Kuba: Ethnoscapes und Diaspora.
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Kuba: Ethnoscapes und Diaspora.
Inhaltsverzeichnis 1 Szenario 2 2 Imagination, Massenmedien und Migration 4 2.1 Imagination und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.2 Die Zirkulation von Bildern und Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.3 Imaginationen in Kuba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Das Auseinanderdriften globaler Flüsse 9 3.1 Globale auseinanderdriftende Landschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.2 Kubanische Landschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Ethnoscapes und Diaspora 14 4.1 Definitionen von Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.2 Die kubanische Diaspora seit 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4.3 Diasporische Räume in Miami . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5 Schlußbemerkungen 24 6 Bibliographie 26 1 1 Szenario Ich möchte ein Szenario mit vier Personen entwerfen. Der Schauplatz ist Santiago de Cuba im Osten der Insel Kuba, der Zeitpunkt ist April des Jahres 2001. Die erste Person hat mich gebeten ihren Namen zu ändern, deshalb werde ich sie hier Aleida nennen. Aleida ist ein faszinierende, 64-jährige Intellektuelle, die des Abends gern der Enge ihrer Wohnung und dem Getobe ihrer Enkelkinder entflieht und im Café am Platz - einem informellen Homosexuellentreffpunkt - mit Jung und Alt diskutiert. Ihre Familie war vor der Revolution 1959 relativ wohlhabend, und die Revolution hat ihr nicht gefallen. Deshalb emigrierte sie wie tausende Andere mit einer Freundin ihrer Mutter in die Vereinigten Staaten. Vorher sah sie noch in einem Theater in Havanna eine Aufführung, die sie so sehr berührte, daß ihr imaginierter Lebensentwurf von da an um das Schauspiel kreiste. In Amerika begann sie sich nach ihrer “Heimat” zu sehnen und plötzlich verteidigte sie die Revolution. Als daher 1961 die diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA abbrachen, kehrte sie mit dem letzten Flug zu ihrer Familie zurück. Da der Staat in dieser Zeit die Kunstschaffenden großzügig unterstützte, konnte sie studieren und als Schauspielerin mit verläßlicher staatlicher Finanzierung arbeiten. Später war sie elf Jahre lang als asesora (Beraterin) beim Radio beschäftigt, wo sie die Revolutionstauglichkeit der Sendungen überprüfen mußte. Seit der Perı́odo Especial en tiempos de paz, der auf den Zusammenbruch der Sowjetunion fogenden Wirtschaftskrise, schreibt sie Theaterstücke und lehrt an der Universität. Sie macht absurdes Theater, ihre Stücke bezeichnet sie als eine Reflexion der Realität, und die ZuschauerInnen finden darin ihre eigenen Nöte, Kritiken, Ironien, Wünsche, Imaginationen. In Rompecabezas (Puzzle) etwa zerbrechen sich zwei Alte - ihre Eltern - den Kopf, wie sie die Realitäten aneinanderfügen könnten, um die ganze Familie nach Amerika zu bringen. Bei den Aufführungen weinen die Menschen die Verzweiflung und lachen die Absurdität und Lebensfreude. Aleida ist ziemlich “hellhäutig”. Ihre Enkelin hat laut Aleida zum Glück auch sehr helle, deshalb sehr hübsche Haut, obwohl der Schwiegersohn so extrem dunkel ist. Aber er sei trotzdem ein guter Mann. Rassismus gibt es offiziell seit der Revolution nicht mehr. Aber Arisnubia aus der Nachbarschaft nennt sie nur La Negrita, obwohl sie sonst kein schlechtes Namensgedächtnis hat. Arisnubia ist auch relativ “schwarz”, sie ist 27 und studiert Wirtschaft, wenn sie Lust dazu hat. Sie lebt mit einer älteren Freundin, die sie Mama nennt, in einem Zimmer ohne Fenster mit Zwischenboden. Die beiden erhalten 20 bis 100 US-Dollar im Monat vom Bruder der Mama, der in der Domenikanischen Republik lebt. Die Mama wird vielleicht auch bald nachgeholt. Arisnubia hat einen novio (Verlobten) in Frankreich, obwohl sie eigentlich Frauen liebt. Aber der Franzose wird ihr eine Einladung schicken, auf die sie seit 2 einem Jahr wartet. Ihre Ausreisepapiere hat sie mühsam organisiert. Sie stellt sich vor, den Franzosen zu heiraten und glücklich zu sein in Frankreich. Andere Zukunftsimaginationen hat sie nicht. Darauf wartet sie und mit ihr so ziemlich alle anderen jungen Leute auch. Wohin und mit wem ist nicht so wichtig. Aleida bezieht ein Gehalt vom Staat, aber es ist schwierig, davon zu leben. Ihre Kousine in Kanada hat ihr einmal Geld geschickt. Ihre zweite Tochter hat einen Spanier geheiratet sie hätte auch einen Schweizer haben können - und schickt ihr Dollar, wenn sie kann. Die Tochter ist wegen der Kindernahrung nach Spanien, weil der Staat den Kindern nur sechs Jahre lang Milchpulver gibt. Die Tochter und ihr Mann wollen zurück nach Kuba, wegen der zwischenmenschlichen Wärme und nachbarschaftlichen Hilfe. Aleida hat sie einmal besucht. Sie war auch einmal in Mexiko, weil dort eines ihrer Stück publiziert worden ist. Sie hätte in beiden Ländern bleiben können, aber in Kuba “las cosas no son tan malas (sind die Dinge nicht so schlecht)”, das sagt sie immer wieder und führt die Nachbarschaftshilfe, die freie medizinische Versorgung, Bildung, das Wohnungsrecht, die Renten an. Die dritte Person ist Arjun Appadurai, Professor für Anthropologie und südasiatische Sprachen und Zivilisationen in Chicago. Er wuchs in Bombay in einer Mittelstandsfamilie auf, genoß eine anglophone Erziehung und driftete dann von dieser Art postkolonialer Subjektivität zu einer amerikanischen. Er hat in den Vereinigten Staaten studiert und lebt seither dort. Er beschreibt dies als eine Reise, die mit Modernität als verkörpertem Sinneseindruck der Filme in Bombay begann und mit einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit der Modernisierungstheorie in den Vorlesungen der Sozialwissenschaft an der Universität in Chicago in den frühen Siebzigerjahren weiterging (Appadurai 1996:2). Diese Beziehung zwischen Modernisierung als Tatsache und als Theorie hat ihn auch bewegt, ein Buch zu schreiben, das 1996 mit dem Titel “Modernity at large: cultural dimensions of globalization” publiziert wurde. Dieses Buch über kulturelle Dimensionen der Globalisierung wurde in Santiago de Cuba von der vierten Person gelesen. Diese Person bin ich, Rahel, seit knapp drei Jahren Studentin der Ethnologie, Internationaler Beziehungen und Frauenforschung. Ohne allzu sehr auf meine Biographie einzugehen, läßt sie sich doch zu einem gewissen Grad als transnationale beschreiben. In der französischen Schweiz geboren und dieser Nation zugehörig, in Österreich ebenfalls lange Zeit sozialisiert, bewege ich mich lebend und arbeitend zwischen diesen beiden Kontexten. Des weiteren habe ich einige Jahre ausschließlich reisend und arbeitend viele Länder mit ihren einzigartigen und überschneidenden Realitäten und Imaginationen, die immer im Fluß und niemals statisch und abgrenzbar sind, “erlebt”, woraus sich ganz spezifische Subjektivitäten ergeben. In diesen biographischen Kontext fallen auch die knapp vier Wochen Aufenthalt in 3 Kuba im April und die damit verbundenen in den Körper eingeschriebenen Erfahrungen und Bilder. Die Wahrnehmung und Interpretation der Begegnungen, Strukturen, Eindrücke, Lebensbedingungen und auch die Selektion des Wahrgenommenen waren jedoch in maßgeblicher Weise durch die Lektüre der Ansichten und Konzeptualisierungen von Arjun Appadurai geprägt und strukturiert und bewirkten ihrerseits ein spezifisches Textverständnis. Deshalb möchte ich einige seiner zentralen Thesen und Perspektiven vorstellen und in einem ersten Teil meine Lesart davon - als ebenfalls situierter Perspektive - mit Beispielen aus konkreten Begegnungen und Gesprächen mit Arisnubia und Aleida verknüpfen, weil es schön aufzeigt, wie ihre Imaginationen und sozialen Praktiken durch heterogene globale Zusammenhänge konstituiert sind. In einem zweiten Teil möchte ich das Konzept der Ethnoscapes exemplarisch anhand “der” “kubanischen Diaspora -Gemeinschaft” in Miami konkretisieren und auch kritisieren. 