September 2012
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Editorial Ausgabe September 2012 Liebe SGIPA Mitglieder, liebe Leserinen und Leser Inhaltsübersicht Erinnern Sie sich noch? Im Editorial der Sommerausgabe äusserten wir die Hoffnung auf zahlreiche Beiträge für die nächste Ausgabe. Es hat gewirkt. Einige schöne Beiträge von Kolleginnen und Kollegen aus der SGIPA-Gemeinschaft sind angekommen. Ihnen und allen die sich bald daran machen einen Beitrag zu verfassen, herzlichen Dank. Eine Laudatio brachte es ins Rollen. Marianne Blumenthal lernte die IP Maltherapie von Sadie (Tee) Dreikurs. Und auch Nani Wirth erinnert sich lebhaft an diese Meisterin ihres Faches. Tee Dreikurs wurde 1900 geboren und verstarb 1993. Die Erinnerung an sie als eine Persönlichkeit und Maltherapeutin sind lebendig. Lesen Sie die Erinnerung von Nani Wirth auf Seite 9. Wozu erinnern wir uns? Wer sich mit Psychologie auseinander setzt, kommt nicht daran vorbei, den Erinnerungen Beachtung zu geben. Sind die Erinnerungen eine gute und wichtige Quelle, die uns an den Anfang eines Leidens führen? „Dem biografischen Zugang, dem Aufspüren lebensgeschichtlicher Zusammenhänge kam in der Psychoanalyse von Beginn an eine zentrale Bedeutung zu.“ Schreibt Professor Dr. Gerd Lehmkuhl im Editorial zur Zeitschrift für Individualpsychologie 3/12. Diese, soeben ausgelieferte Ausgabe unserer Fachzeitschrift widmet sich der Erinnerung, der biografischen Arbeit mit Patienten. Auch die Fallgeschichten, geschrieben von Beratern und Therapeuten sind Erinnerungen. Und sie spielen eine nicht unwichtige Rolle im therapeutischen Prozess. Sehr lesenswert, auch diese Ausgabe der Zeitschrift für Individualpsychologie! Wenn ich mich richtig erinnere, war es die Psychotherapeutin Melanie Klein, die sagte, auch ein Erinnern ohne die Hilfe einer Fachperson hilft zu verstehen, und kann in einen therapeutische Prozess münden, und das Führen eines Tagebuches könne dabei eine Hilfe sein. Manche Menschen, schreiben Tagebuch. Von jenen die berühmt sind weiss man es, indem die Schriften veröffentlicht wurden, haben sie vielen Leserinnen und Lesern erfreut, nachdenklich gemacht und manchmal auch Erkenntnisse gebracht. Einige wurden durch das Tagebuchschreiben erst berühmt, wie jene Bäuerin aus dem Süden Italiens, die ihr Tagebuch auf ein Bettuch schrieb. SGIPA Newsletter | September 2012 | www.alfredadler.ch Editorial 1 Informationen aus dem Vorstand 3 Ihre Meinung ist gefragt: Vierfrageninterviews ab 5 Interview mit Walter Trachsel 5 Interview mit Urs Bärtschi 7 Runder Tisch - Gespräche: IP in der Nacht- u. Krisenbegl. 8 Geschichte der IP 9 Fachbeitrag: Faktor G - Das Geheimnis der … 12 Buchbesprechung: Migration und Trauma 13 Gewalt - neue Geschichte der Menschheit 14 Leserbriefe: eine Rückmeldung per Mail 15 In eigener Sache 15 Zum Schluss 15 Im Internet: A.A. Adressen & Agenda: SGIPA/AAI/IP Termine 16 Layout: Franco Guzzetta Redaktion: Hannelore Hafner [email protected] Nächste Ausgabe: Dezember 2012 Redaktionsschluss: 10. 12. 2012 1 Das Bettuch ziert heute ein Museum für Tagebücher. Auch hier kann man sich fragen: warum auf ein Bettuch und wozu? Wie war es wirklich? Sind es Erinnerungen sozusagen noch ohne Patina? Finden sich auch in diesen Dokumenten die subjektive Betrachtungs- und Darstellungsweise, die laut Alfred Adler zum Menschsein gehört? Der junge Gottfried Keller meinte: „ein Mann ohne Tagebuch ist wie ein Weib ohne Spiegel“. Beim späteren Lesen seiner Niederschrift notiert er: „Diese Worte habe ich vor fünf Jahren niedergeschrieben, ohne dass ich bis jetzt ein Tagebuch angefangen hätte.“ Vermied er dadurch, sich einen Spiegel vor zu halten? Zum Glück hat Samuel Pepys der zur Zeit Chromwells in London, als Marinebeamter im Dienste des Königs stand, ein Tagebuch geführt. Es gilt als das bedeutendste Journal des 17.Jahrhunderts. nicht zuletzt liegt sein Reiz darin, dass es absichtslos ein Bild seiner Zeit vermittelt; 1667: „Vertrieb mir heute in der Kirche die Zeit damit, durch ein Fernglas zahlreiche schöne Frauen zu betrachten. Die übrige Zeit schlief ich, bis zum Ende der Messfeier.“ Dies wohl eher ein Hinweis auf Menschliches. Ein noch älteres Beispiel, aus dem Jahr 1000, findet man im „Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shohan“ (Japan). Ihren Aufzeichnungen von den alltäglichen Dingen legte sie Listen bei. Unter dem Titel: „Was verwirrend und befremdlich aussieht - Katzenohren von innen.“ Wobei man sich langweilt: „Besuch im Hause eines Mannes, der bei der letzten Beförderungswelle vergessen wurde.“ Was glücklich macht: „Wenn jemand den ich hasse Pech hat.“ Das ist nachvollziehbar. Was aber bedeutet das Bloggen, Twittern, Facebooken, diese neuartige Formen der sozusagen öffentlichen Tagebücher? Hier fehlen meist die geheimen Stellen. Sind sie zu vergleichen mit dem Reiz der Reizwäsche? Man zeigt viel- aber nicht alles von sich? „Wenn ich es recht bedenke, habe ich mit dem Tagebuchschreiben begonnen, als ich ahnte, dass ich sterblich bin“ sagt Barbara Bronnen in ihrem Buch: „Die Stadt der Tagebücher“. Und fügt als Untertitel hinzu: „Vom Festhalten des Lebens durch Schreiben“. Ist das vielleicht die Antwort auf das Wozu? Ein Buch, eine Zeitschrift und eine Broschüre bewegen uns dazu, über das Erinnern, das Erzählen und das Niederschreiben von Erlebtem schreibend nachzudenken. Und wie das so ist, beim Nachdenken tauchen Fragen auf. Doch wo würden wir sein wenn wir keine Fragen mehr hätten? Wir wünschen Ihnen einen schönen Herbst Ihr Redaktionsteam Hannelore Hafner und Franco Guzzetta * Zeitschrift für Individualpsychologie 3/12 TAGEBÜCHER von Michael Maar, aus der Schriftenreihe Vontobel-Stiftung, Nummer 2050 Die Stadt der Tagebücher; Vom Festhalten des Lebens durch Schreiben. Barbara Bronnen, 1996 SGIPAaktuell | September 2012 | www.alfredadler.ch 2 Information aus dem Vorstand Liebe SGIPA Mitglieder Wie immer an dieser Stelle