Demenz und pflegende Angehörige
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Demenz und pflegende Angehörige
Demenz und pflegende Angehörige Eine Intervention zur Steigerung der Lebensqualität von pflegenden Angehörigen Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Heilpädagogischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Antje-Franziska Knauf aus Weingarten 1 Angenommen von der Heilpädagogisch – Rehabilitationswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Tag der mündlichen Prüfung: Gutachter: 23. Juli 2004 Prof. Dr. Jörg Fengler Prof. Dr. Hansjosef Buchkremer 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort & Danksagung .................................................................................................7 1. Einleitung .............................................................................................................. 10 2. Fragestellung ....................................................................................................... 21 3. Stand der Forschung .......................................................................................... 25 3.1 Die demographische Entwicklung ............................................................ 25 3.2 Chancen und Risiken des Alter(n)s.......................................................... 28 3.2.1 Kompetenzen....................................................................................... 29 3.2.2 Pflegebedürftigkeit .............................................................................. 32 3.3 Demenzielles Syndrom .............................................................................. 33 3.3.1 Definition nach ICD-10/DSM.................................................................. 34 3.3.2 Epidemiologie ........................................................................................... 36 3.4 Versorgung demenziell Erkrankter ........................................................... 40 3.4.1 Stationär ............................................................................................... 41 3.4.2 Teilstationär.......................................................................................... 43 3.4.3 Ambulant .............................................................................................. 45 3.5 Pflegende Angehörige................................................................................ 47 3.5.1 Wer pflegt? ........................................................................................... 47 3.5.2 Motive für und Erwartungen an die Pflegeübernahme ................. 48 3.5.3 Pflegebedingte Belastungen (physisch, psychisch, sozial, finanziell) .............................................................................................................. 52 3.5.4 3.6 Unterstützungsangebote für Angehörige ........................................ 55 Lebensqualität ............................................................................................. 60 3.6.1 Lebensqualität als multidimensionales Konzept ............................ 65 3.6.2 Lebensqualität in dieser Arbeit.......................................................... 70 3.6.3 Pflege und Betreuung aus einer systemischen Perspektive ........ 72 3.7 Demenzforschung in Deutschland ........................................................... 74 4. Hypothesen .......................................................................................................... 77 5. Untersuchungsdesign......................................................................................... 79 5.1 Die Stichprobe ................................................................................................ 83 5.2 Demographische und pflegerelevante Kennzeichen der Stichprobe..... 84 3 5.3 Methoden...................................................................................................... 91 5.3.1 Erhebungsinstrumente ....................................................................... 