Morgenandachten im DLF vom 21. bis 26. März 2005 (Karwoche

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Morgenandachten im DLF vom 21. bis 26. März 2005 (Karwoche
Morgenandachten im DLF vom 21. bis 26. März 2005 (Karwoche)
von Pfarrer Bernd Haase, Hövelhof
„Aushalten“
Montag, 21. März – Das Kreuz aushalten
Einer der populärsten aber auch umstrittensten Kinofilme des Jahres 2004 war
mit Sicherheit „Die Passion Christi“. Unter der Regie des amerikanischen
Schauspielers und strengen Katholiken Mel Gibson wurden die letzten Stunden
im Leben des Jesus von Nazareth verfilmt; vom Gebet am Ölberg bis hin zu
seinem Tod am Kreuz. Gibson hält sich eng an die Passionsberichte der
Evangelien des Neuen Testamentes und ließ seine Schauspieler in Jesu
Muttersprache, in aramäisch, sprechen. Der Film wurde nicht synchronisiert,
sondern nur mit Untertiteln ausgestattet.
Ein Geschehen, das die großen Hollywood-Verfilmungen des Lebens Jesu nur
am Rande und ganz dezent zeigen, stellt Mel Gibson in den Mittelpunkt seines
Filmes: das Leiden Jesu, die Folterung, sein Sterben. Und dieses Leiden wird an
keiner Stelle des Filmes auf irgendeine Weise beschönigt oder unterschlagen, es
wird in all seiner Grausamkeit gezeigt, jener Grausamkeit, zu der wir Menschen
fähig sind.
„Ich halte das nicht aus, ich kann mir das nicht weiter anschauen“, so war die
Reaktion nicht weniger Kinobesucher, die vorzeitig die Vorstellung verließen.
Auf der einen Seite nachvollziehbar, auf der anderen Seite fragwürdig ob der
nicht minder grausamen Szenen, die uns im alltäglichen Fernsehprogramm
zugemutet werden oder gar im Internet abrufbar sind; das Spektrum reicht von
der Grausamkeit des Mißbrauchs an Kindern bis hin zum Videomitschnitt der
Enthauptung westlicher Geiseln durch islamistische Fundamentalisten.
Die beginnende Woche trägt für Christen den Namen „Karwoche – Heilige
Woche“. Sie steht ganz im Zeichen der letzten Vorbereitung auf Ostern, einer
Vorbereitung, die uns nicht am Karfreitag und damit an menschlichem Leid und
menschlicher Grausamkeit vorbei kommen läßt.
Jesus Christus geht seinen Weg, der ans Kreuz führt. Er hält aus, er läuft nicht
davon. Er geht einen Weg, der abschreckt, der Fragen aufwirft und auch
Antworten gibt.
Ich lade Sie ein, diesen Weg durch die Karwoche mitzugehen. Ich lade Sie ein,
auszuhalten, auch unter dem Kreuz und sich einer Zusage anzuvertrauen, die
paradox erscheint, aber auch Lebenserfahrung so vieler Menschen war und ist:
Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben!
Dienstag, 22. März – Das Sterben aushalten
Der Tod scheint allgegenwärtig: in Krankenhäusern und Pflegeheimen, auf den
Straßen, in unseren Häusern und Familien. Und es trifft nicht nur die Alten!
Aber der Tod kommt in der Regel nicht plötzlich: Er kündigt sich an durch
Krankheit und Angst, durch den Verlust des Lebenswillens und durch das
Sterben, selbst dann, wenn wir dieses Sterben nicht wahr haben wollen,
verdrängen oder in Krankenhäuser und Hospize verlegen. Es gibt nichts, was so
sicher ist wie der Tod!
Am Bett eines Sterbenden zu stehen, dort auszuhalten, gehört mit zu den
schwersten Erfahrungen eines Seelsorgers. Es ist bedrückend, die eigene
Hilflosigkeit zu erkennen angesichts eines Menschen, der mühsam nach Atem
ringt, dem der Schmerz ins Gesicht geschrieben ist.
Es wird ein Wort des Trostes erwartet, für den Sterbenden und für seine
Angehörigen; ein Wort das in der Verzweiflung hilft, das Antwort gibt auf
eigentlich unbeantwortbare Fragen, das Kraft gibt, auszuhalten und nicht
wegzulaufen. Dieses Wort soll keine fromme Floskel, kein auswendig gelernter
theologischer Erklärungsversuch sein. Dieses Wort bleibt in manchen
Situationen unausgesprochen; es ist das schweigende Bleiben bei denen, die am
Sterbebett aushalten, es ist die schlichte Geste, die im Halten der Hand des
Sterbenden sagt: „Ich bin da. Ich halte mit dir aus!“ Es ist die Träne, die ich
weine und die ich nicht zu verstecken brauche.
