geht es weiter.

Transcription

geht es weiter.
DIE ALTE KATZE
UND DIE FRAU
Zweisamkeit im Alter
Rolf Bahl
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Copyright by Rolf Bahl
Als E-Book geschrieben.
2013
Sämtliche Personen und Handlungen in
diesem Buch sind frei erfunden. Jede
Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein
zufällig und unbeabsichtigt!
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Anmerkungen:
Wann kommt der Tag, der einmal kommen muss?
Wer sich im Alter zu sehr mit dieser Frage herumschlägt,
vergeudet nur seine kostbare Zeit auf Erden.
Und wer das schöne Wort „Ruhestand“, all zu wörtlich auslegt
und auslebt, muss sich nicht wundern, wenn sich die Lebenslust
wie eine Seifenblase in der Luft auflöst.
Zuviel Passivität für Körper und Geist, sowie Ziellosigkeit, wirkt
tödlich, und fördert permanente Depressionen, Alzheimer und
Demenz. Aber auch falsche Freundschaften, wie etwa „Freund
Alkohol“, können verheerende Wirkungen zeitigen.
Ungeeignete Partnerschaften sind weitere Frust und
Stressfaktoren.
Einsamkeit und Interesselosigkeit kann man mit etwas
Geschick, weitestgehend therapieren. Und wer vom Schicksal
brutal heimgesucht wurde, findet auch Wege zur Normalität.
Dass es auch im hohen Alter noch „Lebensqualität“ geben kann,
soll das Beispiel der Anna in diesem Buch aufzeigen.
Während die Katze in der Gegenwart lebt, sinnt Anna oft
nostalgischen Erinnerungen nach. Das bringt ihr etwas
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Abwechslung in den monotonen Alltag. Zusammen leben sie
das Spiel bis zum bitteren Ende durch.
Offen bleibt nur die Frage, welche der beiden zuerst das
Zeitliche segnen wird?
Der Autor
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Anna Baumgartner erwacht um 07.30, bevor sie aus dem Bett steigt,
gibt sie mit halblauter Stimme ihr Tagesgebet von sich:
„Allmächtiger Geist im Himmel, bitte helfe mir auch heute wieder zu
einem friedlichen und angenehmen Tag. Dein universaler Schutz wird
mich den ganzen Tag vor negativen Dingen verschonen, alles Schlechte
geht zurück zum Absender, aber das Gute kommt zu mir. Oh
allmächtiger Geist, ich danke Dir für Deine Güte und entschuldige bitte
meine egoistischen Wünsche. Amen!“
Danach begibt sie sich auf die Toilette, um sich zu erleichtern, dann
folgt eine warme Dusche, wie an jedem Morgen, wenn sie zum
Einkaufen geht, kleidet sie sich sogleich an, bleibt sie zu Hause, dann
schlüpft sie in den Morgenrock und in die Hausschuhe, das empfindet
sie als bequem. Heute muss sie gleich nach dem Frühstück auf die Post,
um dort einen Luftpostbrief an ihre in Australien lebende Tochter
aufzugeben. Danach ist noch ein Abstecher zum Lebensmittelgeschäft
eingeplant.
Im Wohnzimmer begrüßt sie ihre „Freundin und Wohnpartnerin“, die
Tigerkatze „SISSI“, sie lebt seit einiger Zeit bei ihr in „Untermiete“ und
denkt nicht daran, jemals wieder weg zu ziehen, und da sie
anscheinend nirgends vermisst gilt, darf sie bleiben. SISSI grüßt
ebenfalls mit einem lieblichen „Miauuu“, und streichelt die Beine der
Anna. Es ist eine Begrüßung zwischen zwei unterschiedlichen
Wohnpartnern, und die SISSI tut das nicht nur um Nahrung zu
erschmeicheln, denn im Fressnapf hat es noch ausreichend davon.
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Anna bereitet sich ein „Müesli“ zu, kocht einen Kaffee mit viel Milch
dazu, dann ergänzt sie das mit Brotstücken, die sie dann als
„Kaffeemocken“ genießt, das macht sie schon ihr ganzes Leben lang so,
bereits ihre Mutter mochte diese Milchbrocken nicht missen.
SISSI verlangt hinaus gehen zu können, obwohl ihr Anna in der
Wohnung eine moderne Katzentoilette einrichtete, zieht die SISSI die
freie Natur vor, weil sie den Geruch in der Wohnung nicht riechen mag,
und die Anna weiß das auch zu schätzen. Anna hat beim
Schreinermeister Ilg eine Katzentüre in Auftrag gegeben, dann hat die
SISSI freien Zugang und Auslauf.
Nach dem Frühstück folgen die täglichen Notizen in die Agenda:
„Montag 15. April, neblig und kühl, die Sonne versteckt sich hinter den
Wolken, soweit aber gut geschlafen, die Rheumawäsche wirkte positiv
auf die Harnblase, und der abendliche Lindenblütentee trägt auch zur
Beruhigung der Blase bei, nur das linke Wadenbein schmerzt ein wenig,
Stuhlgang etwas hart, muss wohl mehr Grünzeug und Obst essen! SISSI
wie fast immer gut gelaunt“.
Dann lehnt sich Anna im Sofa zurück, sie beabsichtigt, den Brief an ihre
Tochter Monika noch einmal durchzulesen:
„Meine liebe Monika!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und die schöne Karte, die Du
mir zu meinem 85. Geburtstag zugestellt hast. Früher, als ich noch
Schreibwarenverkäuferin war, gab es leider noch keine derart tolle
Glückwunschkarten, die Melodie ist herrlich, und ich spiele sie oft ab,
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auch die SISSI mag sie bestens. Ja, früher war beinahe alles anders, aber
nicht unbedingt besser. Nein, ich fühle mich nicht einsam im alten
Haus, und seit Onkel Emil, neue Elektroheizkörper eingebaut hat, ist es
im Haus immer angenehm warm. Der Winter dauert ja neuerdings acht
und mehr Monate im Jahr, das wirkt auch auf die Stimmung der Leute.
Meine täglichen Einkäufe besorge ich immer noch selber, und ich bin
meinem Schicksal dankbar, dass mir das möglich ist. Bereits sind 18
Jahre vergangen, seit Dein Vater, und mein geliebter Ehemann, sich von
uns hatte verabschieden müssen. Hans war, trotz seiner starken
beruflichen Beanspruchung, ein vorbildlicher Ehemann und Vater, aber
das weißt Du ja auch. Und ich mache mir oft Selbstvorwürfe, dass ich
für Dich so wenig Zeit hatte, besonders in den ersten Lebensjahren, als
Vater lange im Auslandeinsatz stand, und ich meine Anstellung nicht
aufgeben wollte. Ich schämte mich, wenn ich Dich in den frühen
Morgenstunden, wie ein Paket der Tagesmutter auslieferte. Aber was
blieb mir als Alternative, den Beruf aufgeben, und nach zehn oder mehr
Jahren einsteigen, wo es doch in meiner Branche kaum offene Stellen
gab! Und Geld war damals auch Mangelware, dabei hatten wir ein
ehrgeiziges Ziel vor Augen, den Erwerb eines eigenen Hauses, und das
mit einer möglichst niedrigen Verschuldung. Schwester Martha geht es
nicht besonders gut, sie leidet an Krampfpfadern an beiden Beinen, was
mich aber noch mehr beunruhigt, das ist die Feststellung, dass sie
vermutlich an einer Demenz leidet? Dabei ist sie ganze neun Jahre
jünger als ich, es ist zu befürchten, dass sie schon bald in ein
Alterspflegeheim umziehen muss! Mit ihrer dürftigen Altersrente reicht
das aber nicht aus, ich vermute sehr, sie wird dann zum Sozialfall!
Zum Glück habe ich genug Rente, das ist aber auch der Lohn für meinen
vierzigjährigen Arbeitseinsatz, jede Medaille hat eben zwei Seiten. Ich
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hatte mir oft die Frage gestellt, ob es sich für mich als Frau auszahle,
wenn ich während derart vielen Jahren Beiträge leiste? Und dennoch
würde im Fall einer Einweisung in ein Altersheim, meine Rente nicht
ausreichen, und ich müsste gezwungenermaßen mein Haus verkaufen.
Das bleibt aber unter uns, liebe Monika, ich will mein Haus nur in einer
rechteckigen Kiste verlassen, den Medizinern und andern Klugscheißern
traue ich nicht über den Weg, bei denen bist Du doch nur ein
„Renditenobjekt“ oder humaner ausgedrückt: ein lohnender Pflegefall!
Die Klassiker CD mit Bethoven, Wagner, Brahms, und Tschaikovsky, die
Du mir geschenkt hast, lasse ich nahezu täglich abspielen. Obwohl mir
rund 60 Fernsehprogramme zur Wahl stehen, fällt es mir oft nicht
leicht, intellektuell ansprechbare Sendungen zu lokalisieren. Wir
befinden uns in einem Zeitalter der allgemeinen Verdummung, die
kommerziellen Interessen stehen über dem Menschen. Und was da an
Kultur geboten wird, grenzt schon eher an Verblödung! Wie Du aber
schreibst, ist es bei Euch in Australien auch nicht besser bestellt. Mir
tun die Jungen echt leid, die in einer solchen skrupellosen Welt
aufwachsen, da bin ich echt dankbar, dass ich in jungen Jahren eine
heilere und bessere Lebensqualität erleben durfte. Es gab damals noch
kein Internet und kein Handy, aber Achtung, Ehrfurcht, Fleiß und
Anstand waren noch keine Fremdwörter. Seit etwa vier Monaten habe
ich eine kleine Wohnpartnerin, eine ältere Tigerkatze, sie war einfach
plötzlich da und wollte unbedingt bei mir bleiben. Ich brachte eine
Notiz am Informationsbrett des Kaufhauses an, aber es meldete sich
niemand. Es könnte aber auch sein, dass sie, weil auch schon älter, von
jemanden ausgesetzt wurde? Menschen sind eben brutale Wesen!
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Was auch immer richtig sein mag, ich möchte die „SISSI“, so nenne ich
sie, weil sie sich aristokratisch benimmt, nicht mehr missen müssen. Du
erinnerst Dich vermutlich noch an den „SISSI“ Film, mit der Romy
Schneider und dem Karl Heinz Böhm? Wir beide verstehen uns
ausgezeichnet, gehen oft auch zusammen zum nahen Wald spazieren,
nur zum Einkaufen darf sie nicht mitkommen, sie scheint das zu
verstehen. Hast Du gewusst, dass die Katzensprache rund vierhundert
Worte unterscheidet? Wir unterhalten uns oft wie zwei Menschen, ja,
wir haben uns aber auch schon richtig gestritten. Wenn sie zu lange an
der Haustür warten muss, bis ich ihr die Tür öffne, dann ist mir eine
Schelte sicher: „Du hast mich wieder lange warten lassen“ hört es sich
vorwurfsvoll an, und ihre Augen können durchaus böse Blicke
austeilen! Ich kann das wieder gutmachen, indem ich ihr etwas
Köstliches in den Fressnapf tue, dann entschuldigt sie sich ihrerseits,
indem sie meinen rechten Handrücken mit der Zunge poliert. Ja, ich
wäre todunglücklich, wenn sie mich verlassen würde. Besuche erhalte
ich eher selten, das ist das Schicksal bei einem kleinen Verwandtenund Bekannten Umfeld. Für die Kinder von Bruder Emil, bin ich lediglich
die alte Tante Anna, die man jedes Schaltjahr einmal besuchen geht.
Und seit sie selber Familien und Kinder haben, fehlt ihnen auch noch
die nötige Zeit dafür.
Vor ein paar Monaten war unser letztes Klassentreffen, Aus meiner
Klasse waren noch fünf Frauen und ein Mann gemeldet, aber zwei der
Frauen konnten nicht kommen, weil sie in Pflegeheimen sind und nicht
soweit reisen konnten. Damit blieben nur noch drei Frauen und ein
Mann übrig. Wir benötigten lediglich einen Tisch und konnten uns ganz
aus der Nähe gegenseitig betrachten, dabei staunte wohl jedes von uns,
wie sich die andern verändert hatten. Fünf Jahre zuvor, waren wir noch
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mit neun Leuten vertreten, aber so ist das Leben. Wir haben dann
beschlossen, keine weiteren Treffs mehr zu organisieren, aus reiner
Furcht, es könnte eine Einmann- oder Frau „Schau“ abgeben! Einmal ist
es eben vorbei, und alle, gleichgültig ob arm oder reich, sind
gezwungen, diesen einen Weg zu gehen!
Aber grundsätzlich bin ich auch froh, wenn ich nicht zu viele Besucher
habe, die bringen oft eher Unruhe in meinen friedlichen Tagesablauf.
Die drei Kinder der Elisabeth zum Beispiel, die benehmen sich derart
rüpelhaft und ungezogen, dass ich sie oft vor ihren Eltern
zurechtweisen muss. Und es ist kaum zu glauben, die Eltern nehmen
ihre frechen Taugenichtse auch noch in Schutz, und nennen mich von
„Vorgestern“. Da mache ich mir wirklich ernsthafte Sorgen, was aus
unserer Zivilisation und Kultur noch werden soll, die Kinder sollten doch
unsere Zukunft sichern, und nicht Angst und Schrecken verbreiten,
nein, auf diese Sorte von Besuchern kann ich verzichten! Und die
Lisabeth wird beim nächsten Besuch ihrer Rasselbande zu Hause
deponieren. Sie ist ja Deine Kusine, vielleicht kannst Du ihr auch einmal
schreiben und dabei unsere Bedenken zur Art ihrer Kindererziehung
anbringen? Ich mache mir wirklich ernsthafte Sorgen, besonders über
den Stephan, der ist bereits 14, und wie der mich anschaut, so, als
wollte er mich sogleich umbringen und ausrauben. Vor wenigen Tagen
las ich in den Zeitungsnachrichten, dass ein etwa gleichaltriger Knabe
seine Großmutter mit einem Messer umbrachte, weil sie ihm kein Geld
für den Drogenkauf geben wollte, ja, so werden sie ausarten, wenn
man ihnen eine anständige Erziehung vorenthalten will. Schon nur das
Wort „Antiautoritär“, ist verwerflich und dürfte gar nie erwähnt
werden. Jedes junge Bäumchen benötigt eine Stütze, sonst wächst es
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zum Baumkrüppel heran, so ist das auch bei den Menschen. Wer seinen
Kindern keine Erziehung gewährt, handelt kriminell!
Die SISSI und ich haben es gut miteinander, wir führen zusammen eine
angenehme und friedliche Wohngemeinschaft. Ich schrieb diesen Brief
auf der Schreibmaschine, damit Du ihn besser lesen kannst. Die
Anschaffung eines Computers habe ich mir auch schon überlegt, damit
könnten wir diese E-Mails austauschen, aber ich habe etwas Bedenken,
ob ich in meinem hohen Alter damit umgehen könnte?
Und so viel haben wir auch nicht zu berichten, um die Möglichkeiten
eines Computers voll ausschöpfen zu können. Und somit bleibe ich
meiner bewährten Schreibmaschine treu.
Ich wünsche Dir, Deinem Mann David und den Kindern weiterhin alles
Gute und viel Spaß im schönen Australien.
Viele herzliche Grüsse
Deine Mutter“
„PS: Kürzlich kamen zwei Leute vom Sozialamt vorbei, stell Dir vor, die
schlugen mir vor, in ein Altenheim umzuziehen, und sie führten aus,
falls mir etwas zustoßen sollte, wäre ich im Haus ohne fremde Hilfe!
Nun ja, die taten so, als würde man ewig leben. Ich habe natürlich
deutlich und klar abgesagt, da ist doch wohl jemand geil auf mein Haus,
vermutlich würden die das für ein Butterbrot veräußern!“
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Anna faltete den langen Brief sorgsam zusammen, danach schob sie ihn
in einen Luftpostbriefumschlag, den sie noch zusätzlich mit
durchsichtigen Klebestreifen versiegelte.
Danach machte sie sich auf den Weg zur Post, SISSI befand sich im
Garten. Wenn sie Lust auf frisches Fleisch hatte, schlich sie auf die
Wiese von Landwirt Müller, dort duckte sie sich im hohen Grass und
wartete geduldig auf eine unvorsichtige Maus. SISSI wusste genau,
wohin ihre „Partnerin“ Anna ging, nämlich in das Lebensmittelgeschäft
im Dorf, und sie rechnete auch nicht umsonst mit schmackhafter
Katzenkost. Am Anfang begleitete SISSI die Anna bis vor den
Ladeneingang, weil dort aber Vierbeiner aller Größen keinen Zutritt
hatten, musste sie draußen neben diesen schmutzigen und
unkultivierten Hunden warten. Das mochte die SISSI nicht einfach über
sich ergehen lassen, deshalb wusste sie eine bessere Lösung, sie konnte
diese Zeit nützlicher auf der Wiese verbringen. Und wenn sie leer
ausging, dann brachte ja ihre Helferin etwas aus dem Geschäft mit.
Heute benötigte die Anna besonders viel Zeit, auf der Post war eine
lange Warteschlange, dann ging sie ins Warenhaus, um einen neuen
Regenschirm zu erwerben. Als sie vorige Woche auf dem Friedhof das
Grab ihres Mannes aufsuchte, vergaß sie den Schirm im Blumenhaus
der Anlage, sie bemerkte zwar den Verlust sehr schnell, als sie auf dem
Nachhauseweg den Schirm aufspannen wollte, realisierte sie den
Verlust und eilte zurück. Aber ein lieber Mitmensch hatte sich bereits
bedient und der Schirm war weg! Den neuen Schirm hatte sie schnell
gefunden, doch dann suchte sie noch nach einem Katzengeschirr für die
SISSI, diese stellte Ansprüche und mochte es nicht, wenn verschiedene
Speisen im gleichen Geschirr waren. Eine Katze, die etwas auf sich hält,
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verlangt einen angemessenen Komfort. Und dafür konnte sich die SISSI
durchaus klar mitteilen, mehr Geschirr bedeutete für die Anna auch
mehr zum reinigen. SISSI hatte auch die Fähigkeit, sich diesbezüglich
deutlich zu äußern, so, dass die Anna gar nicht erst lange überlegen
musste. Erst nach gut zwei Stunden kam die Anna von ihrem
Einkaufsbummel zurück. Damit sie die schweren Taschen nicht tragen
musste, hatte sie ein einachsiges Einkaufswägelchen erworben, mit
dem konnte sie ausreichend Waren transportieren, ohne dabei zu
ermüden.
SISSI war bereits von ihrer Feldarbeit zurück, sie hatte eine tote Maus
mitgebracht, diese musste die Anna natürlich gesehen haben, deshalb
wartete sie schon seit gut 20 Minuten ungeduldig auf sie. Die Maus lag
auf dem Kratzteppich vor der Haustür, nach einem kurzen Lob der
Anna, nahm SISSI die Maus wieder hoch und versteckte sie im Garten.
Wenn aber Anna frische Leberstücke mitbrachte, wollte die SISSI ihre
Maus als Dank der Anna abliefern. Anna war bekannt, dass sie diese
Zugabe niemals ablehnen durfte, ansonsten die SISSI schwer beleidigt
wäre, sollte sie die Maus nicht als gleichwertige Gabe annehmen. Sie
tat jeweils so, als würde sie die Maus freudig und genüsslich verspeisen,
diskret ließ sie die Maus im kommunalen Müllsack verschwinden.
Hauptsache war, die SISSI konnte auf ihre Mitarbeit bei der
Nahrungsmittelbeschaffung stolz sein. Und SISSI war auch klar, dass die
Anna die Maus anders zubereitete als sie, das Fleisch in eine Pfanne gab
und kochte. SISSI versuchte nie, der Anna beizubringen, eine Maus
schmecke einfach roh viel besser als gekocht. Sie wusste, diese langen
Zweibeiner hatten andere Vorstellungen von der Nahrungsaufnahme.
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Anna führte den kleinen Haushalt immer noch selbständig, fremde
Hilfeleistungen benötigte sie nur im Garten. Bis vor fünf Jahren schaffte
sie es noch alleine, eine ausreichende Gemüseversorgung aus dem
eigenen Garten sicher zu stellen, dann machte aber ihr Rücken nicht
mehr mit, deshalb beauftragte sie den Gärtnermeister Thommen mit
der Gartenpflege, dadurch war es nicht mehr möglich, eigenes Gemüse
zu ernten, die ganze Umgebung des Hauses wurde mit biologischem
Naturrasen besäht.
Meister Thommen schaute einmal monatlich vorbei, um Rasen und
Hecken zu kürzen. Anna bezog eine ahnsehnliche Altersrente, das
ermöglichte ihr auch, sich einen Gärtner leisten zu können. Das Haus
verkaufen und in eine Altensiedlung umziehen, nein, das war für sie
absolut kein Thema. Die ganze Umgebung war aber für die SISSI ein
wahres Paradies. Und SISSI kante auch die Abgrenzungen bestens,
niemals hätte sie ihre Bedürfnisse auf dem Grundstück der Anna
verrichtet, dafür ging sie auf die Wiesen der Nachbarn. Für Anna war
das ein Akt von Rücksichtnahme, was sie der SISSI sehr hoch
anrechnete, denn in Sachen Reinlichkeit waren sich die beiden völlig
einig. Seit SISSI in ihrem Haus lebte, hatte Anna ihretwegen keine
zusätzlichen Reinigungsarbeiten zu verrichten, wie das meistens bei
Hunden der Fall ist, oder bei einer Katze, die laufend Haare lässt.
Das nächstliegende Einfamilienhaus lag rund 50 Meter entfernt, und
seit ausländische Diebesbanden die Gegend verunsicherten, wurde es
auch für Anna etwas kritisch. Darum ließ sie Alarmanlagen einbauen
und kaufte sich einen Pfefferspray. Besonders ältere, allein stehende
Leute wurden oft und gerne heimgesucht, ausgeraubt und manchmal
sogar umgebracht.
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Die Katzentüre für SISSI war nun eingebaut, diese konnte nun frei ein
und ausgehen. Damit konnte die SISSI auch nachts ins Wohnzimmer
kommen, wenn sie Lust dazu verspürte.
Anna mochte besonders klassische Musik, aber auch gute Literatur und
sinnvolle Filme gehörten dazu. Am aller meisten Zeit widmete sie aber
ihrem Hobby, für die Auflösung von Kreuzworträtseln, da konnte sie
stundenlang den gesuchten Worten nachsinnen. Und wenn die SISSI
den Eindruck erhielt, Anna habe nur noch Augen für die Zeitungen,
sprang sie demonstrativ auf den Tisch und setzte sich einfach auf die
verantwortliche Schrift. Das war eine klare Aufforderung, mit dem
Rätselraten auf zu hören und sich der SISSI und ihrer Anliegen zu
widmen. Anna schaute dann in die fragenden Augen der SISSI, die da
etwa sagten: „es wäre an der Zeit, etwas laufen zu gehen“.
Anna sprach dann eine Weile mit der SISSI, welche angespannt zuhörte
und so tat, als könnte sie jedes Wort verstehen. Nachdem SISSI lange
genug zugehört hatte, entfernte sie sich wieder und ging auf dem Sofa
schlafen. Anna konnte danach weitermachen, und nicht selten
sprudelten ihr die gesuchten Worte nur so aus dem Kopf. Die
Unterbrechung und Unterhaltung mit SISSI, erwiesen sich oft als sehr
hilfreich. Anna las auch viel und gerne Bücher, bei der
Gemeindebibliothek hatte sie eine Jahrespauschale, das ermöglichte ihr
eine unbeschränkte Ausleihe während einem ganzen Jahr. Anna war
vielseitig interessiert, besonders aber Reiseliteratur und Biografien
hatten es in sich, aber auch gute Kriminalromane gehörten dazu. Ihr
ganzes Leben lang setzte sie sich für die Rechte der Frauen ein, ohne
aber deswegen ihr Frausein zu leugnen, wie das viele Emanzen
heutzutage zu tun pflegen.
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Sie waren drei Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, das Mädchen
war sie, die Anna, und dazu noch die Erstgeborene, dann der Thomas,
dieser ertrank im Dorfteich als er dreijährig war, und Emil der
Nachzügler spielte den Benjamin. Vater August-Johann bevorzugte den
Knaben, und wie man früher so schön sagte, den „Stammhalter“. Der
Vater war auch der festen Ansicht, nur ein Knabe benötige eine
berufliche Ausbildung. Für Mädchen hingegen, war das völlig
überflüssig, die heirateten ja doch und blieben dann Hausfrau! Eine
Berufsausbildung für ein Mädchen war deshalb reiner Luxus und nicht
angebracht. Etwas anderes geziemte sich nicht für eine anständige
Frau, und Anna sollte ein sozial angepasstes Wesen sein, keine Emanze!
Aber Anna war schon immer etwas eigenwillig und unbändig, sie
konnte und wollte die Ansichten ihres Erzeugers nicht gutheißen!
Sie bäumte sich gegen ihn auf wie ein wilder Mustang, wollte ihm
zeigen. zu was sie fähig war, sie schaffte es, in die Sekundarschule zu
übertreten, etwas, das ihr Bruder später nicht schaffte, was bei Vater
August wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel wirkte, er verstand die
Welt nicht mehr. Anna konnte eine Berufslehre zur
Schreibwarenverkäuferin absolvieren, ihr Bruder hingegen schaffte es
knapp zu einer Ausbildung zum Hufschmied.
Nach Beendigung der Lehrzeit, verbrachte Anna ein Jahr in London, wo
sie als „Au-Pair-Mädchen“ in einem Haushalt mithelfen konnte. In der
Freizeit besuchte sie Englischunterricht, den sie mit dem „Lower
Cambridge Diplom“ abschloß. Danach konnte sie wieder in ihre
Lehrfirma eintreten, und bereits nach zwei Dienstjahren wurde sie zur
Stellvertreterin der Geschäftsleiterin ernannt. Ihr Vater lobte sie dafür
aber nicht, heimlich war er aber doch etwas stolz auf seine Tochter.
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Nein, er konnte und wollte sie nicht hochpreisen, das wäre sein
Eingeständnis gewesen, dass er von Anbeginn mit seinen Ansichten
falsch lag. Und damit lag es auf der Hand, dass Anna auch ihren
Ehemann durch die Ausübung ihres Berufes kennen lernen sollte.
Und diese romantische Geschichte erzählte Anna mehr als einmal
anlässlich des „Kaffeeklatschtreffens“: „Ich war schon 23jährig, als ein
scheuer junger Mann erstmals im Geschäft vorsprach, etwas blass im
Gesicht, die Haare nach hinten gekämmt, gut gekleidet mit Krawatte. Er
kaufte eine große Packung Schreibmaschinenpier Format A-4, 80 mg,
er schaute mich etwas verunsichert an, und ich musste zwangsläufig ein
Lächeln unterdrücken, dabei errötete er und nahm die Ware eiligst
unter den Arm und verschwand aus dem Laden.
Zwei Tage später stand er wieder da, diesmal benötigte er
Schreibmaschinenbänder, ein Muster hatte er mit sich, ich fragte ihn,
ob er hier arbeite, er antwortete nur: “Ja, ich habe bei der Firma
Banzer-Import-Export, eine Stelle als Korrespondent angenommen, ich
bin neu hier“. „Oh ja, diese Firma ist bei uns bekannt“, gab ich zur
Antwort.
Und es kam wie es kommen musste, schon bald wurden wir ein
Liebespaar, während der Mittagspause trafen wir uns im Kaffee der
Konditorei Mader, dort konnte man leichte Mahlzeiten zu günstigen
Preisen erhalten, es war zudem sehr romantisch möbliert, zwischen den
einzelnen Tischen waren Grünpflanzen. Ja, und dann gaben wir uns das
bekannte „JA Wort“, wollten aber vorläufig keine Kinder haben, weil ich
meine gute Stelle unter keinen Umständen aufgeben wollte.“
Am meisten freute sich Annas Vater, als er von der Hochzeit erfuhr,
endlich werde die störrische Anna unter die Haube kommen und ihren
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Meister kennen lernen, ein anständiges und zeitgemäßes Frauendasein
fristen, wie alle andern weiblichen Wesen auch, dazu zählte auch
kochen und Windeln waschen!
Aber er freute sich viel zu früh, Hans gehörte einer anderen Generation
an, jener, welche mit Rock and Roll und Jeanskleidung aufwuchs, damit
wurde auch ein neues Zeitalter mit zum Teil anderen Denkmodellen
eingeläutet. Diese Generation löste sich von überkommenen Ansichten,
und kreierte neue Wege des Zusammenlebens, und war ein Jahrzehnt
später der Auslöser der antiautoritären Revolution. Das neu
beurkundete Ehepaar, welches nun über die einzig zulässige „Lizenz“
zum Sex verfügte, einigte sich vorerst auf den Verzicht auf ein Kind.