92 5.3.2 Begründung der Methodenwahl......................................................103 6. Untersuchungsverlauf ......................................................................................106 7. Hypothesenprüfung und Diskussion der Ergebnisse ..................................108 7.1 Ergebnisse von Hypothese 1 ........................................................................108 7.2 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 1 ............................................127 7.3 Ergebnisse von Hypothese 2 ........................................................................141 7.4 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 2 ............................................149 7.5 Ergebnisse von Hypothese 3 ........................................................................152 7.6 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 3 ............................................154 8. Ausblick ..............................................................................................................157 9. Literaturverzeichnis...........................................................................................160 10. Anhang ................................................................................................................174 10.1 Fragebogen 1 ................................................................................................174 10.2 Fragebogen 2 ................................................................................................176 10.3 Fragebogen der Abschlussbefragung .......................................................177 10.4 Datentabelle ..................................................................................................183 10.5 Kurven der Lebensqualität..........................................................................184 4 Abbildungsverzeichnis ABB.1 ENTWICKLUNG DER ANZAHL DER PFLEGEBEDÜRFTIGEN............18 ABB. 2 ALTERSVERTEIL UNG DER PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN.............85 ABB. 3 AUSBILDUNGSGRAD...................................................................................85 ABB. 4 DAUER SEIT DER PFLEGEÜBERNAHME ...............................................86 ABB. 5 BETREUUNGSINTENSITÄT........................................................................87 ABB. 6 BELASTUNGEN DER PFLEGENDEN .......................................................88 ABB. 7 HAUPTBELASTUNGEN DER PFLEGENDEN..........................................89 ABB. 8 UNTERSTÜTZUNG AUßER TANDEM.......................................................91 ABB. 9 ABSOLUTE HÄUF IGKEITEN DER MESSWERTE ................................109 ABB. 10 ERGEBNIS DER RATING-SKALEN.......................................................111 ABB. 11 MEDIAN DER ENTWICKLUNG DER LEBENSQUALITÄT.................112 ABB. 12 ART DER VERÄNDERUNG DER LEBENSQUALITÄT.......................113 ABB. 13 ERGEBNIS DER LEBENSLINIENTECHNIK .........................................116 ABB. 14 MEDIAN DER KURVEN DER LEBENSQUALITÄT..............................118 ABB. 15 INDIVIDUELLE ASPEKTE VON LEBENSQUALITÄT .........................120 ABB. 16 ASPEKTE VON LEBENSQUALITÄT UND IHRE VERÄNDERUNGEN ..............................................................................................................................121 ABB. 17 ZIELERREICHUNG DURCH UNTERSTÜTZUNGSBESUCHE .........122 ABB. 18 DARSTELLUNG DER FREMDPERSPEKTIVE ....................................124 ABB. 19 GEDANKEN DER PFLEGENDEN ZUM NÄCHSTEN UNTERSTÜTZUNGSBESUCH .......................................................................125 ABB. 20 EINSCHÄTZUNG DER LEBENSQUALITÄT NACH VIER UNTERSTÜTZUNGSBESUCHEN..................................................................142 ABB. 21 ERGEBNIS DER RATING-SKALEN NACH 4 BESUCHEN................143 ABB. 22 VERÄNDERUNG DER LEBENSQUALITÄT NACH VIER BESUCHEN ..............................................................................................................................144 ABB. 23 ANGENEHME FREIZEIT ..........................................................................147 ABB. 24 ÜBERBLICK: ANGENEHME FREIZEIT & STEIGERUNG DER LEBENSQUALITÄT ...........................................................................................148 ABB. 25 ANGEHÖRIGE PROFITIEREN VON… ..................................................153 5 ABB. 26 ANZAHL DER ANGEBOTE, VON DENEN A NGEHÖRIGE PROFITIEREN ...................................................................................................154 6 Vorwort & Danksagung Seit Herbst 1998 beschäftige ich mich intensiv mit demenziellen Erkrankungen und Unterstützungsmöglichkeiten für die Erkrankten und ihre Angehörigen. An der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung an der Evangelischen Fachhochschule in Freiburg im Breisgau sammelte ich erste Erfahrungen in der gerontologischen Praxisforschung. Herr Prof. Dr. Thomas Klie ermöglichte mir den Einstieg sowohl in die Forschungs- als auch in die Referententätigkeit in diesem Fachgebiet und regt mich seit Jahren durch konstruktives Hinterfragen meiner praktischen und wissenschaftlichen Tätigkeit zur Reflexion an. Dafür danke ich ihm ganz herzlich. Im Dezember 2001 übernahm ich die Koordination des neu aufzubauenden Projektes „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“, kurz Tandem, der Diakonie gGmbH Köln. Ich entwickelte ein Konzept, in dem die Angehörigen im Mittelpunkt stehen sollten. Eine solche Denkweise hatte ich während mehrerer Forschungspraktika in Wohngruppen für Menschen mit Demenz in Frankreich (in sog. „Cantous“) erlebt: In diesen stationären Einrichtungen werden Demenzkranke gepflegt und betreut – primäres Ziel ist es aber, die Angehörigen zu entlasten, ihnen die Sorge, nicht aber die Fürsorge, für ihre Erkrankten zu nehmen. Im ambulanten Unterstützungsdienst Tandem wird der Erkrankte zu Hause von einer geschulten Helferin betreut während die pflegende Angehörige Zeit für sich hat. Ihr soll für einige Stunden die Sorge um den Kranken genommen werden, um sich auf sich selbst konzentrieren zu können. Allen pflegenden Angehörigen gilt meine Verbundenheit und meine ehrliche Hochachtung vor ihrer Tätigkeit. Trotz ihrer enormen Belastung und zeitlichen Einschränkung, die die Pflege eines demenziell Erkrankten oft mit sich bringt, haben sie sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht, an der intensiven Datenerhebung, die dieser Studie zu Grunde liegt, zu beteiligen. Ohne das Engagement der freiwilligen Helferinnen, der Tandem – Partnerinnen, die die häusliche Betreuung übernehmen, wäre die Idee einer stundenweisen Unterstützung nicht realisierbar gewesen. Ihnen allen vielen Dank für ihre 7 Tätigkeit in den einzelnen Familien, ihre Offenheit in den Reflexionstreffen und ihre Anregungen, durch die das Konzept ständig weiter entwickelt werden kann. Meinem Kollegen Herrn Markus Schmelzer danke ich sehr für die Unterstützung bei der Weiterentwicklung des Konzeptes, für die Übernahme meiner Koordinationsstelle während der Monate meiner Elternzeit und vor allem für interessierte Nachfragen und fruchtbare Anregungen bezüglich der Auswertung des Projektes und dieser Forschung. Beim Durchsehen des Manuskriptes profitierte ich von den fachlichen und journalistischen Erfahrungen von Adelheid von Spee – dafür und für die anregenden Gespräche danke ich ihr sehr. Die Mühe, die Arbeit Korrektur zu lesen machte sich meine Mutter, Telse Knauf. Ihr danke ich herzlich für diese Hilfe am Ende des Dissertationsvorhabens und für die Anteil nehmenden und Mut machenden Fragen, mit denen sie und mein Vater, Hans-Peter Knauf, in den letzten zwei Jahren Interesse zeigten. Diese Dankesworte und die denen vorausgegangene jahrelange Unterstützung könnten hier nicht erwähnt werden, hätte mich nicht Herr Prof. Dr. Jörg Fengler im Frühjahr 2002 in sein Doktorandenkolloquium an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität zu Köln aufgenommen. Ihm gilt mein herzlicher Dank für kritisches Hinterfragen, wohlwollende Anregungen sowie die arbeitsame und doch lockere Atmosphäre im Kolloquium, die er humorvoll prägt. Ein Kolloquiumsbesuch zog bei mir stets arbeitsreiche Stunden nach sich um all die Anregungen der Teilnehmenden zu ordnen und einzubeziehen. Ein Dank an die Doktorandenkolleginnen, die auch „nebenher“, trotz einer Vollzeitberufstätigkeit, an einer Dissertation schrieben – das gemeinsame „Schicksal“ hin und wieder zu erörtern tat gut. Herrn Prof. Dr. Hans-Josef Buchkremer danke ich sehr für die Bereitschaft, sich als zweiter Gutachter mit dieser Arbeit zu befassen. Nach all diesen unmittelbar mit dem Thema oder der Entstehung der Arbeit befassten Menschen gibt es zwei weitere, die mir im privaten Umfeld sehr halfen: mein Freund Dr. Roman Schmid, der mir im Alltag den Rücken frei hielt, 8 beim Formatieren half, Korrektur las und sogar auf einen gemeinsamen Jahresurlaub verzichtete, weil ich meine freien Wochen am Computer verbringen wollte. Besagter Sommerurlaub 2003 wäre der letzte als Paar gewesen, denn im Dezember 2003 wurde unser Sohn Bjarne Laurin geboren. Bjarne brachte als wenige Wochen alter Säugling eine bewundernswerte