2 Imagination, Massenmedien und Migration Appadurai verortet sich mit seinen Analysen und Theorieansätzen im Hier und Jetzt, als einer verlängerten Gegenwart oder jungen Vergangenheit. Er konzipiert eine Theorie des Bruchs, jedoch nicht im Sinne der Modernisierungstheorie als Bruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sprich Tradition und Moderne - dagegen grenzt er sich vehement ab - sondern ein Bruch, der durch den Prozess der Globalisierung selbst konstituiert ist. Gobalisierung versteht er als noch nie dagewesene Beschleunigung und Ausdehnung von Bewegung, und er richtet dabei sein Augenmerk vor allem auf die Zirkulation von Menschen und Bildern. Migration und Massenmedien wirken weltweit auf die Imagination von Individuen und Kollektiven, wobei die Imagination als alltägliche soziale Praxis für die Konstruktion, aber auch das Ausagieren von möglichen Lebensentwürfen und transnationalen Solidaritäten eine neue signifikante Rolle spielt (Appadurai 1996:2ff). Wenden wir uns nun diesen einzelnen Begriffen und Konzepten zu. 2.1 Imagination und Kultur Die Imagination als soziale Praxis bildet die Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen, dem Individuellen und dem Kollektiven, dem Örtlichen und dem Deterritorialisierten 4 zwischen Kontinuität und Wandel. Imagination darf dabei nicht in einem rein ideellen Sinn verstanden werden, sondern als konstitutives Merkmal der modernen Subjektivitäten, die die Wirklichkeit als gelebte Denk-, Gefühls- und Körperpraxis, als historisch bestimmte gesellschaftlich-kulturelle Existenzweise konstituiert (Maihofer 1994). Imagination darf nicht mit Fantasie gleichgesetzt werden, weil sie Handeln generiert und durch Handlung mithervorgebracht wird. In diesem Sinne stellen Imaginationen einen geeigneten Zugang dar, um die kulturelle Dimension des Globalisierungsprozesses analytisch zu erfassen.1 Diesen Fokus auf das Kulturelle in Zusammenhang mit der Globalisierung verortet Appadurai in seiner anthropologischen Ausbildung, die einen spezifischen Blick auf die Welt und ein Archiv an unterschiedlichen Lebensformen aus Ethnographien und eigenen Erfahrungen mit sich bringt, die nicht besser oder schlechter sind als andere Sichtweisen und Wissensformen, aber den Vorteil haben, daß sich immer zeigt, daß jede Ähnlichkeit mehr als eine Differenz verbirgt. Deshalb ist er auch überzeugt, daß die Globalisierung nicht die Geschichte der kulturellen Homogenisierung oder einer weltweiten Amerikanisierung ist. Dieser berufsbedingte Fokus auf das Kulturelle als Schlüssel vieler Praktiken, verlangt jedoch immer wieder eine kritische Reflexion, wie Kultur in der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs konzeptualiert wird. Appadurai weist auf die Problematik des Kulturbegriffs hin, da Kultur für viele impliziert, eine Art mentaler oder physischer Substanz zu sein, weshalb er den Begriff “das Kulturelle” vorzieht. Dies erlaubt, sich in den Bereich der Differenzen, Kontraste und Vergleiche hineinzubewegen und Kultur nicht als Substanz sondern als eine Dimension von Phänomenen zu betrachten, die auf situierte und verkörperte Differenzen verweist. Darüber hinaus schlägt er vor, mit dem Begriff “das Kulturelle” nur die Differenzen zu bezeichnen, die der Konstruktion, dem Ausdruck und der Mobilisierung von Gruppenidentitäten dienen, im Sinne einer instrumentellen und nicht einer primordialistischen Konzeption von Ethnizität (Appadurai 1996:12ff). 2.2 Die Zirkulation von Bildern und Menschen Welche Rolle spielen nun Massenmedien und Migration für die Sichtung des Kulturellen in der gegenwärtigen Phase der Globalisierung? Es wird wohl niemand bestreiten, daß die elektronischen Medien, vor allem Fernseher und Internet, präexistierende Welten der Kommunikation und des Verhaltens auch in den - von uns aus gesehen - entlegensten Teilen der Welt transformieren. Dieser enorme Fluß an Bildern und Informationen bildet eine zentrale 1 Die empirische Untersuchbarkeit der Imagination gestaltet sich allerdings um einiges schwieriger, was auch einer der Hauptkritikpunkte an Appadurais Ansätzen ist. 5 Ressource für Selbstimaginationen oder Skripten möglicher Leben als alltägliche soziale Projekte. Dabei verschwimmt schon beim Zusehen die Grenze zwischen realistischen und fiktionalen Repräsentationen auf allen Ebenen. Dieses komplexe Repertoire an Bildern, Erzählungen, Landschaften, Emotionen und Zuschreibungen aus aller Welt trifft in seiner unendlichen Zirkulation auf deterritorialisierte ZuschauerInnen. Massenmigrationen sind sicherlich kein neues Phänomen, aber die Geschwindigkeit, Reichweite und Komplexität der Bewegungen hat rasant zugenommen. Bezüglich des Umfangs der internationalen Migrationen gehen die Meinungen auseinander, ob wir uns in einem neuartigen “age of migration” (Castles/Miller 1998) befinden, oder ob sich Wachstumsraten und Volumen der Gesamtanzahl der außerhalb ihres Geburtslandes lebenden Menschen - der “migration stock” - im Verhältnis zur Zunahme der Weltbevölkerung nicht signifikant verändert habe. Der “migration stock” beläuft sich tatsächlich seit den 1960er Jahren auf durchschnittliche 2,1 bis 2,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, hat sich allerdings seit den 1980er Jahren deutlich beschleunigt (Husa/Parnreiter/Stacher 2000:9f).2 Aus solchen transnationalen Bewegungen resultieren komplexer werdende globale Vernetzungen, und Flüchtlinge, ImmigrantInnen, GastarbeiterInnen, TouristInnen, UnternehmerInnen, ExilantInnen, StudentInnen und ähnliche Individuen und Gruppen, die unterwegs sind, konstituieren ein essentielles Merkmal der heutigen Welt. Sie beeinflussen auch auf ganz wesentliche Art und Weise die Rolle und Politik der Nationalstaaten. So gibt es wohl nur noch sehr wenige, die nicht eineN FreundIn, NachbarIn, VerwandteN, MitarbeiterIn haben, die nicht irgendwohin unterwegs sind oder von irgendwoher kommen und neue Geschichten und Möglichkeiten mit sich tragen (Appadurai 1996:4). Dies wirkt sich auf die Produktion moderner Subjektivitäten und Kollektivitäten aus, da diese komplexen Bewegungen immer schwerer in lokalen, regionalen oder nationalen Räumen festgemacht werden können. Diese Verbindung von medialen Ereignissen und migrierenden ZuschauerInnen, wo das Globale durch die Imagination in der lokalen Praxis ausagiert wird, bildet laut Appadurai den Angelpunkt zwischen Globalisierung und Moderne. 2 Diese Zahl bezieht sich allerdings nur auf dokumentierte Migrationsbewegungen, das bedeutet, daß nochmals mindestens soviele undokumentierte MigrantInnen hinzugerechnet werden müssen. Auch Binnenwanderungen wurden bei diesen Berechnungen nicht berücksichtigt. 6 2.3 Imaginationen in Kuba Nachdem nun Arjun Appadurai solange das Wort geführt hat, soll auch wieder einmal eine andere Person zu Wort kommen. Aleida hat auf verschiedenen Ebenen mit der Imagination der Menschen in Kuba gearbeitet. Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, daß nur HollywoodProduktionen die Imaginationen weltweit vereinheitlichen, auch wenn diese ironischerweise sogar in Kuba eine wichtige Rolle spielen. Nationale und regionale Medien bestimmen die Vorstellungen mindestens genauso, insbesondere wenn sie wie auf Kuba so offensichtlich im Dienste einer bestimmten Ideologie stehen, und die eigene Nationskonstruktion sehr stark über einen bewußten Aufbau von Fremd- und Feindbildern passiert. Auf Kuba gibt es zwei staatlich kontrollierte Fernsehkanäle, und für den Privatbereich sind Satellitenschüsseln verboten. Auch der Privatbesitz von Computern ist nicht erlaubt, und wenn dem nicht so wäre, könnten sich die meisten Menschen vorläufig sowieso keinen Internetanschluß leisten. Es gibt nämlich nur eine internationale Netzverbindung, die über Kanada läuft. Daneben gibt es noch zwei staatliche Radiosender und drei nationale Zeitungen. Dies ist zumindest die offizielle Seite. Bleiben wir vorerst bei dieser Form der medialen Produktion. Einen Fernseher gibt es so ziemlich in jedem Haushalt, meist als zentrales fast schreinartiges Einrichtungsstück, um den die vielen, auf mögliche BesucherInnen wartenden Schaukelstühle arrangiert sind. Alles befindet sich im Hauptraum, der Wohn- und Eingangsbereich in einem und zur Strasse hin offen ist. Da diese Wohnungsorganisation so häufig ist, stelle ich sie hier als “die” allgemeine dar. Die Fernseher bilden eine konstante Geräuschkulisse, auch wenn auf einem Sender nur Sport - sprich Baseball - und Nachrichten laufen. Eine Untersuchung über die Rolle von Baseball3 für die kubanische Nation und regionale Geographie als Ordnungskategorie wäre sehr interessant, gerade auch weil abgesehen davon, daß Baseball fast ununterbrochen im Fernsehen läuft, die Werte, Regeln und Bewegungen als alltägliches Spiel der - hauptsächlich männlichen - Kinder und Jugendlichen fest in die Körper eines großen Bevölkerungsanteils eingeschrieben werden. Laut Aleida werden auf dem zweiten Sender hauptsächlich Musik, die berühmten Telenovelas, amerikanische Filme - da keine Lizenzgebühren dafür bezahlt werden - und vor allem jeden Tag der “Runde Tisch” gezeigt. Hier werden beispielsweise Menschenrechtsfragen diskutiert, jedoch niemals mit konträren Meinungen. Abgeschlossen wird mit: “. . . und es hat sich gezeigt, 3 Appadurai hat in seinem Buch ein interessantes Kapitel über die Dekolonisierung von Kricket im indischen Kontext geschrieben, als Beispiel dafür, wie einerseits auch “harte” kulturelle Formen global geworden sind, aber als solche in lokalen Kontexten indigenisiert werden. Kricket verkörpert heute ganz neue Werte und Bedeutungen, involviert andere AkteurInnen und ist auch durch die nationale Instrumentalisierung zu einem integrativen Bestandteil des InderIn-seins geworden (Appadurai 1996:89ff). 