Und sollte doch eines geplant werden, dann hatte das ohne Aufgabe
von Annas Arbeitsplatz zu geschehen. Das war eine unorthodoxe und
revolutionierende Idee, die dem herkömmlichen Brauchtum
widersprach. Es galt als normal, dass nach einer Hochzeit ein Kind
unterwegs war, dann noch ein zweites und drittes. Etwas anderes war
nicht gesellschaftsfähig, da wurde hinter vorgehaltener Hand
gemunkelt: „Er kann nicht Kinder zeugen, es könnte auch an ihr liegen,
etc.“ und dergleichen Schmeicheleien. Und in einem anonymen
Schreiben, bot sich ein gut gebauter Hengst als Ersatzmann an, Antwort
an eine Postlageradresse. Anna musste sich damit abfinden, sollte sie
ein Kind kriegen und weiter arbeiten, man sie als „Rabenmutter“
betiteln würde. So nannte man damals verheiratete Frauen, die trotz
einem Kind, ihre Stelle nicht quittieren wollten. Kinderhorte waren
noch nicht bekannt, da musste eine Tagesmutter her. Mit zwei und
mehr Kindern wurde ein solches Unterfangen bereits illusorisch. Um
nicht unter Zwang handeln zu müssen, legten die beiden besonderen
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Wert auf eine zuverlässige Geburtenkontrolle. Als im Dorf immer mehr
gemunkelt wurde, Hans könne keine Kinder zeugen, oder Anna sei
unfruchtbar, wurde es für die zwei unangenehm. Nachdem sich sogar
Pfarrer Hurni mit besorgten Worten meldete, nicht als Samenspender,
sondern als neutraler Berater, entschloss man sich ein Kind zu haben.
Diese laufende Einmischung von Drittpersonen in ihre privaten
Angelegenheiten war echt unangenehm, und dem wollten sie nun
Einhalt gebieten. Dem ungeschriebenen Gesetz, wonach neun Monate
nach der Hochzeit ein Kind zur Welt gebracht wurde, konnten sie nicht
entsprechen, dafür aber zwei Jahre später. Dem endlosen Gespött von
Impotenz und Unvermögen wollten sie endgültig einen Riegel schieben.
Wenn das Paar gemeinsam durch die Dorfstraßen lief, erhielten sie
stets den Eindruck, die Leute machten sich lustig über sie.
Und wenn Anna alleine unterwegs war, konnte es vorkommen, dass sie
von einer Gruppe Burschen eindeutige Angebote erhielt. Natürlich
immer nur gut gemeinte, die ihren Ruf wieder ins Lot bringen sollten.
Und als es publik wurde, dass die Anna wirklich schwanger ist, da
kamen neue Gerüchte auf, da habe doch sicher ein Dritter Hilfe
geleistet. Als der Säugling endlich auf dieser Welt war, schauten alle
besonders gut hin, um festzustellen, ob irgendwelche Spuren vom
Ehemann zu lokalisieren sind? Das Ehepaar Baumgartner einigte sich
aber auf einziges Kind, sollten Zwillinge daraus werden, war das vom
Schicksal gewollt, man musste auch so damit leben können. Anna
plante nach der Niederkunft einen Urlaub von insgesamt sechs
Monaten ein, einen Monate vor, und fünf Monate nach der Geburt.
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Danach wollte sie ihr Kind tagsüber der Julia anvertrauen, diese wohnte
gleich neben der Firma von Anna und war bereit als „Tagesmutter“ zu
wirken. Das hatte den großen Vorteil, dass Anna auch tagsüber
vorbeischauen und sich vergewissern konnte, dass es ihrer Tochter gut
ging. Das war von Montag bis Freitag, an Samstagen hatte Hans frei,
Anna musste bis 16 Uhr arbeiten, damit hatte Hans seinen Samstagsjob
als Babysitter. An den Sonntagen waren beide gefordert. Obwohl dem
Kind bestens geschaut wurde, munkelte man im Dorf desto trotz, die
Anna sei eine schlechte Mutter und denke nur ans Geld verdienen.
Wären die Hexenverfolgungen noch praktiziert worden, Anna wäre
unweigerlich auf dem Scheiterhaufen gelandet. Das Ehepaar
Baumgartner war sich aber keinerlei Schuld bewusst, für sie war diese
Hatz völlig daneben und unbegründet. Das war auch ein wichtiger
Grund, weshalb sich die Familie Baumgartner entschloss, am Dorfrand
ein eigenes Einfamilienhaus erstellen zu lassen. Dafür arbeiteten und
sparten beide nun während einigen Jahren, verzichteten auf Autos und
Urlaube. Zu den bereits bekannten Vorurteilen, addierten manche
Leute im Dorf noch Neidgefühle dazu, aber das störte das Ehepaar
wenig, bald waren sie aus dem Mehrfamilienblock weg, und konnten in
ihr neues, kleines Paradies einziehen. Neid und Dummheit sind nun
einmal enge Verwandte, und die Menschen kennen nichts anderes. Da
hätte selbst ein Umzug in ein anderes Dorf keine Besserung gebracht,
weil der Mensch nun einmal überall etwa das gleiche Niveau aufweist.
Sie waren wie ein Fels in der Brandung, und ließen die Wellen der
Unvernunft abprallen. Für die Anna wurde auch klar, dass sie mit
diesem Lumpenpack nicht in der evangelischen Dorfkirche erscheinen
mochte. Die Monika wurde zwar christlich getauft, aber in einem
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anderen Dorf. Und als sich Pfarrer Hurni einmal bei Anna erkundigt, war
es sie, die Anna, welche dem Pfarrer eine aufklärende Predigt hielt:
„Ja, glauben sie ernsthaft Herr Pfarrer, ich will mich neben diese
„Scheingläubigen“ setzen, Ketzern und Teufeln, die uns ständig
diskreditieren und wie Aussätzige behandeln?“
Pfarrer Hurni: „Aber liebe Frau Baumgartner, sie dürfen doch nicht alle
Menschenkinder in den gleichen Topf werfen, der Herr im Himmel hat
viele Kostgänger, setzen sie sich doch einfach zu den guten Menschen.“
Anna zynisch lachend: „ Und wo sind diese guten Menschen, die
kommen doch gar nicht erst in ihre Kirche, was da bei ihnen aufkreuzt
ist doch nur der Abschaum der Menschheit, Heuchler, Diebe und
Schmarotzer.“
Pfarrer Hurni: „Es gibt immer wieder gute Schafe, auch in unserer
Kirchgemeinde, schauen sie einfach mal herein liebe Frau Baumgartner,
das würde mich sehr freuen!“
„Das werde ich mir aber sehr gut überlegen!“ Antwortete Anna, dann
verabschiedete sich der Pfarrer von ihr, er war so klug wie zuvor.
Hans blieb auch seiner Firma treu, er wurde Prokurist und schließlich
Leiter der Importabteilung. Er schuftete viele unbezahlte Überstunden,
musste sehr oft ins Ausland reisen, um Einkäufe zu tätigen. Aber die
Mühen zahlten sich aus. Als Vizedirektor brachte er ordentlich viel Geld
zusammen, und damit wurde es möglich, im Lauf der Jahre das Haus
schuldenfrei zu erklären. Das ermöglichte nun der Anna, im hohen
Alter weiterhin im Haus wohnen zu können, ohne gleich von den
Kosten erdrückt zu werden. Dazu konnte sie mit ihrer Rente ein
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sorgenfreies Alter genießen. Die Rente, die sich aus der staatlichen
AHV-Rente und einer privaten Pensionsversicherung zusammensetzte,
reichte für sie und die SISSI, sowie für den Unterhalt und die Pflege von
Haus und Garten. Man konnte sich seinerzeit mit dem doppelten
Einkommen viel leisten, Ferien an exklusiven Stränden vom Feinsten,
und Hans steuerte meistens einen großen Mercedeswagen oder einen
BMW, mit all dem Luxus und einem Haus, zählte man auch zum
Mittelstand. Anna weigerte sich standhaft, die Autofahrprüfung zu
absolvieren. Sie war der Ansicht, ein zusätzliches Auto belaste nur
unnötig die Umwelt, zudem war ihr der Straßenverkehr zu stressig,
Stattdessen sponserte sie Geld für Kinder in der dritten Welt, und was
sie sparte, legte sie als Polster im Alter an. Das Paar hatte sich für den
Ruhestand ein großes Ziel gesetzt, eine Reise um die Welt mit der
„Queen Elisabeth“, also nicht mit der Königin, sondern mit dem
Riesenschiff, das nach ihr getauft war. Bis dann war das schlichtweg
unmöglich, da beide in Kaderpositionen waren, und eine monatelange
Abwesenheit nicht denkbar war. Als Hans 65. Wurde, wollte er
unbedingt noch ein knappes Jahr weiter arbeiten, weil er sich fest
einbildete, nur er könne die Firma aus der gegenwärtigen Tieflage
herausholen. Es stand schlecht um die Finanzen der Firma Banzer,
Großkonzerne machte ihr die Hölle heiß. Letztere konnten bessere
Konditionen anbieten, weil sie in einem viel größeren Umfeld wirkten,
damit verlor Banzer ständig Kunden. Das nervte Hans besonders, er sah
keinen Ausweg, und er fühlte sich von der Last der Probleme
übermannt. Statt einem Abgang in Ehren und Würden, stand ein
Abschied in größten Sorgen bevor. Und er schämte sich wie ein
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Bettler am Straßenrand, das verletzte seinen Berufsstolz.
Nächtelang sinnte er Lösungen entgegen, die sich nicht zeigten, zudem
war nun auch noch der Firmenchef tödlich erkrankt! Anna war sauer,
sie konnte als Frau bereits mit 62 Jahren in den wohlverdienten
Ruhestand treten, und erhielt eine angemessene Pension auf
Lebenszeit. Hans hingegen, musste noch den Konkurs seiner Firma
miterleben, das war mehr als nur ein Schock für ihn und seine
Gesundheit, die ganze berufliche Laufbahn hatte er seiner Firma
geopfert, und jetzt so etwas!
Aber er war besser dran als die meisten seiner Mitarbeiter, er konnte
nun mit 66 Jahren endlich in den Ruhestand gehen, wenn auch mit
einem betrüblichen Abgang, den er kaum verdient hatte. Viele seiner
Mitarbeiter wurden arbeitslos und mussten sich um neue Stellen
umsehen. Obwohl ihm nur wenig an dieser Situation zuzuschreiben
war, fühlte er sich dennoch als Versager. Das traf ihn tief in seiner
Seele, und eine teuflische Krankheit ergriff von seinem Körper Besitz,
früher nannte man sie im Volksmund „Auszehrung“, heute heißt sie:
“Krebs“! Aber noch ahnte das Paar nichts von den dunklen Wolken, die
am Horizont aufstiegen. Endlich konnten sie die lang ersehnte
Weltreise auf der „Queen Elisabeth“ buchen, allerdings sollte die
Abfahrt in Southampton erst in einem halben Jahr erfolgen. Doch ein
halbes Jahr ist eine relativ lange Zeitspanne, besonders im Ruhestand,
und erst recht, wenn man sich auf eine derartige Reise freut. Die beiden
freuten sich wie die Kinder, für jeden Hafen, den sie ankerten, planten
sie Ausflüge. Anna war jetzt 65 und Hans 66, jetzt konnte der schönste
Lebensabschnitt beginnen. Tochter Monika hatte eine kaufmännische
Lehre hinter sich, war bereits 29 und mit einem Australier von der
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Botschaft verlobt. Nach der Weltreise, war die Hochzeit von Monika
und David geplant. Die Zukunft präsentierte sich in einem goldenen
Licht. Aber wie das Leben so oft spielt, aus der Vorfreude wurde Frust!
Hans stellte eine seltsame Veränderung in der Halsgegend fest, er
spürte kleine Knoten an den Seiten, die er nicht als entzündete
Mandeln definierte. Der Hausarzt erkannte sogleich eine
Schilddrüsenvergrößerung, in zwei Dritteln aller Fälle erweisen sich
diese als harmlos und können mit einer Jodkur und Tabletten in kurzer
Zeit behoben werden. Der Arzt wollte kein Risiko eingehen, weshalb er
den Hans zu einem spezialisierten Kollegen schickte. Für den Arzt ist das
eine doppelte Absicherung, einmal im Interesse des Patienten, für den
Fall einer Früherkennung von Krebs, dann aber auch für ihn, weil er
damit von seiner Verantwortung als Arzt befreit wird. Hans ging guten
Mutes zum Spezialarzt, man muss ja nicht gleich den Untergang
erwarten, und wenn rund zwei Drittel sich als völlig harmlos erweisen,
konnte er mit gutem Grund erwarten, bei der Mehrheit zu verbleiben.
Der Facharzt prüfte ihn mit strengem Gesichtsausdruck, machte einige
kluge Sprüche, über den Brillenrand hinaus schaute der dem Hans
frontal ins Gesicht, drückte an den Knoten herum und brummte
unverständliche Worte vor sich hin. Danach folgten Brutproben durch
eine Assistentin sowie Röntgenaufnahmen. Das Ergebnis dieser
Untersuchung werde seinem Hausarzt mitgeteilt, sagte ihm der
Spezialist zum Abschied. Hans sah dem optimistisch entgegen, Anna
war weniger begeistert, sie war gegenüber der Ärztelobby eher kritisch
eingestellt, eine verschworene Clique geldgieriger Zeitgenossen, welche
möglichst viele Patienten rekrutierten, um so schnell reich zu werden,
und zudem der Pharmaindustrie Handlangerdienste leisteten.
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Es gab aber auch Notfälle, da musste man sich der Kunst der Äskulapen
unterziehen, dafür existierten sie ja auch.
Schön und gut, Hans erhielt nach drei tagen einen Anruf von der
Praxishilfe seines Hausarztes, er möge so bald wie nur möglich
vorsprechen, es sei äußerst dringend. Das klang doch eher negativ und
beunruhigend, aber die Angestellte konnte oder wollte keinerlei
Auskunft geben. Hans war aufgeregt und fragte, ob er sogleich vorbei
schauen könne, er wollte unbedingt Klarheit haben. Nichts kann mehr
Sorgen bereiten, als die Ungewissheit. Und nach einer kurzen
Rücksprache mit dem Arzt, ging das in Ordnung. Ohne seine Frau zu
orientieren, fuhr er mit seinem Auto zur Arztpraxis. Die Praxishilfe
lotste ihn sogleich ins Patientenzimmer. Als der Herr Doktor wenig
später ins Zimmer kam, erkannte Hans aus dem Gesichtsausdruck, dass
etwas nicht in Ordnung sein konnte!
„Herr Baumgartner, ich habe leider schlechte Nachrichten, sie haben
Schilddrüsenkrebs im mittleren Stadium“, sagte der Arzt mit
routinierter Manier, so, als sei das eine alltägliche Sache, aber wie hätte
er vorgehen sollen? Etwa wie der Vater, welcher dem Sohn die
Geschichte vom Klapperstorch erzählen will? Nein, es war die brutale
Realität und die musste einfach so gesagt werden, schlussendlich ist das
Leben immer ein Risiko, und wer geboren wurde, muss zwangsläufig
auch einmal wieder sterben, und diese Regel kannte für einmal keine
Ausnahme! Hans zuckte innerlich zusammen, so, als hätte ihn ein
Blitzschlag getroffen. Erst musste er sich wieder fassen, dann sagte er
mit leiser Stimme: „Aber wie ist das möglich, ich rauche nicht, und habe
immer möglichst gesund gelebt, ist das nun die Belohnung dafür?“
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Arzt: „Das glaube ich Ihnen gerne Herr Baumgartner, aber Sie haben
doch während Jahren in Ihrer Firma viel Stress erlebt, Dauerstress ist
etwas vom Allerschlimmsten, es schwächt das Immunsystem, was den
Krebszellen wiederum erlaubt, sich an Schwachstellen heranzumachen.
Aber es gibt noch Grund zur Hoffnung, Herr Baumgartner, wenn wir
sofort mit der Therapie anfangen und den Tumor entfernen, haben Sie
ganz gute Chancen, den Krebs zu besiegen“.
Hans: „Aber das ist doch der blanke Horror, Herr Doktor, soeben war
ich an der Bestattung eines ehemaligen Mitarbeiters, er starb an Krebs,
und der ging während zwei langen Jahren buchstäblich durch die Hölle,
um dann trotz allen Leiden und schweren Erlebnissen den Tod zu
finden! Nein, Herr Doktor, diese Kraft bringe ich nicht mehr auf!“
Arzt: „ Sie sehen das etwas zu schwarz, Herr Baumgartner, jeder Fall
verläuft anders, und wenn Sie schon jetzt aufgeben, dann machen Sie
alles nur noch komplizierter und schlimmer“.
Hans war nicht in der Laune, nun weiter zu argumentieren, er hatte ja
doch gar keine Wahl, das heißt doch, es gab verschiedene Wege und
Möglichkeiten, die moderne Therapie, die Homöopathie,
Geistheilungen, Meditation, oder ganz einfach nichts unternehmen.
Es war an ihm, eine Entscheidung zu treffen, glücklicherweise
existierten noch keine Gesetze, die einem kranken vorschreiben
konnten, welche Therapie er durchmachen müsse. Die Zeit drängte,
und der Arzt musste jetzt bereits disponieren können, also meldete er
ihn vorerst provisorisch im Stadtspital an. Noch konnte Hans alles
stornieren, und sowohl Operation, wie auch Therapie absagen. Auf der
Heimfahrt realisierte er erst richtig, wie es um ihn und seinen Zustand
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bestellt ist. Als anscheinend gesunder Mann fuhr er zum Arzt, und als
krebskranker Patient wieder nach Hause, das in nur 20 Minuten, diese
teuflische Krankheit hatte ihn erfasst, im tiefen Mittelalter waren es
Pest und Cholera, die dafür sorgten, dass sich die Menschheit nicht wie
die Ameisen vermehrten. War das nun Gottes Wille, warum er, und
nicht der Nachbar? Was war das für ein Gott, der die Menschen derart
brutal geißelte? Oder war das ein wahrer Teufel, der sich lediglich als
Gott aufspielte? Viele Fragen und keine Antworten. Was ihn aber am
allermeisten bedrückt, war seine Partnerschaft mit der Anna, wie
konnte er ihr das antun? Gewiss, gewaltsame Trennung war nie ein
Thema, man ignorierte so etwas und verschob es immer auf einen
späteren Zeitpunkt. Sie waren ein Paar bis in den Tod und darüber
hinaus, jetzt sollte plötzlich alles der Vergangenheit angehören, nein,
das durfte doch einfach nicht sein! Seltsame Gedanken gingen ihm
dabei durch den Kopf, sollte er gleich Schluss machen und mit seinem
BMW in eine Hausmauer rasen? Oder der Anna nichts sagen und
einfach weiter leben wie bis anhin? Wie war das mit der Weltreise,
konnte er diese mit ihr durchziehen, oder war er dann schon beerdigt?
Anna hatte nach einer mehr als vierzigjährigen Ehedauer so etwas nicht
verdient. Musste nun Anna ihren Lebensabend allein verbringen? War
er ein Versager? Und seit einem Jahrzehnt freuten sie sich gemeinsam
auf diese Weltreise. Es durfte nicht anders sein, was sagte doch der
Hausarzt: „Ihre Chancen stehen fünfzig zu fünfzig!“ Und er sagte nicht:
„Sie haben keinerlei Chancen, also nutzen Sie sie!“. Daher entschied er
wie immer in seiner Ehe, der Anna die Wahrheit zu sagen, und nichts
als die Wahrheit. Aber er spielte zu Hause seine Krankheit etwas
herunter, er müsse ins Spital, um dort einen Tumor entfernen zu lassen,
sagte er der Anna beiläufig, gemäß dem Arzt ein alltäglicher Eingriff.
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Aber für die Anna hörte sich das nicht wie Bagatellfall an, sondern eher
als höchste Alarmstufe! Diese Verharmlosung hatte sie in der
Vergangenheit schon zu oft gehört, von Kollegen und Kolleginnen, und
nach wenigen Monaten, oft auch nur Wochen, erhielt sie prompt die
Todesanzeigen ins Haus geflattert! Doch diesmal betraf es ihren Hans,
und das war schon ein größerer Schock für sie. Erst wollte sie laut
ausrufen, überlegte sich das aber nochmals, sie wollte ihre Sorgen und
Ängste für sich behalten, damit sie ihn nicht noch zusätzlich
demoralisierte. Sie tat so, als würde sie die Harmlosigkeit der
Erkrankung mit Hans teilen. Und wie oft in solchen Situationen, konnte
es ja sein, dass sich das Ganze als gutartige und heilbare Kranheit
erwies, und tatsächlich Grund für einen zuversichtlichen
Heilungsverlauf bestand. Nur knapp eine Woche später befand sich
Hans bereits im Stadtspital, wo er vorerst auf Herz und Nieren, aber
auch auf viele andere Organe intensiv getestet wurde. Dann, nach
weiteren vier Tagen, erschien der Oberarzt und besprach sich mit Hans.
Hans war, wie bereits bekannt, von einem Schilddrüsenkrebsleiden
betroffen. Die zahlreichen Untersuchungen ergaben keinerlei Hinweise
auf allfällige Ableger im Körper, wie der Arzt ausführte, ist das oft nur
nach vielen Testverfahren feststellbar. Man werde ihn daher noch eine
Weile im Spital behalten und mit der Strahlen- und Chemotherapie
anfangen. Leider werde er dabei auch noch die verbleibenden
Kopfhaare verlieren, diese würden aber nach der Therapie wieder
nachwachsen. Dem Hans erschien das Problem mit den Haaren gar und
gar nicht aktuell, ihm war die Heilung vom Krebs viel wichtiger.
Besondere Sorgen bereiteten ihm zudem die bevorstehende
Schiffsreise um die Welt. Wenn die ins Wasser fiel, dann nur
seinetwegen, das hieß mit anderen Worten, wegen diesem
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verdammten Krebs! Ihm hätte das wenig ausgemacht, doch er war sich
bewusst, wie sehr sich die Anna darauf freute, seit mehr als zehn
Jahren träumte sie davon, es sollte die Krönung ihrer Zweisamkeit sein,
ein absolutes Hoch in ihrem Leben. Nun erlebte Hans das ständige Auf
und Ab einer Chemotherapie, für das Personal, welches Routine gemäß
vorging, war er eine Nummer, eine von vielen. Erschreckend empfand
er die Schicksale von Kindern und Jugendlichen, die bereits an Krebs
litten und sehr oft auch daran starben, die Kinderabteilung befand sich
im 1. Stock, aber er kam dort vorbei, wenn er hinten hinaus in den Park
ging. Ein Pfleger erzählte ihm von traurigen Fällen, bekanntlich wirken
die Krebszellen in jungen Körpern viel aggressiver als bei älteren
Menschen. Er fügte aber hinzu, dass die moderne Krebsbekämpfung bei
Kindern, heutzutage viel erfolgreicher angewandt wird, als das noch
vor 30 und mehr Jahren der Fall war. Aber Hans wollte sich nicht noch
zusätzlich mit fremden Schicksalen belasten, sein Zustand genügte ihm
bereits. Und wenn Anna ihn besuchte, sprachen sie nur von der
bevorstehenden Weltreise, das lenkte an.
Anfänglich ging alles wie geplant und gut voran, und der Tumor bildete
sich leicht zurück.
Dann aber platzte aus heiterem Himmel eine Bombe, im
Prostatabereich und auf der Leber wurden Ableger gefunden.
Damit brach für Hans mehr als nur eine Welt zusammen, aus war der
Traum von der Schiffsreise!
Anna sah nach Erhalt dieser Hiobsbotschaft um Jahre älter aus, aber sie
hatte keine Wahl, die Reise musste storniert werden. Für Anna begann
ein Leben in Einsamkeit, und für Hans der Niedergang, er wurde sehr
launenhaft, mürrisch und depressiv, virtuell war er bereits gestorben,
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er hatte sich bereits gänzlich aufgegeben, und vor dem Teufel „Krebs“
kapituliert. Die Therapien raubten ihm den letzten Lebenswillen, und
sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Und bereits drei
Monate später, führte Anna den bekannten aber wenig begehrten Titel:
„Witfrau“.
Aus war der jahrelange Traum vom gemeinsamen Lebensabend. Anna
musste ihre Zukunft neu planen und organisieren, wie so viele andere
Witfrauen. Es musste nun einmal auch so gehen, ein Leben brachte
auch viel Schweres mit sich! Und der Liebe Gott, war wohl gar kein
lieber Gott, sondern viel eher ein Sadist? Aber darüber mochte sie
weder reden noch nachdenken, das Leben musste weiter gehen, es
brachte nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Anna blieb allein im
Einfamilienhaus, eine neue Partnerschaft wollte sie nicht riskieren, sie
zweifelte daran, dass sie erneut eine derart harmonische Partnerschaft
Aufbauen könnte. Sie war zudem spirituell noch zu sehr mit dem Hans
verbunden. Alle ihre Kolleginnen, welche sich nach dem Tod ihres
Ehegatten erneut zur einer Heirat verleiten ließen, erlitten Schiffbruch.
Jüngere Männer interessierten sich nur für das Vermögen, ältere waren
bereits Mangelware und hatten durchwegs eine gescheiterte Ehe hinter
sich. Am ehesten wäre noch eine Wohngemeinschaft mit einer
gleichaltrigen Frau möglich gewesen, doch sie wusste aus Erfahrung,
dass das oft mit viel Zündstoff verbunden war. Zudem wären ihre
Freiheiten dabei stark und unnötig eingeschränkt worden. Da war noch
ein Zwischenfall, bei dem Anna den Glauben an die Menschheit verlor.
Kaum lag ihr lieber Hans auf dem Friedhof, flatterte auch schon eine
Mahnung von einem dubiosen Inkassobüro ins Haus, dabei hatte Anna
alle Hände voll zu tun. Fassungslos las sie den Mahnbrief, da sollte sie
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einen Betrag von 365.- Franken einzahlen, für eine Bestellung von
Pornomaterial, den ihr Hans vor seinem Ableben angeblich in Auftrag
gegeben hatte. Dabei wusste sie, dass Hans auch solche Sachen immer
in Absprache mit ihr bestellte, sie war ja schließlich nicht von
vorgestern. Zudem war erst kürzlich in den Medien zu vernehmen, dass
eine kriminelle Organisation sich mit solchen Mahnungen bereichere.
Sie durchkämmen täglich die Zeitungen nach Todesanzeigen, erstellen
fiktive Rechnungen und Lieferscheine, welche sie dann über ein
Inkassobüro den trauernden Witfrauen zustellen. Die meisten
traumatisierten Opfer schämen sich erst einmal in Grund und Boden,
über die Tatsache, dass ihr mehr oder weniger geliebter, Mann derart
schweinisches Zeug bestellte, sie eilen prompt auf die nächste
Poststelle, um das Geld los zu werden. Die Gauner wissen um die
Schamhaftigkeit der Witfrauen, Verwandte und Bekannte könnten ja
zufällig davon erfahren. Und dieser Geldeintreiber war weit herum
bekannt, seine Methoden lagen am Rande der Legalität. Sein Auto war
mit Großbuchstaben bemalt: „Geldeintreiber“ stand geschrieben! Und
er hatte die üble Angewohnheit, sein Auto stets vor dem Haus des
Schuldners zu parken. Beim Witfrauenbetrug, ging man aber nicht so
weit, man begnügte sich mit einer ersten Mahnung des berüchtigten
Büros. Das wirkte Wunder, und man vermutete, dass rund die Hälfte
aller Opfer zahlte. Anna lachte nur, sie war ganz im Bild und warf das
Schreiben in den Müll, die sollten nur ein zweites Mal probieren, dann
würde sie Anzeige erstatten. Nein, bei ihr waren sie an der falschen
Adresse. Und sie hörte nie wieder etwas von dieser angeblichen
Lieferung einer Firma Cosmus.
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Im Lauf der Jahre siedelten sich zahlreiche „Fremde“ im Dorf an.
Manche kauften sich Eigentumswohnungen, das waren auch Menschen
wie sie und Hans, die oft beide einer Beschäftigung nachgingen. Und
mit einigen dieser Frauen, inzwischen ebenfalls verwitwet oder
geschieden, gründete Anna einen „Kaffeeklatsch-Club“ im
Hinterzimmer der Konditorei Mader. Dort traf man sich jeden
Mittwochnachmittag bei Kuchen und Kaffee zum Gedankenaustausch.
Sechs Witfrauen aus dem Dorf, aber nur sie, die Anna, war eine
„Einheimische“ die fünf andern waren erst im Lauf der Jahre
zugezogen. Mit den Einheimischen war Anna auf „Kriegsfuß“, diese
hatten sie seinerzeit als Rabenmutter beschimpft und diskriminiert.
