vollständige PDF Ausgabe - Deutsche Gesellschaft für

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vollständige PDF Ausgabe - Deutsche Gesellschaft für
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Martina Roes, Anneke de Jong, Ines Wulff
Implementierungs- und Disseminationsforschung – ein notwendiger Diskurs
Implementation and Dissemination Research – a necessary discourse
Methods of implementation and its theoretical references, concepts of knowledge circulation, and criteria for assessment of implementation and dissemination processes are
established subjects of implementation and dissemination science. Due to the foundation of the research group ‚Knowledge Circulation and Implementation’ at the German
Center for Neurodegenerative Diseases (DZNE) in 2010 and the ‘Section Dissemination
and Implementation (SDI)’ in the German Society of Nursing Science (DGP) in 2012, the
national and international discourses of the implementation and dissemination research has been more deeply thematized. This paper focusses on ‘knowledge and behaviour’, and ‘adaptation and sustainability’ as well as indications for the contribution of
the implementation and dissemination research for nursing science.
Keywords
Implementation and Dissemination Research; Black-Box-Phenomena, evidence-basedpractice, knowledge circulation, adaptation
Implementierungsmethoden sowie deren theoretische Bezüge, Konzepte der Wissenszirkulation, oder auch Ergebnismaße zur Bewertung von Implementations- und Disseminationsprozessen sind etablierte Gegenstandsbereiche der Disseminations- und Implementierungswissenschaft (DIW). Mit der Einrichtung einer Forschungsgruppe „Wissenszirkulation und Implementierung1“ am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE) 2010 und der Gründung der „Sektion Dissemination und Implementierung (SDI)“ (Buscher et al. 2011, 2012) in der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) 2012 wird dem nationalen und internationalen Diskurs der noch jungen Disziplin Implementierungs- und Disseminationsforschung auch in Deutschland verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen „Wissen und
Handeln“ und „Adaptation und Nachhaltigkeit“ sowie Hinweise auf den Beitrag der Implementierungs- und Disseminationsforschung für die Pflegewissenschaft.
Schlüsselwörter
Implementierungs- und Disseminationsforschung, Black-Box-Phänomene, Evidence-informed Practice, Wissenszirkulation, Adaptation
1 Seit Januar 2013 lautet der Titel dieser Gruppe „Implementierungs- und Disseminationsforschung“
eingereicht 24.04.2013
akzeptiert 04.06.2013
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1. Einleitung
Täglich sieht sich die Pflegepraxis mit neuen Anforderungen konfrontiert: einmal sind
es Assessmentinstrumente, die im Rahmen der nationalen Expertenstandards einzuführen sind, ein anderes Mal neue Biografiebögen, veränderte Vorgehensweisen in der
Verwendung von Wundmaterialien oder neue gesetzliche Vorgaben. Jedes Mal sehen
sich sowohl die Pflegenden als auch die Organisation, in der sie tätig sind, damit konfrontiert, zu überlegen WIE sie diese Änderungen in den Alltag rasch und nachhaltig
integrieren können, immer davon ausgehend, dass mit jeder Änderung auch eine Qualitätsverbesserung einhergeht. Gleichzeitig stehen alle Beteiligten vor der Herausforderung, dass einerseits die Neuerungen in der Regel nicht auf ihre spezifische Einrichtung
oder Klientel ausgerichtet sind, sondern Anpassungen erforderlich werden. Andererseits ist oft unklar, wie sie eine erfolgreiche Umsetzung nachweisen können. Diese oder
ähnliche Situationen haben zu der Entwicklung der Implementierungs- und Disseminationswissenschaft geführt, die seit etwa Mitte der 1990er weltweit immer mehr an
Aufmerksamkeit gewinnt, vor allem über den Umweg der Qualitätsdebatte bzw. der
Unzufriedenheit mit dem erreichten Qualitätsniveau.
International wird unter Implementierung die Umsetzung bzw. Integration evidenzbasierter Interventionen in einem spezifischen Setting verstanden (National Institutes of Health 2011, Rabin et al. 2012) und unter Dissemination die Verbreitung dieser Interventionen (Lomas 1993, Rabin et al. 2012) sowie aktive und geplante Bemühungen, um Zielgruppen zu überzeugen, eine Innovation anzuwenden (Greenhalgh et
al. 2004). Dissemination geht damit über die Implementierung hinaus. Diffusion wird
als Prozessschritt auf dem Implementierungs- und Disseminations-Kontinuum verstanden, der aber relativ unstrukturiert erfolgt (Lomas 1993, Rogers 2003) bzw. eher
einer passiven Verbreitung unterliegt (Greenhalgh et al. 2004). Nachhaltigkeit kann
im Sinne Kurt Lewins als Ablösung alter Routinen bzw. die Etablierung neuer Routinen durch die Implementierung von Innovationen verstanden werden (3-Phasen-Modell: unfreezing, moving, refreezing, Ullrich 2005).
Implementation- und Disseminationsforschung wird definiert als Analyse der Strategien und Prozesse die dazu beitragen, evidence-based Interventionen oder auch Innovationen in die Handlungsroutine zu integrieren (Proctor et al. 2009). Innovation
wird teils mit dem Neuheitscharakter für Handelnde (Rogers 2003) und teils mit einer
Intervention inklusive Effektivitätsnachweis (Rabin et al. 2012) assoziiert. Adaptation
wird als verbindliche Aussage hinsichtlich der Umsetzung einer evidenzbasierten Intervention verstanden (Rogers 2003). Wie sich im Verlauf des Artikels (und auch der Beiträge von Quasdorf et al. und Roes et al. in dieser Ausgabe) zeigt, werden die Begriffe
nicht immer trennscharf verwendet. Der Fokus dieser noch jungen Wissenschaftsdisziplin liegt dabei mehr und mehr sowohl auf der Analyse von Einflussfaktoren, wie z. B.
Kontextfaktoren (Kultur, Führungsstil, Umgang mit Evaluationsergebnissen) und bedingende Faktoren (Ressourcen), als auch subjektiver Faktoren (Einstellung, Annahmeverhalten). Mit dieser Feinjustierung wurde auch eine Abkehr von monokausalen
Wirkprinzipien zugunsten einer kritischen Reflektion bisher realisierter Transferkon198
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zepte eingeläutet. Über die systematische Analyse von Implementierungs- und Disseminationsprozessen entsteht u. a. Wissen darüber, wie das Vernetzen von objektivem
und subjektivem (Fach-/Experten)Wissen gelingen oder scheitern kann oder auch darüber, wie die Ergebnisse einer Intervention mit der Art und Weise der Implementierung bzw. Dissemination korrespondieren. Wissenschaft ist gekennzeichnet insbesondere durch Theoriegenerierung, konzeptionelle Entwicklung und Forschung. Übertragen auf eine Implementations- und Disseminationswissenschaft (IDW) bedeutet
dies, dass einerseits theoretische Begründungen für Implementierungs- und Disseminationsmodelle formuliert werden und andererseits Evidenz für die theoretischen Modelle und/oder die Effektivität der Implementierungsstrategie vorhanden sind (van
Achterberg et al. 2008). Ein Beispiel hierfür ist das Consolidated Framework For Implementation Research (CFIR) von Damschroder und Kollegium (2009), welches eine
Typologie für die Entwicklung und Verifizierung von Implementierungstheorien liefert.
Teil eins des Artikels befasst sich mit einer (inter)nationalen Verortung der Implementierung und Dissemination. Erläutert werden insbesondere mit der Implementierungs- und Disseminationswissenschaft korrespondierende Herausforderungen im
Sinne eines Black-Box-Phänomens. Im Mittelpunkt steht die Erläuterung von zwei
Black-Box-Phänomenen: „Wissen und Handeln“ sowie „Adaptation und Nachhaltigkeit“. Abschließend wird begründet formuliert, warum Implementierungs- und Disseminationswissenschaft (IDW) für die Disziplin Pflegewissenschaft notwendig ist:
Denn es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine deutschsprachige Literatur, die sich mit den
theoretischen und methodischen Grundlagen, die eine IDW kennzeichnen, befasst
und die für die Pflegewissenschaft in Deutschland relevant wären. Texte, Studien und /
oder Projekte im deutschsprachigen Raum beziehen sich – wenn überhaupt – auf im
Ausland entwickelte Implementierungs- und Disseminationskonzepte. Aus unserer
Sicht sind diese Studien somit im Prozess der anwendungsorientierten Übersetzung zu
verorten. Teils lassen sich Evaluationen zur Einführung von Interventionen identifizieren, wenngleich der Blick häufiger auf den Gegenstand dessen, was implementiert
wird, und nicht auf die Art und Weise der Implementierung gerichtet wird. Das heißt,
die Implementierung wird nicht als Intervention betrachtet; gleichzeitig wird in der
Regel nicht unterschieden zwischen patientenbezogenen Outcomes und Ergebnissen
die sich aus der Implementierung ergeben.
Demnach repräsentiert die gegenwärtige deutschsprachige Literatur nicht Teil eines
Diskurses zur Theorie-/ Modell-/ Methodenentwicklung einer bundesdeutschen Implementierungs- und Disseminationswissenschaft.
2. Implementierung und Dissemination – oder die Beschäftigung
mit dem Black-Box-Phänomen
Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum es notwendig ist, sich explizit mit den Themen „Implementierung und Dissemination“ aus pflegewissenschaftlicher Perspektive
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zu befassen. Festinger (1985) würde dies damit begründen, dass eine Konsistenz besteht zwischen dem, was eine Person weiß bzw. glaubt und dem, was sie tatsächlich tut;
gleichwohl besonders interessant diejenigen Momente sind, die von diesem Muster abweichen. Als Beispiel führt er an, dass eine Person zwar weiß, dass Rauchen sich ungünstig auf die eigene Gesundheit auswirkt, sie dennoch weiterraucht. Die Berücksichtigung der individuellen Perspektive führe am ehesten zur Annahme einer Intervention
(hier: des Nichtraucher-Programms). Kernfrage ist: Wie werden Implementierung
und Dissemination realisiert?
Konzepte der Wissenszirkulation (u. a. Fox 2010, Greenhalgh 2010, Greenhalgh et al.
2004, Mitton et al. 2007) und der Einflussnahme sowohl der Individuen als auch der
Organisation prägen die Gestaltung von Implementierungs- und Disseminationsprozessen. Die Komplexität des Themas fordert jedoch eine Fokussierung auf ausgewählte
Aspekte. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieses Artikels wird eine Eingrenzung
vorgenommen. Diese beruht auf der Tatsache, dass zwei Phänomene immer wieder
thematisiert werden: (a) die Black-Box „Wissen und Handeln“ (oft mit dem Konzept
der Wissenszirkulation assoziiert) und (b) „Adaption und Nachhaltigkeit“ (sowohl auf
Ebene des Individuums als auch der Organisation). Die Autorinnen gehen davon aus,
dass mit der Skizzierung dieser beiden Phänomene der Diskurs um die Notwendigkeit
einer Implementierungs- und Disseminationsforschung im Kontext der Pflegewissenschaft deutlich wird.
2.1 Black-Box Phänomen „Wissen und Handeln“
Festinger (1985) verwies darauf, dass Wissen oft gleichgesetzt wird mit Meinung, Einstellung und Haltung bzw. dass das Vorhandensein eines inneren Zwiespaltes einer
wahrgenommenen Problemsituation das Suchen nach Informationen beeinflusst. Er
regte deshalb an, sich intensiver damit zu befassen, welches Verständnis von Wissen einem Diskurs zugrunde liegt oder auch für welche Argumentationen auf welches Wissen (eher theoretisches oder Erfahrungswissen) zurückgegriffen wird. Zudem plädierte
er für eine Auflösung der Hierarchisierung zwischen theoretischem und praktischem
Wissen zugunsten einer Integration und Anerkennung von Erfahrungswissen. Wichtig
ist, dass Erfahrungswissen, Einstellung und Haltungen sowie der Kontext – aus Sicht
der Person, die sich „verändern soll“ – mindestens ebenso schwer wiegen wie neue Informationen oder relevante Forschungserkenntnisse, deren proklamierte positive Auswirkungen noch nicht selbst erfahren wurden. Festinger (1985) führte zwei Thesen an,
die erste Hinweise auf eine Bereitschaft liefern, das Handeln unter Rückgriff auf theoretisches und Erfahrungswissen (nicht) zu verändern:
- Erste These: Das Empfinden von Dissonanz wird auf einer psychischen Ebene als
Unwohlsein wahrgenommen und motiviert eine Person dazu, dies zu verändern. Im
Diffusionsmodell von Rogers (2003) korrespondiert dies beispielsweise mit der Idee,
dass eine Innovation als kompatibel mit dem sozialen Umfeld und der eigenen Positionierung innerhalb dieses Kontextes zu betrachten ist. Greenhalgh (2010) verweist darauf, dass das, was eine Person weiß auch damit korrespondiert, was die Gemeinschaft
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(hier verstanden als Zugehörigkeit zu einer Profession, einer Institution oder einem
Team) weiß und wie sich allgemeines Wissen zu spezifischen Fragebedarfen einer Organisation, eines Teams oder einer Person verhält.
- Zweite These: Wenn eine Person Unwohlsein aufgrund erlebter Dissonanz empfindet und gleichzeitig versucht, diese Gefühle zu verändern, wird sie aktiv Situationen
und Informationen vermeiden, die das Gefühl des Unwohlseins verstärken könnten.
Die Annahme, dass Informationen zur Reduktion oder Steigerung der Dissonanz führen können, beeinflusst auch die Art und Weise der Informationssuche (z. B. Informationen über negative Auswirkungen des Rauchens bewusst zu ignorieren oder bewusst
nach Anti-Raucherprogrammen zu suchen). Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum dem Aspekt „Awareness“ bezogen auf erwartbare und messbare Veränderungen in den meisten Implementierungs-/ Disseminationsmodellen eine herausragende Rolle zukommt (Chaudoir et al. 2013).
Das Black-Box-Phänomen „Wissen und Handeln“ bzw. Wissenszirkulation (knowledge transfer and exchange) wird also in erster Linie als interaktiver Prozess verstanden
(u.a. Fox 2010, Greenhalgh 2010, Mitton et al. 2007), wenngleich laut Mitton et al.
(2007) nicht klar ist, welche Art des Austausches in welchem Kontext verwendet werden sollte. Der Diskurs um die Wissenszirkulation dreht sich – so Greenhalgh (2010) –
um ein zentrales Problem: Wie kann etwas verändert werden und welche Rolle kommt
dabei dem Wissen aller Beteiligten zu? Je nachdem welche Perspektive eingenommen
wird, wirkt sich dies auf die Vorgehensweise aus, d. h. steht eher die Veränderung orientiert am Individuums bzw. der Organisation im Vordergrund oder die zu implementierende Intervention. Greenhalgh (2010) kritisiert jedoch, dass die Summe aller systematischer Reviews zur Wissenszirkulation nicht dazu führte, grundsätzliche Probleme
der Implementierung und Dissemination zu lösen. Dies gilt auch für die hier in
Deutschland durchgeführten Forschungsaktivtäten zum „Wissenstransfer“ – deren
Rezipierung den Rahmen dieses Artikels überschreiten würde. Zugleich wurden die
Erkenntnisse dieser vielfältigen Projekte nicht genutzt, einen Diskurs im Sinne der
Etablierung einer theoriegestützten und forschungsbasierten Implementierungs- und
Disseminationswissenschaft zu fördern.
Evidence based / informed Practice als Beitrag zur Vernetzung von Wissen
und Handeln
Seit Sackett et al. 1996 für die Mediziner die Wichtigkeit einer forschungsbasierten
Praxis betonte und definierte, wurde dies von der Pflegeprofession aufgegriffen und
spezifisch als evidence based nursing definiert. Drei Bereiche sind hierbei zentral: (1)
relevante Forschungsergebnisse (d. h. die Entscheidung, ob sie relevant ist für den Patienten), (2) die klinische Expertise (d. h. Fähigkeiten und Beurteilungsvermögen der
Pflegenden, entwickelt durch ihre Erfahrungen in der Praxis) sowie (3) die Einbindung
der Patientenpräferenzen (Cullum et al. 2008, Haynes et al. 1996, de Jong et al. 2012,
DiCenso et al. 1998). Grundlage von evidence based nursing sind (u.a. Brown 2001,
van Meijel et al. 2004, Kuiper et al. 2012, de Jong et al. 2012): das Wissen über Erfah201
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rungen und Erlebnisse von Patienten im Rahmen ihrer (chronischen) Krankheitsbewältigung und damit einhergehende Veränderungen im Alltag, Wissen über auf Pflegesituationen passende Strategien und Interventionen und instrumentell-technisches
Wissen. Die Annahme ist, wie Bircumshaw schon 1990 formulierte, dass davon auszugehen ist, dass
(a) die Pflege der Patienten auf Grundlage einer wissensbasierten Vorgehensweise eine
bessere Qualität aufweist,
(b) die Pflege als Berufsgruppe professioneller wird und somit Verantwortung für das
eigene Handeln übernehmen kann, und
(c) dass die Kosten der Pflege sinken (Bircumshaw 1990).
Demnach wurde konstatiert, dass die Qualität der Forschung (hier die identifizierte
Evidence) das Ergebnis pflegerischen Handelns (in)direkt beeinflusst: je besser die
Qualität der Forschung, umso höher die Chance, dass die patient outcomes ebenfalls
hoch sind – vorausgesetzt, die Umsetzung ist stimmig (Kitson et al. 1998,Rycroft-Malone et al. 2002, Rycroft-Malone 2004, Kitson et al. 2008). Die erste Frage ist dann,
was die Qualität der Forschung bestimmt. Ein Diskussionsthema ist der Stellenwert
von evidence für die Praxis (u. a. Street 1992, Grypdonck 2006, 2004, Estabrooks et al.
2005): Einerseits, weil die Fachliteratur einseitig fokussiert ist auf empirisches Wissen
als Hauptquelle für gute Praxis und andere, vor allem nicht-empirische Wissensquellen
außer Acht lässt (Grypdonck 2004, 2006, Estabrooks et al. 2005, Estabrooks 2007).
Andererseits, weil es innerhalb der Wertschätzung von Forschungsmethoden eine
Rangordnung2 gibt, das heißt, Randomised Controlled Trials (RCTs) stehen in ihrer
Wertigkeit an oberer Stelle, und es wird als zwingend erachtet, diese Ergebnisse in die
Umsetzung in der Praxis zu bringen. Ergebnisse anderer Forschungsmethoden (insbesondere qualitative Forschung) werden als Wissen von niedriger Qualität gesehen
(Street 1992, Ray et al. 2001, Grypdonck 2004, 2006, Schnepp 2009). Zum Thema
RCTs wird eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse problematisiert. Grypdonck
(2004) argumentierte, dass nur, wenn genau die gleichen Umstände bzw. eine identische Vorgehensweise vorgesehen ist, vergleichbare Ergebnisse erreicht werden. Rolfe
(1998) stellte dazu fest, dass auf diese Art und Weise ermittelte evidence für Entscheidungen über passende, an der Person und Situation orientierte Interventionen keine
Hilfe für die klinische Entscheidungsfindung sind. Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems ist, laut angelsächsischer Implementierungsforscher, sich damit zu befassen, wie
die Praktiker Forschungserkenntnisse betrachten: Sehen sie Nachweise von evidence
durch Forschung als Absolut an und wie bewerten sie diese Ergebnisse? Oder betrachten sie diese Forschungsergebnisse als Teil ihrer Entscheidungsfindung, schätzen die
Ergebnisse als wertvoll für ihr Handeln ein und akzeptieren die Unsicherheit, die mit
den Ergebnissen einhergehen (Kitson et al 1998, Rycroft-Malone 2004)? Hinsichtlich
der Qualität der Forschung lehnten Rycroft-Malone et al. (2004) eine Hierarchisierung von Forschungserkenntnissen ab, sondern fragen vielmehr, ob die Forschungsfra2 siehe hierzu: http://www.evidence2practice.org/magnified/rec_process/rec_process8.html
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gen angemessen waren, ob das Forschungsprojekt konsistent aufgebaut war und durchgeführt wurde.
Der Diskurs um Evidence aus Sicht der Zirkulation von Wissen betrachtet zeigt,
dass in vielen Studien unter den Stichworten practice-theory-gap (u. a. Rafferty et al.
1996, Rolfe 1998), später knowledge transfer (u. a. Salsali et al. 2009), knowledge
translation (u. a. Lockyer et al. 2004, Kitson et al. 2008), knowledge-to-action-cycle
(u. a. Kitson et al. 2010), knowledge circulation (u. a. HBO-Raad 2004) oder integration of theory and praxis (z.B. McCaugherty 1991) die Wichtigkeit der Umsetzung
von Forschungsergebnissen in die Praxis thematisiert wurde. Der Begriff evidence based medicine/nursing/practice entwickelte sich über Jahre von research based practice
über evidence based practice hin zu einem Verständnis von evidence informed practice
und best (good) practice. Grund dafür war, dass schon bald deutlich wurde, dass Entscheidungen über die Behandlung und Pflege von Patienten nicht ausschließlich über
Forschungsergebnisse erfolgen kann, denn dafür ist die Realität der Patienten und Professionellen zu komplex. Individuelle Patienten passen nicht in das Schema, welches
laut evidence report notwendig wäre. Wurde anfangs die klinische Expertise sowie die
Patientenpräferenzen in der Definition von evidence based practice eingebunden,
stellte sich später heraus, dass dennoch nicht die Komplexität pflegerischen Handelns
abgebildet werden konnte.
Brown (2001) skizzierte in ihrer best practice health care map (Abbildung 1), wie
mehrere Faktoren auf die klinische Entscheidung Einfluss nehmen.
Clinical
Assessment
Patient
Data
Clinician’s
Experiential
Knowledge
Research
Research
Findings
TQM
Evaluative
Setting
Data
System
Management
System’s
Policies &
Resources
Pointof-Care
Design
Best
Practice
Patient
Outcome
Prespecification
Design
Abb. 1: Best Practice Health Care Map (Brown 2001)
203
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Ob etwas „Best practice“ ist, wird gemessen an den Ergebnissen auf Patientenebene.
D. h. es sind die professionellen Akteure, die vorab entscheiden, ob Forschungsergebnisse relevant für diesen Patienten in dieser spezifischen Situation sind (point of care
design). Diese Entscheidung gründet sich auf einer Vielfalt von Daten: patientenbezogene Daten, objektives und Erfahrungswissen der professionellen Akteure, Forschungsergebnisse sowie Daten aus der Organisation oder bezogen auf politische Bedingungen. Ein Teil dieser Daten kann vorab (pre-specification design) festgelegt werden, z. B. im Form von Standards, Leitlinien oder klinischen Behandlungspfaden. Die
Pfeile im Model von Brown (2001) zeigen wie eine Entscheidung (point of care design)
getroffen wird und passende Interventionen festgelegt bzw. durchgeführt werden.
Deutlich wird, dass es keine direkten Pfeile von den Forschungsergebnissen direkt in
Richtung Patientenoutcomes gibt. Für die Diskussion darüber, Forschungsergebnisse
in der Praxis umzusetzen, bedeutet diese Perspektive, dass die Implementierung neuen
Wissens sich als Hilfsmittel in der Entscheidungsfindung präsentiert. Genau diese
Komplexität und Vielfalt an Faktoren motivierte Wissenschaftler wie Grypdonck
(2004) dazu, den Begriff „Evidenz informierte Praxis“ einzuführen, und damit auch zu
signalisieren, dass es in der Praxis um mehr geht als nur das 1:1 Umsetzen von Forschungsergebnissen.
2.2 Black-Box Phänomen „Adaptation und Nachhaltigkeit“
Ein Blick in die (inter)nationale Literatur zeigt, dass Implementierung(sforschung)
hinsichtlich Adaptation und Nachhaltigkeit vor allem ein Thema der Qualitätssicherung bzw. der Ergebnismessung (u. a. Alexander et al. 2011, Chaudoir et al. 2013,
Frommelt et al. 2010, RAND 2011) – und damit Bestandteil der Debatte um Evidence-based-Practice ist. Implementierungsforschung bezieht sich dabei auf Konzepte der
Wissenszirkulation (siehe oben), der Analyse von Einflussfaktoren (u. a. Harvey et al.
2002, Hoben 2013, 2010, Quasdorf 2013, Quasdorf et al. in dieser Ausgabe) sowie
Implementierungseffekten (u. a. Bowmann et al. 2008, Chaudoir et al. 2013, Gagnon
et al. 2011, Grimshaw et al. 2004, Grol et al. 2003; Grol et al. 2005, Harvey et al.
2002).
Insbesondere die Analyse von Einflussfaktoren zeigt, dass neben einem grundsätzlichen Verständnis von Wissenszirkulation es auch darum geht, sich intensiver mit der
Art und Weise des Umgangs von Anforderungen an Verhaltensänderung bzw. der Einstellung zur Innovation der beteiligten Akteure zu beschäftigen. Es gibt, so Festinger
(1985), eine starke Tendenz dahingehend, von Personen Informationen anzunehmen,
welche mit eigenen Einstellungen und Haltungen übereinstimmen. Dem sozialen
Umfeld fallen zwei scheinbar widersprüchliche Funktionen zu: einerseits Ursache für
innere Dissonanz zu sein und andererseits treibende Motivation, innere Dissonanzen
zu beseitigen oder zu reduzieren. Dies korrespondiert mit dem Phänomen der „persönlichen versus öffentlichen Einstellungsänderung“. Letzteres bezeichnete Festinger
(1985) als ‚forced compliance’, d. h. keine oder eine nur teilweise Verhaltensänderung
bei gleichbleibender Einstellung.
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Wenn man den Zusammenhang zwischen Implementierungsgrad und Zeit herstellt, wird deutlich , dass über den Zeitraum von knapp drei Jahren eine Spannbreite
von vollständiger Integration der Innovation in den Routinealltag (‚full use’) bis hin
zur unvollständigen Integration (‚incomplete use’) oder gar Ablehnung (discontinued /
replaced) denkbar ist. Sowohl aus Sicht der Praktiker als auch der Wissenschaftler steht
jedoch eine effektive und nachhaltige Implementierung im Mittelpunkt aller Bemühungen mit dem Ziel, die Versorgungsqualität hoch zu halten, d. h. Integration in den
Routinealltag. In der Implementierungs- und Disseminationsforschung erhalten insofern die Prozessgestaltung (vom Zeitpunkt der Initiative bis hin zur Dissemination) sowie Fragen der Anpassung der Intervention und ihrer Testung unter Realbedingungen
eine herausragende Bedeutung (u. a. Wiltsey Stirmann et al. 2012). Greenhalgh et al.
(2010) gehen im Idealfall von einer Kombination aus Innovation, Diffusion, Adaptation und Dissemination aus.
Translational Research als Beitrag zur Realisierung von Adaption und
Nachhaltigkeit
Lenfant (2003) formulierte, dass „Translation“ (allgemein gesprochen die „Übersetzung“) immer dann notwendig wird, wenn Wissen vom Labor in die Praxis gelangen
soll, damit es dort an Relevanz gewinnt und eine Verquickung von objektivem und intuitivem Wissen gelänge.