Ein Schwerkranker hat mir einmal gesagt: „Ich schaue auf das Kreuz und ich
weiß, dass ich nicht allein bin. Ich spreche mit Jesus, als säße er neben mir. Das
gibt mir Kraft. Dann habe ich neue Hoffnung.“
Der Blick auf das Kreuz, an dem wir oft so gleichgültig vorbeigehen, gibt Kraft
und Hoffnung. Jesus hat auf dem Kreuzweg ausgehalten, er hat am Kreuz
ausgehalten. Seine engsten Freunde sind davongelaufen! Nur seine Mutter
Maria, die Frauen und der Jünger Johannes haben unter dem Kreuz ausgehalten.
Sie konnten aushalten, weil sie wußten, dass das Kreuz, dass Sterben und Tod
nicht das Letzte sind, sondern nur das Vorletzte; das nicht der Karfreitag den
Endpunkt markiert, sondern Ostern.
Das ist das leider oft unausgesprochene, manchmal unaussprechbare Wort am
Sterbebett: Im Kreuz sind Hoffnung und Leben, Sterben und Tod sind nicht das
Letzte!
Dafür lohnt es sich, auszuhalten!
Mittwoch, 23. März – Mich selbst aushalten
Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Haut? Können Sie sagen: Ich will so bleiben wie
ich bin?
In einer Zeit, in der Schönheitsoperationen sogar für`s Fernsehen entdeckt
worden sind, mögen diese Fragen erlaubt sein.
Der Mensch wird über sein Äußeres definiert: Schönheit, Leistungsfähigkeit,
Kleidung, Besitz. In allen diesen Bereichen kann man kosmetisch tätig werden:
eine kleinere Nase, aber dafür einen größeren Busen; länger arbeiten für weniger
Geld; das richtige Label an meiner Hose; ein Kredit für das neue Auto.
So mag man mich – aber fühle ich mich so wirklich wohl?
Neben Schönheit und Ansehen, neben allen Äußerlichkeiten, die mein Leben für
meine Mitmenschen so rund und zufrieden erscheinen lassen, stecken doch auch
meine Ecken und Kanten, meine Unzufriedenheiten und Selbstzweifel. Und
eigentlich stecken sie nicht daneben, sondern eher dahinter und darunter, gehen
immer mit.
Tief in mir, da, wo ich keinen hinschauen lasse, wo ich selbst nicht so gern
hinschaue, da liegen sie: meine Schwächen, meine Ängste, der Teil meines
Ich`s, der mein perfektes Äußeres immer wieder in Frage stellt. Und wenn dieser
Teil meiner selbst im Spiegel erscheint, dann ist das unangenehm.
„Nobody is perfect“, so ist es immer mal wieder zu hören oder zu lesen;
niemand ist perfekt. Aber alle erwarten doch, dass ich perfekt bin – und ich
selbst habe doch auch die Erwartung an mich, möglichst allen und allem gerecht
zu werden und gut da zu stehen.
Dass ich eben nicht perfekt bin, dass kein Mensch perfekt ist, ist ein Makel für
den Menschen von heute. Eine Möglichkeit ist, diesen Makel wegzuschließen,
zu verdrängen, zu ignorieren, ihn durch kosmetische Maßnahmen gut zu
verstecken. Die andere Möglichkeit ist, diese mangelnde Perfektion
anzunehmen, sie – und damit mich selbst mit meinen Fehlern und Kanten –
auszuhalten, ehrlich zu mir selbst und zu anderen zu sein.
„Ich will dich so, so wie du bist, mit dem Gesicht, das du mir zeigst“; dieser
Satz eines modernen geistlichen Liedes steht als Zusage Gottes über unser aller
Leben.
Es sind eben nicht die aalglatten, perfekt abgerundeten und angepassten Typen,
die unserer Welt oft fehlen, sondern die mit Ecken und Kanten, an denen man
sich stoßen und reiben kann.
Wenn Sie also manchmal solch einen Typen im Spiegel erkennen und denken:
„Das ist ja nicht zum Aushalten!“, dann lassen Sie sich zusagen: „Doch, denn
gerade Du wirst hier gebraucht!“
Donnerstag, 24. März – Den Verrat aushalten
Freundschaft und Vertrauen sind hohe Werte. Menschen zu haben, denen ich
mich vorbehaltlos anvertrauen kann, die zu mir stehen, die mit mir durch Dick
und Dünn gehen, sind ein Geschenk. Echte Freunde finde ich nicht im Fast-undLight-Angebot der Kaufhäuser; echter Freundschaft geht es wie echter Liebe:
beide sind nicht zu kaufen und mit Geld nicht zu bezahlen; beide brauchen Zeit
und persönlichen Einsatz.
Diese Erkenntnis wird ja schon in einem alten deutschen Film besungen: „Ein
Freund, ein echter Freund, das ist das Schönste was es gibt auf der Welt!“
Im Spanischen heißt das Wort für Freund „Companheiro“. Wörtlich übersetzt
bedeutet das soviel wie: Der, mit dem ich das Brot teile. Das deutsche Wort
Kumpel oder Kumpan erinnert an diese Bedeutung.