Manche hatten zwar in der Zwischenzeit ihre Meinung geändert, aber
Anna blieb etwas nachtragend und wollte auch nicht mit den
„Bekehrten“ verkehren. Sie konnte nicht soviel Verständnis für
Dummheit aufbringen, zudem empfand sie die zugezogenen Leute
aufgeschlossener. Die Adelheid war sechs Jahre älter, aber noch sehr
lebhaft und fröhlich, dann die Gertrud, drei Jahre jünger, die Susanne
ein Jahr jünger, die Maria zwei Jahre älter, und die Elisabeth wiederum
drei Jahre älter. Vier von ihnen hatten eine berufliche Ausbildung
absolviert und waren die meiste Zeit auch im Beruf aktiv, zwei waren
vor dem Kindersegen in Pflegeberufen als so genannte „Angelernte“
Tätig, dann mussten sie ihren Kindern schauen und ihre
Berufsbezeichnungen auf „Hausfrau und Mutter“ ändern, wobei das
immer noch der allerschönste der Berufe ist. Sie hatten alle
gemeinsam, dass ihre Ehemänner bereits gestorben waren. Sodann,
waren sie, als zweite Übereinstimmung, alle einmal in einem Beruf
tätig, wobei „Hausfrau und Mutter“ nicht als Beruf galt. In diesem
konservativen Kaff galten sie somit als die „Emanzen aus der Stadt“.
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Besonders vier von ihnen, jede hatte nur ein Kind gezeugt, weil sie
einer beruflichen Arbeit nachgegangen waren. Die Maria und die
Elisabeth waren nur bis zur Niederkunft des ersten Kindes beruflich
aktiv. Danach war es ihnen nicht mehr möglich, wieder in den Beruf
einzusteigen, Maria hatte drei Kinder und die Elisabeth deren zwei.
Nachdem die Kinder flügge wurden, zählten sie auch schon 55 und
mehr an Jahren, und von einer angemessenen Arbeit wollten die feigen
Arbeitgeber auch nichts mehr wissen, und keiner sagte ihnen den
wirklichen Grund für die Absage, der hätte lauten sollen: „Sie sind zu
alt, zudem schon zu lange aus der Arbeitswelt ausgeschieden“, nein,
man suchte nach den dümmsten Ausreden: „Leider haben wir im
Augenblick für sie keine geeignete Stelle offen, wir werden aber ihre
Kandidatur aufbehalten, sobald sich etwas geeignetes ergibt, werden
wir sie selbstverständlich sofort kontaktieren“. Und selbstverständlich
konnten sie dann jahrelang warten und hoffen, sicher aber war, dass sie
nie mehr etwas zu hören bekamen. Das gehört zum Mechanismus einer
kapitalistischen Arbeitswelt, gefragt sind junge Leute, für die alten soll
der Staat aufkommen! Oder anders: „Der Moor hat seine Schuldigkeit
getan, der Moor kann jetzt gehen!“. Im Denksystem des Kapitalismus,
darf nur leben, wer etwas Produziert, alle andern sind Schmarotzer,
Behinderte und Alte belasten lediglich die wirtschaftlichen Erfolge,
deshalb sollte man sie entsorgen. Vorläufig kennen wir aber noch
Gesetze, die das verhindern können.
Die Gertrud begnügte sich mit einem Kind, dann verunglückte ihr Mann
bei seiner Berufsausübung tödlich. Gertrud wurde allein erziehende
Mutter, und blieb bis zur Pensionierung beruflich aktiv. Susanne
machte es der Anna gleich, sie behielt ihren Job, mit nur einem kleinen
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Unterbruch. Ihr Mann war Filialleiter einer Bank, im Alter von nur 47
Jahren, erlag er einem tödlichen Herzinfarkt.
Die Adelheid konnte ihre Stelle ebenfalls behalten, ließ sich aber nach
der Geburt ihres Kindes für gut 2 Jahre beurlauben. Ihr Mann starb an
einer Pilzvergiftung, das Pilzgericht hatte sie selber zubereitet, sie
hatten sich geirrt und giftige Pilze im Wald gesammelt, ihr Mann hatte
die größere Portion genommen, Adelheid überlebte nur sehr knapp.
Seither meidet sie die Pilze wie der Teufel den Weihrauch!
Es war kein Verein mit Vorstand und Statuten, sondern viel mehr eine
lose Vereinigung gleich gesinnter Frauen, eine Schicksalsgemeinschaft.
Sie plauderten nicht nur sinnloses Zeug zusammen, sondern pflegten
regen Erfahrungsaustausch, halfen sich gegenseitig mit guten
Ratschlägen aus, manchmal mussten sie sich aber auch Trost
zuschieben, oder sie beschlossen am Ausflug der Wandervögel
mitzumachen. Während den Sommermonaten nahmen sie auch am
Altersturnen teil, machten gemeinsame Ausflüge mit der Eisenbahn.
Wenn eine von ihnen weg war, dann musste die am nächsten
wohnende Kollegin die Blumen bewässern und den Briefkasten leeren.
Selbst an so genannten Werbefahrten beteiligten sie sich
gruppenweise, seit kurzem machte Anna dabei aber nicht mehr mit,
sie hielt noch nie viel davon. Die letzte Fahrt, die sie alleine mitgemacht
hat, genügten ihr vollkommen, und sie verspürte absolut keine Lust,
nochmals eine mitzumachen. Jahre zuvor, war das noch eine schöne
Abwechslung, und sie hatte den Eindruck, dass die Verkaufspraktiken
früher humaner und anständiger waren. Der mehrfarbige Prospekt im
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Briefkasten, verleitete sie aber, es erneut mit einer Ausfahrt in Richtung
Schwarzwald zu versuchen. Das Angebot klang wieder unglaublich
positiv, ein Tagesausflug nach Baden-Württemberg, mit einem
kostenlosen Mittagessen, am Nachmittag sollte die Fahrt nach
Meersburg führen, von dort mit einem Schiff bis nach Romanshorn, wo
wiederum der Reisebus wartete, der die Gäste sicher nach Hause
brachte. Und jeder Gast erhielt dabei erst noch ein Geschenkpaket und
eine Überraschung dazu! Eine Gratisverlosung war ebenfalls zugesagt,
und nebenbei war noch erwähnt: „Dazwischen werden wir Ihnen völlig
unverbindlich, eine kurze Werbeschau zeigen, wo es um eine
interessante Neuheit für ihre Gesundheit geht“. Und das Ganze für
einen kleinen Unkostenbeitrag von nur CHF 10.- für den Treibstoff.
Wahrlich, es gab sie noch, die selbstlosen und karitativen Zeitgenossen,
echte Menschenfreunde, welche die Zitate der Bibel lebten, ja, es war
herrlich in so einer Welt leben zu dürfen!
Bei früheren Fahrten lauteten die Versprechungen ähnlich, gehalten
wurde dann meistens wenig davon, aber Anna las einmal, solche leeren
Versprechungen wären neuerdings nicht mehr zulässig und strafbar.
Damals nahm sie sich nach jeder Fahrt vor, nie mehr teilzunehmen,
aber wenn die schönen Prospekte mit all den Versprechungen ins Haus
flatterten, wurde sie wieder unschlüssig und wollte es noch einmal
versuchen. Bis sie dann diese Rheumadecken zu einem weit
übersetzten Preis kaufte, der Verkäufer konnte ihr einreden, diese
Decken hielten alle Krankheiten von ihr fern, zudem sei es unmöglich,
diese später zu diesem sensationellen Preis noch kaufen zu können.
Anna unterschrieb den Kaufvertrag, als die Decken ausgeliefert wurden,
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musste sie von Lehmann erfahren, dass es sich um drittklassige Qualität
handelte, Lehmann war Fachmann, er führte im Dorf ein
Möbelgeschäft, unter anderem verkaufte er auch Rheumadecken, und
jene, die Anna gekauft hatte, kosteten bei Lehmann nur rund die
Hälfte!
Damit hatte der Verkäufer richtig vorausgesagt, dass Anna die Decken
kaum mehr zu diesem Preis erwerben könne, sondern viel billiger! Das
war zehn Jahre früher, und seither warf sie alle Prospekte sogleich in
den Müll. Jetzt wollte sie es erneut versuchen, in der Hoffnung, die
Mentalitäten hätten sich inzwischen zum Besseren gewendet.
Sie meldete sich an, war aber fest entschlossen, nichts zu kaufen, oder
bestenfalls einige Kosmetika und dergleichen. Wie bereits früher, sollte
auch diesmal die Fahrt in modernsten Reisebußen erfolgen, wenn diese
aber jeweils angefahren kamen, war es mit der „Moderne“ nicht sehr
weit her. Anna hatte immer den Eindruck, diese Fahrzeuge könnten
etwa ihren Jahrgang aufweisen. Sie meldete sich mit Vorbehalten an,
war aber fest entschlossen, den scheinheiligen Worten der Verkäufer
nicht zu erliegen, am besten wohl, sie stellte sich schwerhörig, wenn es
nicht anders ging. Die Abfahrt vom Dorfzentrum sollte um 07.00
erfolgen, Anna war nicht allein, drei ältere Frauen und ein Mann, alle
aus den neuen Siedlungen, Leute, die sie nicht kannte, warteten
ebenfalls auf den Reisecar. Letzterer erschien mit leichter Verspätung
und war, wie richtig vermutet, ein älterer Jahrgang. Der Busfahrer hieß
die Neuzuzüge willkommen, kündigte an, der Reiseleiter, oder
Leithammel, werde erst in Konstanz zusteigen. Anna bezog einen Platz
im unteren Abteil, damit sie nicht die enge Wendeltreppe hoch klettern
musste, neben ihr saß bereits ein ältere Frau, die schon an einem
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andern Ort zugestiegen war, „Hedwig“ stellte sie sich vor. „Anna“
erwiderte diese knapp. Anna mochte noch keine doofen Gespräche
eingehen, sie war es gewohnt, in den frühen Morgenstunden ohne
Diskussionen auszukommen. Zudem wurde rundum eifrig geplaudert,
jede Witfrau beklagte ihr Schicksal und beklagte den schweren Verlust,
welchen sie durch den Abgang ihres Ehemannes erlitten hatten. Das
Wehklagen wollte gar nicht enden, ein Fluch, der auf unserer
Gesellschaftsstruktur lastete, warum waren die Männer anlässlich der
Eheschließung im Durchschnitt rund fünf Jahre älter, dafür lebten aber
Frauen wiederum etwa sieben länger als Männer. Das ergibt eine
Differenz von 12 Jahren. Zudem leben Männer gefährlicher und
ungesünder, meistens berufsbedingt. Aber das weiß man doch längst,
also, warum heiratet eine Frau dann nicht einen Mann, der rund 12
Jahre jünger ist? Unmöglich! Also wird das Jammern weiter gehen.
Anna mochte nicht mehr lauschen, das Thema war rund und
ausgelaufen, darum war sie echt glücklich, als sie in
Kreuzlingen/Konstanz eintrafen. Sie kannte nun einige Autobiografien
mehr, welche sie aber einen Scheiß interessierten, sie wollte den Tag
nach Möglichkeit genießen, soweit es die Umstände erlaubten. Der
Morgennebel war aufgelöst und die Sonne drängte sich lauwarm am
Horizont hervor. Der junge Mann begrüßte die betagte Gesellschaft
und informierte sogleich: „Wir fahren jetzt durch die schöne Landschaft
von Baden-Württemberg, in etwa 20 Minuten erreichen wir ein
romantisches Dorf, dort, im Gasthof „Fürstenhof“, steigen wir aus, und
sie begeben sich in den hinteren Saal, dort warten Kaffee und Gipfel auf
sie, allerdings sind diese leider nicht kostenlos. Danach werden wir,
meine zwei Kolleginnen und ich, ihnen eine sensationelle Weltneuheit
vorstellen. Danach erhalten sie alle, ungeachtet ob sie etwas gekauft
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haben oder nicht, ein fürstliches Mittagessen serviert, sie sollen
nämlich wissen, dass wir uns nicht lumpen lassen, uns geht es um ihr
Wohl und um ihre Gesundheit.“ Das waren nun wirklich
herzergreifende und schöne Worte, aber Anna erinnerte sich, dass sie
bereits bei früheren Anlässen die gleichen Floskeln gehört hatte. Diese
christliche Nächstenliebe war nur pure Heuchelei, hier ging es doch um
knallharte Verkaufspraktiken! Und der Helmut, wie sich der Mann
nannte, hatte zwei Gesichter aufgelegt, das selbstlose, humane „Mutter
Theresa“ Gesicht, und die gnadenlose Abzockerfresse des
Geldmonsters, andererseits. Da bestand auch kein Zweifel, diese Leute
wurden wie die Jagdhunde dressiert und auf das „Wild“, oder hier die
Senioren, abgerichtet. Beim Zoll waren das die Drogenhunde. Im
Gasthof angekommen, wurden die vielen Gäste wie eine Herde von
Schafen in den hinteren Saal geschleust. Kaffe und Gebäck waren schon
da, das nennt man Aufmerksamkeit, es eilte, weil man mehr Zeit für die
Werbung wollte. Jede Person erhielt einen vor gedruckten Meldezettel,
darauf machten die Servierfrauen bei jeder Bestellung einen Strich am
jeweiligen Stichwort. Anna bestellte eine Tasse Kräutertee, das machte
sie bereits jetzt schon zur Exotin. Nun gesellten sich auch die beiden
jungen Damen dazu, Helmut stellte sie mit „Gabi“ und „Elke“ vor. Sie
waren, nach mitteleuropäischen Empfinden, sehr gut aussehend!
Und den wenigen Männer im Saal, kugelten nahezu die glänzenden
Augen aus ihren Gesichtern! Wenn einmal einer der Männer seine
Hände zu nahe am Po oder Busen hatte, wenn eine an ihnen
vorbeihuschte, war dies, zumindest am Morgen, noch ein kleiner
Ausrutscher, den sie mit einem verständnisvollen Lächeln quittierten.
Sie waren an diesen Greisenzirkus gewohnt, und jeder Tag brachte
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ihnen neue Kontingente. Greise Lustmolche, ungefährlich aber doch
störend.
Nach der Zwischenmahlzeit, war das Verkaufsteam „kampfbereit“,
etwas unruhig schaute der Helmut zu seinen potentiellen Kunden, diese
plauderten kreuzweise über die Tische, darum ergriff er das Wort und
verlangte absolute Ruhe im Saal. Weil das, was da nun folge, uns alle
betreffe, insbesondere unsere Gesundheit. Und beim Stichwort
„Gesundheit“ kann kein Senior mehr abseits stehen.
Dann legte Helmut richtig los, er hielt einen langen Monolog, in dem er
festhielt, dass ihm das Wohl und die Gesundheit der älteren Menschen
ganz besonders ans Herz gehe, und er habe es als seine Aufgabe
gesehen, ungeachtet von Geld und Reichtum, den alten Leuten zu
helfen. Und manchmal kriege er sogar richtige Albträume, weil es ihm
nicht gelinge, die Leute von der Notwendigkeit der Anschaffung solcher
lebensnotwendiger Artikel zu überzeugen. Ihm sei aber bewusst, dass
er heute eine ausgesuchte Gruppe von sehr klugen und vorsorglich
gesinnter Leute um sich habe. Denen die Gesundheit mehr bedeute als
ein Haufen Geld auf der Bank. Und am heutigen Tag, da hätte nun eine
auserwählte Anzahl von Menschen die einmalige Chance, ihre Wehchen
und Leiden, ein für alle Male zu verbannen. Gemeint war damit eine
sensationelle Magnetmatratze, diese wurde mit Spezialmagneten, im
Wert von weit mehr als eintausend Franken ausgerüstet.
Wer eine Nacht darauf schlief, werde am nächsten Morgen völlig
beschwerdefrei und glücklich aufwachen. Bereits eine Stunde auf dieser
Wundermatratze, bringe ein wundervolles Befinden mit sich. Eine
Wohltat, auf die kein vernünftiger Mensch verzichten konnte.
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Damit hatte Helmut bereits unterstrichen, dass, wer dieses Wunderding
nicht kauft, unvernünftig handle! Nach weiteren Lobpreisungen, kam
er zum Preis: „ Ja, liebe Leute, diese Matratze kostet bei der Konkurrenz
4.690.-Franken, doch bei uns erhalten sie diese für den einmaligen Preis
von nur Fr. 1990.-, damit nicht genug, erhalten sie zusätzlich noch einen
Handmixer, sowie einen Reisegutschein über Fr. 600.-, obendrein.“
Helmut getraute sich noch weiter auf die Äste hinaus und versprach,
wer darauf schlafe, erlebe nur noch positive Träume. Danach begann
das „Probeliegen“, jene mit einem Rheumaleiden und oder
Gliedschmerzen, sollten zuerst darauf liegen, und nach einer knappen
halben Stunde ihre Eindrücke schildern. Die andern Teilnehmer sollten
sich dann ein Beispiel nehmen, und selbstverständlich auch bestellen.
Ja, es gab noch echte Wunder, wie damals bei Jesus von Nazareth, nur
hieß der Held der Geschichte Helmut der Menschenfreund. Seine
Sprache wurde aber bereits deutlicher und direkter, es handelte sich
nicht mehr um eine fakultative Anschaffung, sondern um ein echtes
„Muss“ für jede ältere Person mit etwas Verstand. Ja, eigentlich sollte
deren Beschaffung gesetzlich vorgeschrieben werden, damit man die
hohen Krankenkosten reduzieren konnte. So weit war man noch nicht,
wer aber gut zuhörte, konnte realisieren, dass nur echte Dummköpfe
und hoffnungslose Ignoranten darauf verzichten. Anna kannte diese
Verkaufspraktiken bestens, einmal war sie selber gelernte Verkaufsfrau,
zweitens entsprach die Technik des Helmut und seines Teams genau
jenem aus früheren Tagen. Und insgeheim hoffte sie, dass mindestens
eine Bestellung einging, ansonsten der Nachmittag im Eimer war!
Sie hatte schon erlebt, dass die im Prospekt versprochenen Zugaben
ausblieben, weil keine größeren Aufträge erfolgten.
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Die Mittagspause nahte bereits, aber wie üblich wurde es 13 Uhr, oder
mehr, bis das Mittagessen serviert wurde. Anna hatte dafür vorgesorgt,
sie gönnte sich deshalb zuvor noch zwei Stück Kuchen, es war nicht sehr
ratsam, sich mit leerem Magen die Einlagen des Verkaufsteams über
sich ergehen zu lassen. Das Ehepaar Gerber, litt unter
Rheumaschmerzen, sie lagen deshalb bereits eine ganze Stunde auf der
Matratze. Als sie wieder aufstehen wollten, gelang ihnen das nur mit
größter Anstrengung, und das Beste kam erst noch, beide meldeten
noch mehr Schmerzen als zuvor gehabt! Doch das sagten sie nicht ohne
Folgen, das strahlende Gesicht von Helmut verwandelte sich in eine
Fratze, er explodierte richtiggehend vor Wut und sagte: “Das darf doch
nicht sein, sie sind sicher üble Spione, die unsere Schmutzkonkurrenz
beigebracht hat, eine konspirative Verschwörung, aber wir werden sie
wegen Kreditschädigung anzeigen, das wird sie teuer zu stehen
kommen!“
Das Ehepaar Gerber verstand die Welt nicht mehr, sie sagten doch nur,
was sie dabei empfanden. Der Menschenfreund Helmut wurde nun
zum Amokläufer, er war nicht wieder zu erkennen. Die andern Gäste
wirkten echt eingeschüchtert und munkelten halblaut über schlechte
Manieren und dergleichen. Helmut lief wie ein Berserker im Saal auf
und ab, sein Gesicht erinnerte an ein Monster in der Geisterbahn.
Helmut beruhigte sich nur langsam, er war richtig aus dem Häuschen,
wie man so schön zu sagen pflegt. Und wie zu erwarten war, bestellte
niemand die Wundermatratzen, hingegen liefen die kleinen Sachen
recht gut über die Bühne, Anna kaufte sich eine Gesichtscreme aus
Murmeltierfetten und Alpenkräutern. Das war nur Beilage, aber besser
als rein nichts! Die beiden Jungfrauen waren nun längst nicht mehr so
tolerant wie am Morgen, die Streicheleinheiten eines geilen Seniors von
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zuvor wurden nun mit einer klatschenden Ohrfeige belohnt. Anna war
bewusst geworden, dass der Tag futsch war, mochte aber darüber mit
den andern nicht diskutieren.
Das Mittagessen war nur ein Schatten von jenem im Farbprospekt. Und
einmal mehr, war die Rechnung am Ende höher, als nach einem
gewöhnlichen Restaurantbesuch. Dem Ehepaar Gerber wurde es
ungeheuerlich zu Mute, sie fürchteten die Rache des Helmut. Nach der
Mahlzeit bestellten sie ein Autotaxi und fuhren zur Station der
schwäbischen Eisenbahnen, um dann in Konstanz den Zug nach Hause
zu besteigen. Das brachte den Helmut noch mehr auf die Palme, er
verabschiedete sich ohne Gruß von der undankbaren Gesellschaft und
überließ es dem Fahrer, diese Meute nach Hause zu bringen. Und wie
Anna richtig vermutete, wurde die Schiffsfahrt auf dem Bodensee zur
Strafe abgesagt. Das hatte den Vorteil, dass sie bereits um 17 Uhr, statt
um 20 Uhr, wie geplant, zu Hause war. SISSI wusste das zu schätzen sie
verbrachte den langen Tag auf der Wiese, sowie schlafend auf dem
Sofa.
Und noch etwas war sonnenklar, dass sie nie mehr so eine Irrfahrt
unternehmen wollte, auch wenn der Prospekt noch so verheißungsvoll
klingen mochte.
Anna war stets bestens informiert, sie hatte zwar diese ständigen
Negativmeldungen in den Medien, oft mehr als satt, aber man musste
auf dem Laufenden bleiben. Zigeuner pflegten geheime Zeichen an den
Briefkästen anzubringen, welche andere Zigeuner über die
Hausbewohner informierten, diese Geheimschrift konnte etwa wie
folgt lauten: „Hier wohnen reiche Leute“, oder „Hier leben Geizhälse,
nichts zu holen“. Erst kürzlich konnte sie solche Zeichen an ihrem
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Briefkasten feststellen. Mit starken Reinigungsmitteln, konnte sie diese
Schriften entfernen. Es war für sie aber ein Alarmzeichen, vorsichtig zu
sein. Misstrauen war ihr nicht angeboren, aber die gesellschaftliche
Entwicklung und die allgemeine Unsicherheit, zwangen zu Vorsicht und
Misstrauen.
Trotzdem staunte sie nicht wenig, als eines Tages die Hausglocke
klingelte, und draußen eine Frau von etwa 30 Jahren, sich in
französischer Sprache vorstellte: „ Guten Tag Madam Baumgartner, ich
bin die Tochter von Monika, und sie sind meine Großmutter!“
Anna glaubte zu träumen, sie brachte kein Wort hervor, schon gar nicht
erst in französischer Sprache, die sie nur rudimentär beherrschte. Sie
musste sich setzen, also ließ sie ihre angebliche Nichte, die sich
„Josette“ nannte, in ihre Wohnung eintreten. Dort wurde diese von der
SISSI kritisch begutachtet und dann ignoriert. Die Josette begann mit
ihrer Geschichte: „Damals, als meine Mutter während zwei Jahren in
Genf arbeitete, verliebte sie sich in meinen Vater, er ist Tunesier und
war seinerzeit bei der UNO angestellt.
Und ich bin das Ergebnis aus dieser Beziehung“.
Anna glaubte immer noch zu träumen, ja, die Monika schrieb ihr damals
aus Genf, und sie erwähnte auch ihren arabischen Freund bei der UNO.
Dass die Monika aber von ihm schwanger wurde, und dass sie als Folge
ein Kind gebar, das hatte sie ihr verschwiegen, sie erinnerte sich aber
noch gut, als Monika einmal zu Besuch kam, wirkte sie etwas
vollschlank. Die Josette wusste noch mehr zu berichten, nach einem
Regierungswechsel in Tunesien, soll ihr Vater zurück berufen worden
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sein, und später als Regierungsgegner sogar längere Zeit eingesperrt
gewesen sein.
Weil die Monika aber nicht nach Tunesien wollte, nahm der Vater den
Säugling mit sich und übergab ihn seiner Mutter zur pflege. Jetzt liege
ihr betagter Vater in einem Spital von Tunis, die Krebstherapie koste ein
Vermögen, und Geld hätten sie auch nicht. Deshalb habe ihr Vater den
Vorschlag gemacht, Josette möge nach ihrer Mutter forschen, er habe
aber auch den Namen und die Adresse der Großmutter mitgegeben,
sollte die Monika nicht auffindbar sein. Und nun sei sie eben hier
gelandet. Josette nannte einen fünfstelligen Betrag, den sie gerne von
ihrer Großmutter geborgt hätte. Selbstverständlich werde sie, die
Josette, den Betrag später zurück vergüten. Das war aber eine ganz
ordentliche Summe, aber Anna war nicht auf den Kopf gefallen. Die
Reaktion von SISSI nahm sie als Alarmzeichen, SISSI war sehr sensibel
und feinfühlend, wenn eine Person nicht vertrauenswürdig erschien,
zeigte sie das mit ihrer Ignoranz an, Leute, die sie mochte, grüßte sie
freundlich mit einem „Miau“, das war bei der Josette nicht der Fall!
Als Josette erfuhr, dass die Monika in Australien lebte, fühlte sie sich
ihrer Sache so sicher, dass sie sogar kurz im Dorf etwas einkaufen ging.
In aller Eile rief Anna ihre Tochter an, in „Down Under“ war es mitten in
der Nacht, aber es eilte: „Warum hast Du mir Dein Kind mit dem
Tunesier in Genf verschwiegen?“ donnerte Anna vorwurfsvoll in den
Hörer. Jetzt war es die Monika, welche die Welt nicht mehr verstehen
konnte. Monika erinnerte sich aber sehr gut: „Der Ahmend war ein
„Casanova“, er hatte damals noch mindestens drei weitere
Freundinnen, und als ich Genf verließ, hatte ich längst einen
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Schlussstrich gezogen, er schwängerte eine französische Kollegin von
mir, und die hieß „Monique Martinez“. Alles war klar, Anna war
erleichtert, sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass das alles ohne
ihr Wissen hätte geschehen können. Sie hatte immer Vertrauen zu ihrer
Tochter, und so etwas war grundsätzlich nicht möglich. Noch bevor
Josette zurück war, eilte Anna zum Polizist Hauser, dieser konnte die
Schwindlerin sogleich auf den Posten mitnehmen. Unterwegs versuchte
die Josette zu fliehen, wurde aber von der flinken Polizei wieder
eingefangen. Die Befragung ergab, dass sie tatsächlich die Tochter einer
Tunesisch-Französischen Beziehung war, und dass ihre Mutter
„Monique“ heißt. Die Idee für diese Geldbeschaffung kam vom Vater
der Josette, welcher wirklich schwer erkrankt war. Josette wurde aus
dem Land verwiesen, auf eine Strafanzeige wurde in diesem
besonderen Fall verzichtet. Das war für die Anna wieder einmal gut
abgelaufen.
Anna wollte stets informiert bleiben, deshalb las sie täglich die
Regionalzeitung, aber auch die Radionachrichten und die Tagesschau
gehörten dazu und dienten der „Weiterbildung“. Was sie an allen
diesen Informationen am meisten störte, war die leidige Tatsache, dass
praktisch nur Negatives bemeldet wurde, ja, dass Positives die
Ausnahme von der bekannten Regel bildete. Sie dachte, es wäre doch
etwas Neues, wenn sich ein Medium nur noch auf die positiven
Meldungen beschränken würde. Etwa wie „Radio Positiv“ oder „TVPositiv“, wäre das nicht ein Aufsteller? Sie hatte es langsam satt, jeden
Tag zu vernehmen: „Schweres Eisenbahnunglück in X-Land“, „der König
von Bumerang im Komma“, „die Zahl der Arbeitslosen stieg im
vergangenen Jahr auf 11%“, „der Benzinpreis wird auf Januar
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angehoben“, „die schulischen Leistungen der Schüler werden immer
schlechter“, „Jugendliche Schläger verprügeln einen Senior und
niemand hilft ihm!“, die Liste könnte noch weit mehr Beispiele
aufweisen. Selbstverständlich konnte der Nachrichtensprecher nicht
einfach sagen:“ Liebe Zuhörer, heute gibt es keinerlei Nachrichten zu
vermelden, ich wünsche Euch trotzdem einen angenehmen Tag“.
Nein, er konnte aber folgendes verkünden: „Für einmal habe ich Euch
nur Positives zu vermelden, die Treibstoffpreise werden auf den 1.