National Institutes of Health (2009) beschreiben zwei Forschungsrichtungen die
für Translational Research von Relevanz sind: (1) Translation von im Labor bzw. in Vorstudien entstandenen Ergebnissen sowie die Entwicklung von Studien am / mit Menschen, und die Richtung (2) fokussiert die Adaptation von ‚best practice’ (aus Schritt
1). Translationale Forschung kann demnach an drei Stellen verortet sein (siehe Abbildung 2).
Interessant für einen translationalen Ansatz im Kontext der Implementierungs- und
Disseminationsforschung im pflegewissenschaftlichen Kontext sind sowohl T1, T2 als
auch T3:
- T1 sofern möglich werden neue Interventionen im Rahmen von RCTs validiert;
Forscher sehen sich – mit Blick auf Interventionseffekte – u. a. mit Fragen der ‚Verfahrenstreue’ (fidelity) konfrontiert. Dabei kommt der Praxis der Status eines ‚Labors’ (d. h. kontrollierte Bedingungen) zu
- T2 die Übersetzung der Erkenntnisse aus T1 in einen Versorgungskontext (z. B.
stellt die Entwicklung eines nationalen Expertenstandards die Übertragung von
bisher getrennt betrachten Studienergebnissen in einen Versorgungskontext dar.)
- T3 steht für die Anpassung der nationalen Expertenstandards (T2) an die Realbedingungen der Einrichtung sowie deren konkrete Integration in den Routinealltag.
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T1
Bedsite
Forschung
Translation vom Labor
zum Menschen


Grundlagenforschung
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T2
T2
Colditz (2012)


Praxisforschung
(clinical trails /
observation etc.)
Praxis
T3
Entwicklung
Q-Niveaus/
Leitlinien
Systematic Review
Meta-Analysen
Implementierungsund DisseminationsForschung
Translation zur
Versorgung
Translation zur
Praxis
Abb. 2: Verortung von Translational Research (die 3-T’s)3 (DGP Tagung vom 22. Feb. 2013)
Implementierung und Dissemination bezieht sich allerdings üblicherweise nur auf den
letzten Schritt (also T3) in dieser Kaskade und bezieht sich auf die nachhaltige Etablierung effektiver4 Interventionen (u.a. Colditz 2012, Green et al. 2009). Kritisiert wird
deshalb, dass die Beachtung von „translational research“ Ansätzen bisher noch unterrepräsentiert ist – sowohl in der Interventions- als auch Implementierungsforschung
(u.a. Rahmann et al. 2012). Die Praxis, kritisierte Lenfant (2003), benötigt keine weiteren Studien, um Effektivität und Effizienz zu demonstrieren, sondern vielmehr die
„Übersetzung“ dieser Erkenntnisse in Versorgungs- und Praxisanforderungen. Im
Mittelpunkt steht die Beantwortung der Frage, ob eine Intervention für eine institutionalisierte Implementierung und Dissemination geeignet ist. Trifft dies zu, kann auch
das Ziel der nachhaltigen Implementierung erreicht werden. In der Implementierungs- und Disseminationsforschung wird allgemein betrachtet zwischen drei Typen
von Outcomes unterschieden (Proctor et al. 2011): Implementierungsergebnisse (u. a.
Adaptation, Verfahrenstreue, Nachhaltigkeit etc.), Ergebnisse basierend auf der Intervention (u. a. Effektivität, Patientenzentrierung, Sicherheit etc.) und Klienten bezogene Ergebnisse (u. a. Zufriedenheit, Funktionalität etc.).
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein Ansatz vorgestellt, der im Kontext
des hier skizzierten translationalen Forschungsverständnisses strukturierte Antworten
auf die Komplexität der Implementierungs- und Disseminationsforschung liefern
kann und dabei sowohl das Phänomen „Wissen und Handeln“ als auch „Adaptation
und Nachhaltigkeit“ bedient. Darüberhinaus kommt der aktiven Partizipation aller
3 Dieses Modell bildet u.a. die Basis für National Institutes of Health (USA, 2009)
4 siehe hierzu die Definitionen zu Beginn des Artikels, gleichwohl die Debatte um das Konzept „evidence“ verdeutlicht, dass ein monolineares Verständnis von Wirkzusammenhängen nicht die Komplexität der Realität abbildet.
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Schwerpunkt
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Akteure eine besondere Rolle zu. Dieser Ansatz ist auch vor dem Hintergrund interessant, da die Differenzierung von Interventions- und Implementierungseffekten mitschwingt. Der hier vorgestellte Ansatz steht für die Vernetzung von Forschungs- und
Praxisnotwendigkeiten und zeigt beispielhaft auf, wie Translational Research realisiert
werden kann und somit das Verständnis von Implementierungs- und Disseminationsforschung mit beeinflusst.
Das PARIHS-Model (Kitson et al. 1996,Harvey et al. 2002, McCormack et
al. 2002, Rycroft-Malone et al. 2004, Rycroft-Malone 2004, Kitson et al.
2008)
PARiHS steht für „Promoting Action on Research Implementation in Health Services“. Das Model wird als Rahmen gesehen und verstanden als ein Hilfsmittel für eine
Arbeitsfeldanalyse, zur Feststellung, welche Faktoren Einfluss auf die ImplementieEvidence
(Strong)
Ideal situation for
implementation of
evidence into
practice
F1
Context
(Weak)
Context
(Strong)
F2
F3
Evidence
(Weak)
Abb. 3: Die PARiSH Diagnose und Evaluation Matrix (Kitson et al. 2008, S. 592)
rung der evidence nehmen werden. Das Model kann darüber hinaus auch als Evaluationshilfsmittel angewendet werden (Abbildung 3).
In der Matrix wird sichtbar, dass das Quadrat oben rechts (F4) den wünschenswerten
Zustand darstellt, d.h. überzeugende Evidence und gute Rahmenbedingungen. Es
identifiziert drei Hauptkategorien:
- evidence: aktueller Stand des Wissens unter Einbindung von Forschungsergebnissen, Erfahrungswissen und Präferenzen der Patienten,
- context: Rahmenbedingungen, die die Implementierung mit beeinflussen wie z. B.
Leadership, lernende Organisationspotentiale, Monitoring, Evaluation und Feedback
- facilitation: Optionen einer flankierenden Unterstützung, deren Art und Weise da207
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von abhängt, welchen Grad der Vorbereitung eine Einrichtung vor Umsetzung der
Innovation erreicht hat („state of preparedness“)
Die Entwicklerinnen (Kitson et al. 2008) gehen von einem ‚Support-Kontinuum’ aus,
welches sich auf der Bandbreite von „etwas für andere tun“ bis hin zu „Empowerment“
bewegt (Kitson et al. 2008). Dem Facilitator (Support-Person) kommt in diesem Modell auch die Aufgabe der „Übersetzung“ zu. In mehreren Forschungsprojekten wurde
dieses Implementierungs-Modell erforscht und bestätigt (Meijers et al. 2006, Bathsevani et al. 2007, Cummings et al. 2007, 2010, Rycroft-Malone et al. 2012, Roberge et
al. 2013, Rycroft-Malone et al. 2013).
Der hier skizzierte Ansatz gibt einen Einblick in die Komplexität sowohl der Implementierung und Dissemination als auch der Forschung über diese Prozesse. Er zeigt
Begründungszusammenhänge auf und integriert sowohl Aspekte der Phänomene
„Wissen und Handeln“ als auch „Adaptation und Nachhaltigkeit“. Er dient der Erklärung der den Implementierungs- und Disseminationsprozess bestimmenden Variablen
sowie deren Beziehung zueinander. Gleichwohl liefert die Erforschung dieser Prozesse
vertiefende Einblicke in Mechanismen von Änderungsprozessen sowie Hinweise zu erfolgreichen und weniger erfolgreichen Implementierungs- und Disseminationsstrategien.
3. Fazit und Ausblick
Laut Dearing und Kee (2012) befindet sich international betrachtet, die Implementierungs- und Disseminationsforschung in der Phase der Aktionsorientierung, d. h. der
Expansion sowohl quantitativer als auch qualitativer Implementierungs- und Disseminationsforschung sowie der Entwicklung konzeptioneller Frameworks. Zukünftig
wird es, so die Autoren weiter, vor allem darum gehen, die Implementierungs- und Disseminationsforschung in den Wissenschaftskanon zu integrieren und eine allgemeine
Anerkennung als Wissenschaftsdisziplin zu erreichen. Vor dem Hintergrund vielfältiger Änderungen, die kontinuierlich auf die Pflegepraxis einwirken, und mit der Perspektive, Versorgungsqualität auf hohem Niveau zu erbringen, kommt auch die pflegewissenschaftliche Disziplin nicht umhin, sich mit Rahmenkonzepten (wie z. B. PARiSH von Kitson et al 2008); Änderungstheorien (z. B. Diffusion of Innovation von
Rogers 2003) und Modellen zur theoretischen Erklärung und Verifizierung von Zusammenhängen (z.B. CFIR von Damschroder et al. 2009) intensiver auseinander zu
setzen, will sie auch zukünftig „mit definieren“, welche Versorgungsqualität wie nachhaltig erreicht werden kann.
Drei den Diskurs um Implementierungs- und Disseminationswissenschaft beeinflussende Aspekte bedürfen noch weiterer Klärung: (1) teils wenig trennscharfe Begrifflichkeiten und wenig ausgeprägte theoretisch begründete Implementierungs- und
Disseminationsmodelle, (2) noch unzureichende Thematisierung des Verhältnisses
von Interventions- und Implementierungsoutcomes sowie (3) Fragen der interdisziplinären Zusammenarbeit, auch mit politischen Entscheidungsträgern. Da es sich noch
208
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
um eine im Aufbau befindliche Wissenschaftsdisziplin handelt, sind diese Aspekte von
besonderer Relevanz. Die DZNE Gruppe „Implementierungs- und Disseminationsforschung“ und auch die SDI verstehen sich als Gruppen aus Wissenschaftlern und
Wissenschaftlerinnen sowie Praktikerinnen und Praktikern, die sich – im Kontext der
bundesdeutschen Pflegewissenschaft dieser Thematiken systematisch und strukturiert
sowie diskursiv und empirisch annehmen. Dieser Artikel möchte einen Beitrag zu dem
Diskurs um die junge Implementierungs- und Disseminationswissenschaft im
deutschsprachigen Raum liefern.
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- Manuskripterstellung: MR, IW, AdJ,
- Einleitung, Implementierung und Dissemination – oder die Beschäftigung mit Black-Box-Phänomen; BlackBox-Phänomen ‚Wissen und Handeln’; Black-Box-Phänomen ‚Adaptation und Nachhaltigkeit’; Translational
Research als Beitrag zur Realisierung von Adaptation und Nachhaltigkeit; Fazit und Ausblick: MR
- Evidence based / informed Practice als Beitrag zur Verschränkung von Wissen und Handeln: AdJ
- Einleitung, Black-Box-Phänomen ‚Wissen und Handeln’ sowie ‚Adaptation und Nachhaltigkeit’: IW
- Revision und Endredaktion des Manuskriptes: MR, IW, AdJ
212
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
nability of new programs and innovations: a review of the empirical literature and recommendations
for future research. In: Implementation Science 7, 17
Prof. Dr. Martina Roes (Korrespondenzadresse)
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)/ Standort Witten,
AG Leitung „Implementierungs- und Disseminationsforschung“, Postfach 62 50, Stockumer
Str. 12, 58453 Witten, [email protected]
Sektion Dissemination und Implementierung (SDI) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP), [email protected]
Anneke de Jong, MScN
Universität Witten/Herdecke, Fakultät Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft, Postfach 62 50, Stockumer Str. 12, 58453 Witten, [email protected]
Sektion Dissemination und Implementierung (SDI) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP), [email protected]
Dr. cand. Ines Wulff, Diplom Pflegewirtin (FH), RN
Dieter Scheffner Fachzentrum für medizinische Hochschullehre und evidenzbasierte Ausbildungsforschung (DSFZ), Charité - Universitätsmedizin Berlin, Virchowweg 23, 10117 Berlin,
[email protected]
Martina Roes, Ines Buscher und Christine Riesner
Implementierungs- und Disseminationswissenschaft – Konzeptionelle Analyse von Gaps
zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis
Implementation and Dissemination Science – Analysis of Gaps between
knowledge, politics and practice
There are many known barriers, which influence and delay the implementation of evidence based/evidence informed innovations in practice. One reason for this lies in a controversial debate between the different stakeholders (research, practice and politics). In
this article we focus on three gaps: (1) between research and politic, (2) between politic
and practice and (3) between practice and research in the context of nursing care. A discourse about these three gaps is understood as an important step to discuss three major
questions: (1) How do we include discussions about implementation and dissemination
in nursing science? (2) How do political decision become part of a scientific discourse?
(3) How does nursing science include implementation questions coming from a practice
point of view?
Keywords
gap-trias; political decisions, research-practice-gap; policy-practice-gap; research-policyeingereicht 23.04.2013
akzeptiert 03.06.2013
213
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
gap; quality; working group dissemination and implementation
Eine Vielzahl von Barrieren führt dazu, dass (evidence1 basierte) Innovationen teilweise
mit starken zeitlichen Verzögerungen in pflegerische Handlungsroutinen überführt werden. Eine Ursache hierfür sind partiell kontroverse Denkrichtungen resp. ein mangelndes Verständnis zwischen den am Versorgungsprozess beteiligten Akteuren, Wissenschaft, Praxis und Politik. In diesem Beitrag werden die Gaps2 (Lücken) zwischen (1) Wissenschaft und Politik, (2) Politik und Praxis und (3) Praxis und Wissenschaft
konzeptionell analysiert und anhand von pflegeassoziierten Beispielen veranschaulicht.
Die dargestellten für den Implementierungs- und Disseminationsdiskurs wichtigen drei
Gaps münden in eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Diskurses für die Pflegewissenschaft in Deutschland. Diskutiert werden die folgenden Fragestellungen: (1)
Wie wird Implementierung und Dissemination zum jetzigen Zeitpunkt in der Pflegewissenschaft aufgegriffen? (2) Wie werden politische Entscheidungen zum Gegenstand eines Wissenschaftsdiskurses? (3) Wie werden praxisrelevante Fragestellungen im Pflegewissenschaftsdiskurs aufgegriffen?
Schlüsselwörter
Gap-Trias, politische Entscheidungen, Wissenschaft-Praxis-Gap, Praxis-Politik-Gap, Wissenschaft-Politik-Gap, Qualität, Sektion Dissemination und Implementierung (SDI)
Einleitung
Bis zu 20 Jahre können vergehen, bis Innovationen, hier verstanden als Neuheit für den
Handelnden (unabhängig davon, wann die Innovation entwickelt wurde), die tägliche
Versorgungspraxis nachhaltig verändert haben (Rogers 2003). Lange Zeit war sicher
auch eine fehlende pflegewissenschaftliche Forschungsinfrastruktur in Deutschland
hinderlich (Behrens et al. 2012); dies bedeutete, dass fast ausschließlich auf Erkenntnisse aus dem englischsprachigen Ausland (inklusive notwendiger Übersetzungsschleifen) zurückgegriffen werden konnte. Zwei Barrieren sind dabei zu benennen: Zum einen lassen sich Erkenntnisse von Studien aus dem Ausland nicht 1:1 auf den deutschen
Kontext übertragen (u. a. da sie in unterschiedlichen Gesundheits-/ Pflegesystemen
entwickelt wurden), zum anderen stehen Ressourcen und Kompetenzen, um systematisch und strukturiert Implementierungsprozesse zu gestalten, oft nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung.
Damit korrespondieren wichtige Phänomene im pflegewissenschaftlichen Diskurs
(Abbildung 1): (1) die Frage der Wissenszirkulation sowie Zugang, Verfügbarkeit und
Bewertung wissenschaftsbasierten Wissens; im englischen als „knowledge-to-practicegap“ (Gross & Pujat 2001) und im deutschsprachigen Gebrauch oft als „Theorie-Praxis“ bezeichnetes Gap. (2) die Frage der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und
1 Evidence und Evidenz sind nicht gleichzusetzen; Evidence bedeutet, dass eine Aussage belegt und bewiesen ist
(Sacket et al. 1996). Evidenz bedeutet im deutschen Sprachgebrauch ‚eine überwiegende Gewissheit’ zu haben
(Schmidt 2010). In diesem Artikel wird der Definition Evidence der Vorzug gegeben. Siehe zudem auch die
Ausführungen zur evidence-informed practice von Roes, de Jong, Wulff in diesem Heft
2 Im folgenden Artikel wird der Begriff „Gap“ beibehalten: Einerseits weil wir uns abgrenzen möchten von der bisherigen Debatte um Lücken, die sich vorwiegend auf die Lücken im Theorie-Praxis-Transfer beziehen.
Andererseits wird „Gap“ als Begriff international für die hier thematisierten Lücken verwendet und bietet sich
daher für diesen Artikel an.
214
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Politik sowie (3) Einflussbereiche zwischen Politik und Praxis.
Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern
bzw. deren Stellvertretern (hier u. a. die Selbstverwaltung analog Sozialgesetzbuch)
wird davon beeinflusst, dass politische Akteure andere Schwerpunkte setzen (müssen).
Zwei Typen von Barrieren (Bell 2010; Palmer 2000; Pawson 2009) lassen sich diesbezüglich in der Literatur finden: (a) Komplexität politischer Entscheidungsprozesse, die
in der Regel mehr als ‚nur’ wissenschaftliche dargelegte evidence erfordern (u. a. Einbindung der Perspektiven von Kostenträgern, Selbstverwaltungsorganen, Bürgern
etc.) und (b) wenn Forschungsergebnisse nicht zielgruppenadäquat aufbereitet werden
und dadurch nicht einfach mit den eigenen Handlungszusammenhängen verschränkt
werden können. Gray (1997) hatte formuliert, dass eine evidence-based Praxis auch
bedeutet, dass Politik sich von einer meinungsbildenden hin zu einer wissenschaftsbasierenden Entscheidungsfindung zu entwickeln hat. O’Connor und Netting (2011)
kritisieren, dass allzu oft politischen Entscheidungsprozessen ein monokausales Denkmodell zugeschrieben wird, welches allerdings kaum der Realität entspricht und
gleichzeitig auf die Schwierigkeit verweist, Ergebnisse politischer Diskurse nachzuvollziehen.
Im Folgenden werden wir auf die drei Gaps etwas detaillierter eingehen: (1) Gap
zwischen Wissenschaft und Politik; (2) Gap zwischen Politik und Praxis sowie (3) Gap
Praxis
W
sc
Po
li
en
tik
iss
ha
ft
GAP - TRIAS
Praxis
Wissenschaft
Politik
Abb. 1: Gap-Trias (SDI 2013)
zwischen Praxis und Wissenschaft sowie die gewonnenen Erkenntnisse im Kontext einer Weiterentwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland betrachten.
„Wissenschaft-Politik-Gap“
Gesundheitspolitische Entscheidungen und wissenschaftliche Erkenntnisse werden
von gesellschaftlichen, gesamtpolitischen und wirtschaftlichen Strömungen beeinflusst und bestimmt. Gesellschaftlich werden Ressourcen anhand aktueller Themen
und Trends bewertet (Innvaer 2002). So nimmt beispielsweise aufgrund demografischer Szenarien die Sorge um die Ressourcenverfügbarkeit in der Gesellschaft zu. Fra215
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
gestellungen zur Bekämpfung der großen Volkskrankheiten rücken aufgrund dieser
Szenarien zunehmend in den Fokus politischer Interessen. Fördervolumen für Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet werden demzufolge ausgeweitet (BMBF 2013).
Die Verfügbarkeit der zu verteilenden Ressourcen wird dabei jedoch wirtschaftlich
ebenso durch verschiedene, teilweise rivalisierende Akteure (Pharmaindustrie, Medizin und Pflege), wie auch durch ihre Bedingungen, Regeln und Märkte bestimmt. So
fließt ein Großteil der Forschungsgelder beispielsweise in die medizinische Grundlagenforschung und in die Entwicklung von ambient assisted living systems (AAL) und
weniger in die pflegerische Versorgungsforschung (Behrens et al. 2012).
Die Vergabe von Forschungsgeldern wird dabei durch politische Gremien wie beispielsweise das Bundesministerium für Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) gesteuert. Sie bestimmen im Wesentlichen, welche Forschungsthemen mit wie viel Geldern gefördert werden und bestimmen so auch die Voraussetzungen mit, zu welchen Themen überhaupt wissenschaftliche Ergebnisse
gewonnen werden könn(t)en. Wissenschaftler zeigen beispielsweise mit der Pflegeforschungsagenda 2020 fehlende Förderstrukturen für bestimmte Forschungsgebiete
(hier die Pflegeforschung) auf und fordern die geldgebenden Gremien auf, verlässliche
und kontinuierliche Fördermitteln für ihr Forschungsgebiet zur Verfügung zu stellen.
Durch die Priorisierung von Forschungsthemen in der Forschungsagenda soll die Relevanz und Aktualität dieser Themen aus der Forscherperspektive für die politischen
Gremien hervorgehoben werden (Behrens et al. 2012). Der damit intendierte Diskurs
zwischen Wissenschaft und Forschungsförderung kann aber nur einen ersten Schritt
darstellen, um wissenschaftliche Erkenntnisse in die gesetzgebenden politischen Gremien zu überführen. Die gesetzgebenden politischen Entscheidungsträger konstatieren hingegen, dass Forschung nicht immer die gewünschte Aktualität und Relevanz
aufweist und die Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen aufgrund fehlender
Handlungsempfehlungen bisweilen erschwert ist (Innvaer 2002). Diese Bezüge werden auf Seiten der Forschung bisher nicht hinreichend reflektiert.
In dieser Rahmung entsteht ein Gap zwischen dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den gesundheitspolitischen Anforderungen (Abbildung 2). Es ergibt sich a)
durch eine fehlende Unterstützung bei der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Versorgungspraxis (Kitson 2009) und b) besonders in Deutschland
durch eine nur in Teilen vorhandene wissenschaftliche Evaluation von pflegepolitischen Entscheidungen (GKV 2011; Rothgang 2010). Im Spannungsfeld des Gaps bewegt sich die Versorgungspraxis als umsetzende Instanz von sowohl wissenschaftlichen
wie auch gesundheitspolitischen Anforderungen (Abbildung 2). Aus der Perspektive
der Versorgungspraxis ist festzustellen, dass auf Seiten politischer Entscheidungsträger
wissenschaftliche Erkenntnisse im besten Fall in sozialgesetzliche Forderungen überführt werden, wie beispielsweise die Verankerung der Expertenstandards im SGB XI
(§113a). Die für die Umsetzung notwenigen finanziellen und strukturellen
Ressourcen werden dabei jedoch nicht automatisch geschaffen. Hinzu kommt, dass es
von Seiten der Wissenschaft an fundierten Aussagen zur Umsetzbarkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere unter Realbedingungen mangelt. Zudem
216
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Praxis
iss
sch
Po
li
en
tik
W
Wissenschaft
aft
GAP - TRIAS
Praxis
Herausforderung
Politik
Unabhängigkeit der Forschung
State of the Art
Strategie
Interesse
Verwertung der Forschung
GAP
Forschung
Umsetzung von Erkenntnissen
Politik
Evaluation von Entscheidungen
Entscheidungsfindung
Meinungsbildung
Auf Seiten der Forschung werden neutrale und
marktwirtschaftliche Bezüge nicht hinreichend
reflektiert.
Wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht in
politische Entscheidungen einbezogen (u. a. Entlassungsmanagement, Versorgungsmanagement).
Auftragsforschung zeichnet Ergebnisse bereits
vor.
Gesundheitspolitische Entscheidungen werden
nur bedingt auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien reflektiert (u a. Lebensqualität als Ergebnisindikator, Pflegebedürftigkeitsbegriff im SGB XI).
Politik sieht nicht die Notwendigkeit, die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu
unterstützen. Demnach wird auch die systematische Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnissen nicht gefördert (u. a. Expertenstandards).
Gesundheitspolitische Entscheidungen werden
nicht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse
getroffen, sondern auf Basis unbekannter meinungsbildender Kriterien (u. a. Pflegestützpunkte und Pflegeberatung).
Versorgungsqualität
Abb. 2: Wissenschaft-Politik-Gap (Auszug Poster Roes & Buscher 2013)
bleibt eine zielgruppengerechte Aufbereitung von Forschungsergebnissen, d. h. deren
Transformation in einen Versorgungskontext, oft aus. Während die Versorgungspraxis
die Verpflichtung hat, wissenschaftliche Ergebnisse umzusetzen, sollten sich sowohl
politische Gremien wie auch wissenschaftliche Institutionen in der Verpflichtung sehen, die Umsetzbarkeit zu unterstützen.
Im Hinblick auf die Finanzierung von Forschung stellt sich als Herausforderung für
die Wissenschaft dar, dass aus forschungsethischer Perspektive Forschungsprozesse unabhängig und frei von Interessenkonflikten sein sollten, auf der anderen Seite aber die
Vergabe von Forschungsgeldern politisch und/oder wirtschaftlich gesteuert wird. Wissenschaftler konstatieren, dass Auftragsforschung im Sinne einer politischen Erwünschtheit Ergebnisse dadurch bereits vorzeichnet (Nikolic 2011). Darüber hinaus
werden Forschungsprozesse durch wissenschaftliche Standards, Strategien und Interessen mit bestimmt (Breimaier et al. 2011; Grol et al. 2005). Beispielsweise werden für
die Karriere von Wissenschaftlern Publikationen in internationalen wissenschaftlichen Journals zunehmend gefordert, während nationale deutschsprachige Publikationen wie z. B. Abschlussberichte für die geldgebenden Ministerien weniger einfluss217
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
reich für die Karriereentwicklung erscheinen. Diese Bedingungen können die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Versorgungspraxis wie auch in die Gesundheits- und Sozialpolitik verzögern. Hinzu kommt, dass eine systematische Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse kaum finanziell gefördert wird, insbesondere
weil die Notwendigkeit der politischen Unterstützung dieses Prozesses nicht erkannt
wird, wie das später skizzierte Gap zwischen Politik und Praxis beispielhaft darstellt.
Implementierungswissenschaftliche Forschungsförderung im deutschsprachigen
Raum bleibt damit weitgehend unterbelichtet (Buscher & Roes 2012).
Auf Seiten der Politik erscheinen Entscheidungs- und Meinungsfindungsprozesse
intransparent. Gesundheits- und sozialpolitische Entscheidungen werden meist nicht
auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen, während wissenschaftliche Erkenntnisse nicht genug in politische Entscheidungen einbezogen werden (Buscher &
Roes 2012; Innvaer et al. 2002). Als Gründe sind u. a. mangelnde Aktualität und Relevanz der Forschung, Budgetkämpfe und eine wechselnde Besetzung der Regierung zu
nennen (Innvaer et al. 2002). Forschungsergebnisse werden eher dann in die politische
Entscheidungsfindung und Argumentation einbezogen, wenn sie hohe politische
Aktualität und Relevanz aufweisen, gesellschaftlichem Druck folgen, klare forschungsbasierte Handlungsempfehlungen enthalten und/oder die aktuellen politischen Interessen und Trends bestätigen (Innvaer et al. 2002). Diese Zusammenhänge sollen im
Folgenden anhand des Fallbeispiels „Einführung der Pflegestützpunkte und Pflegeberatung in Deutschland“ skizziert werden.
