist, ist Vj ein stetiges Funktional auf den konvexen Körpern bezüglich der Hausdorffmetrik. Geht man in d X d Vd (Kn + εB ) = κd−j εd−j Vj (Kn ) j=0 zum Grenzwert über, so folgt (4.3.1). 4.3.4 Definition. Die Zahlen V0 (K), . . . , Vd (K) heißen innere Volumina von K. 4.3.5 Bemerkung. Die Koeffizienten κd−j wurden aus Normierungsgründen gewählt. 4.3.6 Bemerkung. (i) Vd (K) auf der rechten Seite von (4.3.1) ist gleich λd (K). (ii) Aus (i) folgt 1 2Vd−1 (K) = κ1 Vd−1 (K) = lim (Vd (K + εB d ) − Vd (K)). ε→0 ε Im Fall dim K = d ist Vd−1 also der halbe Oberflächeninhalt von K und im Fall dim K ≤ d − 1 der Oberflächeninhalt von K. (iii) Im Fall K 6= ∅ ist V0 (K) = 1. Ferner gilt V0 (∅) = . . . = Vd (∅) = 0. Man nennt V0 auch Euler-Charakteristik. 4.3.7 Definition und Satz. Sei j ∈ {0, . . . , d}. Dann gilt: (i) Das Funktional Vj ist bewegungsinvariant, d.h. Vj (gK) = Vj (K), K ∈ Kd , g ∈ Gd . Dabei ist Gd die Gruppe der Bewegungen auf Rd (Komposition von Drehungen und Verschiebungen). (ii) Vj ist homogen von Grad j, d.h. Vj (αK) = αj Vj (K), K ∈ Kd , α > 0. (iii) Vj ist stetig auf Kd bezüglich der Hausdorffmetrik. 53 4 Das Boolesche Modell (iv) Vj ist additiv, d.h. Vj (K ∪ L) = Vj (K) + Vj (L) − Vj (K ∩ L), K, L, K ∪ L ∈ Kd . Beweis. (i) und (iii) folgen direkt aus (4.3.4) und den entsprechenden Eigenschaften von Vd . (ii) Für α > 0, K ∈ Kd gilt d X (4.3.1) κd−j εd−j Vj (αK) = Vd (αK + εB d ) = αd Vd (K + j=0 (4.3.1) = α d d X κd−j ε d−j α −(d−j) ε d B ) α Vj (K) = j=0 d X κd−j εd−j αj Vj (K). j=0 Koeffizientenvergleich (vor εd−j ) zeigt Vj (αK) = αj Vj (K). (iv) Es seien K, L ∈ Kd mit K ∪ L ∈ Kd . O.B.d.A. gelte K 6= ∅ und L 6= ∅. Man zeigt (durch Betrachtung von p(K, ·), p(L, ·) und p(K ∪ L, ·)), dass gilt 1(K∪L)+εBd + 1(K∩L)+εBd = 1K+εBd + 1L+εBd . Integration liefert, dass K 7→ V (K + εB d ) additiv ist. Aus (4.3.4) folgt die Behauptung. Die inneren Volumina können auf vielfältige Weise verallgemeinert werden. Es gibt (hier ohne Beweis) ein eindeutig bestimmtes symmetrisches (nicht-negatives) Funktional V : (Kd \ {∅})d → R mit m X Vd (t1 K1 + . . . + tm Km ) = ti1 . . . tid V (Ki1 , . . . , Kid ) (4.3.5) i1 ,...,id =1 für alle t1 , . . . , tm ≥ 0, K1 , . . . , Km ∈ Kd \ {∅}, m ∈ N, das symmetrisch und “multilinear” in den Argumenten ist. 4.3.8 Definition. Die nicht-negative reelle Zahl V (K1 , . . . , Kd ) heißt gemischtes Volumen von K1 , . . . , Kd . Für K, L ∈ Kd \ {∅}, j ∈ {0, . . . , d} schreibt man V (K[j], L[d − j]) := V (K, . . . , K , L, . . . , L) . | {z } | {z } j d−j 4.3.9 Bemerkung. Wählt man m = 2, t1 = 1, t2 = t, K1 = K und K2 = L in (4.3.5), so erhält man d X d d−j Vd (K + tL) = t V (K[j], L[d − j]). j j=0 Man nennt diese Formel auch Steiner-Formel zum strukturierenden Element L. Ein Vergleich mit der Steiner-Formel für L = B d zeigt: d −1 Vj (K) = κ V (K[j], B d [d − j]), j = 0, . . . , d. j d−j 54 4 Das Boolesche Modell 4.4 Das Boolesche Modell mit konvexen Körnern Wir betrachten ein stationäres Boolesches Modell Z mit Intensität γ und typischem Korn Z0 mit P(Z0 ∈ Kd \ {∅}) = 1. 4.4.1 Satz. Für die sphärische Kontaktverteilungsfunktion von Z gilt ! d−1 X 1 − HB d (r) = exp −γ κd−j rd−j E[Vj (Z0 )] , r ≥ 0. j=0 Beweis. Satz 4.1.12 besagt für B ∈ Kd mit 0 ∈ B 1 − HB (r) = exp −γ E[λd (Z0 + rB ∗ )] − E[λd (Z0 )] . Für B = B d folgt die Behauptung aus der Steiner-Formel: d d E[λ (Z0 + rB )] = d X κd−j rd−j E[Vj (Z0 )]. j=0 4.4.2 Bemerkung. Aus der Voraussetzung E[λd (Z0 + rB d )] < ∞, r ≥ 0, folgt E[Vj (Z0 )] < ∞, j = 0, . . . , d. Auch die Umkehrung dieser Aussage ist richtig. 4.4.3 Bemerkung. Die sphärische Kontaktverteilungsfunktion wird durch die Zahlen γE[Vj (Z0 )], j = 0, . . . , d − 1, festgelegt. Der Volumenanteil wird durch γE[Vd (Z0 )] bestimmt. 4.4.4 Satz. Es sei B ∈ Kd mit 0 ∈ B. Dann gilt: ! d 1 − HB (r) = exp −γ rd−j E V (Z0 [j], B ∗ [d − j]) , j j=0 d−1 X r≥0 Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz 4.1.12 und Bemerkung 4.3.9. Auf Messbarkeitsfragen gehen wir nicht ein. 4.4.5 Satz. Für jedes u ∈ S d−1 gilt 1 − H[0,u] (r) = exp −γrE[Vd−1 (Z0 |u⊥ )] . Dabei ist K|u⊥ die orthogonale Projektion von K ⊂ Rd auf u⊥ := span(u)⊥ . Ist Z0 isotrop, so gilt 2κd−1 1 − H[0,u] (r) = exp −γ rE[Vd−1 (Z0 )] . dκd 55 4 Das Boolesche Modell Beweis. Für B := [0, u] = {s · u : 0 ≤ s ≤ 1} und K ∈ Kd \ {∅} zeigen wir ( Vd−1 (K|u⊥ ), falls j = d − 1, d V (K[j], B[d − j]) = j 0, sonst. Dann folgt die Behauptung aus Satz 4.4.4. Zum Beweis der Behauptung genügt nach Bemerkung 4.3.9 der Nachweis von Vd (K + r[0, u]) = Vd (K) + rVd−1 (K|u⊥ ), r ≥ 0. Für y ∈ u⊥ sei f (y) := max{λ ∈ R : y + λu ∈ K}. Dann gilt: y + λu ∈ (K + rB) \ K ⇔ (i) y ∈ K|u⊥ und (ii) f (y) < λ ≤ f (y) + r. Der Satz von Fubini liefert Z Z Vd ((K + rB) \ K) = u⊥ Z Z = u⊥ Z = u⊥ 1{y + λu ∈ (K + rB) \ K} dλ dy R 1{y ∈ K|u⊥ }1{f (y) < λ ≤ f (y) + r} dλ dy R 1{y ∈ K|u⊥ }r dy = rVd−1 (K|u⊥ ). Es bezeichne ν has Haarsche Wahrscheinlichkeitsmaß auf SOd . Im isotropen Fall schließt man dann für jedes u ∈ S d−1 und jedes ρ ∈ SOd EVd−1 (Z0 |u⊥ ) = EVd−1 (Z0 |%u⊥ ) und damit Z ⊥ Vd−1 (Z0 |%u⊥ ) ν(d%) EVd−1 (Z0 |u ) = E SOd = 2 Eκd−1 Vd−1 (Z0 ). dκd Die letzte Gleichung folgt mit Hilfe der integralgeometrischen Projektionsformel in Bemerkung 5.3.21. 