Januar gesenkt, die Landwirte melden eine Rekordernte im
Obstbereich, der CEO (früher ein Generaldirektor) der Bank
„Catchascatchcan“, verzichtet dieses Jahr auf seine Millionengage, er
schenkt jedem Angestellten mit Kind je 5000.- Franken Extrazulage,
den Rest gibt er dem Verein „Brot für Brüder“. In der ganzen Region
war im vergangenen Monat kein einziger Verkehrsunfall mit Todesfolge
zu verzeichnen.“ Und so weiter, es gäbe durchaus viele Dinge zu
melden, aber das interessiert vermutlich nicht, der Mensch will sich
lieber am Elend und Unheil der andern aufgeilen, Hauptsache, es geht
ihm persönlich gut. Mit dem Mittwochclub im Hinterzimmer der
Konditorei Mader, war das so eine Sache für sich. Sechs Frauen mit
ähnlichen Interessen, und dennoch glitten die Konversationen oft unter
die Gürtellinie. Zum Beispiel, wenn das Thema die Ausländer betraf,
welche aus allen möglichen und unmöglichen Ländern ins Land kamen,
die Sozialwerke plünderten und sich am Volkseigentum schadlos
hielten. Anna mochte dieses Thema nicht besonders, man wollte sich ja
nicht treffen, um Probleme zu diskutieren, für welche andere zuständig
waren. Sie zog es vor, von den guten alten Zeiten zu plaudern, als die
Welt nahezu noch heil war, und wo man sich als Frau auch noch nachts
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auf die Strassen begeben konnte. Als noch Anstand und Ehrlichkeit eine
Bedeutung hatten. Aber es gab oft Situationen, bei denen sich zwei
Parteien bildeten, und man sich uneinig nach Hause begab. Und es gab
auch Themen, die man zu den kulturellen Leckerbissen zählen durfte.
Kein Vergleich mit den männlichen Stammtischrunden, und ihren
doofen, und oft sehr primitiven Diskussionen. Als sie noch sechs
Frauen waren, gehörten auch Lichtbildervorträge und Musik dazu,
das veranlasste einmal die Dorfpresse, eine richte Reportage über
diesen Kulturtreff zu publizieren. Prompt wurden sie danach mit
Anfragen für Mitgliedschaften überschwemmt. Aber es sollte bei den
sechs Frauen bleiben, man wollte gar keine neuen
Gesprächspartnerinnen haben, das hätte vermutlich nur Probleme mit
sich gebracht. Und nun ist ihr „Club“ sogar auf drei Personen
zusammengeschrumpft. Drei von ihnen sind in nur zwei Jahren verreist,
zwei ins Jenseits und eine in ein Pflegeheim. Die Gerti (Gertrud)
erwischte es im 83. Lebensjahr, ein übler Magendarmkrebs vernichtete
ihre Zukunftsaussichten, sämtliche Chemotherapien blieben erfolglos.
Die Susanne starb in ihrem 85. Lebensjahr, sie wurde in der Stadt von
einer Straßenbahn erfasst und war sogleich tot. Die Elisabeth hatte
schon seit Jahren Schwierigkeiten mit ihren Beinen, Krampfadern und
Durchblutungsstörungen, bis sie sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen
konnte, deshalb zog sie es vor, doch in ein Alters- und Pflegeheim über
zu siedeln. Jetzt waren sie nur noch zu dritt, die Anna, die Adelheid und
die Maria. Einmal monatlich besuchten sie ihre Kollegin im städtischen
Pflegeheim. Und schon gingen auch Klagen ein, an den
Mittwochnachmittagen gehe es im Zimmer der Elisabeth zu wie in
einem Affengehege, es wurde laut gelacht und manchmal sogar
gesungen. Weshalb die Frau Oberschwester anordnete, diese laute
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Gesellschaft der alten Damen, möge bitte in Zukunft im hinteren
Esszimmer zusammenfinden. Die Frau im Nebenzimmer war sehr krank
und sensibel, und nach so einem ausgelassenen Nachmittag der Damen
nebenan, war sie jeweils sehr durch ein einander im Kopf und benötigte
auch die doppelte Menge an Tabletten.
Man befand sich nun einmal in einem Pflegeheim und nicht in einem
Tollhaus. Der „Club der tollen Frauen“, wie sie nun im Heim genannt
wurden, konnte stolz auf das Alter seiner Mitglieder blicken:
Die Anna 88, die Maria 89, und die Adelheid 91 Jahre, und die
Gastgeberin 88! Bei jedem Treff wurde eine Schweigeminute für die
beiden Verstorbenen (Gerti und Susanne) eingehalten. Das wirkte wie
ein kleiner Trost für die noch lebenden vier Frauen. Jede dachte dabei:
„Wenn ich einmal weg bin, wird man das auch für mich tun“! Die Anna
mochte nicht nachsinnen, wer von ihnen einmal den Schluss machen
musste, den, oder die Letzte, beißen bekanntlich die Hunde. Oder das
Schlusslicht möge das Licht löschen!
Aber derartige Gedanken verdrängte die Anna, solange das möglich
war. Anna wohnte als einzige in einem Einfamilienhaus, Maria und
Adelheim besaßen komfortable Eigentumswohnungen, und die
Elisabeth war sogar stolze Besitzerin einer luxuriösen
Penthauswohnung, welche sie nun zu einem vornehmen Preis
vermieten kann, und damit ihren Heimaufenthalt zusammen mit der
Altersrente finanzieren kann. Anna war sich schon immer bewusst, dass
ein Haus, eine wesentlich größere Bürde darstellt als eine Wohnung,
aber solange sie die nötigsten Arbeiten noch selber verrichten konnte,
dachte sie nicht daran, eine Änderung vorzunehmen, zudem war für die
SISSI das Haus ein kleines Paradies mit freiem Auslauf. Anna schätzte
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das Alter der SISSI auf etwa 17 Jahre, somit war sie umgerechnet auf
das Menschalter etwa 87jährig, damit waren die beiden „Damen“ etwa
gleich alt. Das war auch gut so, weil Anna überzeugt ist, dass sie die
verbleibenden Jahre zusammen verbringen werden. Bei ihrem
Lebenspartner ging diese Rechnung daneben, mit der neuen
Wohnpartnerin sah es besser aus. Ein Hund wäre vermutlich ein
besserer Wächter gewesen, aber sie mochte diese weniger, besonders
ließen die es an Reinlichkeit zu wünschen übrig. Die Hundesteuer wäre
noch das Wenigste dabei, aber der tägliche Auslauf, den ein Hund nun
einmal benötigt, hätte sie wie ein schwerer Rucksack belastet. Und
Hunde hinterlassen immer auch einen unangenehmen Geruch in der
Wohnung zurück, kurz, sie bestanden bei der Anna die Prüfung nicht.
Und dass Katzen auch aufmerksame Wächter sein können, das bewies
die SISSI. Anna war sich der Tatsache bewusst, dass sie nicht mehr in
der heilen Welt der Fünfzigerjahre lebte. Seit man den freien
Personenverkehr kennt, kommt auch dubioses Gesindel ins Land,
kriminelle Elemente, die nichts anderes suchen als Geld. Und das finden
sie vorzugsweise bei alten Leuten in Einfamilienhäusern. Sie hatte
bekanntlich dafür vorgesorgt, jedes Fenster wurde mit einer
Alarmanlage versehen, auch die Kellerfenster. In der Waschküche
lagerte auch der große Kassenschrank, den noch der Hans eingemauert
hatte, dieser wog gute 300 Kilogramm! Um den wegzutragen, hätten
sie, die Einbrecher ihre liebe Mühe gehabt. Wie sie aber aus der
Sendung „XY-ungelöst“ wusste, gehen die Räuber anders vor, sie foltern
die Bewohner, bis diese sich an das Passwort des „Safes“ erinnern. Und
dem wollte sie möglichst vorbeugen, deshalb hatte sie eine
Funkalarmanlage zur Familie Hauser, und damit zur Polizei, erstellen
lassen. Um drüben einen Alarm auszulösen, sollte sie im Wohn- und
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Schlafzimmer je einen Knopf drücken. Zudem war bei ihr wenig zu
holen, dafür hatte sie vorgeplant, sie hatte so wenig wie nur möglich,
Bargeld im Haus, wenn sie einkaufen ging, bezog sie das nötige Geld
aus dem Automaten bei der Bank, oder sie zahlte mit der Bankkarte.
Den gesamten Schmuck hatte sie bei ihrer Bank deponiert, und wenn
die Diebe ihre selbst gemalten Ölgemälde klauen wollten, dann wäre
das doch eher eine kostenlose Werbung! Aber Verbrecher mögen nun
einmal ältere, allein stehende Frauen, sie sind meistens wehrlos und
haben ihre Ersparnisse oft in der Bettmatratze eingenäht.
Die drei Halunken drangen nachts über die Dachluke ein, nur diese
hatte keine Alarmanlage, dafür hatte der Gärtnermeister die lange
Leiter nicht versorgt, und sie konnten problemlos aufs Dach steigen.
SISSI schlief im Wohnzimmer, vom Dachboden führte eine Treppe
hinunter zum Korridor, die ungebetenen Besucher schlichen hinunter.
Einer blieb auf der Flur, die beiden andern machten sich daran, das
Wohnzimmer zu durchwühlen. SISSI konnte sogleich feststellen, dass da
etwas nicht in Ordnung war, sie eilte ins Schlafzimmer, die Tür war nur
angelehnt, sprang aufs Bett und miaute leise aber beunruhigt, jetzt
stellte Anna im Wohnzimmer Bewegung fest, das veranlasste sie
vorsorglich, den Alarmknopf beim Nachttisch zu drücken. Der SISSI
legte sie nahe, ruhig zu bleiben. Die Räuber konnten die Katze in der
Ferne hören, wussten aber nicht, woher die Stimme kam. Das Licht
schalteten sie nicht ein, dafür leuchteten sie mit Taschenlampen das
Wohnzimmer ab. Die Wohnwand interessierte sie besonders, sämtliche
Schubladen wurden auf den Boden gekippt, aber außer einigen Gläsern,
war nichts Wertvolles zu finden. Jetzt vernahm sie auch ein Fluchen in
einer fremden Sprache, das war nicht gut, denn die könnten ihren Frust
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an ihr auslassen. Schon oft wurden alte Leute zusammengeschlagen,
nur weil sie kein Geld oder Schmuck in der Wohnung hatten!
Im Dunkeln ging sie zur Zimmertür und verriegelte sie sorgfältig, diese
mussten die Einbrecher erst einmal aufbrechen. Und in der
Zwischenzeit sollte Polizist Hauser da sein! Dieser fluchte laut, als die
Alarmanlage bei ihm lief, er stürzte sich in seine Uniform und lief eiligst
hinüber zum Haus von Anna Baumgartner. Schon aus Distanz konnte er
Lichtscheine aus Taschenlampen im Wohnzimmer erkennen. Die
Haustür war aber von innen verschlossen, im Innern hörte er männliche
Stimmen, die konnten weder von Anna noch von SISSI stammen. Er
betätigte die Hausglocke mit der linken Hand, in der rechten Hand hielt
er seine Pistole. Die Haustür wurde natürlich nicht geöffnet, dafür ein
Fenster, und schon huschten drei Gestalten in der Dunkelheit davon.
Hauser begab sich zum Fenster und rief: „Frau Baumgartner, wo sind
sie?“
Anna antwortete hoch erfreut aus dem Schlafzimmer: „Ich bin hier im
Schlafzimmer, und alles ist in Ordnung, danke für ihre Hilfe, Herr
Hauser, es ist einfach toll, wenn man die Polizei zum Nachbarn hat.“Sie
stürzte sich in den warmen Morgenrock und öffnete die Haustür, im
Wohnzimmer herrschte eine große Unordnung, aber die Einbrecher
gingen völlig leer aus. Als Polizist Hauser weg war, erfasste es Anna erst
richtig, das Geschehen der Nacht wurde ihr bewusst und sie war
einerseits heilfroh, so gut davon gekommen zu sein, das war auch der
SISSI zu verdanken, die sie sofort weckte, aber auch der Soforthilfe von
Polizist Hauser. An Schlaf war nicht mehr zu denken, dazu war sie viel
zu aufgeregt, sorgfältig legte sie alles wieder in die Schubladen zurück,
SISSI schaute ihr dabei aufmerksam zu und folgte ihr auf jeden Schritt.
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--------------------------------Nach dem frühen Tod ihres Lebenspartners, und dem Verzicht auf die
Weltreise mit der „Queen Elisabeth“, heiratete Tochter Monika ihren
David von der Australischen Botschaft. David und Monika planten nach
Australien umzusiedeln, um dort sesshaft zu werden, die ständigen
Versetzungen von einem Land ins andere, wollte David vermeiden,
darum kündigte er seinen Job als Handelsrat bei der Regierung. David
war Elektroniker, und weil das Zeitalter der Computer anlief, gründete
er eine eigene Firma. Solange noch keine Kinder da waren, konnte auch
Monika im Geschäft mitarbeiten. Anna sah dem mit gemischten
Gefühlen entgegen, Der Traum von der eigenen Firma endete nur allzu
oft mit einer kläglichen Pleite, und dann war es meistens auch mit der
harmonischen Ehe vorbei. Doch sie wollte gar nicht erst als Ruferin aus
der Wüste auftreten, weil sie wusste, dass die jungen Leute doch
immer tun was sie wollen. Sollten sie doch durch die harte
Lebensschule klug werden, und wenn’s gut ausging, war das umso
erfreulicher. Anna war sich einig, dass jeder Mensch, also auch die
eigenen Kinder, ihr Leben selber meistern müssen, und man ihnen rein
nichts ersparen oder abnehmen kann. Es heißt landläufig, man habe
den Kindern das Leben geschenkt, und erkennt dabei beim eigenen
Nachwuchs eine Form des Weiterlebens nach dem Tod. Ob das aber als
„Geschenk“ empfunden und erkannt wird, das sei offen gelassen, zu
viele Kinder verfluchen ihre Erzeuger, weil man sie ungefragt zeugte,
oder ihre Zeugung ein „Unfall“ war. Und da der Mensch dabei nur als
„Werkzeug“ fungiert, ist es bequemer und einfacher, wenn man „Gott“
dafür verantwortlich macht. Ob man schließlich als „Wunschkind“ oder
aber als ungewolltes Kind das Licht der Welt erblickt, das heißt
befördert und gepresst wird, spielt schlussendlich keine wesentliche
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Rolle mehr. Der Lebenskampf wird keinem erspart, und der sichere Tod
auch nicht, weil jedes Leben, das einmal geboren wird, auch wieder
sterben muss. Alte Menschen leben oft und gerne in der
Vergangenheit, das war bei der Anna nicht anders, wobei sie sich am
liebsten an schöne Dinge zurück erinnerte. Wenn draußen Nebel und
Regen herrschte, und das Wetter es kaum zuließ, einen Schritt vor die
Haustür zu tun, setzte sich Anna auf das Sofa im Wohnzimmer und
legte eine klassische CD ins Abspielgerät. Beethoven, Mendelsohn,
Tschaikovsky, Brams, Mozart und viele andere Meisterwerke, die
lifteten sie in sphärische Höhen, neben ihr schlief SISSI, welche diese
Musik besonders gut mochte. Und nicht selten schliefen beide weit
über den Schluss des Konzertes hinaus weiter. Wenn SISSI vorher
erwachte, lief sie auf der Sofalehne zur Anna, und leckte sanft ihre Stirn
bis Anna erwachte. Wenn Anna vorher erwachte, streichelte sie SISSI
übers weiche Tigerfell, bis auch diese sie schläfrig und fragend
anblinzelte.
Bei beiden handelte es sich aber nicht um vorwurfsvolle Blicke, sondern
eher um Dankbarkeit und gegenseitige Fürsorge. Anna hatte sich zur
Gewohnheit gemacht, der SISSI Geschichten zu erzählen, Erlebnisse und
Vorkommnisse aus früheren Tagen, indem sie ganz einfach laut dachte.
SISSI lauschte ihr dabei stets aufmerksam zu, indem sie auf die
Lippenbewegungen der Anna fixiert war, SISSI schien dabei nicht etwa
gelangweilt, sondern tat so, als könnte sie alles verstehen. Und sie
fühlte sich dabei wohl eher wichtig, dass eine so große Person ihr
zuredete. Wenn SISSI das Gefühl hatte, sie habe nun aber lange genug
zugehört, richtete sie sich auf um ihr glänzendes Fell zu polieren,
danach stand sie auf und ging mit ein paar Sätzen zur Katzentür, um
sich im Garten umzuschauen. Es war Zeit für einen Spaziergang oder
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einem Versteckspiel mit einer Maus. Anna vertiefte sich in ihre
Kreuzworträtsel, das war eine ihrer Leidenschaften, wenn das Wetter
nicht zu einem Spaziergang in den nahen Wald einlud. Ein anderes
Hobby, vermutlich das dominierende, war die Malerei, beruflich hatte
sie stets mit Malerutensilien zu tun, das war Teil ihrer jahrelangen
Verkaufstätigkeit. Sie versuchte sich in Landschaften und Surrealismus,
aber auch in Tierportraits, so hatte sie bereits diverse Versuche hinter
sich, die SISSI so hübsch wie nur möglich auf die Leinwand zu bringen.
Doch sie zeigte etwas Mühe damit zu haben, statt einer eleganten,
hübschen Katze, entstanden einige Bilder mit böse dreinblickenden
Tigern, welche eher unbeholfen wirkten. Und selbst der SISSI schienen
die Gemälde nicht zu gefallen, nachdem sie diese lange betrachtete,
rannte sie plötzlich entsetzt weg.
Sie beteiligte sich auch an „Vernissagen“, natürlich interessierte sich im
Dorf kein Mensch an den Werken einer Anna Baumgartner, bekanntlich
gilt der Prophet im eigenen Dorf, ja sogar im eigenen Land nichts. In der
Stadt hingegen, wo die Menschen völlig vorurteilslos aufkreuzten, da
wertschätzten die Besucher ihre Werke richtig ein, und sie konnte
mehrere Gemälde verkaufen. Für niedrige Preise, aber das zählte nicht,
sie freute sich wie ein kleines Kind auf ihren Erfolg. Und auch die SISSI
wirkte erfreut, vermutlich weil die bösen „Tiger“ weg waren? Sie wollte
das mit einem Salto auf dem Sofa feiern, dieser misslang ihr aber
gründlich, und Anna sagte ihr belehrend: „SISSI, in unserem Alter macht
man keine Purzelbäume mehr, merke dir das!“ SISSI schaute sie
ungläubig an, miaute zweimal und legte sich schlafen. Das war ihre
beste Therapie nach einem solchen Frusterlebnis. Anna genoss bei
leiser Musik ihren Achtungserfolg, und bedauerte nur, dass Hans nicht
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dabei sein konnte. Die beiden ungleichen Hausbewohner waren aber
auch ein gutes Gespann, und man verstand sich bestens. Zusammen in
das nahe Wäldchen wandern, das war für die zwei ein Vergnügen,
sozusagen der Höhepunkt eines schönen Tagesablaufs. SISSI war aber
kein Hund, der schön brav auf gleicher Höhe neben dem Chef lief, nein,
sie war eine freie Katze, die ihr Tempo selber bestimmen wollte, daher
war sie einmal voraus, dann wieder hinten dran. Lauschte den
fröhlichen Vögeln auf den Bäumen, das tat die Anna auch, aber aus
einem anderen Grund. Hin und wieder rannte die SISSI auf die Wiese
um dort einen Mäusehaufen näher zu inspizieren. Die Fische im nahen
Bach interessierten sie weniger, seit sie einmal ins Wasser fiel, waren
diese für sie tabu. Dafür hatte sie einen Blick in die weite Ferne, so, als
handle es sich dabei um Neuland, das man noch erforschen musste. Es
gab aber auch Momente, da lief die SISSI schön brav neben der Anna
einher, immer dann, wenn ein Spaziergänger mit einem Hund
auftauchte. Im Wald mochte Anna besonders die mächtigen Bäume,
Tannen, Fichten, Eichen und Buchen, welche bereits seit Jahrhunderten
da standen, und unglaublich viel erlebt haben mussten! Kriege,
Aufstände, Verfolgungen, Naturkatastrophen, Epidemien wie die Pest
oder Cholera, und sie überlebten alles! Den Bäumen widmete sie ein
altes Volkslied, das sie in Begleitung ihrer Ukulele zu singen pflegte:
„Lasst uns die Bäume lieben
Die Bäume sind uns gut
In ihren grünen Trieben
strömt Gottes Lebensblut
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Einst wollt das Holz verhärten
Da hing sich Christ daran
Dass wir uns neu ernährten
Ein ewiges Blühn begann
Die einzige Zuhörerin war SISSI, die fand besonders Gefallen daran,
anscheinend wollte sie noch weitere Lieder hören, Anna erinnerte sich
oft und gerne an ein altes Volkslied, das sie in der Schulzeit sehr
mochte:
„Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindenbaum,
ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort.
Es zog in Freud und Leide zu ihm mich immerfort,
zu ihm mich immerfort.
Ich musst auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht,
da hab ich noch im Dunkeln die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle, hier find’st du deine Ruh!
Die kalten Winde bliesen mir grad ins Angesicht,
der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht.
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Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort,
und immer hör ich’s rauschen: du fändest Ruhe dort!
SISSI schaute mit klugem Blick zur Anna hinauf, und tat so, als hätte sie
alles verstanden. Danach umarmte Anna die Bäume, sie wurde mit
ihnen „EINS“, die ganze Kraft der Stämme zog sie virtuell in sich auf.
SISSI wollte nicht zurückstehen und krallte sich an den Rinden fest,
dabei schaute sie wiederum fragend zur Anna hinauf. Ihre
Kaffeekranzkolleginnen hatten dafür wenig Verständnis, sie waren
überzeugt, Anna bilde sich diese Kraftübertragung nur ein. Das störte
die Anna aber nicht, sie empfand diesen Austausch als eine
willkommene Erholung, eine Art von Mentalsprache. Anna war der
festen Überzeugung, dass man mit jedem Baum, aber auch mit jeder
Pflanze mental korrespondieren konnte. Alle Lebewesen, gleichgültig
ob Mensch, Tier oder Pflanze, ja selbst Mineralien und gewöhnliche
Steine, waren auf eine Art beseelt. Auch die Blumen im Garten, blühten
schöner, wenn sie lieb zu ihnen sprach, das konnte laut oder leise sein,
die Pflanzen konnten beide Versionen verstehen. Anna war sich
bewusst, dass rund 90% dieser Esoterik Literatur in den Müll gehörte,
die restlichen 10% waren aber durchaus einer seriösen Nachprüfung
wert. Es gab zwischen Himmel und Erde nun einmal Dinge, die sich dem
menschlichen Wissen entzogen, oder wofür das Verständnis des
Menschen überfordert wurde. Auf dem Nachhauseweg konnte es die
SISSI nicht lassen, einer Maus auf der Wiese nachzustellen. Aber die
Maus war flinker und verschwand in einem Loch, und wie immer in
solchen Situationen, war die SISSI danach schlechter Laune. Anna litt oft
mit, deshalb kaufte sie der SISI einen Leckerbissen aus dem
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Metzgerladen, den sie zu Hause in den Fressnapf legte. Danach war für
die SISSI die Welt wieder in Ordnung. Nichts war schlimmer, als wenn
eine der beiden alten Damen schlecht gelaunt oder sogar depressiv
war. Bei der Anna war das der Fall, wenn sie begann, die Sofakissen
wegzuwerfen, und bei der SISSI, indem sie nervös im Wohnzimmer, wie
ein Tiger auf und ab lief. Dass es aber beide gleichzeitig traf, das kam
sehr selten vor. War die SISSI schlechter Laune, nahm die Anna sie auf
ihre Arme und streichelte ihr sanft übers Fell. Manchmal knurrte sie
dabei, so, als wolle sie ihre schlechte Laune geltend machen, aber nach
mehreren Streicheleinheiten begann SISSI zu „Schnurren“, was
bekanntlich bei Katzen auf eine gute Stimmung schließen lässt.
Katzenschnurren soll aber eine selbst heilende Wirkung auf die Katze
ausüben. Meistens bedankte sich die SISSI mit dem Lecken des
Handrückens bei Anna. Diese Massage mit der rauen Zunge löste
jeweils gute Durchblutungsergebnisse aus, und wurde auch als Dank für
die Streicheleinheiten verstanden. Das war auch ganz im Sinne einer
harmonischen Partnerschaft von Geben und Nehmen.
Nach außen wirkte das ungleiche Paar durchaus überzeugend, und für
Anna war die SISSI auch ein Glückstreffer. Und dennoch hatten die
beiden alten Damen oft ihre kleineren und größeren Depressionen. Die
Ursachen waren jedoch grundverschieden, während die SISSI oft
schlecht gelaunt nach Hause kam, weil sie erneut keine Maus einfangen
konnte, das sie allein ihrem hohen Alter zuzuschreiben hatte, waren die
Missstimmungen bei der Anna gänzlich anderer Natur. Es war der
unausweichliche und unhaltbare Alterungsprozess, der schwer auf das
Gemüht drückte, besonders an jenen Tagen, wenn auch das Wetter
zum Heulen war! Die Feststellung, dass das Leben langsam aber sicher
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dem Ende entgegen steuerte, wurde ihr in solchen Situationen noch
direkter bewusst. Da konnten auch religiöse Fanatiker nicht trösten,
was immer ihre Theorien waren, sicher war, dass nach dem Tod der
Körper, dem man stets soviel Beachtung schenkte, zurück zur Erde
findet, der Körper wird wie verdorbenes Gemüse kompostiert. Und ob
die Seele einen Platz im Paradies oder im Nirwana erhält, das steht
bestenfalls in den Sternen. Aber weshalb sich darum den Tag vermiesen
lassen, nein, man sollte jeden Tag wie ein unbezahlbares Geschenk
feiern, und nur das Beste daraus machen. Es brachte aber keinerlei
Vorteile mit sich, wenn sie den ganzen Tag darüber nachsinnte, und
sich selbst bemitleidete, sich ärgerte und Trübsal blies, das war nur
destruktives Denken und änderte rein nichts am Schicksal. Also zog sie
es vor, wie die SISSI, sich darüber keine Sorgen zu machen, und schon
konnte sie mit dem üblichen Optimismus in den neuen Tag einsteigen.
Nicht immer war nur der Spiegel an der üblen Morgenstimmung schuld,
sehr oft waren es die Frühnachrichten im Radio, diese konnten ihre
zuvor positive Stimmung ins Negative drängen. Um dieses Übel zu
umgehen, ging sie nach der kurzen Tagesmeditation gut gelaunt in die
Küche, und statt das Radio einzustellen, sang sie ein Lied aus ihrer
Jugendzeit:
„Melodie d’amour, Serenade der Liebe
Chuchu Kolibri, Dich vergess ich nie.
Melodie d’amour, Du erfüllst mich mit Sehnen
Chuchu Kolibri, sing die Melodie
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Sing von jener Zeit, als war‘n zu zweit
Sing vom blauen Meer, wo so gern ich wär.
Kleiner Kolibri, Dich vergess ich nie.
O sing von jener Zeit, als wir waren zu zweit,
Melodie d’amour, Serenade der Liebe, chuchu Kolibri sing die Melolie.“
Ja, der Klassenlehrer hatte keine große Meinung von diesem Schlager,
er nannte die Worte „Volksverdummung“, aber das war um die
Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Doch die Melodie war
herzergreifend und wenn sie noch mit der Ukulele dazu spielte, dann
war das Nirwana vollständig. Und weil auch SISSI das Lied sehr mochte,
war für beide die Welt wieder im Lot.
Der wöchentliche „Kaffeeklatsch“, oder auch „Kaffeekränzchen“ und
„Kaffeetreff“, genannt, war für Anna ein besonders wichtiger Anlass, es
war ihr Draht zur Außenwelt, ihr soziales Umfeld! Und im Gegensatz zu
ähnlichen „Stammtischrunden“ bei den Männern, bei denen Sport, Sex
und Politik im Vordergrund stehen, und Fußball so etwas wie ein
Evangelium ist, und jeder sich als absoluter Experte aufspielt, trifft man
beim Thema Sex nur Männer an, welche unisono behaupten, sie
zählten zwar 65 und mehr Jahre, aber im Bett, ja da sind alle um die 20
Jahre alt! Nein, solche hirnlose Diskussionen kennen die Frauen nicht,
sie müssen sich zwar auch selbst beweisen, aber das tun sie auf ihre Art
und Weise.
Wollte man alle „Sitzungen“ der vergangenen zwanzig Jahre
aufzeichnen, ergäbe es ein sehr umfangreiches Buch, wir begnügen uns
daher, einige Treffs zu zitieren, respektive Auszüge davon.