Geduld auf: Er lag zwischen Tastatur und mir auf dem Schreibtisch oder hing im Tragetuch vor mir, während ich am Abschluss dieser Forschung arbeitete. Ich werde mich bemühen, mich in vielen Jahren ebenso geduldig zu zeigen, wenn es um die Unterstützung seiner schulischen oder gar universitären Arbeiten geht. Danke! Köln im März 2004 Antje-Franziska Knauf 9 1. Einleitung Ein Familien entlastender Dienst für Menschen mit Demenz sollte in Köln im Rahmen einer Modellfinanzierung durch das Landesministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie aufgebaut und koordiniert werden: Zu Hause lebenden Demenzkranken und ihren Angehörigen sollte Unterstützung durch geschulte Freiwillige angeboten werden. Diese Aufgabe übernahm ich im Dezember 2001. Wie genau diese Unterstützung aussehen, in welchem Umfang die Freiwilligen geschult und begleitet werden und was überhaupt das Ziel dieses Projektes genau sein sollte , war offen. Das machte die Aufgabe so reizvoll. Die ersten Überlegungen betrafen das Ziel und damit die primäre Zielgruppe des Unterstützungsdienstes. Beides musste definiert werden, bevor die konzeptionelle Arbeit beginnen konnte. Drei Personengruppen treffen unmittelbar aufeinander: Erkrankte, pflegende Angehörige und geschulte Freiwillige. Sie alle befinden sich im gesellschaftlichen Spannungsfeld von alternder Bevölkerung, abnehmender Pflegebereitschaft, leeren Kassen und der medizinischen Ohnmacht vielen Demenzformen gegenüber. Verbindendes Element der drei Personengruppen ist das Thema Demenz. Wem soll die Unterstützung in erster Linie dienen und unter welchem Fokus soll die Projektevaluation stattfinden? Sehen wir uns die drei direkt involvierten Personengruppen und einige Fragen dazu im Folgenden näher an: Zunächst Gedanken zu den demenziell Erkrankten: Wie fühlen sie sich? Weicht die Einschätzung der Angehörigen diesbezüglich von den Beobachtungen der Helferin ab? Inwiefern macht sich der Wechsel der Betreuungsperson bemerkbar (die pflegende Angehörige geht, die Helferin übernimmt an ihrer Stelle die Betreuung)? Gelingt es, mit den demenziell Erkrankten Kontakt aufzunehmen? Welche Unterschiede bestehen zwischen Erkrankten, die in ihrer eigenen Wohnung gepflegt werden gegenüber den Kranken, die zu der pflegenden Angehörigen in den Haushalt gezogen sind? 10 Einige Überlegungen zu den pflegenden Angehörigen: Sie möchten sich etwas Freiraum durch die Unterstützung einer Helferin schaffen. Wie sehen sie ihre Pflegetätigkeit angesichts des progressiven Krankheitsverlaufes? Welche Momente geben ihnen Kraft? Welche pflegebedingten Belastungen nehmen sie wahr? Nehmen sie andere Hilfen an? Gelingt es Ihnen, die Helferin und den Erkrankten allein zu lassen? Was empfinden sie dabei? Sehen sie die Besuche der Helferin als Unterstützung für sich oder als Abwechslung für den Erkrankten an? Wie würden pflegende Angehörige ihre freie Zeit gerne verbringen? Wie schätzen die Betreuenden ihre Lebensqualität ein? Ist es möglich, diese mit Hilfe stundenweiser Unterstützung zu erhöhen? Nun zu den geschulten Betreuungskräften: Sie betreuen gegen eine Aufwandsentschädigung demenziell Erkrankte – wer sind die Helferinnen und Helfer, die freiwillig eine solch anspruchsvolle, allein in der Häuslichkeit des Kranken zu bewältigende Aufgabe übernehmen? Warum entscheiden sie sich für dieses Engagement? Welche Erfahrungen machen sie? In welchem Rahmen sind geschulte Kräfte in der Betreuung demenziell Erkrankter einzusetzen? Wie viel professionelle Begleitung benötigen sie? Welcher Art sollte die Begleitung sein? Fragen über Fragen. Kein Gedankenkomplex kann vollkommen isoliert betrachtet werden. Sie agieren zusammen, die Kranken, die Angehörigen und die geschulten Betreuungskräfte. Die Krankheit scheint sowohl in der pharmazeutischen als auch in der gerontologischen Forschung viel beforscht zu werden, jedenfalls ergaben Stichwortsuchen in den einschlägigen Datenbanken sehr viele Treffer. Zudem erschien dieses Projekt, das eine „stundenweise häusliche Unterstützung“ anbietet ungeeignet, valide Daten über das Wohlbefinden der Erkrankten zu liefern, da die Helferinnen nicht in Beobachtungsmethoden wie dem Dementia Care Mapping geschult wurden. Folglich wären so viele überwiegend subjektiv wahrgenommene Einschätzungen zusammengekommen, wie Helferinnen im Einsatz sind: Also keine Basis für reliable und valide Daten. Blieben die pflegenden