PDF - (229,42 KB ) - Lentos Kunstmuseum Linz

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Informationsunterlage zur
Pressekonferenz der Ausstellung
HAUS-RUCKER-CO LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Mittwoch, 14. November 2007, 10.00 Uhr
Großer Ausstellungssaal
GesprächspartnerInnen:
Stella Rollig, Direktorin des Lentos Kunstmuseum Linz
Mag.a Andrea Bina, Kuratorin der Ausstellung
Günter Zamp Kelp und Klaus Pinter, Gründungsmitglieder HAUS-RUCKER-CO
Pressekontakt:
www.lentos.at
a
Mag. Nina Kirsch
[email protected], 0732/7070/3603
HAUS-RUCKER-CO
LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Exponateliste
Riesenbillard / Giant Billard, 2007
PVC, Nylon, Metall / PVC, nylon, metal
1,50 x 15 x 15 m
courtesy: Laurids Ortner, Günter Zamp
Kelp, Klaus Pinter
Oxer, 1970/2007
Holzkonstruktion, Stoff / Timbers, drapery
4x6x5m
courtesy: Laurids Ortner, Günter Zamp
Kelp, Klaus Pinter
Foto: Norbert Artner
The Planet of Vienna and his Constellations, 1971
(PINTER)
Collage, Mischtechnik auf Papier/ Collage, mixed materials on
paper
courtesy: Galerie Curtze, Wien
Mind-Expander Schalensitz / Mind-Expander Shell Chair, 1969
Polyesterschalensitz für 2 Personen / Body-contoured seat fort wo people
80 x120 x 120 cm
courtesy: Lentos Kunstmuseum
Foto: maschekS
HRC Studio 491 Broadway, 1971
(ZAMP, PINTER)
Siebdruck / Silkscreen on paper (5/300)
74 x 57,5 cm (65 x 46 cm)
courtesy: Lentos Kunstmuseum
Four Seasons Hotel, Time Square, 1971
(ZAMP)
Siebdruck / Silkscreen on paper (5/300)
74 x 57,5 cm (61 x 50 cm)
courtesy: Lentos Kunstmuseum
Fresh Air Reservation, Broadwaybridge, 1971
(ZAMP)
Siebdruck auf Papier / Silkscreen on paper
57,5 x 74 cm (48 x 63 cm)
courtesy: Lentos Kunstmuseum
Downtown Broadway View Joes Bar, 1971
(PINTER)
Siebdruck auf Papier / Silkscreen on paper (5/300)
74 x 57,5 cm (60 x 50 cm)
courtesy: Lentos Kunstmuseum
72nd Street and Broadway , The Cocoon 1971
(PINTER)
Siebdruck auf Papier / Silkscreen on paper
57,5 x 74 cm (52 x 64 cm)
Signatur rechts unten: Pinter 1971
courtesy: Lentos Kunstmuseum
a-e
Environment-Transformer, 1968
s/w Fotografie, Farbfotografie
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
f+g
Environment-Transformer, 1968
Farbfotografie
courtesy: Archiv Klaus Pinter
Gelbes Herz / Yellow Heart (Modell / Model), 1968
Plexiglas, Metall, Schaumgummi / Acrylic glass, metal,
foam plastic
38 x 42 x 32 cm
courtesy: Museum Moderner Kunst Sammlung Ludwig,
Wien / Leihgabe der Artothek-BKA, Sektion Kunst
Mind Expander 2, 1968/69
Plexiglas, Aluminium, Polyester / Acrylic glass, aluminium, polyester
Sitzschale: 75 x 110 x 110 cm
Helm: Durchmesser 100 cm, H: 40 cm
Gesamt: H: ca. 150 cm, 25 kg
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
Room-Scraper, 1969
PVC, Siebdruck / PVC, screenprint
47 x 71,5 cm
Durchmesser, H: 240 cm
Foto: maschekS
Pneumacosm, 1967/2007
(ZAMP)
Collage / Collage
80 x 130 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
Foto: maschekS
Pneumacosm (Modell / Model), 1967
(ZAMP)
Plexiglas, PVC, Papier / Acrylic glass, PVC, paper
80 x 130 x 20 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
Foto: maschekS
Instant Situation, 1970
Collage / Collage
47 x 71,5 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
Foto: maschekS
Riesenbillard / Giant Billard (Modell / Model), 1970
Spanplatte, Kunststoff, Metallfedern, Schnur, inkl. angeschraubte Haube / Plastics, chipboard, metal, string acrylic glass
20,5 x 28,5 x 40,5 cm
courtesy: Deutsches Architekturmuseum Frankfurt a. M.
Foto: maschekS
Oxer 25° (Modell/ Model), 1970
Karton, Papier, Plexiglas / Paper, cardboard, acrylic glass
30 x 22,5 x 13,6 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
Foto: maschekS
LIVE Collage M20, 1970
Collage / Collage
50 x 70 cm
courtesy: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien
Oxer / Instant Situation 25°, 1970
(LAURIDS)
Graphit, Farbstift auf Transparentpapier / Graphite, coloured
crayon on transparent paper
50 x 65 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
LIVE, 1970
Plakat / Poster
Siebdruck / Silkscreen
59 x 84 cm
courtesy: Archiv Günter Zamp Kelp
HAUS-RUCKER-CO
LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Stella Rollig
Auf dem Prüfstand der Wieder-Holung
Von 2007 nach 1970, hin und retour
(Auszug aus dem Vorwort zum Katalog)
LIVE again ist keine Retrospektive der HAUS-RUCKER-CO. Es ist eine teilweise ReInszenierung der Ausstellung LIVE, die 1970 im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts gezeigt wurde. Im Zentrum steht das Riesenbillard, eine 225 m2 große, luftgefüllte Matratze mit
drei Kunststoff-Bällen, welche MuseumsbesucherInnen dazu anregt, körperlich – sportlich,
spielerisch – aktiv zu werden. Dass das weiße Mega-Objekt auch als makellose Skulptur
funktioniert, lässt sich im großen Saal des Lentos natürlich auch überprüfen. Unumgänglich
ist die physische Herausforderung beim Durchschreiten des Oxers, einer Schleuse in den
Ausstellungsraum.
Die Ausstellung LIVE von 1970 war eine radikale Formulierung, an die wieder zu erinnern
hochaktuell ist. Damals war sie Wegweiser auf den vielfältigen Bahnen, in welche die „Kreativen und Macher auf der Überholspur“ preschten, in einer Zeit des Auf- und Umbruchs, von
neuen Theorien und wagemutiger Praxis, von Pop und Spaß, von politischer Agitation – und
von der großen Hoffnung auf Kunst als Motor der Veränderung. Beinahe vierzig Jahre später
zeigt das Lentos die Re-Inszenierung unter fundamental anderen Bedingungen. Vielleicht
betrifft die wesentlichste Veränderung die nahezu vollkommen erreichte Ausrottung dessen,
was einmal als Euphorie für Visionen existiert hat. 2007: keine Euphorie, nirgends Visionen.
Es wäre naiv, LIVE again im Museum des beginnenden 21. Jahrhunderts als Schauplatz
oder gar als Modell neuer und alternativer Handlungsformen zu präsentieren. „Kunst“ und
„Leben“ haben sich schrecklich weit von einander entfernt – Kunst ist Kunst, und alles Andere ist alles Andere, wie der amerikanische Maler Ad Reinhardt vor Jahrzehnten noch als Forderung postuliert hat, der glaubte, dass man die Kunst vor der Vereinnahmung durch die
Konsumindustrie schützen müsste oder könnte. Die Vereinnahmung hat sich als unvermeidlich erwiesen. Doch es ist komplizierter: Die Kunst und ihre Institutionen existieren heute in
dem verwirrenden, unauflösbaren Paradox, den Regeln auf einem Markt der Unterhaltung,
des Luxus und der Moden entsprechen zu müssen und sich gleichzeitig dessen Verwertungslogik beständig zu entziehen. LIVE again im Lentos zeigt eine historische Arbeit, erinnert mit zahlreichen Dokumenten, Filmen und ergänzenden Artefakten an die Zeit ihrer Entstehung – und wirft aktuelle Fragen auf. Diese Fragen betreffen dringlicher den Status des
Museums, als aufs weite Feld einer Zeit- und Gesellschaftsdiagnose zu führen. Der Abstand
zum Lebensgefühl von 1970 wird angesichts der Originaldokumente überdeutlich. Doch LIVE
war auch eine Auseinandersetzung mit dem Museum, und diese Reflexion, im Hier und
Jetzt, wird in LIVE again mit dem Publikum geteilt.