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Im Alter haben beide Geschlechter das Bedürfnis, Erlebnisse aus ihrer
Jugendzeit preis zu geben, in dieser Beziehung unterscheiden sie sich
nicht. Das lenkt vom Alter ab, motiviert und wirkt wie eine
Vitaminspritze. Dabei tendieren die Frauen mehr dazu, Dinge
preiszugeben, welche sie bislang für sich behielten, und oft nicht einmal
ihren Ehegatten anvertrauten. Anna setzte sogar einen solchen
Nachmittag an, an welchem jede der drei Frauen, je ein persönliches
Erlebnis aus der Jugendzeit, das sie bisher noch nie jemanden
erzählten, zum Besten gaben. Damit sollte ein gewisser Ausgleich
stattfinden, und keine von ihnen eine allzu schlechte Figur dabei
machen. Bei den Männern wäre das zum Beispiel ein erotischer
Misserfolg in jungen Jahren, bei dem sie statt einem Beischlaf, lediglich
eine Ohrfeige kassierten, das erzählt natürlich keiner weiter. Frauen
bezeugen damit weniger Probleme, sie müssen ja auch nicht mit der
leidigen Potenz kämpfen. Erst im hohen Alter, wenn solche Lappalien
zur Bedeutungslosigkeit werden, spricht man mehr oder weniger
gelassen und frei darüber.
Maria hatte lange Zeit ein Geheimnis, das sie nie jemanden erzählte,
und ein ganzes Leben lang für sich behielt, nicht einmal ihrem Ehemann
getraute sie sich an. Dabei war das doch eine völlig harmlose
Angelegenheit! Hier, im Kreis von aufgeschlossenen Kolleginnen,
entschwanden ihre Hemmungen wie Seifenblasen und sie erklärte
freimütig: „Ihr könnt es glauben oder nicht, aber in meiner Pubertät
pflegte ich regelmäßig und intensiv zu onanieren, ich rieb meine Klitoris
solange, bis sich das „Gute Gefühl“ einstellte, das geschah meistens vor
dem Einschlafen, danach konnte ich herrlich schlafen. Einmal hörte
meine Mutter die „Lustschreie“ und sie rannte in mein Zimmer hinauf,
fragte aufgeregt, ob mir nicht wohl sei, da sagte ich kurz entschlossen:
61
„Doch, doch, ich musste nur wegen einem lustigen Satz im Buch laut
lachen“, sie schaute auf den Buchtitel auf dem Nachttisch und meinte:
„ich wusste gar nicht, dass die Gebrüder Grimm so lustig schrieben!“
und sie wollte das Buch auch lesen. Ich schämte mich über meine
Notlüge überhaupt nicht!“
Anna und Adelheid hatten nur hinzu zu fügen, dass auch sie damals ab
und zu solchen Praktiken griffen, ohne aber dabei viel darüber
nachzudenken, es ergab sich einfach so, und die Mädchen wurden auch
nie diesbezüglich bedroht, wie das bei den Knaben der Fall war. Denen
machte man die „Hölle heiß“, Onanie führe zu Geisteskrankheiten,
bringe schlechte Schulnoten und hemme das Wachstum, ja, manche
Besserwisser behaupteten sogar, das Sperma, das man dabei verliere,
komme direkt aus der Hirnmasse!
Jetzt war die Adelheid an der Reihe: „Ja, wenn ich das mit den heutigen
Auslegungen und Maßstäben vergleiche, wurde ich mit 14 Jahren
richtiggehend vergewaltigt, aber damals hieß das noch anders, und galt
als Beweis, dass man ins Erwachsenenalter kam. Unser Nachbar, ein
Landwirt, beschäftigte einen Knecht, ein junger Bursche von etwa 20
Jahren. Der hatte nur Augen für mich, machte immer direkte
Anspiellungen etwa wie: „ein Mädchen, das derart gut gebaut ist, sollte
ihren Körper nicht vernachlässigen, sondern den biologischen
Bedürfnissen anpassen“. Einerseits fühlte ich mich damit als Frau
bestätigt, andererseits wurde mir aber, allein schon beim Gedanken,
was da der Kerl vorhatte, beinahe übel. Einmal müsse es ja doch
passieren, meinte er, und dazu gäbe es keinen mehr geeigneten Mann
im Dorf, er, der Maximilian, verfüge über Schutzmittel, wie Kondome,
was die andern kaum aufweisen konnten. Ich wurde neugierig, ließ mir
aber Zeit, der war doch nur Knecht, und das war nichts für eine längere
62
Beziehung, aber ein kleines Abenteuer, warum nicht? In den
Schulferien half ich oft beim Landwirt aus, und da geschah es einmal im
Heuschober. Max und ich hatten eben den letzten Heuballen
abgeladen, wir waren weit und breit alleine, und schon schob er mich
aufs Heu! Ich wollte schreien, aber er legte mir seine Hand auf den
Mund, riss meine Höschen herunter und schon spürte ich einen harten
Gegenstand zwischen den Beinen. Wie eine wilde Bestie begann er hin
und her zu reiben, ich verspürte leichte Schmerzen in der Vagina, und
schon hörte ich ihn unterdrückt aufschreien. Max stand eilig auf und
entfernte den vollen Kondom von seinem Penis, und sagte mit ernster
Stimme: „Dass Du aber nichts weiter erzählst, sonst hast Du ein
Problem“. Ich realisierte aber kaum, was er mit mir gemacht hatte,
zudem geschah das auf eine völlig unromantische Art. Das war weder
romantisch noch sonst wie interessant, wie das in den Liebesromanen
so schön erzählt wird. Es blieb für lange Zeit mein einziger Kontakt zu
einem Mann, und den Max sah ich nie wieder, er zog es vor, sein Zelt
abzubrechen und zu verschwinden.“
Jetzt war die Anna dran: “Bei mir war es nur Frust, mit 16 besuchte ich
die Berufsschule in der Stadt. Meistens fuhr ich mit dem Fahrrad zur
Schule, am Dorfausgang befand sich eine Autowerkstatt, diese wurde
von drei Brüdern geführt, der mittlere von ihnen, der Willy, hatte ein
Auge auf mich, mir war er jedoch zu grob und zu bullig, dazu noch leicht
primitiv in seinem Benehmen. Einmal, als mein Fahrrad außer Betrieb
war, fuhr ich mit dem Postauto zur Schule. Auf dem Rückweg, wartete
ich an der Haltstelle in der Vorstadt, da hält ein Auto nebenan, und wer
sitzt am Steuer? Der leibhaftige Willy von der Autowerkstatt!
Er will mich nach Hause fahren, erst sträube ich mich dagegen,
andererseits war er kein Unbekannter, und es hieß doch immer, man
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solle nie in die Autos von unbekannten Leuten einsteigen! Der Willy
aber, war sozusagen ein Nachbar, also wagte ich es trotz meinen
Vorbehalten, sollte er gewalttätig werden, würde das im Dorf bekannt,
und er hätte ein großes Problem! Zudem handelte es sich nur um eine
kurze Strecke. Ich wagte es somit, stieg ein und saß dabei neben dem
Willy. Dieser grinste mich mit glänzenden Augen an, dann steuerte er
auf einen Feldweg zu. Die Tage waren kurz und die Dämmerung begann
bereits hereinzubrechen! Ich sagte zum Willy: „Was soll das, fahr mich
sofort nach Hause!“
Aber er lachte nur blöde, schwafelte etwas von einer großen Liebe und
begann mit der Hand meine Oberschenkel zu massieren. Ich schlug ihn
mit der Hand, aber das machte ihn nur noch geiler, dann versuchte er,
mit Gewallt meine Höschen runter zu reißen, dabei kratzte er mich im
Intimbereich und ich schrie laut auf, da hielt er einen Augenblick inne,
ich nutzte diesen Unterbruch, um eiligst aus dem Wagen zu hechten.
Bis er den Wagen gewendet hatte, war ich bereits auf der Strasse und
erreichte die ersten Häuser des Dorfes. Ich war in Sicherheit. Niemand
erfuhr jeweils etwas über diesen Zwischenfall, auch nicht mein späterer
Mann. Und der Willy war heilfroh, dass ich ihn nicht anzeigte.“
Anna war in Erzählstimmung gekommen: „Wenn wir schon im
erotischen Bereich sind, hier noch ein Erlebnis aus Paris. Einmal, als
Monika sich während zweier Wochen in einem Ferienlager aufhielt,
beschlossen Hans und ich, uns einmal eine Reise nach Paris zu gönnen.
Hans mochte besonders das „Quartier Latin“ die vielen
Buchhandlungen, kleine Restaurants, Antiquitätenläden und die
Stimmung in diesem Stadtteil. Da ihr alle auch schon in Paris wart, will
ich mich kurz fassen, das „Moulin Rouge“ kennt ihr sicher auch, nun ja,
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das haben wir natürlich auch sehen müssen. Was wir aber in dessen
Nähe sahen, in der „Manege“ oder ähnlich, das war einzigartig! Eine
„Life Sex Show“ vom Feinsten, mit den Beischlafstellungen aller
Nationen, und am Schluss der reinste Wahnsinn, ich sage euch das war
echt „Sodom und Gomorrha“, ein schwarzer Bulle mit einem Stück, das
jeden Hengst in Minderwertigkeitskomplexe versetzt hätte, sicher
gegen einem halben Meter lang, und die Partnerin eine echte
Französin, nein, das konnte doch nicht sein. Anatomisch ein Ding der
Unmöglichkeit, Hans war der Ansicht, das ginge nur, wenn die Frau alles
herausoperiert habe, oder das Ganze wäre eine Irreführung, und weil
nur von der Seite her sichtbar, eine Sinnestäuschung gewesen. Wir
waren uns aber einig, dass das Riesending des Schwarzen echt war, und
Hans sagte leicht frustriert, “Du musst dich halt mit einem Minibonsai,
begnügen“. Diese „Life-Show“ wird seit Jahren täglich gezeigt, und ist
fast immer voll ausgebucht.“
Nach Annas Vortrag ging eine rege Diskussion weiter, und diese drehte
sich ausschließlich um extreme Erotik.
Danach wollte Anna das Gespräch im Niveau etwas verbessern, es gab
keine Erklärungen, weshalb nicht alle Männer gleich groß bestückt
waren, die Sieger sind immer die Afrikaner, ihnen folgen die Europäer
mit zwei Zentimeter Abstand und schließlich die Asiaten mit nochmals 2
Zentimeter weniger. Aber nun kam Anna zu einem anderen Thema,
welches sich mit dem Wert eines jeden Menschen beschäftigte: „Laut
kapitalistischen Denkmustern, hat eine Art, die milliardenfach
vorkommt, weniger Wert, als etwas, das seltenheitswert aufweist.
Beispiel: Steine existieren im Überfluss, und weisen keinen oder wenig
an Wert auf, Gold und Edelmetalle hingegen, sind rar und wertvoll.
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Bei den Menschen gilt dieses Prinzip aber nicht, Angehörige von
Ministaaten sind kaum wertvoller, als jene von Milliardenstaaten.
Aussterbende Naturvölker werden oft nicht einmal als gleichwertig
genommen, obwohl sie nur wenige Leute zählen!“
Aber Annas Denkanstöße ernteten keinerlei Echo, das Thema war
ihnen zu kompliziert, dafür wollte die Maria lieber nochmals mit einer
erotischen Erzählung aus ihrer Jugendzeit aufkreuzen: „Damals, im
Konfirmandenlager im Oberland am Blausee, drei volle Tage durften wir
in den Ferienhäusern der Dorfgenossenschaft verbringen. Wir waren
alle im Alter von 14 bis 16 Jahren, und das Lager sollte uns etwas näher
bringen, spirituell natürlich. Knaben und Mädchen waren streng
getrennt, und die beiden Pfarrer, die uns begleiteten, fühlten sich als
Sittenwächter zuständig, uns vor möglichen Entgleisungen zu schützen.
Und sowohl bei den Knaben wie auch bei den Mädchen, gab es
zusätzlich noch diese selbsternannten „Aufseher“! Mädchen und
Knaben aus besonders frommen Familien, denen eine keusche Heirat
zur Lebensqualität gehörte. Abends um 22 Uhr war Lichterlöschen, und
die Herren Pfarrer waren dafür höchstpersönlich zuständig. Es war
daher für einen Knaben absolut unmöglich, sich ungesehen ins
Mädchenhaus einzuschleichen. Tagsüber durften wir aber zusammen
ausgehen, kleine Wanderungen unternehmen, oder mit einem
Ruderboot auf dem See fahren. Und am zweiten Tag, traf ich den
blonden Peter, von dem es hieß, er habe bereits Erfahrungen mit
Frauen, und der sich gerne als Herzensbrecher aufspielte. Peter fragte
mich ganz direkt: „Kommst du mit mir auf dem See rudern?“ Ich konnte
gar nicht anders als mit „JA“ antworten. Das Wetter war gut und es
herrschte Windesstille, zudem fuhren bereits ein paar Boote auf dem
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See umher, die meisten waren von unserer Klasse. Pfarrer Rosegger
überwachte dabei den See mit seinem Fernglas. Er hatte es besonders
auf jene Boote abgesehen, wo Mädchen und Knaben drin waren,
sobald er feststellte, dass sich ein Pärchen im Boot langlegte, betätigte
er sein Alarmhorn. Weil er befürchten musste, da könnte etwas
„Unanständiges“ geschehen.
Peter und ich ruderten deshalb bis zum anderen Ufer, dort waren
Büsche im See und dahinter konnte man das Boot gut verstecken.
Weil ein anderes Boot hinter uns nachfuhr, legten wir hinter den
Büschen an und gingen an Land. Peter schlug vor, hinten in einen
Ziegenstall zu verschwinden, sollte das jemand sehen, wäre von einer
Notdurft die Rede gewesen. Der Stall war leer, roch jedoch stark nach
Ziegenkot, Peter faselte nicht lange und warf mich einfach aufs Stroh.
Ich bemerkte, dass er sehr aufgeregt war, das war ich natürlich auch,
und so sagte ich ihm: „ Aber Peter, nur etwas schmusen, mehr nicht!“
Dieser nickte und begann meine Oberschenkel zu massieren, als er
dann seinen erigierten Schwengel auspacken wollte, ergriff mich Panik
und ich rannte aus dem Ziegenstall. Wortlos ruderten wir zurück und
kein Mensch bemerkte etwas von unserer Ausfahrt. Das heißt doch,
wir rochen wie die Ziegenböcke! Wir hatten aber eine plausible
Erklärung, unser Ruderboot stank nach Ziegenkot. Damit war auch
dieser Fall zufrieden stellend erledigt. Zudem war ja nichts
„Verbotenes“ geschehen. Später soll aber der Peter von einem
Abenteuer im Klassenlager erzählt haben, jedoch ohne meinen Namen
zu nennen, und seine Geschichte hörte sich völlig anders an. Mir war
nun klar geworden, dass alle seine Abenteuergeschichten, die er gerne
67
preisgab, nur Wunschdenken war! Pfarrer Meier hatte eine Gitarre
mitgebracht, am Abend trafen wir uns nach dem Abendessen im
Esszimmer und die beiden Pfarrer erzählten uns von Wundern aus der
Bibel
und noch weit mehr. Es war draußen schon etwas kühl, aber die
romantischen Teilnehmer unter uns, zogen eine Jacke über und
begaben sich auf die Veranda, direkt am See.
Jetzt wurden die neuesten Schlagerlieder angestimmt, im Hintergrund
der stille Mond, welcher auf dem See einen leichten Schein hinterließ.
Es herrschte eine unglaubliche Stimmung, besonders dann, wenn wir
das Lied „BLAUE NACHT AM HAFEN“ summten. Den Text kenne ich
heute noch immer auswendig:
„Blaue Nacht, o blaue Nacht am Hafen,
in der Ferne rauschen Meer und Wind,
und die Schiffe liegen still und schlafen,
die von weit, weit her gekommen sind.
Doch im Zwielicht einer Bootslaterne
Stehen zwei und finden nicht nach haus.
Und sie flüstert: Liebster, ach wie gerne
Führ ich morgen mit aufs Meer hinaus.
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Aber alles, was er mit auf See nahm.
War die Hoffnung auf ein Wieder sehn,
und als er nach einem Jahr zurück kam,
sah er wartend sie am Hafen stehn.
Und er nahm sie zärtlich in die Arme,
und sie sahn einander fragend an,
doch sie wussten: Herzen, die sich lieben
trennen Grenzen nicht und Ozean.“
Ja, liebe Kolleginnen, das war einmal, und was ist heute?
Es war doch eine bessere Zeit!“
Damit schloss Maria ihre Geschichte von damals. Und Tränen kollerten
ihr über die Wangen. War es nur die Geschichte an sich, oder vielmehr
die Tatsache, dass sie jetzt alt und runzelig im Gesicht war? Aber das
Leben ist unbarmherzig, es gibt keine Umkehr, und der Tag der
Wahrheit kommt für alle, immer nach dem Leitsatz: „Du hast keine
Chance, also nutze sie!“ Deshalb war es ratsam, den Lebenswillen nicht
zu verlieren, und jeden Tag wie ein unzahlbares Geschenk entgegen zu
nehmen, und daraus das Beste zu machen, soweit das möglich war.
Darin waren sich die Damen vom Kaffeeclub durchaus einig, sie saßen
doch alle im gleichen Boot, eines, das keine Rückkehr kannte. Das
wiederum wirkte beruhigend, obwohl man sich bewusst war, dass man
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den allerletzten Weg ganz alleine antreten musste, fühlte man sich im
Boot der letzten Hoffnung etwas geborgener, zumindest wirkte sich
diese Tatsache beruhigend aufs Gemüt und die Stimmung aus. Anna
war diesbezüglich der „Sonnenschein“ in der Gruppe, sie verstand es
immer, Melancholie ins Positive umzustimmen: „Was bringt es uns,
wenn wir jeden Tag Trübsal blasen, uns wegen der hoffnungslosen
Zukunft ängstigen oder sogar fürchten, der Tod ist gnädig und erlöst
viele von uns von den Schmerzen, von einer Welt, die nicht humaner
wird, sondern laufend brutaler, von Wirtschaftssystemen, denen
Mensch und Tier nur Manipuliermaße ist. Wo die Würde des Menschen
mit Füßen getreten wird, wo Anstand und Ehrlichkeit Fremdwörter
sind.“ Anna sparte nicht mit Worten, sie prangerte besonders die
kriminellen Züge der Galgenvögel in der Politik und Wirtschaft an.
Eine große Mitschuld daran trugen auch die Medien bei, welche
Wirtschaftskriminelle hochleben ließen, und Politiker unterstützten,
die wegen ihren leeren Versprechen eigentlich in den Knast gehörten.
Aber es gab auch Augenblicke, da musste selbst sie vor den ewigen
Negativmeldungen kapitulieren: „Kriege, Wirtschaftskrisen,
Arbeitslosigkeit, Amokläufe, Umweltkatastrophen und ähnliche
Horrormeldungen, ja, man hatte oft den Eindruck, dass positive
Informationen gar nicht erst erwünscht waren, die Medien lebten viel
besser mit den Horrormeldungen, besonders in den frühen
Morgenstunden konnten solche Informationen auf die vorerst gute
Stimmung der Anna drücken. Und es mag befremdend klingen, die
schlechte Laune übertrug sich auch auf die SISSI! Anna regte sich auf,
wenn sie in den Medien vernahm, in Afrika verhungerten jährlich viele
70
Hunderttausend Kinder, und Millionen seien unterernährt. Und der
Grund dafür sei die elende Korruption der Regierenden! Die
landwirtschaftliche Misswirtschaft, der Mangel an Aufklärung und die
planlose Kinderproduktion! Und was konnte sie, die Anna, dagegen tun,
herzlich wenig, sie zahlte jeweils einen Betrag an den Verein „Brot für
Brüder“, und in Bolivien hatte sie eine Patenschaft für ein Mädchen
übernommen, diesem ermöglichte sie damit ein Arztstudium an der
Universität von La Paz. An Tagen der Niedergeschlagenheit, mied Anna
die Nachrichten am Abend, damit ihr nicht auch noch die Nacht
vermasselt wurde. Oft waren es aber auch nicht die Medien, welche bei
ihr für schlechte Stimmung sorgten. Es genügte bereits, wenn eine
Verkäuferin frech mit ihr umging, oder ein Autofahrer sie beim
vorbeirasen mit Wasser bespritzte. Kam sie aber gut gelaunt vom
Einkaufen zurück, konnten nur noch die SISSI oder Postbote den Tag
vermiesen. Wenn Anna aber ihre eher seltenen Depressionen, mit
jenen von anderen alten Frauen verglich, lagen diese bei ihr im „MiniBonsai-Bereich“. Dass dies so war, verdankte sie diversen Umständen,
da war erst einmal die SISSI, die sie nicht mehr missen mochte, aber
auch ihre verschiedenen Hobby, wie die Malerei, Kreuzworträtsel, das
Wandern und natürlich die wöchentlichen Treffs im Kaffeeclub, all das
brachte Abwechslung und half mit, die oft langen Tage und Nächte gut
zu meistern. Im musischen Bereich standen klassische Musik und gute
Literatur, im Vordergrund. Die schönen alten Schlagerlieder spielte sie
gerne mit Ukulele Begleitung. Und wenn sie einmal Lust verspürte, mit
einem menschlichen Wesen zu sprechen, von welchem sie – im
Gegensatz zur SISSI – ab und zu auch eine Antwort erhalten konnte,
dann rief sie ihrer Schwester an. Das tat sie aber eher selten, weil sie
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dann alle Sorgen und Klagen einer frustrierten Schwester abhorchen
musste, die zudem noch an Selbstmitleid litt!
Jede Altersstufe kennt ihre Vor- und Nachteile, die ersten 20 Jahre
gehen auf das Konto Ausbildung, sowie Vorbereitung auf den
Lebenskampf. Dann folgt die produktive Phase der Arbeitswelt, aber
auch jene der Fortpflanzung und der Konsolidierung.
Und ab dem 60. Lebensjahr kommt der dritte und letzte
Lebensabschnitt, von dem die Leute sehr unterschiedliche
Vorstellungen mitbringen. Für die einen ist es der schönste Abschnitt,
der wohlverdiente Ruhestand, auf den sich viele jahrelang kindisch
freuen. Und wenn sie am Ziel angekommen sind, wissen sie nicht wie
damit umgehen, saufen sich zu tode oder vegetieren trostlos dahin.
Für manche, die es versäumt haben, für ihren Ruhestand vorzusorgen,
etwa die Freischaffenden und die Künstler, bedeutet das oft die Hölle,
ihre Renten sind zuviel zum Sterben, aber zuwenig zum Leben. Sie
fühlen sich von der Gesellschaft ausgestoßen und diskriminiert. Und
wer das Glück hat, in einem sozial hoch entwickelten Land zu leben,
kann in der Regel auf Ergänzungsleistungen des Staates zurückgreifen.
Männern bereitet der Alterungsprozess mehr Mühe als den Frauen, sie
können sich nur schlecht damit abfinden, dass ihre Potenz und ihr
Leistungsvermögen, nicht mehr dem eines Zwanzigjährigen entspricht!
Das hat aber auch mit einer guten Portion an Dummheit zu tun, sowie
einem abartigen Denkmuster. Mit dem Tag der Pensionierung, fallen
viele Rentner in ein tiefes Loch, aus dem sie oft nicht mehr
herauskommen. Sie fühlen sich nutzlos, und eine solche Person hat
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kaum noch eine Daseinsberechtigung. Das führt zwangsläufig zum
Alkoholkonsum, und damit zu einem raschen Ende, was die Sozialwerke
sehr begrüßen, das hilft die Kassen sanieren.
Der plötzliche Verlust eines Lebenspartners, wie das Anna und ihre
Mitkolleginnen erleben mussten, kann oft zu sehr schweren
Depressionen führen. Und wer in solchen Situationen kein Geld hat,
darf sich „elend einsam“ nennen, kaum ein Mensch wird sich seiner
erbarmen und annehmen. Anna war diesbezüglich gut gepolstert, sie
erhielt seit ihrem 62. Altersjahr eine staatliche Altersrente, und darüber
hinaus auch noch eine ordentliche Pension, die ihr Arbeitgeber
gewährte. Und nicht genug, erhielt sie noch eine Witwenrente aus der
Vorsorgekasse ihres verstorbenen Mannes. Sie konnte sich daher ein
komfortables Leben leisten, und auch großzügige Zuwendungen an
wohltätige und gemeinnützige Organisationen leisten. Das erleichtert
das Gewissen, man kann ja nie wissen, ob es ein Jenseits nach dem Tod
gibt, und man für diese Liebesgaben einen besseren Platz im Paradies
zugewiesen erhält. Oder sollte etwas an der Reinkarnationslehre dran
sein, dann wollte sie schon lieber in Mitteleuropa, in eine gute Familie
geboren werden, als etwa in einer Lehmhütte in der Sahelzone.
Aber das war natürlich unchristliches und egoistisches Denken.
Nein, es war wohl klüger, keinen derartigen Gedanken nachzusinnen, es
genügte bereits, wenn sie jeden Morgen im Spiegel feststellen musste,
dass sie wieder älter aussah als am Vortag, und das Schlimme daran
war, dass es keine Flucht daraus gab. Sie war dem Alterungsprozess
erbarmungslos ausgeliefert. Ein biologischer Vorgang, dem niemand
entgehen konnte, auch nicht die SISSI. Letztere wies schon lange grau
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melierte Haare um den Hals auf, es stand ihr aber gut. Als Katze hatte
sie den Vorteil, keine Runzeln im Gesicht aufzuweisen, aber sonst
waren sie zwei alte Damen mit schlohweißen Haaren. Da war sie jetzt
angelangt, die einst hübsche junge Anna, mit einem Allwettergesicht,
von Sonne, Wind und Regen und Flecken gezeichnet. Das veranlasste
kürzlich zwei ungezogene und freche Mädchen in der Stadt zur wenig
schmeichelhaften Aussage: „Siehst du dort das laufende
Friedhofgemüse“. Da musste Anna schon zweimal leer schlucken, und
sich die Frage stellen, ob diese unverschämten Girls die Ausnahme von
der bekannten Regel bildeten, wo blieb da der Respekt vor dem alter?
Musste man sich als betagte Person so etwas gefallen lassen, in einer
Zeit, da man für die Aussage „Neger“ bestraft werden kann?
Anna erinnerte sich an ihre Jugendjahre, ja, man machte sich auch
Gedanken, wenn eine uralte Frau gebeugt am Stock erschien, aber man
hätte sie deshalb nie angepöbelt. Aber Anna beruhigte sich schon bald
wieder, weil ihr in der Straßenbahn, ebenfalls ein junges Mädchen den
Sitzplatz überließ! Damit war der schlechte Eindruck über die heutige
Jugend wieder im Lot. Kluge Jugendliche sind sich bewusst, dass auch
sie vermutlich einmal alt werden, und das geht oft viel schneller voran,
als man denkt. Das Leben läuft ab wie eine Sanduhr, es gibt kein Zurück,
und nur einen kleinen Unterschied, die Jungen können alt werden, die
alten aber nicht mehr jung. In jungen Jahren lebt man aber so, als wäre
man auf ewige Zeiten jung, nur die andern werden älter. Und die
Jungen vergessen ebenfalls, dass man auch jung sterben kann, was
jeweils mit noch tieferer Trauer der Verbliebenen endet. Stirbt aber
eine Person im 95. Altersjahr, dann erscheint das vielen oft wie eine
Gnade oder Erlösung von einem völlig verbrauchten Körper.
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Damals, als ihre Freundin Eliane, mit einem wunderhübschen Gesicht,
blonden langen Haaren und einem makellosen Körper, der an eine
Filmdiva erinnerte, im zarten Alter von nur 16 ½ Jahren, von einem
Sittenstrolch vergewaltigt und erdrosselt wurde, da flossen die Tränen
wie kleine Gewässer anlässlich der Bestattung. Es war einfach
unvorstellbar, dass ein so junges Geschöpf nicht mehr war! Anna sah
die in Weiß gekleidete Eliane im Sarg, und sie sah aus wie ein Engel.
Genau so hatte sie sich einen Engel vorgestellt, verständlich, dass
derartige Bilder ein ganzes Leben lang haften bleiben.
Bis zu ihrem 75. Lebensjahr, unternahm Anna noch lange
Wanderungen, und konnte auch die nötigen Arbeiten in Haus und
Garten verrichten. Natürlich fühlten sich die Werkzeuge Jahr um Jahr
schwerer an, und die Müdigkeit stellte sich immer früher ein, und Anna
musste immer mehr Pausen einlegen. Aber sie war deshalb nicht etwa
krank, es war einzig der Alterungsprozess, welcher ihr zu schaffen
machte. Es fiel ihr nicht leicht, sich damit abzufinden, aber auch da
hatte sie keine Wahl. Sie besuchte auch einen Abendvortag, der sich
mit dem Thema „Altersdepressionen“ befasste. Darunter versteht man
auch häufig wiederkehrende Emotionen und Gefühle von Lustlosigkeit,
Langeweile und Leere! Wenn diese sporadisch auftreten und wieder
verschwinden, dann ist das Teil des Alterungsprozesses, bleibt das aber
ein Dauerzustand, dann ist die Schwelle zur Krankheit erreicht und
fachmännische Beratung empfohlen! Das ist klar, weil immer mehr
Therapeuten ausgebildet werden, und diese rufen nach Beschäftigung.
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Lebensunlust, Trübsal, ständige Müdigkeit, Schlafstörungen,
Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, sind weitere Merkmale. Auch der
Wunsch nach Einsamkeit gehört im weiteren Sinne dazu.