7 daß dies und jenes so und so ist.” Im “Volk” lautet es dann allerorts leicht ironisch: “Como dice la mesa redonda. (Wie der Runde Tisch sagt.)” So wird in Kuba die allgemeine Meinung medial konstruiert - oder auch nicht. Aleida meint, daß die Staatsideologie zwar eine gute Theorie sei, aber die Menschen sie nicht sehen und spüren. Was jedoch tief empfunden und alltäglich erfahren wird, sind die strukturellen Folgen der versuchten Umsetzung in die Praxis. In einem ihrer Stücke läßt Aleida eine Frau an einer ansteckenden Krankheit sterben, an einer kollektiven Tollwut über das Schlangestehen tot umfallen. Die Frau wird abgeschirmt, es gibt keine Totenlamentation und die Bevölkerung wird gegen grüne Punkte geimpft. Dies ist sicherlich eine Form von national verständlicher Imagination, die in eine spezifische kollektive Erfahrung von Not, Machtlosigkeit und Restriktion eingebunden ist, die für uns zwar zu einem gewissen Grad nachvollziehbar ist, aber niemals dieselbe emotionale Intensität und Identifikation hervorrufen kann und auch die soziale Praxis des nächsten Tages nicht oder auf völlig unterschiedliche Weise beeinflußt. Und genauso wirkt auch ein Hollywood-Film in Kuba auf andere Weise als in Wien. Besonders deutlich wird dies an der Form des Rassismus, der entlang des Markers Hautfarbe auf/abwertet und ein/ausgrenzt. Für die meisten WienerInnen wird der implizite Rassismus, der “Weißsein” als nichtdefinierte, unsichtbare Norm und in Verbindung mit Überfluß, technologischer, ökonomischer oder moralischer Überlegenheit darstellt, als nicht bewußt wahrgenommener Vorgang nur die eigene Privilegiertheit reproduzieren (Frankenberg 1996). Ohne die Rassismen in Österreich beschönigen zu wollen, spielt der Marker Hautfarbe in Kuba jedoch eine viel zentralere Rolle. Und die wiederholte Darstellung von “Weißen” mit für KubanerInnen sogar in einem imaginären Lebensentwurf innerhalb von Kuba unvorstellbaren Reichtümern und Möglichkeiten verstärken diese latent anwesende Höherbewertung der weißen Hautfarbe. Auch Diskriminierung aufgrund anderer kategorialer Zugehörigkeiten, wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität werden durch diese größtenteils erschreckend unreflektierten und abwertenden Filmrepräsentationen in der Imagination festgeschrieben. Ein weiterer Aspekt ist auch die kubanische Filmproduktion selbst. Das erste Gesetz, das die Revolution zur Kultur erließ, schuf im März 1959 das Kubanische Filminstitut ICAIC (Instituto Cubano del Arte y Industria Cinematográficos). Das war der Grundstein für eine beeindruckende Entwicklung des Filmschaffens, das aus Kuba eines der bedeutendsten Filmländer der “Dritten Welt” machte und auch im Land selbst immer wieder für öffentliche Diskussionen sorgte (Hoffmann 2000:200). Allerdings meinte Aleida mir gegenüber, daß es zwar wunderbare Filme seien, aber zum Beispiel bezüglich der Innendekorationen der Häuser sagen die ZuschauerInnen: “Ay, ché bien viven. - Pero no es ası́. (Ach, wie schön sie leben. Aber so ist es nicht.)” So sind auch die Bilder, die die kubanische Nation von sich selbst im 8 In- und Ausland zu konstruieren versucht, nicht mehr als die Imaginationen einer Möglichkeit. Neben diesen offiziellen Versionen dürfen auch die Infiltrationen des sogenannten kubanischen Exils nicht unberücksichtigt bleiben. Seit dem Sieg der Revolution gibt es unterschiedlichste Radiosender, die trotz Verletzung internationaler Bestimmungen ihre Propaganda nach Kuba ausstrahlen.4 Diese Sendungen sind ein ganz wesentlicher Faktor bei den seit der Machtübernahme Fidel Castros in Etappen abgelaufenen Massenfluchtbewegungen, die ich im letzten Kapitel als kubanische Diaspora noch ausführlicher besprechen werde. Die so konstruierten Bilder Kubas und auch des konstitutiven Außerhalbs bilden wesentliche Grundlagen für das Selbstverständnis der Menschen, die sich dem Signifikanten KubanerInnen zugehörig fühlen. Alle diese medialen Einflüsse zusammengenommen - inklusive der Printmedien - bilden in Kuba und natürlich auf dem ganzen Globus das, was Appadurai “Mediascapes” nennt. Auf dieses Konzept und andere “Scapes” will ich nun im nächsten Kapitel zu sprechen kommen. 3 Das Auseinanderdriften globaler Flüsse Um die moderne Welt als interaktives Gefüge zu konzeptualisieren, greifen die marxistisch geprägten Weltsystemtheorien nicht mehr weit genug. Durch die technologische Explosion des letzten Jahrhunderts sind wir in neue Bedingungen der Nachbarschaft eingetreten. Dies sollte jedoch nicht unbedingt im Sinne eines entstehenden “Global Village” verstanden werden, sondern die neuen Medien schaffen eher Gemeinschaften ohne referentielle geographische Plätze. Deshalb brauchen wir laut Appadurai neue Theorien der Wurzellosigkeit, der Entfremdung, der psychologischen Distanz zwischen Individuen und Gruppen einerseits und der Fantasien von elektronischer Nähe andererseits. Amerikanisierung und McDonaldisierung als kulturelle Homogenisierung sind viel zu blasse Begriffe, um das internationale Spiel mit Vergangenheiten, die “zu synchronen Warenhäusern von kulturellen Szenarien geworden sind”, auch nur halbwegs zu konzeptualisieren und die Indigenisierung der globalen Flüsse von Menschen und 4 1960 wurde beispielsweise Radio Swan installiert, das von einer Insel in der Nähe von Honduras aus rund um die Uhr die Politik der kubanischen Regierung diffamierte. Während der Raketenkrise wurden diese Sendungen über legale und illegale Antennen - von denen einige von der CIA finaziert und kontrolliert wurden - verstärkt. Mit der Präsidentschaft Ronald Reagans ab 1981 nahmen die Radiosendungen abermals zu. Durchschnittlich wurden täglich 200 Stunden von etwa 15 Stationen ausgestrahlt. Einer der bekanntesten und einflußreichsten Sender, die in dieser Zeit entstanden, ist Radio Martı́, der den KubanerInnen “objektive Informationen” anbieten sollte, um die “interne Opposition” zu fördern und das Castro-Monopol in Information und Propaganda zu sprengen. Ähnliche Ziele verfolgten auch La Voz de la Fundacı́on und La Voz del CID. 1997 empfing Kuba jährlich über 70 000 Stunden illegaler Programme von mindestens 20 Sendern (Ospina/Declerq 2000:74ff). 9 Dingen zu begreifen. Deshalb ist es auch so wichtig, einerseits die neue Rolle der Imagination im sozialen Leben anzuschauen und andererseits die Komplexität der gegenwärtigen globalen kulturellen Ökonomie neu zu denken. Appadurai meint, daß diese mit einem fundamentalen Auseinanderdriften von Ökonomie, Politik und Kultur zu tun hat und entwirft ein elementares Rahmenwerk, um sie zu konzeptualiseren (Appadurai 1996:27ff). 3.1 Globale auseinanderdriftende Landschaften Appadurai analysiert und benennt fünf Dimensionen der globalen kulturellen Flüsse, deren Beziehungen zueinander zunehmend disjunktiv sind. Diese Dimensionen nennt er Ethnoscapes, Mediascapes, Technoscapes, Financescapes und Ideoscapes (Appadurai 1996:33). Das Suffix “Scapes” verweist dabei auf die unregelmäßigen, flüssigen Formen dieser Landschaften, von internationalem Kapital bis zu internationalen Kleidungsstilen. Die Beziehungen zwischen diesen Landschaften dürfen auch nicht als objektiv gegeben gesehen werden, sondern als zutiefst perspektivische Konstrukte, die von der historischen, linguistischen und politischen Situiertheit verschiedener Arten von AkteurInnen geprägt sind, von Nationalstaaten über Multinationale Konzeren, diasporische Öffentlichkeiten, subnationale Bewegungen und Gruppierungen bis zu Dörfern, Nachbarschaften und Familien. Das Individuum ist dabei der letzte Lokus dieser perspektivischen Landschaften. Appadurai versteht diese Landschaften als Bausteine dessen, was er “imaginierte Welten” nennt. Damit meint er die multiplen Welten, die durch historisch situierte Imaginationen von Personen und Gruppen rund um den Globus verteilt konstituiert werden. Dies schließt zum Glück auch subversive Imaginationen und Strategien ein. Nun zu kurzen Definitionen der einzelnen Landschaften, wobei ich mich eng an den Wortlaut Appadurais halten werde. Mit Ethnoscapes sind die Landschaften der Menschen gemeint, die die heutige Welt in Bewegung konstituieren. Die Realitäten des Sich-Bewegen-Müssens oder Fantasien des Sich-Bewegen-Wollens nehmen immer größere Ausmaße an und erlauben