Hintergrund für die Einführung von Pflegestützpunkten und Pflegeberatung in
Deutschland sind bestehende Qualitäts- und Kostenprobleme, die zu Fehl-, Über und
Unterversorgung führen (KDA 2010; MDS 2007; MDS & SEG 2009; SVR
2000/2001). Die Einführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI verfolgt dabei das
Ziel, durch eine bedarfsgerechte Infrastruktur, die Vernetzung und Abstimmung lokaler Beratungsangebote und durch den Ausbau der Zusammenarbeit von Kosten- und
Leistungsträgern die individuelle Pflegeberatung zu verbessern (GKV 2011; Roes
2011). Hierzu können auf Landesebene Pflegestützpunkte (§92 c SGB XI) eingerichtet werden. Diese wiederum sollen eine „umfassende und unabhängige Beratung, die sektorübergreifende Koordination aller Hilfs- und Unterstützungsangebote einschließlich der
Hilfestellung, deren Inanspruchnahme sowie die Vernetzung aufeinander abgestimmter
pflegerischer und sozialer Versorgungs- und Betreuungsangebote“ wohnortnah realisieren
(KDA 2008:7).
Sowohl auf politischer Seite als auch auf Seiten der Wissenschaft und Praxis wurde
die Einführung der Pflegestützpunkte im Hinblick auf Mehrkosten infolge von Doppelstrukturen, fehlende Klärung von Aufgabenverteilungen sowie verfassungsrechtliche Schwierigkeiten kontrovers diskutiert. Auf der anderen Seite wurde auf positive Erfahrungen mit bestehenden Beratungsangeboten (u. a. Schaeffer et al. 2004) und auf
Möglichkeiten zum Ausbau regionaler Strukturen verwiesen (Penzlien 2008).
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Modellprojektes „Werkstatt Pflegestützpunkte“ wurden in insgesamt 15 Bundesländern
218
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
16 Pilot-Pflegestützpunkte eingerichtet und evaluiert (KDA 2010). Obwohl in der Pilot-Phase keine eindeutige wissenschaftliche Beweislage für den Nutzen der Pflegestützpunkte vorlag, wurden parallel weitere 312 Pflegestützpunkte außerhalb des Modellprojektes in Deutschland eingerichtet (KDA 2010). Bis 2011 wurden bundesweit
insgesamt 378 Pflegestützpunkte in Betrieb genommen und weitere 192 geplant
(GKV 2011). Mit Abschluss der Werkstatt Pflegestützpunkte und der Evaluation der
Pflegeberatung nach § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB XI der GKV gibt es mittlerweile eindeutigere wissenschaftliche Hinweise, dass Pflegstützpunkte und insbesondere das Fallmanagement zur Verbesserung der Pflegesituation zu Hause beitragen können (GKV
2011; KDA 2008, 2009, 2010; Roes 2011). Auch gibt es laut Zwischenbericht des
KDA keine Anzeichen für die befürchteten Doppelstrukturen (KDA 2008). Aber es
bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung, da die Anschubfinanzierung mittlerweile beendet ist. Zudem ist unklar, wie eine
flächendeckende und nachhaltige Implementierung analog der Bedarfe der Ratsuchenden realisiert werden kann (GKV 2011). Fehlende Unterstützungsangebote für
die Umsetzung neuer Strukturen und Konzepte (hier §7a und §2 c SGB XI) sowie nicht
zuletzt auch karriereorientierte Publikationsstrategien führen dazu, dass wissenschaftliche Ergebnisse und gesundheitspolitische Anforderungen oft in einem Gap der praktischen Umsetzbarkeit münden. Dies wiederum hat einen erheblichen Einfluss auf die
Versorgungsqualität der Betroffenen.
Zwischenfazit
Aus der Diskrepanz zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und denjenigen
Maßnahmen, die politisch gefordert und gefördert werden, ergeben sich für die Versorgungspraxis Folgen:
Zum einen besteht die Gefahr, dass Fragestellungen, die zum Gegenstand der Forschung gemacht werden, weniger von praxisrelevanten Problemen und mehr von (forschungs-)politischen Interessen bestimmt werden (Nikolic 2011). Zum anderen sind
gesundheitspolitische Entscheidung nicht immer durch wissenschaftliche Erkenntnisse abgesichert, sondern werden teilweise durch andere meinungsbildende Kriterien
beeinflusst (Innvaer et al. 2002). Es besteht das Dilemma, dass die Realbedingungen in
den Gesundheitseinrichtungen ausgeblendet werden und sowohl neue wissenschaftliche wie auch gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen und -richtlinien an den
aktuellen Bedarfen und Ressourcen der Praxis vorbeigehen. Hinzu kommt derzeit ein
Mangel an gegenstandsorientierten Qualitätsindikatoren (GKV 2011). Der Einfluss
neuer wissenschaftlicher oder gesundheitspolitischer Handlungsempfehlungen und
-richtlinien auf Patienten, Bewohner und Klienten bleibt damit unklar und die immer
wieder konstatierte Fehl-, Unter- und Überversorgung bleibt unbeeinflusst (KDA
2010; MDS 2007; MDS & SEG 2009; SVR 2000/2001). Insgesamt kann zur Diskussion gestellt werden, ob Papiere wie die Pflegeforschungsagenda ausreichen oder ob
219
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Wissenschaft und Politik als Akteure darüber hinaus in der Verantwortung stehen, in
einen aktiven Diskurs miteinander zu treten.
Das „Politik-Praxis-Gap“
Um nachvollziehen zu können, warum ein Gap zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Pflegepraxis konstatiert wurde, ist es hilfreich zu verstehen, wie Politik
sich wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber verhält. Vor diesem Hintergrund ist
auch festzuhalten, dass wissenschaftliche Erkenntnisse teils über den Umweg politischer Entscheidungen in der Praxis ankommen (wie die Skizzierung des ersten Gaps
zeigte). In einem Systematischem Review (Innvaer et al. 2002) wurden Artikel analysiert, die sich mit der Frage befassten, ob und inwiefern politische Entscheidungen auf
publizierten Wissenschaftserkenntnissen beruhen. Die Ergebnisse dieses Reviews zeigen u. a., dass Entscheidungen vorwiegend auf persönlichen Kontakten zu Wissenschaftlern basierten und zugleich ein Mangel an direkten Kontakten die größte Barriere darstellt. Weiterhin sind auch der Zeitpunkt einer Publikation sowie deren Koppelung an aktuelle politische Entscheidungsprozesse von Relevanz. Grundsätzlich sehen
sich politische Entscheidungsträger im Dilemma zwischen Unsicherheit hinsichtlich
Bewertung der vorliegenden Erkenntnisse als auch der Bewertung der Innovation an
sich (Bell 2010; Lindblom & Cohen 1979). Immer wieder ist zudem festzustellen, dass
diejenigen Instanzen, die von einer evidence-basierten Praxis ausgehen, dazu beitragen, dass die vermeintlich evidence basierten Ergebnisse dann unter anderem im Rahmen einer externen Qualitätssicherung erfasst werden, und damit indirekt Qualität definieren. Zugleich werden diese externen Qualitätskriterien als Aufforderung an die
Praxis verstanden, dass sie dort entsprechend umzusetzen seien.
Die Frage ist, welche Konsequenz sich hieraus für die Versorgungspraxis ableiten.
Der „two-community-thesis“ (Innvaer et al. 2002) folgend handelt es sich hierbei um
zwei Gruppierungen, denen die Fähigkeit fehlt, die Realität oder Perspektive des jeweils anderen einzunehmen. Politische Entscheidungsträger sehen sich eher als Pragmatiker und handeln aktionsorientiert (Caplan 1997; Caplan et al. 1975; Pawson
2009), während sich die Pflegepraxis eher als Rezipient politischer Entscheidungen
mit wenig oder gar keiner Möglichkeit direkter Einflussnahme sieht. In Abbildung 3
stellt sich die Perspektive des Praxis-Politik-Gap als eine Kombination aus verschiedenen Einflussbereichen dar: Seitens der Pflegepraxis als ein Konglomerat aus professionellem Handeln und Laienpflege, sektorspezifisch und -übergreifend oder auch von
Erster Hilfe bis hin zur Palliativpflege und alle Lebensaltersgruppen und Lebensphasen
reichend. Seitens politischer Entscheidungsträger (hier verkürzt Gesetzgebung genannt) als die Entwicklung und Verabschiedung rechtlicher Vorgaben, die in zwei verschiedenen Ministerien (BMG bzw. BMFSFJ) in der Regel weitestgehend unabhängig
voneinander erfolgt; deren Entscheidungen in der Praxis jedoch wieder zusammentreffen (u. a. in Situationen der Prävention und Behandlung in der ambulanten Pflege).
Für ein Fallbeispiel zur Erläuterung der „two-community“ These ist der Qualitätsdiskurs geeignet. Ganz allgemein gesehen kann Qualität aus zwei Perspektiven betrachtet werden: (1) der Qualitätsdarlegung und (2) der Qualitätsfeststellung.
220
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Praxis
xis
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Wissenschaft
a
Pr
Pflegepraxis
Pflege
Praxis
Professionell
Privat
Ambulant /
Stationär
…
GAP - TRIAS
Wissenschaft
Politik
Dilemmata
Praxis
GAP
Gesetzgebung
SGB I-XI
Altenpflegegesetz
Krankenpflegegesetz
Krankenhausfinanzierungsgesetz
Haftungsrecht
…
Politik
Selbstbestimmte Pflegebedürftige
Kontrolle und Standardisierung
Politischer Wille
Gesetzliche Wirkung
Würde des Menschen
Knappe Ressourcen
Partizipativer Aushandlungsprozess in
der Pflege
hierarchisches/patriarchales
Gesundheitssystem
Abb. 3: Gap Politk - Praxis (Auszug Poster Frommelt & Buscher 2013)
Schritt eins liegt in den Händen der Wissenschaft und besteht aus professioneller
Bewertung vorliegender, im Rahmen von Studien identifizierte Evidenz, Interpretation von Metanalysen, Entwicklung von Leitlinien oder nationaler Expertenstandards,
verstanden als Synthese verschiedener als relevant erachteter Studien. Eine wissenschaftsbasierte Qualitätsdarlegung stellt einen wichtigen Beitrag für die Profession dar.
Die notwendigen methodischen Schritte der Qualitätsdarlegung werden in Methodenpapieren ausführlich erläutert und sind allen Interessierten öffentlich (Internet)
zugänglich (z.B. DNQP 2011 oder IQWiG) .
Schritt zwei besteht in der Festlegung dessen, welche Qualität wie gemessen werden
soll. Dieser Schritt gestaltet sich oft als Prozess, der außerhalb der Reichweite wissenschaftlicher Entscheidungen liegt bzw. sich als Kombination wissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. die Identifikation von Indikatoren zur Erfassung der Ergebnisqualität) und politischer Prozesse (z. B. Einflussnahme durch die im Sozialgesetzbuch verankerten Selbstverwaltungsorgane) darstellt. Die methodischen Schritte zur
Festlegung von Qualitätskriterien mit Relevanz für die externe Qualitätssicherung im
SGB V sind in Methodenpapieren ausführlich erläutert öffentlich (Internet) zugänglich (z. B. AQUA 2010); dies gilt allerdings nicht für die verpflichtenden externen
Qualitätsprüfungen und die derzeit verwendeten Prüfinstrumente, die sich aus den
Vorgaben des SGB XI ergeben bzw. im Auftrag der Politik u. a. vom MDS/MDK entwickelt werden. Daraus folgt, dass der Prozess der Auswahl und Festlegung derjenigen
Qualitätskriterien, die Grundlage der verpflichtenden Qualitätssicherung in der am221
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
bulanten und stationären Pflege wurden, für Außenstehende (hier für die Leistungserbringer der ambulanten und stationären Pflege) nicht transparent ist.
Exemplarisch demonstriert sich dies an der Umsetzung der Kriterienebene der nationalen Expertenstandards des DNQP in die Qualitätsprüfrichtlinie (GKV 2009)
bzw. in die Pflegetransparenzkriterien (PTV) für die ambulanten und stationären Bereiche (Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 in SGB XI 2011). Zu beachten ist,
dass es sich hierbei um eine Delegation politischer Entscheidungskompetenz an Selbstverwaltungsorgane handelt. Ein weiteres Beispiel mit unmittelbarer Konsequenz für
die Praxis ist die Entscheidung, das Thema Kontrakturprophylaxe mit in die Bewertungskriterien (PTV) aufzunehmen. Ausgehend vom Verständnis, dass die Auswahl
geeigneter Qualitätsprüfkriterien durch vorliegende Evidenz bedingt ist, stellt sich u.
a. die Frage, wie die Aufnahme dieses Themas ohne konkret vorliegende Evidenz – welche Maßnahmen effektiv sind – und ohne vorliegende Synthetisierung von Studienergebnissen begründet wird. In einem Systematischen Review (2011) konnte beispielsweise auf Grundlage der Bewertung von 25 Studien festgehalten werden, dass regelmäßiges Strecken der Extremitäten bei neurologisch Erkrankten nicht zu klinisch
relevanten Änderungen (u. a. Steigerung der Mobilität) führt. Die Praktiker sehen sich
somit in einem Dilemma: Einerseits sind sie aufgefordert, sich mit der Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. nationale Expertenstandards) zu befassen
und diese mit ihrer Praxis zu verbinden. In diesem Falle können sie zugleich auf Informationen zur Qualitätsbewertung zurückgreifen (u. a. durch Audit-Instrumente bzw.
Referenzwerte, die die Spannweite erreichbare Qualitätsniveaus darstellen). Andererseits ergeben sich aus den extern verpflichtenden Qualitätsprüfanforderungen Konsequenzen für den Alltag, die es zu erfüllen gibt. Teils sehen sie sich hierbei mit der Situation konfrontiert, dass Erkenntnisse zu effektiven Maßnahmen und damit Hinweise
auf Qualitätsverbesserungen nicht vorliegen.
Die Wahrnehmung dessen, was wie gemessen werden kann, steht für zwei paradigmatisch differente Herangehensweisen hinsichtlich der Qualitätsmessung. Version 1:
Fokus auf wenige, dafür signifikante und für das praktische Handeln hoch relevante
Kriterien mit dem Ziel der konkreten Qualitätsverbesserung in ausgewählten (nationalen) Problembereichen. Version 2: Fokus auf viele Daten, deren Interpretation sich
auf frühere Daten bezieht bzw. auf einrichtungsübergreifende Daten innerhalb des definierten Messzeitraums. Daraus ableitend wird ein quantitativer Vergleich ermöglicht, gleichwohl dieser in der Regel dekontextualisiert interpretiert wird, sich auf Einzelaspekte komplexer Handlungen bezieht und nicht eindeutig bezüglich dessen statistischer Signifikanz für die Qualitätsverbesserung ist (u. a. Chassin et al. 2010; Meyer et
al. 2012; Porter & Teisberg 2006). Gerade in der Auswahl und Festlegung geeigneter
Messmethoden und -parameter liegt jedoch die Herausforderung (u. a. Li at al. 2009),
wie auch der Diskurs zur Identifikation von Parametern zur Messung von Ergebnisqualität (BMG & BMBF 2011) zeigt.
Die Debatte um die Festlegung, welche Outcomes gemessen werden sollen, wird
noch verstärkt durch die Annahme, dass darüber hinaus ein Gap zwischen „best practi222
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
ce“ aus Sicht der Forschung und dem besteht, was in der Praxis tatsächlich getan wurde
(Boström et al. 2008; Boström et al. 2011; Estabrooks et al. 2009; Grol & Grimshaw
2003; Masso & McCarthy 2009). Dieses Phänomen korrespondiert auch mit Fragen
der Differenz von Interventions- und Implementierungsoutcome. Momentan fehlen
allerdings noch longitudinale Implementierungsstudien sowie Studien zu möglichen
Implementierungsbiases (Alexander & Herald 2011), um diesen Zusammenhang im
Kontext einer verpflichtenden externen Qualitätsprüfung adäquat interpretieren zu
können. Auch die Entwicklung von mehr Transparenz durch verpflichtende Veröffentlichung ausgewählter Ergebnisse im Internet (SGB XI, 2011), die auf politischer Ebene
entschieden wurde, ignoriert, dass bis heute immer noch unklar ist, ob und wenn ja, inwiefern dies von den intendierten Lesern (Leistungsempfängern und -erbringer) gelesen bzw. in deren Entscheidungsprozesse eingebunden wird (u. a. Mukamel et al.
2008). Interessant wäre beispielsweise eine kritische Analyse des sichtbaren Annahmeverhaltens (insbesondere bei bundesweit ähnlichen Prüfergebnissen von 1,0 bis 1,2),
nachdem anfangs aufs Heftigste gegen das PTV protestiert wurde.
Zwischenfazit
An dieser Stelle kann konstatiert werden, dass sich der Qualitätsdiskurs sehr gut eignet,
das Gap zwischen politischen Entscheidungen und den Entscheidungen von in der
Pflegepraxis Tätigen zu skizzieren. Am Beispiel der Frage, worauf sich Qualitätskriterien verpflichtender externer Prüfinstanzen stützen bzw. an den Herausforderungen,
wie Messparameter identifiziert werden, konnte exemplarisch gezeigt werden, dass
noch einige Aspekte unklar sind und die Praxis in Sachzwänge bugsiert: einerseits eine
evidence-informierte Praxis zu realisieren und sich andererseits mit Prüfkriterien auseinander setzen zu müssen, deren Begründungszusammenhang nicht diesen Prinzipien
folgt. Darüber hinaus wurde angemerkt, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt auch Forschungsbedarfe aus den Zusammenhängen zwischen Implementierung und Qualitätsergebnissen entwickeln. Zum Beispiel konnte Ende 1990 in einer groß angelegten Studie erstmalig aufgezeigt werden, dass Implementierungsprozesse einer strukturierten
und systematischen Unterstützung bedürfen, um Qualitätsverbesserungen zu erreichen (u. a.A. Kitson et al. 1998; Kitson et al. 2008). Bisher verläuft lediglich die modellhafte Implementierung nationaler Expertenstandards nach einem strukturierten
Schema (DNQP 2011). Wie sich zukünftig der Implementierungsprozess gestalten
wird, seit der Begriff „Expertenstandard“ in den §113 Abs. 1 und 2 SGB XI aufgenommen wurde (und damit auch die ursprüngliche sektorübergreifende Intention verloren
geht), bleibt abzuwarten.
Das „Wissenschafts-Praxis-Gap“
Das Gap zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer Umsetzung in praktisches Handeln ist bekannt. Während der Fundus wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse auch in der Pflege kontinuierlich anwächst, wird allerdings auch das Gap zwi223
Schwerpunkt
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Politik
sc
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Wissenschaft
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GAP - TRIAS
Politik
Praxis
Herausforderung
GAP
Praxis
Wissenschaft
Art des Wissens bzw. der Innovation
Studienplanung
Fragestellungen der Praxis
Studiendurchführung
Veränderungsbereitschaft der
Organisation
Dissemination der Studienergebnisse
Übernahme der Innovation in
Handlungsroutine
Abb. 4: Grafik – Gap Wissenschaft - Praxis (Auszug Poster Riesner & Mazzola 2013)
schen vorhandenem Wissen und seiner Anwendung stetig größer (siehe Abbildung 4).
Bedacht werden muss, dass die Überführung oder Translation von Wissen ein in mehrfacher Hinsicht komplexes Geschehen ist (Dewe et al. 2006):
- „Wissenschaft“ als erste Ebene des Gap wirkt in verschiedenen Phasen wissenschaftlichen Arbeitens auf die Transformation generierten Wissens (Graham & Tetroe
2009) ein. Grundsätzlich kann, auch wenn Wissenschaft breit aufgestellt ist, in einer
interventionsbezogenen Studienplanung gefragt werden: Wird die Implementierung
in Interventionsstudien bezogen auf den konkreten Kontext ausreichend geplant?
Wird die Implementierung einer Innovation unter Praxisbedingungen geprüft? Wird
die Praxis differenziert betrachtet, wenn Innovationen entwickelt werden (RycroftMalone 2004)? Bei der Studiendurchführung ist u. a. zu fragen: Wird die tatsächlich
erfolgte Implementierung in Interventionsstudien ausreichend überprüft (Huis et al.
2013)? Wird die Innovation interdisziplinär überprüft? Bei der Dissemination von
Studienergebnissen lauten die Fragen: Wird im Rahmen des wissenschaftlichen Outputs die Frage beantwortet, ob dies eine Innovation für die Praxis ist? Wird der wissenschaftliche Output praxisnah publiziert?
- Die „Innovation“ selbst bildet ein Einflussbündel (Graham & Logan 2004), denn
nicht jedes Wissen oder jede Neuerung wird gleich schnell und gleich gut ihren Weg in
die praktische Alltagsroutine finden. Gefragt werden muss, wie komplex sich die Innovation gestaltet und ob sie aus Sicht der Praktiker glaubwürdig ist, d. h. hält sie, was sie
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Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
verspricht? Weiter entscheiden Praktiker, ob sie durch die Übernahme neuen Wissens
profitieren bzw. wer davon profitieren kann. Die bestehenden Handlungsabläufe oder
Routinen bilden ein wertvolles stabilisierendes Gerüst des Praxis-Alltags.
- „Praxis“ ist ein ausgesprochen differenziertes Feld (McCormack et al. 2002). Sie
unterscheidet sich nicht nur in Praxis-Disziplinen oder Sektoren, sondern muss bezogen auf das Wissenschaft-Praxis-Gap noch viel kleinteiliger zergliedert werden. Einer
Organisation können unterschiedliche Praxisbereiche angehören, weil sich die Fragestellungen, die beteiligten Individuen und z. B. die Kompetenz der Wissensaneignung
unterscheiden. Weitere Fragen sind: Wie befördert das Management die Übernahme
einer Innovation? Wie gestaltet sich generell der Zugang zu und die Verfügbarkeit von
neuem Wissen? Welcher Wert wird kritischem Denken und Veränderungsbereitschaft
gegeben?
Die Implementierung der Innovation Dementia Care Mapping (DCM) soll als Praxisbeispiel einen Teil dieser Zusammenhänge erläutern. Die Darstellung wurde in die
drei bereits benannten Gliederungsebenen (a) Wissenschaft, (b) Innovation und (c)
Praxis unterteilt.
Zu a) Wissenschaft
Das Beobachtungsassessment DCM ist in den 1990er Jahren durch die Arbeit von Kitwood und Bredin (1992) entstanden, um Wohlbefinden bei Personen mit Demenz zu
erfassen und die pflegerische Praxis zu entwickeln. Der Entwicklung des Instrumentes
ging die theoretische Konzeptionierung personzentrierter Pflege (Kitwood 2000) voran. DCM ist daher ein theoriegeleitetes Instrument zur Bestimmung von Wohlbefinden und Pflegequalität. Es wurde auf seine Fähigkeiten, prozesshaft die pflegerische
Praxis zu entwickeln, überprüft (Brooker et al. 1998; Ervin & Koschel 2012; Innes &
Surr 2001). DCM wird in unterschiedlichen kulturellen Kontexten eingesetzt und beforscht (Chenoweth & Jeon 2007; Suzuki et al. 2008). Das Deutsche Zentrum für
Neurodegenerative Erkrankungen, Standort Witten untersucht momentan in einer
quasi-experimentellen Studie die Effekte und Einflussfaktoren der Implementierung
von DCM in Deutschland3. DCM wird als ein Instrument zur Bestimmung von Wohlbefinden als Ausdruck der Lebensqualität bei Demenz angesehen (Brooker, 2005; Fossey et al. 2002), welches das evidence-basierte Potential für Entwicklungen der Praxis
besitzt (WHO 2012) und als komplexe Intervention angesehen wird (Edelman et al.
2004; Kuiper et al. 2009).
Zu b) Die Innovation DCM
DCM ist ein regelgeleitetes Beobachtungsassessment zur prozesshaften Entwicklung
(Einführung, Durchführung, Feedback, Handlungsplan). Ethische Empfehlungen in
Handbuch und Begleitmaterialien unterstützen die Implementierung4. In der Praxis
3 Leben-QDII Studie, trail number ISRCTN43916381
4 Z. B. soll DCM nicht gegen den Widerstand im Team angewendet werden. Es erfordert den ongoing consent des
beobachteten Teilnehmers. Die Beobachtungsdaten stehen in Gänze dem Team, aber nicht automatisch dem
Management zur Verfügung.
225
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
zeigt sich einerseits eine große Akzeptanz, wenn der personzentrierte Ansatz angenommen wird und das Instrument aus Sicht der Anwender hält, was es verspricht (Radzey
2005; Seitz 2007). Wenn andererseits die Ergebnisse belastend sind, kann bei den Mitarbeitern der Eindruck entstehen, durch den Einsatz von DCM nicht zu profitieren.
Auch kann die Diskrepanz zwischen bestehender Routine und den Rückmeldungen
der DCM-Ergebnisse zu groß erscheinen (Innes & Surr 2001; Riesner 2005). Die Implementierung von DCM wird daher auch davon beeinflusst, wie sicher und reflektiert
DCM-User das Instrument in einem bestimmten Kontext anwenden.
Die Anwendung des DCM erfordert die Teilnahme an einem DCM Basic UserKurs, dessen Inhalte festgelegten Abläufen folgen und der durch eine standardisierte
schriftliche Prüfung abschließt. Ein Handbuch und Anwendungsinformationen stehen den Teilnehmern zur Verfügung. Der Abschluss des Basic User-Kurses befähigt dazu, „den Umgang [...] in komprimierter Form [...] zu erlernen, um dann zeitnah praktische
Erfahrungen [...] zu sammeln“ (http://www.dcm-deutschland.de/). Der Ansatz, ein
komplexes Instrument nach drei Tagen Training anwenden zu können, gelingt aus der
Erfahrung der DCM-Trainer nur insofern, als dass eine Sicherheit in der korrekten Kodierung und Anwendung der Kodierungsregeln erreicht werden kann. Die wesentlich
komplexere Praxisanwendung wird in dieser Art des Trainings nur im Rahmen von theoretischen Übungen aufgegriffen.
Zu c) Praxis
Die Innovation DCM als umfangreiches Instrument soll als komplexe Intervention in
einen Praxiskontext überführt werden. Der Erfolg hängt neben verschiedenen Organisationsfaktoren auch davon ab, wie gut die DCM Basic User in der Lage sind, innerhalb
dieser Komplexität zielgerichtet zu agieren. Der dargelegte Basic User Trainingsansatz
zeigt hier eine deutliche Tendenz zur Pragmatik, denn theoretisches Wissen schwindet
schnell, wenn keine unmittelbare Praxisanwendung erfolgt (Wahl 2002). Ebenso können sich Praxisbarrieren auftun (Hennig et al. 2003). So wird es den gegebenen Praxisbedingungen und beteiligten Individuen überlassen, DCM erfolgreich oder möglicherweise auch schädigend anzuwenden (Riesner, 2005).