Kontakt für die Zusendung von weiteren Informationen und Bildmaterial:
Mag.a Nina Kirsch, [email protected] oder +43(0)732/7070/3603
HAUS-RUCKER-CO
LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Andrea Bina
Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde? …
„… es gibt eine äußerst wichtige Tatsache, die das Raumschiff Erde betrifft: Es wurde nämlich keine Bedienungsanleitung mitgeliefert. Ich halte es für sehr aufschlussreich, dass es kein Anleitungsbuch für die richtige Bedienung unseres Schiffes gibt.
Wenn man sich vorstellt, mit welch unendlicher Sorgfalt alle anderen Details von unserem Schiff vor uns ausgebreitet sind, dann muß man es als absichtlich und planvoll
ansehen, wenn ein Anleitungsbuch fehlt.“ 1
In jeder Hinsicht kann das Jahr 1945 als eine kulturelle, soziale und intellektuelle
Stunde Null im Leben Österreichs betrachtet werden. Die Leistungen der Moderne
und ihre Avantgarde wurden mit alten Vorurteilen kritisiert und von einer konservativen Kulturpolitik in die Subkultur gedrängt. Jeder Protest gegen konventionelle Formen war in den 50er Jahren ein Skandal, weil der Begriff vom „grauen Klima“ nicht
nur einer des Stadtbildes war, sondern auch die geistige Nachkriegs- und Aufbausituation bezeichnend umschrieb: grau, das war gleichzusetzen mit bedrückend, genormt, verdrängt. In den 60er Jahren trat ein Wandel ein: die jungen Architekten und
Künstler verließen ihre Ateliers mit dem Anspruch, die Gesellschaft zu verändern.
„Die vordem mehr oder weniger getrennten Freundes- und Arbeitsgruppen der Maler,
Architekten, Literaten, Filmemacher, Bildhauer, Aktionisten usw. vermischen und verflechten sich zur „Wiener Underground Society“, deren Kunst, wie in New York, eine
Parallelität mehrerer Strömungen bildet.“2 Der technische Fortschritt schien mit der
ersten Mondlandung grenzenlos. Diese Entwicklung brachte eine Aufbruchstimmung,
die lautstark Aufsehen erregte, Spaß am Experiment und Interesse an neuen Materialien zeigte, sowie breites und überregionales Medienecho hervorrief. Im Jahr 1958
wurden drei Manifeste zur Architektur verfasst und öffentlich gemacht: Friedrich
1
Richard Buckminster Fuller: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften. Hrsg. Krausse, Joachim.
Verlag der Kunst, Amsterdam / Dresden, 1988. S. 48.
2
Fleck, Robert: Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan. Wien 195 4-1982. Kunst und Kulturbetrieb
in Österreich. Löcker Verlag. Wien, 1982. S. 230.
Hundertwassers Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur, Günther Feuersteins Thesen zur inzidenten Architektur und Arnulf Rainers
gemeinsam mit Markus Prachenskys verfasstes Manifest Architektur mit den Händen. „Wien Mitte der 60er Jahre. Im akademischen Treibhaus am Karlsplatz, in der
Technischen Hochschule, ist ein Ding im Entstehen, das später unter dem Namen
„Experimentelle Architektur aus Wien“ seiner Herkunft alle Ehre macht. Draußen hatten Pichler und Hollein bereits begonnen, mit dem einfallslosen und etwas bequemen
Rasterdenken der schulischen Architektur zu brechen. Drinnen, an der Lehrkanzel
Schwanzer, heizte Günther Feuerstein den Schülern mit Multi-Media-Shows ein. Die
Beatles probten „Sergeant Pepper“, der Bürgermeister hieß Marek und die Rolling
Stones mussten aus dem Hotel Imperial ausziehen. Kennedy war tot, Johnson steuerte beherzt durch den Vietnamkrieg, Hollywood verlor sein Publikum an Andy Warhol. Die HAUS-RUCKERCO steckten den Ballon für Zwei in der Apollogasse zum
Fenster heraus, die Coop Himmelblau füllten die Aula der Technischen Hochschule
mit Indiskin, Bazooka und Insider. Die Zünd up luden zum Autoflipper in die Tiefgarage und verschaukelten Professor Schwanzer auf einer Norton Commander. Designer, Architekten, Künstler, Kreative, Macher fuhren auf der Überholspur. Die Zeiten
waren jung. Man beschleunigte auf der Geraden und bremste den Vordermann in der
Kurve aus. Aktionen, Provokationen, Kaffeehausfehden waren an der Tagesordnung.
Jeder warf seine alten Platten weg, denn es gab neue Musik: die Beatles, die Rolling
Stones, Bob Dylan und Jimi Hendrix. Man trug die Haare lang, bunte Fetzen aus der
Carnaby Street und blaue Levis-Hosen. Und keiner war über 30. Junge Architekten
und Designer traten in Gruppen auf. Sie nannten sich Superstudio und Archigram
in Mailand und London. HAUS-RUCKER-CO und Himmelblau in Wien.“3
Die Gruppe HAUS-RUCKER-CO wurde 1967 von den Architekten Laurids Ortner
und Günter Zamp Kelp, sowie dem bildenden Künstler Klaus Pinter in Wien gegründet. Der Name sollte sowohl auf das Herkunftsland der drei hinweisen (der Hausruck
ist eine Region in Oberösterreich), als auch ihre Tätigkeit im übertragenen Sinn beschreiben: Alte Häuser wegrücken um Platz für neue Gestaltungsmöglichkeiten zu
schaffen.4 Die offiziellen Namen der Teammitglieder sind LAURIDS, ZAMP und PINTER. Die Namen wurden prägnant gewählt, zudem ist in diesem Ansatz ein humorvoller Umgang mit der Materie spürbar. Die folgenden Jahre sind durch eine Vielzahl
von Aktivitäten gekennzeichnet, die medial und international enorme Beachtung fin3
4
Coop Himmelblau : Flashback. Sie leben in Wien. Hrsg.: Peter Weiermair, Galerie im Taxispalais, Innsbruck 1975, o.S.
Arbeitsbericht der HAUS-RUCKER-CO, 1968.
den und einen elementaren Beitrag zur Neudefinition von Architektur und Kunst darstellten. Die Gruppe wurde im musealen und öffentlichen Raum aktiv: Ihr Thema war
das „Mind-Expanding-Program“ („drogenfreie Bewusstseinserweiterung“) und visionäre Stadtgestaltung. Unter dem Einfluss neuer Baustoffe entstanden Prototypen für
neue Wohnideen sowie Vorschläge zur Neugestaltung des menschlichen Lebensraumes Den ersten Erfolg brachte eine Beteiligung beim Wettbewerb „InterdesignMöbel zum Wohnen und Arbeiten im Jahr 2000“ der Christian Holzäpfel KG in
Deutschland (1967), bei dem neue Ideen für Arbeiten und Wohnen gefragt waren.
Eingereicht wurde der Mind-Expander 1 (Sessel für zwei Personen) und Pneumacosm5 , eine pneumatische Wohneinheit in Glühbirnenform. Diese Wohneinheit wurde fertig installiert geliefert und in die vorgesehene Halterung einer vertikalen städtischen Struktur gesteckt. „Mit dem Augenblick, da das Pneumacosm angesteckt ist,
funktioniert das Licht, man kann den Wasserhahn aufdrehen oder telefonieren.“6 Im
November 1967 präsentierte das Team die erste gemeinsame Arbeit: Vor Publikum
glitt der in grellen Pop-Farben bemalte PVC-Ballon für Zwei an einer Stahlkonstruktion frei schwebend aus dem Fenster einer Wohnung in der Apollogasse 3,Wien
7. Das Innere des Ballons bietet Platz für zwei Personen, darin verlobten sich Stoff
Superhuber, Bassist der Jack‘s Angels, und Maria Ebner. Im Jänner 1968 entstand
Connexion-Skin, ein pneumatischer Wohnraum als Swimmingpool-Accessoire bzw.
