Angst vor der Schule

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Angst vor der Schule
GEOlino 08/03 - Unterwegs zum Mars
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TEXT VON STEFAN GRESCHIK
Angst vor der Schule
Schwere Mathearbeiten! Turnübungen, bei denen man sich
blamieren kann. Und fiese Klassenkameraden, die einen vermöbeln
und ausrauben wollen. Für viele Kinder ist die Schule ein
furchtbarer Ort. Dabei müsste das gar nicht sein
Au! Tut das weh! Am Mittwoch hielt Martina es bis zur dritten Stunde aus.
Vor dem Englischunterricht packte die 14-Jährige heulend ihre Hefte ein
und stiefelte aus dem Klassenzimmer. "Ich habe solche Bauchschmerzen",
jammerte sie. "Ich gehe nach Hause." Dabei krümmte sich das Mädchen
wie ein Fragezeichen.
Nicht zum ersten Mal
Solche Tage sind bei Martina häufig. Nicht
etwa, weil sie ihr Frühstück nicht verträgt.
Für sie ist jede Stunde in ihrer Klasse die
Hölle: Schon am Sonntag fängt Martina an
zu zittern, wenn sie an den Unterricht am
Montag denkt. Im Schlaf wälzt sie sich mit
Albträumen hin und her. Kommen dann
noch Bauchschmerzen hinzu, ist das
Mädchen fast erleichtert - denn dann hat es
einen Grund, die Schule zu meiden.
Martina leidet unter Schulangst, und sie ist
kein Einzelfall. Sehr viele Schüler in
© Martin Baltscheit
Deutschland stehen mit ihren Lehrern, den
Mitschülern oder ihren Fächern so auf
Der Rucksack scheint Tonnen
zu wiegen, und das Gesicht
Kriegsfuß, dass sie davon krank werden: Sie
wird grün vor Übelkeit: Vor der schlafen schlecht; bekommen Bauch- oder
Schule bekommen es viele
Kopfschmerzen oder Herzrasen. Manche
Kinder mit der Angst zu tun
haben sogar Depressionen - das heißt, sie
werden so traurig, dass sie den ganzen Tag heulen könnten.
Angst, etwas nicht zu können
Was macht die Schule so schlimm, dass sich Kinder vor ihr fürchten? Oft
ist es Angst, etwas nicht zu können. Eine Klassenarbeit mies zu schreiben.
Oder die Mathe-Hausaufgaben an der Tafel vorrechnen zu müssen: Die
ganze Klasse starrt einen an. Wartet. Und der eigene Kopf ist nur - leer.
Das kann einem so peinlich sein, dass man am liebsten ganz tief im Boden
versinken möchte. Womöglich bringt der Lehrer noch einen Spruch wie:
"Typisch! Mal wieder die Aufgaben nicht gemacht!" Und dazu gibt es eine
schlechte Note.
Das Gehirn
Das Angstzentrum im Gehirn merkt sich solche unangenehmen
Situationen. Das nächste Mal funkt es "Achtung, Gefahr!", wenn
Mathematik auf dem Stundenplan steht. Dummerweise reichen bei
manchen Kindern schon Kleinigkeiten, um das Gehirn ängstlich zu
machen. Manche zittern, wenn sie bloß im Sportunterricht einen
Purzelbaum schlagen sollen! " Das kann ich nicht", jammern sie - und
sehen blass aus, als sollten sie mit einem hungrigen Löwen kämpfen.
Schwänzen bringt nichts
© Martin Baltscheit
Für schwächere Schüler kann ein Schultag
so stressig werden wie ein Überlebenstrip
im Dschungel. Überall lauern Gefahren und
Fallen: erste Stunde Englisch? Ich kenne
doch so viele Wörter nicht! Dann Physik?
Schluck, da ist der Lehrer so fies! Viele
Kinder halten das nicht aus - und flüchten.
Experten des Deutschen Jugendinstituts
München schätzen, dass fünf bis zehn
Prozent regelmäßig die Schule schwänzen.
Sie hängen in Kaufhäusern herum oder
fahren mit der U-Bahn durch die Gegend.
Natürlich wird dann alles noch schlimmer.
Die Blaumacher bekommen erst recht
schlechte Noten und schaffen oft nicht
einmal den Schulabschluss.
Hahaha! Überall nur Fünfen
und Sechsen! Das Zeugnis
sorgt bei vielen Kindern für
schlimme Alpträume
Viele Kinder kommen nicht mit
Das Kinderhilfswerk UNICEF hat vor kurzem kritisiert, dass in Deutschland
besonders viele Schüler nicht mitkommen (GEOlino berichtete in Heft
3/2003). 17 Prozent der 15-Jährigen haben schon Probleme, Texte zu
lesen oder einfache Rechenaufgaben zu lösen. Ein großer Teil der
ausländischen Kinder kann nicht mal richtig Deutsch. Wie soll Schule da
Spaß machen?