informiert Sie der Vorstand über die wichtigsten Geschäfte der SGIPA, einschliesslich des AAI Kompetenzzentrums während den vergangenen 3 Monaten: A. SGIPA 1. Weiterbildung Weiterbildungs- und Vortragsreihe 2012 Am 20. September fand der 3. Vortrag von Prof. Dr. Jürg Frick zum Thema Was uns antreibt und bewegt im Institut für Philosophie und Ethik in Zürich statt. Es waren etwa 25 Personen anwesend, darunter auch einige SGIPA-Mitglieder. Der Vortrag von Jürg Frick hat anschliessenden zu einer anregenden Diskussion geführt, an der mehrere Anwesende aktiv teilnahmen – ein Zeichen, dass der Inhalt des Vortrags auf grosses Interesse bei den Anwesenden gestossen ist. Der Vorstand dankt Prof. Frick für seinen geschätzten Beitrag zum Gelingen des Projektes SGIPA Weiterbildungs- und Vortragsreihe 2012. Einige Impressionen von den Vorträgen Am 9. November findet der letzte der 4 Vorträge der Vortragsreihe 2012 im Institut für Philosophie und Ethik statt. Es spricht Horst Gröner, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) zum Thema „Arbeit macht Spass – aber wer kann schon soviel Spass vertragen?“ Liebe Mitglieder, Der Vorstand würde sich über Ihre rege Teilnahme an diesem letzten Vortrag in diesem Jahr sehr freuen! Zur Erinnerung: SGIPA-Mitglieder zahlen nur CHF 10.00 Eintritt pro Veranstaltung, d.h. 50% des Eintrittspreises für Studenten und Senioren. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 3 Weiterbildungs- und Vortragsreihe 2013 Der Vorstand hat beschlossen, die Weiterbildungs- und Vortragsreihe im kommenden Jahr fortzusetzen, auch wenn die Beteiligung in laufenden Jahr eher gering war. Der Vorstand ist davon überzeugt, dass die Kontinuität dieser Vortragsreihe für das Bekanntwerden der SGIPA und das Interesse seitens der Medien sehr wichtig ist. Die Vorträge werden voraussichtlich am 16. April, Ende Juni / im September und Mitte November 2013 stattfinden. Themen und Referenten sind noch in Abklärung Vorschläge seitens der SGIPA Mitglieder nimmt der Vorstand sehr gerne zur Kenntnis. 2. Geschäftsführung Das geplante Gespräch des SGIPA Vorstandes mit dem Vorstand FIPA und dem Ausschuss für Wissenschaftsfragen und Ethik (AWE) über die Ausrichtung der zukünftigen Aktivitäten der SGIPA findet voraussichtlich am 7. Dezember statt. Der Vorstand hat beschlossen, die notwendigen Abklärungen für eine mögliche Steuerbefreiung der SGIPA als Institution des öffentlichen Interesses in die Wege zu leiten. Der Termin für die Generalversammlung 2013 wurde auf den 27. April 2013 festgelegt. Weitere Informationen folgen zu gegebener Zeit. Der Vorstand bittet die Mitglieder, sich auf die Wahl eines neuen Präsidenten anlässlich der GV 2013 einzustimmen, da der amtierende Präsident für eine Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung stehen wird. B. AAI Kompetenzzentrum für Individualpsychologie nach Alfred Adler 1. Bildungsangebote IP-Berater/innen-Ausbildung In den Verhandlungen mit dem neuen SGIPA-Bildungspartner, der die zukünftige qualifizierte Ausbildung von IP-Berater/innen für das AAI Kompetenzzentrum durchführen wird, ist der Vorstand einen Schritt weiter gekommen. Er ist zuversichtlich, dass der Vertrag für eine Zusammenarbeit zustande kommen wird. 2. Werbung Der Ausschuss für Bildungsfragen und –Koordination (ABK) hat sich an seiner Sitzung vom 12. September in erster Linie aus Kostengründen gegen einen gemeinsamen Messeauftritt aller Bildungspartner und des AAI Kompetenzzentrums an der 13. Zürcher Bildungsmesse im März 2013 in der HB/Rail City Zürich entschieden. Der ABK wird alternative Werbemöglichkeiten für die Bekanntmachung des AAI Kompetenzzentrums und seinen Aus- und Weiterbildungsangeboten diskutieren und dem Vorstand entsprechende Vorschläge unterbreiten. für den SGIPA Vorstand Heinz Göltenboth, Präsident SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 4 Ihre Meinung ist gefragt! Die VIERFRAGEN-Interviews Die folgenden drei Interviews gehören zu einem Projekt, mit dem wir in diesem Jahr, SGIPAaktuell 1/12 vom März, begonnen haben und das wir in dieser Ausgabe fortführen. Die Interviews werden per E-Mail gemacht. Die Form: VIERFRAGEN schränkt ein, sorgt aber dafür, dass die Interviews nicht ausufern. (In der Kürze liegt die Würze). Zur Abmachung gehört, dass der oder die Interviewte eine Nachfolge benennt und diese Person, ein SGIPA Mitglied, um Einverständnis fragt für ein weiteres VIERFRAGEN-Interview. Wir versprechen uns von all dem Anregung untereinander, lockeren Kontakt, Information und etwas Gemeinschaft unter den Mitgliedern der SGIPA. VIERFRAGENINTERVIEW mit Werner Trachsel Hallo Werner Trachsel Sie haben sich für ein VIERFRAGEN-Interview zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank. Zur IP sind Sie Mitte der 90er Jahre gestossen und haben den BTK 17 im Jahr 1998 abgeschlossen. Damals hatten Sie schon einen grossen Schatz an Berufserfahrung in 35 Jahren gesammelt. Die Betriebswirtschaft und die Sozialarbeit, letztere vor allem im Gesundheitswesen, waren Ihre Fachgebiete. Jürg Ruedi, der Sie als Interviewpartner vorgeschlagen hat, stellt Ihnen die folgenden Fragen: 1. Was machst Du heute? Wie gestaltest Du Deine Woche und Deine Tage? Bisweilen kommt das Gefühl auf, die Tage meines Rentnerdaseins seien wenn auch weniger hektisch als zu beruflichen Zeiten dichter ausgefüllt. