Celebrities. Andy Warhol und die Stars

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Celebrities. Andy Warhol und die Stars
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin
Celebrities. Andy Warhol und die Stars
3. Oktober 2008 bis 11. Januar 2009
W
er in den1970er Jahren Ambitionen hatte, in die gesellschaftliche Oberschicht
aufzusteigen, konnte sich von Andy Warhol helfen lassen. Für 25 000 Dollar fertigte der berühmte Pop Art-Künstler ein Porträt mit dem
unvergleichbar hohen Wiedererkennungswert
von jedem, der diesen Preis bezahlen konnte.
Dabei diente das Bildnis vor allem einem Zweck:
der Nobilitierung des Dargestellten. Durch die
Hand des Künstlers avancierte das Bild zu einem verbindlichen Statussymbol, für das der
internationale Jetset Schlange stand.1 Wer also
von Warhol ein Porträt kaufte, erwarb nicht nur
ein Konterfei seiner selbst, sondern reihte sich
ein in eine Schönheitengalerie der Celebrities.
Der »Hofmaler der 70er«, wie ihn der amerikanische Kunsthistoriker Robert Rosenblum titulierte 2, begann bereits in den 60er Jahren mit
der Produktion seiner unverwechselbaren und
weltweit bekannten in Siebdruck ausgeführten
Porträts, die noch heute im allgemeinen Bildgedächtnis nicht nur sehr präsent sind, sondern
zweifellos auch großen Anteil an Ruhm und Bekanntheit der Größen – nicht nur aus dem Musik- und Filmgeschäft – haben.
Eine Galerie der Prominenz
Bis zu seinem Tod im Jahr 1987 entstand eine
Vielzahl von Porträts, deren Gesamtheit jedoch
nur einen ganz bestimmten Teil der Gesellschaft
abbildet: Künstler, Musiker, Schauspieler, Sportler, Adlige, Politiker, Intellektuelle, Schriftsteller,
Kunstsammler wie auch Stars der Geschichte,
so der Preußische König Friedrich II. oder die
von Leonardo unsterblich gemachte Lisa del
Giocondo, besser bekannt unter dem Namen
»Mona Lisa«. Maßgeblich bei der Auswahl sei42
Abb. 1: Andy Warhol, Multicolored Marilyn, 1979/86. Siebdruck auf Acrylfarbe auf
Leinwand, 60 x 49 cm. Nationalgalerie SMB, Sammlung Marx. Foto: J. Littkemann
© 2008 Andy Warhol Foundation for the Visual Arts/ARS, New York
ner Modelle – abgesehen von denen, die sich in
das Atelier des Künstlers einkauften – war für
Warhol nicht etwa das große Verdienst des
Dargestellten, sondern dessen Bekanntheit. Die
»Mona Lisa« ist für Warhol nicht berühmt, weil
sie großartig ist, sondern sie ist großartig, weil
sie berühmt ist.3 So finden sich in Warhols Werk
vor allem Bildnisse der Super-Celebrities. Aus
der Musikszene sind es Künstler, die eine weltweite Welle der Euphorie ausgelöst haben, wie
Der Kult des Künstlers
Elvis Presley, Mick Jagger oder John Lennon.
Schauspielerinnen wie Marilyn Monroe (Abb.
1) oder Elizabeth Taylor verkörperten Sinnlichkeit und waren Schönheitsideale für eine ganze Generation. Aber auch die Prominenz, die
nicht durch schillernde Bühnenauftritte im Rampenlicht stand, wurde von Warhol porträtiert.
Staatsmänner wie Mao (Abb. 2) oder Lenin waren mächtig und gelten als politische Erneuerer
ihrer Zeit. Auch intellektuelle Größen wie Herman Hesse fanden Eingang in den Kanon der
Warhol-Berühmtheiten. Goethes weltbekanntes
Porträt in der Campagna von Johann Heinrich
Wilhelm Tischbein benutzte Warhol, um daraus
eines seiner unverwechselbaren Siebdruckgemälde zu schaffen.Persönlichkeiten aus der ihm
nahe stehenden Kunstszene sind freilich besonders gut in seinem Œuvre repräsentiert. Joseph
Beuys, der mit seinem »erweiterten Kunstbegriff« für ein Umdenken im Kunstverständnis
steht, wurde von Warhol in verschiedenen Werken abgebildet.
Bei dem größten Teil seiner Porträtarbeiten
hat Warhol zunächst auf bestehendes Bildmaterial – wie etwa Pressefotos oder Standbilder
aus Filmen – zurückgegriffen. In einem weiteren Schritt reduzierte er die vorgegebene Bildstruktur auf ihre Grundform, die durch die von
Warhol verwandte Technik des Siebdrucks mit
der Ausformung starker Kontraste noch verstärkt wurde. Es ging ihm nicht um eine sorgfältige Wiedergabe des Modells, sondern um die
Weiterverarbeitung des Bildnisses einer populären Person, das allgemein bekannt ist und unmittelbar wiedererkannt wird. Dabei ist es egal,
ob es sich um »Mona Lisa« oder Mao handelt.