Es geht auch anders
Dass es auch anders geht, zeigt der Blick nach Finnland. Dort bekommen
schwache Schüler kostenlose Nachhilfe in der Schule, bis sie mit Zahlen
und Vokabeln ganz selbstverständlich umgehen. Das zahlt sich aus:
Finnland erreichte beim Pisa-Lesetest, in dem vor drei Jahren die Schüler
aus 31 Ländern verglichen wurden, den ersten Platz. Deutschland landete
nur auf Platz 21.
Gewalt an Schulen
Doch Bammel vor dem Versagen ist nicht der einzige Grund für
Schulangst. Viele Mädchen und Jungen fürchten sich auch vor ihren
Mitschülern. Denn Gewalt ist leider an vielen Schulen normal: Bei einer
Untersuchung gab fast ein Drittel aller Jungs zu, im letzten halben Jahr
andere Schüler verprügelt zu haben. 13 Prozent haben Kameraden sogar
erpresst oder "abgezogen". So nennt man es, wenn stärkere Schüler von
schwächeren Geld, Handys oder Kleidungsstücke rauben.
© ZB Fotoreport/dpa
Berlin: Hartmut, Aysun (v.l.) und die anderen
Kinder der Klasse 3a der Nürtingen-Grundschule
in Berlin-Kreuzberg schreiben konzentriert in
ihre Hefte. In dieser Klasse lernen deutsche und
ausländische Kinder gemeinsam. Die Mädchen
und Jungen unterschiedlicher Nationalität sind
seit der 1. Klasse zusammen und absolvieren den
gleichen Unterrichtsstoff. An der Schule wird auch in der Klasse 3a - nach der modernen
Unterrichtsform der italienischen Ärztin
Montessouri unterrichtet. Den individuellen
Neigungen der Schüler soll dabei mehr Spielraum
gegeben werden.
Schuluniform?
Das Problem ist so groß,
dass manche Politiker
schon vorgeschlagen
haben, wie in
Großbritannien
Schuluniformen
einzuführen. Wenn alle
Kinder gleich angezogen
wären, so die Idee, könnte
man auch keinem die
Markenklamotten wegnehmen. Einem Teil der Schüler geht es aber noch
schlimme r. Sie trauen sich kaum in ihre Klasse, weil andere Kinder sie
ständig terrorisieren. Martina beispielsweise wurde jeden Tag von
Mädchen beschimpft. Monatelang.
Andere werden geschlagen. Oder, was genauso schlimm sein kann:
Niemand spricht ein Wort mit ihnen. Experten nennen solche Quälereien
"Mobbing". Die Opfer verlieren oft jedes Selbstbewusstsein. "Warum sind
alle gemein zu mir? Bin ich denn soo doof?", fragen sie sich. Einige
verzweifeln mit der Zeit so sehr, dass sie sich etwas antun. Dabei hat
Mobbing oft keinen besonderen Grund; es kann fast jeden treffen.
Manchmal sind die Opfer etwas kleiner als die anderen. Manchmal ein
bisschen schlauer im Unterricht, oder nicht ganz so gut...
Gibt es Mittel gegen Schulangst? Ein paar Tipps können
Experten geben:
•
•
•
•
Wenn ihr dauernd beschimpft oder verprügelt werdet, sucht in
jedem Fall Hilfe. Erzählt euren Eltern oder dem Klassenlehrer
davon. Der soll mit den Mobbern reden.
Nicht vor Problemen flüchten, etwa schwänzen. Seid mutig! Dann
verschwinden Ängste oft wie von selbst. Ihr habt sicher gezittert,
als ihr im Schwimmbad zum ersten Mal vom Sprungbrett
gesprungen seid, und danach war die Furcht wie weggeblasen. So
ist das auch beim Vorrechnen an der Tafel.
Nicht zu ehrgeizig sein. Manche Kinder (und Eltern) sind nur mit
Einsen zufrieden. Das sorgt für Dauerstress. Wenn es ständig
Fünfe n hagelt, obwohl sich ein Kind anstrengt, ist es vielleicht auf
der falschen Schule. Dann sollten die Eltern mit dem Klassenlehrer
sprechen.
Ein bisschen Nervosität vor Prüfungen könnt ihr ruhig akzeptieren.
Dieses "Lampenfieber" macht sogar fit. Bei dauernden Kopf- oder
Bauchschmerzen solltet ihr aber lieber den Arzt fragen. Vielen
Kindern helfen Entspannungsübungen. Vielleicht rät er dazu, mit
einem Psychologen zu sprechen, einem Experten für seelische
Probleme.
So hat es auch Martina gemacht. Irgendwann sagte sie: "Ich gehe nicht
mehr zur Schule!" Erst dann hat sie ihren Eltern alles erzählt. Jetzt
besucht sie regelmäßig einen Fachmann, der ihr dabei hilft, dass sie
wieder Mut zum Unterricht und Spaß an der Schule findet.
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