Der Kodak-Moment der Tabakindustrie?
Transcription
Der Kodak-Moment der Tabakindustrie?
Der Kodak-Moment der Tabakindustrie? Was der Einstieg der Konzerne in den E-Zigarettenmarkt bedeutet Dietmar Jazbinsek, Berlin Beitrag zur 13. Deutschen Konferenz für Tabakkontrolle, Heidelberg, 3.12.2015 Recherchestipendium: Dieter-Mennekes-Umweltstiftung Phase 1: Produktentwicklung in China 2003: Patentanmeldung durch einen Hersteller von Ginseng Produkten 2004: Beginn des Vertriebs in China unter dem Markennamen „Ruyan“ 2006: Beginn der Massenproduktion für den Export Hon Lik, Pharmazeut und Erfinder → Das erste Patent für eine „elektrische Nicht-Tabak-Zigarette“ stammt aus dem Jahr 1963. Die Produktidee ist von den westlichen Tabak- und Pharmakonzernen jahrzehntelang ignoriert worden. 2 Phase 2: Der Beginn des globalen Hypes Philip Morris USA, Abt. Competitive Intelligence, 27.1.2006 2006 - 2010: chinesische E-Zigaretten werden weltweit vermarktet; Start-Up-Unternehmen werden zum neuen Wettbewerber auf dem Nikotinmarkt; die „Dampferbewegung“ entsteht; Analysten warnen die Tabakindustrie vor einem „Kodak-Moment“: der Glanz der Farbfilmmarke Kodak ist verblasst, weil sich die Firma nicht rechtzeitig auf die Digitalisierung der Fotografie eingestellt hat. → Der weltweite Boom der E-Zigarette ist von den Tabakkonzernen beobachtet, aber nicht befördert worden. 3 Phase 3: Markteinstieg der Konzerne British American Tobacco 2010: Gründung der Tochterfirma „Nicoventures“ (Entwicklung von Tabakersatzprodukten) 2012: Übernahme des E-Zigaretten-Herstellers „CN Creative“ 2013: Markteinführung der E-Zigarette „Vype“ in GB; TV-Werbekampagne 2014: Vype-Verkauf in über 1.500 britischen Apotheken; Online-Vertrieb in Frankreich & Italien 2015: Markteinführung eines medizinischen Nikotininhalators („Voke“) und eines Hybrid-Geräts („iFuse“) geplant 4 Quellen: Annual Reports; Webseiten der Unternehmen; Tabak Zeitung; www.tobaccotactics.org Phase 3: Markteinstieg der Konzerne Philip Morris International 2003: Beginn der Entwicklung von „Produkten mit reduziertem Risiko“; eines der Forschungszentren ist das ehemalige Institut für biologische Forschung in Köln 2013: Abkommen mit Altria zur Vermarktung der E-Zigarette „MarkTen“ außerhalb der USA 2014: Übernahme des E-ZigarettenHerstellers „Nicocigs“ in GB; Bau eines Produktionszentrums in der Nähe von Bologna (für ca. 500 Mio. €); Test der Neuentwicklung „iQos“ in Italien und Japan (heat not burn-Prinzip) 2015: Markteinführung „iQos“ in ausgewählten europäischen Städten und Staaten (u.a. Lissabon, Moskau, Schweiz) 5 Phase 3: Markteinstieg der Konzerne Japan Tobacco International 2011: Beteiligung an dem Start-Up-Unternehmen Ploom (produziert Verdampfer mit Aromakapseln nach dem „Nespresso“-Prinzip) 2013: Markteinführung „Ploom“ in Frankreich, Italien, Japan, Österreich, Südkorea 2014: Übernahme des E-Zigaretten-Herstellers „Zandera“ in GB 2015: Übernahme der E-Zigaretten-Marke „Logic“ in den USA ; Markteinführung „E-Lites Curv“ in Deutschland via Lekkerland (Großaktionär JTI) durch einstweilige Verfügung gestoppt 6 Phase 3: Markteinstieg der Konzerne Imperial Tobacco (Reemtsma) 2013: Gründung der Tochterfirma „Fontem Ventures“ mit Forschungslabor in Hamburg; Übernahme der Patentrechte des E-Zigaretten-Erfinders Hon Lik (Firma „Dragonite“) 2014: Markteinführung der E-Zigarette „Puritaine“ in GB; Vertrieb über Apotheken; Übernahme der E-Zigaretten-Marke „Blu“ von RJ Reynolds und Markteinführung in GB; 2015: Markteinführung der E-Zigarette „Jai“ in Frankreich; Androhung von Patentklagen gegenüber anderen E-Zigaretten-Anbietern wie Be Posh, Red Kiwi und Japan Tobacco International 7 Was bedeutet der Einstieg der Konzerne in den E-Zigarettenmarkt? Absehbare Wettbewerbseffekte • Unabhängige Hersteller und Händler werden aufgekauft oder verdrängt. • Das Kartell der Großunternehmen gerät in Bewegung (Run auf Patente); der Kampf um Marktanteile forciert die Produktinnovation. • Es gibt einen Qualitätssprung im Vergleich zur ersten Generation chinesischer Produkte (das gilt auch für die Herstellerinformationen über die Produkte). 8 Was bedeutet der Einstieg der Konzerne in den E-Zigarettenmarkt? Polarisierung der globalen Tabakkontroll-Bewegung Antwort A: Tricky business as usual Die Entwicklung von Alternativen zum Rauchen ist ein Trick der Konzerne, um das Rauchen von Tabakzigaretten zu „renormalisieren“. Antwort B: Die Nikotinwende Die Entwicklung von Alternativen zum Rauchen ist eine Gelegenheit, um das Rauchen von Tabakzigaretten zu „denormalisieren“. 