Verbesserung der Implementierung der Innovation DCM
Vor über einem Jahr wurde die Kursstruktur des DCM Basic User-Kurses in Deutschland verändert, um die Praxisanwendung des Instrumentes schon während des BasicKurses zu gewährleisten. Die Kursstruktur wurde in zwei Teile gegliedert. Die erste
Theorie-Einheit dauert nun zwei Tage. Danach erfolgt eine etwa achtwöchige Praxisphase, in der die Kursteilnehmer DCM anwenden und das Kodieren in einem konkreten Praxisfeld praktisch üben. Das Ziel dieser Phase ist die Befähigung, eine etwa vierstündige Beobachtung mit drei Teilnehmern (Personen mit Demenz) durchführen zu
können. In der zweiten Theorie-Einheit des Basic User-Kurses findet eine Auseinandersetzung mit folgenden Themen statt: Kodierungsfragen, Datenanalyse, beobachtete Pflegequalität, zu Rückmeldungen an das Team und zu Reaktionen von Team und
226
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Leitung. Die abschließenden/letzten Theorie-Einheit orientiert sich an dem standardisierten Kursprogramm (Einführungsübung, Feedbackübung, Abschlussprüfung).
Die bisherigen Erfahrungen mit der Theorie-Praxis-Theorie-Abfolge des DCM Basic
User-Kurses sind eindeutig positiv. Die tatsächliche Kapazität für die Übungen ist vorhanden, und es erfolgt eine differenzierte Auseinandersetzung mit den jeweiligen
Schwerpunkten. Die überarbeitete Struktur scheint zu einer Verbesserung der Sicherheit in der Anwendung zu führen, dies sind allerdings eher wahrgenommene Tendenzen.
Zwischenfazit
Die Implementierung der Innovation DCM wurde durch die Innovation der TheoriePraxis-Theorie Struktur des Basic User Kurses augenscheinlich erleichtert, eine Untersuchung dieser Annahme steht noch aus. Die wissenschaftliche Untersuchung von
Maßnahmen der Dissemination und Implementierung, z. B. durch die Veränderung
einer Ausbildungsstruktur, wird in Deutschland bisher zu wenig durchgeführt. Ebenso
sind wenig Kenntnisse zum Nutzen weiterer flankierenden Maßnahmen der Implementierung, wie Netzwerkstrukturen z. B. für DCM User sowie Lernplattformen für
den Implementierungsprozess mit ergänzendem Wissen und Instrumenten zur Unterstützung der Implementierung vorhanden (vgl. die interaktive Plattform www.gembeta.org/Public/Home.aspx zum interdisziplinären Austausch). Ein konkretes Einsatzgebiet der Implementierung und Dissemination besteht in der Unterstützung von
Praktikern, die eine Innovation in die Praxis einführen sollen, wie dies im PARIHSModel von Rycroft-Malone (2004) als facilitation beschrieben wird.
Bedeutung für einen Diskurs in der bundesdeutschen Pflegewissenschaft
Die bisher dargestellte Gap-Trias ist wichtig für den Implementierungs- und Disseminationsdiskurs. Sie mündet nun in die Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses
Diskurses für die Pflegewissenschaft in Deutschland. Dies lässt sich anhand von drei
Fragen skizzieren:
1. Wie wird Implementierung und Dissemination zum jetzigen Zeitpunkt in der
Pflegewissenschaft aufgegriffen?
Ein Blick in den internationalen Pflege- und Gesundheitsraum hat gezeigt, dass Forschung über Implementierung und Dissemination teils in der Pflege-/Gesundheitsforschung etabliert ist (insbesondere Kanada und Großbritannien; wenngleich deren
Schwerpunktsetzung variiert). Demnach liegen auch vielfältige Studien zu der oben
genannten Gap-Trias vor; wenngleich insbesondere eine Debatte der Einbindung politischer Entscheidungsprozesse auch dort noch relativ neu ist. In der kürzlich erschienenen Pflegeforschungsagenda 2020 werden Gaps zwischen Forschung, Wissenschaft
und Politik angedeutet, in dem sie u. a. auf fehlende nachhaltige Förderstrukturen für
die Pflegeforschung hinweist und damit auch an frühere Kritik anknüpft (u. a. Bartholomeyczik 2011). Als Entscheidungsgrundlage für die künftige Förderung von Pflege227
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
forschung stellt die Pflegeforschungsagenda für einen Zeitraum von zehn Jahren prioritäre Forschungsthemen vor und fordert die Politik auf, künftig verlässlich und kontinuierlich Fördermittel für diese Forschungsthemen zur Verfügung zu stellen. Neben
der klinischen Pflegeforschung weist sie auf die dringende Notwendigkeit hin, die pflegerische Versorgungsforschung und die (Pflege)Systemforschung auszubauen, die sich
u. a. mit der Frage befasst, warum allgemein akzeptierte Forderungen nicht umgesetzt
werden und welche Barrieren hier wirken (Behrens et al. 2012). Darüber hinaus formuliert sie die Forderung, die Personen- und Nutzersicht stärker in den Fokus zu nehmen
und bedarfsgerechte Antworten zu finden bzw. „Interventionen zu vermeiden, die an
den Problemen der Erkrankten bzw. Pflegebedürftigen vorbei- und deswegen fehlgehen“
(Behrens et al. 2012:7). Kritisch anzumerken ist, dass in der Pflegeforschungsagenda
2020 zwar die Entwicklung tragfähiger Strategien für den Theorie-Praxis-Transfer gefordert wird, dies wird aber ausschließlich in einen Bildungskontext verankert und
bleibt damit hinter dem internationalen Diskurs der Implementierungs- und Disseminationswissenschaft zurück. Positiv bleibt anzumerken, dass mit einer Verankerung im
Abschnitt Bildung der Pflegeforschungsagenda 2020 ein zentrales Element (das Lernen) erfolgreicher Implementierungs- und Disseminationsprozesse in den Blick der
Pflegeforschung rückt.
2. Wie werden politische Entscheidungen zum Gegenstand eines Wissenschaftsdiskurses?
Eine andere Perspektive des Zusammenspiels politischer Entscheidungen und wissenschaftlicher Tätigkeit ist die Frage danach, wie politische Entscheidungsträger mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umgehen. Das zuvor genannte Stichwort „politische
Konsensfindung“ erhält eine besondere Konnotation. Pawson (2009) verweist darauf,
dass die Einbindung der Politik in Wissenschaftsdiskurse nach Vereinfachungen fragt.
Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, sind die auch in Deutschland bekannten MetaAnalysen, wie sie beispielsweise das IQWiG oder DIMDI5 erstellt. In dem Bestreben,
klare Antworten zu finden (wenn A dann B ohne C) liegt jedoch auch eine Falle, wenn
nur noch die Zusammenfassungen der Kernergebnisse gesehen werden und damit der
Blick auf den Selektions- und Bewertungsprozess, also der Komplexität des Geschehens, verloren geht. Die im Kontext der Gap-Trias vorgestellten Beispiele zeigen auf,
wie unterschiedlich Interaktionsprozesse zwischen den am Diskurs beteiligten Akteuren gestaltet werden. Einerseits erfolgen politisch-wissenschaftliche Dialoge wie die
politische Initiative Pflegeberatung bundesweit und regional verortet als verpflichtende Struktur einzuführen mit nachträglich geliefertem „positiven empirischen Nachweis zur Sinnhaftigkeit und Nutzen“. Oder: es liegen diverse wissenschaftlich fundierte (inter)nationale Erkenntnisse zur Konzeption der Qualitätstransparenz und deren
Relevanz für avisierte Zielgruppen vor, jedoch scheinbar ohne Wirkungen auf politische Entscheidungen. Ganz allgemein gesprochen haben politische Entscheidungsträ5 DIMDI = Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information; betreibt u. a.
Informationssysteme für Arzneimittel, Medizinprodukte und zur Bewertung gesundheitsrelevanter Verfahren
(Health Technology Assessment, HTA) und bietet die Recherche in Fachartikeln und Fakten aus der Medizin an.
http://www.dimdi.de/static/de/index.html
228
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
ger im Fall der PTV erreicht, was anfangs nicht für möglich gehalten wurde. Dieses Szenario ist es, welches eine kritische Analyse der Gap-Trias im Kontext einer Implementierungs- und Disseminationswissenschaft so wichtig macht (u. a. Bell 2010; O’Connor und Netting 2011).
3. Wie werden praxisrelevante Fragestellungen im Wissenschaftsdiskurs aufgegriffen?
Der in diesem Kontext zu führende Diskurs ist die am stärksten beachtete Debatte, die
sich vor allem in der Auseinandersetzung um den sog. „Theorie-Praxis-Transfer“, und
insbesondere in Ausbildungszusammenhängen wiederfindet (Adolph & Görres 1997;
Dewe et al. 2006; Görres et al. 2002; Schaeffer 2006). Ein Diskurs, der hier nicht ein
weiteres Mal erläutert werden soll.
Das im Rahmen dieses Artikels vorgestellte Praxisbeispiel korrespondiert einerseits
mit zwei zentralen Komponenten erfolgreicher Implementierungsansätze: dem Lernen
in einem pädagogischen Kontext. Andererseits sieht es sich mit der Herausforderung‚
vom Denken zum Handeln konfrontiert, u. a. Fragen der notwendigen Unterstützung
in der Anfangsphase von Veränderungsprozessen (Kitson et al., 1998; Roes, 2004 ). In
einem kürzlich publizierten Systematischen Review (Chaudoir et al. 2013) entwickeln
die Autoren ein Modell, in dem vier Kernbereiche mit Vorhersagepotential hinsichtlich Implementierungsergebnissen identifiziert wurden. Es handelt sich dabei um folgende Kernbereiche: Annahme, Veränderungsgrad der Intervention, Durchdringungsgrad, Kosten der Implementierung und Nachhaltigkeit. Mit ihrer Fokussierung
auf die Überprüfung von Implementierungen bzw. dem Versuch, relevante Messparameter zu identifizieren, haben sie auch dazu beitragen, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis zu thematisieren; welches sich durch ihre wechselseitige Einflussnahme definiert.
Ausblick
Die in diesem Artikel vorgestellte Thematik der Gap-Trias ist sehr komplex, wie die
Skizzierung gezeigt hat, ebenso bestehen verschiedene Denkrichtungen in den benannten drei Bereichen (Wissenschaft, Politik, Praxis). Es braucht Zeit und kontinuierliche diskursive Auseinandersetzungen, um ein Verständnis zu den jeweils anderen
Bereichen zu entwickeln sowie die Bereitschaft, den politischen Entscheidungsdiskurs
nicht gänzlich zu ignorieren. Notwendig ist ein integrierendes Verständnis hinsichtlich
gemeinsamer Aufgaben und Ziele. Daraus ergibt sich großer Forschungsbedarf, deren
Themenbereiche mit der Disseminations- und Implementierungswissenschaft korrespondieren. Wie sinnvoll eine Verankerung im pflegewissenschaftlichen Diskurs sein
kann, wurde sowohl in diesem als auch in den anderen beiden thematisch relevanten
Artikeln (Quasdorf & Hoben sowie Roes, deJong, Wulff in dieser Ausgabe) gezeigt.
Die AG Implementierungs- und Disseminationsforschung des DZNE / Witten und
die Sektion Dissemination und Implementierung der DGP wollen einen Beitrag dazu
leisten, diesen hier skizzierten Diskurs in der Pflegewissenschaft zu platzieren. Die SDI
versteht sich als Plattform für diejenigen Personen und Organisationen, die bereits ein
229
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Interesse gezeigt bzw. eine Umsetzung der genannten Themen begonnen haben. So
könnte die Aufmerksamkeit auf die skizzierten Bedarfe fokussiert und kontinuierlich
erhöht werden.
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WHO, Weltgesundheitsorganisation (2012): Dementia: A public health priority. Geneva: World Health
Organization
Beitrag der Autorinnen:
- Konzeption des Artikels: MR, IB, CR
- Manuskripterstellung: MR, IB, CR
- Wissenschaft-Politik-Lücke, Zusammenfassung: IB
- Praxis-Wissenschaft-Lücke: CR
- Einleitung, Politik-Praxis-Lücke, Bedeutung für einen Diskurs in der bundesdeutschen Pflegewissenschaft: MR
- Revision und Endredaktion des Manuskriptes: MR, IB, CR
234
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Prof. Dr. Martina Roes, Prof. Dr.; Diplom Soziologin; RN (Korrespondenzadresse)
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Standort Witten,
Postfach 62 50, Stockumer Str. 12, 58453 Witten, [email protected]
Sektion Dissemination und Implementierung (SDI) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP), [email protected]
Ines Buscher, Diplom-Pflegewissenschaftlerin (FH), RN
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)/ Standort Witten,
Universität Witten/Herdecke, Fakultät Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft,
[email protected]
Sektion Dissemination und Implementierung (SDI) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP), [email protected]
Dr. Christine Riesner (CR), MScN, RN
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)/ Standort Witten,
Universität Witten/Herdecke, Fakultät Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft, chris-
Tina Quasdorf, Matthias Hoben, Christine Riesner, Martin
Nikolaus Dichter, Margareta Halek
Einflussfaktoren in Disseminations- und
Implementierungsprozessen
Influencing factors in dissemination and implementation processes
Due to the requirement of an evidence-based nursing practice, nursing homes constantly have to deal with innovations and associated processes of change. The implementation of such innovations is often highly complex and subject to numerous factors that can
inhibit or facilitate it. This paper provides an overview of factors influencing implementation processes as discussed in the international literature. The particular importance of
organizational context factors is pointed out. Furthermore, the impact of the care team,
as an integral part of the organizational context of nursing facilities, and its impact on implementation processes is illustrated and discussed, drawing on examples of the LebenQD II study. These point out that teams with different characteristics act in different ways
and also have different capabilities for successful dissemination and implementation
processes.
To sum up it becomes apparent, that systematically analyzing and considering factors
which influence dissemination and implementation processes is required to facilitate
their success.
Keywords
implementation, dissemination, influencing factors, team
Die Forderung nach einer evidenzbasierten Pflegepraxis führt dazu, dass Pflegeeinrichtungen sich beständig mit Neuerungen und damit einhergehenden Veränderungsprozeseingereicht 22.04.2013
akzeptiert 03.06.2013
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Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
sen auseinandersetzen müssen. Die Implementierung von Neuerungen ist häufig hochkomplex und unterliegt zahlreichen Einflussfaktoren, die sie begünstigen oder hemmen
können.
In diesem Beitrag wird ein Überblick über Einflussfaktoren von Implementierungsprozessen gegeben, die in der internationalen Literatur diskutiert werden. Die besondere Bedeutung von Organisationskontextfaktoren wird hervorgehoben. Als wesentlicher Bestandteil des Organisationskontextes von Pflegeeinrichtungen werden darüber hinaus
das Pflegeteam und sein Einfluss auf Implementierungsprozesse anhand von Beispielen
aus der Leben-QD II-Studie dargestellt und diskutiert. Hier wird deutlich, dass Teams mit
unterschiedlichen Merkmalen unterschiedlich agieren und unterschiedliches Potenzial
für gelungene Disseminations- und Implementierungsprozesse aufweisen.
Insgesamt wird deutlich, dass für die erfolgreiche Umsetzung von Disseminations- und
Implementierungsprozessen eine systematische Auseinandersetzung mit deren Einflussfaktoren notwendig ist.
Schlüsselwörter
Implementierung, Dissemination, Einflussfaktoren, Team
1. Einleitung
Implementierungsprozesse sind eine Herausforderung. Da diese dazu tendieren, eher
chaotisch als kontinuierlich-linear zu verlaufen und somit nicht gänzlich berechen-,
plan- und steuerbar sind, entpuppen sich selbst scheinbar kleine, einfache Veränderungen schnell als hochkomplex (Greenhalgh et al. 2005; Greif et al. 2004; Kitson 2009;
van Achterberg et al. 2008). Nicht zuletzt im Zuge der Forderung nach einer evidenzbasierten Pflegepraxis (Behrens et al. 2010; DiCenso et al. 2005) sind Pflegeeinrichtungen fortlaufend damit befasst, sich diesen Herausforderungen zu stellen und Neues
einzuführen (z. B. Expertenstandards) bzw. bestehende Routinen zu verändern (etwa
den Umgang mit Menschen mit Demenz). Viele dieser Prozesse scheitern oder bringen
unerwünschte Auswirkungen mit sich, wie z. B. Enttäuschung, Überforderung, Unzufriedenheit, Demotivation, Burnout, Teamkonflikte oder Verschlechterung anstatt
Verbesserung der Qualität (Fläckman et al. 2009; Höhmann et al. 2010; Jones 2009).
Die Disseminations- und Implementierungswissenschaft (DIW) untersucht solche
Prozesse daher auf verschiedene Weise mit dem Ziel, sie besser zu verstehen und erfolgreich zu beeinflussen (s. auch Roes, de Jong, Wulff in diesem Heft: 197-213).
Die Erforschung von Einflussfaktoren in Disseminations- und Implementierungsprozessen (im Folgenden kurz: DI-Prozesse) ist ein wichtiger Fokus der DIW. Zur Frage, welche Bedingungen für den Erfolg dieser Prozesse förderlich und welche hinderlich sind, liegt international ein umfangreicher Fundus empirischer und theoretischer
Arbeiten vor. Gemessen daran beziehen im deutschsprachigen Raum nur wenige Arbeiten diesen internationalen Wissensbestand in ihre Argumentation ein (Ausnahmen
sind Bartholomeyczik 2008; Brandenburg 2005; Meyer et al. 2012). Auch wenn einzelne Studien zu Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren in DI-Prozessen im deutschen
Sprachraum existieren (Breimaier et al. 2011; Saxer 2002; Schubert et al. 2009; Walker
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Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Schlaefli 2005), sehen die Autoren dieses Artikels die kritische Auseinandersetzung mit
den internationalen Befunden als wichtig für den hiesigen Diskurs an. Keinesfalls soll
damit außer Acht gelassen werden, dass auch ein Rückgriff auf Erkenntnisse der Arbeits- und Organisationswissenschaft (wie vorgeschlagen von Höhmann 2008) die
deutschsprachige DIW zu bereichern vermag. Erforderlich, so unsere Ansicht, ist beides. Im vorliegenden Artikel wollen wir uns zunächst auf den internationalen Stand der
Diskussion beziehen. Ziel ist, einen Überblick zu geben über ausgewählte Eckpunkte
der internationalen Forschung zu Einflussfaktoren in DI-Prozessen. Hierbei handelt es
sich nicht um eine systematische Übersichtsarbeit. Aufgrund langjähriger, intensiver
Auseinandersetzung mit der internationalen DIW-Literatur haben die Autoren Einblick in einen umfangreichen Fundus systematischer Übersichtsarbeiten, auf den hier
zurückgegriffen wird. Hierbei erfolgt bewusst eine Konzentration auf internationale
Befunde, da diese bisher in deutschsprachigen Diskursen wenig thematisiert werden.
Die internationalen Befunde werden diskutiert und die besondere Relevanz von Organisationskontextfaktoren wird herausgearbeitet. Anhand von Fallbeispielen aus einem
Forschungsprojekt wird das Pflegeteam – als ein spezifischer und für die Pflege besonders relevanter Aspekt von Organisationskontextfaktoren – betrachtet und diskutiert.
2. Einflussfaktoren von Implementierungsprozessen
2.1 Ergebnisdimensionen
Vor der Diskussion von Einflussfaktoren empfiehlt es sich zu klären, was beeinflusst
wird bzw. woran man eine Beeinflussung festmacht – also die Ergebnisdimension(en).
Hier sind zwei Ebenen zu unterscheiden (vgl. zum Folgenden Carroll et al. 2007; Fixsen et al. 2005; Graham et al. 2010; Proctor et al. 2012): Erstens Ergebnisdimensionen,
an denen sich die Auswirkungen einer ausreichend umgesetzten Neuerung/Intervention messen lassen – z. B. die Dekubitusrate bei Pflegebedürftigen, Kompetenz oder Zufriedenheit bei Pflegenden oder Kosten auf Institutionsebene. Wir bezeichnen diese
Ergebnisse hier kurz als „Wirksamkeit“. Die zweite Ebene umfasst Ergebnisdimensionen, an denen sich erkennen lässt, ob und in wie weit eine Neuerung/Intervention ausreichend umgesetzt ist – ob sie also z. B. von allen Personen angewendet wird, die sie anwenden sollen, bei allen Personen, die zur Zielgruppe gehören (und nur bei diesen), auf
die vorgesehene Weise (Häufigkeit, Anlass/Zeitpunkt, Dauer, Vollständigkeit, Korrektheit ...) etc. Diese zweite Art von Ergebnissen bezeichnen wir als „Umsetzungserfolg“. Insbesondere, wenn sich eine Neuerung/Intervention im Sinne der ersten Ebene
als unwirksam erweist, stellt sich die Frage, ob sie trotz Umsetzung unwirksam ist oder
ob sie schlicht nicht ausreichend umgesetzt wurde. Bei der Frage nach Einflussfaktoren
beziehen wir uns im Folgenden nur auf solche, die den Umsetzungserfolg beeinflussen.
2.2 Arten von Einflussfaktoren
In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit untersuchten Chaudoir et al. (2013), welche standardisierten englischsprachigen Instrumente zur Erfassung
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Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
von Einflussfaktoren verfügbar sind. Zur Unterteilung der Einflussfaktoren entwickelten sie ein theoretisches Modell (Abbildung 1), das die Argumentation dieses Artikels
leiten wird. Dieses Modell basiert auf zwei systematischen Übersichtsarbeiten von
Durlak & Dupre (2008) (Übersicht über empirische Studien zu Einflussfaktoren) sowie Damschroder et al. (2009) (Synthese von Implementierungstheorien und -modelle). Das Modell von Chaudoir et al. (2013) enthält Faktoren auf Ebene der Pflegebedürftigen, der Pflegenden1, der Innovation, der Organisation und der Struktur- bzw.
Umweltbedingungen. Chaudoir et al. (2013) plädieren dafür, nicht wie bislang oft üblich eine Sorte von Einflussfaktoren isoliert zu betrachten. Aufgrund der Komplexität
von DI-Prozessen sei es ratsam, Faktoren aller Ebenen in ein komplexes Mehrebenenmodell einzubeziehen.
Abb. 1: Einflussfaktoren
2.2.1 Ebene der Pflegebedürftigen
Während in der Wirksamkeitsforschung sehr häufig Merkmale der Pflegebedürftigen
oder Patienten erfasst werden, um festzustellen, in wie weit diese die Wirksamkeit einer
Intervention beeinflussen, wurden solche Einflussfaktoren bisher wenig daraufhin
untersucht, in wie weit sie auch für den Umsetzungserfolg in DI-Prozessen relevant
sind (Chaudoir et al. 2013). Vorwiegend wird in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert, welche Faktoren beeinflussen, ob Pflegebedürftige oder Patienten selbst die
Therapie/Intervention (z. B. Medikamenteneinnahme, Diätvorgaben, Lebensstiländerungen, Hilfsmittelnutzung) so umsetzen, wie erhofft – überschrieben mit Begriffen
wie Compliance, Adherence oder Concordance (Aronson 2007; Bissonnette 2008).
Soziale Unterstützung durch Bezugspersonen, gesundheitsbezogene Bildung, Wissen
über die eigene Situation und die Therapie/Intervention sowie diesbezügliche Einstellungen und Überzeugungen (z. B. Einschätzung von Risiken oder Erfolgsaussichten)
1 Chaudoir et al. (2013) sprechen von Patienten und Anbietern – das Review bezog sich nicht ausschließlich auf
die Pflege, sondern auf das gesamte Gesundheitswesen. Im vorliegenden Artikel fokussieren wir den Pflegebereich
und sprechen daher von Pflegebedürftigen und Pflegenden.
238
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
spielen hier eine Rolle (Chaudoir et al. 2013; Feldstein et al. 2008). Nun sind, wie
Chaudoir et al. (2013) zurecht hervorheben, Pflegebedürftige oder Patienten aktive und
mit den professionell Helfenden interagierende Teilnehmer in DI-Prozessen. Es ist daher anzunehmen, dass es auch einen Zusammenhang gibt zwischen den Eigenschaften
der Pflegebedürftigen und dem Handeln der professionell Helfenden. Wenn Pflegebedürftige wissen, was in einer bestimmten Situation angebracht ist, wie das entsprechende Vorgehen zu erfolgen hat und wenn sie selbstbewusst genug sind – so die Hypothese –
werden sie ihre Bedarfe eher äußern bzw. Versäumnisse der Pflegenden eher erkennen
und reklamieren und so die Pflegenden beeinflussen. Dies wurde verschiedentlich überprüft, indem versucht wurde, den Umsetzungserfolg in DI-Prozessen mittels so genannter patient-mediated Interventions (Mäkelä et al. 1999) zu erhöhen. Dabei werden Patienten auf verschiedenste Weise informiert, beraten oder geschult. Wie systematische
Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zeigen, weisen diese Interventionen durchaus Erfolgspotenzial auf, wenngleich eindeutige Aussagen aufgrund methodischer Limitationen und unzureichender Beschreibung der Intervention bzw. der DI-Prozesse nicht
möglich sind (Grimshaw et al. 2001; Grimshaw et al. 2004; Legare et al. 2010).
2.2.2 Ebene der Pflegenden
In ihrem wegweisenden metanarrativen Review über die Diffusion, Dissemination
und Verstetigung von Innovationen im Gesundheitswesen identifizierten Greenhalgh
et al. (2005) eine Vielzahl psychologischer Faktoren, die bei der Entscheidung eine Innovation zu akzeptieren oder abzulehnen, eine Rolle spielen. Dazu gehören Persönlichkeitseigenschaften, Kompetenzen, Einstellungen, Überzeugungen, Motivation, subjektive Wahrnehmungen, Werte, Bedürfnisse, Ziele, Faktoren in Zusammenhang mit
der Innovation (z. B. Gewahrsein, dass diese überhaupt existiert, Grad der Informiertheit über Zweck, Handhabung sowie potenzielle Nutzen und Risiken) oder Größe und
Zusammensetzung der sozialen Netzwerke der Individuen (Greenhalgh et al. 2005). So
sehr es intuitiv einleuchtet, dass all diese Faktoren den individuellen Umgang mit der
Innovation beeinflussen, so wenig lässt sich jedoch aus der verfügbaren Evidenz ableiten, welche dieser Eigenschaften das Handeln auf welche Weise prognostizieren
(Greenhalgh et al. 2005). Dies hängt damit zusammen, so Greenhalgh et al. (2005),
dass viele dieser individuellen Charakteristika beeinflusst werden durch situative Bedingungen, soziale Interaktion mit Kollegen und Vorgesetzten und weitere kontextuelle Gegebenheiten. Zum gleichen Schluss kommen auch Estabrooks et al. (2003) und
Squires et al. (2011), die in systematischen Übersichtsarbeiten den Forschungsstand zu
individuellen Merkmalen Pflegender und deren Einfluss auf die Nutzung von Forschungswissen in der Praxis aufzeigen. In den eingeschlossenen Artikeln wurden nahezu 100 verschiedene Merkmale untersucht, die sieben Kategorien zugeordnet wurden:
Überzeugungen und Einstellungen, Beteiligung an Forschungsaktivitäten, Informationsbeschaffung, Bildung, berufsbezogene Merkmale, soziodemografische und sozioökonomische Merkmale und kritisches Denken. Einzig für das Merkmal „Einstellung zur Nutzung von Forschungswissen“ liegt eine ausreichende Zahl Studien vor, die
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zu einheitlichen Ergebnissen kommen und so eine klare Aussage erlauben: Zwischen
positiver Einstellung und vermehrter Nutzung von Forschungswissen besteht ein signifikanter positiver Zusammenhang (C. A. Estabrooks et al. 2003; Squires et al. 2011).