Angehörigen und die freiwilligen Helferinnen als Forschungsgegenstand – beide Seiten umfassend zu betrachten, hätte den 11 Umfang dieser Arbeit gesprengt. Das Thema Freiwilligkeit und Bürgerschaftliches Engagement findet in den letzten Jahren vermehrt Beachtung. Es gibt nicht mehr nur die goldene Ehrennadel für 25jährige ehrenamtliche Tätigkeit in einer Organisation oder einem Verein (gegen diesen Ausdruck von Wertschätzung ist nichts einzuwenden), die Formen der Wertschätzung Schulungen werden und eine aber immer klare Struktur vielfältiger. der Versicherungsschutz, Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Freiwilligen sind üblich, Plakatwände zeugen von der Ausschreibung von Ehrenamtspreisen und im Bundestag beschäftigte sich eine Enquête-Kommission mit der „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Aber wo sind die Forscherteams, die sich mit pflegenden Angehörigen befassen? Und eine Enquête-Kommission „Pflegende Angehörige“? Immerhin, just in den Wochen, in denen diese Arbeit fertig gestellt wurde reichten die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Antrag im Bundestag ein, der Leitlinien zur Verbesserung der Situation demenzkranker Menschen vorschlägt. Zwei der vier Leitlinien benennen ausdrücklich die Notwendigkeit der Unterstützung von pflegenden Angehörigen in Form von Informationsangebote n und einem „Netz abgestufter, bedürfnisorientierter und gemeindenaher Hilfen und Versorgungsangebote einschließlich niedrigschwelliger Angebote“ (Deutscher Bundestag; 2004; 6). In der Politik ist also das Thema „Demenz und pflegende Angehörige“ angekommen – bleibt abzuwarten, welche konkreten Maßnahmen jetzt ergriffen werden. Allein ein Antrag im Bundestag hilft der einzelnen Pflegenden noch gar nicht. Mir scheinen zu Hause pflegende Angehörige demenziell Erkrankter eine vergessene Mehrheit zu sein. Die Überzahl der Demenzerkrankten wird zu Hause betreut – von ihren Angehörigen. Geht man von knapp 1 Mio. mittel bis schwer an Demenz Erkrankten im Jahr 2003 aus, ergibt sich je nach Quelle eine Summe von rund 700.000 zu Hause lebenden Demenzpatienten. Folglich gibt es ungefähr 700.000 Pflegende in Deutschland, die zu Hause einen Demenzkranken pflegen. 12 Eine vergessene Mehrheit, die all ihre Kraft für das Wohl eines kranken Menschen einsetzt und daher keine Energie mehr hat, auf sich aufmerksam zu machen. Dabei sind pflegende Angehörige der größte und günstigste Pflegedienst der Republik. Spätestens unter diesem ökonomischen Aspekt müsste den Angehörigen größter Respekt gezollt werden, denn sie belasten das Gesundheitssystem nicht in dem Maße, wie eine professionelle Betreuung aller Demenzpatienten es täte. Was aber wird, „wenn das familiäre Pflegepotenzial aufgrund niedriger Geburtenraten, erhöhter Mobilität und Berufstätigkeit von Frauen abnimmt, wenn die familiäre Solidarität durch Scheidung erschüttert wird und die Bereitschaft und Fähigkeit von Angehörigen, demenzkranke Familienmitglieder zu pflegen“, sinken wird (BMFSFJ; 2002; 182)? Ich denke, diese Fakten lassen zumindest eine n logische n Schluss zu: Zu Hause Pflegende müssen unterstützt werden. Pflegenden Angehörigen und Menschen, die vor der Alternative stehen, den Erkrankten zu pflegen oder in eine stationäre Einrichtung ziehen zu lassen, die Perspektive auf Freiräume zu bieten und damit die potentielle Pflegebereitschaft sowie die Pflegefähigkeit zu unterstützen ist nicht nur ökonomisch sinnvoll. Auch lässt sich der Wert einer – unserer - Gesellschaft daran messen, wie wir mit den schwachen Gliedern umgehen. Sehr geschwächt sind hier diejenigen, die sich kaum zu Wort melden können – weil sie sich rund um die Uhr um das Wohl eines altersverwirrten Angehörigen kümmern. Diejenigen, die kaum zu Wort kommen – weil stets die Krankheitsgeschichte des demenziell Veränderten erfragt wird. Die vergessene Mehrheit soll zu Wort kommen. Ist es ein „24-Stunden-Job“, den insbesondere pflegende Angehörige demenziell Erkrankter tagtäglich erledigen? Nein, es ist mehr, denn wäre es „nur“ ein „Job“, hätten sie während der vierundzwanzig Stunden einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Pausen, könnten nach vierundzwanzig Stunden nach Hause gehen, bekämen eine monetäre Entlohnung ihrer Tätigkeit, vielleicht sogar noch mit Nacht- und Feiertagszuschlag und hätten einen Urlaubsanspruch von ungefähr dreißig Arbeitstagen im Kalenderjahr. Aber wie 13 lange ist