Warhols Siebdrucke werden somit nicht als
Darstellungen der verschiedenen Berühmtheiten
selbst, sondern als Reproduktionen derselben
erfahren, die bereits ein bestimmtes Starbild
transportierten.4
Die Legende lebt
Dass Warhol nach wie vor sehr gegenwärtig im
allgemeinen Gedächtnis ist und viele Menschen
seinen Namen mit dem Begriff »Kult« in Verbindung bringen, ist in der Hauptsache durch
seine nicht abbrechende Präsenz zu erklären.
Nicht nur seine Starporträts, sondern auch andere Bildmotive wie die »Campbell’s Soup«, die
»Car Crash«-Bilder oder der »electric chair«
sind auch jüngeren Generationen vertraut.
Kaum ein anderer Künstler wird auf
vergleichbare Weise weltweit durch
eine nicht enden wollende Kette von
Ausstellungen geehrt, und es vergeht
wohl kaum ein Monat, in dem nicht ein
Ausschnitt aus Warhols Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Zahlreiche Internetseiten widmen sich
dem Künstler exklusiv und gestehen
ihm viel Raum zu. Das Andy Warhol
Museum in Pittsburgh öffnet mit seiner
umfangreichen Sammlung nicht nur
der interessierten Öffentlichkeit die Türen, sondern bietet mit seinem umfangreichen Archiv auch die Möglichkeit
für wissenschaftliche Studien.
Darüber hinaus wird der Kultstatus Warhols in großem Stil vermarktet:
In Online-Stores, Museumsshops, aber
auch Kaufhäusern und Ladengeschäften werden Objekte aller Art mit Motiven des populären Künstlers angeboten. Die von Warhol entwickelte Bildsprache ist noch heute allgegenwärtig. Nicht nur Künstler rezipieren das
Werk Warhols; insbesondere Werbegraphiker und Produktgestalter beziehen sich gerne und häufig auf den Pop
Art-Künstler. Subtil wird durch die Anlehnung an Warhols Bildästhetik der
Kultstatus transportiert und kommerziell nutzbar gemacht.
Abb. 2: Andy Warhol, Mao, 1973. Siebdruck auf Acrylfarbe
auf Leinwand, 448,3 x 346,1 cm. Nationalgalerie SMB,
Sammlung Marx. Foto: J. Littkemann © 2008 Andy Warhol
Foundation for the Visual Arts/ARS, New York
Warhol, der Liebling des
Jetsets – ein manipuliertes
Selbstbild
Warhol gilt in der Öffentlichkeit als unnahbarer und nicht greifbarer Sonderling. Er selbst beförderte ganz bewusst eben dieses Bild sowie die Stilisierung seiner Persönlichkeit zu einem
realitätsentrückten Star. In Interviews
gab er sich zumeist unverbindlich und
widersprüchlich, oft kehrte er das Verhältnis von Fragendem und Befragtem
um. Auch seine äußere Erscheinung,
der oft weltentrückte Blick und die weißen Haare, vermittelten den Eindruck
eines Egozentrikers. Aber gerade das
machte ihn für den Jetset so interessant, und wahrscheinlich ist dies auch
seinem Geschäft sehr zuträglich ge-
Abb. 3: Andy Warhol, Portrait Erich Marx, 1978.
Siebdruck, Acryl auf Leinwand, 101,5 x 101,5 cm.
Nationalgalerie SMB, Sammlung Marx.
Foto: J. Littkemann. © 2008 Andy Warhol Foundation
for the Visual Arts/ARS, New York
43
Der Kult des Künstlers
teilnahmslosen Superstars mit
Verwunderung zur Kenntnis.7
Ähnlich wie die Manipulation
seiner eigenen Person, wurde
auch der Umgang mit der Kunst
und das Bild der sogenannten
»factory« verklärt. Kein Werk
passierte die Schwelle des Betriebs ohne die ausdrückliche
Genehmigung des Meisters. Die
Bezeichnung »factory« suggeriert indes ein falsches Bild,
denn vielmehr als einer Fabrik
ähnelte sie dem Atelier eines Leonardo oder Rubens.8 Gegen
Plagiatsversuche seiner Werke,
die er öffentlich belächelte und
als unbedeutend abtat, ging
Warhol de facto beharrlich und
mit juristischen Mitteln vor, um
sich vor finanziellem Schaden
zu schützen und die Grenzen
des Korpus’ seiner Werke nicht
zu verwischen.