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass mich manches umtreibt, dem ich vorher nicht nachgehen konnte. Vieles ist neu – angelesen, angehört, an Ort und Stelle betrachtet. So viel aufnehmen wie nur möglich, unstillbarer Wissensdurst - zeitaufwändiges Vorhaben, aber äusserst vergnüglich! Bevorzugte Gebiete sind Philosophie (querbeet durch Schulen und Zeitalter), Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, politisches und kulturelles Tagesgeschehen, erstaunlicherweise etwas weniger die Psychologie. Besuch von Vorlesungen, Seminaren, Vorträgen und, damit es nicht bei der Theorie bleibt, ausschweifende Gänge durch Ausstellungen in Kunstinstitutionen der Schweiz und im angrenzenden Ausland. Vieles davon zusammen mit meiner Ehefrau, die zum Glück einige meiner Neugierden teilt. Nachwuchs bei unseren beiden Töchtern steht noch aus, so dass unsere grosselterliche Rolle als temporäre Hüter vorderhand noch vakant bleibt. Körperlichen Ausgleich finden wir beim Wandern, Hausarbeiten oder bei entspannen - dem Nichtstun an den Gestaden eines unserer vielen Seen, vorzugsweise bei einem Glas guten Weines. Wenig Aufwand bedeutet das Präsidium einer kleinen Stiftung im Gesundheitsbereich und einer Wohnbaugenossenschaft zugunsten benachteiligter Menschen, beides Überbleibsel meines Berufslebens. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 5 2. Was hat sich bei Dir geändert in den letzten Jahren? Während 10 Jahren war ich bei „Telefon 143 Die Dargebotene Hand“ als Telefonberater mit Freiwilligenstatus tätig mit einem Zeitaufwand von etwa 20% eines Normal-Arbeitspensums, inklusive Nacht- und Wochenenddienste, Weiterbildung und Supervision. Nun, man wird älter, verliert an Spannkraft, braucht mehr Erholungszeit, und so habe ich diese bereichernde Aufgabe auf Ende des letzten Jahres nicht ganz unbeschwert hinter mir gelassen. 3. Wenn Du an Deine SGIPA-Zeiten zurückdenkst als Vorstandsmitglied oder als Student, was kommen Dir da für Erinnerungen? Meiner aktiven SGIPA-Zeiten erinnere ich mich gerne. Etwas verblasst sind die Einzelheiten der Veranstaltungen am Adler-Institut, auch die abschliessenden Prüfungen. Gegenwärtig bleibt mir das Gefühl von vielfältigem nicht nur auf Alfred Adler bezogenem Neuland, das für mich zu entdecken war, reichhaltige Vertiefungskurse, die anregende Selbsterfahrungs- und Supervisionsgruppe und die menschlich wertvolle individuelle Lehranalyse. Während vier Jahren besorgte ich - schon im Rentenalter - das Amt eines Kassiers im Vorstand der SGIPA. Blühte vorerst das Kurswesen ergiebig, wurde die Nachfrage nach und nach trotz grösster Anstrengung der damaligen Studienleitung von Jahr zu Jahr geringer. Hohe ständig wiederkehrende Kosten für die Infrastruktur an der Dubsstrasse in Zürich, die nicht innert nützlicher Frist angepasst werden konnte, zwangen leider die nachfolgenden Verantwortlichen des Vorstandes zu Massnahmen, die zum heute geltenden Konzept führten. 4. Wie kam es, dass Du dich im 54. Altersjahr noch einmal auf eine „Schulbank“, respektive auf einen Stuhl im Alfred Adler Institut in Zürich an der Dubsstrasse, begeben hast? Anfangs der 60er Jahre entdeckte ich am Kiosk eine von Friedrich Liebling und Dr. Josef Rattner, soweit ich mich erinnere, in monatlichen Abständen herausgegebene Broschüre, welche das Gedankengut der Individualpsychologie pflegte. Konzept und menschliche Haltung gefielen mir, und ich wurde zum regelmässigen Leser während einiger Jahre. Als mehr als 30 Jahre später im Fachblatt des Berufsverbandes der Sozialarbeiter eine Anzeige für einen Lehrgang des AAI für Berater ausgeschrieben war, fühlte ich mich von Neuem angesprochen, und ich bewarb mich dafür auf der Stelle. So fand ich sozusagen zu einer „Jugenderinnerung“ zurück, was ich niemals bereut habe. Ich danke herzlich für dieses Interview. Hannelore Hafner SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 6 VIERFRAGENINTERVIEW mit Urs Bärtschi Urs R. Bärtschi (1963), Berater SGfB und Coach BSO. Inhaber der Firma Coaching plus GmbH Lieber Urs Wir kennen uns beruflich aus einer Fortbildungsveranstaltung, die vor einigen Jahren stattgefunden hat, allerdings nur ganz flüchtig. Seit 2003 bist Du Mitglied in der SGIPA. Für die Beraterausbildung warst Du als Dozent tätig. Danke für Deine Bereitschaft SGIPAaktuell ein Interview zu gewähren. 1. Wie stellst Du Dich vor, wenn man Dich nach Deiner beruflichen Tätigkeit fragt? Auf meiner Visitenkarte steht „Geschäftsinhaber“. Meist erzähle ich von meinem beruflichen Alltag, wie ich Menschen im Einzelgespräch coache oder im 13. Jahr als Seminarleiter/Ausbildner tätig bin. 2. Wie bist Du zu Deiner IP - orientierten beruflichen Tätigkeit gekommen? Im Jahr 1996 las ich das Buch „Mut tut gut“. Die Individualpsychologie war mir zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut vertraut, deshalb konnte ich den Autor Theo Schoenaker gut verstehen und ich war begeistert von seiner Praxisbezogenheit. Ich hatte dann die Gelegenheit, im letzten Ausbildungslehrgang von Theo Schoenaker selbst teilzunehmen und den Titel „Dipl. IP-Berater RDI“ zu erhalten. Als „Bücherwurm“ las ich jedes erhältliche individualpsychologische Buch und übersetzte den Inhalt in die Businesswelt. Dies öffnete mir unter anderem die Tür, in den Jahren 2003 bis 2006 als Gastdozent im Alfred Adler Institut, beitragen zu können. Im Jahre 2000 startete ich mit dem „10tägigen Studiengang für angewandtes Coaching.“ Mein Erfahrungsrucksack in Führung und Erwachsenenbildung, gepaart mit meinem vertieften individualpsychologischen Wissen, ergaben eine geniale Grundlage für diese Ausbildung. Seitdem biete ich diesen 10-tägigen Studiengang kontinuierlich an und verbreite das Gedankengut von Alfred Adler. In den ersten Jahren wurde der Studiengang von meiner Einzelfirma durchgeführt. Die parallele Coachingtätigkeit führte im 2003 zur Gründung meiner Firma Coachingplus GmbH. 3. Womit beschäftigst Du Dich, wenn Du gerade nicht für beruflichen Aufgaben und Projekte arbeitest? Eine tragfähige Life-Balance Vorlage hat Adler/Dreikurs bereits mit den Lebensaufgaben geschaffen. Diese wichtige Kenntnis hilft mir, die richtigen persönlichen Akzente zu setzen: Eine erfüllte Paarbeziehung Persönliche Inseln - wie sangen Peter, Sue & Marc so schön: „Jede bruucht syni Insel.“ Ich achte seit Jahren sehr bewusst auf „persönliche Inselzeiten“ wo ich mich entspanne oder kreativkünstlerisch tätig bin. Zum Beispiel durch: Meine Hobbies, wie die mediterrane Küche, mehr als 20 Kochbücher stehen dazu griffbereit in meiner Nähe. Oder mit Acrylfarben und Leinwand, um meiner Kreativität Ausdruck zu geben. So entstanden Werke, die unter anderem in den Schulungsräumlichkeiten von Coachingplus hängen. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 7 4. Gibt es "Aufsteller" die Deinen Tagesablauf beflügeln, und wie ermutigst Du Dich selber? Ja, meine Fähigkeiten und Begabungen leben zu dürfen, ist immer wieder beflügelnd. Das erlernte Wissen weitergeben zu können und zu erleben wie schnell und gut Menschen lernen und umsetzen das ist genial. Selbstermutigung: Indem ich keine selbstentmutigende Gedanken zulasse - respektive das Gute in der jeweiligen Situation hervorhebe. Ich danke Dir herzlich für das Interview. Hannelore Hafner Runde-Tisch Gespräche Rückblick auf das Gespräch am RUNDEN TISCH vom 27.08.2012 IP in der Nacht – und Krisenbegleitung Daniel Schürch-Tal sprach am RUNDEN TISCH von seiner kurz nach der Diplomierung 2002 aufgenommenen Arbeit als freiwilliger Mitarbeiter an den Spitälern Waid und Triemli. Seine Motivation dazu: das neu erworbene Wissen und Können (er war ja bereits als BTL-Student ein Quereinsteiger) auf einen aussergewöhnlichen Bereich auszuweiten, in dem es vor allem gereifte Menschen braucht; erfahren, wie die IP umsetzbar ist in einem ganz anderen Kontext, in der nächtlichen Begleitung todkranker und sterbender Patienten im Spitalbett und dabei zu spüren wie es ihn selber betrifft. Daniel berichtete nicht nur von den äusseren Begebenheiten und Bedingungen zu den Einsätzen, sondern vor allem den Erfahrungen, die er dabei machen konnte. Von Menschen am Ende ihres Lebenswegs und ihren Nöten, Wünschen und Geschichten, von den Begegnungen mit Charakteren und Lebensstilen, die sich in der Krisensituation besonders akzentuiert zeigen, von den Möglichkeiten, die er jeweils packt, ermutigend zu wirken, von wesentlichen Gesprächen, die sich ergeben oder vom Patienten gewünscht werden, von der still vor sich hin schleichenden Zeit am Krankenbett, die er dazu nutzt, die Patienten und ihr direktes Umfeld zu beobachten, sich in sie einzufühlen; einfach da zu sein ohne Anspruch auf Erfolg versprechende Interventionen. Daniel Schürch zeigte sich als lebhafter, anschaulicher Erzähler seiner reichen Erfahrungen und sein Publikum - immerhin 10 Personen! - ging so richtig mit, was sich auch nach seinen Schilderungen im gemeinsamen Gespräch zeigte. Zudem hat uns Daniel eine sehr ausführliche SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch Zusammenfassung schriftlich zur Verfügung gestellt, die alle, die gerne dabei gewesen wären, bei ihm bestellen können. [email protected] Einmal mehr hat sich gezeigt, wie gut es ist, dass es diesen RUNDEN TISCH gibt! Unter den SGIPA Mitgliedern hat es so viele, die bemerkenswerte Aufgaben wahrnehmen und die IP lebensnah praktizieren. Ich möchte deshalb meine Leserinnen und Leser ermutigen, sich bei Ruedi Walter zu melden [email protected] , um über ihre eigenen Erfahrungen in der Umsetzung dessen, was sie in und nach ihrer Ausbildung zum IP Berater/Therapeuten gelernt haben, zu berichten. Zudem braucht der „Runde Tisch“ dringend Nachwuchs in der Programmgestaltung und Leitung. Es ist jeweils ein ein-jähriges Engagement, das viel bewirkt. Melde dich doch unverbindlich bei mir. ([email protected] oder 044/ 201 48 71) 8 Geschichte der Individualpsychologie Lernen von den Meistern - Tee Dreikurs und die Maltherapie Von Nani Wirth Wenn ich an meine Erfahrungen mit der Maltherapie denke, dann denke ich gleichzeitig an Tee (Sadie) Dreikurs, die mich dahin geführt hat vor langer Zeit. Auch wenn ich in den letzten Jahren, in denen ich mit Einzelnen und Gruppen gestalterisch gearbeitet habe, eigene Übungen und Wege ausprobierte und die Gestaltung auf verschiedenen Ebenen mit einander verband, so war doch meine Orientierung immer irgendwie an Tee angelegt. Es war das Jahr 1969, ich lebte mit meinen shops nach Zürich eingeladen. So kam auch Tee 3 Kleinkindern (das 3. Eben geboren) interimsDreikurs wiederholt ans AAI. Die Wiederweise bei meinen Eltern in Schaffhausen, da trat begegnung mit ihr wurde ein Erlebnis für mich. Rudolf Dreikurs als Vortragenden in der dortigen Unvergesslich, wie sie jeweils zum Empfang der Volkshochschule auf. Vermutlich hatte ich - ewig Teilnehmenden im Eingang zum Malraum stand, vor Herausforderungen gestellt mit meinen drei fast etwas zerbrechlich wirkend, aber mit grosser Kleinen - bereits sein Buch „Kinder fordern uns Selbstverständlichkeit und warmem, offenem heraus“ gelesen. Diesen Autoren wollte ich sehen Blick und jeden, der über die Schwelle schritt, mit und hören! Ein grosses und einem festen, freundlichen … sie war eine perfekte Lady: immer mein Leben bestimmendes hübsch gekleidet, ihr weisses Haar Handschlag begrüsste: „Hello, I Ereignis! Der Veranstalter, ein gut frisiert, ihre Worte von am Tee. What is your name?“ ehemaliger Schulkollege, lud gemessenen Äusserungen getragen, Sie kam auf die Studis zu, mich nach dem Vortrag ein, ihr Blick unter den schweren Lidern zeigte sich auf gleicher Ebene, mit Dr. Dreikurs und seiner neugierig, aber wohlwollend … war aber nie anbiedernd. Frau noch zu einem Glas Wein Sie war eine perfekte Lady: mit zu kommen. Das war immer hübsch gekleidet, ihr weisses Haar gut meine erste Begegnung mit Tee. Zwar war Dr. frisiert, ihre Worte von gemessenen Äusserungen Dreikurs unzweifelhaft die Hauptperson am Tisch, getragen, ihr Blick unter den schweren Lidern doch seine Frau, eine feingliederige, hübsche neugierig, aber wohlwollend; und selbst als sie weisshaarige Dame, strahlte Persönlichkeit aus später sehr fragil und körperlich gebrechlich war, und war eine Augenweide und deshalb unblieb dieser Eindruck, es mit einer feinsinnigen, übersehbar. Ich sass neben ihr und wurde von ihr sehr präsenten alten Dame zu tun zu haben. in eine selbstverständliche Unterhaltung gezogen, Lebhaft war sie im