es bei vielen Hauptpflegepersonen her, dass sie sich überhaupt Urlaub von der Pflege gegönnt haben? Von einem Erholungszeitraum von fünf oder sechs Wochen im Jahr ganz zu schweigen. Sich zu erholen bedeutet loszulassen vom (Arbeits)alltag und den eigenen Bedürfnissen nachkommen zu können. Dies ist der wohl gewichtigste Unterschied zwischen einem geregelten „24-Stunden-Job“ und der rund-um-die Uhr Betreuung eines demenziell erkrankten Angehörigen: Den Kranken loslassen und die Betreuung für die Dauer der Freizeit in andere Hände legen bzw. die eigene Rolle der pflegenden Angehörige frei geben und sich aktiv entfernen, um neue Kraft zu sammeln: „Ich bin doch verpflichtet, ihm beizustehen!“ „Keiner kennt ihn so gut wie ich, ich verstehe seine Äußerungen, ich weiß, was er braucht, das kann kein Fremder!“ „Was ist, wenn er auf mich böse ist, wenn er merkt, dass ich etwas für mich tue?“ „Was soll ich denn alleine machen, ich habe seit über 50 Jahren nichts ohne meinen Mann unternommen!“ „Noch geht es ja, andere sind viel schlimmer dran!“ Zweifel, Ängste und Relativierungen, die in der oft Jahrzehnte lang gewachsenen emotionalen Bindung begründet sind, erschweren es pflegenden Angehörigen häufig, hinsichtlich ihrer eigenen Bedürfnisse auf ihren „gesunden Menschenverstand“ zu hö ren: sah mir doch Frau M., eine pflegende Angehörige, nach arbeitsreichen Wochen meine Erschöpfung an (die von vielleicht 45-50 Arbeitsstunden pro Woche herrührte und nicht von 168, die sie seit Jahren wöchentlich leistet!) und meinte: „Liebchen, was bist du blass - Sie brauchen Urlaub! Unternehmen Sie was Schönes und vergessen Sie uns alte Menschen für ein paar Tage!“ Das war sehr aufmerksam von ihr – aber ihre eigene Haut erschien durchsichtig, ihre Augen blickten matt und müde und sie erzählte, dass sie in den letzten Monaten fünf Kilo abgenommen habe. Ihr an Demenz erkrankter Ehemann hingegen hatte rosige Wangen und wirkte wohlgenährt. Es gibt einige Möglichkeiten, Frau M. und all die anderen angestrengten, vielleicht schon erschöpften pflegenden Angehö rigen demenziell Erkrankter zu unterstützen: Ein ambulanter Pflegedienst kann zumindest die körperlich 14 anstrengenden Aufgaben wie baden, duschen oder Scham besetzte Verrichtungen wie die Intimpflege abnehmen. Frau M. kann einen Kurzzeitpflegeaufenthalt ihres Mannes dazu nutzen Urlaub zu machen und genau wie sie es mir riet, etwas Schönes zu unternehmen und den Pflegealltag zu vergessen. Sie kann an einem Gesprächskreis oder an Informationsabenden für pflegende Angehörige teilnehmen. Sie kann all diese etablierten und in den Leistungskatalog der Pflegekassen aufgenommenen Unterstützungsangebote nutzen. Aber „kann“ sie es wirklich? Gelingt es ihr, den Partner von einem bzw. sogar von unterschiedlichen fremden Menschen, dem Personal eines Pflegedienstes, waschen zu lassen? Wird sie ihren Mann für einige Wochen in eine stationäre Einrichtung geben, um selbst auszuspannen? Kann Frau M. denn überhaupt ausspannen, ist sie nicht ständig mit den Gedanken bei ihrem Mann in der Kurzzeitpflege? Befürchtet sie nicht, er könne ihr böse sein? Oder er könne immobil zurück nach Hause kommen? Selbst wenn sie ihn vier Wochen in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung betreuen ließe, wer entlastet sie die übrigen 48 Wochen des Jahres wenigstens zeitweise? Sie überlegt, eine Angehörigengesprächsgruppe oder Informationsabende und Beratung wären vielleicht sinnvoll – aber wer betreut so lange ihren Mann? Allein lassen kann sie ihn auf keinen Fall! Außerdem, all das Gerede von der fürchterlichen Krankheit, sie weiß schon selbst am besten, wie das ist. Wenn sie schon mal für einige Stunden ohne ihren Mann aus dem Haus könnte, dann würde sie gerne... ...im Park sitzen und den Vögeln zuhören, eine Domführung machen, in die Sauna oder zum Schwimmen gehen, alte Klassenkameradinnen zum Klönen treffen, beim Neffen das Video von dessen Hochzeit anschauen, zu der sie leider nicht kommen konnte, (wer weiß, wie ihr Mann auf all die Leute dort reagiert hätte…), eine Schifffahrt mit der „Köln-Düsseldorfer“ unternehmen, in die Philharmonie gehen, wo sie früher ein Abonnement mit ihrem Mann zusammen hatte, in der Altstadt einen Kaffee trinken und den Touristenströmen 15 zusehen, in einem Brauhaus Rheinischen Sauerbraten essen, in den Zoo gehen, wo sie früher öfters mit den Kindern bei der Seehundfütterung zugesehen hatte, einen Moment für sich sein und träumen, den Gedanken nachhängen und „sich ein bisschen als normaler Mensch fühlen“... ...nur ein paar Stunden in der Woche, und „danach mit schönen Erlebnissen im Kopf wieder eintauchen in den Pflegealltag – das wäre was!