2.2.3 Ebene der Innovation
Die bekannteste Kategorisierung dieser Faktoren wurde von Rogers (2003) geprägt.
Nach seinen Erkenntnissen hängt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Innovation akzeptiert und genutzt wird, ab von folgenden Innovationseigenschaften: relativer Nutzen
im Vergleich zur vorherigen Praxis, Kompatibilität mit vorhandenen Fähigkeiten,
Routinen, Überzeugungen etc., Komplexität, Testbarkeit und Beobachtbarkeit der
Auswirkungen (Rogers 2003). Greenhalg et al. (2005) erweiterten diese Kategorien auf
Basis ihrer Literaturstudie um weitere: Adaptierbarkeit2 (Möglichkeit, die Innovation
anzupassen und zu modifizieren), wahrgenommenes Risiko durch die Anwendung,
Grad, in dem die Innovation als Hilfe beim Erledigen der Aufgaben und Verbesserung
der Ergebnisse angesehen wird, Ausmaß, in dem das erforderliche Wissen greifbar, gut
erschließbar und in andere Bereiche transferierbar ist sowie Support bei der Anwendung. Diese Eigenschaften sind, wie Greenhalgh et al. (2005) feststellen, weder stabil,
da es sich um subjektive Zuschreibungen handelt, noch sichere Prädiktoren für den
Umsetzungserfolg. Erneut heben sie in diesem Zusammenhang die komplexe Interaktion zwischen Individuen, Innovation und Kontextbedingungen hervor.
2.2.4 Ebene der Organisation
Faktoren dieser Ebene, die sich in verschiedenen Übersichtsarbeiten als bedeutsam für
Disseminations- und Implementierungsprozesse erwiesen, sind: Führungsqualität,
Organisations- und Veränderungskultur, Organisations- und Veränderungsklima, systematisches Monitoring relevanter Daten und deren Rückmeldung, DI-spezifische
Ressourcen (z. B. Daten-/Informationsmanagementsysteme, Fachliteratur, Fort- und
Weiterbildungsangebot etc.), allgemeine Ressourcen (z. B. Zeit, Personal, Räumlichkeiten), Kompetenz und Kapazität, neues Wissen aufzunehmen (z. B. Vorerfahrungen
mit Veränderungsprojekten, systematisches Wissensmanagement, Schulungs- und
Trainingsaktivitäten), Projektmanagement und Unterstützung der Akteure bei der Integration und dem Umgang mit der Innovation sowie soziale Interaktion (Glisson
2002; Greenhalgh et al. 2005; Kaplan et al. 2010; Meijers et al. 2006). Den Faktoren
dieser Ebene kommt im Rahmen von DI-Prozessen eine besondere Bedeutung zu:
Während sich individuelle Charakteristika wie z. B. Berufserfahrung oder Ambiguitätstoleranz oder globale Faktoren wie die politische Situation nicht so einfach modifizieren lassen, sind die genannten Organisationsfaktoren relativ gut beeinflussbar (C. A.
Estabrooks et al. 2007; Carol A. Estabrooks et al. 2008; C. A. Estabrooks et al. 2009;
2 Die von Greenhalgh et al. (2005) referierten Kategorien Re-Invention und Fuzzy Boundaries wurden hier
zusammengefasst, da sie beide den Aspekt der Adaptierbarkeit ansprechen.
240
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Greenhalgh et al. 2005). Gleichzeitig beeinflussen Organisationsfaktoren wiederum
die Einstellungen (z. B. gegenüber Forschungswissen oder Neuerungen im Allgemeinen), die Situation (z. B. Belastung, Stress, Arbeitszufriedenheit) sowie das Handeln (z.
B. Nutzung von Forschungserkenntnissen) der Pflegenden (Aarons et al. 2012; Glisson
2002; Greenhalgh et al. 2005; Kaplan et al. 2010; Meijers et al. 2006). Mittels statistischer Mehrebenenmodelle konnte gezeigt werden, dass sich diese individuellen Charakteristika zwischen verschiedenen Institutionen bzw. Wohnbereichen/Stationen
stärker unterscheiden als innerhalb einer Institution bzw. eines Wohnbereichs/einer
Station (Aarons et al. 2012; Cummings et al. 2010; C. A. EstabrooksSquiresHayduk et
al. 2011; C. A. EstabrooksSquiresHutchinson et al. 2011). Mit einer Veränderung dieser Faktoren lassen sich somit nicht nur einzelne Individuen, sondern ganze Teams beeinflussen – ein Ergebnis, zu dem auch qualitative Studien gelangen (Berta et al. 2010;
Dopson et al. 2005; Rycroft-Malone et al. 2013).
2.5 Struktur- bzw. Umweltebene
Neben den allgemeinen politischen, gesetzlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spielt hier die Vernetzung von Organisationen eine besondere Rolle (Greenhalgh et al. 2005): Ein wichtiges Entscheidungskriterium dafür,
eine Neuerung einzuführen, ist oft, wie viele andere ähnliche Institutionen die fragliche Innovation bereits eingeführt haben oder dies planen und ob die Innovation als
„Norm“ oder „Standard“ eingeschätzt wird. Wird eine Innovation gesetzlich vorgeschrieben, so Greenhalgh et al. (2005), erhöht sich die Zahl der Institutionen, die diese
einführen – interessanterweise verändern sich die dafür nötigen Kompetenzen und
Ressourcen jedoch kaum. Eher führt dies dazu, dass Organisationen das grade eben
Nötige unternehmen, um die Vorschriften zu erfüllen und Sanktionen zu vermeiden.
Eine Verankerung der Innovationsziele im Selbstverständnis der Organisation findet
nicht statt. Die Umsetzung der Vorschriften bindet zudem Ressourcen, die dann internen Entwicklungsbedarfen nicht mehr zur Verfügung stehen (Greenhalgh et al. 2005).
Einige globale Faktoren, die die Nutzung wissenschaftlicher Evidenz durch Pflegende
beeinflussen, werden z. B. von Meyer & Köpke (2012) auf Basis der systematischen
Übersichtsarbeit von Solomon & Spross (2011) diskutiert: (1) die ausbildungsbedingt
unzureichenden Kompetenzen der Pflegenden, Evidenz zu recherchieren, sich zu erschließen, kritisch zu bewerten und für ihre Praxis nutzbar zu machen, (2) fehlende
bzw. widersprüchliche oder methodisch limitierte Evidenz für wichtige Fragestellungen der Praxis und (3) Sprachbarrieren, da eine Vielzahl potenziell relevanter Studien
nur in englischer Sprache vorliegen und von den Pflegenden nicht verstanden werden.
2.6 Zwischenfazit
Die hier präsentierten Ergebnisse sind vorsichtig zu interpretieren, handelt es sich doch
nicht um eine systematische Literaturübersicht. Die meisten der Arbeiten entstammen
zudem dem angloamerikanischen Kulturraum bzw. beziehen mehrheitlich Studien aus
241
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
diesem Raum ein. Insofern ist sicherlich auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf
unseren Kulturraum nicht ohne Einschränkung möglich. Gleichwohl sind nach Ansicht der Autoren folgende Erkenntnisse erwähnenswert: Faktoren auf Ebene der individuellen Akteure oder der Innovation isoliert zu betrachten greift, wie die bisherigen
Ausführungen zeigen, zu kurz. Individuen übernehmen einen aktiven Part in DI-Prozessen – sie „suchen sich Innovationen mehr oder weniger aus (auf jeweils unterschiedliche
Weise in verschiedenen Kontexten), experimentieren damit, bewerten sie, empfinden sie als
mehr oder weniger sinnvoll und bedeutsam, entwickeln positive oder negative Gefühle dafür, fordern sie heraus, hinterfragen sie, sorgen sich darum, beschweren sich darüber, arbeiten damit, unterhalten sich mit anderen darüber, entwickeln entsprechendes Know-how,
passen sie speziellen Gegebenheiten und Bedürfnissen an und streben nach Weiterentwicklung oder Modifikation derselben – häufig (und meist erfolgreich) im Dialog mit anderen
Anwendenden“ (Greenhalgh et al. 2005: 113). Eine systemische Herangehensweise, die
das komplexe Zusammenspiel zwischen Individuen, Innovation und Organisationskontext berücksichtigt, scheint demnach erfolgversprechend (Greif et al. 2004; Kitson
2009; Rycroft-Malone et al. 2013), insbesondere auch deshalb, weil – wie ausgeführt –
der Organisationskontext relativ gut kurz- bis mittelfristig beeinflussbar ist. Im Licht
der interaktiven Komponente in DI-Prozessen erweist sich deshalb das Team, das in
pflegerischen Settings ein wesentlicher Bestandteil des Organisationskontextes ist, als
Organisationsfaktor, der eine besondere Aufmerksamkeit verdient hat. Im Folgenden
wird daher das Team als Einflussfaktor in Implementierungsprozessen näher betrachtet.
3. Das Pflegeteam im Implementierungsprozess
Viele Organisationen der Industrie und des Dienstleistungssektors weisen Strukturen
auf, die in Teams organisiert sind. Hier gab es in der Vergangenheit umfangreiche Forschung, die sich unter anderem mit den Mechanismen der Teamperformance und der
Frage danach, welche Bedingungen die Effektivität von Teams beeinflussen, auseinandersetzt (Bettenhausen 1991; Hackman et al. 1975; Katzenbach et al. 1993). Auch
im Gesundheitswesen und in der Pflege sind Teamstrukturen verbreitet und die Zusammenarbeit in Teams gilt als grundlegende Voraussetzung für hohe Versorgungsqualität (Borril et al. 2002; Burns et al. 2012). DI-Prozesse in pflegerischen Settings betreffen daher häufig diese Pflegeteams. Sie müssen von ihnen in den Pflegealltag eingebracht werden und setzen nicht selten Anpassungsprozesse im Team voraus. In der
Diskussion um die erfolgreiche Umsetzung von DI-Prozessen in der Gesundheitsversorgung rückt das Team als wesentlicher Einflussfaktor daher zunehmend in den Fokus
der Aufmerksamkeit, gleichwohl bislang unzureichend wissenschaftliche Erkenntnisse
hierzu vorliegen (Holleman et al. 2009; Timmermans et al. 2012). Dabei ist davon auszugehen, dass die Effektivität des Teams einen deutlichen Einfluss auf das Gelingen von
Implementierungsprozessen hat. Effektive Teams zeichnen sich dadurch aus, dass sie
dazu in der Lage sind, gegebene Aufgaben und Ziele erfolgreich zu bewältigen (Forsyth
2010), und sie gelten als Erfolgsindikator für erfolgreiche Implementierungsprozesse
(Borril et al. 2002; Ferlie et al. 2001).
242
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Was macht aber nun ein Team effektiv? In der Literatur werden im Zusammenhang
mit dieser Frage zahlreiche Faktoren beschrieben, die einen Einfluss auf die Teamperformance haben.
Theoretische Modelle, die Teamperformance und -effektivität beschreiben, bedienen sich häufig der Input - Prozess - Output - Struktur (Borril et al. 2002; Forsyth
2010). Hackman et al. (1975) stellen diese Struktur und ihre Zusammenhänge in ihrem IPO-Modell of Teamperformance wie folgt dar ( Abbildung 2):
Input
Prozess
Faktoren auf individueller
Ebene
Faktoren auf Teamebene
Output
Outcome:
Grad der Implementierung
Interaktionsprozess
Andere Outcomes
Faktoren auf Umweltebene
Abb. 2: Input - Prozess - Output - Struktur
- Input: vorbestehenden Bedingungen auf individueller, Team- oder Kontextebene,
unter denen ein Team agiert (z. B. Qualifikationsniveau, Rollenstrukturen, Vernetzung in der Einrichtung)
- Prozess: Abläufe im Team, die Inputfaktoren mit den Teamoutcomes verbinden (z.
B. Interaktion, Führungsverhalten).
- Outputs: Konsequenzen der Teamaktivitäten (z .B. Leistung, die ein Team erbringt)
Anhand des Modells wird deutlich, dass Teamprozesse komplex sind und dass eine erfolgreiche Teamperformance von unterschiedlichen Faktoren und deren Zusammenhängen bestimmt wird.
Vor diesem Hintergrund müssen bei der Untersuchung von DI-Prozessen in Pflegesettings die versorgenden Pflegeteams, ihre Merkmale und deren Zusammenhänge in den
Blick genommen werden. Anhand von Fallbeispielen sollen daher im Folgenden zwei
Teams im Implementierungsprozess skizziert werden.
3.1 Fallbeispiele
Die beiden Fallbeispiele gehen aus der Studie „Leben-QD II – Lebensqualität von
Menschen mit Demenz stärken“, die seit 2011 am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Witten durchgeführt wird, hervor. Die kontrollierte Studie untersucht die Wirksamkeit und die Implementierung von Dementia Care
Mapping (DCM), einem Beobachtungsverfahren zur Förderung der personzentrierten
Haltung von Versorgungsteams von Menschen mit Demenz (MmD) (Halek et al.
243
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
2013). Ziel von DCM ist es, Wohlbefinden und Lebensqualität von MmD zu erhalten,
bzw. zu verbessern. DCM ist prozesshaft angelegt und beinhaltet verschiedene Kernelemente (Beobachtung der MmD zur Erfassung ihres Wohlbefindens, Datenanalyse,
Feedback an das Versorgungsteam, eine daraus resultierende Handlungsplanung und
deren Umsetzung) (Brooker 2005; BSI – British Standards Institution 2010). Demzufolge ergibt sich die Notwendigkeit, das Team für die Untersuchung der Implementierung von DCM in den Blick zu nehmen, weil DCM auf Entwicklungsprozesse des
Teams abzielt und weil die erfolgreiche Anwendung von DCM maßgeblich durch das
Pflegeteam geleistet werden muss. Im Rahmen der Leben-QD II-Studie wird daher,
neben anderen Faktoren, der Einfluss des Pflegeteams auf die DCM-Implementierung
untersucht. Die hier aufgeführten Fallbeispiele beziehen sich ausschließlich auf diese
teambezogenen Ergebnisse.
3.1.1 Methode
An der Leben-QD II-Studie nehmen Teams von neun Wohnbereichen aus neun verschiedenen Einrichtungen der stationären Altenhilfe teil, von denen 6 DCM umsetzen
und 3 das Instrument Qualidem (Ettema et al. 2007) zur Erfassung der Lebensqualität
als Vergleichsintervention nutzen. Für die Darstellung der Fallbeispiele in diesem Artikel werden Daten von zwei Teams genutzt, die DCM implementieren. Da das Team im
Implementierungsprozess, wie zuvor beschrieben, ein komplexes Phänomen ist, wurde
ein multimethodischer Ansatz der Datenerhebung gewählt. Als theoretischer Hintergrund zur Untersuchung des Teameinflusses auf die DCM-Implementierung dient das
zuvor beschriebene IPO-Modell of Teamperformance (Hackman et al. 1975).
Die dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf Daten aus Interviews, die im Rahmen der Basisdatenerhebung mit den Teamleitungen geführt wurden und aus Beobachtungen der Teaminteraktion, die mithilfe des standardisierten Instrumentes SYMLOG (Systematic Multiple Level Observation of Groups) (Bales et al. 1982) während
des ersten und zweiten DCM-Feedbacks durchgeführt wurden.
Die Interviews waren leitfadengestützt, wobei der Leitfaden unterschiedliche Aspekte aufgreift, die sich der Input-Ebene des IPO-Modells zuordnen lassen, also Merkmale des Teams beschreiben (z. B. Rollenverteilungen, Führungsstrukturen, Stabilität). Die Interviews wurden mit den Leitungskräften der Projektteams oder deren
Stellvertretern geführt. Sie wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Analyse erfolgte mithilfe der Software MaxQDA im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse
(Mayring 2003), wobei die Auswertungskategorien der Logik des Leitfadens folgen.
Die Beobachtungen fanden während der DCM-Feedbackgespräche mit dem Team
statt, die Bestandteil des DCM-Prozesses sind. Im Hinblick auf das IPO-Modell fokussieren sie auf die Prozess-Ebene des Teams. SYMLOG ist ein Beobachtungssystem zur
Analyse der Interaktion in Kleingruppen (Bales et al. 1982). Mithilfe des sogenannten
Adjektivratingbogens3 wird retrospektiv ein Gesamteindruck jedes Individuums einer
3 Hier in deutscher Übersetzung nach Schneider und Orlik (Bales et al. 1982)
244
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Kleingruppe im Hinblick auf die Interaktion dokumentiert (Heinze et al. 2009; Marx
2000). Der Adjektivratingbogen beinhaltet 26 Items mit verhaltensbeschreibenden
Adjektiven, die drei Dimensionen widerspiegeln:
- freundlich – unfreundlich
- zielorientiert – das Ziel nicht unterstützend
- dominant – passiv
Die Analyse der SYMLOG-Daten folgt dem durch Bales et.al. (1982) beschriebenen
Verfahren zur Erstellung von Felddiagrammen. Das Verfahren wurde seit den 1980er
Jahren in unterschiedlichen Feldern der Forschung und Beratung angewendet, überprüft und weiterentwickelt (Heinze et al. 2009)
Für die Leben-QD II-Studie liegt ein positives Votum der Ethikkommission der
Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft vor.
3.1.2 Ergebnisse
Die beiden Fallbeispiele beziehen sich auf Ergebnisse der Interviews mit Teamleitungen und der Beobachtungen dieser Teams. Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte aufgrund der kontrastreichen Ergebnisse für diese beiden Teams.
Mithilfe der Interviews konnten prägnante Merkmale der Teams aus Sicht der
Teamleitung identifiziert werden. Vor allem im Hinblick auf Rollenakzeptanz und Verantwortungsübernahme scheint es Unterschiede zwischen den beiden Teams zu geben.
Während Team I in sich harmoniert und Strukturen geklärt scheinen, bestehen in
Team II Konflikte, die auf unklare Rollenstrukturen zurückzuführen sind. Folgende
Merkmale der Teams konnten durch die Interviews mit den Teamleitungen herausgearbeitet werden:
Team I:
- Hohe Identifikation mit dem Wohnbereich: die Mitarbeiter arbeiten gerne auf dem
Wohnbereich und identifizieren sich mit den besonderen Arbeitsinhalten eines
Wohnbereiches zur Versorgung von Bewohnern mit Demenz
- Positive Haltung der Mitarbeiter zu DCM
- Flache Hierarchien
- Gute Kommunikationsstrukturen
- Keine wesentlichen Konflikte
- Formale Funktion der Teamleitung im Projektkontext
- Übernahme von Projektverantwortung durch die Teamleitung (fühlt sich verantwortlich für die gelungene Umsetzung)
Team II:
- Geringe Identifikation mit dem Wohnbereich: Mitarbeiter empfinden die Versorgung von Bewohnern mit Demenz teilweise als belastend
245
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
- Keine ablehnende Haltung zur Intervention, aber wenig Wissen
- Hierarchiekonflikte zwischen Hilfs- und Fachkräften aufgrund von Kommunikationsschwächen der Fachkräfte
- Keine formale Funktion der Teamleitung im Projekt
- Keine Übernahme von Projektverantwortung durch die Teamleitung (hat sich bislang nicht mit möglichen Verantwortungen im Projektkontext auseinandergesetzt)
Insgesamt machen die Interviewergebnisse deutlich, dass die beiden Teams aus der
Sicht der jeweiligen Teamleitung sehr unterschiedliche Merkmale aufweisen und entsprechend mit unterschiedlichem Potenzial in den Implementierungsprozess gehen.
Die Ergebnisse der Beobachtungen aus dem ersten und zweiten Interventionszyklus
sind in Felddiagrammen dargestellt (s. Abbildung 3 und 4). Jeder Kreis im Felddiagramm entspricht einer beteiligten Pflegekraft. Je größer der Kreis ist, desto dominanter verhält sich die Pflegekraft. Die anderen beiden Verhaltensdimensionen werden
über die horizontale und vertikale Ausrichtung abgebildet.
Es zeigt sich deutlich, dass die beiden Teams unterschiedlich interagieren. Die Ergebnisse der ersten Beobachtung zeigen, dass Team I heterogen ist. Unterschiedliche Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus nehmen in unterschiedlicher
Weise Einfluss auf den Interaktionsprozess. Die Teamleitung agiert in besonderem Maße zielgerichtet. In Team II wird die Interaktion maßgeblich von einer Pflegehilfskraft
dominiert. Hilfskräfte verhalten sich insgesamt freundlicher und etwas zielgerichteter
als die Fachkräfte. Die Teamleitung hebt sich nicht vom Team ab. Auffällig ist, dass die
Pflegefachkräfte sich kaum einbringen und ihr Verhalten im Vergleich zur Gruppe weniger freundlich und zielorientiert ist.
Im zweiten Interventionszyklus zeichnet sich Team I durch ein der Gruppe zugewandtes, freundliches Verhalten aus. Die Fachkräfte bringen sich aktiv in die Interaktion ein und die Teamleitung weist weiterhin die am meisten zielgerichtete Haltung
auf. In Team II wird die Interaktion wiederum von der gleichen Pflegehilfskraft dominiert wie in der ersten Erhebung. Sie agiert allerdings wenig zielgerichtet. Die Teamleitung bringt sich kaum in die Interaktion ein, lediglich eine weitere Pflegehilfskraft
zeigt eine zielorientierte Haltung. Als wesentliches Ergebnis dieser Beobachtung ist
festzuhalten, dass außer der Teamleitung keine Fachkräfte am DCM-Feedbackgespräch teilnehmen.
Die Zusammenführung der Ergebnisse aus Interviews und Beobachtungen zeigt,
dass die beiden Teams sich vor allem im Hinblick auf ihre Rollenstrukturen unterscheiden. Die projektbezogene Interaktion in Team I spiegelt die im Interview erfassten
Merkmale eines harmonierenden Teams mit deutlicher Rollenakzeptanz und klaren
Verantwortungen wider. In Team II hingegen bestätigen die Ergebnisse der Beobachtungen die bereits im Interview beschrieben Konflikte, die zwischen Fach- und Hilfskräften bestehen. Obwohl Kausalitäten anhand des Materials kaum belegt werden
können, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Merkmale, die die Teams auf InputEbene aufweisen, dazu führen, dass die Teams im Implementierungsprozess unter246
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
das Ziel nicht unterstützend
Team 1
freundlich
freundlich
unfreundlich
zielorientiert
unfreundlich
zielorientiert
das Ziel nicht unterstützend
Wohnbereichsleitung
Fachkraft
Hilfskraft
das Ziel nicht unterstützend
Team 1
Wohnbereichsleitung
freundlich
freundlich
unfreundlich
zielorientiert
unfreundlich
zielorientiert
Team 2
das Ziel nicht unterstützend
Fachkraft
Hilfskraft
Team 2
Abb. 3 und 4: Ergebnisse der Beobachtungen aus dem ersten und zweiten Interventionszyklus
schiedlich agieren (Prozess-Ebene). Gleichzeitig weisen sie damit ein unterschiedliches
Potenzial für das Gelingen der DCM-Implementierung auf (Output-Ebene).
3.2 Zwischenfazit
Die vorgestellten Fallbeispiele stellen lediglich Auszüge der Ergebnisse der Leben-QD
II-Studie dar. Mit ihnen lässt sich beispielhaft verdeutlichen, dass Teams mit unterschiedlichen Merkmalen in unterschiedlicher Weise im Implementierungsprozess interagieren. Während bei den vorgestellten Teams Unterschiede im Hinblick auf Rollenakzeptanz und Verantwortungsübernahme festzustellen sind, unterscheiden sich die
weiteren, hier nicht beschriebenen, Projektteams z. B. hinsichtlich der Teamstabilität,
der Arbeitskultur und der Führungsstrukturen. Die hier aufgearbeiteten Zusammen247
Schwerpunkt
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
hänge zwischen derartigen Teammerkmalen und der damit verbundenen Interaktion
im Team lässt annehmen, dass auch diese weiteren Merkmale von Teams einflussnehmend für die Team-Interaktion wirken können. Die zum jetzigen Zeitpunkt im Projektverlauf ausstehenden Daten zum Umsetzungserfolg (Output-Ebene), werden dabei helfen, diejenigen Merkmale von Teams zu identifizieren, die einen entscheidenden
Einfluss auf das Gelingen, bzw. Nicht-Gelingen der Implementierung von DCM haben. Bereits die hier dargestellten Beispiele machen jedoch deutlich, dass im Zusammenhang mit der Planung und Umsetzung von DI-Prozessen die beteiligten Teams
berücksichtigt werden sollten, um so ihre Potenziale nutzen und an möglichen Defiziten arbeiten zu können.
4. Zusammenfassung und Diskussion
Im ersten Teil des Artikels wurde dargestellt, dass unterschiedliche Faktoren förderlich
oder hemmend in DI-Prozessen wirken. Diese Faktoren sind unterschiedlichen Ebenen, wie der Innovation selbst, den Attributen der beteiligten Akteure (Patienten/Pflegebedürftige, Pflegende), der Organisationsebene oder der Struktur- und Umweltebene zuzuordnen. Die besondere Bedeutung der Organisationskontextfaktoren wurde
herausgearbeitet.
Es wurde weiterhin festgehalten, dass bestehendes Wissen zu DI-Prozessen vornehmlich auf internationaler Ebene angesiedelt ist. Empirische Arbeiten in Deutschland, die sich mit DI-Prozessen befassen sind hingegen rar, und es wird nur selten ein
Bezug zum bestehendem internationalen Wissensbestand der DIW hergestellt. Eine
intensivere Auseinandersetzung mit diesem internationalen Wissensbestand, eine kritische Diskussion der Übertragbarkeit sowie eine systematische Berücksichtigung der
relevanten Erkenntnisse in DI-Prozessen sind daher aus Sicht der Autoren für den
deutschsprachigen Raum anzustreben.
Vor diesem Hintergrund wurde das Pflegeteam, das im Rahmen pflegerischer Versorgung ein grundlegender Bestandteil des Organisationskontextes ist, näher betrachtet. Zusammenhänge der Teamperformance wurden erläutert, und Beispiele der Leben-QD II-Studie veranschaulichten, dass Pflegeteams, die unterschiedliche Merkmale aufweisen, in unterschiedlicher Weise in DI-Prozessen agieren. Eine vertiefte
Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Pflegeteams in DI-Prozessen scheint empfehlenswert.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass das Pflegeteam lediglich einen spezifischen
von vielen Organisationskontextfaktoren darstellt, der in diesem Beitrag zu Illustrationszwecken beispielhaft aufgegriffen wurde. Im Bestreben eines besseren Verständnisses und einer optimierten Gestaltung von DI-Prozessen muss jedoch neben der isolierten Betrachtung einzelner Einflussfaktoren gerade auch dem komplexen Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Einflussgrößen Rechnung getragen werden.