Inhalt dessen, was sie sagte. in der ihre Natürlichkeit und menschliche Wärme Oft sass sie in einer Ecke, wenn wir malten, sah gleich spürbar waren. Selten habe ich auf Anhieb aus, als ob sie vor sich hin döste. Doch das jemanden von weltläufiger Bedeutung so untäuschte. Sie war eine scharfe Beobachterin, mittelbar und angenehm neben mir wahrwusste genau, was um sie her geschah, sah sich genommen. nicht nur die Bilder an, die entstanden, sondern Es dauerte noch ein paar Jahre bis ich ihr wieder auch deren Schöpfer und ihre Körpersprache, die persönlich begegnete. Nach der Gründung des AAI Prozesse, die durch Pinsel und Farbe abliefen und - ich hatte mittlerweile den ersten von der SGIPA ging oft später in der Besprechung der Bilder angebotenen Beraterkurs abgeschlossen - wurden darauf ein, um etwas zu erklären oder zu belegen. viele damals tonangebende Individualpsychologen Bei ICASSI, wohin ich nach meiner Ausbildung fast aus aller Welt jeweils zu Seminaren und WorkJahr für Jahr, hoch motiviert und begeistert SGIPAaktuell | September 2012 | www.alfredadler.ch 9 pilgerte, kam ich erst 1981 dazu, Tee Dreikurs’ Seminar zu belegen. Es war schwer, hinein zu kommen, da es so beliebt und rasch ausgebucht war. Über 2 Wochen täglich von ihr unterrichtet zu werden, bedeutete für mich den Durchbruch: ich erhielt in meinen Bildern ein paar überraschend neue Erkenntnisse zu meinem Lebensstil und meinem Gefühlshaushalt, die selbst der langen Lehranalyse entgangen waren. Ich lernte mich von einer neuen Seite her kennen, ging völlig auf im Spiel und Erschaffen mit Pinsel und Farbe. Zudem kam ich mir und der eisernen Logik des Zusammenlebens auf die Spur, in der Art wie Pinsel, Farben und Ideen der andern sich mit den meinen kreuzten oder sich einander näherten oder hingaben. Tee lehrte mich, die feinen Spuren auf meinem Blatt zu ergründen und deren Zusammenhänge zu meinem Leben zu sehen. Ich wusste nun: darüber möchte ich mehr lernen und es in Zukunft in der beraterischen Arbeit anwenden. Und ich traute es mir zu, gleich ans Werk zu gehen und konnte dabei erfahren, wie schnell ich zusammen mit den Klienten durch die konkreten Bilder zu markanten Erkenntnissen gelangte. Tee Dreikurs „Dieses grossflächige Malen“, war, wie sie schreibt sie in ihrem Buch, „war es in ihrem der Anfang meiner Maltherapie kleinen, aber mit Gruppen“. dichten Buch „Cows Can Be Purple“ (in der Bibliothek des AAI auszuleihen) beschreibt, die Witwe eines bildenden Künstlers, mit dem zusammen sie selber in den USA und in Europa Kunst studiert hatte. Sie war danach als junge Frau in einem problematischen Viertel Chicagos an einem Gemeinde- und Freizeitzentrum als Sozialarbeiterin tätig. Neben anderen Aufgaben leitete sie dort Malkurse für Kinder und Erwachsene. Als ihr eines Tages eine Horde von delinquenten rivalisierenden Jugendlichen zugewiesen wurde, überliess sie diesen aus lauter Verzweiflung grosse Töpfe mit Farben, Pinsel und eine riesige Malfläche an der Wand, um sich darauf auszutoben. Sie musste sie als erstes einfach beschäftigen. Dann aber stellte sie sich vor, dass die schweren Jungs sich durch Gestaltungsaufgaben mit einander in Verbindung bringen und damit Erfahrungen in Zusammenarbeit machen SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch könnten. Tatsächlich führten diese Aktivitäten nach den ersten chaotischen Ausbrüchen schliesslich zu den Erfolgen, die sie erhofft hatte. „Dieses grossflächige Malen“, schreibt sie in ihrem Buch, „war der Anfang meiner Maltherapie mit Gruppen“. Wenn sie es nicht schon zuvor war, dann ist sie an diesen Herausforderungen, die ihr Vorgehen mit sich bringt, zu einer unglaublich couragierten Fachfrau mit aussergewöhnlicher Sozialkompetenz gewachsen, welche fortan die schwierigsten Aufträge meisterte: Malen mit Gruppen von behinderten Kindern, von Gefängnisinsassen, von Psychiatriepatienten, von Ärzten, von Studierenden, von Psychologen … Bis ins hohe Alter war sie als Maltherapeutin, die das Gruppengeschehen nutzt, um die Malenden auf ihre Eigenarten in der Zusammenarbeit aufmerksam zu machen, ganz besonders in ihrem Element. Es gab Aufgaben zu zweit, zu dritt, oder auch in grösseren Gruppen. Sie gab knappe Anweisungen für die Aufgaben und zog sich dann zurück. Aber wie sie danach in der Besprechung der Bilder ihre Beobachtungen und Eindrücke einbrachte und die Dynamik im Bild und im Gruppengeschehen zu einander in Beziehung bringen konnte, konnte wohl nicht nur mir die Augen öffnen zur Wahrnehmung des eigenen In-derWelt-stehens. Mir wurden durch diese „GruppenProjekte“ die tiefsten Erlebnisse zuteil: Erfahrung von grosser Nähe und Verbindung, wie auch von Grenzen und Isolation, von Kampf und von Verschmelzung, von Blockierung, wie von Tanz und immer die Erkenntnis zur Art meiner Beteiligung darin. Die Bekanntschaft mit Dr. D., der ihr zuerst die Supervision und später die Ehe anbot und in der Folge die Jahre als seine Mitarbeiterin in verschiedenen Rollen, - total spannend zu lesen in ihrem Buch! - hat Tee zu einer waschechten und kompetenten Individualpsychologin gemacht. Ihre Laufbahn als Maltherapeutin kam zwar erst so richtig in Fahrt nach dem Tod ihres Mannes. Aber das Werkzeug dazu war schon längst angelegt. Die Übungen ergaben sich für sie, die Künstlerin, wie von selbst, und oft spontan, aus dem Leben, in der Verbindung zum Gedankengut Adlers, wie es 10 Dreikurs vertreten hat. Die Bewegungen der Seele (wie auch deren Blockierung) werden immer in Handlungen sichtbar. Im Malen von Bildern liegt Handlung, die dann im verfertigten Produkt festgehalten ist. Mit grosser Könnerschaft las Tee daraus von den Wirbeln im Leben der Künstlerin, den Enttäuschungen über Vergangenes, ebenso wie „the hidden reason“, d.h. die versteckte Wahrheit hinter der privaten Logik, oder wo die Entmutigung der Malenden steckt und wie sie von dieser behindert wird - und vieles mehr. Bei den Besprechungen der Bilder - jeder wollte jeweils der Erste sein, der sein Bild dazu anbot - hatte Tee sehr schnell die „Goldader“ entdeckt und machte direkte und klar formulierte Vorschläge dazu wie man es sehen könnte. Immer mit äusserstem Respekt für die Künstlerin / den Künstler; entdeckend, ohne entblössend zu sein, und stets auch die ermutigende Seite der Sache aufzeigend. Doch auch die Gruppe wurde einbezogen, denn jede einzelne Betrachterin hat etwas mit dem Bild, das zur Betrachtung steht, zu tun. So konnte es auch sein, dass ein Kommentar dazu führte, dass die beitragende Betrachterin selber etwas über sich lernte. Wann immer sich mir die Gelegenheit bot, nahm ich über Jahre Teil an Tees Workshops und Seminaren. Sie erlitt in den frühen 80er Jahren einen Herzinfarkt und zog sich dann für eine Weile zurück. Recht gut genesen, aber geschwächt, nahm sie später ihre Lehrtätigkeit wieder auf. Doch bat sie jeweils um eine persönliche Betreuung: jemand, der im Ernstfall auch die Leitung übernehmen könnte. So habe ich ein paar Seminare mit ihr als ihre Assistentin gemacht, unter anderem an einer ICASSI. Sie war damals schon sehr alt und es war eine ihrer letzten ICASSIs. Es war interessant, sie in dieser Rolle aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen. Ich erlebte sie da als die Königin, die lieber ihren Part bis zum Umfallen ausfüllte, als das Zepter weiter zu geben. Sie war sehr dankbar für alle die kleinen Handreichungen und Erleichterungen, die ich ihr bieten konnte, aber sie rückte in keiner Weise von ihrem Programm ab. Unser Verhältnis war so freundschaftlich, dass ich mit ihr danach darüber sprechen konnte und verstand auch ihre Motive. Für sie war ICASSI das Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes und deshalb nur die Tradition gut genug. Und sie hatte diese zu erfüllen. Unser zeitweise lebhafter Briefwechsel wurde spärlicher mit Tees Rückzug aus dem Beruf - ihrer Berufung! Sie verlor zudem nach und nach das Augenlicht. Für eine Weile diktierte sie die Antworten auf meine Briefe der Frau, die sie betreute, doch dann versiegten sie ganz. Zuletzt ist sie, wie ich gehört habe, einfach ausgelöscht, wie das letzte Flämmchen einer Kerze. Das Licht einer wunderbaren Frau, einer grossen weisen Könnerin aber hatte, im Verlauf ihres Strahlens mit intensiver Kraft, viele neue Lichter angezündet. (Sadie Dreikurs, 1900 -1996) Ausser dem o.a. Buch von Sadie Dreikurs findet man zahlreiche Hinweise auf ihr Wirken, auf die von ihr begründete Maltherapie und auf NachfolgerInnen unter Sadie Dreikurs bei wikipedia. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 11 Fachbeitrag Faktor G: Das Geheimnis der Lebensfreude Von Urs R. Bärtschi Menschen mit einer lustvollen Lebenseinstellung sind gesünder, lebensfroher und motivierter. Die Lebensfreude ist die Kraft, die das Leben gestaltet. Die Prioritäten, ein Beratungstool welches durch die Publikationen von Albrecht Schottky / Theo Schoenaker und Michael Titze / Horst Gröner eine grosse Beachtung und Anwendung innerhalb der Individualpsychologie fand, begleiten mich täglich - in meinem (Berufs-) Alltag. Mit grossem Erfolg wende ich dieses Model an und habe dies gemeinsam mit meiner Frau sorgfältig weiter entwickelt (sprachliche Anpassungen und Neuformulierungen, Onlineversion für Testauswertungen, etc.). In den vergangenen Monaten schrieb ich zu jeder Grundrichtung (bzw. Priorität) einen Artikel, welcher auf ermutigende Art und Weise die lebensstiltypischen Aspekte beschreibt. Gerne lasse ich Sie an einer Zusammenfassung zu einer Grundrichtung Gemütlich (Priorität Bequem) teilhaben: Menschen mit einer lustvollen Lebenseinstellung sind gesünder, lebensfroher und motivierter. Die Lebensfreude ist die Kraft, die das Leben gestaltet. Manche Menschen haben rein durch ihre Persönlichkeitsstruktur Vorteile darin, lustvoller durch das Leben gehen zu können. Mensch zu sein heisst, sich selbst einzugestehen, dass man nicht alles kann. In der heutigen Zeit leiden viele Menschen darunter, dass der äussere Leistungsdruck ständig wächst. Hektik verhindert Inspiration. Die Lebensfreude und der Genuss bleiben auf der Strecke. Lebensqualität und Zufriedenheit - die Lust am Leben Zufriedene Menschen haben es gut: Sie sind nicht nur glücklich, sondern auch leistungsfähiger als andere. Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück sind Worte, die in der Alltagssprache zusammengehören. Zufriedenheit ist etwas sehr Subjektives. Jeder Mensch macht sie an persönlichen Erlebnissen fest, z. B. an den Glücksmoment, als - nach einem langen Aufstieg - der Gipfel erreicht wurde. Jeder kennt solche Momente, in denen das eigene Herz von einer grossen Zufriedenheit durchströmt und erfüllt wird. Mit allen Sinnen Um diesen Artikel zu schreiben, nehme ich kurzerhand den Laptop unter den Arm. Es ist ein herbstlicher, sonniger Nachmittag. Ich setze mich auf eine Bank am Waldrand. Aus dem Laptop ertönen französische Chansons. Lebensqualität und -genuss. Bewusst entscheide ich mich für diesen schönen Moment und gönne mir die Zeit und die Musse, achte auf die Geräusche und höre die Vogelstimmen. Innerlich zur Ruhe kommen nicht müssen, sondern dürfen - der Faktor G lässt sich in diesem Ambiente bestens beschreiben. So tauche ich hinein und empfinde das Lebensgefühl G-Faktor. Doch genau an diesem Punkt begegnet vielen Menschen der erste Stolperstein: Gemütlichkeit wird auf spezielle Momente verschoben, auf den späten Abend, die Wochenenden oder selbstverständlich die Ferien. Da sitzt auch bereits der zweite Stolperstein: Gemütlichkeit wird nur in speziellen Zeiten „bewilligt“ (zugelassen). Sonst wird sie abgewürgt bzw. ignoriert. Ein Dilemma! Menschen mit dieser Grundrichtung sehnen sich nach genussvollen Zeiten. Doch im Selbstgespräch werden Alibis und Entschuldigungen gefunden, warum es nicht sein darf. Die gesellschaftlichen Erwartungen tragen das ihre dazu bei, dass die eigenen Bedürfnisse aufgeschoben werden. Manche Menschen haben das so lange „trainiert“, dass sie gar nicht mehr bemerken, dass ihnen etwas fehlt. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 12 In vielen Coaching-Gesprächen habe ich festgestellt, dass Gemütlichkeit von vielen Menschen bewundert wird. Ihre Vorbilder haben oftmals diese Charaktereigenschaft: der Grossvater, der sich am Abend nach getaner Arbeit auf das Fyrabig-Bänkli setzt und den Tag ausklingen lässt. Oder die liebevolle Person, die Wärme ausstrahlt und so gut zuhören kann. Die Lehrerin, die einem Verständnis entgegenbringt und einem anlacht. Der Vorgesetzte, der einem eine herausfordernde Aufgabe überträgt und nicht ständig nachfragt, sondern die Kompetenz mit delegiert. Und genau hier begegnet uns ein dritter Stolperstein: Die Erinnerung glorifiziert diese Eigenschaften. In der Gegenwart empfinden manche diese Genussfertigkeit als störend. Es werden (nur) die Resultate und Leistung bewertet. Genuss ist immer verbunden mit viel Freiheit und Eigendynamik. Autor: Urs R. Bärtschi (1963), Berater SGfB und Coach BSO. Inhaber der Firma Coaching plus GmbH. www.coachingplus.ch Buchbesprechung Migration und Trauma. Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen Zimmermann, David (2012) - Giessen: Psychosozial / 266 Seiten - ISBN 978-3-8379-2180-9 Der Autor, Sonderpädagoge und in der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen sowie in der Beratung junger Flüchlinge erfahren, zeigt uns in seinem lesenswerten wie lehrreichen Buch, wie das Leben zwangsemigrierter Jugendlicher durch extreme Belastungen gekennzeichnet ist und gefördert werden kann. In seiner Untersuchung verbindet er bisher voneinander separierte Forschungsbereiche der Psychotraumatologie, der Migrationsforschung sowie der Pädagogik. Auswirkungen von Kriegserfahrungen und gestörte familiäre Interaktionen im Exil untersucht der Autor ausführlich anhand von sechs konkreten, anonymisierten Fallbeispiele in seiner genauen Analyse. Im theoretischen Teil (Migration und Trauma) führt er die Theorie der sequenziellen Traumatisierung (Keilson 1979/Becker 2006) ein und beleuchtet, was das für die Migrierten - hier besonders die Kinder und Jugendlichen bedeutet. Dies wird im dritten Teil konsequent näher beleuchtet: etwa die Trennung von primären Bezugspersonen, Interaktions- wie transgenerationale Aspekte, aber auch die schulische Situation mit - meistens - ungünstigen rechtlichen Rahmenbedingungen (ungesicherter Aufenthaltsstatus) und häufig entsprechend problematischen Folgen für die MigrantInnen. Für die Schule wäre es besonders wichtig, die lebensgeschichtlichen Erfahrungen dieser jungen Menschen sehr ernst zu nehmen und zumindest temporär in das Zentrum pädagogischer Tätigkeit zu stellen: da ist besonders feinfühlige Beziehungsarbeit in übersichtlichen Gruppen zu erwähnen. SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch Hier könnte die Schule als wichtiger, sicherer Ort quasi eine therapeutische Wirkung zeigen. Zimmermann bezeichnet dies treffend als haltenden Rahmen in einer brüchigen Lebenswelt. Weitere Themen werden aus unterschiedlichen Perspektiven ausgeleuchtet wie etwa die Zwangsemigration als traumatischer Prozess, freiwillige und erzwungene Emigration oder unsichere Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven als Bedingungsfeld für die Chronifizierung traumatischen Erlebens, die Entwertung bzw. Idealisierung der kulturellen Bezugssysteme (Herkunftsland, Aufenthaltsland) jugendlicher MigrantInnen, institutionelle Diskriminierung durch die Schule, häufig überforderne ‚Aufträge’ der Eltern an ihre Kinder (akademische Ausbildung). In einer eigenen qualitativen Untersuchung (Forschungsdesign: tiefenhermeneutischqualitativer Zugang) beeindrucken die kommentierten sechs Einzelfalldarstellungen. 13 Zimmermann plädiert konsequent und explizit parteilich für ein am Individuum orientierten Verstehen und Unterstützen. Wenig erstaunlich deshalb, dass der Autor – durchaus zu Recht – die rein individuumszentrierte Diagnostik der postätraumatischen Belastungsstörung kritisiert. Schade, dass Zimmermann gelegentlich immer noch den veralteten psychoanalytischen Begriff Aggressionstrieb verwendet. Das Buch ist besonders Lehrpersonen, die Migranten-Kinder bzw. Jugendliche in der Schule haben, zu empfehlen. Jürg Frick, Prof. Dr., Pädagogischen Hochschule Zürich, Zentrum für Beratung (ZfB), Lagerstr. 2, Postfach, 8090 Zürich, [email protected] Gewalt - Eine neue Geschichte der Menschheit Steven Pinker, Deutsche Ausgabe: 2011: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a.M., 1212 Seiten. (amerikanische Originalausgabe 2011: "The Better Angels of Our Nature - Why Violence has Declined", The Viking Press, New York) Am 5. Januar 2012 erschien im NZZ Feuilleton von Urs Hafner unter dem Titel "Eine neue Geschichte der Menschheit?" eine Buchbesprechung über den Bestseller von Steven Pinker, die recht bissig ausgefallen ist. Pinkers Buch lag zu diesem Zeitpunkt schon auf meinem Pult, denn ich hörte davon bereits im vergangenen Herbst (2011), und ich bestellte es bereits (vor Erscheinen) bei Amazon.de. Dieser Bestseller über dieses prickelnde Thema "Gewalt" wollte ich mir rechtzeitig vornehmen. Mich forderte Pinkers Behauptung heraus, die "Gewalt" hätte im Laufe der Menschheitsgeschichte bis heute markant abgenommen! Urs Hafner von der NZZ (Feuilleton) versieht die Balkenüberschrift "Eine neue Geschichte der Menschheit" mit Fragezeichen! Er zweifelt auch die vom Verlag auf der Rückseite angebrachte Bemerkung "Standartwerk" an, und er ist der Meinung, dass der Text im amerikanischen Original mit "Why Violence Has Declined" eher zutreffen würde! Hafner ist aber der Meinung, dass beides allerdings nicht stimme, was nicht weiter erstaune: "Der prominente Harvard-Psychologe Steven Pinker, der Autor des gewaltigen Wälzers, ist kein Historiker. Pinker will die These belegen, dass wir heute in der friedlichsten Zeit überhaupt lebten. Die zahllosen beigebrachten Daten sprechen eine eindeutige Sprache: Mord, Krieg und Todesstrafe, aber auch Folter, Vergewaltigung, Homophobie und Rassenhass befänden sich seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte konstant auf dem Rückzug. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts seien zwar katastrophal gewesen, doch diese Ausnahmeereignisse hätten, hochgerechnet auf die Bevölkerungszahlen früherer und von deutlich mehr Gewalt geprägter Zeiten, zwei Milliarden Tote fordern müssen." Urs Hafners Urteil über Steven Pinker ist niederschmetternd! Er beschliesst seine vernichtende Kritik mit dem Satz: "[] ... die Methode ist zweifelhaft, der Erkenntnisgewinn gering." Vernichtende Kritik ist in der Regel für mich kein Grund, ein Werk nicht in Angriff zu nehmen - im Gegenteil! Ich bin übrigens bereits mitten drin in Pinkers "Gewalt"-Werk und werde mir - aus meiner subjektiven Sicht der Dinge - erst nach Beendung dieses 1200-seitigen Wälzers - eine abschliessende eigene Meinung erlauben. Eines kann ich aber bereits heute sagen: die von Steven Pinker aufgeworfenen Punkte in Sachen menschlicher Gewalt sind generell hochbrisant, aktuell und lesenswert und diskussionswürdig! Hans Daniel Schürch-Tal SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 14 Leserbriefe Wir möchten alle Leser auffordern, ihre Meinungen (positive und kritische) im Zusammenhang mit unserem SGIPAaktuell, aber auch bezüglich der einzelnen Texte oder zu Fachgebieten, durchzugeben! Diese Leserbrief - Rubrik kann dann zu einer Art von Diskussions-Plattform werden! So schrieb uns am 14.7.2012 Jürg Rüedi: Liebe Hannelore, lieber Franco Herzlichen Dank für den schönen Newsletter, ich fand ihn sehr gelungen und habe ihn gestern mit Interesse und Freude durchgelesen. Toll fand ich auch, den Newsletter so schön in Farben und in Papierform vor sich zu haben. Toll, die Berichte über die Arbeit des Vorstandes, toll der Rest, z.B. die Interviews mit den vier Fragen. So hören wir von ehemaligen KollegInnen, worin ich eine wichtige Aufgabe für den Verein SGIPA erblicke. Susanne Düblin spricht diese Schwierigkeit ja auch an in ihrer letzten Antwort: “Doch von meiner Ausbildungsgruppe sind viele irgendwo tätig – wir haben kaum noch Kontakt. In der vollen Berufstätigkeit gehen leider Kontakte aus Zeitgründen unter und sind in der Pensionierung nicht mehr leicht aufzubauen.” Das wäre eine interessante Zielsetzung für die SGIPA/für uns alle: Welche Möglichkeiten gäbe es zum Beispiel, solche Kontakte wieder aufzubauen? Wäre dies gewünscht? Klassentreffen sind oft gut besucht, wäre das etwas, eine Art Klassentreffen für die SGIPA-BTLs ? Herzlichen Dank für eure Bemühungen? Jürg In eigener Sache: „Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen“, G. Ch. Lichtenberg 1742 -1799. Ein Einstieg in die Arbeit am SGIPAaktuell, der regelmässig erscheinenden Gesellschaftsschrift wäre doch eine Möglichkeit etwas Neues zu sehen und zu machen. Für jemand, der gerne etwas für die Gemeinschaft der Individualpsychologen tun würde, gerne schreibt, Kontakte mit anderen Individualpsychologen herstellt und etwas bewirken möchte, wäre es eine zeitlich überschaubare Aufgabe. Viermal im Jahr erscheint SGIPAaktuell, eine Schrift für die Mitglieder der Schweizerischen Gesellschaft für Individualpsychologie. Interessiert? Melden Sie sich: Franco Guzzetta, Vorstandsmitglied oder Hannelore Hafner Redaktion, geben gerne Auskunft. Sich einmal erkundigen ist noch völlig unverbindlich. E-Mail: [email protected] Zum Schluss noch: „Das habe ich getan“ sagt mein Gedächtnis. „Das kann ich nicht getan haben“ sagt mein Stolz, und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach. Ein Aphorismus von Friedrich Nietzsche SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 15 Individualpsychologie/Alfred Adler im Internet Hier gibt es Internet-Hinweise auf die aktuellen Webseiten und Adressen. Für weitere Hinweise auf interessante Websites sind wir dankbar! Hannelore Hafner www.alfredadler.ch = offizielle Homepage des AAI-Kompetenzzentrums und SGIPA (Schweiz) www.dgip.de = Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie E.V. www.oevip.at = Oesterr. Verein für Individualpsychologie www.iaip.com = Internationale Vereinigung für Individualpsychologie weitere interessante Webseiten / Links mit der Thematik Individualpsychologie und Alfred Adler, finden Sie auf der offiziellen Homepage, www.alfredadler.ch bei „SGIPA>Mitglieder>Angebote“ in der Rubrik „Individualpsychologie im WorldWideWeb“. E-Mailadressen der SGIPA SGIPA-NEWSLETTER: SGIPA (Verein) SGIPA (Gesamtvorstand) [email protected] [email protected] [email protected] Beiträge an Hannelore Hafner allgemeine Anliegen Anliegen an Gesamtvorstand SGIPA und weitere IP-Termine SGIPA Vorstandssitzungen: 12.10.2012 07.12.2012 9.15 - 13.30 Uhr 9.15 - 13.30 Uhr Forchstrasse 70, 8008 Zürich Forchstrasse 70, 8008 Zürich Weiterbildungs- und Vortragsreihe 2012: Antworten der IP auf Fragen unserer Zeit 20.09.2012 09.11.2012 19.15 - 20.30 Uhr 19.15 - 20.30 Uhr IPE, Witikonerstrasse 15, 8032 Zürich IPE, Witikonerstrasse 15, 8032 Zürich Fortbildungsgespräche Runder Tisch: Jahresthema „Krisenintervention“ 24.09.2012 29.10.2012 19.00 - 21.00 Uhr Röschibachstrasse 58, 8037 Zürich 19.00 - 21.00 Uhr Röschibachstrasse 58, 8037 Zürich Fortbildungsgespräche der fipa: neues Jahresthema ist „Essstörungen“ 29.09.2012 14.15 - 17.00 Uhr Scheuchzerstrasse 112, 8006 Zürich 10.11.2012 14.15 - 17.00 Uhr Scheuchzerstrasse 112, 8006 Zürich 1. - 4. November 2012 / Jahrestagung 2012 „Lebensaufgaben und Lebensbrüche“ in Köln Programm und Anmeldeformular ( www.dgip.de ) Die individuellen Textbeiträge vertreten die eigenen Meinungen des Verfassers/der Verfasserin, welche nicht unbedingt mit denjenigen des Redaktionsteams übereinstimmen müssen! SGIPAaktuell| September 2012 | www.alfredadler.ch 16