niemandem seine Imagination lange ruhen zu lassen. Wenn Ethnoscapes als Landschaften der Gruppenidentitäten verstanden werden, muß die kulturelle Dynamik von Deterritorialität ins Blickfeld rücken. Die Loyalitäten von Gruppen werden durch Geldtransfers und Staatsstrategien beeinflußt und die Basis der kulturellen Reproduktion so grundlegend verändert. Darüber hinaus werden auch neue Märkte geschaffen, die auf einem Bedürfnis nach Kontakt mit der teilweise auch erfundenen Heimat beruhen. Deterritorialität bildet aber auch eine Grundkomponente 10 all der anderen Dimensionen globaler Flüsse, die im folgenden besprochen werden sollen. Der Begriff Technoscapes bezeichnet die globale Konfiguration der Technologien und die Tatsache, daß sie sich mit hoher Geschwindigkeit auch über vorher unüberwindbare Grenzen hinweg bewegen. Die schräge Verteilung macht die Eigenheiten der Technoscapes aus, die heute durch zunehmend komplexere Beziehungen zwischen Geldflüssen, politischen Möglichkeiten und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften angetreiben werden. Auch die Wege des globalen Kapitals werden immer unnachvollziehbarer und stehen als Financescapes mit den bisher besprochenen Landschaften in verworrenen, auseinanderlaufenden Beziehungen, weil alle ihren eigenen Beschränkungen und Antrieben unterliegen. Die Bezeichnung Mediascapes für Bilderlandschaften bezieht sich auf die Distribution von elektronischen Möglichkeiten, Information zu produzieren und zu verbreiten, die immer mehr privaten und öffentliche Interessensgruppen verfügbar sind, und auf die Bilder der Welt, die durch diese Medien geschaffen werden. Es sind meist auf Bildern und Erzählungen basierende Darstellungen von Realitätsstreifen. Aus diesen Elementen werden vielfach die Skripte für imaginäre Lebensweisen gebastelt. Unter Ideoscapes fallen ebenfalls Verkettungen von Bildern, jedoch sind diese meist direkt politisch und stehen in Verbindung mit Staatsideologien und deren Gegenentwürfen. Meist beinhalten sie Begriffe, Bilder und Ideen - wie Freiheit, Wohlfahrt, Rechte, Repräsentation, Souveränität oder den Schlüsselbegriff Demokratie - die alle aus der Weltsicht der Aufklärung stammen. Die Diaspora dieser Konzepte und Begrifflichkeiten rund um den Globus seit dem 19.Jahrhundert hat die gewisse interne Logik und Kohärenz dieser euroamerikanischen Metaerzählung aufgeweicht und vielfältige politische Kulturen, die um einzelne dieser Schlüsselbegriffe organisiert sind, hervorgebracht. Diese Terminologie dürfen wir daher nicht allein als politische Rhetorik verstehen, sondern sie muß kontextualisiert werden. So ist beispielsweise die Frage interessant, welche Medien welche Diskurse aufgreifen, und wie diese von den verschiedenen TextrezipientInnen individueller und kollektiver Art ver- und gewertet werden. Schlüsselbegriffe, Filtermechanismen, Konnotationen oder der Stellenwert von Lesen, Hören und Sehen konstituieren die spezifische Morphologie von Ideoscapes in regionalen, nationalen und transnationalen Kontexten (Appadurai 1996:33ff). Auf der Grundlage dieser fünf Termini lassen sich nun Bedingungen formulieren, unter denen globale Ströme heutzutage auftreten. Appadurai meint, daß sie in und durch ein zunehmendes Auseinanderdriften dieser fünf Landschaften entstehen. Diese These bildet den Kern seines Modells der globalen kulturellen Flüsse (Appadurai 1996:37). 11 3.2 Kubanische Landschaften Auf Kuba lassen sich Fragmente der widersprüchlichen, sich überlappenden “Scapes” erkennen, die sich auf keinen Fall als einheitliche ganze Landschaftsbilder zusammensetzen oder nachzeichnen lassen. Aber als AnthropologInnen müssen wir wohl lernen von einer fundamental fraktalen Konfiguration der kulturellen Formen ohne Grenzen, Strukturen oder Regelmässigkeiten auszugehen, wie dies auch Appadurai postuliert (Appadurai 1996:46). Deshalb möchte ich hier einige Beobachtungen und Gesprächseindrücke der kubanischen “Scapes” beispielhaft ausführen. Das kubanische Ideoscape ist ein aufgeblähtes rhetorisches Gebilde, das um den Schlüsselbegiff “Revolution/revolutionär” aufgebaut ist und eigentlich als totalitärer Sozialismus beschrieben werden muß. Auf Grund der fehlenden Meinungsfreiheit, die durch enorme Restriktionen, Überwachungen und Repressionen aufrechterhalten wird, müßte die ideologische Landschaft eigentlich ein relativ einfärbiges, homogenes Bild ergeben. Aber die Revolution ist in erster Linie ein monströses Konstrukt, eine Utopie, die aufgrund von unerträglich gewordenen Klassenunterschieden aufgegriffen worden ist, und vom Tage des Zusammenbruchs der alten Ordnung am 1. Jänner 1959 bis heute von der Staatsmacht täglich neu erfunden und definiert wird. Die Staatsmacht beruhte dabei von Anfang an einerseits auf einer starken Rebellenarmee, mehr aber auf der Mobilisierung der Massen, was vor allem Fidel Castros charismatischen Reden zu verdanken ist. Er hat ein einzigartiges System des rhetorischen Dialogs mit dem Publikum entwickelt, eine auf ihn persönlich bezogene Kommunikation - als Frage-und-Antwort-Spiel - durch die er sich zum Sprecher des Volkes gemacht hat. Immer in Wir-Form läßt er sich zur Durchführung von Aufgaben und Annahme von Ämtern geradezu “zwingen” (Hoffmann 2000:68).5 Die Revolution und das “Wir” des kubanischen Volkes kann auch nur in konstruierter Abgrenzung von einem kapitalistischen Feindbild kann. Dazu ist es unter anderem notwendig mit Hilfe des absoluten Medienmonopols das revolutionäre Kuba täglich neu zu inszenieren. Das Denken und Handeln der Menschen wird durch diese Diskurse natürlich geprägt, es bewegt sich in einer Landschaft, die von der meinen oder auch der von ExilkubanerInnen sehr verschieden ist. Andererseits durchschauen sie dieses Konstrukt aber auch und kritisieren 5 Diese Behauptung ist zwar umstritten, aber Fidel Castro war keinesfalls von Anfang an Kommunist. Er hat sich zum Beispiel in seiner berühmten Rede “Die Geschichte wird mich freisprechen” 1953 glühend für eine authentische parlamentarische Demokratie mit konkurrierenden Parteien und einer kritischen Öffentlichkeit ausgesprochen. Zum offenen Bruch mit den bürgerlichen Kräften kam es erst ein halbes Jahr nach der siegreichen Revolution, und heute schimpft Castro die bürgerliche Demokratie etwa eine Pluriporquerı́a (Mehrschweinereiensystem) oder ein Instrument des Yankee-Imperialismus. 12 mit gesenkter Stimme seine Willkürlichkeit und Repression. Wenn ich “konterrevolutionäre” Meinungen geäußert habe - auch wenn ich mein persönliches revolutionäres Ideal auf Kuba zu projizieren versucht habe - bekam ich ein anerkennendes “Ay, sieh an, sie versteht, sie ist intelligent” zu hören und kurz darauf nichts mehr politisches. Das offizielle Ideoscape ist schwer zu erfassen, “man sieht und spürt es nicht”, wie Aleida meinte, und es steht vor allem in krassem Widerspruch zu den Ethnoscapes und Financescapes. Gerade durch den seit 1994 erlaubten privaten Dollarbesitz entstehen extreme Disparitäten. Rimessen der ExilkubanerInnen oder von der Tochter in Spanien, vom Bruder in der Domenikanischen Republik, private Zimmervermietung oder Essenszubereitung für TouristInnen oder auch nur die Arbeit als KellnerIn, TanzlehrerIn, MuseumsführerIn und dergleichen ermöglichen einigen wenigen den Zugang zu all den sehnlichst gewünschten Waren, die nicht wie die staatliche großteils rationierte Grundversorgung in Pesos, sondern nur gegen harte Devisen erstehbar ist. Dies soll zeigen, daß Kuba nicht nur als Staat Teil der globalen Ökonomie ist, sondern die globale Ökonomie auf vielfältige Weisen mit den täglichen individuellen und familiären, lokalen Strategien und Beziehungen, die sich über die ganze Welt erstrecken, verflochten ist und diese konstituiert. Das Mediascape habe ich ja teilweise bereits beschrieben. Interessant sind dabei die Spannungen, die durch die Macht des Staates über die Produktion der Bilder und Ideoscapes und im Gegensatz dazu durch die fiktionalen Realitäten ausländischer Filme oder die realen Begegnungen mit “Fremden” im Land - und für einige wenige auch im Ausland - entstehen. Beispielsweise kreieren Nachrichtensendungen sehr selektive Imaginationen vom Rest der Welt, die wiederum als konstituierender Hintergrund für die Nation instrumentalisiert werden, andererseits gibt es den Austausch mit ExilantInnen, worauf im nächsten Kapitel noch genauer eingehen möchte. Die Klüfte werden auch in der Prostitution sichtbar, wo die Notlage des Financescapes eines Landes auf die globalen Auswüchse des Sextourismus trifft, wo die kollektive Imagination der Jungen eines besseren Lebens im reichen ”Westen“ auf die Techno-, Ideo-, und Financescapes geiler, übersättigter IndustriestaatlerInnen prallt, durch globale Flüsse ermöglicht und neue solche hervorbringend. Wenden wir uns jetzt noch den Ethnoscapes zu. Nachdem ich in meinen bisherigen Ausführungen die Beschreibung einiger subjektiv ausgewählter Landschaften perspektivisch auf das geographisch definierte Territorium Kuba verengt hatte, möchte ich diesen Vorstellungsrahmen jetzt aufsprengen. Die Fragen, die sich stellen, lauten folgendermaßen: Was und wo ist eigentlich Kuba? Wer ist KubanerIn, oder welche Landschaft konstituiert überhaupt die Gruppenidentität “KubanerInnen”? 