248
Beltz Juventa. Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Schwerpunkt
Grundsätzlich ist für den deutschsprachigen Raum sicherlich eine zunehmende
Auseinandersetzung mit Fragen der DIW wünschenswert. Bereits vorhandene Erkenntnisse zu Einflussfaktoren von DI-Prozessen können hierbei richtungsweisend für
eine systematische Annäherung an Fragen der Implementierung in Forschungsprojekten sein.
Projekte, wie die Leben-QD II-Studie, stellen sich dieser Herausforderung und machen deutlich, dass gerade auch bei der Durchführung von Interventionsstudien Aspekte der Implementierung nicht vernachlässigt werden dürfen. Nur so können systematische Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie Neuerungen erfolgreich in die
Pflegepraxis eingebracht werden können und haltbare Aussagen zu deren Wirksamkeit
im Hinblick auf die angestrebten Outcomes getroffen werden.
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2005 ed.). Maastricht, Aarau: Fachbereich Pflegewissenschaft, Fakultät der Gesundheitswissenschaften, Universität Maastricht; Weiterbildungszentrum für Gesundheitsberufe (WE’G) Aarau
Tina Quasdorf (TQ),1,2,5,* MScN, RN
Matthias Hoben (MHo),3,4,5,* MScN, Dipl.-Pflegewirt (FH), RN
Dr. Christine Riesner (CR) 1,2,5, MScN, RN
Martin Nikolaus Dichter (MND) 1,2, MScN, RN
Dr. Margareta Halek (MHa) 1,2, MScN, RN
*These authors contributed equally
1 Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Witten
2 Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department für Pflegewissenschaft
3 Graduiertenkolleg Demenz, Netzwerk AlternsfoRschung (NAR), Universität Heidelberg
4 Graduiertenkolleg „Teilhabe als Ziel von Pflege und Therapie“, Internationale Graduiertenakademie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
5 Sektion Dissemination und Implementierung (SDI) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP)
Korrespondenzadresse:
Tina Quasdorf, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE),
Standort Witten, Postfach 62 50, Stockumer Str. 12, 58453 Witten, [email protected]
Beitrag der Autoren:
- Konzeption des Artikels: TQ, MHo
- Manuskripterstellung:
- Literaturübersicht (Kapitel 1-2): MHo
- Darstellung des Teams im Implementierungsprozess (Kapitel 3-4): TQ
- Revision und Endredaktion des Manuskriptes: TQ, MHo, CR, MND, MHa
- Konzeption und Durchführung der Leben-QD II- Studie: TQ, CR, MND, MHa (Projektleitung)
Trial-ID Leben-QD II: ISRCTN43916381
252
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Beiträge
Manuela Bergjan, Dorothea Tegethoff
Klinische Kompetenzentwicklung in der
Pflegeausbildung als Herausforderung für
Forschung und Entwicklung
Developing Clinical Competences in Nursing Education – Research and
Development Challenges
Internationally efforts are made to systemize and scientifically substantiate the development of clinical competences in health professions - especially in nursing. These developments are put into effect in light of an extensive change of demands in healthcare. It is
an evident problem that the acquirement of clinical competences in nursing education
has been outshone by the theoretical part of the curriculum up to now. This paper identifies the development and research challenges in nursing education via literature based
approach. Two basic ideas are essential for this: the orientation towards patients as well
as students. As a result the field ‘development of clinical competences’ can be structured in four perspectives which are also suitable for interprofessional discussions: 1. professional and non-professional actors in the learning process 2. social and organizational requirements of learning environments 3. learning strategies, e. g. simulations or involvement of students into a „community of practice“ 4. assessment and feedback as
means to determine the current stage of learning and to plan steps to be made next.
Keywords
development of clinical competences, preceptorship, learning environment, learning
strategies, assessment
International gibt es intensive Bemühungen um eine Systematisierung und wissenschaftliche Fundierung der klinischen Kompetenzentwicklung der Gesundheitsprofessionen – so auch der Pflege. Diese Entwicklungen vollziehen sich vor dem Hintergrund
eines weit reichenden Anforderungswandels in der Gesundheitsversorgung. Als problematisch erweist sich, dass die Aneignung klinischer Kompetenzen in der Primärqualifizierung von Pflegenden1 bislang im Schatten der theoretisch orientierten Ausbildungsanteile stand. Dieser Beitrag identifiziert mittels einer literaturgestützten Annäherung Entwicklungs- und Forschungsanliegen im Bereich der klinischen Kompetenzentwicklung
der Pflege. Hierfür sind zwei Leitgedanken unverzichtbar: die Orientierung an den Patien-
1 Mit dem Begriff Pflegende sind in diesem Beitrag stets Personen mit mindestens dreijähriger Ausbildung oder
einem Bachelor-Abschluss gemeint.
eingereicht 02.01.2013
akzeptiert 25.03.2013
253
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
ten und an den Lernenden. Als Ergebnis wird eine Gliederung des Feldes „klinische Kompetenzentwicklung“ in vier Perspektiven vorgestellt, die sich ebenso für interprofessionelle Diskurse eignet: 1. professionelle und nicht professionelle Akteure im Lernprozess
2. Lernumgebungen im personal-sozialen wie im organisatorischen Sinne 3. Lernstrategien wie Simulationen, aber auch Konzepte zur Einbindung der Lernenden in die „community of practice“ 4. Assessment und Feedback, wodurch der Lernstand sichtbar gemacht und anstehende Lernschritte geplant werden können.
Schlüsselwörter
Klinische Kompetenzentwicklung, Praxisanleiter, Lernumgebung, Lernstrategien,
Assessment
1. Einleitung
International gibt es seit geraumer Zeit Bemühungen um eine Systematisierung und
wissenschaftliche Fundierung der klinischen Kompetenzentwicklung der Gesundheitsprofessionen. Lange Zeit eher erfahrungsgestützt und in Form quasi natürlicher
Habitualisierungsprozesse angegangen (Fotheringham 2010), erfährt die Frage, wie
die in diesen Professionen geforderten klinischen Kompetenzen systematisch erworben werden können, zwischenzeitlich auch hierzulande mehr Aufmerksamkeit – nicht
zuletzt befördert durch die sich beschleunigende Akademisierung der Gesundheitsprofessionen, insbesondere der Pflege, um die es in diesem Beitrag gehen soll. Diese Entwicklungen vollziehen sich vor dem Hintergrund eines weit reichenden Anforderungswandels in der Gesundheitsversorgung. Die Art der Leistungserbringung muss auf
langfristige und komplexer werdende Herausforderungen abgestimmt, die betroffenen
Menschen und ihr soziales Umfeld müssen als aktive Partner in das Versorgungsgeschehen eingebunden und die arbeitsteilige Gesundheitsversorgung insgesamt patientenund ergebnisorientierter gestaltet werden (Ewers/Schaeffer 2012). Beispielhaft sei hier
auf die Herausforderungen in der häuslichen Intensivversorgung – etwa dauerbeatmungspflichtiger Patienten2 (Ewers 2012) – oder in der ambulanten und stationären
Palliativversorgung hingewiesen (Ewers/Schaeffer 2005). Auch die Dynamik des Versorgungsgeschehens im Akutbereich trägt zu einer Veränderung der Ausbildungsanforderungen bei, z. B. durch den medizintechnischen Fortschritt und die damit einhergehende Reduzierung der Verweildauer und die Zunahme an gemeindenahen Arbeitsund Lernorten (Robert Bosch Stiftung 2007, SVR 2009). Den Lernenden wird dabei
hohe Ambiguitätstoleranz abverlangt. So wissen sie beispielsweise um die Notwendigkeit geteilter klinischer Entscheidungsfindung, finden aber hierarchische Strukturen
vor. Ebenso erleben sie Situationen, die im Spannungsfeld divergierender Interessen
(vgl. Meyer 2005) z. B. zwischen Patientenorientierung und Ökonomie stehen.
Ins Blickfeld rücken klinische Ausbildungs- und Studienphasen in der Primärqualifizierung von Pflegenden und die Frage, wie diese zu gestalten sind. Als problematisch
erweist sich dabei, dass der Erwerb klinischer Kompetenzen lange Zeit im Schatten der
2 Zur besseren Lesbarkeit wird auf die Ausschreibung Patienten/Patientinnen, Schüler/Schülerinnen verzichtet.
Das jeweils andere Geschlecht ist mitzudenken.
254
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Beiträge
theoretisch orientierten Ausbildungsprogramme und deren didaktischer Legitimation
stand und in seiner Bedeutung für die Kompetenzentwicklung der angehenden Gesundheitsprofessionen unterschätzt wurde.3 Erst langsam dringt ins Bewusstsein, dass
die Begegnung der Lernenden mit klinischen Anforderungen – sei es in Übungen mit
speziellen Hilfsmitteln, mit Simulations- oder realen Patienten – konzeptionelle und
methodische Herausforderungen birgt, die es bildungswissenschaftlich reflektiert und
evidenzbasiert zu beantworten gilt. Der bisherige Kenntnis- und Forschungsstand zu
Fragen der klinischen Kompetenzentwicklung in der Pflege ist gemessen an diesen Forderungen unbefriedigend – insbesondere in Deutschland.
Der vorliegende Diskussionsbeitrag dient – anknüpfend an internationale Entwicklungen und Bezug nehmend auf den skizzierten Problemhintergrund – dazu,
mittels einer literaturgestützten Annäherung unter besonderer Berücksichtigung von
Übersichtsarbeiten aus einschlägigen Fachzeitschriften abgrenzbare Forschungsperspektiven im Bereich der klinischen Kompetenzentwicklung der Pflege herauszuarbeiten. Ferner sollen durch die Strukturierung des Feldes Impulse für die forschungsgestützte Auseinandersetzung im Bereich der gesundheitswissenschaftlichen (Aus-)Bildungsforschung gesetzt werden. Hierzu werden exemplarisch entsprechende nationale
und internationale Studien und Fachbeiträge herangezogen.
2. Klinische Kompetenzentwicklung – zwei Leitgedanken:
Patienten und Lernende
Im letzten Jahrzehnt ist Kompetenz als Ergebnis von Lernprozessen zum wesentlichen
Steuerungsfaktor im Bildungssystem geworden. Mit Blick sowohl auf die Patientenorientierung als auch auf die professionelle Entwicklung von Pflegenden sollte darauf
geachtet werden, dass der Kompetenzbegriff vom eher funktionalen Begriff der Qualifikation abgegrenzt wird, insbesondere wenn es um eine Auseinandersetzung mit klinischer Kompetenzentwicklung geht. Ein Verständnis von Handlungsfähigkeit, das ohne die zentral Beteiligten auszukommen meint, greift hier zu kurz, versteht man doch
pflegerisches Handeln als eine Form sozialen Hilfehandelns in existentiell bedeutsamen Situationen, dessen zentraler Gegenstand kommunikatives und körperzentriertes
Handeln ist (Friesacher 2008: 236). Mit einem Verständnis von Kompetenz, das dies
berücksichtigt, umfasst der Blick auch das lernende Subjekt in seiner situationsbezogenen Relation zur Umwelt, also der Arbeits- und Lernwelt (Ertl-Schmuck/Fichtmüller
2009: 66). In der pflegerischen Ausbildung können Kompetenzen nicht losgelöst von
konkreten beruflichen Anforderungen und Bedingungen entwickelt werden (ebd.).
Aus diesem Grunde sind klinische Ausbildungsphasen (für die Gesundheitsprofessionen) so wertvoll, das Lernen ist aber auch herausfordernd und ‚anders’: nicht nur vom
Lernen im theoretischen Unterricht unterscheidet es sich, sondern auch vom praktischen Lernen in Berufen ohne Patientenbezug. Im Bereich der klinischen Kompetenz3 Ertl-Schmuck/Fichtmüller (2010:227ff.) belegen in einer Übersicht das Gewicht theoriebezogener Fragestellung
in der Pflegedidaktik.
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Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
entwicklung muss stets eine doppelte Subjektorientierung, am Patienten und am Lernenden, berücksichtigt werden. Kompetenzen in diesem Bereich werden „klinischleiblich“ und „klinisch-situiert“ angeeignet (Friesacher 2008: 236, Ertl-Schmuck
2010: 73). Klinisch heißt in diesem Zusammenhang „im Kontakt mit Patienten“. Es ist
nicht der Lernort Klinik gemeint, sondern alle Teile der Pflegeausbildung, in denen die
Schüler und Studierenden4 „mit Patienten“ (Gaberson/Oermann, 2007) oder in simulierten Pflegesituationen lernen.
Für eine Betrachtung des Feldes sind also zwei Leitgedanken unverzichtbar: die
Orientierung an den Patienten und an den Lernenden, oder anders ausgedrückt an der
pflegerische Versorgung und an der Ausbildung. Die Erfordernisse dieser Aufgaben
sind oftmals widersprüchlich. Für die Pflege sind Sicherheit und Effizienz erforderlich,
der Patient steht im Mittelpunkt. Diese Ansprüche stehen ohne Zweifel auch in klinischen Settings, in denen Ausbildung stattfindet, an erster Stelle. Aus der Sicht der Lernenden geht es daneben um Lerngelegenheiten und -begleitung sowie darum, dass diese ihrem jeweiligen Lernstand angepasst sind. Mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen in der Versorgung gehört es aber auch zum Interesse des Patienten, dass eine
hochwertige klinische Ausbildung gewährleistet wird (Fotheringham 2010).
3. Klinische Kompetenzentwicklung –
Ein Überblick aus vier Perspektiven
Im Folgenden soll das Feld der klinischen Kompetenzentwicklung in vier Perspektiven
beschrieben werden, die sich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema als Struktur
herauskristallisieren: Akteure im Lernprozess, Lernumgebung, Lehr-/Lernstrategien
und Assessment/Feedback.
3.1 Akteure im Lernprozess
Die Rollen verschiedener Akteure in der klinischen Ausbildung empirisch zu untersuchen, ist ein dringliches Forschungsdesiderat. Eine Vielzahl von (1) professionellen
und (2) nicht professionellen Akteuren ist in die klinische Kompetenzentwicklung in
der Pflege involviert.
(1) Professionell an der klinischen Kompetenzentwicklung beteiligt sind insbesondere Praxisanleiter, die das deutsche Krankenpflegegesetz ausdrücklich mit einer Weiterbildung vorsieht. In internationalen Publikationen werden Praxisanleiter (z. B. preceptor5, mentor, supervisor) als zentrale Ressource im Lernprozess verstanden, da sie ein
Repertoire an vermittelnden Unterstützungsangeboten bereithalten (Lewin 2007) und
4 In diesem Beitrag geht es um alle Lernenden in primärqualifizierenden Bildungsprogrammen an Berufsfachschulen und Fachhochschulen.
5 Preceptorship: “placement supervision during a defined and salaried period. Nurse preceptors are clinicians
employed in the unit, experienced in the type of practice and often have a further training” (Budgen and Gamroth, 2008).
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für vertrauliche Auswertungssituationen sorgen, in denen Lernende ihre Erfahrungen
im klinischen Setting reflektieren können (Saarikoski 2003). Praxisanleitung fördert
die Entwicklung der Lernenden im Praxiseinsatz (Allen et al. 2008) und stellt insofern
eine Säule der klinischen Kompetenzentwicklung dar. Allerdings stellt sich die Frage,
wie die Praxisanleiter ausgebildet sind, welche Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sie haben und in welchem Umfang sie neben der Betreuung der Lernenden
auch in die üblichen Versorgungsprozesse eingebunden sein sollten.
Die Funktion eines Zwischengliedes zwischen der theoretischen und der praktischen Ausbildung nehmen sog. Praxisbegleiter ein. Neben der fachlichen und didaktischen Unterstützung der Praxisanleiter besteht ein wesentlicher Auftrag für Praxisbegleiter darin, Koordinations- und Kooperationsmodelle zu entwickeln (Radtke 2008,
DBR 2010:14). Hierzu gehören z. B. Abstimmungsprozesse mit allen beteiligten Partnern, damit sich wechselseitige Anforderungen der Lernorte konkretisieren und sich
Lernchancen unter den Restriktionen der Praxis nicht zerschlagen.
Die verbindliche Vorschrift, klinische Ausbildung durch weitergebildete Mitarbeiter durchführen zu lassen, muss nicht nur Vorteile haben, denn die Delegation der Betreuung von Lernenden an Praxisanleiter kann auch eine Zurückweisung dieser Aufgabe durch andere Teammitglieder zur Folge haben, insbesondere in Zeiten hoher Arbeitsbelastung. Lernprozesse, welche zur Handlungssicherheit beitragen und zur
Reflexion der Praxis anregen, gelten als zeitintensiv (DBR 2004: 8). Die steigende Arbeitsbelastung des Teams in der Patientenversorgung wird daher als wesentliches Problem für die Bereitschaft und Möglichkeit zur Anleitung gesehen (Croxon/Maginnis
2009).
Demnach muss empirisch überprüft werden, ob und wie sich die gesetzlich vage definierten Aufgaben der Praxisanleiter und Praxisbegleiter tatsächlich ausfüllen lassen.
Zu fragen ist, inwieweit Mitglieder des professionellen Teams sich nicht zurückziehen,
sondern Mitverantwortung für die Lernenden übernehmen und welche Ressourcen
hierfür zur Verfügung stehen sollten (Benner et al. 2010: 226). Für die Entwicklung
hin zu einer „lernenden Gesundheitsprofession“ (Schaeffer 2006) bedarf es v. a. der Bereitschaft der Berufsangehörigen, selbst zu lernen und ihr Wissen und Können zu teilen. Daher sind unterschiedliche Einflüsse auf diese Bereitschaft, z. B. ökonomische
Zwänge oder die eigene Lernbiografie, wichtige Untersuchungsgegenstände. Die qualifikatorischen Anforderungen an anleitende Pflegefachpersonen sind zu untersuchen:
zu klären wäre, wie sich Anleitung durch klinisch versierte Mitarbeiter ohne didaktische Kenntnisse von der durch pädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, die nur selten in
der klinischen Praxis tätig sind, unterscheidet. Durch die Akademisierung sind die
Lernvoraussetzungen heterogener geworden. Welche zusätzlichen „Vermittlungskompetenzen“ auf Seiten der Praxisanleiter hier notwendig sind und wie diese erworben
werden können, ist konzeptionell offen und empirisch unerforscht. Für die sich abzeichnenden Schnittstellenprobleme zwischen den Lernorten ist es zielführend, mehr
über gegenseitige Rollenerwartungen und Kommunikationsbarrieren zu erfahren.
(2) Damit Patienten und ihre Angehörigen ins Zentrum gerückt und ihre Perspekti257
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Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
ven zum zentralen Organisationsprinzip erhoben werden können, bedarf es entsprechender Bildungsprozesse in der Pflege. Diese Prozesse im Rahmen der klinischen
Kompetenzentwicklung anzulegen und die Patienten womöglich auch als relevante
Akteure und nicht nur als „Lernobjekte“ in klinische Lernprozesse, z. B. praktische
Lernsequenzen, einzubinden („patients as teacher“), wird international diskutiert
(exempl. Jha et al. 2009, Suikkala et al. 2008, Salminen et al. 2010). Das Thema erfährt
hierzulande aber noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit.
Jha et al (2009) identifizieren in einer Literaturarbeit Möglichkeiten der Einbindung von Patienten in die medizinische Ausbildung. Aktuell werden Patienten insbesondere als „Experten ihrer Erkrankung“, weniger im Bereich des Assessment oder der
Curriculumentwicklung involviert. Langzeitergebnisse zu den Auswirkungen liegen
nach Jha et al. allerdings noch nicht vor.
Die „peers“, also die Mitlernenden, sind eine weitere bedeutsame Personengruppe.
Unter „peer assisted learning“ versteht man den Erwerb von Wissen oder Fertigkeiten
durch die aktive Unterstützung von einer statusgleichen oder -ähnlichen Person, dem
„peer“ (Topping/Ehly 1998). Peer teaching Arrangements kommen vielfach in der medizinischen und pflegerischen Ausbildung zur Anwendung (Yu et al 2011, Secomb
2008). Es zeigt sich, dass sich „peer assisted learning“ günstig auf die kognitive Entwicklung, die Entwicklung von Fertigkeiten, auf Teamwork und -kommunikation sowie das Selbstvertrauen auswirkt (Secomb 2008: 710ff., Rush et al. 2012). Anknüpfend an diese internationalen Ergebnisse und Erfahrungen ist eine forschungsgestützte
Entwicklung und Implementierung von Konzepten, die Patienten und „peers“ stärker
beteiligen, für die Pflegeausbildung in Deutschland wünschenswert.
3.2 Lernumgebungen
Internationale Publikationen (Hall 2006; Lewin 2007, Brown et al 2011) verweisen
darauf, dass nicht alle klinischen Praktika gleichermaßen geeignet sind, Lernende in ihrer Kompetenzentwicklung zu fördern. Zwar werden Schülerinnen und Studierende
offiziell nicht als volle Arbeitskräfte eingesetzt, dennoch wird die klinische Praxis selten
ausdrücklich als Lernumgebung verstanden. Die Herstellung eines Settings, das in erster Linie didaktischen Erwägungen folgt, ist im Feld des klinischen Lernens unmöglich. Das darf nicht dazu führen, diese Erwägungen gänzlich zu vernachlässigen. Besonders relevant sind die Betrachtung der personal-sozialen Bedingungen in der klinischen Praxisgemeinschaft (1), aber auch der organisatorischen Bedingungen und deren
Passung zu den Möglichkeiten des klinischen Settings (2).
(1) Als wichtige Voraussetzung für eine gelingende pädagogische Beziehung im klinischen Feld erachten Lernende „Sicherheit“. Diese entsteht, wenn in einer fairen Atmosphäre gelernt wird, Probleme zu lösen und Fragen zu stellen (Dunn/Hansford 1997).
Ein kooperativer Führungsstil, flache Hierarchien und ein positiver Teamgeist schaffen
eine Atmosphäre, in der sich Lernende bei der Bewältigung von „Unsicherheiten“
(Wilson-Barnett et al. 1995, Dunn/Hansford 1997) bzw. „Handlungsproblematiken“
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(Fichtmüller/Walter 2007) unterstützt fühlen. Dies zeigt die Notwendigkeit, in den
klinischen Lernumgebungen soziale Voraussetzungen zu schaffen, die angstfreies Lernen ermöglichen. Im Konzept „community of practice“ (COP) (vgl. Lave/Wenger
1991) sehen einige Autoren gute Chancen, diesen Anforderungen näher zu kommen
(Abrandt Dahlgren et al. 2004, Evans et al. 2006). Eine COP konstruiert und teilt ihr
Wissen und Können im sozialen Kontext „Pflegepraxis“ mit Lernenden und hat als gemeinsames Ziel, die Versorgungspraxis der Patienten zu verbessern (Hall 2006). Dem
Konzept der COP geht es also nicht um spezialisiertes Training einzelner Fertigkeiten,
sondern um Erfahrungen und Fähigkeiten, die durch Teilhabe an der Praxis entwickelt
werden (Evans et al 2006). Der Fokus wird von den individuellen zu den sozialen Komponenten des Lernens verschoben, die eingelassen sind in die klinische Tätigkeit, situiert in der Kultur der Lernumgebung und der sozialen und biografischen Situation der
Lernenden. Es geht nicht nur um die Internalisierung sozial geteilten Wissens, sondern
um die Teilhabe an der sozialen Praxis der Patientenversorgung als solcher, in der Lernende als Ressource verstanden werden und innovative Impulse geben können (Hall
2006, Field 2004). Daher ist zu erforschen, wie die Innovationsbereitschaft der Praxisgemeinschaften erschlossen werden kann und welche fördernden bzw. hemmenden
Faktoren für einen kulturellen Wandel in COPs vorliegen.
(2) Lernende in der Pflege erkunden das Berufsfeld nicht, wie in anderen Berufen und
Professionen üblich, von peripher nach zentral (Benner et al. 2010: 41ff.), sondern
werden von Beginn an mit konkreten Versorgungssituationen und den weit reichenden
Folgen ihres Handelns konfrontiert. Dies zieht neben konzeptionellen auch organisatorische Überlegungen nach sich. Diskurse über Organisationsmodelle für klinische
Ausbildungs- und Studienphasen werden international intensiv geführt. Budgen und
Gamroth (2008) z. B. identifizieren 10 Modelle, die die Verantwortlichkeiten für die
klinische Ausbildung zwischen Ausbildungseinrichtung und klinischem Einsatzort sowie den Status der Lernenden regeln. Sie plädieren für eine flexible Auswahl von Organisationsmodellen, um Arbeits- und Lerndynamiken verschiedener Settings adäquat
berücksichtigen zu können. Überlegungen über die Ziele und Aktivitäten in den klinischen Abschnitten, den Lernstand der Lernenden, die personelle Ressourcen der Lehrenden, die Partizipationsbereitschaft des Teams und die Art des klinischen Settings
mit jeweils besonderen Versorgungsherausforderungen sollten demnach die Auswahl
eines Modells leiten. Es wird deutlich, dass es nicht ein Organisationsmodell für alle
klinischen Ausbildungsphasen geben kann. Mit der modellhaften Erprobung und systematischen Evaluation verschiedener Organisationsmodelle z. B. für unterschiedliche
Ausbildungsstufen und klinische Settings ließen sich nützliche Erkenntnisse für eine
wissenschaftlich fundierte Neuordnung der klinischen Ausbildungsphasen erzielen.
Die für solche Untersuchungen notwendigen Evaluationsinstrumente liegen zumindest teilweise vor. Die deutsche Version der „Clinical Learning Environment and
Supervison and Nurse Teacher Scale“ (CLES+T-Scale) fragt Lernende sowohl nach
personal-sozialen als auch organisatorischen und konzeptionellen Bedingungen in klinischen Ausbildungsphasen6. Das Instrument kommt bereits in etlichen europäischen
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Ländern zum Einsatz (Saarikoski et al. 2008; Warne et al. 2010; Bergjan/Hertel 2012).
3.3 Lehr-/Lernstrategien
Mit Lehr-/Lernstrategien sind in diesem Beitrag methodische Instrumente oder Konzepte gemeint, die die Gestaltung der klinischen Ausbildungsphasen ermöglichen. Wie
eingangs geschildert, gehen mit den klinischen Phasen einige Besonderheiten einher,
die es auch im Hinblick auf die Auswahl geeigneter Aneignungs- bzw. Vermittlungsstrategien zu bedenken gilt. Auf diese Besonderheiten kann in „geschützten Räumen“ wie
Skills-labs vorbereitet werden (1), denn sicheres „Handling“ entlastet in komplexen klinischen Situationen und setzt Aufmerksamkeit frei für die Kontaktgestaltung mit dem
Patienten. Eine Vorbereitung ersetzt jedoch nicht die wertvollen Lerngelegenheiten der
Pflegepraxis (2). Dafür sind wiederum andere Strategien und Konzepte von Belang.
(1) Mit Blick auf die Aneignung von so genannten „hands on“ Fertigkeiten, sprich
handlungspraktischen Kompetenzen, hat sich ein Trend zu Fertigkeiten- und Simulationstrainings ergeben, in denen geplant und strukturiert, vor allem aber ohne Beeinträchtigung des Versorgungsablaufs und „echter Patienten“ gelernt werden kann (Benner 2010: 162f, Ricketts 2011). Insbesondere pflegerische Fertigkeiten und Abläufe,
aber auch klinische Entscheidungsfindung und die Kommunikation mit den Patienten
und anderen Gesundheitsprofessionen werden hier eingeübt. Dabei variiert der Grad
der Komplexität von Einzelhandlungen bis hin zu aufwendigen Simulationen pflegerischer oder interprofessioneller Betreuungssituationen.