4.4.6 Beispiel. Wie weit kann man in einem (Booleschen) Wald sehen? Betrachte dazu d = 2 und Z0 = B(0, R). Aus dem isotropen Fall von Satz 4.4.5 folgt für u ∈ S d−1 2κ1 1 − H[0,u] (r) = exp −γr E[V1 (B(0, R))] 2κ2 56 4 Das Boolesche Modell 2κ1 E[κ2 R] = exp(−2γrE[R]). = exp −γr 2κ2 Sei zum Beispiel E[R] = 0, 2m und γ = 0, 01m−2 . Dann gilt H[0,u] (r) = 1 − exp(−0, 004r). So ist etwa die Wahrscheinlichkeit, höchstens 500 Meter weit sehen zu können H[0,u] (500) = 1 − e−2 ≈ 0, 865. 4.4.7 Beispiel. Es sei u ∈ S d−1 . Man zeigt leicht, dass Zu := Z ∩ span(u) wieder ein Boolesches Modell in span(u) ist (Man betrachte dazu etwa TZu ). Von Zu werden Teile von span(u) überdeckt. Wir gehen davon aus, dass 0 ∈ span(u) nicht von Z überdeckt wird, und bezeichnen mit X0 die Länge der Zusammenhangskomponente von span(u) \ Zu , welche 0 enthält. Die Länge der (in positive u-Richtung gezählt) nächsten Zusammenhangskomponente von span(u) \ Zu werde mit X1 bezeichnet, die Länge der vorherigen mit X−1 usw. Die Zufallsvariablen (Xn )n∈Z sind unabhängig unter P(·|0 ∈ / Zu ) (ohne Beweis). Ferner sind sie exponentialverteilt (folgt aus Satz 4.4.5). Die Xn entsprechen den “idle periods“ in einer M/G/∞-Warteschlange. Für Details wird auf die Übungen verwiesen. 4.4.8 Satz. Das typische Korn Z0 sei isotrop. Dann gilt ! d−1 X κj κd−j d−j r Vd−j (B)E[Vj (Z0 )] , 1 − HB (r) = exp −γ d κd j j=0 r ≥ 0. Beweisidee. Aufgrund der vorausgesetzten Isotropie gilt Z ∗ 1{(Z0 + x) ∩ rB 6= ∅} dx E[Vd (Z0 + rB )] = E Rd Z Z =E SOd Rd 1{(ρZ0 + x) ∩ rB = 6 ∅} dx ν(dρ) . Hierbei ist ν das eindeutig bestimmte rotationsinvariante (Haarsche) Wahrscheinlichkeitsmaß auf SOd . Das bedeutet Z ∗ 1{gZ0 ∩ rB 6= ∅} µd (dg) , E[Vd (Z0 + rB )] = E Gd wobei Gd die Menge aller Bewegungen auf Rd und µd ein geeignet normiertes bewegungsinvariantes Maß auf Gd ist (für Details wird auf die Vorlesung verwiesen). Dies führt auf die kinematische Hauptformel, die in Kapitel 5 ausführlicher besprochen wird. Diese besagt Z Vj (K ∩ gM ) µd (dg) = Gd d X αdjk Vk (K)Vd+j−k (M ), k=j wobei αdjk = k j κk κd+j−k . d κj κd k−j 57 4 Das Boolesche Modell Speziell für j = 0 erhält man αd0k = κk κd−k . d κd k Dies ergibt die Behauptung. 58 5 Dichten innerer Volumina 5 Dichten innerer Volumina 5.1 Geometrische Dichten von Partikelprozessen Es sei Φ ein stationärer Partikelprozess mit lokal-endlichem Intensitätsmaß Θ. Hierbei seien γ und Q Intensität und Formverteilung bezüglich des Umkugelmittelpunktes c : C 0 → Rd als Zentrumsfunktion. 0 R5.1.1 Satz. Es sei f : C → R messbar und translationsinvariant. Weiter gelte f ≥ 0 oder |f | dQ < ∞. C0 (i) Für B ∈ B d mit 0 < λd (B) < ∞ gilt Z Z 1 E 1{c(C) ∈ B}f (C) Φ(dC) . γf := γ f dQ = d λ (B) C0 C0 (ii) Für W ∈ Kd mit Vd (W ) > 0 gilt 1 γf = lim E r→∞ Vd (rW ) Z C0 1{C ⊂ rW }f (C) Φ(dC) . (iii) Es gelte Z C0 |f (C)|λd (C + B d ) Q(dC) < ∞. (5.1.1) Dann folgt für W ∈ Kd mit Vd (W ) > 0 Z 1 γf = lim 1{C ∩ rW 6= ∅}f (C) Φ(dC) . E r→∞ Vd (rW ) C0 (i) Mit der Campbellschen Formel und Satz 4.2.8 erhält man Z Z 1{c(C) ∈ B}f (C) Φ(dC) = 1{c(C) ∈ B}f (C) Θ(dC) E Beweis. C0 C0 Z Z =γ C0 Rd Z Z =γ C0 Z =γ Rd 1{c(K) + x ∈ B}f (K) dx Q(dK) λd (B)f (K) Q(dK) C0 = λd (B)γf . 59 1{c(K + x) ∈ B}f (K + x) dx Q(dK) 5 Dichten innerer Volumina (ii) Wie in (i) folgt Z Z E 1{C ⊂ rW }f (C) Φ(dC) = γ f (K)λd ({x ∈ Rd : K + x ⊂ rW }) Q(dK). C0 C0 O.B.d.A. (!) gelte 0 ∈ int W . Es gibt eine messbare Funktion ρ : C 0 → [0, ∞) mit K ⊂ ρ(K)W, K ∈ C 0. Für fixiertes K ∈ C 0 sei r > ρ(K). Dann gilt d (r − ρ(K))d ρ(K) = 1− r rd Vd ((r − ρ(K))W ) Vd (rW ) Z −1 = Vd (rW ) 1{x ∈ (r − ρ(K))W } dx = Rd ≤ Vd (rW )−1 Z Rd 1{K + x ⊂ rW } dx ≤ 1. Für die Ungleichung überlegt man sich, dass für x ∈ (r − ρ(K))W gilt K + x ⊂ K + (r − ρ(K))W ⊂ ρ(K)W + (r − ρ(K))W = rW. Damit folgt aus Z 1 1{C ⊂ rW }f (C) Φ(dC) E Vd (rW ) C0 Z λd ({x ∈ Rd : K + x ⊂ rW }) =γ f (K) Q(dK) λd (rW ) C0 | {z } ↑1, r→∞ die Behauptung im Fall f ≥ 0 mittels monotoner Konvergenz angewendet auf die untere Schranke für den Integranden. Im integrierbaren Fall folgt die Behauptung aus dem Satz über majorisierte Konvergenz. (iii) Es gilt: 1 Vd (rW ) Z C0 1{C ∩ rW 6= ∅}f (C) Φ(dC) Z Z γ = 1{(K + x) ∩ rW 6= ∅}f (K) dx Q(dK) Vd (rW ) C0 Rd Z Z γ = 1{(r−1 K + y) ∩ W 6= ∅}f (K) dy Q(dK) Vd (W ) C0 Rd 60 5 Dichten innerer Volumina γ = Vd (W ) Z λd (W − r−1 K)f (K) Q(dK). C0 Für jedes K ∈ C d gilt (!) lim Vd (W − r−1 K) = Vd (W ). r→∞ O.B.d.A. gelte 0 ∈ W . Ein Überdeckungsargument zeigt (Details werden in den Übungen behandelt) Vd (W − r−1 K) ≤ bW Vd (W − K), r ≥ 1, für ein bW > 0 unabhängig von K sowie Vd (W − K) ≤ b0W Vd (B d + K) R für ein b0W > 0. Nach (5.1.1) ist C0 |f (K)|Vd (B d + K) Q(dK) < ∞. Majorisierte Konvergenz liefert die Behauptung. 5.1.2 Definition. Die Zahl Z γf := γ f dQ C0 heißt f -Dichte von Φ. Für translationsinvariantes f , welches zusätzlich eine Integrabilitätsbedingung erfüllt, gilt Z 1 1{C ∩ rW 6= ∅}f (C)Φ(dC) , C ∈ C 0 , E γf = lim r→∞ Vd (rW ) 0 C wie gerade gezeigt wurde. 