Prototyp eines intimen aufblasbaren Kugelhauses. 1968 wurde das Modell des Gelben Herzens (erster Name: Intim-R o o m ) vom damaligen Direktor Werner Hofmann für die Sammlung des Museums des 20. Jahrhunderts, Wien, angekauft und
im Frühsommer begann das realisierte Objekt Gelbes Herz (leicht transportables
Zuhause für Nomaden oder aber auch nur fürs Wochenende) in der Baugrube des
Polizeipräsidiums am Wiener Ring zu schlagen – eine sozialpolitische Gesellschaftskritik: ein pulsierender Raum für zwei Personen oder eine Zelle für Liebende, genau
dort platziert, wo man Zellen für Freiheitsberaubte wähnt. Interessant ist auch die
zeitliche und räumliche Nähe zur Aktion „Kunst und Revolution“, die im Hörsaal 1 des
Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien stattfand, die Otto Mühl gemeinsam
mit dem Literaten Oswald Wiener und dem sozialistischen Studentenverband organisiert hatte (Juni 1968). Diese Aktion fand als so genannte „Uniferkelei“ ihren Eingang
in die österreichische Kunstgeschichte. „Der Wiener Aktionismus feierte derartige
5
Es gab zwei Arbeitsteams: Helmut Grasberger, Manfred Ortner und Zamp Kelp stellten den Pneumacosm her. Angela Hareiter, Edith Ortner und Herber t Schweiger produzier ten mit Laurids Ortner den Mind-Expander. Gestaltung des Helms: Klaus
Pinter.
6
Texte der Künstler
Urständ, dass sich die Boulevardpresse noch wochenlang in der Thematik baden
konnte. Gestank aber passte uns damals nicht in die gelbgefärbte „Vanillezukunft“,
an die wir mit unbrechbarem Optimismus glaubten. Wir jedenfalls distanzierten uns
damals von der mit Fäkalien angereicherten Aktion hektografisch in DIN A 4-Form an
mehreren Stellen der Innenstadt.“7
Die Serie Environment-Transformer entstand: Fliegenkopf, Blickzerstäuber und
Drizzler. Facettenartige Kugelhelme, mit Stereokopfhörern und Farbbrillen ausgestattet, bewirken eine Intensivierung der optisch-akustischen Sinneseindrücke
(vgl. Leporello / Altarfaltung). Ergänzend zu den Projekten wurden die Electric Skins
entwickelt: transparente Kleider aus weicher PVCFolie, beklebt mit Leuchtstoffelementen.
1968 verzeichnet das Team Ausstellungsbeteiligungen in New York („Plastics as
Plastics“8 im Museum of Contemporary Crafts) und Wien („Neue Objekte“ im Museum des 20. Jahrhunderts). Im Mai1969 präsentierten sie in der „Kraftsporthalle“, dem
Turnsaal einer Schule, in der Schleifmühlgasse, Wien 4, Vanilla Future (auch „Playroom für Erika Pluhar und André Miriflor“ alias André Heller) Objekte für die neu entstandene Freizeitgesellschaft. Man wählte bewusst keinen konventionellen Raum zur
Präsentation, sondern schuf sich eine neutrale Situation: Die Turngeräte, die Geräte
zur sportlichen Betätigung wurden auf die Seite gestellt – die zur psychischen Er
tüchtigung nahmen für kurze Zeit deren Platz ein.9 Irritation soll Entspannung bewirken: „Unsere Objekte sind für eine Freizeitgesellschaft entwickelt, die das Sehen und
Hören verlernt hat, die nur schwach auf Reize reagiert, weil sie von Reizen überflutet
ist, … einfache physische und psychische Erlebnisse werden wieder bewußt und intensivier t, körperliche Fähigkeiten aktiviert. Spielzeug für Erwachsene, das Kontakt
simuliert, Kontakt zwischen zwei Menschen, einem Mann und einer Frau, die ihre
Umwelt und sich selbst völlig neu erleben.“10 Man agiert wie das Material, das man
für die Objekte einsetzt, denn die Leichtigkeit des Pneu ist „Religion“: flexibel, leicht
7
Kelp, Günter Zamp : Journal. In: HAUS-RUCK ER-CO. 1967 bis 198 3. Deutsches Architekturmuseum. Frankfurt am Main.
Verlag Friedrich Vieweg & Sohn. Braunschweig, Wiesbaden, 198 4. Seite 42. 1968 verzeichnet das Team Ausstellungsbeteiligungen in New York („Plastics as Plastics“)
8
Schon die erste TU Studentenexkursion in die USA (196 4, New Haven, Philadelphia, Chicago und Detroit) schuf neue Perspektiven. Die z weite USA Reise 1968 brachte Erkenntnisse in Bezug auf neue Verwendungszwecke der Objekte sowie Kontakte, die für die spätere Gründung von HAUS-RUCKER-INC. nicht unwesentlich waren.
9
Vgl.: Hollein, Hans: Die Komplexität menschlichen Lebens und Verhaltens soll in der gestalteten und geplanten Umwelt wieder gefunden werden. Architektur befasst sich daher nicht nur mit physischen, sondern auch mit psychischen Aspekten. Ambivalenz ist ein Kennzeichen der Architektur. Architektur ist sowohl Bedeutungsträger als auch Gerät. Architektur ist gewissermaßen angewandte Schizophrenie. ALLES IST ARCHITEK TUR! Transkription von der Single: Also wenn Sie mich fragen …wir
danken für das Gespräch, Herr Architekt. Hrsg.: Transparent, Manuskripte für Architektur, Theorie, Kritik, Polemik, Umraum.
Wien, 1972.
10
HAUS-RUCKER-CO: Text der Künstler zu Vanilla Future . Wien, 1968.
transportierbar, beweglich und spontan. Vanilla Future wurde auch im gleichen Jahr
in der Künstlervereinigung MAERZ am Linzer Taubenmarkt präsentiert.11 Man zeigte
Objekte, die weniger Kunstwerke als vielmehr Gebrauchsgegenstände mit spezifischen Funktionen sein sollen, wie etwa Battle Ship (Himmelbett), Room-Scraper
(Pneumatische Leuchte aus der Dose), Schalensitz (Sessel für Zwei), Environment-Transformer (Helme und Visiere), Shakebelt (Tanzgerät für zwei Personen).
Die Einladung zu einer Einzelausstellung in der Galerie Zwirner (Köln) im Herbst
1969, veranlasste die Künstler im selben Jahr zu einem wichtigen Schritt: Sie verlegten ihren Arbeitsort von Wien nach Düsseldorf, da man in Deutschland bessere Produktions- und Absatzbedingungen vorzufinden glaubte. Erklärtes Ziel war es, die Objekte des Mind-Expanding-Program in Serie zu produzieren und auf den Markt zu
bringen. Am Kölner Kunstmarkt zeigte Zwirner die Objekte Gelbes Herz, RoomScraper und Battle-Ship, dort lernten sie Alfred Schmeller kennen, den neu ernannten Direktor des Wiener Museums des 20. Jahrhunderts, und erhielten die Zusage,
die Eröffnungsausstellung seiner Direktionsära mit einer Einzelausstellung zu starten: LIVE – Wohnen im Museum. Allein dieser Titel kündet das Ende des klassischen, weitgehend passiven Museumsbesuchs an.