13 Um diese Fragen auch nur annähernd zu beantworten, müßten wir eigentlich historisch sehr weit ausholen, weiter als die Geschichtsvorstellungen und -rekonstruktionen der vorhandenen, immer situierten Diskurse reichen. Im Rahmen dieser Arbeit müssen wir uns jedoch damit zufrieden geben, daß der/die KubanerIn zwar ein Konstrukt ist, das eine Kodifizierung unendlicher Differenzen darstellt und eigentlich nicht lokal festzumachen ist. Dennoch stellt es einen territorialen und imaginären Kreuzungspunkt zentripedaler und zentrifugaler Bewegungen und Vorstellungen dar, der benannt und daher auch real ist. Es ist eine Lokalität, die identifikatorisch anruft, mobilisiert und situiert. Zum einen müßten wir uns daher eigentlich die Bewegung nach Kuba anschauen, die Vielfalt von Herkunftskontexten, die sich auf der karibischen Insel als Nation in ihrer heutigen Form manifestiert haben. Zum anderen müssen wir Kuba vor allem seit der Machtübernahme Fidel Castros, aber auch schon seit der Zeit der Unabhängigkeitskriege im 19. Jahrhundert als deterritorialisiertes Ethnoscape denken, das von Menschen in den unterschiedlichsten Teilen der Welt gebildet wird, die sich als KubanerInnen bezeichnen oder bezeichnet werden und mit ihren Imaginationen, Sehnsüchten, Erinnerungen und Diskursen über/an den Referenten Kuba, sowohl die Insellandschaften, als auch ihre neuen Lebenskontexte konstituieren und transformieren. Das Konzept der Ethnoscapes erscheint mir nützlich, um diese heterogene, deterritorialisierte Landschaft von Menschen weltweit, die sich um den Signifikanten Kuba gruppieren, begrifflich zu erfassen. Sobald wir jedoch punktuell einen Landschaftsausschnitt fokussieren, eine Momentaufnahme versuchen - wie ich dies exemplarisch mit der Stadt Miami tun möchte ist die analytische Aussagekraft des Begriffs Ethnoscapes bereits abgeschwächt. Ich möchte behaupten, daß er sich für Panoramafotos sehr gut eignet, für Detailaufnahmen jedoch durch andere Konzepte ergänzt werden muß. Im Fall von Kuba erscheint mir der wiederbelebte, erweiterte Begriff der Diaspora oder diasporischer Räume als fruchtbringend, worauf ich nun näher eingehen möchte. 4 Ethnoscapes und Diaspora Zunächst werde ich einige theoretische Überlegungen zum rekonstituierten Konzept der Diasopra oder diasporischer Räume anstellen und diese dann anhand der kubanischen Situationen und Erfahrungen erläutern. Diaspora ist eigentlich ein altes Wort, das Zerstreuung bedeutet und in erster Linie mit der 14 jüdischen, griechischen und armenischen Erfahrung in Zusammenhang gebracht wird. Dieser Begriff ist Teil eines neudefinierten Vokabulars, weil auf Grund der Zunahme der Migrationsströme seit den 1980er Jahren - als Bestandteil der komplexer werdenden und beschleunigten globalen Vernetzungen durch transnationale Bewegungen von Menschen, Waren, Informationen und Kapital - die herkömmlichen Konzeptualisierungen der MigrationstheoretikerInnen nicht mehr ausreichen, um die dabei stattfindenden ökonomischen, politischen, sozio-kulturellen und psychischen Prozesse zu erfassen.6 Es hat sich auch gezeigt, wie unbrauchbar die früheren Konzepte von geschlossenen Gesellschaften, organischen Kulturen und Regionen, oder auch von unidirektionalen Zentrums - Peripherie - Modellen geworden sind. Es gehört zur Alltagserfahrung vieler Menschen, daß die wichtigsten Verwandten und FreundInnen oft tausende Kilometer entfernt leben, und die Beziehungen dennoch oft intensiver erhalten werden als zu den nächsten Nachbarn, beispielsweise durch Teilnahme am Familienleben und Entscheidungsfindungsprozessen über das Telefon oder Email oder auch engagierte sozio-politische und ökonomische Einflußnahme (Gilroy 1999:291). Diese neuen Kontexte versucht auch Appadurai zu konzeptualisieren, wenn er von “new neighbourhoods”, Deterritorialisierung oder eben Ethnoscapes spricht. Meiner Meinung nach vernachläßigt er dabei jedoch einige sehr zentrale Aspekte dieser veränderten Bedingungen des Zusammenlebens. Seine Perspektive ist sehr verengt bezüglich der wichtigen Frage nach Machtverhältnissen und der politischen Ökonomie, darüber hinaus differenziert er kaum nach den sich überschneidenden Achsen von Geschlecht, Sexualität, Klasse, “Rasse”, Etnizität, Alter - und einem notorischen und so weiter - , die jede soziale Interaktion und Manifestation in vielfältiger Weise durchkreuzen. Von meiner Perspektive auf die Welt in der momentanen Phase der Globalisierung sehe ich in erster Linie Machtkonzentrationen und widerständische Bestrebungen und Bewegungen, die sich immer reziprok konstituieren. Auch wenn ich nicht von einem Ideal oder einer Prämisse der Gleichheit aller oder harmonischer Systeme ausgehe, sehe ich extreme strukturelle Asymmetrien auf den verschiedensten Ebenen, die auf reinem Akkumulationsbestreben nach Macht und Mitteln beruhen, mächtige AkteurInnen, die auch die Herrschaftsdiskurse anführen, durch Abgrenzung das Eigene als das Wertvolle definieren und das Andere durch Ausgrenzung abwerten, diskriminieren, unterordnen. Bilder und vor allem Menschen zirkulieren nicht frei. Menschen fliehen, folgen Zwängen, haben keine Chance, die imaginierten Zielländer zu besuchen, geschweige denn dort zu leben. Und auch die Bilder werden von mächtigen Interessen für unvorstellbare 6 Die Beschreibung und Analyse solcher Vorgänge und daraus resultierender Beziehungskontexte wird in der “scientific community” mit Bezeichnungen wie Kreolisierung, Border, transnationle oder -kulturelle Phänomene, Hybridität, Synkretisierung und dergleichen versucht. 15 Summen in Umlauf gesetzt, um zum Beispiel transnationale Markennamen zu kreieren, die heute “Kultur” schaffen als Massenspektakel, nachdem jeder nur vorstellbare kulturelle Ort gebrandmarkt und kulturelle Ereignisse vollkommen vereinnahmt worden sind (Klein 2000). Dies bedeutet nicht, daß diese Marken und Konzerne lokal überall alles gleichschalten und ein weltweiter kultureller Homogenisierungsprozess in Gang gesetzt worden ist. Aber mir fehlt in Appadurais Ansätzen eine Analyse der Macht, eine Kritik an ausbeuterischen Verhältnissen - auch wenn dies altmodische Termini sein mögen - ein Sichten des Leidens. Auch das Auseinanderdriften globaler Ströme geschieht vielfach aufgrund von hegemonialen Bestrebungen. Financescapes nationaler Ökonomien haben weltweit internationale Geberorganisationen im Nacken und müssen daher unter Zwang agieren. Auch wenn es wichtig ist, die indigenisierenden Kräfte und lokale oder individuelle Handlungskompetenzen, Aneignungs- und Widerstandsstrategien in den Vordergrund zu rücken, dürfen die Machtkonzentrationen nicht aus dem Blick geraten. Ein Sichten von Machtasymmetrien ist jedoch nicht nur auf einer Makroebene unerläßlich, sondern sollte als organisierendes Prinzip von Beziehungen und Kräfteverhältnissen eigentlich immer mitgedacht werden. Macht ist im Foultcault’schen Sinn allgegenwärtig, sie erzeugt sich in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt und geht nicht nur von einem Zentrum aus; sie wird also unter Mitwirkung aller immer wieder reproduziert und modifiziert. Diese Sichtweise darf allerdings nicht zu einer Relativierung von Hegemonialstrukturen und -diskursen führen. Denn diese multiplen dezentrierten Machtrelationen konzentrieren und manifestieren sich entlang von überkreuzten Achsen der Differenzierung nach Geschlecht, Sexualität, “Rasse”, Nationalität, Ethnizität und Klasse. Dies sind die Hauptkategorien zum Benennen und Sichtbarmachen von alltäglichen Erfahrungen der diskursiven Ein- und Ausgrenzung und der Diskriminierung. Aus den obgenannten Gründen halte ich es für notwendig, den Blickwinkel Appadurais zu erweitern und durch andere Perspektiven zu ergänzen. Was Kuba anbelangt, erscheint mir die Vorstellung von Diaspora und diasporischer Räume auch deshalb gewinnbringend, weil sie die Erfahrung der Vertreibung impliziert. Die Gefahr dabei ist jedoch auch, daß die Idee des Uniformen, Homogenen, Abgegrenzten, das zerstreut worden ist, mittransportiert wird. Diaspora sprengt eigentlich genau dieses Denken in Kategorien von Nationalstaaten und Kulturen auf. Gerade diasporische Identitätskonstruktionen beziehen sich meist weniger auf ein gemeinsames Territorium, sondern mehr auf Erinnerungen, Imaginationen und Sehnsüchte. Diese beziehen sich zwar in vielen Fällen auf essentialistisch konzipierte Gruppenzugehörigkeiten, die auch in der Praxis bis zu einem gewissen Grad notwendig sein mögen, auf einer theoretisch reflexiven Ebene jedoch als Konstrukte gesehen werden müssen, oder wie Stuart Hall so treffend sagte, als “notwendige Unmöglichkeiten” (Hall 1996:16). 