“ Die von Frau M. geschilderten Wünsche klingen nachvollziehbar. Gehört es doch zu unserem Alltag, sich hin und wieder mit Freunden zu treffen, einen Kaffee trinken zu gehen oder auch nur Momente der Stille zu genießen oder den Gedanken freien Lauf zu lassen. Sei es auch nur während man auf die Straßenbahn wartet. Die genannten Unterstützungsangebote sind unentbehrlich, aber vielleicht nur einzelne Mosaikstückchen im Gesamtbild einer umfassenden ambulanten Versorgung. Durch den stundenweisen Einsatz freiwilliger Helferinnen soll Frau M. und möglichst vielen anderen Angehörigen von Menschen mit Demenz der Traum von etwas freier Zeit erfüllt werden. Dieses Ziel vor Augen, entstanden das Konzept und der griffigere Titel des neu zu errichtenden Angebotes: „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“. Wie auf einem Tandem wirken die drei vorgestellten Personengruppen zusammen: Der demenziell Erkrankte lenkt und die pflegende Angehörige tritt nach Kräften in die Pedale, um die häusliche Pflegesituation aufrecht zu erhalten. Stundenweise erhält sie Unterstützung durch eine geschulte Kraft, eine Tandem – Partnerin, die für sie strampelt und den demenziell Erkrankten ein Stück auf seinem Weg begleitet. Ein fester, dankbarer Hä ndedruck von Frau M., ein Strahlen in ihren Augen, wenn sie erzählt, dass sie sich immer für gutes und für schlechtes Wetter etwas vornimmt, ihre Vorfreude auf diese Unternehmungen und unser gemeinsames Lachen, als sie berichtet, dass ihr Hund ganz erstaunt schien, als sie eine 16 große Runde mit ihm lief und er nicht direkt nach seinem „Geschäft“ wieder ins Haus musste . Sie erzählt weiter, der Hund sei nach 2 Stunden Spaziergang im Regen noch erschöpfter, aber bestimmt genauso glücklich gewesen, wie sie. Das motiviert außerordentlich, pflegenden Angehörigen eine stundenweise Unterstützung zur Seite zu stellen. Es ist eine schöne Bestätigung der eigenen Tätigkeit, von Angehörigen erfreuliche Rückmeldung zu bekommen, immer das Ziel vor Augen, ihre Lebensqualität zu unterstützen, wenn möglich sogar zu steigern. „Dinge zu nehmen, wie sie sind, ist für den Untersuchenden eine Pflicht, für den Handelnden und Wertenden mitnichten“, sagte der Philosoph Ernst Bloch seinerzeit. Er umschreibt damit weise das Ziel der Arbeit, eingeschlossen das Ziel des Projektes und ein mögliches Ziel derer, die ein Projekt wie das hier evaluierte nachahmen möchten: Die Dinge, die einzelnen Aspekte des Projektes Tandem wie sie konzipiert und umgesetzt wurden, zu nehmen wie sie sind, ist für mich, als Untersuchende, eine Pflicht. Entsprechend wird in dieser Arbeit versucht wissenschaftlich auszuwerten, ob sich eine stundenweise häusliche Unterstützung auf die Lebensqualität von pflegenden Angehörigen auswirkt: Lässt sich eine Auswirkung in gewünschter Richtung erkennen, soll das Ausmaß der Veränderung festgestellt werden, um jeglichen Anbietern ambulanter Altenhilfe Mut zu machen, wie ihre bestehenden Hilfsangebote effektiv und effizient ergänzt werden können. Noch werden 7081% der leicht und mittelschwer demenziell Erkrankten zu Hause gepflegt und betreut (Naegele&Reichert, 2000), aber der Prozentsatz derer in den pflegenahen Jahrgängen, die „unbedingt“ oder „eher selber pflegen“ wollen, ist gering: Im urbanen Umfeld sprechen sich nur 18% der 40-60jährigen dafür aus, die Pflege eines nahen Angehörigen selbst zu übernehmen (vgl. Blinkert; 2003). Sozialer und demographischer Wandel sowie steigender Kostendruck werden die Pflegelandschaft in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Während die Zahl der Pflegebedürftigen zunehmen wird, zeichnet sich eine eklatante Verringerung des informellen Pflegepotentials, sprich Ehegatten bzw. Lebenspartner oder Kinder ab, so dass professionelle bzw. zumindest 17 professionell angeleitete Unterstützungsangebote zwangsläufig einen höheren Stellenwert bekommen werden als heute. Abb.1 Entwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen (Blinkert 2003; 4) Von der Veränderung der Sozialstruktur und der Demographie, auf die in Kapitel 3.1 („Die demographische Entwicklung“, ab Seite 23) noch näher eingegangen wird, zurück zur Philosophie des Ernst