Der heutige Gründonnerstag steht im Zeichen des letzten Abendmahles Jesu mit
seinen Jüngern vor seiner Gefangennahme und seinem Tod. Es war ein Mahl
unter Freunden. Jesus nimmt Brot, bricht es und reicht es seinen Freunden; er
nimmt einen Becher Wein, segnet ihn, und alle trinken aus dem einen Becher
den Wein.
Im alten Orient war die Gastfreundschaft heilig. Wenn zwei das Brot
miteinander brechen, dann hört alle Feindschaft auf, dann sind sie Freunde.
Mehr noch: Freunde stehen füreinander ein, notfalls mit dem eigenen Leben.
Jesus war Orientale. Deshalb hatte das Brechen und Teilen des Brotes für ihn
eine so tiefe und symbolträchtige Bedeutung. Er hat einmal gesagt: „Es gibt
keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt!“
Um so schwerer wiegt es, wenn Freundschaft verletzt und Vertrauen
mißbraucht, wenn Beziehungen dem eigenen Nutzen untergeordnet werden.
Jesus mußte das leidvoll erfahren: Nach dem gemeinsamen Mahl, dem
unüberbietbaren Zeichen von Freundschaft, verrät ihn Judas für eine Handvoll
Geld, leugnet Petrus, ihn zu kennen, laufen bis auf Johannes alle seine Freunde
davon, weil sie Angst haben.
Jesus hat das ausgehalten, er hat seinen Part der Freundschaft durchgehalten und
so für seine Jünger, für seine untreuen Freunde einen neuen Anfang möglich
gemacht.
„Ich habe euch Freunde genannt“, hat Jesus einmal gesagt; das gilt nicht nur
seinen Jüngern, das gilt uns allen. Grund genug, dankbar zu sein für unsere
Freundschaften - die Freundschaft zu Jesus Christus und die zu Menschen – und
in diese Freundschaften zu investieren!
Samstag, 26. März – Die Stille aushalten
Können Sie Stille aushalten? Können Sie schweigen?
Kennen Sie überhaupt Orte und Zeiten, an denen es wirklich still ist, wo kein
Geräusch zu hören ist?
Stille hat für viele den Makel eines Kommunikationsunfalls, einer Panne, die
nicht hätte passieren dürfen! Nicht umsonst gibt es das Wort vom „peinlichen
Schweigen“.
Die Stille auszuhalten ist wahrhaftig nicht leicht. Sie wirkt schnell bedrückend.
In meiner Ausbildung zum Priester gab es mehrmals in der Woche am frühen
Abend eine sogenannte stille Stunde, eine Stunde, in der es im ganzen Haus still
war, in der jeder auf seinem Zimmer zu sein hatte, in der die Telefone abgestellt
waren. Das waren keine einfachen Zeiten für mich, auch wenn ich sie später
sehr geschätzt habe und heute oft vermisse.
Mein Alltag bietet wenig Gelegenheit zur Stille. Von überall her werden wir mit
Worten oder Musik berieselt. Das Handy kann an jedem Ort und zu jeder Zeit
klingeln. Geräusche und Lärm scheinen überall gegenwärtig.
Dagegen steht ein neuer Trend: Mehr und mehr Menschen entdecken den Wert
der Stille und suchen sogenannte stille Zeiten, wie sie von klösterlichen
Gemeinschaften angeboten werden.
Der heutige Tag zwischen dem Karfreitag und dem Osterfest möchte eine solche
stille Zeit sein. Jesus ist am Kreuz gestorben und begraben worden; er ist
wirklich tot! An seinem Grab ist es wie an den unzähligen frischen Gräbern auf
unseren Friedhöfen: beklemmend still. Gerade am Grab eines lieben Menschen
machen wir eine äußerst ambivalente Erfahrung: Auf der einen Seite kann
gerade dort ein Augenblick der Stille wohltuend sein, auf der anderen Seite kann
diese Stille wie eine quälende Leere sein, die ich nicht aushalte, vor der ich
weglaufen möchte.
Da, wo Stille zur quälenden Leere wird, ist sie ein Warnsignal, das uns zuruft:
Verliere dich nicht vollkommen im Alltag, in Streß und Betriebsamkeit!
Wer die Zeit der Stille aushält, der macht die Erfahrung, wie heilsam Stille ist,
weil sie mich mit meinem Innersten in Berührung bringt, weil sie mir neu die
Fähigkeit gibt, aufmerksamer, bewußter und weniger oberflächlich zu leben;
weil sie mich vom ständig berieselten zum hin-hörenden Menschen macht.
Oft ist die Nacht die einzige Zeit der Stille. In der kommenden Nacht, in der
Osternacht, feiern wir die Auferstehung Jesu Christi; da, wo es ganz still ist,
beginnt neues Leben – vielleicht auch bei mir!