Das Lentos Kunstmuseum zeigt in seiner Ausstellung „HAUS-RUCKER-CO LIVE
again“ das Hauptstück Riesenbillard, sowie den Oxer (vgl. Text Pinter), ein Hindernis in Form eines gekippten Raumes, der beim Betreten der Ausstellungsräumlichkeiten Irritation bei den BesucherInnen auslöst, aus der Ausstellungsinszenierung
LIVE (1970)12. Das Riesenbillard, eine Mischform aus einem übergroßen Billard und
einem Boxring, ist eine 15 x 15 m große und 1 m hohe weiße pneumatische Matte,
worauf sich drei weiße luftgefüllte Bälle aus PVC befinden. Die Matratze kann als
Bühne fungieren, auf der die Menschen gleichsam zu AkteurInnen der Szenerie werden. Damals galt es, im Rahmen dieser Intervention, die museumsimmanente Sicht
aufzubrechen und den Status der RezipientInnen spielerisch zu hinterfragen. Das
Museum als Spielwiese? Fast 40 Jahre später, ist die Erwartungshaltung der Muse11
HAUS-RUCKER-CO präsentiert Vanille Zukunft . Künstlervereinigung MAER Z, Linz. 5.-20.6.1969. … eine mögliche Betriebsanleitung für den Mikrokosmos : das HAUS-RUCKER-CO Panorama
12
LIVE , Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, 07.02. -15.0 3.1970. Das Museumsgebäude (das 20er Haus, heute Teil des
Belvedere) wurde von Prof. Karl Schwanzer für die Weltausstellung in Brüssel 195 8 entworfen; dann nach Wien transferiert,
war es für lange Zeit der einzige Ort, an dem zeitgenössische und moderne Kunst präsentiert wurde. Schwanzer war Professor
an der Technischen Hochschule am Karlsplatz, Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp u. v. m. waren seine Studenten. Er vertrat im
Gegensatz zu Roland Rainer und Ernst Hiesmayr, die eine gemäßigte Architektur vertraten, eine moderne Richtung. Günther
Feuerstein war sein erster Assistent, der mit der Gründung der Klubseminare (veranstaltet in der Galerie nächst St. Stephan,
Wien 1.) „Grünes Licht“ für einen visionären und unkonventionellen Ansatz im Grenzbereich Architektur und Kunst gab.
umsbesucherInnen anspruchsvoller: Neben seinen Grundaufgaben (Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln) bietet ein Museum heute Unterhaltung auf hohem
Niveau. Die Gruppe erreichte mit der damaligen Präsentation, der „Funktionsänderung im Museum“, ihren ersten großen Durchbruch mit großer Breitenwirkung: Die
Schau wurde von 18200 Menschen besucht und erzeugte enormes Medienecho.
1970 brachten die Künstler ihre „gebaute Utopie“, ihre mögliche Betriebsanleitung, in
Form ihrer bis dato existierenden Objekte ins Museum. Sie richteten sich ihre eigene
Welt ein: LIVE – Wohnen im Museum war eine Ausstellung, die HAUS-RUCKERCO in Wien und New York inszenierten. „Für die Dauer der Ausstellung zogen wir ins
Museum13, um in den Ausstellungsräumen öffentlich zu wohnen - Wohnen hieß für
uns damals Leben mit dem Ergebnis von drei Jahren Arbeit. In die Realität der Ausstellung übersetzt, ergab das eine Mischung aus alltäglichen Wohnmöbeln und benutzbaren Objekten, sowie Gerätschaften aus eigener Produktion.“14 Der „erweiterte
Kunstbegriff“ von Joseph Beuys liegt nahe, mit dem die scheinbar unüberwindbare
Trennung von Kunst, Leben und Gesellschaft aufgehoben werden sollte. Das Leporello, das anlässlich dieser Ausstellung erschien, spiegelt das HAUS-RUCKER-CO
Panorama wider: Als Format wurde die Größe und das Aussehen eines Schallplattencovers gewählt, es deutet Nähe zur Musik der Beatgeneration an. Das Coverfoto
zeigt die drei Künstler selbstbewusst stehend im Oxer. Das Leporello einmal aufgeklappt, zeigt die reale Lebens- und Arbeitssituation der drei Künstler aus der Wiener
Zeit. Klappt man nun ein weiteres Mal auf, so offenbart sich die Utopie der HAUSRUCKER-CO-Welt: Angesiedelt in einer wüstenähnlichen Landschaft, tummeln sich
zwischen ZAMPs Architekturtrainer und der 47. Stadt von LAURIDS15 drei Astronauten (Rocket-Belt-Men). Die Künstler stellen sich selbst mit Enviroment Transformern dar: LAURIDS trägt den Fliegenkopf, ZAMP den Blickzerstäuber und
PINTER den Drizzler. Ganz rechts, collagenartig eingebaut, eine Fotografie des
Düsseldorfer Atelierhauses, Inselstraße 32, an dem ein Pneumacosm am Fenster
andockt. Drei heliumbefüllte, mit Antriebsaggregaten ausgestattete Room-Scraper
und zwei pneumatisch bewegliche Richtungsweiser nehmen, ausgehend vom Ate-
13
Das Vor haben der Künstler, für die Dauer der Ausstellung im Museum zu wohnen – zu diesem Zweckstellten sie Teile ihrer
Zimmereinrichtungen auf –, wurde aus versicherungstechnischen Gründen auf die Öffnungszeiten des Museums beschränkt.
14
Kelp, Günter Zamp : Journal. S.58-59.
15
Der Architekturtrainer und die 47. Stadt wurden bei folgender Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan präsentier t:
„Urban Fiction – Leitbilder für die Stadt der Zukunft“. Aktion und Ausstellung. Veranstaltet vom Katholischen Akademiker verband der Erzdiözese Wien. 30. und 31.1.1967. Gestaltet vom Klubseminar der Architekturstudenten (Günther Feuerstein).
Neben Laurids Ortner und Günter Kelp nahmen auch Hans Hollein, Walter Pichler, Wolf D. Prix, Carl Pruscha, u.a. teil. Vgl. Bau
1/1967, S.23.
lier, Kurs auf die Stadtmodelle. Heute sind fast alle Objekte der Künstlergruppe
HAUS-RUCKER-CO in musealem Besitz: Das Gelbe Herz und der Mind-Expander
1 gehören der Sammlung Centre Georges Pompidou in Paris, der Fliegenkopf dem
Museum of Modern Art in New York, Battleship, ein Mind-Expander 2 und das Modell des Gelben Herzens dem Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und
das Lentos besitzt einen Schalensitz sowie einen Room-Scraper.
„Was Architektur ist, habe ich noch nie gewusst oder wieder vergessen. Was ich sehe, sind Ansammlungen von Klötzen, die in der Gegend herum stehen. Klötze sind
Häuser und alles zusammen, drum herum, drinnen und draußen heißt Architektur.
Nun ja, da kann doch das oberste Architekturprinzip in Zukunft nur mehr abräumen
heißen. Architektur wird nur mehr danach
bewertet, wie rasch und leicht sie abzuräumen ist. Statt Umraum- werden Abräuminstitute geschaffen. Architekten werden verpflichtet ihre Häuser in einen großen Müllverwerter zu rücken. Einfach hinein rücken. Und all diese Architekten, die Häuser so
rücken, wären Hausrucker. Ja Hausrucker!“16
16
Ortner, Laurids : Transkription von der Single: Al so wenn Sie mich fragen …wir danken für das Gespräch, Herr Architekt.
Hrsg.: Transparent, Manuskripte für Architektur, Theorie, Kritik, Polemik, Umraum. Wien, 1972.
HAUS-RUCKER-CO
LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Biografien
HAUS-RUCKER-CO
1967 Gründung von HAUS-RUCKER-CO durch Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und Klaus
Pinter in Wien
1970 Eröffnung von Studios in Düsseldorf und New York
1971 Eintritt von Manfred Ortner
1972 Eigenständige Studios HAUS-RUCKER-CO in Düsseldorf (mit Laurids Ortner, Günter
Zamp Kelp und Manfred Ortner) und HAUS-RUCKER-INC. New York (mit Klaus Pinter, Caroll Michels u. a.)
1977 Auflösung von HAUS-RUCKER-INC. New York. Beginn selbstständiger Tätigkeit von
Klaus Pinter als freier Künstler und Caroll Michels als Schriftstellerin
1987 Eröffnung eigenständiger Architekturbüros durch Laurids Ortner und Manfred Ortner,
und Günter Zamp Kelp.