5.2 Geometrische Dichten von Keim-Korn-Modellen 5.2.1 Definition. (i) Der Konvexring Rd ist das System aller endlichen Vereinigungen konvexer Körper. (ii) Der erweiterte Konvexring S d ist das System aller Mengen M ⊂ Rd mit M ∩ K ∈ Rd , K ∈ Kd . (iii) Eine Funktion f : Kd \ {∅} → R (oder f : Kd → R) heißt additiv, falls f (K ∪ L) + f (K ∩ L) = f (K) + f (L), für alle K, L ∈ Kd \ {∅} mit K ∪ L ∈ Kd gilt. Gehört die leere Menge zum Definitionsbereich von f , so fordert man noch f (∅) = 0. Eine Funktion f : Rd → R heißt additiv, falls f (∅) = 0 und die obige Gleichung für alle K, L ∈ Rd richtig ist. 61 5 Dichten innerer Volumina Ziele: Sei Z eine stationäre zufällige abgeschlossene Menge im erweiterten Konvexring, die passende Integrabilitätsbedingungen erfüllt. (i) Für translationsinvariante und additive Funktionen f : Rd → R zeigen wir die Existenz des Grenzwertes δf := lim Vd (rW )−1 E[f (Z ∩ rW )] r→∞ für W ∈ Kd mit Vd (W ) > 0. (ii) Alternative Darstellungen für δf . (iii) Formeln für Boolesche Modelle (“δVi ist eine Funktion von γVi ”). (iv) Ergodische Interpretation von δf . Wir benötigen zunächst einige Lemmata. 5.2.2 Lemma. Ist f : Rd → R additiv, so gilt das Inklusions-Exklusionsprinzip: f (K1 ∪ . . . ∪ Km ) = m X X (−1)j−1 j=1 f (Ki1 ∩ . . . Kij ), K1 , . . . Km ∈ Rd 1≤i1 <...<ij ≤m mit m ∈ N. Beweis. Induktion (Übung). Bezeichnungen: • C d := [0, 1]d , C0d := [0, 1)d , ∂ + C d := C d \ C0d . • Für z ∈ Zd sei Cz := C d + z, C0,z := C0d + z und ∂ + Cz := ∂ + C d + z. • Ist f : S d → R, so sei f (K, z) := f (K ∩ Cz ) − f (K ∩ ∂ + Cz ). Es folgt ein zentrales Lemma: 5.2.3 Lemma. Ist f : Rd → R additiv, so gilt: X f (K) = f (K, z), K ∈ Rd . z∈Zd Beweis. Es bezeichne < die (strikte) lexikographische Ordnung auf Zd . Für (z1 , . . . , zd ) ∈ Zd und (y1 , . . . , yd ) ∈ Zd ist diese erklärt durch (z1 , . . . , zd ) < (y1 , . . . , yd ) genau dann, wenn es ein k ∈ {1, . . . , d} gibt mit z1 = y1 , . . . , zk−1 = yk−1 und zk < yk . 62 5 Dichten innerer Volumina Dann gilt ∂ + Cz = Cz ∩ [ z ∈ Zd . Cy , y : z<y Aus Lemma 5.2.2 folgt ! X f (K ∩ ∂ + Cz ) = z∈Zd X [ f = (K ∩ Cz ∩ Cy ) y:z<y z∈Zd ∞ XX =− f (K ∩ Cz ∩ Cy1 ∩ . . . ∩ Cyj ) z<y1 <...<yj z∈Zd j=1 ∞ X X (−1)j−1 (−1)k−1 X f (K ∩ Cz1 ∩ . . . ∩ Czk ), z1 <...<zk k=2 wobei wir im zweiten Schritt die Tatsache nutzen, dass Cz ∩ Cyj 6= ∅ nur für endlich viele j und f (∅) = 0 gilt. Damit folgt wiederum mit Lemma 5.2.2 ! [ f (K) = f (K ∩ Cz ) z∈Zd = X ∞ X (−1)k−1 f (K ∩ Cz ) + z∈Zd = X = f (K ∩ ∂ + Cz ) z∈Zd z∈Zd X X f (K ∩ Cz1 ∩ . . . ∩ Czk ) z1 <...<zk k=2 f (K ∩ Cz ) − X f (K ∩ Cz ) − f (K ∩ ∂ + Cz ) z∈Zd = X f (K, z). z∈Zd 5.2.4 Definition. Eine Funktion f : Rd → R heißt bedingt beschränkt, falls sie für jedes K ∈ K0 beschränkt auf {L ∈ K0 : L ⊂ K} ist. 5.2.5 Lemma. Ist f : Rd → R verschiebungsinvariant, additiv und bedingt beschränkt, so gilt f (rW ) = f (C d ) − f (∂ + C d ), r→∞ Vd (rW ) lim falls W ∈ Kd mit Vd (W ) > 0. 63 5 Dichten innerer Volumina Beweis. O.B.d.A. sei 0 ∈ int W . Aus Lemma 5.2.3 folgt X f (rW ) = f (rW, z), r > 0. (5.2.1) z∈Zd Definiere Zr1 := {z ∈ Zd : Cz ∩ rW 6= ∅, Cz 6⊂ rW } und Zr2 := {z ∈ Zd : Cz ⊂ rW }. Wir benutzen (Übung) card Zr1 =0 lim r→∞ Vd (rW ) und card Zr2 lim = 1. r→∞ Vd (rW ) (5.2.2) Aus der Translationsinvarianz und der bedingten Beschränktheit von f folgt |f (rW, z)| = |f (rW ∩ Cz ) − f (rW ∩ ∂ + Cz )| = |f ((rW − z) ∩ C d ) − f ((rW − z) ∩ ∂ + C d )| ≤ b für ein von z, r und W unabhängiges b ≥ 0. Damit ist X (5.2.2) −1 Vd (rW ) f (rW, z) ≤ Vd (rW )−1 card(Zr1 )b −→ 0, z∈Zr1 r → ∞. Also folgt mit (5.2.1) und f (∅) = 0 lim Vd (rW )−1 f (rW ) = lim Vd (rW )−1 r→∞ r→∞ X f (rW, z) z∈Zr2 (5.2.2) = f (C0d ) lim Vd (rW )−1 card Zr2 = f (C0d ). r→∞ Dabei haben wir im zweiten Schritt ausgenutzt, dass für Cz ⊂ rW gilt f (rW, z) = f (rW ∩ Cz ) − f (rW ∩ ∂ + Cz ) = f (Cz ) − f (∂ + Cz ) = f (C d ) − f (∂ + C d ), wobei wir wieder die Translationsinvarianz von f verwendet haben. Mit dem nächsten Theorem erreichen wir zwei der zu Beginn des Abschnitts formulierten Ziele. 5.2.6 Theorem. Der stationäre markierte Punktprozess Ψ erfülle die Voraussetzungen von Satz 2.2.8 und es sei Z das zugehörige Keim-Korn-Modell. Es sei f : Rd → R messbar, translationsinvariant, additiv und bedingt beschränkt. Ferner gelte E[2NC d ] < ∞, 64 (5.2.3) 5 Dichten innerer Volumina wobei NM für M ∈ B d definiert ist durch Z 1{(K + x) ∩ M 6= ∅} Ψ(d(x, K)). NM := Rd ×C 0 Dann existiert der Grenzwert δf := lim r→∞ E[f (Z ∩ rW )] = E[f (Z ∩ C d ) − f (Z ∩ ∂ + C d )]. Vd (rW ) Beweis. O.B.d.A. kann W ⊂ C d vorausgesetzt werden. Man betrachte den Partikelprozess Z 1{K + x ∈ ·}1{(K + x) ∩ W 6= ∅} Ψ(d(x, K)), ΦW (·) := Rd ×C 0 d.h. man betrachtet nur die Körner + x, die W schneiden. Es existieren zufällige kompakte PNK W Mengen K1 , K2 , . . . mit ΦW = j=1 δKj . Damit gilt mit Lemma 5.2.2: ! N N W W [ X X f (Z ∩ W ) = f W ∩ Kj = (−1)j−1 f (W ∩ Ki1 ∩ . . . ∩ Kij ). j=1 1≤i1 <...<ij ≤NW j=1 Weil f bedingt beschränkt ist, gibt es ein b > 0 mit "N # W X NW E[|f (Z ∩ W )|] ≤ bE ≤ bE[2NW ] ≤ bE[2NC d ] < ∞. j j=1 Wegen Stationarität und Translationsinvarianz erhält man E[|f (Z ∩(W +x)|] < ∞ für x ∈ Rd . Aus Lemma 5.2.2 folgt E[|f (Z ∩ M )|] < ∞ für M ∈ Rd . Somit ist f ∗ : Rd → R mit f ∗ (M ) := E[f (Z ∩ M )] eine additive, translationsinvariante, bedingt beschränkte Funktion. Lemma 5.2.2, angewendet auf f ∗ , liefert die Behauptung. 5.3 Integralgeometrie Ist f : Kd → R additiv, so heißt eine additive Funktion f˜: Rd → R additive Fortsetzung von f , wenn f˜|Kd = f . In diesem Fall schreibt man oft f := f˜. Wegen der Inklusions-ExklusionsFormel kann es höchstens eine Fortsetzung geben. 