International existiert ein erheblicher Erfahrungsvorsprung zum Einsatz klinischer
Fertigkeitentrainings (skillslab) in simulierten Settings (Ricketts 2011). Allerdings ist
das pädagogische Paradigma überwiegend lehrerzentriert ausgerichtet (Wellard et al.
2007, Kaakinen & Arwood 2009). Im Zuge der Akademisierung der Pflege in
Deutschland werden an den Hochschulen mehr und mehr Skillslabs eingerichtet, ohne
dass deren Auswirkungen auf die klinische Kompetenzentwicklung geklärt sind. Die
Ergebnisse verschiedener Studien sind durchaus widersprüchlich, wie Ricketts (2011)
in einem Literaturreview zeigt. Eine übergreifende Bewertung ist zudem schwierig, da
Simulationsprogramme bislang stark im Kontext der einzelnen Bildungseinrichtung
stehen und damit kaum vergleichbar sind (Nestel et al. 2011). Übergreifende Forschungsstrategien sind daher in diesem Zusammenhang unverzichtbar. Für eine konzeptionelle Fortentwicklung ergibt sich als Forschungsdesiderat die weitere empirische
Identifikation exemplarischer „Handlungsproblematiken“ (vgl. Fichtmüller/Walter
2007) Lernender im Zusammenhang mit der Aneignung klinischer Fertigkeiten im
Feld. Für die Konzeption entsprechender Simulations-Szenarien werden darüber hinaus empirische Erkenntnisse über den Einfluss von Phänomenen wie Schmerz, Angst,
Scham etc. benötigt.
6 Hierzu zählen die pädagogische Atmosphäre, das Betreuungsverhältnis und die Qualität der Anleitung, der
Führungsstil der Stationsleitung, das erlebte Pflegeverständnis auf der Station sowie die Rolle der praxisbegleitenden Lehrkräfte (Saarikoski et al. 2008; Bergjan/Hertel 2012).
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(2) Mit Blick auf „learning opportunities“ (Stuart 2007), also Lerngelegenheiten im
klinischen Setting, sind geplante von ungeplanten Lerngelegenheiten zu unterscheiden. Für erstere ist ein Repertoire an methodischen Instrumenten nützlich, durch die
möglichst forschungsgestützt klinische Situationen strukturiert werden, in denen neben der „Pflege“ „Lehre“ gleichermaßen als professioneller Auftrag besteht. Eine Systematisierung vorhandener empirischer Belege zur Wirkung von einzelnen Lehr-/Lernstrategien (z. B. Lernaufgaben, Fallstudien, „problem-based learning in clinical practice“ etc.) und eine lerntheoretische Einordnung scheinen sinnvoll, insbesondere im
Zusammenhang mit der Qualifizierung von Praxisanleitern.
Unvorhergesehene Lerngelegenheiten in individuellen Pflegesituationen gelten als
besonders herausfordernd und verlangen den Praxisanleitern oder anleitenden Pflegenden immer wieder neu die Beachtung der doppelten Subjektorientierung (Patienten und Lernende) ab. Bei unvorhergesehenen Lerngelegenheiten sind methodische
Instrumente nicht gleich „zur Hand“ oder sie lassen sich nicht an die konkrete Versorgungssituation des Patienten anpassen. Hierfür sind vielmehr übergreifende Konzepte
zu diskutieren, von denen exemplarisch zwei vorgestellt werden. Holoch schlägt eine
mit Elementen des situierten Lernens bzw. des Gedankens der COP verknüpfte Form
der „cognitive apprenticeship“ vor (2002: 147ff.). Dabei wird aus dem Konzept der
COP das Vorbild einer Gemeinschaft von Praktikerinnen (anstatt einer einzelnen
Meisterin) übernommen, was den Lernenden den Vergleich und die Suche geeigneter
Vorbilder ermöglicht. Die ausdrückliche und geplante Anleitungssituation wird durch
die prinzipielle Bereitschaft, in der Patientenversorgung Neulinge am Wissen der Könnerinnen teilhaben zu lassen, ersetzt. Letztere sind ausdrücklich in den Lernprozess
einbezogen, indem sie Impulse von den Lernenden aufnehmen und in ihre eigenen Reflexionen einbeziehen. Empirisch erprobt wurden drei Lernsituationen mit exemplarischem Charakter7.
Mit dem Konzept einer „clinical educational unit (CEU)“ oder „interprofessional
clinical learning unit (ICLU)“ (Sommerfeldt et al. 2011) wird ein international diskutierter Ansatz aufgegriffen, der eine besondere Möglichkeit eröffnet, in die COP hineinzuwachsen. Dieses Konzept ist nicht zu verwechseln mit bisweilen in Deutschland
praktizierten „Schulstationen“, auf denen „Lernende für einen begrenzten Zeitraum
unter Anleitung eine Station übernehmen“. Mit dem Konzept CEU oder ICLU werden neben den Lernenden auch explizit die professionellen Teammitglieder und die
Lehrenden Blick genommen, wie die folgenden Zielstellungen verdeutlichen (Lindahl
et al 2009: 5):
- Entwicklung von Praxisanleitung und Supervision für Lernende und das professionelle Team
- Entwicklung einer Lernumgebung, die zur Reflexion, Kooperation und Personalentwicklung beiträgt
7 Narrativa zu Fürsorgesituationen, Erstgespräch als Lernsituation und Interaktion in komplexen Pflegesituationen (Holoch 2002)
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Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
- Integration von klinischen Fertigkeiten und theoretischem Wissen
- Unterstützung der Lernentwicklung durch Anknüpfen an Vorwissen und -erfahrung
- Erfahrungslernen und ‚gelebtes’ Wissen
- Entwicklung einer besseren Pflegequalität und Patientenpartizipation
- Entwicklung einer gemeinsamen Perspektive im Hinblick auf die Pflege von Patienten (Entwicklung eines gemeinsamen Pflegeverständnisses)
- Entwicklung einer Evidenz basierten Praxis und Sicherung der Lernqualität
- Entwicklung interprofessioneller Kooperation
Zugleich steht im Sinne des professionellen Auftrags der Patient mit seinem Erleben
und seinen Erfahrungen im Fokus. Das Konzept kommt dem Verständnis nahe, das
Schaeffer (2006) mit dem Begriff „lernende Gesundheitsprofession“ geprägt hat, und
zeigt sich aufgrund der Zielstellung und der Integration unterschiedlicher Akteure
(Pflegeexperten, Lernende, Patienten) tragfähig für eine Initiierung von Entwicklungsprojekten, die durch mehrperspektivische Begleitforschung zu flankieren wären.
3.4 Assessment und Feedback
Assessment und Feedback verfolgen in klinischen Ausbildungs- und Studienphasen
das Ziel, den individuellen Lernstand und die Effekte ganzer Bildungsprogramme
sichtbar zu machen und kommunizieren zu können. Letztlich dienen sie dazu, qualitativ hochwertige Pflege und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten.
Sowohl national als auch international muss festgestellt werden, dass im Bereich der
Kompetenzdiagnostik ein großer Forschungsbedarf besteht. Neben bestehenden Unklarheiten zum Begriff „Kompetenz“ fehlt es v. a. an der Begründung von Messverfahren durch Kompetenzmodelle, die sowohl theoretisch als auch empirisch abgesichert
sind und die Interdependenzen schulischer und klinischer Ausbildungsabschnitte berücksichtigen (Darmann-Finck/Glissmann 2011). Die Autorinnen stellen in einer systematischen Literaturarbeit fest, dass für die deutsche Pflegebildung und auch international z. Zt. weder für die Kompetenzerfassung einzelner Lernender noch für die Evaluierung ganzer Bildungsprogramme validierte Instrumente vorhanden sind.
Für klinische Ausbildungs- und Studienphasen ist bislang offen, in wie weit die Anforderungen, welche an vergleichende Kompetenzdiagnostik gestellt werden, also Objektivität, Reliabilität und Validität hier überhaupt zu realisieren sind. Dies ist jeweils
für Verfahren mittels Simulation (1) und für Verfahren im klinischen Feld (2) zu untersuchen.
(1) Als standardisiertes Verfahren mittels Simulation stehen OSCEs (Objective Structured Clinical Examinations) zur Verfügung, bei denen die Lernenden eine Reihe von
Stationen durchlaufen, an denen unterschiedliche Kompetenzen, vorrangig klinische
Fertigkeiten, in simulierten (Pflege-) Situation anhand von Checklisten beurteilt werden. Diesem Verfahren liegt primär eine kriteriale Bezugsnorm zugrunde, es ermöglicht den Vergleich zwischen Lernenden. Gegenüber Beobachtungen in reellen Situa262
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tionen haben OSCEs den Vorteil, dass die Bedingungen und die Inhalte der Prüfung
gut kontrollierbar sind (Darmann-Finck/Glissmann 2011). Auf der anderen Seite verhindert die Zergliederung der Handlungsabläufe in Prüfstationen die Beurteilung
übergreifender Kompetenzen. Diesem Problem wird durch die Entwicklung von OSCEs mit wenigen, dafür aber komplexeren Stationen begegnet (Smith et al 2012). Trotz
der hochgradigen Standardisierung wird auch bei OSCEs in der Literatur der fehlende
Nachweis der Validität und Reliabilität beklagt (Yanhua/Watson 2011). Walsh et al.
(2009) verweisen in einem Studienüberblick explizit auf Schwächen in Assessmentinstrumenten und in der Wahl der Stichprobengröße.
(2) Assessmentverfahren im klinischen Feld, welche die pädagogische Funktion in
den Mittelpunkt stellen, gewinnen an Bedeutung. Solche Verfahren dienen dazu, den
Lernenden bestehenden Lernbedarf aufzuzeigen und weitere Lernschritte zu planen.
Sie erfolgen im Sinne einer Lernbegleitung, indem neben der kriterialen auch eine individuelle Bezugsnorm zugrunde gelegt wird. Aus dem Spektrum von „Prüfungsformaten“, die in klinischen Ausbildungsphasen unter Beteiligung von Patienten zur Anwendung kommen, werden v. a. zwei Verfahrensweisen diskutiert: workplace based assessment und Portfolios.
Aus dem Bereich der medizinischen Aus- und Weiterbildung liegen Instrumente für
das „workplace based assessment“ (z. B. mini-CEX, mini-clinical evaluation exercise;
DOPS, direct observation of procedural skills; MSF, Multisource Feedback) vor, die
bei ausreichend regelmäßiger und sachgemäßer Anwendung reliable Beurteilungen
der gemessenen Kompetenzen ergeben und sich positiv auf das Engagement beim Lernen und den Lernstand auswirken. Allerdings erweist sich die Bereitstellung personeller und zeitlicher Ressourcen für ein kontinuierliches Feedback an die Lernenden als
schwierig. Auch die Qualität des Feedbacks, das bei den genannten Assessmentinstrumenten gegeben wird, ist sehr unterschiedlich. So wird in vielen Fällen die Planung von
Lernschritten vernachlässigt, was den Wert des Feedbacks für die Lernentwicklung
mindert (Norcini/Burch 2007). Ein Spezifikum des MultiSource Feedback ist es, dass
die Lernenden selbst „Bewerter“ auswählen, und zwar Angehörige unterschiedlicher
Professionen und auch Patienten. Dieses Vorgehen berücksichtigt durch eine anonymisierte Rückmeldung der Bewertungen die emotionale Herausforderung, die das persönliche Feedback in der klinischen Ausbildung bedeuten kann.
Portfolios sind zielgerichtete Sammlungen von Nachweisen über Lernschritte und
deren Reflexion. Sie dienen damit sowohl dem Lernen selbst als auch der Messung des
Lernerfolgs (Sowter et al 2011). Sie erfreuen sich aktuell großer Beliebtheit, obwohl es
eine Reihe offener Fragen gibt. Portfolios können unterschiedlich strukturiert sein und
verschiedene Anforderungen an die Lernenden stellen. Portfolios mit engen Vorschriften sind bürokratisch, während sehr offen gehaltene Portfolios zur Selbstverantwortung und Kreativität beim Lernen anregen, aber kaum vergleichbar sind. Insgesamt
wird für die Bewertung von Portfolios eine geringe Reliabilität und Validität angenommen, was z. B. an einer unklaren Anleitung der Lernenden zum Erstellen des Portfolios
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Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
aber auch an unzureichenden Maßstäben bei der Beurteilung liegen kann
(Yanhua/Watson 2011, Sowter et al. 2011).
Die Objektivität und Reliabilität von offenen, realitätsnahen Assessmentverfahren
ist durch die unterschiedlichen Voraussetzungen der am Verfahren beteiligten Akteure
(Praxisanleiter, Lehrende, Pflegende, Patienten, Lernende) und die Vielfalt von Pflegesituationen, in denen Kompetenz erfasst werden soll, eingeschränkt. Gerade eine solche Multiperspektivität und unmittelbare Praxisanbindung beim Feedback birgt aber
ein erhebliches Lernpotential.
Zusammenfassend kann man schließen, dass die Kombination verschiedener Verfahren eine sinnvolle Option darstellt (Darmann-Finck/Glissmann 2011,
Yanhua/Watson 2011) und dass für alle Verfahren, auch für das populäre OSCE, weiterer Forschungsbedarf besteht.
4. Fazit und Ausblick
Dieser Beitrag schlägt eine Strukturierung des Feldes „klinische Kompetenzentwicklung“ in vier Perspektiven vor. Aus diesen Blickwinkeln zeigen sich erhebliche Forschungs- und Entwicklungspotentiale, die hier noch einmal thesenartig zusammengefasst sind und zur Diskussion gestellt werden.
- Unterschiedliche professionelle und nicht professionelle Akteure der klinischen Praxis nehmen Einfluss auf die Kompetenzentwicklung der Lernenden. Ihre Rollen und
Einstellungen sowie ihr Zusammenwirken sind zu untersuchen. Insbesondere für professionelle Akteure bedarf es weiterer Erkenntnisse über Qualifikationserfordernisse.
- Die klinische Praxis ist nicht primär eine Lernumgebung, sondern eine dynamische
Arbeitsumgebung mit eigenen kulturellen Besonderheiten. Forschungsdesiderate sind
hier die Identifikation förderlicher bzw. -hemmender Faktoren im Kontext der Entwicklung von „COPs“ in sich wandelnden klinischen Versorgungssettings. Ebenso ist
eine Differenzierung verschiedener Organisationsmodelle sowie deren Erprobung und
Evaluation im Hinblick auf die klinische Kompetenzentwicklung von Lernenden von
Interesse.
- Lehr-/Lernstrategien oder -konzepte können sehr unterschiedlich aussehen, wie die
Beispiele „Skills lab“ und „CEU“ zeigen. Die Implementation bekannter oder neuer
Aneignungs- bzw. Vermittlungsstrategien ist durch Forschung zu begleiten und ihre
Auswirkungen auf die Kompetenzentwicklung sind zu untersuchen.
- Für das Assessment klinischer Kompetenzentwicklung muss sowohl auf standardisierte Instrumente als auch auf individuelles Feedback zurückgegriffen werden. Die
Entwicklung und Validierung standardisierter Instrumente sollte vorangetrieben werden. Außerdem sind multiperspektivische Verfahren praktikabler formativer Lernbegleitung in klinischen Settings weiter zu entwickeln und zu untersuchen.
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Für jede einzelne der genannten Perspektiven wäre als erster Schritt die systematische Sichtung der deutschen wie der internationalen Literatur zum Stand der Forschung und Entwicklung wünschenswert (vgl. Darmann-Finck/Glissmann 2011 für
den Bereich Assessment), um die Forschungsaktivität weiter zu bündeln und zu strukturieren.
Die Dynamik, welche durch die Akademisierung der Pflegeausbildung entstanden
ist, kann als Chance gesehen werden, Herausforderungen der klinischen Ausbildung
kritisch zu diskutieren und dem Reformbedarf zu begegnen. Schließlich bildet dieser
Teil der Ausbildung bzw. des Studiums als gemeinsamer Nenner weiterhin einen entscheidenden Qualitätsfaktor für eine patientenorientierte Ausrichtung der Ausbildung. Ziel ist es, die Entwicklung der Pflege als Profession insgesamt voranzutreiben.
In diesem Sinne wäre ein übergreifendes (bundesweites, internationales) Netzwerk für
die Konzeptentwicklung wünschenswert, das die zersplitterte Forschung und Entwicklung bündelt und anschlussfähig macht.
Schließlich erscheint es sinnvoll, interprofessionelle Synergien zu nutzen. Interprofessionelles Lernen ist im Hinblick auf das Ziel einer integrierten Patientenversorgung
interessant. Hier besteht in Deutschland erheblicher Nachholbedarf gerade im Hinblick auf die Anforderungen integrierter Versorgungsmodelle, die interprofessionelle
Kooperation voraussetzen. Die in diesem Beitrag vorgeschlagene Strukturierung des
Feldes der klinischen Kompetenzentwicklung in der Pflege kann auch für andere Gesundheitsprofessionen als Anhaltspunkt für Entwicklung und Forschung dienen. Die
herausgearbeiteten Perspektiven können die Diskussion nicht nur innerhalb, sondern
auch zwischen den Gesundheitsprofessionen anregen.
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Dr. phil. Manuela Bergjan
Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Augustenburger Platz 1,
13353 Berlin, [email protected], (korrespondierende Autorin)
Dr. phil. Dorothea Tegethoff
Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Augustenburger Platz 1,
13353 Berlin, [email protected]
267
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Frank Arens, Elfriede Brinker-Meyendriesch
Berufsbildungsforschung in der Pflege
Ein Beitrag der Sektion Bildung
Vocational Education Research in Nursing. To contribute to the education
section
This article discusses fields of research within professional eduction based on the development of a national reserach agenda for nursing science. Hence current positions and
statements are analysed using the structure of a matrix for professional education research. In conclusion the article presents major reserach needs for future professional
education.
Keywords
Vocational Education Research, nursing education, Nursing Research Agenda
Ausgehend von den Entwicklungen einer Agenda Pflegeforschung wird in diesem Beitrag
ein Instrument zur Erfassung der Berufsbildungsforschung in der Pflege dargestellt. Es
werden unter Berücksichtigung einer Strukturmatrix zur Berichterstattung in der Berufsbildungsforschung exemplarisch aktuelle Positionen und Befunde zusammengetragen
und hieraus künftig prioritär zu berücksichtigende Forschungsfragen abgeleitet.
Schlüsselwörter
Berufsbildungsforschung, Pflegebildung, Agenda Pflegeforschung
1. Einleitung und Problematisierung
Ausgehend von den Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft
(DGP) haben sich die Autoren, angeregt durch die Arbeit in der Sektion Bildung der
DGP1, Fragen der Berufsbildungsforschung in der Pflege zugewendet. Die DGP hatte
für Februar 2011 Mitglieder zu einer Konferenz Agenda Pflegeforschung eingeladen.
Ziel war die Erarbeitung einer Grundlage für die Kontinuierung der Forschungsförderung und die Steigerung der Bedeutung von Pflegeforschung. Der Agenda Pflegeforschung war der Anlass zu folgenden Fragen:
-
Was verstehen wir unter Bildungsforschung?
Welcher Bildungsforschungsbedarf besteht und ist gegenwärtig aktuell?
Wie kann der Bedarf erfasst und besser kommuniziert werden?
Wie ist der Stand der Bildungsforschung bzw. wie kann der Stand der Forschung ermittelt, systematisiert und
- wie können zukünftige Forschungsergebnisse transparenter gemacht werden?
1 Wir bedanken uns bei den Mitgliedern der Sektion Bildung für die kritischen Anmerkungen zu diesem Beitrag.
eingereicht 26.09.2012
akzeptiert 30.11.2012
268
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Beiträge
Nicht zuletzt ist die Auseinandersetzung mit dem Thema darauf zurückzuführen, dass
die Sektionsmitglieder sich für eine Agenda Pflegeforschung (mit dem Untertitel Bildung) ein deutliches Mehr an bildungstheoretischer respektive pflegedidaktischer Begründung wünscht. Sicher ist, die Berufsbildungsforschung im Berufsfeld Pflege gilt
als entwicklungsbedürftig (Darmann/Keuchel 2005), eine systematische Berufsbildungsforschung (Keuchel 2005: 253) soll die theoretisch begründeten und empirisch
ermittelten Grundlagen für eine professionelle Bildungsarbeit schaffen und kontinuierlich weiterentwickeln.
Unser Beitrag soll also erstens die Sensibilität erhöhen und die Aufmerksamkeit dafür schärfen, dass parallel zur Professionalisierung der Pflegeberufe eine Bildungsreformdiskussion zu führen ist. Bislang heben Diskussionen in ihren Argumentationen
meistens auf einen veränderten qualitativen und quantitativen Pflegebedarf ab. Pflegebildung steht jedoch nur indirekt im Dienst der Bewältigung gesundheitlicher Versorgung, sondern verfolgt einen eigenen gesellschaftlichen Auftrag, der über bloße berufliche Qualifizierung weit hinausreicht. Zweitens möchten wir eine Strukturmatrix
nach Kell (2000, 2010) zur Darstellung von Berufsbildungsforschung in der Pflege
vorstellen, welche zukünftig dabei helfen könnte, zur Systematisierung und Transparenz von Bildungsforschung in der Pflege beizutragen.
Unser Beitrag kann und soll allerdings nicht eine systematische Bestandsaufnahme
zur Berufsbildungsforschung und zu Forschungsdesideraten leisten, sondern ist allenfalls als Vorarbeit zu werten. Eine methodisch planvolle Literaturanalyse bzw. eine Berücksichtigung der gesamten relevanten Literatur zur Bildungsforschung in der Pflege
wird nicht erbracht. Es wird lediglich ein mögliches Instrument zur Berichterstattung
vorgelegt, um zu einer Perspektivenerweiterung im Rahmen einer Agenda Pflegeforschung gelangen. Dazu haben wir Arbeiten herangezogen, die uns offenkundig zu helfen versprachen, unser Vorhaben zu veranschaulichen und mögliche Forschungsdesiderate zu fixieren.
2. Ein bildungstheoretischer Orientierungsrahmen
Wenn wir mit der Agenda Pflegeforschung und darüber hinausgehend betonen wollen,
dass Berufsbildungsforschung in der Pflege über bloße berufliche Qualifizierungsinteressen hinausreichend eines bildungstheoretischen Rahmens bedarf, vor dem die Fragen zu stellen sind, dann war es an uns, einen solchen Rahmen in den Blick zu nehmen:
Eine professionelle Pflegebildung impliziert unseres Erachtens den reflexiven Umgang
mit beruflichen und gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Bedeutung für Bildung und Arbeit (Keuchel 2005, Ertl-Schmuck/Fichtmüller/Böhnke 2007). Das
heißt, eine Durchdringung berufs- und arbeitsbezogener Zusammenhänge ist seitens
der Berufsbildungsforschung zu intensivieren (Spöttl 2009) und um gegenwärtige und
zukünftige gesellschaftliche, technische, personenbezogene, soziale Implikationen zu
erweitern. Eine reduzierte Betrachtung der Berufe in der Pflege, die sich allein auf die
Qualifikationsanforderung der gegenwärtigen Pflegepraxis konzentriert, greift dem269
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
nach zu kurz. Es gilt Praxis-Wissen von Pflege zu entdecken und zum Gegenstand pflegerespektive berufswissenschaftlicher und auch arbeitswissenschaftlicher sowie sozialwissenschaftlicher Reflexion zu machen. Vorrangig arbeitsplatznahe Qualifikationen, wie
sie eine zu enge Auslegung der Pflegebildung nahe legt, hingegen lehren, nicht nur berufs- und arbeitsmäßige Rahmenbedingungen und nicht nur „den Arbeitenden als Individuum“ (Spöttl 2009: 4), sondern auch den Lernenden als Individuum auszublenden.
Die Fragen, für welches Handeln Pflegende kompetent sein sollen oder welche
(Aus-)Bildung die Pflege braucht und wofür, d. h. für welche Pflegesituationen und
Pflegehandlungen Pflegende ausgebildet werden sollen, sind weitere wesentliche
Orientierungspunkte für die Forschung.
Keuchel (2005) reflektiert in diesem Zusammenhang mehrere Positionen eines bildungstheoretischen Orientierungsrahmens: die Bedeutung des Berufsprinzips der
Pflege, kritische gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Lernen, Lernorte, Lernkulturen und Bildungsinstitutionen. Sie expliziert, dass pflegeberufliche Bildung sich zunehmend als Initialbildung versteht, die nicht mehr für die Pflege als Lebensberuf ausbildet, sondern auf einen pflegeberufsbiografischen Entwicklungsprozess vorbereitet,
auf dem kontinuierlich weitergelernt wird. Hier eröffnen sich Fragen der konzeptionellen Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung, der didaktischen Strukturierung
von Arbeit und Lernen, des systemischen Zusammenhangs von Arbeit und Bildung.
Auch kann die Fähigkeit zur kritisch reflektierenden Auseinandersetzung mit Freiheit, Verantwortlichkeit, Werten und Normen in einer zunehmend pluralen Gesellschaft nur erlangt werden, wenn pflegeberufliche Lernprozesse Raum für entsprechende Bildungserlebnisse eröffnen und lebenslanges Lernen nicht als lebenslange Anpassung an ökonomische Prozesse reduziert wird (ebd.).
Pflegeberufliches Lernen wird sich in seinen Lernanlässen und Lernbegründungen,
in Lernorten und Lernkontexten differenzieren und pluralisieren. Zukunftsorientierte
Lernprozesse als gesellschaftliche Dimension sind abhängig von Alter, sozialer Lage
und Bildungsvoraussetzungen. Für all dies hat das pflegerische Bildungssystem eine gesellschaftliche Verantwortung, nämlich diese Verhältnisse im Rahmen eines pflegerischen Gesamtbildungssystems einzufangen und konstruktiv zu gestalten (ebd.).
Die Institutionen des Bildungssystems, in denen Pflege gelehrt und gelernt wird,
werden sich ausdifferenzieren. Mit dieser Ausdifferenzierung sind auch Veränderungen der Lehr- und Lernkultur, der Ausbildungsinhalte, der Bedeutung des Wissens, des
Funktionsverständnisses der Lernorte, der Lernorganisation und der Personalentwicklung verbunden. Inhaltlich geht es um die Herausbildung auch von Lebenswissen und
umfassender Persönlichkeitsentwicklung. Hierzu „müssen sich die Akteure pflegeberuflicher Bildung von ihren Kontroll- und Steuerungsansprüchen lösen und ihr Handeln auf
die Befähigung zum Selbstlernen und zur Selbstbildung ausrichten. Hier zeigt sich die
grundlegende Kongruenz von Pflege und Lehre, die in ihrem Kern darauf ausgerichtet sind,
das Gegenüber in eine größtmögliche Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu entlassen“ (Keuchel 2005: 157).