1992 Auflösung von HAUS-RUCKER-CO
LAURIDS Ortner
Architekturstudium an der TU Wien.1967 Mitbegründer der Architekten- und Künstlergruppe
HAUSRUCKER-CO in Wien. Von 1970-87 Atelier HAUS-RUCKER-CO in Düsseldorf mit
Günter Zamp Kelp und Manfred Ortner. 1976-87 Professor an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Seit 1987 Professor für Baukunst an der Staatlichen
Kunstakademie Düsseldorf. (www.ortner.at)
Günter ZAMP Kelp
1941 geboren in Bistritz, Transsylvanien / lebt in Berlin. 1959-67 Studium der Architektur TU
Wien. 1967-69. Assistent bei Prof. Dr. Karl Schwanzer / TU Wien. 1967 Gründungsmitglied
HAUS-RUCKER-CO. 1981 Gastprofessor Cornell University, New York und Gastprofessor,
Design, Hochschule d. Künste, Berlin. 1987 Eröffnung eigener Studios in Berlin und Düsseldor f. 1987 Gastprofessor für Architektur, Städelsche Kunstschule, Frankfurt. Professur für
Gebäudeplanung und Raumgestaltung, Universität der Künste, Berlin. 1996 Gastprofessor
für Architektur, TU Wien. 2004 Gastprofessor für Architektur, Bauhaus Universität Weimar.
2006 Vorsitzender im Beirat für Stadtgestaltung, Linz. (www.zamp-kelp.com)
Klaus PINTER
geboren 1940 in Schärding am Inn, war Mitbegründer der HAUS-RUCKER-CO (Wien, Düsseldorf) bzw. HAUS-RUCKER-INC. (NYC). Nach sieben Jahren New York und mehrjährigen
Aufenthalten in Bonn und Belgrad lebt Pinter in Wien und Paris. Er beschäftigt sich zur Zeit
mit Installationen ephemerer Großplastiken in historischen Gebäuden, z.B. Pantheon Paris,
2002, Parochialkirche Berlin, 2005, Albertina, Wien 2006. (www.klauspinter.net)
Manfred Ortner
Studium der Malerei und Kunsterziehung an der Akademie der Bildenden Künste Wien, Geschichte an der Universität Wien.1966-71 Lehrtätigkeit al s Kunsterzieher. 1971-87 Atelier H
AUS-RUCK ER-CO in Düsseldorf mit Günter Zamp Kelp und Laurids Ortner. 1993 Mitglied
der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Seit 1994 Professor für Entwerfen, Architekturfakultät FH Potsdam. (www.ortner.at)
HAUS-RUCKER-CO
LIVE again
16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Laurids Ortner
Zu neuem Raum
Die sechziger Jahre waren auf das Tagesgeschehen gerichtet. „Jeder Mensch soll einen Tag
weltberühmt sein“, forderte Warhol. Und hier bot der Tag auch eine farbige Einheit, positiv
nach vorne mit dem nächsten verbunden. Die Welt schien im Großen und Ganzen besseren
Zeiten entgegenzugehen, und mit der eigenen Zeit fühlt man sich eins wie nie zuvor. Alltag
war mit einem Mal etwas, das nicht grau zu sein brauchte. Die Massenmedien hatten nun in
vollem Umfang das tägliche Leben erfasst. Die Übertragungen von den Mondlandungen
wurden zu historischen Ereignissen, die sich erstmals vor einem Großteil aller Menschen
abspielten. Geschichtlichkeit fiel hier mit dem Zeitpunkt des Geschehens zusammen.
Technische Entwicklung zeigte sich weitgehend ohne Grenzen, jedenfalls aber ohne besorgniserregende Nebenwirkungen. Heitere Zuversicht, durch Werbung lange aufgebaut, formte
eine schillernde Blase, in der das ganze Leben Platz zu haben schien. Veränderungen erfassten den eigenen hausbackenen Bereich. Etwas war in Bewegung gekommen, das die
zwanzigjährige Verbiestertheit des Wiederaufbauens und Schaffenmüssens abzulösen begann. Eine Zeit fand offensichtlich zu sich selbst, aus Freude am heutigen Tag kommende
Probleme nach Kinderart einfach beiseite schiebend. Was dieser Phase später als unkritisch
und unreflektiert vorgehalten wurde, lag in jener Sinnlichkeit, die in den Jahren danach so
gründlich verloren ging.
POP war die Zauberformel. Mit neuen Farben und neuen Tönen brachte sie eine lang vermisste Lebenslust. Abgestandenes kam endlich in Fluss und Jugendlichkeit entpuppte sich
als wesentliches Kriterium, das trotz „Trau keinem über 30“-Sprüchen auf keine Altersgruppe
beschränkt war. Sich zu schmücken, mit grellen Nichtigkeiten zu umgeben, erwies sich als
eine Form von Überfluss, an dem alle teilhaben konnten, der alle Unterschiedlichkeiten mit
bunter Schicht bedeckte. Kritik am Unzulänglichen äußerte sich allenfalls spielerisch, das
Weltgefühl stimmte ja und bot auch den Widersprechenden eine Zukunft – wie überhaupt
Zukunft als ein Begriff ungebrochene Möglichkeiten anbot, gleichgültig, wohin man sich auch
wenden mochte. Das Bild einer „besseren“ Welt schien zum Greifen nahe: Gemeinsam aufbrechen zu neuen unbekannten Möglichkeiten. Die Eroberung des Mondes war nur äußeres
Zeichen dafür.
Unsere früheren Projekte waren von technischen Neuerungen geprägt. Die Situation des
Astronauten, der mit Hilfe der Technik neuen Raum erleben konnte, betrachteten wir als Modellfall einer „bewusstseinserweiternden“ Architektur. Der Traum, durch architektonische Vorrichtungen eine erlebbare Steuerung des Bewusstseins vorzunehmen, schien durch die vorgeführten Erfahrungen der Weltraumfahrt und der halluzinogenen Drogen in machbare Bereiche gerückt. Architektur als wohlwollender Transformer, der das Bewusstsein seiner Nutzer direkt zu prägen imstande ist. Die grundsätzlichen Überlegungen für die dabei entwickelten Geräte und komprimierten Räume setzten immer am selben Anfangspunkt an: Die RückZerlegung von Wahrnehmung in Einzelempfindungen bei gleichzeitiger Verstärkung und Verfremdung sollte zu einer nachhaltigen Intensivierung des visuellen Erlebens führen. Als Ziel
stand vor Augen, aus den Bildern der Umwelt direkt den Saft für rasche und totale Erweiterung des eigenen Bewusstseins zu pressen, kalt-mechanisch, im Unterschied zur heißen
Chemie der Drogen. In der Folge entstand eine Reihe von Projekten, die im Kleinen als tragbares Equipment, im Größeren als möbelartige Vorrichtungen und Minimalräume diese Ideen umsetzen sollten. Insbesondere beschäftigten uns Versuche, neue Raumbedingungen
aufzuspüren, die sowohl ein verstärktes Empfinden bewirken als auch eine Reduktion der
dafür notwendigen Baustoffe mit sich bringen. Kugelförmige Membranen, die durch eingeblasene Luft in ihrer Form getragen wurden, boten dafür beste Voraussetzungen. Ein kleines
Aggregat verwandelte Luft zum Baustoff, der gegebenenfalls auch durch chemische Zusätze
angereichert werden konnte, um auf die physischen und psychischen Funktionen der Benutzer besonders einzuwirken. Architektur aus Luft: eine technisierte Rückkehr zu den Wurzeln
des Bauens. So könnten auch die gestellten Ansprüche an Mobilität und Veränderbarkeit
durch weiche, flexible Bauformen erfüllt werden. Der rechte Winkel als Prinzip aller starren
Strukturen ließe sich ohne formale Willkür, allein durch die Eigenschaft der neuen Materialien, überwinden. Welche Möglichkeiten! Eine Gesellschaft schon dadurch zu verändern,
dass sie sich nun in weich-fließender Umgebung befinden würde: auf weichen Schwüngen
auch in anderes Denken hinüber gleitend. Dass diese Versuche in einem frühen Stadium
stecken blieben und angestrebte Wirkungsweisen im besten Fall nur angedeutet wurden,
ändert nichts an der Richtigkeit des Ansatzes. Es wird nicht allzu lange dauern, und die
Kraftströme, die von Räumen, von Baumasse, vom gebauten Umfeld insgesamt ausgehen,
werden sich gesetzmäßig bestimmen lassen. Das wird der Aufbruch zu einer neuen Architektur sein.