5.3.1 Satz. Für jedes j ∈ {0, . . . , d} gibt es genau eine additive Fortsetzung von Vj . Für den Beweis benötigen wir noch ein paar Vorbereitungen. 5.3.2 Lemma. Es sei f : Kd → R stetig und additiv. Gilt m X αi 1Ki = 0 i=1 für m ∈ N, α1 , . . . , αm ∈ R, K1 , . . . , Km ∈ Kd , so folgt m X αi f (Ki ) = 0. i=1 65 5 Dichten innerer Volumina Beweis. Angenommen, die Aussage ist falsch. Dann gibt es ein m ∈ N mit m X αi 1Ki = 0, (5.3.1) αi f (Ki ) = a 6= 0, (5.3.2) i=1 aber m X i=1 d für αi ∈ R und Ki ∈ K . Wir wählen m minimal! Sei H ⊂ Rd eine Hyperebene mit Halbräumen H + , H − und K1 ⊂ int H + . Multipliziert man (5.3.1) mit 1H − bzw. 1H , so erhält man m X m X αi 1Ki ∩H − = 0, i=1 αi 1Ki ∩H = 0. i=1 Wegen K1 ∩ H − = K1 ∩ H = ∅ haben beide Summen höchstens m − 1 Summanden ungleich 0. Aus der Minimalität von m folgt m X − αi f (Ki ∩ H ) = i=2 m X αi f (Ki ∩ H) = 0. i=2 Beide Summen ändern sich nicht, wenn man sie bei i = 1 beginnen lässt, da f (∅) = 0. Weil f additiv ist, folgt aus (5.3.2) mit Ki = (Ki ∩ H + ) ∪ (Ki ∩ H − ): m X αi f (Ki ∩ H + ) = a. (5.3.3) i=1 T + + Weiter gibt es eine Folge (Hj )j≥1 von Hyperebenen mit K1 = ∞ j=1 Hj und K1 ⊂ int Hj , j ∈ N. Dazu kann man beispielsweise eine abzählbare, in Rd \ K dichte Teilmenge {xj : j ≥ 1} wählen und dann jeden Punkt xj durch eine Hyperebene senkrecht zu xj − p(K1 , xj ) von K1 trennen. Iteration des obigen Arguments liefert ! m k X \ αi f K i ∩ Hj+ = a, k ∈ N. i=1 j=1 T Im Fall Ki ∩ K1 6= ∅ gilt Ki ∩ kj=1 Hj+ → Ki ∩ K1 , k → ∞. Im Fall Ki ∩ K1 = ∅ gilt T Ki ∩ kj=1 Hj+ = ∅ für genügend große k. Also folgt aus der Stetigkeit von f und f (∅) = 0: m X αi f (Ki ∩ K1 ) = a. i=1 Wiederhole diesen Schritt mit Ki0 := Ki ∩ K1 und approximiere K20 . Schließlich erhält man 1K1 ∩...∩Km m X i=1 αi = m X i=1 66 αi 1K1 ∩...∩Km = 0 (?) 5 Dichten innerer Volumina und f (K1 ∩ . . . ∩ Km ) m X αi = i=1 Aus (?) folgt Pm i=1 m X αi f (K1 ∩ . . . ∩ Km ) = a 6= 0. (??) i=1 αi = 0 oder K1 ∩ . . . ∩ Km = ∅, jeweils im Widerspruch zu (??). Beweis von 5.3.1. Wir setzen f := Vj . Es sei V der reelle Vektorraum aller Linearkombination von Indikatorfunktionen konvexer Körper. Weil die Abbildung B 7→ 1B additiv ist, folgt für Sm K = i=1 Ki , K1 , . . . , Km ∈ Kd : m X 1K = (−1)k−1 X 1Ki1 ∩...∩Kik ∈ V. 1≤i1 <...<ik ≤m k=1 P Für h = i=1 αi 1Ki ∈ V setzen wir f˜(h) := m i=1 αi f (Ki ). Wegen Lemma 5.3.2 ist diese ˜ Definition sinnvoll! Die Abbildung f ist linear und es gilt f˜(1K ) = f (K), K ∈ Kd . Wir setzen f (K) := f˜(1K ), K ∈ Rd . Es bleibt zu zeigen, dass f additiv ist. Für K, M ∈ Rd gilt: Pm f (K ∪ M ) + f (K ∩ M ) = f˜(1K∪M ) + f˜(1K∩M ) = f˜(1K∪M + 1K∩M ) = f˜(1K + 1M ) = f˜(1K ) + f˜(1M ) = f (K) + f (M ). 5.3.3 Bemerkung. Satz 5.3.1 gilt auch für jedes stetige, additive Funktional f : Kd → R. Dabei kann R auch durch einen topologischen Vektorraum ersetzt werden. 5.3.4 Bemerkung. Rd ist abzählbare Vereinigung abgeschlossener Teilmengen von C d . Ist f : Rd → R messbar auf Kd und additiv, so ist f messbar auf Rd . Vergleiche dazu Theorem 14.4.4 in [2]. 5.3.5 Bemerkung. Die Abbildung Vj : Rd → R heißt ebenfalls j-tes Sie ist S inneres Volumen. d d additiv, homogen vom Grade j und bewegungsinvariant. Für A = m K ∈ R mit K i i ∈ K i=1 gilt nämlich: ! m m [ X X Vj (A) = Vj Ki = (−1)k−1 Vj (Ki1 ∩ . . . ∩ Kik ). i=1 1≤i1 <...<ik ≤m k=1 Weiter ist Vd (A) = λd (A). Für cl(int A) = A gilt Vd−1 (A) = 12 Hd−1 (∂A) (ohne Beweis). Die Funktion V0 = χ ist die Euler-Charakteristik. Sie nimmt nur Werte in Z an. Im Fall d = 2 gilt V0 (A) = k(A) − l(A), wobei k(A) die Anzahl der Zusammenhangskomponenten von A und l(A) die Anzahl der Löcher von A, d.h. der beschränkten Zusammenhangskomponenten von R2 \ A, ist. 67 5 Dichten innerer Volumina 5.3.6 Beispiel. Die Euler-Charakteristik eines gefüllten Quadrats ist 1, dreier disjunkter, ausgefüllter Quadrate 3. Stanzt man aus dem ausgefüllten Quadrat ein kleineres Quadrat aus, so ergibt sich die Euler-Charakteristik 0. Auch der Rand dieser Menge hat Euler-Charakteristik 0. Stanzt man zwei disjunkte Quadrate aus, so ergibt sich −1, betrachtet man den Rand dieser Menge, so erhält man allerdings 0. 5.3.7 Theorem (Charakterisierungssatz von Hadwiger). Ist Ψ : K0 → R additiv, stetig und bewegungsinvariant, so gilt d X Ψ= ci Vi i=0 mit gewissen c0 , . . . , cd ∈ R. Der Beweis beruht auf folgendem Satz: 5.3.8 Satz. Die Funktion Ψ : K0 → R sei additiv, stetig und bewegungsinvariant. Ferner gelte Ψ(K) = 0, falls dim K ≤ d − 1 oder falls K = C d ist. Dann ist Ψ ≡ 0. Beweisidee. Induktion über d. Für d = 0 (R0 = {0}) ist die Behauptung trivial. Sei nun d = 1. Dann ist Ψ({x}) = 0 für alle x ∈ Rd und Ψ(I) = 0 für I = [a, a+1], a ∈ R. Wegen 1 1 [a, a + 1] = [a, a + ] ∪ . . . ∪ [a + 1 − , a + 1] k k ist Ψ(I) = 0, falls I ein abgeschlossenes Intervall mit rationaler Länge ist. Die Behauptung gelte nun für d − 1 ≥ 0. Es sei H ⊂ Rd eine Hyperebene und I eine Strecke orthogonal zu H mit der Länge 1. Setze f (K) := Ψ(K + I), K ∈ K0 , K ⊂ H. Bezogen auf H erfüllt f alle Voraussetzungen von Satz 5.3.8. Nach Induktionsvoraussetzung ist f (K) = 0, also Ψ(K + I) = 0. Das bleibt richtig für jede zu H orthogonale Strecke I (vergleiche dazu die Argumentation für d = 1). Weiteres Vorgehen: • Ψ(Z) = 0 für jeden „Zylinder“ Z (durch zerschneiden