270
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
3. Systematisierung der Berufsbildungsforschung
Auch nach Kell (2000, 2010) untersucht Berufsbildungsforschung die Bedingungen,
Abläufe und Folgen der Entwicklung fachlicher Qualifikationen mit ihren personalen
und sozialen Einstellungen und Orientierungen. Zur Konkretisierung und Systematisierung des Gegenstandsbereichs der Berufsbildungsforschung ist von Kell (2010) eine
Strukturmatrix erarbeitet worden. Die Strukturmatrix hilft Wechselbeziehungen zwischen horizontaler und vertikaler Ebene zu verorten bzw. zu erforschen sowie Befunde
und Positionen zuzuordnen und damit einen Beitrag zur Berichterstattung über Berufsbildungsforschung zu leisten (Kell 2010). Diese Strukturmatrix wird in diesem
Beitrag für eine weiter zu entwickelnde Berufsbildungsforschung im Berufsfeld Pflege
aus Gründen der Übersichtlichkeit und Systematisierung zugrunde gelegt.
Die Spalten 1 bis 5 von Tabelle 1auf der Horizontalen bilden die vorberufliche (1),
nichtakademische (2) und akademische (3) berufliche Bildung ab, ferner die berufliche
(4) und wissenschaftliche (5) Weiterbildung. Auf der vertikalen Ebene werden die vier
theoretischen Zugriffe Mikrosystem als berufliches Lehren und Lernen (1), Mesosystem als Organisationen und Institutionen (2), Exosystem als Gestaltung und Politik
(3) sowie Makrosystem als Reflexion und Theorie (4) zu Grunde gelegt.
1. Vorberuf- 2. Nichtakade- 3. Akademische 4.Berufliche
5. Wissenliche
mische Berufs- BerufsausbilWeiterbildung schaftliche
Bildung
ausbildung
dung
Weiterbildung
1. Berufliches Lehren 1.1
und Lernen
(Mikrosystem)
1.2
1.3
1.4
1.5
2. Organisationen
und Institutionen
(Mesosystem)
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
3. Gestaltung / Plitik 3.1
(Exosystem)
3.2
3.3
3.4
3.5
4. Reflexion / Theorie (Makrosystem)
4.2
4.3
4.4
4.5
4.1
Tab. 1: Strukturmatrix zur thematischen Verortung von Forschungsarbeiten in der
Berufsbildungsforschung (Kell 2010: 358)
„Auf der Mikro-Systemebene sind die Forschungen über berufliche Lehr- und Lernprozesse zu verorten, die von organisatorischen und institutionellen Strukturen auf der
Meso-Systemebene beeinflusst werden, die wiederum durch die (Berufsbildungs-)Politik auf der Exo-Systemebene gestaltet werden. Alle drei Systemebenen werden von der
Makro-Systemebene überwölbt – von gesellschaftlichen Strukturen, Kulturen, Weltanschauungen, Ideologien, wissenschaftlichen Theorien –, aus denen für die wissenschaftliche Bearbeitung von Problemen der Berufsbildung vor allem die Einflüsse aus
wissenschaftlichen Reflexionen und Theorien relevant sind“ (Kell 2000: 160, Hervorhebung im Original F.A./E.B.).
271
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
4. Positionen und Bestandsaufnahme
4.1 Ebene Mikrosystem
Auf der Ebene des Mikrosystems, also der Gestaltung beruflichen Lehrens und Lernens, ist zu konstatieren, dass eine systematische Strategie zum Aufbau pflegedidaktisch relevanter Forschung derzeit in Deutschland nicht zu erkennen ist und entsprechende Forschungsverbünde etc. fehlen (Darmann-Finck 2010a, Dieterich/Kreißl
2010). Pflegedidaktische Forschung wird von Darmann-Finck (2010a) in Unterrichtswirksamkeitsforschung und Unterrichtsforschung unterschieden. Erkenntnisinteresse
der Unterrichtswirksamkeitsforschung ist die Identifizierung von Unterrichtsmethoden und Lehrerverhaltensweisen, mit denen ein definiertes Lernziel besser als mit anderen Methoden und Verhaltensweisen zu erreichen ist. Erkenntnisinteresse der
Unterrichtsforschung ist die Beschreibung von Handlungsmustern sowie die Identifizierung der immanenten Handlungslogiken bzw. Deutungsmuster. Zum Stand pflegedidaktisch relevanter empirischer Forschung in der nichtakademischen Berufsausbildung in Deutschland kommt Darmann-Finck (2010b) zu dem Ergebnis, dass Unterrichtsforschung und darüber hinaus Schulforschung welcher Couleur auch immer im
Feld der Pflegebildung in den deutschsprachigen Ländern bislang kaum vorhanden ist.
Der geringe Grad und Umfang pflegedidaktisch empirischer Forschung führt dazu,
dass in der Lehreraus-, fort- und -weiterbildung, so Darmann-Fink (2010a), fast ausschließlich normative Handlungsregeln zu Grunde gelegt werden, deren Wirkung und
Wirksamkeit aber nicht bewiesen ist. Das heißt Lehrende sollen ihre Entscheidungen
auf Ergebnisse der empirischen Lehr-/Lernforschung stützen können. Dazu sind pflegedidaktische Modelle stärker als bisher empirisch zu begleiten, zu überprüfen und zu
begründen. Ebenso ist eine für die Berufsbildung vereinbarte Kompetenzorientierung, zum Beispiel vor dem Hintergrund eines nationalen Kompetenzrahmens, fachlich zu diskutieren und zu konkretisieren (Darmann-Finck 2010a, DarmannFinck/Glissmann 2011).
Auch Reiber (2010) konnte mit einer empirischen Untersuchung zur Unterrichtskultur in der nichtakademischen Pflegeausbildung belegen, dass die theoretischen Diskurse in der Berufs- und Pflegepädagogik über Handlungsorientierung und Subjektorientierung noch nicht durchgängig diskutiert und für den Pflegeunterricht und damit
in den Verhaltenserwartungen der Lehrenden angekommen sind. Vor diesem Hintergrund ist auch die Lehrerbildung zu untersuchen, es bedarf qualifizierter Lehrender,
die über Lehrkompetenz verfügen und über Können, um die Bildungsprozesse zu initiieren und zu begleiten (Neuweg 2010, vgl. auch Bischoff-Wanner/Reiber 2008, Pflege&Gesellschaft, Heft 1/2007, Hülsken-Giesler/Böhnke 2007).
Neben der Forschung pflegeberuflichen Lehren und Lernens im Unterricht ist auch
das Lernen und Forschen in der beruflichen Praxis stärker in den Blick zu nehmen
(Fichtmüller/Walter 2007). Hier liegen bereits einige wenige Befunde zur Gestaltung
der praktischen Ausbildung in der nichtakademischen Berufsausbildung z. B. im Rahmen der Praxisanleitung (Fichtmüller/Walter 2007, Roes 2004) sowie zum Wissenstransfer vor (Görres et al. 2002, Holoch 2002). Pflegedidaktische Erkenntnisse zur Ge272
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Beiträge
staltung der Praxisbegleitung in der nichtakademischen Berufsausbildung liegen bislang kaum vor (Arens 2012).
Erste Befunde zum Lehren und Lernen in der vorberuflichen Bildung legen nahe,
dass eine „Didaktik der Berufsfachschule das Strukturmoment der Beziehungsgestaltung“
(Darmann 2000: 121) sowie übergreifende Kompetenzen und Fähigkeiten stärker zu
berücksichtigen habe, als eine enge Orientierung an beruflichen Zusammenhängen
aus den Pflegeberufen (Darmann 2000).
Zum Lehren und Lernen in der akademischen Ausbildung liegen bisher Befunde in
sehr geringem Umfang vor, z. B. für die klinisch-praktische Ausbildung von Pflegestudierenden (Loewenhardt et al. 2009). Ebenso für das Lehren und Lernen in der beruflichen Weiterbildung, z. B. zur Wirksamkeit des Problemorientierten Lehrens und Lernens in der Weiterbildung Anästhesie- und Intensivpflege (Darmann-Finck 2008) sowie zum informellen Lernen in der nichtakademischen Berufsbildung (Kirchoff 2007,
Bohrer 2012).
4.2 Ebene Mesosystem
Auf der Ebene des Mesosystems, also der Organisationen und Institutionen, ist es heute eine zentrale Aufgabe des pflegerischen Bildungssystems, den Auf- bzw. Ausbau eines
pflegepädagogischen Profils zu leisten und einen Gestaltungsfreiraum durch Berufsbildungsforschung zu erwirken. Das in einer Zeit, in der sich das gesamte öffentliche Bildungssystem in einer tiefgreifenden Umbruchsituation befindet. Seine Teilsysteme
ringen um neue Zuordnungen und Ausgestaltungen. Stichworte sind die Fragen der
Verortung der Pflegeausbildung an Schulen im Gesundheitswesen, im öffentlichen berufsbildenden System und der Hochschule, Fragen auch der Stellung der Weiterbildungen, die teilweise – wie die Berufsbildung – durch hochschulische Bildung ersetzt,
ergänzt und auch überholt werden. Hier stellen sich grundlegende legitimatorische
und inhaltliche Herausforderungen an das gesamte pflegerische Bildungssystem, welche nicht nur durch Reformen auf der pädagogischen Praxisebene bewältigt werden
können, sondern vor allem von wissenschaftlicher Seite unterstützt werden müssen.
Dazu muss die Berufsbildungsforschung in der Pflege verstärkt (Keuchel 2005) werden, auch indem die Pflegebildung in all ihren Facetten im Hinblick auf ihre institutionelle Verortung im Bildungssystem systematisch beobachtet und ausgewertet wird.
4.3 Ebene Exoystem
Auf der Ebene des Exosystems, also der Gestaltung und Politik, werden Positionen und
Befunde zur Qualifikationsforschung, zur Modellversuchsforschung, zur beruflichen
Sozialisationsforschung sowie zur Lehrerbildungsforschung skizziert.
273
Beiträge
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
4.3.1 Qualifikationsforschung
Eine berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung untersucht den Zusammenhang zwischen den im beruflichen Handeln enthaltenen Kompetenzen, der Entwicklung von Berufsbildung und der Auswahl und Legitimation von Zielen, Inhalten und
Strukturen beruflicher Bildung (Darmann-Finck/Foth 2011). Ohne verlässliche empirische Informationen können Curricula sich jedoch nicht auf Erkenntnisse der Forschung stützen. Je weniger wissenschaftlich argumentiert werden kann, desto mehr ist
damit zu rechnen, dass Praxisentwicklungen in Beruf und Berufsausbildung zu wenig
reflektiert, analysiert und letztlich auch zu wenig gesteuert werden. Schon die Grundlage, eine kontinuierliche und ausführliche Berufsbildungsberichterstattung für das
Berufsfeld Pflege, existiert nicht. Sie würde eine Fakten-Basis für weitere Berufsbildungsforschung bieten. Doch der Berufsbildungsbericht berührt die Pflegeausbildung
nur am Rande (Darmann-Finck/Foth 2011, Slotala/Evers 2012). Initiativen zur Qualifikationsforschung sind also notwendig, um eine Informationsbasis für zukunftsweisende Ausbildungskonzeptionen und Curricula zu schaffen. So ist beispielsweise zu
fragen, welchen Beitrag Pflegende unterschiedlicher Qualifkationsniveaus zur Pflegearbeit leisten können und wie eine Neuaufteilung der Verantwortungsbereiche in der
Zusammenarbeit aussehen kann, welchen Beitrag neue Berufsbilder zur gesundheitlichen Versorgung leisten können und welche Kompetenzen und Qualifikationen für
neue Handlungsfelder und Aufgaben entwickelt werden müssen.
4.3.2 Modellversuchsforschung
Im Rahmen der empirischen Berufsbildungsforschung im Berufsfeld Pflege liegt derzeit ein Schwerpunkt auf Modellversuchen zur Erprobung von Strukturreformen der
nichtakademischen und akademischen Pflegeausbildung (BMFSFJ 2008, Knigge-Demal et al. 2011, Reiber 2011, Stöver 2010). Zielsetzung ist einerseits die Pflegeberufsbildungspraxis zu innovieren und gleichzeitig Erkenntnisse zu generieren. Problematisch ist aufgrund der knappen finanziellen Ausstattung der Modellversuchsforschung,
verallgemeinerbare Erkenntnisse zu gewinnen, da diese Studien möglichst schnell und
effizient Ergebnisse schaffen, die den Projektauftrag unterstützen (DarmannFinck/Foth 2011). Zur Entwicklung einer pflegerischen Berufsbildungsforschung
müsste die Modellversuchsforschung verallgemeinerbare Erkenntnisse generieren und
sich von dem Zielhorizont der Projekte emanzipieren (ebd.). Zudem sind vor allem die
kritischen Ergebnisse der Modellversuchsforschung angemessen für eine Weiterentwicklung der Pflegeberufe zu berücksichtigen. So stellt zum Beispiel Sahmel (2010) die
Zusammenführung der Pflegeberufe zu einer generalistischen Pflegeausbildung, wie
sie beispielsweise von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Pflegeberufe“ (2012) gefordert wird, in Frage, da die Integration der Pflegebildungsgänge
nicht aus qualifikatorischen, sondern vielmehr aus pragmatischen und finanziellen
Gründen erfolge. Entsprechend fordert Sahmel (2010) eine Fortführung der Modellversuche mit stärker altenpflegerischem Schwerpunkt und einen systematischen Vergleich mit Ergebnissen der Modellversuche zum Dualen Studium.
274
Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
Beiträge
Für die vorberufliche Bildung sowie berufliche Weiterbildung und wissenschaftliche Weiterbildung im Berufsfeld Pflege sind keine Modellversuchsforschungen bekannt geworden.
4.3.3 Berufliche Sozialisationsforschung
Durch die Eigenheiten der pflegerischen Bildungsstrukturen (Brinker-Meyendriesch
2007), besonders durch die systemimmanente Präsenz der Ausbildungsträger in beruflichen Ausbildungen, gibt es Fragen, die besondere Aufmerksamkeit und erhöhte Forschungsaktivitäten verdienen: Welche Bedeutung kommt sozialisierenden Faktoren in
der Ausbildung zu, d. h. Faktoren, die, bleiben sie unreflektiert und ungenannt, im
Stillen wirken? Erst mit der Analyse und Bewusstmachung können un- und vorbewusste sozialisierende Prozesse für die Bildung dynamisch genutzt werden. Eine solche Sozialisationsforschung untersucht die Wechselwirkungen zwischen Beruf und Arbeit auf
der einen und Person und Bildung auf der anderen Seite. Mit interdisziplinär angelegten
Längsschnittstudien könnten Interdependenzen systematisch untersucht werden (Darmann-Finck/Foth 2011). Die bisherigen Forschungsaktivitäten beinhalten Probleme
wie Fluktuation und Berufswechsel mit mehr ökonomisch relevanten Fragestellungen.
4.3.4 Lehrerbildungsforschung
Gerade Fragen, die die Eigenheiten der beruflichen Ausbildungen in den Blick nehmen, sind auch als Spezialitäten der Lehrerbildung zu sehen. Die Lehrerbildung in den
Pflegeberufen hat in den letzten 15 Jahren einen forschungswürdigen Wandel von der
Weiterbildung zur Hochschulbildung vollzogen. Diese Hochschulbildung ist im Zuge
der Europäisierung in die Normalität eingepasst (Brinker-Meyendriesch 2006). Derzeit sind die Studiengänge für die Lehrerbildung im Berufsfeld Pflege allerdings höchst
heterogen, kaum systematisch miteinander verglichen und auch nicht durchgängig an
den Rahmenempfehlungen der KMK (2007) orientiert (siehe Pflege & Gesellschaft
2007). Demgemäß steht die Forschung hier noch ganz am Anfang.
In Kontext pflegedidaktisch relevanter Forschung können die Arbeit zu den Subjektiven Theorien von Pflegelehrenden (Rosen 2010) sowie die Untersuchung von Ostermann-Vogt (2011) angeführt werden. Beide Untersuchungen belegen, dass Subjektive
Theorien bzw. biografische Basisdispositionen den Aufbau professionellen pflegepädagogischen Handelns beeinflussen und dies im Rahmen der Lehrerbildung Berücksichtigung finden muss. Wichtig ist auch, Durchlässigkeiten zu und Kooperationen mit
der etablierten Lehrerbildung in den Blick zu nehmen, insgesamt Widersprüche und
Ungereimtheiten empirisch aufzudecken und zur Diskussion zu stellen.
4.4 Ebene des Makrosystems
Auf der Makroebene geht es um Einflüsse aus wissenschaftlichen Reflexionen und Theorien. Genau hier liegt der Schwerpunkt pflegerischer Bildungsforschung im deutsch275
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Pflege & Gesellschaft 18. Jg. 2013 H.3
sprachigen Raum (Darmann-Finck/Foth 2011, Ertl-Schmuck/Fichtmüller 2009). Es
liegen mittlerweile inhaltsorientierte und prozessorientierte Theorien und Modelle
vor, die Lehrenden wissenschaftlich begründete Handlungs- und Reflexionstheorien
etwa zur Vorbereitung von theoretischem und praktischem Unterricht in der nichtakademischen Berufsausbildung bereitstellen (Ertl-Schmuck/Fichtmüller 2010, Olbrich
2009). Diese Modelle „beinhalten Überlegungen zum Implikationszusammenhang von
Zielen, Inhalten, Methoden und der Beziehungsgestaltung“ (Darmann-Finck/Foth 2011:
165). Inhaltsorientierte Modelle fragen nach Bildungsinhalten und benötigen daher
einen pflegetheoretischen und erziehungswissenschaftlichen bzw. curriculumtheoretischen Rahmen, damit Bildungsziele identifiziert werden können. Ziel ist stets die Persönlichkeits- und Identitätsbildung der Lernenden. Prozessorientierte Theorien und
Modelle der Pflegedidaktik fokussieren die methodische Gestaltung der Lehr- und
Lernprozesse und lassen sich differenzieren in Ansätze, „bei denen für die pflegerischen
(Aus-) Bildungsangebote spezifische Unterrichtsmethoden konkretisiert werden, wie beispielsweise das situierte Lernen, das problemorientierte Lernen, das szenische Spiel und das
fallrekonstruktive Lernen. Außerdem sind in den letzten Jahren Modelle entstanden, die
ebenfalls primär den Aneignungsprozess fokussieren“ (Darmann-Finck/Foth 2011:
166f ). Hierunter fallen das subjekt- und handlungstheoretisch fundierte Fachdidaktikmodell der Pflege von Schwarz-Govaers (2005) sowie die Theorie des Pflegenlernens von Fichtmüller und Walter (2007).
Der hohe Ausdifferenzierungsgrad der pflegedidaktischen Theorien und Modelle
wird positiv eingeschätzt. Kritisch zu bemerken ist, dass die Erkenntnisse der Lehr-/
Lern- und Unterrichtsforschung bisher zu wenig zur Kenntnis genommen wurden und
zudem eine Beschränkung der Modelle auf die (berufs-)fachschulische Pflegeausbildung vorliegt. „Pflegedidaktisch begründete Modelle und Konzepte für die hochschulische
Erstausbildung als auch für die Ausbildungen auf Helfer- und Assistenzebene gibt es fast
noch gar nicht“ (Darmann-Finck/Foth 2011: 167). Außerdem werden, so Sahmel
(2009), von der Pflegedidaktik zu wenig die neueren Theorien der Allgemeinen Didaktik aufgegriffen und verarbeitet.
Mit den Arbeiten von Ertl-Schmuck und Fichtmüller (2009) sowie Reiber und
Remme (2009) liegen darüber hinaus erste Gegenstandsbestimmungen der Disziplin
Pflegedidaktik und Pflegepädagogik vor, die wichtige Impulse für die Berufsbildungsforschung in der Pflege leisten können.
5. Prioritäre Forschungsthemen
Dieser kursorische Überblick macht den umfangreichen und vielschichtigen Forschungsbedarf deutlich. Bislang ergibt sich ein Pool an Forschungsfragen, für deren erste Sortierung wir wiederum die Strukturmatrix genutzt haben.
Besonders das Mikrosystem, also das System des beruflichen Lehrens und Lernens,
in formellen und in informellen Kontexten, ist ein Forschungsfeld, das geprüft werden
sollte:
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- In welchem Verhältnis stehen theoretischer und praktischer Unterricht respektive
praktische Ausbildung zueinander?
- In welchem Verhältnis stehen in der Pflege systematisches und kasuistisches Lernen?
- Wie können pflegeberufliche Fähigkeiten und Kompetenzen unter Berücksichtigung der Sozialisationsprozesse vor und neben dem Beruf sowie durch den Beruf
aufgebaut und entwickelt werden?
- Welche Problemlagen sind für die Lernenden Anlass für Bildungsprozesse?
- Wie entwickelt sich das Selbst- und Weltverständnis der Lernenden im Verlauf der
Ausbildung?
- Wie interagieren Lernende mit bestimmten Unterrichtsgegenständen und Methoden vor dem Hintergrund der individuellen Lebens- und Lerngeschichte?
- Mit welchen Verfahren/Instrumenten lassen sich berufliche Handlungskompetenz
und Kompetenzentwicklung messen bzw. evaluieren?
- Welche pflegespezifischen Messinstrumente zur Kompetenzfeststellung müssen
entwickelt werden?
- Nehmen die entwickelten Messinstrumente die Dimension sowohl der Kompetenz
als Disposition als auch der Kompetenz als Performanz auf?
- In welcher Form sind die Messinstrumente zur Kompetenzfeststellung theoretisch
und empirisch fundiert und pflegedidaktisch reflektiert und legitimiert?
Auf der Ebene des Mesosystems gibt es Anzeichen, dass an dem Auf- und Ausbau eines
pflegepädagogischen Profils sowie an einem gemeinsam getragenen Bildungskonzept
in der Pflege gearbeitet werden könnte:
- Welche Lernorte sind für die Entwicklung pflegeberuflicher Persönlichkeitsentwicklung besonders geeignet?
- Wie kann ein pflegeberufliches Gesamtbildungssystem aussehen?
- Wie kann die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungsgängen und
Bildungsinstitutionen gestaltet werden?
- Wie lassen sich vorberufliche, berufliche und akademische Ausbildung und berufliche und wissenschaftliche Weiterbildung systematisch aufeinander beziehen?
- Was können Institutionen zur Entwicklung eines pflegeberuflichen Lebenswegs
vor dem Hintergrund lebenslangen Lernens beitragen?
Auch ein erster Blick auf die berufswissenschaftliche Qualifikationsforschung, die Modellversuchsforschung sowie die Lehrerbildungsforschung zeigt Forschungsnotwendigkeiten hinsichtlich etwa ordnungspolitischer, pflegeberuflicher, hochschulischer,
curricularer Fragen an:
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- Welche Neuordnung des Berufsfeldes mit einer Neuschneidung der Berufe ist erforderlich?
- In welcher Form können bei der Neuordnung und Neuschneidung die Standards
des Berufsbildungsgesetzes hinzugezogen werden? Die Frage also, inwieweit die
Standards des Berufsbildungsgesetzes für die Pflegeausbildung berücksichtigt werden können und auch sollten.
- Wie müsste ein systematisches Konzept zur Akademisierung der Gesundheitsfachberufe aussehen?
- Welchen Beitrag leisten Pflegende unterschiedlicher Qualifikationsniveaus zur
Weiterentwicklung der Pflegequalität?
- Wie kann eine Neuaufteilung der Verantwortungsbereiche in der Zusammenarbeit
von Pflegenden unterschiedlicher Qualifikationsniveaus aussehen?
- Welchen Beitrag können neue Berufsbilder zur gesundheitlichen Versorgung leisten und welche Qualifikationen für neue Handlungsfelder und Aufgaben müssen
erworben werden?
- Wie lässt sich das in der pflegerischen Handlungssituation inkorporierte Wissen explizieren und systematisieren?
- In welchem Verhältnis stehen wissenschaftliches Regelwissen und pflegerisches
Handlungswissen, d. h. in welcher Weise kommt pflegerisches „Expertenwissen“,
verstanden als Konglomerat aus materialem und reflexivem Wissen, im pflegerischen Situations- und Handlungszusammenhang zur Anwendung?
- Welche Kompetenzen (aus Sicht der Pflegepraxis, aus Sicht der Auszubildenden
selbst, aus Sicht der Patienten und ihrer Angehörigen) sind für ein professionell
pflegerisches Handeln besonders wichtig und inwieweit beeinflussen solche Erkenntnisse die Bildungsplanung in der Pflege?
- Wie gestaltet sich die Lehrerbildung im Berufsfeld Pflege vor dem Hintergrund des
Bologna-Prozesses?
- Wie kann die Professionalisierung der Lehrenden und Praxisanleitenden vorangetrieben werden?
- Welche Qualifikationen und Kompetenzen benötigen Lehrende und Praxisanleitende im Berufsfeld Pflege?
- Nach welchen Strukturierungsprinzipien und Konstruktionskriterien sind moderne Curricula zu entwickeln, um pflegeberufliche Handlungs- und Gestaltungskompetenz zu vermitteln?
- Inwieweit werden nicht nur innovative Ausbildungsinhalte, sondern auch innovative Lernkonzepte im Prozess der Curriculumforschung und -entwicklung berücksichtigt?
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- Wie lässt sich die Abstimmung zwischen den Lernorten curricular und organisatorisch verbessern? Hier müsste beispielsweise die Wirkung eines pflegeberuflichen
Gesamtcurriculums auf das Funktionsverständnis der Lernorte und die Qualität
der Pflegeausbildung ermittelt werden.
Insbesondere könnten Lehr-Lernforschung, die Erkundung der Unterrichtswirklichkeiten und Vermittlungsprozesse verfolgt werden. Fragen wären:
- Welche pflegedidaktisch Konzepte geringerer Reichweite sowohl für die hochschulische Erstausbildung als auch für die Ausbildungen auf Helfer- und Assistenzebene
werden benötigt?
- Welche didaktischen Modelle sind für die Pflegebildung hilfreich?
- Welche empirischen Erkenntnisse zur Pflegedidaktik finden sich und wie werden
diese verarbeitet?
- Wie konstituiert sich das Arbeitsgebiet der Pflegedidaktik? Welchen Beitrag können metatheoretische Analysen zur wissenschaftlichen Profilierung des Arbeitsgebietes liefern?
- Welche offenen oder verdeckten Rezeptionen von Theorien aus der Pflegewissenschaft und Teildisziplinen finden sich?
Vor dem Hintergrund des hier skizzierten Forschungsbedarfs halten wir die Entwicklung einer Berufsbildungsforschung in der Pflege für eine prioritäre Aufgabe, die auch
einer institutionellen Entwicklung durch z. B. die Gründung entsprechender Forschungsinstitute und Forschungsverbünde bedarf. Zur Entwicklung einer Berufsbildungsforschung in der Pflege halten wir eine systematische Berichterstattung der
Befunde des Forschungsgegenstandes für unabdingbar. Ausgangspunkt einer entsprechenden Berichterstattung kann die hier vorgelegte Systematik zur Berufsbildungsforschung in der Pflege sein.
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Frank Arens, Dipl. Pflegelehrer
Belmer Straße 64, 49084 Osnabrück, [email protected] (Korrespondenz)
Prof. Dr. paed. Elfriede Brinker-Meyendriesch
Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, Alte Landstraße 179 , 40489 Düsseldorf,
[email protected]
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