Für Anna waren auch diese Symptome nicht gänzlich fremd, weil diese
aber nur sporadisch auftauchten, und im Alter durchaus zur Normalität
zählten, sah sie sich nicht als von einer Altersdepression betroffen. Und
das Wetter spielte dabei auch eine wichtige Rolle, Morgennebel und
Rieselregen, das war nicht einmal für junge Leute ein Aufsteller!
Als sie aber noch im Erwerbsleben stand, konnte man ins gut geheizte
Büro flüchten, und das unfreundliche Wetter war bereits vergessen.
Die alten Leute, die müssen aber den ganzen Tag mit diesem
Scheißwetter auskommen! Trostlosigkeit wo immer man hinschaut
oder hört: sei es am Morgen in den Spiegel, oder bei den Nachrichten,
wo man in nur fünf Minuten vernehmen muss, dass die Altersrenten
nicht sicher sind, dass aber der CEO von XYZ, Millionen an Bonis
kassiere, und um die Firma zu sanieren noch dazu eine Anzahl
Mitarbeiter entlassen wolle. Da kommen seltsame Gedanken auf, man
denkt an die französische Revolution und möchte diese Verbrecher
unter der famosen Guillotine sehen. Aber vielleicht gibt es doch eine
Hölle, und diese Unmenschen werden dort ihre gerechte Strafe
erhalten? Anna mochte den Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht zu
sehr nachsinnen, sie war sich sicher, dass das nur zu Depressionen
führen kann. Der Mensch hat im praktischen Christentum völlig versagt,
aber auch beim Versuch, den Kommunismus zu leben, ein Ding der
Unmöglichkeit, wenn jeder den anderen übervorteilen will! Und auf die
Frage, weshalb der Mensch so ist und nicht anders, erhielt sie nie eine
Antwort. Das Raubtier im Menschen wurde nie besiegt, es wurde
76
lediglich von humanitären Vorstellungen bei wenigen Leuten veredelt,
aber das Urtier blieb!
Tiere kann man in ihrer Gefährlichkeit beurteilen und einschätzen, den
Menschen nicht, dieser bleibt unberechenbar. Wenn Anna über diese
Tatsachen nachsinnte, wollte sie keinen anderen Menschen begegnen,
nicht einmal der Familie Hauser, sie war heilfroh, nur mit der SISSI
zusammen zu sein, bei ihr wusste sie, woran sie war.
Und nicht selten kam eine leise Hoffnung in ihr hoch, es wäre herrlich,
jetzt einfach auf dem Sofa einzuschlafen und nie mehr zu erwachen.
Dann war alles vorbei, und einmal musste ja der Tag kommen, an dem
sie diese Reise anzutreten hatte. Es gibt verschiedene Methoden
solchen negativen Gedanken zu begegnen, fromme Leute gehen zum
Pfarrer und suchen bei ihm tröstende Worte, Männer treffen sich im
Park oder am Stammtisch und beklagen ihre Sorgen. Andere sitzen auf
den Bänken herum und schauen den Leuten nach, besonders jungen
Frauen. Und völlig verzweifelte können eine Telefonnummer anwählen,
und dort ihren Frust auspacken, am andern Ende lauscht eine
Fachperson mit eisernen Nerven und viel Geduld.
Anna hatte da andere Wege, sie legte eine klassische CD auf und ließ
sich in den siebten Himmel liften, das wirkte wundersam.
Wenn aber noch Erinnerungen an ihre längst verstorbene Mutter
dazukamen, dann hatte sie ein Schnulzenlied von einem gewissen V.T.
Auflegen:
„Silberfäden zart durchziehen
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Meiner Mutter weiches Haar
Silberfäden heute zieren
Ihr das Haupt so wunderbar
Schenkt sie mir doch all ihr Leben
Ist die beste Mutter mir
Alles was sie mir gegeben
Bleibt des Herzens gold’ner Zier
Silberfäden mir bedeuten
Mehr als Silber zum Geschenk
Silberfäden mir heut deuten
Wie viel Jahr sie mich gelenkt
All die Jahre schnell entfliehen
Voller Leid und voller Glück
doch ihr Herz ist jung geblieben
immer zart und lieb ihr Blick
Glänzt ihr Haar im Silberschimmer
Ist ihr Herz doch nur aus Gold
Und so bleibt sie mir für immer
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Meine Mutter zart und hold“
Ihre Mutter Magdalena, pflegte das Lied zu summen, und die Melodie
konnte sie nie vergessen. Aber in solchen Situationen war sie das
reinste Lebenselixier für das Gemüt. Ein altes Schnulzenlied konnte
wahre Wunder bewirken, Depressionen und Lebensmüdigkeit zum
verschwinden bringen, und das heulende Elend mit einem
Sonnenschein ersetzen. Auf tröstende Worte von Seiten der Leute
konnte sie gut verzichten, die saßen ja alle im gleichen Boot, einer
Fähre, die dem Untergang zusteuerte. Was sollten die mit ihren
Sprüchen schon ausrichten können. Die freute es besonders, wenn es
dem andern noch schlechter erging als ihnen. Es waren immer kleine
unscheinbare Dinge, welche zu einem Aufsteller führten, keine
Millionen und materielles Zeug! Ein singender Vogel im Garten,
herrlich blühende Sträucher, duftende Tannen im Wald, eine
Wanderung bei Sonnenschein, keine Jogger die einem über den Haufen
rannten, ein Buch, das mit einem „Happy End“ schließt, und vieles
mehr. Wenn die Wettervorhersage und die Nachrichten, für einmal
keine Negativmeldungen enthielten, was eher eine Ausnahme war,
dann sorgten sicher dumme Mitmenschen für Missstimmung und
Ärger. Es war bedeutend einfacher, in depressive Gedanken zu
versinken, als in eine gute Laune. Dabei wirkte das menschliche
Intellekt eher destruktiv, und die Ignoranz oder die Unkenntnis der
Tiere eher als positiver Faktor. Jedes Mal, wenn Anna auf den Friedhof
pilgerte, wurde ihr voll bewusst, wo ihr Dasein einmal enden wird.
Und daran konnte nicht gerüttelt und gezweifelt werden, es gab keinen
anderen Weg! Unbekannt blieb aber der Zeitpunkt, und das war wohl
79
von Vorteil, nur die zum Tod verurteilten Leute können ihre noch
verbleibenden Stunden erkennen, es ist oft erstaunlich, wie diese damit
umgehen können. Sie wissen, es ist aus, aber sie nehmen das in einer
Art von Trancezustand wahr. Manch einer steigt mit einer
unglaublichen Gelassenheit auf den elektrischen Stuhl, andere wehren
sich verzweifelt. Anna stellte sich auch die Frage, wie es wäre, wenn
man ewig leben würde? Und obwohl sie mit ihrer Situation durchaus
zufrieden war, empfand sie diese Möglichkeit ebenfalls als unerträglich.
Aber ein Alter von 120 Jahren, ja das wäre schon noch erstrebenswert
für sie, obwohl in ihrem derzeitigen Leben, ein Tag wie der Nächste
verlief. Heimlich ängstigten sie aber die vielen Geiseln der Menschen,
welche von einem Tag auf den anderen auftreten konnten. Und das war
nicht nur Krebs, sondern auch Demenz, Alzheimer und ähnliches
Teufelszeug. Sie erinnerte sich dabei an eine Schulkollegin, die Frau
Holzinger, sie wies bereits im Alter von 62 Jahren, spontane Anzeichen
von beginnender Alzheimererkrankung auf.
Jetzt ist sie in einem Pflegeheim, und ist auf fremde Hilfe angewiesen,
kann nicht einmal mehr ihre Bedürfnisse selber erledigen! Ihr einen
Besuch abzustatten erinnert an einen Horrortrip, sie ist im Rollstuhl und
erkennt die Anna nicht mehr! Bestaunt am helllichten Tag die Sterne im
Himmel, das Getränk der Schwester spukt sie aus. Letztere lenkt den
Rollstuhl ins Heim zurück, um der Frau Holzinger die Windeln zu
erneuern! Und ein Gespräch mit der kranken Frau konnte sie auch nicht
führen, da war es mit der SISSI viel einfacher klar zu kommen!
Anna verließ das Heim in einem äußerst deprimierten Zustand, nein,
das war doch kein Leben mehr, musste das sein? Wo blieb da die
80
Würde des Menschen, wenn die Lebensqualität weit unter jenem der
Tiere lag? Dann doch lieber Abschied nehmen und in Frieden ruhen!
Und wie war doch die Geschichte von der hässlichen Raupe, welche
stirbt und dann als wunderbarer Schmetterling weiter lebt? War das
Dasein eines Menschen etwa gleich? Konnten wir unseren
verbrauchten und kranken Körper einfach verlassen, um dann als
herrlicher Engel weiter zu existieren? Es wird oft behauptet, im Jenseits
existierten Milliarden von Engeln, und die meisten stammten von
unserer Erdkugel. In Gedanken sah sie den Rumpf der toten Raupe
(Körper) und den weißen Engel (Schmetterling) daraus aufsteigen.
Das vermochte sie wieder halbwegs zu trösten, aber ihre gute Laune
kam erst wieder zur Geltung, als sie der SISSI die Leber aus dem
Fleischerladen servierte, und diese das mit einer guten Stimmung
verdankte. SISSI war eben doch eine gute Wohnpartnerin, und sie hatte
den großen Vorteil, dass sie keine negativen Gedanken in den Raum
brachte. Aber das Unheil nahte mit Riesenschritten, und sollte die gute
Laune wieder vertreiben.
Die Hausglocke klingelte, „das ist sicher der Postbote“, murmelte Anna.
Aber vor ihr standen zwei seltsame Gestalten, eine ältere Frau und ein
noch älterer, etwas ausgemergelter Mann.
Die beiden schauten die Anna mit besorgten Blicken an, der Mann
ergriff das Wort: „Guten Tag Frau Baumgartner, wir kommen in Gottes
Namen, und haben eine wichtige Nachricht für sie!“
Anna erkannte den „Kriegsruf“ in der Hand der Frau, und sagte
umgehend: „Sie sind doch von den Zeugen Jehovas“, sagte sie etwas
81
ungehalten. Die Frau bejahte die Feststellung und der Mann fuhr fort: „
Das Ende naht, bald ist der Weltuntergang!“
Anna: „Das weiß ich auch, schließlich bin ich schon bald 92, das müssen
sie mir nicht noch aufschwatzen!“
Die Frau fügte hinzu: „Wir meinen nicht sie, sondern die ganze
Menschheit, in sechs Monaten ist der Untergang, Jehova wird uns, die
echten Gläubigen, aber mit einem Raumschiff retten, auch sie können
noch gerettet werden, wenn sie heute zu uns kommen, es ist nie zu
spät!.
Anna wurde ungeduldig und antwortete: „Hören sie gut zu, ihr seid
bereits die x-ten Untergangspropheten, alle paar Monate kommen
Narren wie sie zwei vorbei, und alle erzählen immer nur denselben
Unsinn! Ja, mein Ende naht, aber ich werde nicht von der „Arche Noa“
abgeholt, sondern von einem Pferdegespann auf den Friedhof
gefahren, und nun wünsche ich ihnen noch einen erfolgreichen Tag auf
eurer Seelenjagd!“
Anna drehte sich demonstrativ um und schloss hinter ihr die Haustür.
Die beiden seltsamen Gestalten trotteten weiter, um andere Menschen
zu belästigen. Auf dem Sektor „Glauben“, herrschte nach wie vor
unbeschränkte Narrenfreiheit, es war sicher eine strafbare Tat, an einer
Hausglocke zu läuten, und die Person mit Drohungen zu ängstigen.
Weshalb man bei religiösem Wahn eine Ausnahme macht, das konnte
Anna auch nicht verstehen. Annas gute Stimmung war auf alle Fälle hin,
sie plante am frühen Vormittag, mit der SISSI auf den Friedhof zu
wandern, dieser war nur rund 1200 Meter entfernt, und befand sich
gleich vor dem kleineren Waldstück. Aber das liebe Wetter machte
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einmal mehr einen Strich durch ihr Vorhaben, es begann zu regnen, und
es sah nicht danach aus, dass der Nachmittag trocken verlaufen könnte.
Damit kündigte sich erneut einer dieser zahlreichen „Stubentage“ mit
SISSI an. Nach der Mittagsmahlzeit, gönnten sich beide eine
Schlafpause auf dem Sofa, während Anna sich mit einer Wolldecke
warm hielt, schlief SISSI unten am Sofarand querweise, weil sie neben
der Anna keinen Platz finden konnte. Und sie bildeten auch im Schlaf
ein gutes Team, indem beide leise schnarchten. Als Anna erwachte,
verspürte sie leichte Kopfschmerzen, SISSI schlief weiter. Anna legte
eine CD mit klassischer Musik auf, bis schließlich auch die SISSI wach
wurde, und mit einem lauten „MIAU“ auf die Schoß der Anna sprang.
Das war jeweils das Startzeichen für die „Plauderstunde“.
Anna führte keine Selbstgespräche, nein, sie erzählte ihre Geschichten
der SISSI, und diese machte ein kluges Gesicht und lauschte
aufmerksam zu: „Damals, vor gut 60 Jahren, da war die Welt noch klein
und geordnet, zumindest dachten wir es wäre so. Es war gegen Ende
Mai, die Wiesen voller Blüten, und die Vögel sangen in allen Tönen von
den Bäumen herunter. An sonnigen Sonntagen pflegten wir, Hans und
ich, dem Waldrand entlang zu wandern, wir waren verlobt und voller
Träume und Hoffnungen. Allerorts herrschte Hochstimmung, es ging
aufwärts mit der Wirtschaft, die Menschen setzten sich Ziele und waren
positiv gestimmt, im Unterschied zu heute. Da lagen wir am Waldrand
in einer herrlich duftenden Blumenwiese. Hans hatte ein
Reisegrammophon mitgenommen, den man mit einem Schlüssel
aufladen konnte, das Federwerk hielt für das Abspielen einer 78iger
Schallplatte. Wir legten verschiedene Platten auf, meistens aktuelle
Schlager, es war wie in einem schönen Traum, in dem man ewig
verbleiben wollte. Eines dieser Lieder blieb mir bis heute in Erinnerung
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und wurde ein Stück von mir, den Text kenne ich auswendig, ich singe
ihn dir vor. Anna holte ihre Ukulele von der Wand und begann zu
singen:
„Wenn die Glocken hell erklingen
Und der Sommer geht ins Land
Dann beginnt mein Herz zu singen
Und wir reichen uns die Hand
Schweigend stehen wir beieinander
Was Du fühlst, das fühl auch ich
Endlich heut nach Tag und Jahr
Wird für uns das Wunder wahr
Durch das Wort: Ich liebe Dich
Viele Jahre sind ins Land gegangen
Dann fing für uns das Leben an
Ein Lied führte uns zusammen
Und ein schöner Traum begann
Dann wiederholte sie nochmals, und Tränen flossen ihr übers Gesicht
runter, SISSI war das nicht entgangen und kriegte glänzende Augen, so,
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als hätte sie jedes einzelne Wort verstanden. Vor lauter Emotion und
Rührung, nahm Anna die SISSI in ihre Arme, und beide schauten sich
lange stumm und fragend an, es war ein Gedankenaustausch ohne
Worte. Zwei grundverschiedene Wesen verstanden sich bestens, was
für eine herrliche Welt. Eine alte Frau und eine alte Katze, wie schön
doch Zweisamkeit sein konnte. Eine sphärische Glückseligkeit
beherrschte die Wohnung. Für eine ganze Weile, waren alle irdischen
Probleme im Hintergrund getreten. Fragen über den Sinn des Lebens,
und was unter einem sinnvollen und ausgefüllten Leben zu verstehen
war. Die Ängste der alten Leute, wie Krankheiten, Unfälle,
Abhängigkeiten, Pflegfälle, Demenz und Alzheimer. Und was war
eigentlich Sinn und Zweck des Lebens? Die Mehrheit aller Menschen
wird geboren, lernt und arbeitet um zu überleben, zeugt Nachwuchs
und stirbt. Und wie ist es bei den Tieren? Im Prinzip genau gleich!
Anna ist der Ansicht, da müssten doch die Menschen mehr aus dem
Leben machen, ja, natürlich, die Leute treiben Sport, Tiere auch, aber
weniger intensiv, eher in Verbindung mit der Nahrungsbeschaffung.
Elefanten spielen auch Fußball, aber das ist nur für die Touristen.
Echter Fußball bringt Geld, viel Geld, und Massen von Zuschauern,
und die benehmen sich oft daneben, was sie wiederum vom Tier
unterscheidet, wenn man von den Schweinen absieht.
Menschen setzten sich Ziele, das können Tiere nicht, seltsamerweise
aber nie das Endziel!
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Anna erhielt keine erschöpfende Auskunft zu diesen Fragen, sie tröstete
sich damit, am jüngsten Tag mehr zu erfahren. Und damit konnte sie
diesem alles entscheidende Tag getrost entgegensehen. Dass er
kommen wird, das war sicher wie der Sonnenuntergang, wann er sein
wird, das wollte sie nicht wissen. Vielleicht schon am nächsten Tag,
nächste Woche, oder Monat, oder in einem oder mehr Jahren?
Am Mittwochnachmittag wollte Anna zum Kaffeetreff gehen, aber am
Mittag rief die Maria an, sie fühle sich nicht wohl und komme nicht zum
Treff! Die Adelheid habe ihr dann mitgeteilt, dass sich eine
Zusammenkunft zu zweit auch nicht mehr lohne, und darum wurde das
Vorhaben storniert, das war weiter nicht schlimm, seit sie nur noch zu
dritt waren, verzichteten sie auf einen reservierten Tisch im
Hinterzimmer und begnügten sich mit den freien Plätzen im vorderen
Abteil.
Als Ersatz dafür, plante Anna eine kurze Wanderung in den kleinen
Wald. Anna hatte Lust wieder einmal eine Tanne oder Fichte zu
umarmen, ihre Kraft und Stille zu absorbieren, und an der großen Eiche
am Waldrand stärkte sie ihre Immunkräfte, sie konnte die aufsteigende
Baumkraft im ganzen Körper spüren. Es war wie ein Jungbrunnen!
Während Anna, tief ein und aus atmend, sich mit neuer Kraft „voll
tankte“, schaute ihr die SISSI interessiert und fragend zu. Dann begann
sie ihre Krallen an der Baumrinde zu polieren. Gut gelaunt und mit
neuem Elan, gingen die beiden wieder nach Hause. Dabei spielte SISSI
die aufmerksame Begleiterin, alles was sich am Wegrand bewegte,
wurde von ihr sorgfältig und könnerisch geprüft. Bei der kleinen Brücke
am Bach, tat SISSI so, als müsste sie die Festigkeit überprüfen, ob sie
das Gewicht der Anna tragen möge? Näherte sich hingegen eine Person
86
mit einem Hund, dann lief SISSI schön brav und vorbildlich neben der
Anna einher. Sie fühlte sich so vor dem Hund sicher, hatte die Anna
doch einen Pfefferspray in der Tasche! Sobald der Hund verschwunden
war, rannte SISSI wieder nach vorn um die Gegend auszukundschaften.
Annas Haus lag an einer Sackgasse, früher, als sie und Hans das Haus
bauten, waren sie die einzigen Bewohner an diesem Landweg, der
später in eine Privatstrasse ausgebaut wurde, dann folgte das Haus der
Familie Hauser, der Mann war bei der Dorfpolizei. Mit drei Kleinkindern
war Frau Hauser eine klassische Hausfrau. Das brachte auch Vorteile,
weil die Anna damit stets eine Kontaktperson in ihrer Nähe hatte. Sollte
Anna dringend Hilfe benötigen, was in ihrem hohen Alter durchaus im
Bereich des Möglichen lag, im gegenseitigen Einvernehmen, hatte man
auch eine Alarmanlage zwischen den beiden Häusern montiert. Zudem
besaß Frau Hauser einen Schlüssel zum Haus der Anna, und noch einen
versiegelten Umschlag. Im Fall, dass der Anna etwas zustoßen sollte,
hatte sie darin eine Verfügung und ein handgeschriebenes Testament.
Darin enthalten war auch die Anschrift von Tochter Monika in
Australien, die sie, die Frau Hauser, umgehend informieren sollte.
Als Erbin für das Haus war nur Monika genannt, sie sollte auch noch
80% des Barvermögens bei der Reifeisenbank erhalten, 20% gingen an
die Bestattungskosten, für die spätere Grabpflege und der Rest an
Bruder Emil.
Und auch die SISSI war im Testament erwähnt, sie erhielt Wohnrecht
und Verpflegung bis an ihr Lebensende zugesprochen. Für die
Durchsetzung war Frau Hauser zuständig und verantwortlich. Das
Honorar für Frau Hauser war ebenfalls im Umschlag enthalten, es
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handelte sich um einen fünfstelligen Betrag! Im Prinzip war alles klar
und einfach geregelt. Sollte Bruder Emil noch leben, dann war er mit
der Organisation beauftragt, bis die Monika aus Australien zurück war.
In späteren Jahren, wurden drei weitere Einfamilienhäuser an ihrer
Strasse gebaut, die Familie Zambelli, Herr und Frau Schmiedli, und
schließlich ganz hinten das Ehepaar Maurer. Anna mochte ein
geordnetes Leben, machte sich aber wenig Gedanken über das Nachher
ihres Ablebens, sie hatte alle Vorkehrungen getroffen, wenn diese nicht
befolgt wurden, war das kein Grund, sich im Jenseits darüber
aufzuregen. Einzig was die Kremation anbetraf, legte sie großen Wert
auf eine Frist von mindestens fünf Tagen nach dem Tod. Sie hatte schon
von verschiedenen Quellen vernommen, dass eine zu frühe
Verbrennung, der Seele Höllenqualen verpassen könne!
Erst wenn die letzten Lebensspuren aus dem Körper raus sind, kann
dieser wie ein Strohsack verbrannt werden.
Und wie immer, gibt es dafür keine konkreten Beweise für die
Richtigkeit dieser These, aber auch keine Gegenbeweise. Weil aber die
Monika sicher erst nach einer knappen Woche erscheinen konnte, war
sie bezüglich beruhigt.
Anna und SISSI, die nun schon länger als drei Jahre zusammen lebten,
pflegten mindestens zweimal monatlich auf den Dorffriedhof zu
wandern. Ehemann Hans, lag nun bereits seit 24 Jahren dort, das heißt,
seine sterblichen Überreste, wie man das allgemein nennt. Als sein Tod
nahte, gelobte ihm Anna, ihn so oft wie nur möglich auf dem Friedhof
zu besuchen. Sie hielt ihr Versprechen in all den Jahren, und wenn es
die Jahreszeit erlaubte, brachte sie bei jedem Besuch auch frische
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Blumen mit. Wenn möglich rote Rosen, oder Tulpen, die
Lieblingsblumen von Hans.
Die SISSI wurde ihre regelmäßige Begleiterin, oft eilte sie voraus, um
dann am Grab von Hans geduldig zu warten. Und wer sich nun fragt,
weshalb die SISSI weiß, dass es auf den Friedhof geht, unterschätzt ihre
Beobachtungsgabe und Logik, sobald Anna die Blumen in den Händen
hat, ist es für die SISSI klar, wohin die Wanderung führt! Katzen sind
nun einmal kluge Tiere, und sie wissen viel mehr über den Menschen,
als wir über sie!
Anna legt ihren Blumenstrauß in eine der bereitgestellten Vasen, dann
gießt sie etwas Wasser hinein, damit die Blumen länger schön bleiben,
danach steckt sie die Vase am Fuß des Grabsteins in die Erde. SISSI
schaut ihr mit Bekennerblick zu wie sie anschließend leise vor sich hin
meditiert: „Lieber Hans, mir geht es soweit gut, ich denke immer an
Dich, ich weiß, dass Deine Seele weiterlebt, und dass Du ganz in meiner
Nähe bist! Bald schlägt auch meine Stunde der Wahrheit, dann sind wir
wieder zusammen! Ich fühle den Tag kommen, Du hast es hinter Dir, ich
vor mir, es ist wie eine Erlösung vom irdischen Dasein, meine allerletzte
Reise in diesem Körper, ich freue mich schon!“
Die baldige Begegnung war aber nicht auf dieses Grab bezogen,
sondern in der spirituellen Welt. Das Grab von Hans sollte schon bald
geräumt werden, so verlangte es die Friedhofsverordnung. Ein
Familiengrab wäre grundsätzlich machbar gewesen, aber in diesem Fall
nicht eingeplant. Hauptsache, beide ruhten auch dem gleichen Areal.
Auf dem Nachhauseweg, beneidete Anna die SISSI, weil diese völlig
gleichgültig und sorglos dahinleben konnte, ohne sich Gedanken zum
89
nahenden Tod zu machen. Oder irrte sie sich da, und konnte auch die
SISSI fühlen, dass ihre Tage gezählt waren? Die Menschen sind ja
bekannt für ihre Ignoranz gegenüber der Natur, besonders aber zur
Tierwelt. Pferde, die in einen Schlachthof gebracht werden, können das
bereits im vor aus erfühlen und erahnen. Grundsätzlich trifft das aber
auch für alle andern Tierrassen zu. Katzen waren schon bei den alten
Ägyptern heilige Tiere, sie waren besonders für ihre hellseherischen
Fähigkeiten bekannt. Wer eine Katze tötete, wurde dafür mit dem Tod
bestraft! Zudem vertilgten sie die Ratten und Mäuse, welche sonst die
Getreidevorräte vernichteten. Im Mittelalter, brachten es die
idiotischen Hexenverfolger tatsächlich zustande, auch die meisten
Katzen umzubringen, weil diese angeblich mit dem Teufel und den
Hexen verbündet waren. In der Folge vernichteten die Ratten und
Mäuse die Getreidevorräte, und nebst einer gravierenden Hungersnot,
brachen auch noch Seuchen, wie Pest und Cholera aus! Aber SISSI hatte
Glück, sie lebte in einer besseren Zeit, wo Hauskatzen echt verwöhnt
werden.
Zu Hause angekommen, legte die SISSI auf dem Sofa eine Ruhepause
ein, während die Anna sich eine Weile aufs Bett legte und eines ihrer
Gedankenspiele durchführte: sie überlegte sich, wie wohl alles
geworden wäre, wenn sie statt nur einem, gleich drei Kindern das
Leben geschenkt hätte? Niemand hätte sie daran hindern können, und
die Welt wäre auch genau gleich geblieben, aber ihr Umfeld und ihr
Leben vermutlich anders abgelaufen? Sie sah dabei gedanklich, die
Gesichter der beiden nicht geborenen Kinder. Nein, das war nicht real,
wie konnte sie überhaupt auf solche Gedanken kommen? War das etwa
eine Parallelwelt, eine Spiegelung aus der realen Welt?
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Anna war inzwischen eingeschlafen und es waren nur Träume.
Plötzlich klingelte das Haustelefon, Anna wurde aus ihrem Schlaf
geweckt.
Am anderen Ende der Leitung war die Rosemarie, die Tochter der
Adelheid, sie meldete kurz: „ Meine Mutter ist heute Nacht im 93.
Altersjahr sanft entschlafen“. Das war es also, nun waren sie nur noch
zu zweit für den Kaffeeklatsch vom Mittwochnachmittag!
Anna und Maria wurden sich einig, den „Club“ per sofort aufzulösen.
Von nun an wollten sich die zwei nur noch zu Hause besuchen,
einmal ging die Maria zur Anna, und umgekehrt, das sollte aber ganz
ohne Zwang erfolgen. Die Beisetzung der Adelheid fand im engsten
Kreis statt, so, wie es die Tote testamentarisch gewünscht hatte.
Aus dem Bekanntenkreis der Toten waren nur die Anna und die Maria
zugegen, die andern waren Familienangehörige. Die Elisabeth war nicht
in der Lage dabei zu sein, seit sie im Pflegeheim liegt, geht es mit ihr nur
noch abwärts. Sie hat rapide gealtert und ist kaum wieder zu erkennen.
Solange sie noch täglich kleine Wanderungen machen konnte, war sie
voller Lebenswille und gut gelaunt, seit sie an den Rollstuhl gebunden
ist, hat sich ihre Welt zum Schlechteren gewandelt. Und selbst eine
halbstündige Fahrt im Rollstuhl, von einer Schwester gestoßen, ist nur
ein Tropfen auf den heißen Stein. Und es bedarf etlicher Überwindung,
sich tagtäglich wie ein Säugling pflegen zu lassen, und manche Leute
werden damit nie klar.
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Der kleine Trauerzug bewegte sich gemächlich und geräuschlos in
Richtung Friedhof. Neben der Anna lief die kleine SISSI und schaute
besorgt zu ihr hinauf. Die Abdankung unter Pfarrer Hurni fand am
offenen Grab statt, das war dem Wunsch der Adelheid entsprechend.