und zusammensetzen). • Ψ(S) = 0 für Simplizes S. • Ψ(P ) = 0 für Polytope P . • Stetigkeit von Ψ impliziert Ψ = 0. Beweis von 5.3.7. Erneute Induktion über d. Für d = 0 ist die Behauptung trivial. Die Behauptung gelte nun für d − 1 ≥ 0. Sei H ⊂ Rd eine Hyperebene. Aus der Induktionsvoraussetzung erhalten wir die Existenz von c0 , . . . , cd−1 ∈ R mit Ψ(K) = d−1 X cj Vj (K), j=0 68 K ∈ K0 , K ⊂ H. 5 Dichten innerer Volumina Hierbei wurde benutzt, dass die Vi dimensionsunabhängig sind, was aus der Dimensionsunabhängigkeit der äußeren Winkel folgt. Weil Ψ und Vj bewegungsinvariant sind, folgt Ψ(K) = d−1 X cj Vj (K), K ∈ Kd , dim K ≤ d − 1. j=0 Setze 0 Ψ (K) := Ψ(K) − d X cj Vj (K), K ∈ Kd , j=0 wobei cd ∈ R so gewählt wird, dass Ψ0 (C d ) = 0. Mit Satz 5.3.8 angewendet auf Ψ0 folgt Ψ0 ≡ 0 und somit die Behauptung. Wir führen einige Bezeichnungen ein: • G(d, q) bezeichnet die Menge der q-dimensionalen linearen Unterräume des Rd . • A(d, q) bezeichnet die Menge der q-dimensionalen affinen Unterräume des Rd . • Mit SOd wird die spezielle orthogonale Gruppe des Rd bezeichnet. • Gd bezeichnet die Bewegungsgruppe auf dem Rd . Im Folgenden ist unser Ziel die Behandlung von Integralen der Form Z Vj (K ∩ gM ) ”dg”, K, M ∈ Kd −→ kinematisches Integral Gd und Z Vj (K ∩ F ) ”dF ”, K ∈ Kd −→ Crofton-Integral. A(d,q) 5.3.9 Definition. Es sei G eine topologische Gruppe mit neutralem Element e. Eine Operation von G auf einem topologischen Raum E ist eine Abbildung von G × E nach E, (g, x) 7→ gx, mit: (i) g 0 (gx) = (g 0 g)x, g, g 0 ∈ G, x ∈ E. (ii) ex = x, x ∈ E. Ist diese Abbildung stetig, so heißt die Operation stetig. Gibt es für alle x, y ∈ E ein g ∈ G mit gx = y, so heißt die Operation transitiv. 5.3.10 Bemerkung. (i) Jede Gruppe wirkt auf sich selbst durch Multiplikation von links: (g, x) 7→ g · x, g, x ∈ G. (ii) Operiert G auf E, so gilt g −1 (gx) = (g −1 g)(x) = ex = x und g(g −1 x) = x. Also ist die Abbildung x 7→ gx von E nach E bijektiv und ihre Inverse ist x 7→ g −1 x. 69 5 Dichten innerer Volumina 5.3.11 Beispiel. (i) SOd operiert auf S d−1 und auf G(d, q). (ii) Gd operiert auf A(d, q) vermöge gF := {gx : x ∈ F }. 5.3.12 Definition. G operiere stetig auf E. Ein Maß ν auf E heißt invariant, falls gilt ν(gA) = ν(A), A ∈ B(E), g ∈ G. Äquivalent dazu kann man auch fordern, dass für alle f : E → [0, ∞), g ∈ G gilt Z Z f (gx) ν(dx) = f (x) ν(dx). E E Für G = E heißt diese Eigenschaft Linksinvarianz von ν. Im Fall G = E heißt ν rechtsinvariant, falls ν(Ag) = ν(A), A ∈ B(E), g ∈ G. Allgemeine Voraussetzung: G sei eine lokal-kompakte Gruppe mit abzählbarer Basis und mit der Hausdorffeigenschaft. Abkürzung: LCSCH-Gruppe. Ein Maß ν auf einem lokal-kompakten Raum E heißt Radon-Maß, falls ν(A) < ∞ für A ⊂ E kompakt gilt. 5.3.13 Theorem. Auf G gibt es ein linksinvariantes Radon-Maß ν 6= 0. Ist ν 0 ein weiteres linksinvariantes Radon-Maß, so gilt ν 0 = cν für ein c ≥ 0. Beweis. ohne. 5.3.14 Definition. Das Maß ν aus Theorem 5.3.13 heißt Haarsches Maß. 5.3.15 Beispiel. (i) Ist G eine abzählbare Gruppe, so ist das Zählmaß ein invariantes Maß. (ii) Das Lebesguemaß λd := λd auf Rd ist invariant unter Gd . (iii) Auf SOd gibt es ein eindeutig bestimmtes invariantes Wahrscheinlichkeitsmaß ν. 5.3.16 Theorem. Auf der Bewegungsgruppe Gd gibt es ein bis auf Faktoren eindeutig bestimmtes Radon-Maß µ. Beweis. Betrachte γ : Rd × SOd → Gd , γ(x, ϑ) := tx ◦ ϑ mit tx (y) := x + y. Diese Abbildung ist bijektiv (!). Man definiert gn → g, falls γ −1 (gn ) → γ −1 (g). Damit ist Gd eine LCSCH-Gruppe. Es kann also Theorem 5.3.13 angewendet werden. Konkret: Z Z µ(·) = 1{ t|x{z ◦ ϑ ∈ ·} ν(dϑ)λd (dx). } Rd SO d =γ(x,ϑ) Es gilt: µ({g ∈ Gd : γ −1 (g) ∈ [0, 1]d × SOd }) = 1. 5.3.17 Theorem. Auf G(d, q) gibt es ein eindeutig bestimmtes SOd -invariantes Wahrscheinlichkeitsmaß νq . 70 5 Dichten innerer Volumina Beweis. Fixiere Lq ∈ G(d, q). Betrachte die surjektive (aber nicht injektive) Abbildung βq : SOd → G(d, q), ϑ 7→ ϑLq . Betrachte auf G(d, q) die gröbste Topologie, sodass βq stetig ist, d.h. eine Menge A ⊂ G(d, q) ist genau dann offen, wenn βq−1 (A) offen in SOd ist. Die Behauptung folgt aus allgemeinen Resultaten der Maßtheorie. Konkret: Z (5.3.4) 1{ ϑLq ∈ ·} ν(dϑ). νq (·) = |{z} SOd =βq (ϑ) 5.3.18 Theorem. Auf A(d, q) gibt es ein eindeutig bestimmtes, bzgl. Gd invariantes RadonMaß µq mit µq ({F ∈ A(d, q) : F ∩ B d 6= ∅}) = κd−q . Ist f : A(d, q) → [0, ∞] messbar, so gilt Z Z f dµq = Z f (L + y) λd−q (dy)νq (dL). G(d,q) A(d,q) (5.3.5) L⊥ Beweisidee. Fixiere Lq ∈ G(d, q). Betrachte die surjektive (aber nicht injektive) Abbildung γq : L⊥ q × SOd → A(d, q), (x, ϑ) 7→ ϑ(Lq + x). Wir definieren Z Z µq (·) := SOd L⊥ q 1{ϑ(Lq + x) ∈ ·} λd−q (dx)ν(dϑ). | {z =γq (x,ϑ) (5.3.6) } Beachte: A(d, q) ist eine messbare Teilmenge von F d . Wir versehen A(d, q) deshalb mit der Spurtopologie. Jede kompakte Teilmenge von A(d, q) ist dann in einer der Mengen {γq (x, ϑ) : x ∈ L⊥ q , kxk ≤ n, ϑ ∈ SOd }, n ∈ N, enthalten. Das µq -Maß dieser Mengen ist endlich. Damit ist µq ein Radon-Maß. Es sei f : A(d, q) → [0, ∞] messbar und es sei g = γ(x, ϑ) = tx ◦ ϑ ∈ Gd . Dann gilt: Z Z Z f (gF ) µq (dF ) = f (gρ(Lq + y)) λd−q (dy)ν(dρ) A(d,q) SOd Z L⊥ q Z = f (ϑρ(Lq + y) + x) λd−q (dy)ν(dρ) SOd Z L⊥ q Z = SOd Z Z = SOd f (ϑρ(Lq + y + ρ−1 ϑ−1 