Erstabdruck: Katalog „Haus-Rucker-Co 1967 bis 1983“
Braunschweig 1984, S. 70–71
HAUS-RUCKER-CO
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16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
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Günter Zamp Kelp
WIND, SCHAUM, RAUMGEFÜHL
WIND entsteht aufgrund von Temperaturunterschieden in der Luft. Warme Luft steigt auf,
kalte Luft drängt nach. Luft gerät in Bewegung, Wind entsteht.
Wind als horizontal wirkende Antriebsquelle, mit der Entdecker wie Magellan, Marco Polo
und Christoph Kolumbus die Weltmeere besegelten, um unbekannte Erdteile zu entdecken,
wurde in unserem Bewusstsein zum Symbol für Erneuerung und Veränderung.
Vor siebzig Jahren schrieb Walter Benjamin vom Angelus Novus, dem Engel der Zukunft,
der die zurückblickenden, verharrenden, am Gesicherten festhaltenden Kräfte der Gesellschaft mit dem Wind aus seinen Lungen hinweg bläst.
Wind, als Synonym für Abenteuer, Veränderung und Erweiterung unseres Erlebnisspektrums, war ein wesentlicher Bestandteil jener architektonischen Prototypen aus den 1960er
Jahren, die unter anderem zum innovativen Potenzial jener Tage beigetragen haben.
Die Konstruktionsweisen dieser Objekte machten es möglich, Räume zu krümmen, sie zu
verbiegen und auf diesem Weg bis dahin nicht gekannte Wahrnehmungsphänomene aus
Luft und Kunststoffmembranen zu erzeugen.
Die pneumatisch, luftgetragenen Raumgebilde von HAUS-RUCKER-CO, einer Formation
von Architekten und Künstlern, die im Herbst 1967 von Laurids Ortner, Klaus Pinter und mir
gegründet wurde, entstanden vor diesem Hintergrund in den Jahren von 1967 bis 1972.
SCHAUM
In seinem Buch über Schäume beschreibt Peter Sloterdijk das moderne Appartement „als
atomare oder egosphärische Form – folglich als zellulare Weltblase, aus der durch massenhafte Wiederholung individualistische Schäume entstehen“.17
17
Sloterdijk, Peter: Architektur des Schaums. In: Arch+ 169/70.
Er beschreibt den aktuellen Zustand unserer westlichen Gesellschaft als eine Ansammlung
egomaner Individuen mit begrenzter Bindungsfähigkeit.
Die Wohnexperimente von HAUS-RUCKER-CO sahen diese Entwicklung unserer Gesellschaft voraus. Wir spürten erste Ansätze für diese Tendenzen individueller Vereinzelung und
entwickelten im Mindexpanding program benützbare Räume in Form pneumatischer Blasen,
die die zentrale Aufgabe hatten, Kommunikation zwischen den Menschen zu injizieren oder
zu fördern.
Der <Ballon für 2> erfüllt in der seinerzeit materialisierten Form konstruktiv und funktional,
als Kugel, einen Ort, in dem sich Menschen aufhalten können. Dabei liegt die Betonung auf
dem Plural des Begriffs <Mensch>, also <Menschen> da im Zentrum der pneumatischen
Konstruktion Sitzschalen für 2 Personen vorgesehen waren. Diese beiden Personen traten
aufgrund der exponierten Einzigartigkeit ihrer Situation im Ballon gezwungenermaßen zueinander in Beziehung.
Im Zentrum der transparenten, luftgetragenen Kugelblase sitzend, beobachtete das Menschenpaar gemeinsam den außenliegenden Umraum, der durch die durchsichtige, mit Kraftlinien tätowierte PVC-Haut des Ballons nur unscharf wahrnehmbar war. Neben dem Beziehung schaffenden gemeinsamen Erlebnis im Ballon war wie auch bei den Environment
Transformern, bei Fliegenkopf, Blickzerstäuber und Drizzler die Schärfung der Sinne und der
Wahrnehmungsfähigkeit Konzept. Der Ballon für 2 war also auch ein Umwelttransformer für
2 und insofern voll auf das städtische Umfeld bezogener Teil des Mindexpanding programs,
das beim Thema Bewusstseinserweiterung nicht auf Drogen, sondern auf Beziehungserlebnisse setzte.
Im Gegensatz dazu steht das Gelbe Herz, welches noch Ende 1967 in Form eines Modells
Werner Hoffmann, dem damaligen Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts, Wien, präsentiert wurde‚ um eine Befürwortung einer staatlichen Förderung zur Realisation zu erhalten, die dann auch gewährt wurde.
Das Gelbe Herz, als Raum, der sich pulsierend in seinen Dimensionen zusammenzieht und
erweitert, verzichtet zum Teil auf die Außenbeziehung. Es schwebt unabhängig von städtischen Strukturen an einer Stahlkonstruktion, scheinbar schwerelos über dem Boden. Im
Zentrum des Raumes eine Ebene, auf der zwei Personen liegen können, um sich ganz auf
den sich rhythmisch verändernden Raum und auf die jeweils zweite anwesende Person zu
konzentrieren. HAUS-RUCKER-CO schrieb damals zu diesem Objekt:
„Das Gelbe Herz gibt die Möglichkeit, die reale Umwelt für bestimmte Zeitabschnitte zu verlassen, einen Raum aufzusuchen, der einen starken Gegensatz zur natürlichen Umwelt darstellt. Die Zeit, die man im Gelben Herz verbringt, hat ihren eigenen Rhythmus, dem man
sich anpassen muss. Die optischen und akustischen Eindrücke verhelfen den Benützern zu
einer neuen Art der Entspannung. Die weiche, pulsierende Bewegung des Zelleninnenrau-
mes bewirkt eine allgemeine Auflockerung des Befindens. Gelöst und locker kehrt man in
den Alltag zurück.“ (Haus-Rucker-Co, 1968)
In bestimmter Weise nehmen die Blasen von HAUS-RUCKER-CO aus den 1960er Jahren
das egosphärische Weltbild Sloterdijks vorweg. Ergänzt um das klassische Element des
Kommunikativen, das sich einer absehbaren Entwicklung entgegenzustellen versucht. Im
individualistischen Schaum Sloterdijks aus massenhaft wiederholten 1-PersonenAppartements fungieren diese Blasen als Wohnräume auf Zeit, in denen bei Bedarf regenerative Zweisamkeit geübt wird. Und zwar ohne Zuhilfenahme von technischen oder chemischen Hilfsmitteln, reduziert auf das Wesentliche, umgeben von der Aura des Exotischen.
Pneumacosm, eine Wohneinheit für 10 bis 13 Individuen, stellt in der Reihe von prototypischen Wohnsituationen der Gruppe HAUS-RUCKER-CO einen Endpunkt dar, obwohl seine
Entwicklung als Projekt zeitlich am Anfang stand. Als Serienprodukt konzipiert bildet es megastrukturelle Formationen, die als „architektonischer Schaum“ anno 1967 die städtischen
Oberflächen des New Yorker Stadtteils Manhattan überzogen. Analog zu Sloterdijks Schaum
bildenden, blasenförmigen 1-Personen-Appartements ist Pneumacosm durch einen Kugelgroßraum definiert, in dem alle erforderlichen Wohnfunktionen enthalten sind. Die äußere
Hülle gibt den Bewohnern der Wohneinheit, ähnlich wie in einem Großraumwagon der Bahn
oder einem Flugzeug, das Gefühl, allein, auf sich gestellt zu sein, jedoch zugleich die Option,
mit anderen im Großraum Anwesenden kommunizieren zu können. Kleine, im Großraum
eingestellte Zellen bieten die zusätzliche Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Wenn wir den Umwelttransformer Fliegenkopf als benützbaren Raum für den menschlichen
Kopf als Ausnahme betrachten, dann haben die hier beschriebenen Prototypen eine wesentliche konstruktive Gemeinsamkeit. Sie scheinen die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren
und getragen von Luft frei im Raum zu schweben. Dabei sind sie jedoch sehr wohl auf das
konstruktive und soziale Gerüst des existenten Gesellschaftsraumes angewiesen. Also auch
und vor allem auf die Strukturen der immobilen Stadt, die sie ergänzen und aufwerten. Insofern stehen sie im Gegensatz zu den utopischen Überbauungen der Neubabylonier und zu
Constant Nievwenhuys. Nicht Neubeginn, sondern Fortentwicklung, nicht Utopie, sondern
Realisierbarkeit, ist hier das Thema.
