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Jan We i ler
m e i n le be n als mensch
La Paloma Nossa
Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco
D
er so genannte Sommerhit
gehört zu den zahllosen
ästhetisch abwegigen, aber
identitätsstiftenden Spezialitäten
unseres kleinen Landes, ähnlich
wie mariniertes Halsgrat oder Füßlinge. Das sind diese Söckchen, die man in der Fußgängerzone
aus Turnschuhen ragen sieht. Auch und besonders bei Männern.
Positiv formuliert untermalt der Sommerhit als inoffizieller
Soundtrack die Ferienzeit. Ist diese vorüber, nehmen die Deutschen das Lied mit aus dem Urlaub nach Hause und dudeln es so
lange den Nachbarn ins Gemüt, bis diese eines Tages vor der Tür
stehen und wortlos mit einem Wagenheber losdreschen. Und
das alles wegen eines Liedchens, das bereits im Oktober jedem
seiner Käufer peinlich ist. Der Sommerhit ist Zeichen der Zeit
und Ausdruck seiner Deformation in ein dreieinhalb Minuten
dauerndes Stückchen Popmusik. Insofern wieder kulturhistorisch
interessant. Aber eben fragwürdig. Man will nicht unbedingt an
die größten Störfälle erinnert werden.
Zutiefst erschüttert habe ich heute die Sommerhits der letzten 17 Jahre auf den Tisch bekommen. Die meisten dieser Lieder
sind vergessen. Wie ging noch mal „Maria“ von US5 (2005)? Oder
„Around the World“ von ATC (2000)? Weiß ich nicht mehr. Man
wird alt, wenn man diese Sommerhits entweder nicht kennt
oder blöd findet oder beides. Ich erinnere mich dunkel an eine
seltsame rumänische Nummer von 2004. Die hatte einen dem
Tarzanruf nicht unähnlichen Refrain, in dem immer „Maja hii,
Maja huu, Maja hoo, Maja haha“ gerufen wurde. Sommerhits
werden ja meist von einer gewissen textlichen Einfalt dominiert.
Es ist auch egal, worum es in „We no speak Americano“ (2010)
oder „Samba De Janeiro“ (1998) geht. Hauptsache, man kann
darauf tanzen. Manche Sommerhits bringen sogar eigene Tänze
hervor, den „Macarena“ (1996) zum Beispiel oder den „Lambada“
(1989), bei dem die Tänzer aussahen wie Spermien unter dem
Mikroskop. Millionen von Deutschen haben das ausprobiert
damals und es war kein Fest fürs Auge. Muss man mal sagen.
Inzwischen ist eine grundsätzliche Veränderung eingetreten.
Erfolgreiche Interpreten haben
nämlich inzwischen komplizierte
Namen. Es kommt „vs.“ darin vor,
oder „feat.“ Und dazu jede Menge
„x“ und „z“ und Bindestriche, sowie
Abkürzungen. Die Stars heißen
heute wie Schlagbohrmaschinen oder Deodorants. Nicht, dass
ich etwas dagegen hätte, ich bin nicht mehr Zielgruppe. Sollen
sich meine Kinder damit abplagen. Aber so richtig warm ums
Herz wird mir nicht, wenn ich den Namen Yolanda Be Cool &
DCUP höre. Irgendwie traurig. Aber früher war auch nicht wirklich alles besser, man denke nur an das schwüle „Sun of Jamaica“
von Oliver „Minipli“ Bendt und seiner Goombay Dance Band.
Der allererste Sommerhit, an den ich mich erinnern kann,
hieß „Paloma Blanca“ und stammte von einer ruchlosen holländischen Combo namens George Baker Selection. Heute würde
die wahrscheinlich GEO vs. Baker feat. Xelection heißen. Jedenfalls muss das Mitte der Siebziger Jahre gewesen sein. Ich weiß
noch, dass wir Urlaub auf Sylt machten. Alle Bilder haben einen
Orange-Stich. Es gibt Fotos von meiner Mutter in einer samtenen
gelben Hose, von meinem Vater mit Zeitung im Strandkorb und
von mir mit von Sylter Sand panierter Haut. Und dazu wochenlang das fröhliche Geflöte des wollmähnigen George und seiner
Freunde.
Und heute? Das Rennen um den Sommerhit 2012 ist noch nicht
gelaufen. Ich habe eine Umfrage bei meinen Kindern absolviert.
Welcher ist der Sommerhit und was verbindest Du damit? Carla
antwortete mir, dass es sich nur um „One Day“ von Asaf Avidan
handeln könne, das höre sie immer mit ihrer Clique, wenn sie
zum Baden gingen. Das klang ganz gut. Dann ging ich zu Nick. Er
stand im Badezimmer und befüllte Luftballons mit Wasser. Auf
meine Frage rief er: „Nossa Nossa!“ Es erinnere ihn an die bevorstehende Wasserschlacht mit Kumpel Finn. Dann schleppte er
seine Wasserbomben in den Garten. Eine fiel ihm im Flur aus der
Hand. Ich half ihm, das Wasser aufzuwischen. Riesensauerei.
„Nossa Nossa“ machte es die ganze Zeit in meinem Kopf. Nossa!
Nossa! Tja. Der Sommerhit hat mich erwischt.
17 . september 2012

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