x)) λd−q (dy)ν(dρ) L⊥ q L⊥ q f (ϑρ(Lq + y + πL⊥q (ρ−1 ϑ−1 x))) λd−q (dy)ν(dρ) 71 5 Dichten innerer Volumina Z Z f (ϑρ(Lq + y)) λd−q (dy)ν(dρ) = L⊥ q SOd Z Z = f (ρ(Lq + y)) λd−q (dy)ν(dρ) L⊥ q SOd Z = f dµq . A(d,q) Dabei wurde in den letzten Schritten zunächst die Invarianz von λd−q und von ν ausgenutzt. Weiter gilt: Z Z Z f dµq = f (ρ(Lq + y)) λd−q (dy)ν(dρ) A(d,q) SOd Z L⊥ q Z = SOd Z L⊥ q f (ρLq + ρy ) λd−q (dy)ν(dρ) |{z} =:z Z = f (ρLq + z) λd−q (dz)ν(dρ) SOd (5.3.4) (ρLq )⊥ Z Z = f (L + z) λd−q (dz)νq (dL). G(d,q) L⊥ Insbesondere ist die Definition von µq unabhängig vom gewählten Lq . Die Normierung rechnet man nach. Zu zeigen bleibt die Eindeutigkeit. R∞ √ Erinnerung: Γ(x) := 0 tx−1 e−t dt, x > 0. Es gilt Γ(x + 1) = xΓ(x), Γ( 21 ) = π und m Qk rj k k und crs11 ,...,r κm = Γ(πm2+1) . Es sei ckj := k!κ ,...,sk := j=1 csj . j!κj 2 5.3.19 Theorem (Crofton-Formel). Es seien K ∈ K0 , k ∈ {1, . . . , d − 1} und j ∈ {0, . . . , k}. Dann gilt: Z Vj (K ∩ F ) µk (dF ) = ck,d−k+j Vd−k+j (K). j,d (5.3.7) A(d,k) Die Fälle k = d und k = 0 sind auch zugelassen. Dabei ist µd = δRd und µ0 = λd , wobei man dabei A(d, 0) mit Rd identifiziert. Beweis. Definiere Z 0 Ψ : K → [0, ∞), Ψ(K) := Vj (K ∩ F ) µk (dF ), K ∈ K0 . A(d,k) Dabei ist zu beachten, dass der Integrand durch eine von K unabhängige Konstante beschränkt ist. Aus der Steiner-Formel (4.3.1) folgt nämlich d d Vd (K + B ) ≥ Vd ((K ∩ F ) + B ) = d X i=0 72 κd−i Vj (K ∩ F ) 5 Dichten innerer Volumina und damit Vj (K ∩ F ) ≤ cj 1{K ∩ F 6= ∅}, für eine von F ∈ A(d, k) unabhängige Konstante cj > 0. Man beachte ferner, dass FK ∩A(d, k) in A(d, k) kompakt ist. Aus den entsprechenden Eigenschaften der inneren Volumina folgt leicht, dass Ψ additiv ist. Ferner gilt für g ∈ Gd : Z µ invariant Ψ(gK) = Vj (K ∩ g −1 F ) µk (dF ) k = Ψ(K), A(d,k) d.h. Ψ ist bewegungsinvariant. Das Funktional Ψ ist auch stetig. Seien dazu Kn ∈ K0 mit Kn → K für n → ∞. Im Allgemeinen folgt daraus nicht Kn ∩ F → K ∩ F für F ∈ A(d, k). Allerdings gilt diese Konvergenz für µk -fast alle F . Dazu verweisen wir auf den Beweis von Theorem 5.1.2 in [2]. Aus majorisierter Konvergenz folgt nun Ψ(Kn ) → Ψ(K), d.h. die Stetigkeit von Ψ. Nach Theorem 5.3.7 (Hadwiger) gilt: Ψ(K) = d X cr Vr (K) r=0 mit c0 , . . . , cr ∈ R. Nun gilt für α > 0 mit (5.3.5): Z Z Ψ(αK) = Vj (αK ∩ (L + x))λd−k (dx)νk (dL) G(d,k) =α j L⊥ Z Z G(d,k) α−1 x=y = j αα Vj (K ∩ (L + α−1 x))λd−k (dx)νk (dL) L⊥ d−k Z Z G(d,k) Vj (K ∩ (L + y))λd−k (dy)νk (dL) = αd+j−k Ψ(K). L⊥ Damit ist α d+j−k Ψ(K) = d X cr αr Vr (K), α > 0, r=0 und daraus folgt cr Vr (K) = 0 für r 6= d + j − k. Damit verbleibt die Bestimmung von c in Z Vj (K ∩ F )µk (dF ) = cVd−k+j (K), K ∈ K0 . A(d,k) Für K = B d folgt aus (5.3.6) (mit fixiertem Lk ∈ G(d, k)): Z Z d cVd+j−k (B ) = Vj (B d ∩ (θ(Lk + x))λd−k (dx)ν(dθ) SOd L⊥ k B d =θB d ,Vj invariant Z = B d ∩ (Lk + x) {z } | Vj ( L⊥ k p Kugel in Lk + x mit MP x und Radius 1 − ||x||2 73 )λd−k (dx) 5 Dichten innerer Volumina Z ( = p 1 − ||x||2 )j Vj (B d ∩ Lk )λd−k (dx). d L⊥ k ∩B Nun gilt (Übungsaufgabe) d κd Vi (B ) = , i κd−i d d.h. k κk Vj (B ∩ Lk ) = . j κk−j d Es folgt k κk−j κk j d κk−j κd d−k+j c= Z j (1 − ||x||2 ) 2 λd−k (dx). (5.3.8) L⊥ k Mittels Polarkoordinaten ("dx = rd−k−1 Hd−k−1 (du)") folgt Z 1 Z j d−k−1 d−1 2 2j rd−k−1 (1 − r2 ) 2 dr (S ) (1 − ||x|| ) λd−k (dx) = H L⊥ k 0 √ r= t 1 Z = (d − k)κd−k t d−k−1 2 0 = (d − k)κd−k 2 Z 1 t d−k −1 2 j 1 1 (1 − t) 2 t− 2 dt 2 (1 − t) dt 0 = (d − k)κd−k d − k j + 2 B( , ) 2 2 2 = )Γ( 2j + 1) (d − k)κd−k Γ( d−k 2 2 Γ( d−k+j + 1) 2 = κd−k j+2 −1 2 Γ( d−k + 1)Γ( 2j + 1) 2 + 1) Γ( d−k+j 2 . m Verwendet man κm = π2 Γ( m +1) 2 und setzt in (5.3.8) ein, so folgt c = ckj cd−k+j = d k!κk (d − k + j)!κd−k+j = ck,d−k+j . j,d j!κj d!κd 5.3.20 Bemerkung. Setzt man j = 0 und m = d − k in Theorem 5.3.19, so folgt Z 0,d Vm (K) = cm,d−m V0 (K ∩ F ) µd−m (dF ) A(d,d−m) und damit eine geometrische Interpretation der inneren Volumina. Im Fall d = 2 ergibt sich beispielsweise Z 0,2 V1 (K) = c1,1 1{K ∩ F 6= ∅} µ1 (dF ). A(2,1) 74 5 Dichten innerer Volumina 5.3.21 Bemerkung. Wegen (5.3.5) ist Z 0,d Vm (K) = cm,d−m Z V0 (K ∩ (L + y))λm (dy)νd−m (dL) L⊥ G(d,d−m) c0,d m,d−m Z = c0,d m,d−m Z ! = Z L⊥ G(d,d−m) 1{y ∈ K|L⊥ }λm (dy)νd−m (dL) λm (K|L⊥ )νd−m (dL) G(d,d−m) ! = c0,d m,d−m Z λm (K|L)νm (dL). G(d,m) Dabei bezeichne K|L⊥ das Bild von K unter der orthogonalen Projektion auf L⊥ . Im Fall m = 1 ergibt sich V1 (K) als Vielfaches der mittleren Breite. 5.3.22 Folgerung. Die inneren Volumina sind monoton. 5.3.23 Bemerkung. Beide Seiten der Crofton-Formel sind additiv. Deswegen gilt sie auch auf Rd . 