Abb. 4: Andy Warhol, Truman Capote, ca. 1954. Tinte auf
Ende der 40er Jahre hatte WarWerkdruckpapier, 42,6 x 34,9 cm. Nationalgalerie SMB,
Sammlung Marx. Foto: J. Littkemann. © 2008 Andy Warhol
hol am Carnegie Institute of
Foundation for the Visual Arts/ARS, New York
Technology in Pittsburgh studiert
und einen Abschluss in Design
und Malerei gemacht. In der dawesen. Dem Star Warhol haftet eine göttliche rauf folgenden Dekade arbeitete er vor allem
Aura an.5 Dieser Künstlerstatus ist indes kein als Werbegraphiker. Zu dieser Zeit entstanden
Novum in der Kunstgeschichte. So wie Andy Zeichnungen und Graphiken, die viel weniger
Warhol zum gefragtesten Porträtisten von Geld- bekannt sind als seine Gemälde.9 Doch auch in
adel und Prominenz avancierte, galt im 17. den intimen und feinen Arbeiten des Frühwerks
Jahrhundert der flämische Maler Anthonis van lässt sich bereits eine Entwicklung hin zu dem in
Dyck als meistverehrter Bildnismaler des euro- den späteren Bildern umgesetzten Starprinzip
päischen Adels. Beide Künstler verbindet ein ablesen.
ausgesprochen glamouröser Lebensstil.6 WarDie Ausstellung spannt einen Bogen vom
hol jedoch inszenierte sein Bild in der Öffent- frühen graphischen Werk über malerische Arlichkeit. Er verfolgte eine Strategie der Dissimu- beiten aus den 60er Jahren bis hin zu Bildern,
lation, der absichtlichen Verheimlichung von die kurz vor Warhols Tod im Jahr 1987 entstanbestimmten Besonderheiten seiner Person, die den sind. In seinem künstlerischen Schaffen war
seiner konstruierten Reputation entgegenstan- Warhol nicht nur auf eine Ausdrucksform festden, sich möglicherweise sogar schädigend auf gelegt. So erhält der Besucher auch Einblick in
sein Geschäft ausgewirkt hätten. Anders als das filmische Werk des Künstlers, seine TätigStars, die lediglich zum Schutz ihrer Privat- keit beim Fernsehen und seine Arbeit als Hesphäre nur wenig aus ihrem Leben preisgeben, rausgeber der Zeitschrift »Interview«. Integrahat Warhol ein zweites, anderes Leben gelebt. tiver Bestandteil der Ausstellung ist ein Shop, in
So wurde nach seinem Tod bekannt, dass War- dem der Besucher die vielfältige und bunte Welt
hol sich über Jahre an verschiedenen Feierta- der Kommerzialisierung warholscher Bilderfingen regelmäßig zum Dienst an den Armen ein- dungen bestaunen und Beispiele daraus ergefunden hatte. Die Öffentlichkeit nahm die werben kann.
Nachricht über diese aktive Form der Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft des vermeintlich Ulf Sölter
44
Abb. 5: Ron Gallela, New York Public Library,
New York City. Andy Warhol attends the council of
fashion designers of America awards and lifetime
achievement tribute to James Galanos, 13. Januar
1985, Fotografie. © Ron Gallela
Dr. Ulf Sölter ist wissenschaftlicher Museumsassistent am
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin.
Zur Ausstellung erscheint eine Ausgabe des Magazins
Museum für Gegenwart.
Anmerkungen
1 Rainer Crone und Alexandra von Stosch: Stars zwischen
2
3
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5
6
7
8
9
Licht und Schatten. Warhols subversive Lesarten bildlicher Vergegenständlichungen, in: Klaus Albrecht
Schröder (Hrsg.): Andy Warhol. Zeichnungen und
Collagen. Popstars. Ausstellungskatalog Albertina,
Wien 2006, S.15.
Robert Rosenblum: Andy Warhol: Court Painter to the
70s, in: Andy Warhol. Portraits of the Seventies and
Eighties. Anthony d’Offay Gallery London 1993, S. 144.
Tobias Lander: Das reproduzierte Kunstwerk. Andy
Warhol und Walter Benjamins These vom Auraverlust,
in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, 7/8, 2001, S. 8.
Vgl. dazu Max Imdahl: Probleme der Pop Art (1968), in:
Gottfried Boehm (Hrsg.): Max Imdahl, Gesammelte
Schriften, Bd. 3, Reflexion – Theorie – Methode.
Frankfurt am Main 1996, S. 242.
Klaus Honnef: Andy Warhol 1928–1987.
Kunst als Kommerz. Köln 2006, S. 8.
Michael Brunner: Andy Warhols Rollenspiele. Der Bad
Boy als Van Dyck der Moderne, in: Ausstellungskatalog:
M. Brunner (Hrsg.): Dürer, van Dyck, Warhol. Das
inszenierte Porträt seit 1300. Petersberg 2006, S. 70.
Oskar Bätschmann: Ausstellungskünstler. Kult und
Karriere im modernen Kunstsystem. Köln 1997, S. 213.
Klaus Honnef: Andy Warhol 1928–1987. Kunst als
Kommerz. Köln 2006, S. 72.
Vgl. Rainer Crone: Andy Warhol. Die frühen Werke
1942–1962. Stuttgart 1987. Zu der von Warhol verwendeten zeichnungsnahen Drucktechnik, S. 25 f.