Die seinerzeit realisierten Prototypen mussten zugegebenermaßen durch konzeptionelle
Imagination ergänzt werden. Sie sind jedoch beim heutigen Stand der Technik zur funktionalen Serienproduktionsreife weiterzuentwickeln. Dies gilt auch und vor allem für die Wohneinheit Pneumacosm. Egal, ob sie für einen oder für 13 Menschen ausgelegt wird. Ihre mögliche modifizierte Umsetzung, als attraktives Szenario für die erste Welt, ist eher eine Frage,
wann die traditionsorientierte Stimmung der Gesellschaft sich wieder auf die Gegenwart besinnt.
Eine modifizierte Weiterentwicklung dieses Wohnkonzeptes bezogen auf das Weltverständnis Sloterdijks als individuelle Wohnblase, ausgestattet mit den Errungenschaften einer aktuellen Kommunikationstechnik, erscheint somit auch als eine Frage des Bedarfs.
RAUMGEFÜHL
Live-Wohnen im Museum war eine Ausstellung, die HAUS-RUCKER-CO 1970 in Wien und
New York inszenierte. Für die Dauer der Ausstellung zogen wir ins Museum, um in den Ausstellungsräumen öffentlich zu wohnen. Wohnen hieß für uns damals Leben mit dem Ergebnis
von drei Jahren Arbeit. In die Realität der Ausstellung übersetzt, ergab das eine Mischung
aus alltäglichen Wohnmöbeln und benutzbaren Objekten sowie Gerätschaften aus eigener
Produktion.
Das Museum, üblicherweise Friedhof der Kunst, veränderte sich durch die hinein gestellte
Atmosphäre aus Arbeit und Privatheit dreier Individuen, die zusammen HAUS-RUCKER-CO
ergaben.
Das Riesenbillard als Spielzimmer für Museumsbewohner und -besucher sorgte für einen
Ansturm von Menschen, der das Aufsichtspersonal erzittern ließ. Die Szenerie aus Wohnen
und Arbeit vermittelte den Besuchern ein Gefühl von Selbstverständlichkeit, welche die geschaffene HAUS-RUCKER-CO -Privatheit überlagerte und in ihrer Vielfältigkeit zur Entweihung des Museums beitrug. Der Sprung eines überambitionierten Besuchers von einem Balkon des New Yorker Museum of Contemporary Crafts auf das Giant Billard hatte einen Beinbruch zur Folge, schließlich die Anbringung eines Schildes mit der Aufschrift Don’t jump from
the balcony. So kam es, dass ausgerechnet ein Verbotsschild auf die zahlreichen, für Museen unorthodoxen Vorfälle während der Ausstellung aufmerksam machte.
Das Giant Billard oder Riesenbillard war damals auch ein Objekt, das neben seiner elementaren, wuchtigen Erscheinung im Ruhezustand seine Akteure mit neuen, ungewohnten Formen der Bewegung konfrontierte. Es ging also um eine neue Erfahrung im Verhältnis zwischen Raum und Körperlichkeit und um die Infragestellung der Normalität.
In seinen Schriften verweist Buckminster Fuller auf ein Bewusstseins- und Wahrnehmungsphänomen in der zurzeit lebenden Weltgesellschaft, wonach gegen besseres Wissen für die
Menschen die Sonne am Abend nach wie vor am Horizont untergeht und sich nicht die jeweiligen Beobachtungsstandorte der Erdoberfläche von der Sonne wegdrehen, wie dies die Astronomen vor langer Zeit erkannt haben.
Es ist dies ein Zeichen für die Verspätung unseres Bewusstseins durch Gewohnheit und
mag auch mit unserer Überforderung in der rasch voranschreitenden Entwicklung im kommunikativen Bereich zu tun haben, welche Tendenzen zur Vereinzelung in den zurzeit vitalen
Generationen von Menschen auslöst.
Anno 1967 war das Mindexpanding Program von HAUS-RUCKER-CO ein Konzept zur Erweiterung unseres Erlebnisspektrums und zur Förderung der Kommunikation im humanen
Mikroklima. Ein Entwurf zur Beendigung bourgeoiser Langeweile. Heute hat sich dieses seinerzeitige Empfinden von Langeweile ins Gegenteil verwandelt. Aus dem Erlebnisvakuum ist
ein Wahrnehmungsüberangebot geworden, welches unsere biologischen Voraussetzungen
bis zur Leistungsgrenze fordert.
Dieser Zustand schafft Sehnsucht nach stabilen Verhältnissen aus der Vergangenheit, die
etwa in städtebaulichen Positionen des New Urbanism zum Ausdruck kommen, der ja eigentlich Traditional Urbanism heißen müsste.
In einem Zeitabschnitt, wo die Technik der Weltraumfahrt sich angeschickt hat, den Himmel
mit Raumkapseln, Satelliten und Teleskopen zu erobern und Astronauten die Rolle von Marco Polo, Magellan und Kolumbus übernehmen, muss auch über eine Weiterentwicklung unseres Wohnraumgefühls nachgedacht werden. Nach wie vor ist in unserem Bewusstsein der
Boden, gestützt durch die Erdanziehung, der wichtigste Bereich unserer Wohn- und Aufenthaltsräume.
Möglicherweise ist die funktionale und emotionale Eroberung der Raumdecken, der Plafonds, in Analogie zur Eroberung des Firmaments durch die Astronauten, ein erster Schritt
zur Transformation von Bewusstsein in Richtung zeitgemäßes Raumgefühl und führt so zu
einer neuen Sicht und einem neuen Umgang mit den Phänomenen unserer Tage.
HAUS-RUCKER-CO
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16.11.2007 – 16.3.2008
Pressetermin: Mi. 14.11.2007, 10 Uhr
Eröffnung: Do. 15.11.2007, 19 Uhr
Klaus Pinter
Außer Balance
Klaus Pinter im Gespräch mit Marion Geier, St. Trojan, 2007
„HAUS-RUCKER-CO LIVE again“ lautet die nun in Linz stattfindende Schau, die sich
auf die 1970 in Wien und New York gezeigten Ausstellungen bezieht. Das zentrale Element ist das Giant Billard. Wie entstand eigentlich die Idee das Objekt in dieser Form
zu realisieren?
Durch das Engagement des damaligen Direktors Alfred Schmeller, der das „Museum des 20.
Jahrhunderts“ von Werner Hofmann – der uns ebenfalls sehr unterstützt hat – übernommen
hatte, entstand die Idee zur Neueröffnung ein größer dimensioniertes Projekt umzusetzen.
Ausgehend von den vorgegebenen Proportionen der Architektur von Karl Schwanzer, die im
unteren Teil einen Atrium ähnlichen, quadratischen Raum aufwies, überlegten wir, was dort
realisiert werden könnte. Es wurde mit Schmeller sehr viel nachgedacht, diskutiert und getrunken, bis das Giant Billard seine Form bekam.
Rein technisch und von unserer Geschichte her war es nahe liegend, eine pneumatische
Konstruktion zu entwerfen. Zamp hat dann den Innenaufbau dieses heute in 1000-facher
Kopie und damals erstmalig entstandenen Objekts technisch sehr gut in den Griff bekommen, sodass große Gruppen von Menschen darauf spielen, springen, Salto schlagen konnten und somit quasi selbst zum Kunstwerk wurden.