5.3.24 Theorem. Ist f : K0 → R additiv und stetig, so gilt Z d X f (K ∩ gM ) µ(dg) = fd−k (K)Vk (M ), Gd mit K, M ∈ K0 (5.3.9) k=0 Z f (K ∩ F ) µk (dF ), fd−k (K) := K ∈ K0 , k = 0, . . . , d. A(d,k) Beweis. Mit ähnlichen Überlegungen wie im Beweis von Theorem 5.3.19 folgt, dass die Abbildung g 7→ f (K ∩ gM ) für alle K, M ∈ K0 messbar ist, sh. auch Beweis von Theorem 5.1.2 in [2]. Setze für fixiertes K ∈ K0 : Z Ψ(M ) = f (K ∩ gM ) µ(dg), M ∈ K0 . Gd Dann ist Ψ additiv und wegen der Bewegungsinvarianz von µ auch bewegungsinvariant. Damit ist nach Theorem 5.3.7 (Hadwiger) Ψ(M ) = d X fd−i (K)Vi (M ) i=0 für gewisse fd−i (K). Seien k ∈ {0, . . . , d} und Lk ∈ G(d, k). Sei weiter C ⊂ Lk ein k-dimensionaler Einheitswürfel mit Zentrum 0. Für r > 0 folgt (wegen Vi (C) = 0 für i > k) Ψ(rC) = k X fd−i (K)ri Vi (C). i=0 75 5 Dichten innerer Volumina Andererseits folgt nach einer Rechnung (sh. Beweis von Theorem 5.1.2 in [2]) Z Z 1 1 r→∞ f (K ∩ grC) µ(dg) −→ f (K ∩ F ) µk (dF ). Ψ(rC) = k rk r Gd A(d,k) 5.3.25 Theorem (Kinematische Hauptformel). Für K, M ∈ K0 und j ∈ {0, . . . , d} gilt: Z Vj (K ∩ gM ) µ(dg) = Gd d X Vk (K)Vd−k+j (M ). ck,d−k+j j,d k=j Beweis. Wir wenden Theorem 5.3.24 mit f = Vj an. In diesem Fall liefert die Crofton-Formel (5.3.7) für j ≤ k: Z (Vj )d−k (K) = Vj (K ∩ F ) µk (dF ) = ck,d−k+j Vd−k+j (K). j,d A(d,k) Dieses Integral ist Null für j > k. 5.3.26 Theorem (Iterierte Kinematische Hauptformel). Es seien K0 , . . . , Kk ∈ K0 und j ∈ {0, . . . , d}. Dann gilt: Z k Vj (K0 ∩ g1 K1 ∩ . . . ∩ gk Kk ) µ (d(g1 , . . . , gk )) = (Gd )k d X m0 ,...,mk =j m0 +...+mk =kd+j cdj k Y i cm d Vmi (Ki ). i=0 0 m1 Beweis. Wir verwenden Induktion. Für k = 1 gilt m0 + m1 = d + j und cdj cm = d cd m0 ,d−m0 +j cj,d und obige Formel ist genau die kinematische Hauptformel. Für k + 1 ist die linke Seite der Behauptung gleich Z Z Vj (K0 ∩ g1 (K1 ∩ g1−1 g2 K2 ∩ . . . ∩ g1−1 gk+1 Kk+1 )) µ(dg1 ) . . . µ(dgk+1 ) ... Gd Gd Z = Z Vj (K0 ∩ g1 (K1 ∩ g2 K2 ∩ . . . ∩ gk+1 Kk+1 )) µ(dg1 )µ(dg2 ) . . . µ(dgk+1 ) ... Gd Z = Gd d X (Gd )k m =j 0 = d X 0 ,d−m0 +j cm Vm0 (K0 )Vd−m0 +j (K1 ∩ g2 K2 ∩ . . . ∩ gk+1 Kk+1 ) µk (dg) j,d m0 =j = d X 0 ,d−m0 +j d cm cd−m0 +j Vm0 (K0 ) j,d k+1 Y i=1 m1 ,...,mk+1 =d−m0 +j m1 +...+mk+1 =kd+d−m0 +j d X m0 ,...,mk+1 =j m0 +...+mk+1 =(k+1)d+j cdj k+1 Y i cm d Vmi (Ki ). i=0 76 i cm d Vmi (Ki ) 5 Dichten innerer Volumina Dabei verwenden wir im ersten Schritt die Invarianz des Maßes µ (sowie zweimal Fubini), danach die kinematische Hauptformel (Theorem 5.3.26) mit K = K0 und M = K1 ∩ g2 K2 ∩ . . . ∩ gk+1 Kk+1 und der Abkürzung g = (g2 , . . . , gk+1 ) und im Anschluss die Induktionsvoraussetzung. Im letzten Schritt beachte man, dass aus m0 + . . . + mk+1 = (k + 1)d + j die Ungleichungen ml ≥ j, l = 1, . . . , k + 1, folgen (Man kann sich elementar überlegen, dass die beiden Laufbereiche der Indizes übereinstimmen). 5.3.27 Bemerkung. Für K, M ∈ K0 gilt: Z Vd−1 (K ∩ (M + x)) dx = Vd−1 (K)Vd (M ) + Vd (K)Vd−1 (M ), Rd d.h. die Kinematische Hauptformel bleibt (für j = d − 1) auch „ohne Integration“ bzgl. der Drehungen richtig. Beweis. Wir nehmen dim K = dim M = d an (die restlichen Fälle gehen analog). Dann ist die linke Seite gleich Z Z 1 1{y ∈ ∂(K ∩ (M + x))} Hd−1 (dy)dx 2 Rd Rd Z Z 1 1{y ∈ ∂K, y ∈ M + x} Hd−1 (dy)dx = 2 Rd Rd Z Z 1 + 1{y ∈ K, y ∈ ∂M + x} Hd−1 (dy)dx 2 Rd Rd Z Z 1 = 1{y ∈ ∂K, −x ∈ M − y} dxHd−1 (dy) 2 Rd Rd Z Z 1 1{y + x ∈ K, y ∈ ∂M } dxHd−1 (dy) + 2 Rd Rd 1 1 = Vd (M )Vd−1 (K) + Vd (K)Vd−1 (M ). 2 2 Wir verwenden dabei die Darstellung von Vd−1 durch Hd−1 (vgl. Bemerkung 4.3.6), spalten dann im ersten Schritt ∂(K ∩ (M + x)) geeignet auf und substituieren dann y − x durch y. Letzteres braucht man, um den Satz von Fubini auf das zweite Integral anwenden zu dürfen (Hd−1 ist nicht σ-endlich auf Rd , aber eingeschränkt auf ∂M ist es (σ-)endlich). 5.4 Geometrische Dichten des Booleschen Modells Wir betrachten ein ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf K0 und eine unabhängige Q-Markierung Ψ = {(ξn , Zn ) : n ∈ N} eines stationären Poissonprozesses Φ = {ξn : n ∈ N} mit Intensität γ > 0. Wegen Theorem 3.3.16 ist Ψ ein Poissonprozess auf Rd × K0 mit Intensitätsmaß γλd ⊗ Q. Weiter sei Z0 ∼ Q das typische Korn mit E[λd (Z0 + C)] < ∞, C ∈ C d . Das Boolesche Modell ist gegeben durch ∞ [ Z= (Zn + ξn ). n=1 77 5 Dichten innerer Volumina Wir betrachten für i ∈ {0, . . . , d} die sogenannten Dichten der inneren Volumina des Partikelprozesses Z Vi (K) Q(dK) = γE[Vi (Z0 )]. γi := γVi = γ K0 Beachte γ0 = γ. Weiter betrachten wir δi := δVi = lim Vd (rW )−1 E[Vi (Z ∩ rW )] r→∞ mit W ∈ K0 , Vd (W ) > 0. Weil Vi messbar, verschiebungsinvariant, additiv und bedingt beschränkt ist und weil Voraussetzung (5.2.3) nach Übungsaufgabe 8.3 erfüllt ist, existiert der Grenzwert nach Theorem 5.2.6. Die Zahl δi ist die Dichte des i-ten inneren Volumens des Booleschen Modells. Aus Satz 2.3.6 und Satz 2.2.11 folgt δd = p = 1 − exp(−γE[Vd (Z0 )]) = 1 − e−γd . 5.4.1 Theorem. Ist Q isotrop, so gilt für j ∈ {0, . . . , d − 1}: d−j X (−1)s δj = (1 − p) γ − j s! s=2 d−1 X cdj m1 ,...,ms =j+1 m1 +...+ms =(s−1)d+j s Y i=1 i cm d γmi . δj lässt sich somit als Polynom in γj , . . . , γd−1 schreiben. 5.4.2 Satz. Es sei Ψ ein Poissonprozess aufR X mit diffusem Intensitätsmaß Λ. Ferner sei f : Xn → R messbar und es gelte f ≥ 0 oder Xn |f | dΛn < ∞. Dann gilt: # Z " 6= X f dΛn . f (x1 , . . . , xn ) = E Xn x1 ,...,xn ∈Ψ Dabei bedeutet wird. P6= , dass nur über n-Tupel mit paarweise verschiedenen Einträgen summiert Beweisskizze. Aus dem Beweis von Theorem 3.3.6 folgt, dass Ψ einfach ist. Deswegen genügt es, Funktionen f mit f (x1 , . . . , xn ) = 0, falls xi = xj für i 6= j, zu betrachten. Eine „typische“ Funktion mit dieser Eigenschaft ist f (x1 , . . . , xn ) = 1B1 (x1 ) . . . 