Anna hatte bei Gärtner Thommen einen schönen Kranz in Auftrag
gegeben. Dieser brachte einen Hauch von Würde und Feierlichkeit
In die Abdankung. Daneben waren lediglich noch ein paar wenige
Blumensträuße zu sehen. Da lag der Unterschied bei einer Bestattung
einer unbekannten Witfrau aus dem Dorf, und dem Generaldirektor
Müller, welcher vor einer Woche an der Reihe war. Müller starb im 55.
Altersjahr an einem Herzinfarkt! Weit über 500 Trauergäste, dabei
fanden nur gegen einhundert Platz in der Kirche, weshalb Pfarrer Hurni
die kirchliche Abdankungsrede auf der großen Wiese vor der Kirche
durchführen musste, das Musikhaus Hügler sorgte für die
Lautsprecheranlagen. Und sein Grab war immer noch mit dutzenden
von Kränzen belegt, einzelne davon reichten bis zum einsamen Grab
der Adelheid. SISSI interessierte sich für die Kranzberge, vermutlich
fanden sich in diesem Dschungel auch noch Mäuse und dergleichen
Spielzeuge? Sie war so tief in diese Blumenpracht versunken, dass sie es
nahezu unterließ, mit der Anna nach Hause zu gehen.
Anna musste sie erst einmal aus den Blumen- und Kranzbergen heraus
bitten, enttäuscht folgte sie der Aufforderung, sie ging leer aus. Anna
verzichtete auf die einfache Vespermahlzeit im Restaurant Krone, wie
sollte sie der SISSI beibringen, dass Katzen nicht dabei sein durften?
Und die SISSI wie einen Hund vor dem Eingang festbinden, das wäre
wohl eine schwere Beleidigung gewesen. Demzufolge verabschiedete
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sich die Anna von der Gruppe und lief gemütlich mit der SISSI nach
Hause. Diese Selbstüberwindung und Rücksichtnahme konnte die SISSI
natürlich nicht erkennen, aber für Anna war die Freundschaft mit einer
gut gelaunten SISSI wichtiger, als die banalen und oft inhaltslosen
Palaver mit den Mitmenschen.
Anna murmelte auf dem Nachhauseweg halblaut vor sich hin, wie
immer, wenn sie sprach, lauschte SISSI mit zurückgestellten Ohren,
aufmerksam zu, deshalb lief sie schön brav nebenher und rannte nicht
voraus, wie sie das sonst zu tun pflegte: „ Wieder ist eine von uns
gegangen, und nichts hat sich verändert, die meisten Einwohner im
Dorf nehmen nicht einmal Kenntnis davon, ja, ich weiß genau was die
Leute denken, wenn sie die Todesanzeige im Dorfblatt lesen: „Es war
höchste Zeit, die hat doch nur unsere Sozialwerke belastet!“ Ja, ich
weiß es SISSI, wenn ich gehe wird man genau gleich reden und denken.
Stell dir vor, man wird froh sein, dass ich endlich abgetreten bin, man
wird mir den Tod herzlich gönnen, nur du SISSI wirst um mich trauern,
das weiß ich jetzt schon. Und wenn du an der Reihe bist, wird kein
Mensch sagen: „es war an der Zeit für die Katze“, nein, das ist nur uns
Menschen vorbehalten, soweit haben wir es gebracht, nicht einmal
Tiere verhalten sich derart gemein.“SISSI lauschte mit klugen Augen
ihren Worten, auch wenn sie vermutlich nichts verstehen konnte, tat
sie so, als hätte sie den Sinn der Ansprache verstanden, indem sie der
Anna schnurrend um die Beine strich, sozusagen mitfühlend und als
Dank. Einen Vorteil der Sommermonate, bilden auch die sehr langen
Tage, und an heißen Abenden, weilten Anna und SISSI oft bis gegen 22
Uhr auf dem Gartensitzplatz. Bei klarem Himmel, bestaunten die zwei
die Sterne am endlosen Firmament. Damit SISSI nicht davonlief,
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plauderte sie halblaut mit ihr, SISSI war immer eine dankbare
Zuhörerin, und solange Anna sprach, blieb sie schön brav bei ihr: “Der
Mensch braucht im Leben immer ein Ziel, der Tod kann aber kein Ziel
sein, demzufolge setze ich mein Ziel über den Tod hinaus, wenn ich
meinen verbrauchten Körper verlasse, dann will ich auf die Plejaden,
dort gibt es eine Zivilisation, die ist um viele Millionen Jahre älter als die
auf unserer Erde. Und die Wesen dort sind uns hoch überlegen, sie
haben das Tier abgelegt und überwunden, sie sind spirituelle Wesen,
die sich nur mit spiritueller Nahrung versehen. Schlachthöfe und
dergleichen Horrordinge kennen sie seit Urzeiten nicht mehr, und die
10 Gebote sind bei denen überflüssig, sie sind längst auf einer höheren
Ebene. Jesus war vermutlich einer von dort, aber sein Werk wurde
leider missverstanden. Es ist eine Schande, was die Menschen daraus
gemacht haben und immer noch machen! Ja, SISSI, wenn du mit einer
Maus spielst, dann ist das eben eine Maus, aber stell dir vor, was
Menschen anderen Menschen antun, und das seit Urzeiten,
schrecklich! Und wenn die Menschen Filme mit Außerirdischen drehen,
dann wissen sie nichts Besseres, als diesen ebenfalls menschliche
Gemeinheiten zuzusprechen, weil die Menschheit anscheinend zu
dumm ist, um sich eine humanere Welt vorstellen zu können! Man
erwartet von den Außerirdischen genau die gleichen Untaten, wie sie
Menschen aufweisen! SISSI, ich glaube an eine bessere Welt auf den
Plejaden, und ich will dorthin, das ist mein Ziel über den Tod hinaus!“
Anna wies mit der rechten Hand auf die Sternenwelt, SISSI schaute
interessiert zum Sternenpanorama hinauf, vermutlich wollte sie fragen,
ob dort auch Mäuse wohnen? Dann begann Anna ein altes Volkslied zu
summen:
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„Weißt du wie viel Sterne stehen
An dem blauen Himmelszelt?
Weißt du wie viel Wolken gehen
Weithin über alle Welt?
Gott, der Herr, hat sie gezählet
Dass ihm auch nicht eines fehlet,
an der ganzen großen Zahl,
an der ganzen großen Zahl.
Weißt du wie viel Mücklein spielen
In der hellen Sonnenglut?
Wieviel Fischlein auch sich kühlen
In der hellen Wasserflut?
Gott, der Herr, rief sie mit Namen
Dass sie all ins Leben kamen
Daß sie nun so fröhlich sind
Daß sie nun so fröhlich sind.
Weißt du wie viel Kinder schlafen,
heute nacht im Bettelein?
Weißt du wie viel Träume kommen
95
Zu den müden Kinderlein?
Gott, der Herr, hat sie gezählet,
dass ihm auch nicht eines fehlet,
kennt auch dich und hat dich lieb,
kennt auch dich und hat dich lieb.
Weißt du, wievielk Kinder frühe
stehn aus ihrem Bettlein auf,
Daß sie ohne Sorg und Mühe
Fröhlich sind im Tageslauf?
Gott im Himmel hat an allen
Seine Lust, sein Wohlgefallen,
Kennt auch dich und hat dich lieb,
Kennt auch dich und hat dich lieb.
Katzen können nicht singen, aber SISSI lauschte wie ein kleines Kind in
der Sonntagsschule. Um sich für das Lied zu bedanken, streichelte sie
der Anna schnurrend um die Beine, sie wusste, wenn Anna zu singen
pflegte, war sie guter Laune, und diese Stimmung übertrug sich auch
auf die SISSI. Sobald sich die Anna auf das Sofa setzte, begann SISSI mit
ihrer bekannten Handmassage, indem sie liebevoll die beiden
96
Handrücken leckte. Danach legte sie sich ganz eng an die Seite der Anna
um einzuschlafen, dabei wirkte ihr Fell wie ein kleiner Ofen.
Eine tiefe Dankbarkeit erfasste die beiden, und eine friedliche
Stimmung herrschte im Raum. Auch Anna fiel in einen ruhigen Schlaf.
Das Leben war herrlich und kostbar, man musste nur wissen, wie man
es anstellen muss.
Als Anna wieder erwachte, erinnerte sie sich an einem seltsamen
Traum, plötzlich stand die Adelheid in voller Größe neben ihrem
Grab und sagte: „Anna, warum bist du nicht zum Vespermahl
gekommen?“ Und als sie erwachte, schaute sie in die Augen der SISSI.
Deshalb konnte sie der Adelheid nicht mehr antworten, obwohl sie das
gerne getan hätte. Aber Traum war Traum, und Adelheid würde ihr
wohl kaum einen Vorwurf machen.
Aber die Adelheid ließ sie nicht einfach los, jetzt kamen ihr die Treffen
beim Kaffeeclub in Erinnerung, und zwar genau die Aussagen, welche
die Adelheid unter anderen gemacht hatte, da sagte sie doch einmal
mit voller Überzeugung: „Meine Damen, wisst ihr auch, dass
Reinkarnation nicht zwangsläufig bedeutet, dass man wieder als
Mensch zurück kommt, sondern als Lebewesen, ist das nicht eine
unheimliche Vorstellung?“
Und Anna kriegte dabei eine Hühnerhaut, wenn sie daran dachte, dass
die Adelheid nun möglicherweise in ein animalisches Wesen integriert
wurde. Nein, dann schon lieber in einen Baum! Eine heimatlose Seele
konnte problemlos in einen alten Baum untertauchen. Bei diesem
Gedanken wurde ihr wieder wohler, aber sie brachte die Adelheid
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einfach noch nicht aus ihren Gedanken weg. Die Adelheid sorgte oft für
interessanten Gesprächsstoff, da war zum Beispiel das große
Klassentreffen, von dem sie humorvoll berichtete:
„Aus meiner Klasse sind seltsame Berufe hervorgegangen, die Klara
Verdient ihr Geld mit ihrer Stimme und wurde Sängerin.
Die Erika hat Informatik studiert, und macht Geld mit ihrem Kopf.
Der Anton wurde Berufsfußballer und verdient gutes Geld mit den
Beinen.
Die Marie-Rose ist Klavierspielerin und verdient ihr Geld mit den
Händen.
Und Josefine, die nennt sich „Escort-Dame“, was eine humanere
Umschreibung für eine Liebesdienerin ist, sie verdient ihr Geld mit dem
Geschlechtsteil.
Und des Rätsels Lösung ist, alle verdienen ihr Geld mit einem
Körperteil, den sie besonders gezielt einsetzen müssen.“.
Anna erinnerte sich, dass danach eine rege Diskussion vom Stapel lief,
in der es darum ging, ob es einen Unterschied mache, welchen
Körperteil man zur Verfügung stelle oder vermiete? Und die Meinung
der Adelheid, wonach das völlig unwichtig ist, weil ja der Körper von
Kopf bis Fuß gleichwertig sei, setzte sich durch. Adelheid sah sich in
ihrer Ansicht bestätigt, sie zählte zu jenen, die sich persönlich
gedemütigt fühlten, wenn man ihre Ansichten ignorierte.
Erst jetzt konnte sich Anna gedanklich wieder von der Adelheid
trennen.
98
Die langen Sommertage verbrachten die beiden ungleichen Bewohner
hauptsächlich im und ums Haus, dabei unterschied sich so ein
Tagesablauf zwischen Anna und SISSI nur wenig.
Für beide begann der neue Tag mit der Morgentoilette, wobei die SISSI
dafür mehr Zeit benötigte als die Anna.
Danach folgte das Frühstück, wenn Anna sich den Luxus eines
amerikanischen Frühstücks leistete, konnte SISSI ebenfalls ihren Teil
davon erhalten. Wenn Anna jedoch auf „Muesli“ und „Milchbrocken
setzte, war SISSI weniger begeistert, dann nahm sie anstandshalber
etwas davon, um anschließend auf der Wiese das richtige Frühstück zu
suchen. In der Zwischenzeit war Anna schon unterwegs um die
täglichen Einkäufe zu tätigen. Und wenn die Sterne gut gelaunt waren,
dann brachte Anna noch frische Leber mit, ein wahrer Leckerbissen für
die SISSI!
Danach war der Vormittag schon beinahe vorüber, und Anna machte
sich an die Zubereitung des Mittagessens, während SISSI ihre zweite
Morgentoilette begann. Was eine echte Katze ist, braucht dafür täglich
bis zu drei Stunden. Die Mittagsmahlzeit nahmen sie gleichzeitig ein,
das heißt, Anna am Tisch, und SISSI aus dem Katzengeschirr in der Ecke.
Und es war die SISSI, die laut schmatzte als sie die Leber genüsslich
verspeiste. Anna gönnte sich eine Tasse Kaffee, während SISSI ihre
bevorzugte Katzenmilch schlürfte. Die Mittagsnachrichten vom
Radiosprecher interessierten nur die Anna, und wie üblich nur negative
Meldungen, was sonst? Während diese der Anna oft aufs Gemüt
schlugen, störten diese die gute Laune der SISSI in keiner Art und
Weise! Letztere machte erneut ihre Kurztoilette und legte sich
99
gemütlich zur Siesta aufs Sofa hin. Anna reinigte noch schnell das
Geschirr und legte sich danach ebenfalls zu einem kurzen
Mittagsschläfchen hin. Danach war beglückendes Tun angesagt,
Für Anna war das die Auflösung von Kreuzworträtseln oder Malerei.
Für die Kreuzworträtsel hatte die SISSI herzlich wenig übrig, sie sprang
auf den Tisch um der Anna eine Weile zuzuschauen, wenn sie das
Gefühl hatte, Anna habe nur noch Augen und Zeit für diese komischen
Schriften, legte sie sich demonstrativ auf die Rätsel und begann laut zu
schnurren, so, als wollte sie sagen: „Ich bin auch noch da!“
Es konnte sich aber auch um eine sanfte Aufforderung für einen
Spaziergang handeln, da hatte SISSI mehr Spaß, besonders an den
Vögeln in den Büschen und auf den Bäumen. Wobei sie es nie schaffte,
einen zu fangen, das leide Alter! Wieder zurück im Haus, gönnten sie
sich Kuchen und Milchkaffee bei klassischer Musik. Danach war bei
SISSI erneut eine kurze Toilette fällig, während die Anna es erneut mit
der Auflösung des hartnäckigen Kreuzwortsrätsels versuchte. Die
Wanderung und die frische Luft, lieferten ihr die Lösungen, an denen
sie zuvor umsonst nachsinnte. SISSI genoss erneut den Schlaf der
Gerechten, während Anna vor sich hin philosophierte und einmal mehr
über den Sinn des Lebens nachdachte. Weshalb sie die Anna
Baumgartner war, und nicht die schwarze Venus aus dem Kongo, oder
eine braune Inderin aus Bombay, eine Jüdin aus Israel, oder eine
Araberin aus Algerien! Auch nicht eine Katze oder ein Hund, nein, sie
war die Anna Baumgartner, aber dessen ungeachtet, was immer sie
auch war, zum Sterben waren alle verurteilt. Und mit der SISSI
tauschen, das brachte auch nichts, es war sogar möglich, dass die SISSI
früher dran glauben musste. Sie waren beide im hohen Greisenalter
100
und kurz vor dem Ableben. Und es gab keinerlei Gründe, die SISSI zu
beneiden, sie waren beide im gleichen Boot und reif fürs Jenseits.
Und die jungen Leute hatten auch keine leichte Zukunft in ihre Wiegen
mitbekommen. Nein, das Leben war zu brutal, um den Wunsch
aufkommen zu lassen, noch länger auf diesem Strafplaneten zu
verweilen, oder noch einmal jung sein zu wollen!
Die UNO kennt zwar die Menschenrechte, aber diese werden allerorts
mit Füssen getreten, Missbrauch und Ausbeutung werden wieder
salonfähig, Anstand und Genügsamkeit sind Fremdwörter geworden!
Annas Gedanken schwebten zurück in die Fünfzigerjahre des vorigen
Jahrhunderts, damals, als man noch schöne Volkslieder zu singen
pflegte, nicht nur im Radio, auch zu Hause im Familienkreis und in der
Schule, bei den Pfadfindern, und dergleichen Anlässen. Ein Lied war bei
ihren Eltern besonders gefragt, Anna begann es spontan zu singen, für
einmal ohne Begleitung mit der Ukulele:
„Kein schöner Land in dieser Zeit
Als hier das uns’re weit und breit
Wo wir uns finden
Wohl unter Linden
Zur Abendzeit
Da haben wir so manche Stund‘
Gesessen da in froher Rund
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Und taten singen
Die Lieder klingen
Im Eichengrund
Daß wir uns hier in diesem Tal
Noch treffen so viel hundertmal
Gott mag es schenken
Gott mag es lenken
Er hat die Gnad
Nun Brüder eine gute Nacht
Der Herr im hohen Himmel wacht
In seiner Güte
Uns zu behüten
Ist Er bedacht“
SISSI schlief weiter und tat so, als höre sie das Lied nicht, Anna hatte
Tränen in den Augen, die Gesichter ihrer Eltern tauchten vor ihrem
geistigen Auge auf. Und sie hatte das innige Gefühl, dass sie in ihrer
Nähe waren!
102
Bereits war wieder die Zeit für die Zubereitung des Nachtessens
gekommen, Anna hatte Kartoffelstock mit Bratwurst an einer
Zwiebelsoße vorgesehen. Das war ein Menü, das beiden gut schmeckte.
Nach dem Abendessen, zog es die SISSI noch etwas an die frische Luft,
ihre Stimme hörte sich an, als wolle sie sagen: „Deine Bratwurst in
Ehren, aber ich möchte noch etwas Frischfleisch!“ Deshalb wollte sie
den Mäusen noch eine gute Nacht wünschen. Gut so, aber Anna hatte
ein anderes Programm für den Abend, im Fernsehen war ein Musical
aus den Fünfzigerjahren angesagt, das wollte sie sich nicht entgehen
lassen. Aber der Film lief derart lange, dass sie bereits schon um 22 Uhr
vor dem Bildschirm einschlief! Sie wachte erst wieder auf, als die SISSI
ihre Hände mit der Zunge sanft massierte, und statt dem Musical,
wurden bereits die Spätausgabe der Tagesschau verlesen. Für beide
war es an der Zeit den Schlaf des Gerechten zu finden. Sämtliche Tage
liefen ähnlich ab, besonders in den Sommermonaten. Im tiefen Winter,
mied es Anna nach Möglichkeit, sich unnötig auf Eis und Schnee
aufzuhalten. Unter keinen Umständen einen Unfall bauen, oder sogar
krank werden! Tod und Teufel wollte sie meiden, aber die Leute in weiß
noch viel mehr, das war der blanke Horror, sicher leisteten manche von
ihnen gute Arbeit, und verrichteten ihren Job verantwortungsvoll, und
gewissenhaft, aber fast ausnahmslos war für sie ein Fall eine Nummer
von vielen! Ein „Profitfaktor“, der viele Einnahmen bringt.
Und Anna wollte unter allen Umständen vermeiden, zum Fall XY im
Zimmer 504, im 5. Stockwerk zu werden. Ihr allergrößter Wunsch war,
in ihrem Haus ganz im Stillen nur bei der SISSI, in die andere Welt
hinüber zu gleiten. Was sie den wenigen Hinterbliebenen noch
ausrichten wollte, das hatte sie bereits gesagt, nur nicht in einem Spital
103
oder Pflegeheim enden, mit Dutzenden von starren und hilflosen
Augenpaaren auf sie gerichtet, hinter denen sie zu lesen glaubte: „Du
bist alt genug, Deine Zeit ist abgelaufen“.
Nein, und noch einmal nein, diese letzte Reise musste sie ganz alleine
antreten, und auf tröstende Worte konnte sie auch verzichten, die
waren ja doch nur Ausdruck von Machtlosigkeit.
Was konnten diese Leute schon ausrichten, sie waren auch nur
Todeskandidaten für später, und niemand konnte sich davon
freikaufen, gleichgültig ob König oder Bettler. Und als Trost, hatte sie
die Gewissheit, dass sie es bald hinter sich hatte, was die andern noch
vor sich herschieben mussten und nach Möglichkeit aus dem
Bewusstsein zu verdrängen suchten. Ihr Wunsch war, am Abend
friedlich einzuschlafen um am nächsten Morgen nicht mehr
aufzuwachen. Wer im Spital stirbt, ist in den meisten Fällen voll mit
Medikamenten gepumpt, vegetiert in einer Art von Halbdelirium und
sieht sich selber nur noch als Schatten.
Auf einen solchen Abschied von dieser Welt wollte sie schon lieber
verzichten. Strenggläubige Menschen, begleiten die verreisende Seele
mit ihren Gebeten und Meditationen ins Jenseits. Oder behält der
Atheist Recht, welcher einmal sagte, nach dem Tod wäre alles so wie
vor der Geburt, nämlich nichts! Kein Paradies, keine Hölle, keine
Wiedergeburt, nichts! Und wie war das doch mit dem ewigen Leben?
Ah ja, sie lebte doch weiter in ihrer Tochter Monika, und die Monika
weiter in ihren Kindern. Das ist ein unendlicher Kreislauf, der sich
zumindest auf die körperliche „Ewigkeit“ beschränkt, was die Seele
anbetrifft, da hatte die Monika ihre eigene mitbekommen. Anna wagte
104
sich im Winter kaum aus dem Haus, besonders wenn die Gehwege
vereist waren, sie wollte unter keinen Umständen ausschlipfen und
möglicherweise einen Knochen brechen, in ihrem hohen Alter, nahm so
eine Heilung Wochen oder gar Monate in Anspruch. Weil die SISSI keine
Einkäufe tätigen konnte, übernahm das jeweils die älteste Tochter der
Familie Hauser. Die Vierzehnjährige wurde dafür fürstlich entschädigt,
und sie machte das mit viel Freude. Als Anna körperlich immer
schwächer wurde, ging die Priska auch im Sommer für sie einkaufen. Als
Folge davon, erschienen die Leute vom Sozialamt erneut, und wollten
Anna überzeugen, doch lieber in ein Pflegeheim zu gehen!
Aber Anna wies das Ansinnen entschieden zurück und sagte kurz:
Ihr bringt mich nur in einer rechteckigen Kiste aus diesem Haus!“
Die wollten doch nur ans Haus herankommen, damit sie Randständige,
Flüchtlinge und Zigeuner darin unterbringen konnten, und weil sie der
Ansicht waren, eine alte Frau und eine Katze allein in einem Haus,
das sei Wohnraumverschwendung und Luxus.
Aber Anna war Alleinbesitzerin des Hauses, und solange noch keine
Gesetze existierten, wonach in solchen Fällen eine Enteignung
stattfindet, konnten die nichts ausrichten.
Schon seit drei Wochen fiel kein Regen mehr, es war ausnahmsweise
einmal richtig Sommer.
Anna und SISSI vertrieben sich die Zeit wie an jedem Tag, beide litten
unter der sommerlichen Hitze, und nicht selten gerieten sie
aneinander. Besonders bei der Verpflegung, SISSI hatte es satt, immer
zu nur Kartoffelbrei mit Fleischsoße zu fressen.
105
Nachdem Anna ihr wieder einmal eine Portion verabreicht hatte,
begann sie laut zu reklamieren: „Miauuuuuu, breeee, miauuu, breee“
und schaute dabei zornig zur Anna hinauf. Anna konnte sie sehr gut
verstehen, es war ein klarer Vorwurf:“ immer dieses scheußliche Zeug!“
Anna war sich ihrer Schuld bewusst und antwortete ihr: „ Ja, SISSI, ich
weiß es doch, du magst frisches Fleisch!“
Sie warf den Kartoffelbrei in den Müll, und öffnete eine Dose
Katzenfutter von feinster Qualität. SISSI stürzte sich freudig darauf und
schmatzte laut. Anna schaute ihr dabei lächelnd zu und amüsierte sich
am Zornesausbruch der Katze. Die SISSI klagte selten, meistens
handelte es sich um die Qualität der Nahrung, seltener noch, wenn
SISSI den Eindruck hatte, Anna habe zu wenig Zeit für ihre Anliegen.
Und wenn sie da einmal ausrastete, dann entschuldigte sie sich mit
einer sanften Massage von Händen und Armen, ohne dabei mit
„schnurren“ aufzuhören. Es war, als wollte sie sich für ihre Schelte
entschuldigen und alles wieder gutmachen. SISSI legte nun einmal viel
Wert auf eine harmonische Beziehung, Spannungen und Gehässigkeiten
mochten beide nicht ausstehen. SISSI wusste, wenn Anna eines ihrer
Volkslieder aus alten Zeiten sang, dass sie das speziell auch für sie tat.
Als nach drei Wochen Trockenheit, endlich wieder Regen fiel, griff Anna
erfreut zu ihrer Ukulele und startete mit dem schönen alten Lied: „Am
Tag als der Regen kam“:
„Am Tag als der Regen kam, langersehnt, heißerfleht,
auf die glühenden Felder, auf die durstigen Wälder,
am Tag als der Regen kam, langersehnt, heißerfleht,
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da erblühten die Bäume, da erwachten die Träume,
da kamst du.
Ich war allein im fremden Land,
die Sonne hat die Erde verbrannt,
über all nur Leid und Einsamkeit,
und du, ja du, so weit, so weit,
Doch eines Tages vom Süden her,
da zogen Wolken über das Meer,
und als endlich dann der Regen rann,
fing auch für mich das Leben an, ja, ja, ja,
Am Tag als der Regen kam, langersehnt, heißerfleht,
auf die glühenden Felder, auf die durstigen Wälder,
am Tag als der Regen kam, weit und breit, wundersam,
als die Glocken erklangen, als von Liebe sie sangen,
da kamst du, da kamst du. „
Anna bewegte sich dabei in einer anderen Welt, sie fand sich zurück in
ihrer Jungendzeit, Erinnerungen kamen hoch und sie fühlte sich leicht
und frei. Und wenn die SISSI das Lied nochmals hören wollte, sprang sie
auf ihren Schoß und streichelte dann mit einer Pfote ihren
107
Handrücken. Und nicht selten wurde daraus ein echtes Wunschkonzert,
oder wenn SISSI wünschte, dass Anna ein Lied singt, dann ging sie zur
Ukulele an der Wand und schaute nach oben. Anna fühlte sich dadurch
geehrt, weil SISSI ihre Liedervorträge den CD’s vorzog. Der SISSI war
nicht entgangen, dass auf den CD’s andere Leute sangen, und sie
schätzte nun einmal die persönlichen Darbietungen aus der Kehle von
Anna!
Ein weiteres Jahr ging dem Ende zu, Anna befand sich bereits im 93.
Altersjahr, und mit jedem Jahr wurde das Leben beschwerlicher und
monotoner. Kein Tag, an dem nicht ein Glied schmerzte, selbst die
einfachsten Verrichtungen im Haushalt wurden zur Belastung. Aber
Hauptsache war, dass sie nicht bettlägerig oder krank wurde, das hätte
einen moralischen Keulenschlag verursacht. Für jede Tätigkeit
benötigte sie dreimal mehr an Zeitaufwand als früher, aber es ging
trotzdem, schließlich hatte sie genug Zeit zur Verfügung. Sie konnte
deutlich fühlen, wie ihr Körper langsam aber sicher schwächer wurde,
„ausgebrannt“ und ohne Energie. Das Gesetz der Natur, und es war nur
ein billiger Trost, dass es auch der SISSI genau gleich erging. Schon seit
20 Jahren, suggerierte sie sich jeden Morgen ein, dass der Teufel, den
man „Krebs“ nennt, sie nie aufsuchen möge, aber auch böse
Degenerationen, wie Alzheimer und Demenz, vermochte sie bislang
erfolgreich fern zu halten. Gut, die Vergesslichkeit hielt sich im Rahmen,
und das Kurzgedächtnis ließ zu wünschen übrig, aber sie hatte alle noch
im Griff. Jetzt, im hohen Alter, konnten sie auch diese
Horrorerkrankungen und Geiseln der Menschheit nicht mehr groß
ängstigen. Und den täglichen Blick in den Spiegel konnte sie bislang
noch ausstehen, sie war immer noch die Anna, wenn auch mit Furchen
im Gesicht und schneeweißen Haaren. Aber Lippenrot trug sie schon
108
lange nicht mehr auf, das tat doch die Maria immer, und sie sah aus wie
ein Indianer auf dem Kriegspfad. Das ganze Leben war eine Art von
Krieg, galt es doch immer, sich gegen alle Seiten zu wehren, weil es
leider Leute gibt, denen das Leben erst richtig Spaß macht, wenn sie
andern ein Leid zufügen können. Und es gab Augenblicke, da freute sich
Anna richtiggehend auf ihren Tod, endlich erlöst zu werden, sich nicht
mehr mit dem gefährlichsten Lebewesen, genannt Mensch,
herumschlagen müssen. Diesen „Strafplaneten“ für immer verlassen
können, warum nicht gleich?