16 Die Diaspora-Erfahrung verbindet auch meist multilokale Gemeinschaften von Vertriebenen und läßt daher spezifisch definierte geopolitische Grenzen verschwimmen. Auch die Vorstellung von Etnizität und Kultur wird unscharf, wenn die entstehenden diasporischen Räume als nicht nur von den Migrierten bewohnt vorgestellt werden, sondern auch von den als “Einheimische” konstruierten und repräsentierten (Brah 1996:181). Nachdem ich nun bereits einige Vorzüge des Diaspora-Konzeptes angesprochen habe - vor allem als Kritik an Diskursen von klar abgegrenzten, homogenen Ursprüngen - erscheint es mir doch sinnvoll, diesen Begriff und die damit verbundenen Vorstellungen genauer darzustellen. 4.1 Definitionen von Diaspora Um kollektive Erfahrungen zu benennen und zu analysieren, ist es notwendig, eine Definition von Diaspora zu versuchen. Den ersten Vorschlag machte Safran, indem er das Konzept folgendermaßen eingrenzte: Unter Diaspora sind expatriierte Minderheiten zu verstehen, die vom ursprünglichen Zentrum an mindestens zwei periphere Orte verstreut worden sind; die sich eine Erinnerung, Vision, einen Mythos über die Heimat erhalten; die glauben, vom Gastland nicht voll akzeptiert zu werden/werden zu können; die den Ort der Vorfahren als möglichen Ort der Rückkehr sehen, wenn die Zeit gekommen ist; die ihr Gruppenbewußtsein und ihre Solidarität sehr stark über diese fortwährende Beziehung zur Heimat definieren (Safran 1991:83-84,zit.n.Clifford 1994:304f). Abgesehen von einer problematischen Fixierung der Ursprünge und Identitäten, bezieht sich diese Definition auf die jüdische Diaspora als Idealtyp. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, diese als Modell heranzuziehen, da dann Gruppen nur als mehr oder weniger diasporisch eingeteilt werden können, je nachdem wieviele Merkmale auf sie zutreffen. Der Diskurs über Diaspora mag zwar mit der Geschichte der JüdInnen oder ArmenierInnen7 begonnen haben, hat sich jedoch unter den derzeitigen globalen Bedingungen verändert und hybridisiert. Er ist populär geworden. Schauen wir daher, was andere dazu zu sagen haben. Wie bereits erwähnt, müssen Diasporas gar nicht primär über ein reales oder symbolisches Heimatland artikuliert werden, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie dies die Definition von Safran nahelegt. Eine gemeinsame fortwährende Geschichte der Deplazierung, des Leidens, der Anpassung und des Widerstandes kann genauso wichtig sein, wie die Projektion eines spezifischen Ursprungs. Aus diesem Grund schlägt Clifford eine andere Möglichkeit vor, Diaspora zu definieren. Statt essentielle Merkmale zu diskutieren, wäre es sinnvoller zu schauen, 7 Diese ethnischen Bezeichnungen sollten in erster Linie als kategoriale Zuschreibungen gedacht werden 17 wogegen sich Diaspora abgrenzt. Seiner Meinung nach stehen Diasporas in einer Opposition zu Nationalstaaten einerseits und zu indigenen/autochtonen Forderungen andererseits (Clifford 1994:307). Die Beziehung von Diaspora-Gemeinschaften zum Nationalstaat gestaltet sich in erster Linie dadurch, daß kein Wille zur Assimilation besteht, was aber nicht bedeutet, daß sie notwendigerweise anti-nationalistisch eingestellt wären. Natürlich konstituieren sie sich oft genauso über gewaltsame Artikulationen der Reinheit und rassistischer Ausgrenzungen, wobei es sich dabei allerdings um den subalternen und nicht den dominanten Diskurs handelt. Diasporische kulturelle Formen können gar nie exklusiv nationalistisch sein, weil sie in transnationalen Netzwerken eingesetzt werden, die durch multiple Bindungen aufgebaut wurden und Praktiken der Akkomodation und des Widerstands gegenüber dem “Gastland” und seinen Normen beinhalten. Der diasporische Diskurs bringt “roots and routes” zusammen, um andere öffentliche Bereiche zu konstruieren. Er artikuliert auch Formen von Gruppenbewußtsein und Solidarität, die Identifikationen außerhalb des nationalen Raumes und dessen Zeit erlauben, um darin leben zu können - jedoch als Differente. Der Diaspora-Begriff ist nicht nur Signifikant für Transnationalismus und Bewegung, sondern auch für die politischen Kämpfe, die in historischen Kontexten der Deplazierung stattfinden, wo es darum geht, sich lokal als distinktive Gemeinschaft zu definieren. Damit entsteht eine konstitutive Spannung zum Nationalstaat und dessen assimilatorischer Ideologie. Dieser politische Antagonismus entsteht aber auch gegenüber indigenen Gruppen und deren Forderungen, die ja den gegenteiligen Anspruch erheben, nämlich immer schon da gewesen zu sein. Andererseits gibt es auch Überlappungen, weil es sich in beiden Fällen um Minderheitenforderungen8 handelt, und auch indigene Gruppen Erfahrungen der Vertreibung gemacht haben. In diesem Sinn finden sich hier ebenfalls diasporische Dimensionen (Clifford 1994:307ff). Hier stellt sich die Frage, warum Minderheitengruppen anfangen, sich als Diasporagemeinschaften zu konstruieren, vor allem auch wenn sie sich vorher noch nie als solche solidarisiert hatten. Zum einen erhalten Forderungen gegenüber einer nationalen Hegemonie mehr Gewicht durch diese Verbindung zu anderen Kontinenten, Nationen, Regionen, Ursprüngen. Zum zweiten wird eine eindeutige Differenz konstruiert, die nicht notwendigerweise separatistisch sein muß, aber der Erfahrung des “Nicht an einem Ort zu sein, um zu bleiben”, also an einem Ort zu leben und einen anderen herbeizusehnen, Rechnung trägt (Clifford 1994:310f). Auch Avtar Brah beschäftigt sich mit der im Diaspora-Konzept enthaltenen Frage des Ursprungs, die in essentialistischen Begrifflichkeiten oder als historisch konstituierte Verortung 8 Minderheit ist hier nicht numerisch, sondern als Abgrenzung zur und gleichzeitig als konstitutiver Bestand- teil der Mehrheit zu sehen 18 artikuliert werden kann, was letztendlich die Art der Politik oder die Interaktion zwischen Minderheit und Mehrheit bestimmt. Ihrer Meinung nach beinhaltet Diaspora immer auch die Konnotation von einem “Zuhause”, als mythischem Ort der Sehnsucht in der diasporischen Imagination oder als gelebte Erfahrung eines Ortes durch Gerüche, Geräusche und vor allem soziale Alltagsbeziehungen (Brah 1996:192). Interessanter noch ist das Konzept der diasporischen Räume, das sie entwickelt hat. Damit benennt sie die Verflechtungen der Genealogien der Vertreibung mit denen des An-Ortund-Stelle-Bleibens. Sie will damit vor allem auch die Subjektposition der “Einheimischen” problematisieren. Diasporische Räume sind der Ort, wo um die Grenzen der Ein- und Ausschließung, der Zugehörigkeit und des Andersseins, des “Wir” und “Sie” gekämpft wird. Eingebettet in ein komplexes Netz von Machtbeziehungen werden hier Ähnlichkeiten und Unterschiede entlang von durchkreuzten Achsen der Differenz - wie Geschlecht, Klasse und “Rasse” als Hauptachsen - ausgehandelt und je nach Kontext artikuliert. Die Grenzen werden dabei nicht nur dichotom zwischen Dominierenden und Dominierten, Repräsentierenden und Repräsentierten, Mehrheiten und Minderheiten gezogen, sondern genauso innerhalb der jeweiligen Verortungen (Brah 1996:208ff). Abschließend scheint es mir noch wichtig zu bemerken, daß die Aufwertung und Popularität des Diaspora-Konzeptes als elitärer wissenschaftlicher Diskurs nicht zu einer Verdeckung der oft grausamen Erfahrungen der Vertreibung und der Diskriminierung diasporischer Gemeinschaften führen darf und asymmetrische Machtrelationen trotz ihrer Vielschichtigkeit nicht beschönigt, sondern mitberücksichtigt werden sollten. Nach diesen theoretischen Überlegungen möchte ich nun noch zur weiteren Ausführung kubanischer Ethnoscapes die diasporischen Dimensionen der kubanischen Flucht- und Migrationserfahrungen beschreiben. Ich werde mich dabei auf die jüngere Geschichte beschränken, obwohl es - gerade in Zusammenhang mit der Frage “Wer ist KubanerIn” - interessant wäre, auch die vorangegangene afro-karibische Diaspora miteinzubeziehen. In dieser Arbeit werde ich mich jedoch nur auf die Massenbewegungen - insbesondere in den Süden der USA - nach der Machtübernahme Fidel Castros 1959 konzentrieren und