1Bn (xn ) mit Bi ∩ Bj = ∅ für i 6= j. In diesem Fall ist die linke Seite der Behauptung gleich E[Ψ(B1 ) . . . Ψ(Bn )] = n Y i=1 E[Ψ(Bi )] = n Y n Z Λ(Bi ) = Λ (B1 × . . . × Bn ) = i=1 f dΛn . Xn 5.4.3 Bemerkung. Satz 5.4.2 gilt auch für einen Poissonprozess mit nicht diffusem Intensitätsmaß Λ. 78 5 Dichten innerer Volumina Beweis von Theorem 5.4.1. Es seien W ∈ K0 und wie im Abschnitt 5.2 sei NW := card{n ≥ 1 : (Zn + ξn ) ∩ W 6= ∅}. Es seien M1 , . . . , MNW die Sekundärkörner, welche W schneiden. Dann folgt: " !# N W [ E[Vj (Z ∩ W )] = E Vj Mk ∩ W k=1 "N W X =E (−1)k−1 # X Vj (Mi1 ∩ . . . ∩ Mik ∩ W ) 1≤i1 <...<ik ≤NW k=1 ∞ X (−1)k−1 =E k! k=1 6= X Vj ((K1 + x1 ) ∩ . . . ∩ (Kk + xk ) ∩ W ) . (x1 ,K1 ),...,(xk ,Kk )∈Ψ P P Im Beweis von Theorem 5.2.6 haben wir E[ k!1 6= . . .] < ∞ gesehen (E[2NW ] < ∞). Nach Vertauschung von Erwartungswert und Summation und Anwendung von Satz 5.4.2 liefert das (mit dx = d(x1 , . . . , xk ) und dK = d(K1 , . . . , Kk )): ! Z Z k ∞ \ X (−1)k−1 γ k Vj (Ki + xi ) ∩ W λkd (dx)Qk (dK). E[Vj (Z ∩ W )] = k! (K0 )k (Rd )k i=1 k=1 Für j = d − 1 können wir jetzt Bemerkung 5.3.27 benutzen. Für j ≤ d − 2 setzen wir Isotropie voraus. Weil Q isotrop ist, kann Ki durch ρi Ki (ρi ∈ SOd ) ersetzt werden. Es folgt (mit dρ = d(ρ1 , . . . , ρk ) und dg = d(g1 , . . . , gk )): E[Vj (Z ∩ W )] = Z ∞ X (−1)k−1 γ k k=1 = ∞ X (−1)k−1 k=1 = k! k! ∞ X (−1)k−1 k=1 k! (Rd )k (SOd Vj (Gd )k k \ Z (K0 )k ∞ X (−1)k−1 γ k k=1 = k! k \ Z Vj (K0 )k Z ∞ X (−1)k−1 γ k k=1 = k! Z )k Z m0 ,...,mk =j m0 +...+mk =kd+j (K0 )k ν k (dρ)λkd (dx)Qk (dK) i=1 ! gi Ki ∩ W µk (dg)Qk (dK) 0 cm j Vm0 (W ) k Y k i cm d Vmi (Ki )Q (dK) i cm d γmi i=1 d ∞ X (−1)k−1 X k=1 k Y i=1 0 cm j Vm0 (W ) m0 ,...,mk =j m0 +...+mk =kd+j Vj (W )γdk + (ρi Ki + xi ) ∩ W i=1 d X d X ! k! m=j+1 79 cm j Vm (W ) d X k Y m1 ,...,mk =j i=1 m1 +...+mk =kd+j−m i cm d γmi . 5 Dichten innerer Volumina R Hierbei wird im vierten Schritt die Definition von γmi = γ K0 Vmi (Ki )Q(dKi ) verwendet und im fünften Schritt die Summation über m0 getrennt betrachtet. Das heißt E[Vj (Z ∩ W )] = − (e −γd − 1)Vj (W ) + d X cm j Vm (W ) ∞ X (−1)k−1 m=j+1 k! k=1 k Y d X i cm d γmi . i=1 m1 ,...,mk =j m1 +...+mk =kd+j−m | {z } =:am Zur Behandlung von am sei s die Anzahl der mi mit mi ≤ d − 1. Wegen m > j ist s ≥ 1 und s ≤ m − j. Es folgt m−j ∞ X (−1)k−1 X k k−s am = γ k! s d s=1 k=1 s Y d−1 X i cm d γmi , i=1 m1 ,...,ms =j m1 +...+ms =sd+j−m d.h. E[Vj (Z ∩ W )] = −(e−γd − 1)Vj (W ) −γd +e m−j d X cm j Vm (W ) s! s=1 m=j+1 d−1 X X (−1)s−1 s Y i cm d γmi . (5.4.2) m1 ,...,ms =j i=1 m1 +...+ms =sd+j−m Ersetzt man in (5.4.2) W durch rW und dividiert durch Vd (rW ), so verschwinden die Summanden für m ≤ d − 1, wenn man r → ∞ laufen lässt. Für s = 1 ist m1 = j und cdj cjd = 1. Weil für s ≥ 2 die Ungleichung mi ≥ j + 1, i = 1, . . . , s gelten muss, folgt die Behauptung. 5.4.4 Bemerkung. Für j = d − 1 gilt δd−1 = (1 − p)γd−1 = γ(1 − p)E[Vd−1 (Z0 )]. 5.4.5 Bemerkung. Für d = 2 gilt für die Dichte der Euler-Charakteristik 1 δ0 = (1 − p)(γ − c20 (c12 γ1 )2 ), 2 d.h. δ0 = (1 − p)(γ − γ12 ) π γ 2 E[V1 (Z0 )]2 = (1 − p) γ − π γ 2 E[U (Z0 )]2 = (1 − p) γ − 4π 80 5 Dichten innerer Volumina log(1 − p) (log(1 − p))2 E[V1 (Z0 )]2 + = (1 − p) − E[V2 (Z0 )] πE[V2 (Z0 )]2 , wobei U den Umfang bezeichnet. 5.4.6 Bemerkung. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich mit Größen zweiter Ordnung, z.B. 1 Cov(Vi (Z ∩ rW ), Vj (Z ∩ rW )). r→∞ Vd (rW ) σi,j := lim Zum Beispiel gilt (siehe Übungsaufgabe 12.3) Z Z γC0 (x) 2 (e − 1)dx = (C(x) − p2 )dx, σd,d = (1 − p) Rd Rd mit C0 (x) = E[λd (Z0 ∩ (Z0 − x))], vgl. dazu Satz 4.1.5. 5.4.7 Theorem. Das typische Korn Z0 sei isotrop. Dann gilt: d 1 X κi κd−i Vd−i (K)γi TZ (K) = 1 − exp − d κd i=0 i ! , K ∈ K0 . Beweis. Für K ∈ K0 folgt aus Theorem 4.1.1: 1 − TZ (K) = P(Z ∩ K = ∅) Z 1{(Z0 + x) ∩ K 6= ∅} dx = exp −γE Rd Z Z 1{(ρZ0 + x) ∩ K 6= ∅} ν(dρ)dx = exp −γE Rd Z = exp −γE SOd 1{gZ0 ∩ K 6= ∅} µ(dg) Gd " = exp −γE d X #! ci,d−i 0,d Vi (K)Vd−i (Z0 ) i=0 = exp − d X i!κi (d − i)!κd−i i=0 d!κd ! Vi (K)γd−i d 1 X κi κd−i Vd−i (K)γi = exp − d κd i=0 i ! . Dabei wurde in der dritten Umformung die Isotropie von Z0 und in der fünften Gleichheit die kinematische Hauptformel (Theorem 5.3.25 mit j = 0) verwendet. Insbesondere folgt Satz 4.4.8. 81 5 Dichten innerer Volumina 5.4.8 Theorem. Für jedes j ∈ {0, . . . , d} gilt Vj (Z ∩ rW ) r→∞ Vd (rW ) δj = lim P-f.s. Beweisidee. Das Ergebnis ist eine Konsequenz räumlicher Ergodentheorie. Wir verwenden Satz 4.1.19 aus [1]: Ist ξ = ξ(Ψ) ein zufälliges Maß auf Rd mit ξ(Ψ + x, B + x) = ξ(Ψ, B), x ∈ Rd , so gilt: ξ(rW ) = E ξ([0, 1]d ) r→∞ Vd (rW ) lim P-f.s. Wie können wir ξ wählen? Im Fall j = d können wir ξ(B) = λd (Z ∩ B) wählen (beachte δd = p). Für j ≤ d − 1 setzen wir ξ(B) := Cj (Z, B), B ∈ B d , wobei Cj (K, ·) das j-te Krümmungsmaß von K ∈ S d ist. Es gilt Cj (K, Rd ) = Vj (K), K ∈ Rd . Außerdem gilt Cj (K, B) = Cj (L, B), B ⊂ A, A offen, sodass K ∩ A = L ∩ A. Ferner gilt Cj (K + x, B + x) = Cj (K, B), x ∈ Rd . Wendet man den räumlichen Ergodensatz auf den Negativ- bzw. Positivanteil von ξ an, so ergibt sich das Resultat. 5.5 Ebenenprozesse Hier liegt bislang nur eine ca. 16-seitige handschriftliche Vorlage vor. Wurde im WS 2014/15 nicht behandelt. 82 Literatur Literatur [1] Daniel Hug: Räumliche Stochastik. Vorlesungsskript, Karlsruhe, 2012. [2] Rolf Schneider, Wolfgang Weil: Stochastic And Integral Geometry. Springer, Berlin, Heidelberg, 2008. 83