Dann schaute Anna in die fragenden Augen der SISSI, die hatte es gut,
Katzen haben bekanntlich sieben Leben, sagt man so nebenbei, dabei
waren auch ihre Tage gezählt! Die Lebewesen, die Menschen
eingeschlossen, spüren innerlich auf intuitiver Grundlage, wann ihr
Ende naht. Der Lebenswille wird eingedämmt, oft folgt eine Art von
Todessehnsucht, oder der Tod wird zum freudigen Ereignis, das man
kaum erwarten kann.
Aber soweit war die Anna noch nicht, sie nahm immer noch aktiv an
den täglichen Vorkommnissen teil, orientierte sich mittels
Radionachrichten und Fernsehen, las Zeitungen und löste oft
Kreuzworträtsel. Und wenn all das frustrierend wirkte, dann legte sie
klassische Musik auf. Dabei sprang auch die SISSI zu ihr aufs Sofa und
begann laut zu schnurren. Auch die SISSI musste kürzer treten, statt
täglich zwei bis drei Stunden Toilette, reduzierte sie diese auf eine
knappe Stunde. Und vom Mäusefangen konnte sie nur noch träumen,
sie war viel zu langsam geworden! Das war für sie ein großer Tiefschlag,
sie war nur noch ein Schatten von einer aktiven Katze.
Die beiden konnten sich nur noch gegenseitig trösten, indem sie sich
109
Tief in die Augen schauten, und sich lautlos einig wurden, dass es
langsam aber sicher dem Ende entgegen ging. Für Anna blieb die
Lebensqualität intakt, soweit sie noch über ihren Körper verfügen
konnte, und die einzelnen Organe ihre Aufgaben halbwegs zufrieden
stellend erfüllten. Solange ihr das ermöglicht wurde, konnte sie mit
ihrem Schicksal zufrieden sein, und jeden neuen Tag mit dem nötigen
Optimismus in Angriff nehmen. Positiv denken konnte wahre Wunder
bewirken! Jedoch kann man damit den Tod auch nicht verhindern.
Aber positiv denken war oft schwierig, wenn man den ständigen
körperlichen Abbau vor Augen hatte! Die Nahrungsverarbeitung lässt
zu wünschen übrig, der Körper schrumpft wie ein Apfel im Frühling,
permanente Müdigkeit und Kraftlosigkeit, schon die kleinste
Anstrengung wird zur Mühsal. Eine Ernährungsfachfrau informierte sie
kürzlich, dass man auch im hohen Alter diesen Erscheinungen wirksam
begegnen könne. Einerseits weisen unsere Lebensmittel nur noch 25%
an Nährwert auf, vor 50 Jahren waren es noch gute 75%! Mit anderen
Worten, müsste man heute die dreifache Menge an Gemüse und
Früchten verspeisen, um die gleichen Werte zu erreichen. Dazu kommt
noch, dass bei älteren Leuten die Verarbeitung der Nahrung nachlässt,
das kann zu Mangelerscheinungen und Immunschwächen führen.
Und in einem geschwächten Körper kann sich „Teufel“ Krebs
ausbreiten, er vergreift sich vorzugsweise an den Schwachstellen!
Die Beraterin schlug daher vor, Anna möge es doch mit guten
Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminpräparaten versuchen.
Billig sind sie nicht diese Produkte, aber sie können helfen. Anna
leistete sich einen Versuch damit, erst konnte sie keinerlei Besserung
110
verzeichnen, dann aber, nach etwa sechs Monaten, stellte sie mehr
Lebensgeist und weniger Müdigkeit fest. Und sie hatte auch wieder
mehr Lust auf Wanderungen. Und so feierte Anna ihren 93. Geburtstag
bei relativ guter Gesundheit und im kleinen Kreis einiger Freunde, dazu
zählten auch die Maria und die SISSI. Bruder Emil konnte nicht
kommen, er lag im Komma im Spital, seine Tage waren auch gezählt.
Monika und David schickten ein Glückwunschtelegramm aus dem
fernen Australien. Die Nichten und Neffen – die Kinder von Emil –
konnten nicht kommen, weil sie keine Zeit hatten. Dafür spendete die
Familie Hauser eine große Geburtstagstorte, verspeist wurde sie dann
von den Hauser Kindern. Und solche Geschenke erfreuen besonders.
Man bewunderte die geistige Frische, die Anna noch zeigte, das
verdankte sie ihren Aktivitäten, wie Kreuzworträtsellösen, Ölbilder
malen, Bücher und Musik. Sie wirkte für ihr Alter jugendlich und
munter, und eine beneidenswerte Kondition. Nur nach längerem Sitzen,
bekundete sie etwas Mühe mit dem aufrichten und gehen, aber das
ging auf das Konto „Alter“. Abwechslungsweise schmerzten auch die
Glieder, aber das war auch bei der SISSI der Fall, Letztere holte sich das
nachts auf der kalten Wiese zu. Auch eine Geburtstagsfeier ist nur ein
Tag wie jeder andere, man ist einfach wieder ein Jahr älter, ob das
Grund zur Feier sein kann? Anna war mit dieser Minifeier mehr als
zufrieden, sie konnte mit allen Teilnehmern diskutieren, am
allermeisten natürlich mit der Maria, die ein Jahr jünger war.
Und danach äußerte sie den Wunsch, anlässlich ihrer eigenen
Abdankung, möge es auch in einem kleinen Rahmen bleiben!
111
Sie mochte keine „Massenveranstaltung“, wo man sich kaum begrüßte,
und den größten Teil der Teilnehmer nicht kannte. Und sie konnte die
dumme und naive Folgerung, wonach es hieß, je mehr Leute umso
bedeutender die Person, auch nicht teilen. Das war doch nur
Schaumschlägerei von Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen.
Gebildete Leute mit Charakter konnten durchaus auf derartige Einlagen
verzichten. Und im Tod waren sich alle gleich, da gab es keine
Klassenunterschiede, auch wenn viele Leute das so sehen wollen.
Auch im Alltag begegnete Anna immer wieder Leuten, denen sie lieber
nie über den Weg gelaufen wäre. Meistens bei ihren Einkaufstouren,
aber ab und zu kamen solche Elemente auch bis vors Haus. Bettler,
Hausierer, Sammler für karitative Zwecke, Teppichhändler, Zigeuner
und andere Zeitgenossen. Und Anna konnte sich dabei ganz auf die
SISSI verlassen, wenn SISSI die Besucher nicht mochte, rannte sie
davon, waren die aber genehm, dann ging sie denen entgegen und
zeigte keinerlei Ängste. Den Briefboten und die Kinder der Familie
Hauser kannte sie gut und sie waren stets willkommen. Wenn jemand
an der Haustür klingelte, war die SISSI auch immer neben der Anna, und
die Besucher wurden von zwei unterschiedlichen alten Damen
empfangen. Das Erscheinungsbild hatte seltenheitswert. Es gab
Augenblicke, da beneidete Anna die SISSI wegen ihrer
Unbekümmertheit, beide hatten nur noch eine kurze Lebenserwartung,
aber SISSI tat so, als gäbe es für sie kein Ende. Diesbezüglich war die
SISSI im Vorteil, sie genoss das Privileg ein Tier zu sein. Aber so sicher
war sich Anna dabei auch wieder nicht, sie hatte den Eindruck, dass sie
auf rein spiritueller Ebene die gleichen Empfindungen hatten. Wenn bei
der Anna einmal mehr dunkle Wolken am Horizont aufkamen, und sie
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mit der SISSI über den baldigen Tod sprach, dem sie täglich näher
kamen, dann glaubte sie, in den Augen der SISSI so etwas wie tröstende
Eindrücke zu erkennen. Was war einfacher? Ein Ende mit Schrecken
oder ein Schrecken ohne Ende? Beides musste nicht sein,
darum legte Anna, beim Aufkommen solcher Gedanken eine klassische
CD ein, und schon verflogen die dunklen Wolken, wie sie gekommen
waren. Aber je älter sie war, desto öfters kamen diese teuflischen
Gedanken auf. Oft verfiel sie auch in Tagträume und las
virtuell eine Zeitungsüberschrift mit: „Alte Frau mit ihrer Katze in ihrem
Haus verbrannt“. Weshalb ihr derartige Gedanken begegneten, wusste
sie auch nicht, vermutlich als Ergebnis der vielen Negativmeldungen in
den Medien? Und sollte wirklich ein Brand ausbrechen, die SISSI würde
sich sicher in Sicherheit bringen. Aber selber Hand anlegen würde sie
auf keinen Fall, nein, der Tag wird kommen, das war sicher, aber wann,
das wollte sie nicht wissen. Seit aber Bruder Emil, im Alter von 82
Jahren, sich ebenfalls von dieser Welt verabschiedete, hatte sie beinahe
schon ein schlechtes Gewissen, noch da zu sein. Emils Organe, wie
Nieren und Leber wollten ihren Dienst nicht mehr verrichten, zudem
musste er sich schmerzhaften Dialysen unterziehen, und mit seinem
Einverständnis wurde er von den Schläuchen abgenabelt.
Wie schon erwähnt, hatte Anna ihren Abgang weitgehend geregelt, nun
musste nur noch das Testament angepasst werden, Tochter Monika
war als einzige Hauserbin eingesetzt worden.
Die Familie Hauser, die Gemeinde und auch Monika, erhielten die
gleich lautenden Verfügungen zugestellt. Ein Keulenschlag versetzte ihr
die Nachricht der Friedhofsverwaltung, wonach das Grab ihres Mannes
nach 25 Jahren, gemäß geltendem Gesetz, innerhalb von sechs
113
Monaten geräumt werden müsse. Sie und die SISSI schafften es nur
noch selten, bis zum Friedhof zu wandern, beiden fehlte einfach die
nötige Kraft, aber wenn sie es schafften, war jetzt das Grab von Bruder
Emil an der Reihe. Die zahlreichen Abgänge aus dem Bekanntenkreis
wirkten auch nicht positiv auf ihre Moral. Die Missstimmung leitete
über zu einer Art von persönlicher Selbstaufgabe, sie ließ sich gehen,
was zu einer Form von Verwahrlosung führte. Die meiste Zeit schlief sie
auf dem Sofa, die Einkäufe wurden von der Priska Hauser getätigt.
Dieser fiel diese Entwicklung auf, und sie meldete das zu Hause. Polizist
Hauser besprach sich mit der Gemeinde Instanz. Die Frau pflege sich
nicht mehr, und in der Wohnung verbreite sich ein unangenehmer
Geruch. Die Entscheidungsträger beschlossen, gleich am folgenden Tag
einen Besuch bei der Anna zu machen. Aber die Ereignisse überstürzten
sich, Anna schloss nachts ihr Schlafzimmer nicht mehr ab, so konnte
SISSI sie frühmorgens besuchen, meistens mit einem klaren „Miau“ zum
Morgengruß. Und wenn die Anna dabei nicht wach wurde, massierte
die SISSI ihre Hände oder das Gesicht. Anna hatte immer ein Paar liebe
Worte zum neuen Tag für sich und SISSI auf Lager. An diesem Morgen
bemühte sich SISSI vergeblich, Anna wachte nicht auf und sprach auch
nicht. Noch dachte SISSI, Anna liege in einem tiefen Schlaf und
versuchte wie üblich sie zu wecken. Dabei wurde sie leicht nervös, weil
alle ihre Versuche nicht fruchteten. Panikartig rannte SISSI durch die
Katzentür aus dem Haus, und versuchte bei der Familie Hauser, mittels
Kratzen an der Haustür, auf sich aufmerksam zu machen. Aber sie
wurde nicht wahrgenommen,
dann lief sie mit lautem und jammernden Miau Lauten ums Haus.
Das war echt ungewöhnlich, so hatten sie die SISSI noch nie gehört.
114
Priska alarmierte sogleich ihre Mutter: „Mutter, die SISSI ist ganz
seltsam, da stimmt etwas nicht, geht’s du nachschauen?“Mutter und
Tochter folgten der aufgeregten SISSI zum Haus der Anna. Einen
Schlüssel hatten sie bekanntlich. Bereits im Wohnzimmer wehte ihnen
ein seltsamer Geruch entgegen, im Schlafzimmer lag die Anna friedlich,
so, als würde sie schlafen, leblos im Bett.
Der Fall Anna Baumgartner war damit auch für die Gemeinde gelöst
worden. Anna verließ diese Welt in ihrem 95. Altersjahr, alt genug um
abzutreten, dachten die meisten Leute in der Umgebung. Für manche
war es eine Verschwendung von Wohnraum, eine alte Frau und eine
alte Katze, die konnten doch in einem Altenheim unterbracht werden!
Monika wurde, wie das von Anna festgelegt war, von Frau Hauser
telefonisch informiert. Weil die Monika erst in einer Woche da sein
konnte, wurde auch die Kremation eine Woche später angesetzt, erst
danach sollte die Monika den Abdankungstag festlegen. Der Sarg mit
der Leiche wurde deshalb im Kühlraum des Spitalkellers gehalten.
Die Kremation fand nach fünf Tagen statt.
Nahezu sämtliche Vorkehrungen wurden von der Gemeindeverwaltung
veranlasst, dafür hatte Anna während vielen Jahren auch prompt
Steuern entrichtet. Tochter Monika konnte die Bestattung bereits vor
ihrer Ankunft online mit der Gemeinde absprechen. Damit war bei ihrer
Ankunft bereits alles organisiert, sie musste nur noch die Rechnungen
begleichen. Und was die Leute von der Gemeinde nicht gemacht
hatten, das übernahmen Pfarrer Hurni und Polizist Hauser.
Es war der Wunsch von Anna, es sollte ein einfaches Begräbnis ohne
Tränen und dergleichen geben. Pfarrer Hurni hielt eine kurze
115
Abdankungsrede, wobei er es nicht verkneifen konnte, zu erwähnen, er
habe die Anna kaum jemals in der Kirche gesichtet. Desto trotz habe sie
aber ein klagloses und vorbildliches Leben geführt, an dem sich manche
Zeitgenossen ein Beispiel nehmen könnten. Mit diesen Worten sprach
er den Trauergästen direkt aus dem Herzen. Das Wetter war ebenfalls
in Trauerstimmung, und so zog der kleine Trauerzug durch die neblige
und regnerische Landschaft. Monika trug die Urne mit der Asche ihrer
Mutter auf dem Arm. Kaum ein Dutzend Menschen, und hinter ihnen
mit etwas Abstand, eine alte, grauhaarige Tigerkatze. Anna hatte
ausdrücklich im Testament festgehalten, dass die SISSI, sollte sie nach
ihrem Tod noch leben, im Haus verbleiben dürfe. Frau Hauser und die
Priska sollten für ausreichende Nahrung sorgen, dafür war genügend
Geld hinterlegt worden. Es war aber offensichtlich, dass die SISSI kaum
viel älter als die Anna werden kann, oder möglicherweise noch vor ihr
sterben könnte?
Am Grab hatte Pfarrer Hurni noch einige nichts sagende Worte bereit,
sie sollten Trost verbreiten und seine Existenz legitimieren. Dann wurde
die Urne im bereitgestellten Grab versenkt. Dank der Monika und der
Familie Hauser, sowie der spendefreudigen Gemeinde, lagen drei
Kränze auf dem Grab. Auch noch verschiedene Blumensträuße fanden
ihren Weg bis hierher, Gärtner Thommen, die Konditorei Mader, Frau
Zambelli, und noch einige andere liebe Nachbarn zeigten Herz!
Und nachdem die kleine Trauergemeinde nach Hause verschwand,
legte da noch jemand eine tote Maus aufs frische Grab. Monika rief zu
Hause nach der SISSI, aber sie konnte sie nirgends finden, auch nicht
drüben bei der Familie Hauser. Monika fuhr mit ihrem Mietwagen zum
Friedhof, sie hatte eine leise Ahnung, und lag richtig. Mit einiger Mühe,
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gelang es ihr, die alte Katze einzufangen und mitzunehmen. Aber der
Aufenthalt war von sehr kurzer Dauer, die SISSI verschwand sogleich
wieder und kam nicht zurück. Jedes Ereignis hat zwei Seiten, eine gute
und eine schlechte. Die schlechte Seite war die Tatsache, dass Anna, die
immer gut zu Vögeln war, diesen im Winter kein Futter mehr
zukommen lassen konnte. Die gute Seite war, dass der Vogelschreck auf
vier Pfoten, nicht mehr durch die Büsche schlich, und deshalb
zwitscherten nun die Vögel fröhlich und laut vor sich hin.
Auf dem Friedhof wurde eine alte Katze gesichtet, die schon einige
Besucher erschreckte, wenn sie davon rannte. Sie schlief tagsüber und
nachts auf dem frischen Grab, ernährte sich von Würmern und Abfällen
auf dem Friedhofkompost. Wenn der Gärtner aufkreuzte, versteckte sie
sich in den Blumensträuchern. Aber auch auf dem Grab, war sie kaum
sichtbar, wenn sie zusammengerollt auf den Blumen lag und schlief.
Monika hatte einen Immobilien-Treuhänder mit dem Hausverkauf
beauftragt. Für das Grab ihrer Mutter war auf der Gemeinde ein
Guthaben deponiert worden, welches während 25 Jahren die
Grabpflege sicherstellen sollte. Der Unterhalt wurde dem
Gärtnermeister Thommen übertragen. Und schon nach wenigen
Wochen, waren sämtliche Formalitäten geregelt, und Monika konnte
wieder in ihr sonniges Australien fliegen. Für den Grabstein, gestaltet
nach den Wünschen der Mutter, sorgte ebenfalls der Gärtnermeister.
Vorläufig musste aber noch ein einfaches Holzkreuz dienen. Und wie
nicht anders zu erwarten war, nachdem die Monika weg war, besuchte
praktisch niemand mehr das Grab der Anna, das heißt, manchmal die
Priska, welche aber nicht nur Blumen brachte, sondern auch etwas
Essen für SISSI. Letztere blieb treu bei der Anna, das heißt, was von ihr
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noch übrig geblieben war. Gärtner Thommen fand es aber recht
komisch, dass er manchmal die SISSI schnurrend am Grab antraf, ob die
mit der Anna „plauderte“? Oder sah sie ihren Geist, Katzen sind
bekanntlich hellsichtig und können Geister erkennen. Er konnte den
Eindruck einfach nicht loswerden, die SISSI sei nicht allein! Bei bösen
Geistwesen, rennen die Katzen fluchtartig davon, bei den guten
Geistern beginnen sie zu „schnurren“, mehr wusste der Gärtner auch
nicht. Er stellte aber auch fest, dass die SISSI sehr schwach und krank
wirkte, ihre Augen waren völlig leer und ausdruckslos. Und sie rannte
auch nicht mehr weg. Am folgenden Morgen, als er wieder
vorbeischaute, lag die SISSI leblos auf dem Grab, er nahm eine Schaufel
und begrub die SISSI neben der Urne von Anna. Auf dem Grabstein war
später zu lesen:
Anna Baumgartner-Kuhn
Und nach den Jahreszahlen etwas weiter unten:
mit SISSI
Ende.
118
Der Autor
Rolf Bahl, Pseudonym und Kürzel von Vor- und Nachnamen, geboren
am 24. August 1938 in Bern/Schweiz.
Verbrachte seine ersten 10 Lebensjahre mit seinen Eltern in
Südwestfrankreich. Geschichte studieren durfte er nicht, hingegen
schaffte er mit nur fünf Volksschuljahren, die Aufnahmeprüfung für
eine Lehre zum Bau-Kunst- und Konstruktionsschlosser, an der LWB
der Stadt Bern. Bricht die Lehre vorzeitig ab, in der Ostschweiz
arbeitet er vorerst als Bau- und Fabrikarbeiter. Mit 17 Jahren beginnt
er eine Ausbildung zum Postbeamten. In der Freizeit büffelt er
autodidaktisch Fernkurse für Mittelschul- und Handelsfächer. Mit 19
verlässt er die Post, und reist erstmals allein auf dem Landweg nach
Nordafrika. Nach der Rückkehr beginnt er als Quereinsteiger im
kaufmännischen Beruf, absolviert nachträglich die KVLehrabschlussprüfung, später folgen noch zwei höhere
Fachprüfungen. Das Jahr 1968 verbringt er als „Free Lance“
Sprachlehrer in Spanien. Aus gesundheitlichen Gründen, muss er 1969
seine Karrierepläne endgültig begraben. Als er halb geheilt wieder auf
Jobsuche ging, fiel ihm in der NZZ ein Inserat auf:
„Die OSEC (Office Suisse d’Expansion Commerciale) sucht für ihren
Exportnachweisdienst einen viersprachigen Allroundkaufmann” etc.
Er meldete sich und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1997.
Seither lebt er in der kalten Jahreszeit in Südostasien, und im Sommer
in der Schweiz.
119
Als angehender „Hobbyautor“, schrieb er erstmals im Alter von 8
Jahren Kurzgeschichten in französischer Sprache, die er seinem
älteren Bruder sandte. Dann mit 14, nun im deutschsprachigen Raum
lebend, verfasste er in der Schule während sechs Monaten seine
Fortsetzungen unter dem Titel: „Meine Kriegserlebnisse in
Frankreich“. Nun folgte eine lange Pause, 1968/69, erschien sein
erstes Buch unter dem Titel: „Einmal die Ferne seh’n“. Im Lauf der
Jahre schrieb er verschiedene Kurzberichte für Magazine sowie auch
für die Hauszeitung, ferner zwei Dissertationen in englischer Sprache,
als Abschlussarbeiten von College Studien in den USA.
Um 1990/91 erschien sein zweites Buch: “Weltuntergang, 2000 Ende
oder Wende?“ Verlag R. Fischer, Frankfurt.
Siehe auch: „Verzeichnis der Publikationen“ im Anhang, sowie unter:
www.rolfbahl.com
120
Publikationen von Rolf
Bahl:
Einmal die Ferne sehen,
ARUBA-VERLAG 1968
In den Jahren 1957 bis 1966, reist der Autor etappenweise, und mit wenig Geld,
um die Welt. Das Manuskript wurde damals auch während einem Jahr im „
Generalanzeiger Ostschweiz“, in Fortsetzungen veröffentlicht. (Das Buch ist leider
vergriffen, kann aber von der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern,
ausgeliehen werden)
Weltuntergang, 2000 Ende oder
Wende?
121
R. Fischer-Verlag Frankfurt 1992
Der Autor widmete sich während Jahren der
Parapsychologie, hier versuchte er die
Untergangsprognosen für das Jahr 2000 zu
verharmlosen! Zu recht, wie wir heute wissen.
(Nach 2000 vom Verlag aus dem Handel
genommen).
Hinweis: Beide Schriften können in der Schweiz bei:
Schweiz. Nationalbibliothek, CH-3003 Bern, Mail:
[email protected], in Ausleihe gelesen werden.
Die gedruckten Bücher sind auch bei der: Deutschen
Nationalbibliothek, Deutscher Platz 1, D-04103
Leipzig,
aufgelegt.
122
TIMO, der schwarze
Kater,
ROBA-VERLAG
Die Geschichte einer außergewöhnlichen Katze.
Seltsame Erlebnisse und Beweise, dass auch Katzen
logisch denken können!
Neuauflage 2011, jetzt auch als E-Book:
ISBN9786162221804 !
Schatten im Paradies
,
Leben und Sterben in Pattaya
Wie Rentner ihren Ruhestand im Tropenparadies
erleben, sowie die Gefahren und Versuchungen
denen sie ausgesetzt werden. (Jetzt auch als Ebook: ISBN97862221781).
ISBN 974-93004-7-5
123
Flucht aus Manila
ISBN 974-93864-5-0
Ein Tourist gerät in die Fänge einer Erpresserbande,
zahlt Lösegeld und ergreift vorsichtshalber die
Flucht.
(Jetzt auch als E-book: ISBN978616222061)
Die Prinzessin von
Kalasin
ISBN 974-94967-8-7, Thailandroman
Eine junge Frau aus dem armen Isaan, zeigt auf, wie
sie in kurzer Zeit, am richtigen Ort, viel Geld
verdienen konnte. Ein spannender Kriminalroman.
Jetzt auch als E-book:ISBN9786162221972
124
Daeng‘s Abenteuer
ISBN 978-974-09-8990-5
Der Traum vom sorgenlosen und angenehmen
Leben im „Farangland“ (Westen), wird für Daeng zu
einem wahren Albtraum. Interessanter
Thailandroman. Jetzt auch als EBook:ISBN9786162221958
Sumalis Rache,
Sumali überlebt das Konzentrationslager der „Roten
Khmer“, später rächt sie sich an einem ihrer
Peiniger, welcher nun als Menschenhändler in
Thailand aktiv wurde. Jetzt auch als E-Book:
ISBN9786162221965
125
Hans im Glück
Als Rentner in Thailand, Möglichkeiten und Grenzen, mit
zahlreichen Tipps und Hinweisen. Roman, jetzt auch als
E-Book: ISBN 9786162221729 und
ISBN:978-974-367-1
Rückblick unter Palmen,
ISBN 978-616-903-4, eine mosaikähnliche
Zusammenfassung aus der Vergangenheit bis zur
Gegenwart.
(Auch als E-Book erhältlich:ISBN 9786162222054)
Weltvertrieb für obige Bücher: [email protected],
oder www.der-farang.co.th
126
Bye – Bye Tiluk, eine seltsame
Love Story aus Thailand, in englischer Sprache
E-Book: ISBN 9786162221859 (auch gedruckt
erhältlich)
Jetzt auch als E-Book in deutscher Sprache
erhältlich: „Bye Bye Tilak“ ISBN: 978616221699
Blick Zurück,
Autobiographie von Rolf Bahl, in 220 selbstständigen
Kapiteln unterteilt, unkonventionell und eigenwillig. Nur
als E-Book erhältlich (890 Seiten)
127
Tod im Barrio Chino,
Barcelona während der Franco Diktatur.
Erlebnisbericht mit seltsamen
Ergebnissen.
Nur als E-Book erhältlich:ISBN9786162221828
Kurzgeschichten die das Leben
schrieb.
25, zum Teil dramatische Erzählungen aus dem Leben.
Nur als E-book:ISBN9786162221736
Nie wieder las Vegas!
128
Wer sich leichtsinnig dort zweimal verheiratet, muss
später dafür schwer büßen. Nur als EBook:ISBN9786162221750
Der Urgroßvater die
Nachforschungen in die Vergangenheit, führten zu
erstaunlichen Ergebnissen in Nord- und Südamerika!
Nur als E-Book:ISBN 9786162221675
Monikas Stimme
Kriminalroman in einem „para“- normalen Umfeld.
nur als E-Book :ISBN 9786162221743
129
So sprach Buddha
ein unvollständiger Versuch, mit westlichem Verständnis,
die Thesen des Buddhismus zu verstehen.
nur als E-Book: ISBN9786162221798
Partnerschaft
Vom Wunschdenken zur Realität
Unkonventionelle Ansichten zum Thema
Partnerschaften.
nur als E-Book: ISBN 9786162221774
Ungültiger
Jahrgang!
130
Über Altersdiskriminierung und andere
Missstände im Alltag.
nur als E-Book, ISBN:9786162221811
Butterfly und Nonne
Nachträge und Fortsetzungen von Bye Bye Tiluk
nur als E-Book: ISBN 9786162221682
ERWIN IM ALTERSHEIM
Er wollte unter keinen Umständen in ein
Altersheim, aber die Umstände sprachen gegen ihn!
Roman, nur als E-Book
erhältlich.ISBN:9786162221712
131
Licht und Schatten
Zwischen Glauben und Wissen!
Gedanken und Kommentare zu unseren
Glaubensansichten.
Nur als E-Book zugänglich.
FATA MORGANA
Das Leben ist voller Illusionen
Wir leben oft in Scheinwelten, ohne es zu realisieren. Der
Autor zeigt einige Beispiele aus dem Alltag auf, und nicht
selten lebt es sich dabei leichter als in der brutalen
Realität.
Nur als Ebook erhältlich.
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Die alte Katze und die
Frau. ( Zweisamkeit im
Alter)
Besonders Frauen müssen ihren Lebensabend oft ohne
ihren Partner verbringen, Anna tut das auf ihre Weise,
und versteht es ihr Schicksal zu meistern. Nur als E-Book.
Hinweis: Für 20 E-books sind die
Verlagsrechte neuerdings bei
http://www.bangkokbooks.com, diese können
gegen eine kleine Gebühr, noch bei folgenden
E-book Verlagen online gelesen werden:
Amazon, Apple, Sony, Barnes&Noble, kobo,
Android, Google Play,. Blio, AIS, B2S, XinXii,
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iLovebooks, MPH, Casa del Libro, Mondia Media,
Gardner, Borders.
Die neuen E-books sind über:
http://freebook.de/ebooks, kostenlos erhältlich.
Sowie auch auf meiner Website: www.rolfbahl.com
Die gedruckten Bücher sind weiterhin bei:
[email protected], oder in Buchhandlungen
erhältlich.
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