Ähnliche pneumatische Objekte haben heute in verschiedenen Formen Eingang in
unseren Alltag gefunden. Können die damaligen Ideen, die in Zusammenhang mit der
Neuartigkeit eines solchen psychisch-physischen Erlebnisses standen heute überhaupt noch transportiert werden?
Jede Wiederholung bringt definitiv Probleme mit sich, das ist gar keine Frage. Ich erinnere
mich noch sehr gut an die Eröffnung im 20er Haus. Vor mir stand Karl Schwanzer mit Otto
Mauer, beide mit weit aufgerissenen Augen, die Leute in ekstatischer Stimmung und wilder
Bewegung betrachtend. Es war an ihren Gesichtern abzulesen, dass mit diesem Eingriff etwas radikal Neues in der Museums- und Kunstlandschaft begonnen wurde.
Lebendige Kommentare, die den damaligen Zeitgeist angemessen dokumentieren sind notwendig. In der Düsseldorfer Kunsthalle 2007 wurde das durch die Präsentation eines Konglomerats verschiedener Kunstprodukte derselben Zeit versucht.
Wäre es dann nicht folgerichtiger – um eine bewusste Auseinandersetzung des heutigen Ausstellungsbesuchers mit der ursprünglichen Rezeption zu erzielen – das Objekt
als nicht begehbares, nicht benutzbares Werk auszustellen?
Ich finde die Idee der puritanischen Ausstellungslösung nicht schlecht, jedoch ist es verständlich, dass man auf das „Zuckerl“ Bewegung, Aktivität und Partizipation nicht verzichten
möchte. Das ist in erster Linie die Plattform, die auch heute noch nach außen wirkt – selbst
wenn es schon tausendmal wiederholt wurde. 1970 war dies etwas völlig Neues und hat daher ungewohnte Reaktionen der Museumsbesucher ausgelöst.
Das Projekt wurde öfters in Frage gestellt u.a. in der FAZ durch den Kritiker Georg
Jappe, der anlässlich von „between 5“( 1970) in der Düsseldorfer Kunsthalle meinte,
es sei „die erfolgreichste Ausstellung, die es je gab – für Kinder“. Mit dem Zusatz
zweifelte er den Kunstcharakter generell an.
Die Publikation eines solchen Artikels in der FAZ war für uns natürlich nicht überraschend.
Genau dieses erstarrte Kunstverständnis wollten wir aufbrechen. Die konservative Seite war
gegen derartige Entwicklungen, während die extreme Linke ein Konzept, das auf spielerisches, freudiges, lustvolles Erleben des Betrachters abzielte, nicht nachvollziehen konnte. In
ihren Augen hätte man die „Bude [das Museum] anzünden müssen“, um etwas zu verändern. Ähnlich dachten einige Personen im Kreis der Aktionisten in Wien, die damals versuchten, das Letztmögliche in ihren Aktionen umzusetzen. Paradoxerweise sind es u.a. Vertreter
aus diesem Eck, die sich heute in den Museumshallen sehr wohl fühlen und sie für ihre Geschäfte nutzen.
Welche Art des Informationsaustauschs und der Diskussion gab es zwischen HAUSRUCKER-CO und experimentierenden österreichischen Künstlern Ende der 60er Jahre? Vor allem die jungen Architekten an der Wiener TU hoben sich von ihren internationalen Pendants besonders durch Agieren und Produzieren ab.
Die damalige Szene war kurzfristig tatsächlich von einem für Wien eher seltenen lebendigen
Austausch zwischen Schriftstellern, Malern, Architekten, Bildhauern und Theaterleuten gekennzeichnet, die sich vor allem in verschiedensten Beisln und Kaffeehäusern immer wieder
trafen. Was uns verband, war der Widerstand gegen alles, was mit Obrigkeitsstaat und der
eingeschlafenen Kulturgesellschaft zu tun hatte. Durch Oswald Wiener waren verschiedene
Programme und Aktionen diskutiert und realisiert worden, die über einen längeren Zeitraum
wirken sollten.
Die politischen Ideen der verschiedenen Gruppen ab 68 – angetrieben natürlich u.a. von den
Revolten in Paris und Berlin – waren sehr ähnlich, jedoch unterschieden sich die Vorstellungen der Umsetzung. So war zum Beispiel der „Uni-Event“ der Aktionisten sehr kurzfristig in
der Nacht vor der Präsentation unseres Gelben Herzens in der Baugrube des Polizeipräsidiums am Ring angesetzt worden. Die Stimmung war plötzlich durch Nervosität und Konkurrenzdenken gekennzeichnet und das war in den Aktionen auch spürbar. Mit dem Vorpreschen der Aktionisten fand die sukzessive Steigerung des langfristig geplanten Widerstands
ein abruptes Ende. Die Besetzung des Burgtheaters u.a. war aus diesem Grund nicht mehr
möglich bzw. nicht mehr sinnvoll.
LAURIDS, ZAMP und ich haben unsere Ideen mit heute unvorstellbar beschränkten Mitteln
und sehr viel persönlichem Einsatz dreidimensional umgesetzt und 1:1 produziert. Das Agieren hat uns dabei weniger interessiert. Das Nachklingen des barocken Theaters, wie Günther Feuerstein diese Zeit beschrieb, spielte sich auf mehreren Ebenen ab.
Sie trennten sich 1977 von den Haus-Ruckern. Was blieb von den damaligen Ideen?
Das Prinzip der Gegensätzlichkeit ist in meiner Arbeit sehr wichtig geworden. In LIVE wurde
es zuerst durch die Zurschaustellung der eher geschmacklosen, armseligen Möbel unserer
damaligen Wohnquartiere vis à vis der neu erfundenen Kunststoffwelt, die unsere Zukunftsvorstellungen repräsentierte, deutlich gemacht.
Das zweitgrößte und ebenfalls begehbare Objekt neben dem Riesenbillard war damals der
sogenannte Oxer. Diesen Namen erhielt er übrigens von LAURIDS – wieso, weiß ich eigentlich bis heute nicht. In Amerika nannten wir ihn „Slanted Room“. Dieser gekippte Raum war
und ist mir persönlich insofern sehr wichtig, nicht weil die Anregung nach intensiven Praterbesuchen von mir stammte, sondern weil er retrospektiv gesehen eine weit reichende Grundlage für meine Arbeit bildete. Dieser gekippte, schräge Raum ist ein pragmatisches, eher
intellektuelles Objekt, welches im Unterschied zum weichen Riesenbillard aus hartem Baustoff gemacht war und eine Erweiterung zu unserem „Mind-Expanding-Program“ darstellte.
Mit dieser Gleichgewichtsirritation durch den Oxer haben wir auch konzeptionell darauf hingewiesen, dass nicht alles im rechten Winkel stehen muss und soll und auch gestanden hat,
dass man die Welt ebenso anders erleben kann. Formal war das ein wichtiger Grundsatzgedanke, diese Infragestellung der konventionellen Bauweise durch einen, sich nicht im Lot
befindlichen Raum. Ich habe die Idee, „außer Balance“ zu konzipieren, dann in New York
1977 für das Projekt der Eröffnungsausstellung im Centre Georges Pompidou wieder aufgenommen und unter der Mitarbeit von Helmut Richter weiterverfolgt. Im gleichen Jahr 1977
baute Frank Gehry sein gekipptes Haus in Kalifornien, und die Gruppe Coop Himmelblau hat
diese Gedanken in Wien unabhängig weiterentwickelt. Heute nennt man diesen Stil Dekonstruktivismus, “schief“ wurde modern.
Vom Bruch im Grundriss des „Centre Pompidou“-Projektes ausgehend, baute ich dann in La
Villette die gedrehten und gekippten Körper des „N48°53'46''E02°23'18''“ und verfolgte diesen Ansatz bis hin zum „Großen Zer“ in der Minoritenkirche in Krems. Man könnte sagen,
dass meine ephemeren Installationen bis heute, besonders in ihrer Beziehung zum umgebenden Raum, auf Erkenntnisse zurückgehen, die mit der Live Ausstellung 1970 in Wien im
„Museum des 20. Jahrhunderts“ begonnen haben.