9 Zukunftsperspektive A: Die Endgame-Strategie • Genau so strenge Regulierung von E-Zigaretten wie von herkömmlichen Zigaretten • Radikalisierung von FCTC in Richtung rauchfreie Gesellschaft • Mögliche Etappen im „Endkampf“ gegen die Tabakkonzerne: o o o o Ausweitung der Rauchverbote auf Flächen unter freiem Himmel Ausweitung der Rauchverbote auf Privaträume Einführung einer gebührenpflichtigen Raucherlizenz lebenslanges Rauchverbot ab einem bestimmten Geburtsjahr (z.B. 2000) Literaturhinweis: Tobacco Control, Suppl. Mai 2013 10 Zukunftsperspektive B: Die Harm Reduction-Strategie • Weniger strenge Regulierung von E-Zigaretten als von herkömmlichen Zigaretten (z.B. mehr Werbemöglichkeiten, geringere Besteuerung) • Radikalisierung und zugleich Relativierung von FCTC : eine rauchfreie Gesellschaft muss keine nikotinfreie Gesellschaft sein • Mögliche Etappen der „Schadensreduzierung“ durch E-Zigaretten: o Intelligentes Regelwerk zum Jugend- und Verbraucherschutz o Stärkung der Wettbewerbsposition unabhängiger Anbieter o Ausbalancieren der Anforderungen Sicherheit & Akzeptanz Literaturhinweis: http://nicotinepolicy.net/ 11 Polarisierung der globalen Tabakkontroll-Bewegung: Ausgangslage und Expertentenor in Großbritannien • Platz 1 in der Tabakkontroll-Skala • FCTC in Großbritannien weitgehend umgesetzt • Raucherprävalenz immer noch hoch (2014: 22%) → Tabakkontroll-Organisationen tendieren in Richtung „Harm Reduction“ (z.B. Ash UK, Cancer Research UK, Cochrane Tobacco Addiction Group, Public Health England, Royal College of Physicians, …) 12 Polarisierung der globalen Tabakkontroll-Bewegung: Ausgangslage und Expertentenor in Deutschland • Faktisch letzter Platz in der Tabakkontroll-Skala • FCTC in Deutschland politisch nicht durchsetzbar • Raucherprävalenz nach wie vor hoch (2014: 27%) → Tabakkontroll-Organisationen tendieren in Richtung „Endgame“ (z.B. Stabsstelle Krebsprävention am DKFZ, Aktionsbündnis Nichtrauchen, ...) 13 Expertentenor in Deutschland: Die vier Prämissen der Verbotspolitik Endgame-Strategie: Harm Reduction-Strategie: Risiko Nutzen (1) gering (2) groß (3) groß (4) gering 14 These 1: Die Risiken der Endgame-Strategie werden unterschätzt • Die Tabakkontrolle verliert ihre Glaubwürdigkeit, weil viele Verbotsforderungen toxikologisch kaum zu begründen sind, z.B. Rauchverbote im Freien (Evidenzbasis). • Es wird auf unabsehbare Zeit weitergeraucht, weil die Verbotsforderungen politisch nicht durchsetzbar sind, z.B. Rauchverbote in Privaträumen (Grundgesetz). • Die Verbotsforderungen laufen auf eine Ausgrenzung ohnehin benachteiligter Bevölkerungsgruppen hinaus (Tabak - die Droge der Unterschicht). 15 These 2: Der Nutzen der Endgame-Strategie wird überschätzt • Eine rauchfreie Gesellschaft ist keine suchtfreie Gesellschaft. • Wenn Nikotinprodukte verboten werden, verlagert sich das Suchtverhalten in andere Lebensbereiche (z.B. Essverhalten). 16 These 3: Die Risiken der Harm Reduction-Strategie werden überschätzt • Krebsgefahr? Das kanzerogene Risiko des E-Zigarettenkonsums ist mit dem Krebsrisiko anderer Konsumgüter und Alltagspraktiken vergleichbar (z.B. Anwendung pharmazeutischer Nikotinersatzprodukte). • Verführung Minderjähriger? Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die regelmäßig E-Zigaretten konsumieren, ist bis heute verschwindend gering; ein Anstieg muss und kann durch Jugendschutzgesetze gebremst werden. • Lobbystrategie? Die Tabakkonzerne haben auch ohne Harm Reduction-Propaganda Zugang zu den Politik-Eliten in Berlin, Brüssel oder London. 17 These 4: Der Nutzen der Harm Reduction-Strategie wird unterschätzt • Der gleichzeitige Konsum von Zigaretten und E-Zigaretten (dual use) ist in vielen Fällen ein Zwischenschritt zum Rauchstopp. • Die E-Zigarette und andere Ansätze zur „Schadensreduzierung“ erleichtern den „Endkampf“ gegen die Tabakzigarette. 18 Fazit: • Nicht der Tabakindustrie, sondern der Tabakkontrolle droht ein Kodak-Moment. • Harm Reduction ist eine ernst zunehmende Alternative zur reinen Verbotspolitik. • Welcher Weg der Richtige ist, kann nicht allein von Tabakkontroll-Experten entschieden werden. Wir brauchen auch in Deutschland hierüber eine öffentliche und ergebnisoffene Debatte. 19 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Nachfragen und Hinweise bitte an: [email protected] 20