exemplarisch die Situation in Miami darstellen, weil dort die größte “kubanische Diaspora-Gemeinschaft” lebt. 19 4.2 Die kubanische Diaspora seit 1959 Miami wird in den Vereinigten Staaten vielfach als kubanische Exilhauptstadt9 bezeichnet. Es gibt dort beispielsweise mehr “kubanische” Restaurants, Bäckereien, Kaffeehäuser und Essensstände als in Kuba selbst. Die Stadt ist auch weniger weit von der karibischen Insel entfernt als von der Hauptstadt Floridas. Unter anderem gibt es auch aus diesem Grund bereits seit 200 Jahren eine nennenswerte Migrationsbewegung dorthin. Insbesondere in der Zeit des kubanischen Unabhängigkeitskrieges von 1868 bis 1898 kamen ganze zehn Prozent der Gesamtbevölkerung Kubas in die USA. Es gab daher schon damals starke ökonomische und sozio-politische Beziehungen zwischen den beiden Räumen, vor allem auch in Form von amerikanischen Investitionen (Levine/Moisés 2000:3). Die siegreiche Revolution auf Kuba und die Ablösung des Diktators Fulgencio Batista löste in den Jahren nach 1959 einen wahren Exodus aus, wobei über 660 000 Menschen allein nach Miami flüchteten. Zwischen 1960 und 1980 emigrierte mindestens eine Million KubanerInnen, davon gingen 85 Prozent in die USA und nach Puerto Rico. Der Rest migrierte vor allem nach Venezuela, Argentinien, Mexico, Spanien und Australien. 1994 waren über eineinhalb Millionen in 25 verschiedene Länder geflohen (Levine/Moisés 2000:5). Die Immigrationsbewegung in die USA ging in drei Wellen vor sich. In der ersten Periode bis 1961 kamen fast nur “weiße”, sehr gut ausgebildete Angehörige der früheren Oberschicht, von denen es auch viele geschafft hatten, große Geldmengen in die Staaten zu transferieren, was später fast unmöglich wurde. Miami befand sich in dieser Zeit in einer Rezession, wodurch es kaum adäquate Arbeitsstellen gab. Aus diesem Grund wurden zahlreiche, auch staatliche Unterstützungsprogramme und Hilfsorganisationen ins Leben gerufen, weil die KubanerInnen von Anfang an als politische Flüchtlinge und nicht als Wirtschaftsflüchtlinge anerkannt wurden (Duany 1994:19). Andererseits bot die Rezession der frühen 1970er Jahre auch vielfältige Möglichkeiten eigene Unternehmen zu gründen, von denen viele bis heute äußerst erfolgreich sind und die Stadt transformiert haben. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Jedenfalls sind dies zwei Gründe dafür, daß die kubanischen AmerikanerInnen heute als die reichste hispanische Gruppe angesehen werden, wobei diese Pauschalaussage natürlich die enormen Disparitäten innerhalb dieser Identitätszuschreibung verdeckt. 1961 kamen auch mehr als 14 000 Kinder mit den sogenannten “Peter Pan Flügen” in die Staaten. Sie wurden tragischerweise auf Grund von gezielter konterrevolutionärer Propaganda von ihren Eltern geschickt und mußten oft jahrelang getrennt von ihren Familien leben 9 Exil ist hier eigentlich nicht der richtige Ausdruck, da sich dieser Terminus in erster Linie auf individuelle Erfahrungen bezieht. 20 (Levine/Moisés 2000:24). Insgesamt hatten die wenigsten der ImmigrantInnen dieser ersten Phase des sogenannten “Goldenen Exils” die Absicht, länger in den USA zu bleiben. Auf Grund der Raketenkrise 1962 stoppte Castro alle direkten Flüge nach Miami, und auch die zahlreichen radikalen Anti-Castro-Bewegungen in den Vereinigten Staaten verschärften ihre Aktivitäten. Ab 1965 erlaubte Castro wieder zwei tägliche Flüge nach Miami, welche als “Freedom Flights” bekannt wurden. Diese zweite Welle brachte ein in sozialer und ökonomischer Hinsicht breiteres Spektrum an Menschen. 1966 wurde der “Cuban Adjustment Act” verabschiedet, der allen Flüchtlingen aus Kuba automatisch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gewährte, bis Präsident Bill Clinton diese Regelung 1994 wieder aufhob (Eisenbürger/Fritsch 1994:45). Zwanzig Jahre nach der Revolution konnten auch ExilkubanerInnen erstmals wieder Reisen in ihr Herkunftsland unternehmen, wodurch das Bild der “VerräterInnen” oder gusanos (de seola), was (Seiden-)würmer bedeutet, auf der Insel nachhaltig verändert wurde. 1980 kam es zur dritten großen Auswanderungswelle, als Castro den Hafen von Mariel öffnete, um die von ihm als “Abschaum des Landes” Bezeichneten ausreisen zu lassen. 1983 waren bereits 42 Prozent der Bevölkerung Miamis KubanerInnen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union, was schwerwiegende Folgen für die Versorgungslage auf der ökonomisch stark abhängigen Insel hatte, und nach der Verschärfung des Wirtschaftsembargos durch das Torricelli-Gesetz 1990, kamen wiederum tausende von balseros auf kleinen Booten und Flössern über die Floridastraße. Nach dem “Guantánamo-Schwenk” Clintons 1994 landeten sie allerdings alle im Gefängnis (Levine/Moisés 2000:46ff). 1996 verabschiedete Clinton das Helms-Burton-Gesetz, das auch Sanktionen für Länder und Unternehmen, die Handelsbeziehungen mit Kuba unterhalten, einschließt. Gleichzeitig haben mit der Legalisierung des Dollarbesitzes auf Kuba 1993 die Remissen enorm zugenommen; waren es 1993 noch 260 Millionen US-Dollar, betrugen sie 1998 bereits 820 Millionen (Zeuske 2000:218). Dadurch ist die paradoxe Situation entstanden, daß diese Geldsendungen aus dem Ausland wohl den ersten Platz bei den Staatseinnahmen belegen, also die Nettoeinnahmen aus Tourismus und Zucker übertreffen. Zur Abschöpfung dieser Devisen ist im Land ein flächendeckendes Netz von Dollarläden entstanden, und es ist zu einer Umbewertung des Exils gekommen. Bedeutete es bis 1990 noch eine Schande, einen gusano in der Familie zu haben, ist es heutzutage genau umgekehrt. KubanerInnen ohne Verwandte im Ausland können sich nur das Überleben leisten. Diese duale Ökonomie bringt natürlich enorme Disparitäten und somit auch sozialen Sprengstoff mit sich. 21 4.3 Diasporische Räume in Miami Nach diesem kurzen historischen Abriß über die Vertreibung und Zerstreuung der KubanerInnen möchte ich noch einige Aspekte der Situation in Miami aufzeigen. Obwohl vielfach von einer “kubanischen Diaspora-Gemeinschaft” gesprochen wird, ist dieser Begriff problematisch. Es darf damit keinesfalls die Vorstellung einer homogenen, abgegrenzten, statischen oder essentialistisch charakterisierbaren Gruppe assoziiert werden. Dennoch gibt es Elemente sozio-kultureller, politischer und ökonomischer Praktiken und Diskurse, die von einem Kontext in einen anderen transferiert worden sind und diesen neuen Kontext transformiert haben und auch selbst in Wechselwirkung damit verändert worden sind. Wichtig sind nicht diese Elemente an sich sondern die Bedeutungen, die ihnen zugeschrieben werden. Sie werden zu Referenten für Konstruktionen des Andersseins und der Zugehörigkeit, und durch eine Einbindung der Herkunftskontexte in die alltägliche Praxis auch ein wichtiges Mittel, soziale Verbindungen herzustellen. Sie werden aber auch zu Markern, anhand derer die Mehrheit “ihre” Minderheiten fixiert, ein- und ausgrenzt. In diesem Sinn möchte ich die Beschreibungen “kubanischer Manifestationen” in Miami oder der ausgesprochen heterogenen kubanischen Diaspora-Gemeinschaft verstanden wissen. Die erste Welle der Kuba-Flüchtlinge zog in den Stadtteil Riverside, der in der Folge auch “Little Havanna” genannt wurde. Die meisten konnten nicht besonders gut englisch und waren es gewohnt, ihren Alltag und ihre Geschäfte im Rahmen verschiedener informeller Netzwerke abzuwickeln. Diese Strukturen bauten sie auch in Miami sehr schnell wieder auf. Die meisten wollten lieber eigene Unternehmen führen, als ihr Glück in der “Anglo-Business-Welt” zu versuchen. Durch die Rezession in den frühen 1970er Jahren war dies sowieso schwierig, andererseits boten sich dadurch gute Gelegenheiten zur Selbständigkeit. Wenn auch noch die soziale und ökonomische Ausgangslage des Großteils dieser ersten Flüchtlinge mitgedacht wird, ist es wenig verwunderlich, daß sich beispielsweise die Anzahl der von KubanerInnen geleiteten Unternehmen zwischen 1967 und 1978 auf fast 10 000 verzehnfachte (Levine/Moisés 2000:64ff). Sehr viele Restaurants und Cafés, die in Havanna geblüht hatten, haben jetzt in Miami Ableger. Meist sind Name und Erscheinungsbild nahezu identisch, und auch die Speisekarten sind Listen kubanischer Köstlichkeiten. Dasselbe geschah auch mit Geschäften, Bäckereien, Beerdigungsinstituten und dergleichen. Andere Echos des früheren Lebens sind auch berühmte kubanische Markenprodukte, die überall in Miami beworben und verkauft werden, auf der Insel jedoch nicht mehr produziert werden. Diese Enklavenwirtschaft hat den öffentlichen Raum umstrukturiert. Für viele Menschen mit oder ohne amerikanischer Staatsbürgerschaft gehört der Konsum dieser Waren 22 und die Nutzung der entsprechenden Infrastruktur so selbstverständliche zum Alltag wie für KubanerInnen. Diese in die Körper eingeschriebenen Gewohnheiten finden in diasporischen Räumen statt und bringen solche hervor. Auch die spanische Sprache hat sich etabliert, wobei sie vor allem von der jüngeren Generation kreolisiert worden ist, die vielfach eine Mischung aus englisch und spanisch spricht. Der Austausch mit anderen ImmigrantInnen hat andererseits dazu geführt, daß die kubanische Spanischvariante ihre berühmte Sprechgeschwindigkeit eingebüßt hat. Neben diesen Vermischungen gibt es aber auch spezielle, auf ein kubanisches Zielpublikum ausgerichtete kulturelle Veranstaltungen, Radiosendungen, Fernsehkanäle, Bücherläden und dergleichen (Levine/Moisés 2000:78ff). Viele KubanerInnen sind im Laufe der Zeit in eine bessere Wohngegend gezogen, wie nach Hialeah, wobei zum Beispiel der erste Gemüseladen dort zu einem beliebten Treffpunkt wurde, wo über alte Zeiten geredet, Castro-Witze ausgetauscht oder Rückkehrphantasien ausgemalt wurden. Der ökonomische und politische Erfolg vieler KubanerInnen ist auch eine Voraussetzung für den Einfluß, den die radikalen Exilhardliner auf die amerikanische Politik haben. Da Florida der viertgrößte Bundesstaat ist, spielen die Stimmen der kubanischen AmerikanerInnen bei jeder Wahl eine ausschlaggebende Rolle (Ospina/Declerq 2001). Interessant ist auch, daß Familientraditionen gerade von den Flüchtlingen der ersten Welle oft höher gehalten werden als von den späteren Ankömmlingen, die bereits mehrere Jahre im sozialistischen Kuba gelebt hatten. So werden die großen Feiern, wie der 15. Geburtstag von Töchtern, Heiraten, Beerdigungen oder auch regelmäßige Familienzusammenkünfte zum Sonntagsessen mit großem Aufwand und “typischen” Speisen und Abläufen “traditionell” zelebriert (Levine/Moisés 2000:107ff). Natürlich hat auch in diesem Bereich eine starke Kreolisierung der unterschiedlichen kulturellen Elemente stattgefunden, und es hat auch nie ein traditionelles Kuba gegeben. Wichtig ist jedoch, daß Vorstellungen davon als signifikante Traditionen artikuliert und inszeniert werden, und so eine kubanische Identität konstruiert und der Assimilationslogik entgegengehalten wird. Eine wichtige Rolle spielt auch die aus dem kubanischen Kontext mitgebrachte Musik, um gerade auch in der ersten Zeit die Auswirkungen der Deplazierung auszudrücken, der Nostalgie eine Stimme zu geben und die imaginierten alten Zeiten aufleben zu lassen. Mit der zunehmenden Popularität kubanischer Musikstile und auch Hybridisierung in diesem Bereich stehen auch der jüngeren Generation Identifikationsmöglichkeiten offen, die sie stolz auf “ihre Wurzeln” sein läßt. Nach diesem eher positiv gezeichneten Bild, das vor allem auf die ersten Ankömmlinge aus 23 Kuba zutrifft, möchte ich noch einmal die Differenz innerhalb dieser Diaspora-Gemeinschaft betonen. Die Mehrzahl der KubanerInnen gehört heute der ArbeiterInnenklasse an und verdient minimale Löhne, die gerade zum Überleben reichen. Unzählige “Selbständige” kämpfen als StraßenhändlerInnen um das tägliche Brot. “Klein Havanna”, das vor zehn Jahren noch ein idealer Ort zum Wohnen und Entspannen war, ist heute auf Grund der hohen Kriminalitätsrate ein Ort der Alarmanlagen, Gitter und Mauern (Ospina/Declerq 2001:49f). Dennoch ist Kuba in Miami so lebendig wie eh und je, gerade die Intensität der AntiCastro-Gefühle und die damit verbundenen Gerüchte, Mythen und Klatschgeschichten tragen entscheidend dazu bei. Auch die gemeinsamen Projektionen auf den Sündenbock Castro, der auch für die Misere der in Miami ums Überleben Kämpfenden verantwortlich gemacht wird, hält Kuba lebendig. Am Anfang glaubten die meisten noch an eine baldige Rückkehr, aber die Hoffnung ist schwächer geworden, und die Nostalgie hat Einzug gehalten. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie weniger stolz auf ihre Herkunft wären. Vielen Kindern wird gesagt, daß sie anders/besser seien, und das alte Kuba wird als eines der besten Länder der Welt konstruiert, bevor Castro Einzug gehalten habe (Levine/Moisés 2000:133ff). Obwohl die kubanische Gemeinschaft in Miami durch und durch heterogen ist, und ihre Situation hier nur äußerst kursorisch dargestellt werden konnte, ist es offensichtlich, daß sich die KubanerInnen in gewissen Bereichen dem Assimilationsdruck widersetzt haben und sich die amerikanischen Kontexte auf sehr spezifische Art und Weise zunutze gemacht haben, von diesen jedoch auch benutzt und verändert werden. Jahrelang in einem Zwischenraum der Vorläufigkeit und der ersehnten Rückkehr lebend, nehmen sie sich über diese Betonung der gemeinsamen Heimat und Erfahrung der Vertreibung und der Aufwertung ihrer realen und imaginären Wurzeln als Andere wahr. Dadurch haben sie gerade in Miami eigene sozio-kulturelle, ökonomische und politische Strukturen kreiert und definieren sich als ein ”Wir“, das ein- und ausgrenzt. 5 Schlußbemerkungen Wenn wir den Blick von dieser lokalen Situation in Miami in ihrer Verwobenheit mit den amerikanischen und kubanischen Kontexten wieder auf Kuba zurücklenken und auf einer globaleren Ebene die vielfältigen Verflechtungen anschauen, stellt das Konyept der auseinanderdriftenden Landschaften - trotz oder wegen seiner Reduziertheit - ein tröstliches konzeptuelles Rahmenwerk dar. Die vielfältigen Differenzen der Landschaften von Gruppenidentitäten, die sich auf den Referenten Kuba beziehen, können kodifiziert und benannt werden. Einerseits darf jedoch 24 Ethnizität oder Nationalität vor allem von der Wissenschaft nicht festgeschrieben werden, sondern sollte mit Verweis auf Heterogenität und unendliche Differenzen als Hilfskonstruktion zur Benennung des Unbenennbaren artikuliert werden. Andererseits spielen Nationalstaaten weiterhin eine zentrale Rolle, auch wenn ihr Ende von einigen TheoretikerInnen heraufbeschworen wird. So meint auch Appadurai, daß der Nationalstaat in den letzten Zügen liegt und spricht von neuen postnationalen Formationen (Appadurai 1996:19,164). Wie sich im Fall von Kuba bei näherem Hinsehen jedoch gezeigt hat, sind die nationalstaatlichen Regulierungen und Restriktionen ausschlaggebend und sogar konstituierend für die entstehenden Ethnoscapes. Daher erscheint mir auch das Konzept der Diaspora aussagekräftiger, weil der Blick auf die Bedingungen der Vertreibung und die durch Beschränkungen und Möglichkeiten sich ergebenden Positionierungen in den Aufnahmeländern gelenkt wird. Auch die Art der Restriktionen der Bewegungen zwischen Nationalstaaten bestimmt die Ethnoscapes. Die Beziehung zwischen den USA und Kuba reguliert den Fluß von Menschen auf eine Weise, die das Entstehen von transnationalen Netzwerken und Gemeinschaften erschwert. Es bleibt abzuwarten, welche Verbindungen und Machtkonstellationen sich ergeben werden, wenn es Fidel Castro einmal nicht mehr geben wird. Es ist anzunehmen, daß der Großteil der heterogenen kubanischen Diaspora-Gemeinschaft nicht mehr zurückkehren wird, aber intensive transnationale Beziehungen mit neuen Machtkonzentrationen entstehen werden. Was auch immer passieren wird, es ist und bleibt eine vorrangige Aufgabe der Sozial- und Kulturanthropologie, die alltäglichen Überlebensstrategien, Imaginationen, Sehnsüchte, Freuden und Leiden der vielen Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Grenzen überschreiten, aber auch “zu Hause” bleiben, sichtbar zu machen. Wichtig ist allerdings auch der gesellschaftspolitische Anspruch, machtbedingte Zwänge, Restriktionen, Alltagsrassismen und institutionalisierte Diskriminierungen aufzuzeigen und zu kritisieren. Es ist unerlässlich vor den vielfältigen Gefahren der Essentialisierung und Homogenisierung von Gruppenidentitäten zu warnen, auch wenn sie für politisches Agieren - vor allem Forderungen nach Rechten und Zugang zu Ressourcen vielleicht unumgänglich sind. Auch eine zu große Differenzierung der Differenz führt an einer “Realität” vorbei, in der sich Menschen in verschiedenen Kontexten mit einem “Soy CubanA (Ich bin KubanerIn)” bezeichnen, was immer ein “Wir” und ein “Sie” impliziert. 25 6 Bibliographie APPADURAI, Arjun (1996) Modernity at large: cultural dimensions of globalization. Minneapolis BRAH, Avtar (1996) Cartographies of diaspora: contesting identities. London, New York CASTLES, Stephen/MILLER, Mark J. (1998) The age of migration: international population movements in the modern world. 2.verä.Aufl., Basingstoke (u.a.) CLIFFORD, James (1994) Diasporas. Cultural Anthropology 9, S.309-338 DUANY, Jorge (1994) Einwanderung de luxe? Die cubanische Einwanderung in die USA. 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