Bloch: Er stellte in obigem Ausspruch dar, dass es für den Handelnden und Wertenden, den ambulanten 18 Träger der Altenhilfe, denjenigen, der das Konzept aufgreift, oder aber den kritischen Leser dieser Arbeit mitnichten eine Pflicht ist, die Dinge, die gesellschaftliche Entwicklung aber auch das Projekt Tandem als eine Reaktion auf eben beschriebene Entwicklung zu nehmen, wie es ist. In dieser Arbeit werden Konzeptbausteine vorgestellt und Betreuungsprozesse begleitet, das Zusammenspiel von Praxis und Forschung wird beispielhaft an dem in Köln bestehenden Projekt „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ dargestellt. Zweifellos kann ein solches Konzept nicht auf jedes beliebige Gemeinwesen übertragen werden, so ist es fast eine Pflicht für den Handelnden, ein Konzept wie das vorliegende an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Ernst Bloch trennt klar die Rollen des Untersuchenden und des Handelnden, was aus wissenschaftlicher Sicht nur zu unterstreichen ist. Wissenschaftliche Objektivität wird der Leser in dieser Arbeit vorfinden – allerdings gepaart mit den Erfahrungen unterschiedlicher Sichtweisen von Demenz und den betroffenen Familien. Die distanzierte, wissenschaftliche Sicht auf die Veränderungen in der Lebensqualität pflegender Angehöriger leitet mich als Forschende. Der tägliche Umgang, der direkte Kontakt mit pflegenden Angehörigen und Erkrankten, aber auch mit anderen Dienstleistern der Altenhilfe oder mit Pflegekassen, versetzt mich erst in die Situation, reflektiert nach Lösungen auf Fragen, Probleme und Defizite zu suchen, die sich ohne diese Begegnungen mit den Zielgruppen gar nicht ergeben würden. Fragen, die hier zum Teil beantwortet werden, aber auch Probleme, die nur angerissen werden können, sollen Praktiker ermuntern, ihre tägliche Arbeit systematisch auszuwerten. Die Praxis kann nicht untätig warten bis die Forschung ihre Ergebnisse wissenschaftlich abgesichert vorlegt (Großjohann; 2002). Sie muss handeln, ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben. Die Handelnden und Wertenden sollten sich im Austausch mit den Untersuchenden stets auf der Suche nach einer „best practice“ befinden. Diese Überlegung leitete mich in dieser Arbeit: als Koordinatorin des Projektes auf der Suche nach wirkungsvoller Unterstützung für pflegende Angehörige – als Forscherin in der Rolle der objektiv Untersuchenden. Zweifellos ein selbst 19 auferlegtes doppeltes Mandat, das aber eine vielschichtige Betrachtung und Reflexion der Demenz als Familienkrankheit, also als ein Syndrom, das mehr Personen als nur den Erkrankten direkt betrifft, erst ermöglichte. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich mich entschieden, durchgehend nur jeweils die weibliche oder die männliche Form zu benutzen. Aufgrund meiner Erfahrungen mit Pflegekonstellationen spreche ich in dieser Arbeit von der weiblichen pflegenden Angehörigen, der weiblichen Helferin, Tandem – Partnerin oder Freiwilligen, der weiblichen Seniorenberaterin und dem männlichen Demenzkranken. 20 2. Fragestellung Welch positive Einflüsse regelmäßige Besuche von geschulten Freiwilligen bei demenziell Erkrankten haben, wurde von Oppikofer und Albrecht in der Käferberg-Besucher-Studie eindrucksvoll dargelegt: Während der zehnwöchigen Studiendauer erhielten Bewohner eines Krankenheimes einmal wöchentlich eine Stunde lang Besuch von immer der selben Helferin bzw. dem selben Helfer. In der Auswertung kamen klare Effekte bzgl. des psychischen Wohlbefindens der Heimbewohner ans Licht: es gefiel ihnen nun besser im Heim und sie zeigten sich nach der Besuchsphase aktiver als die Kontrollgruppe, die keinen Besuch von geschulten Freiwilligen bekommen hatte (Oppikofer et. al.; 2001). Zu Beginn des Projektes Tandem wurde nun unterstellt, dass stundenweiser Besuch auch für zu Hause lebende Demenzkranke eine willkommene oder zumindest weitestgehend akzeptierte Abwechslung sei. Stellte sich die Frage, wie pflegende Angehörige es empfinden, wenn regelmäßig eine geschulte Helferin zu ihnen nach Hause kommt und sie in der Betreuung des Erkrankten eine bestimmte Zeit vertritt. Der Begriff des psychischen Wohlbefindens aus der Käferberg-Besucher-Studie erschien nur teilweise geeignet, da er lediglich das momentane Wohlbefinden einschließt (Oppikofer, Albrecht; 2002). Bei einem Unterstützungsangebot für die pflegenden Angehörigen, das nur stundenweise tätig sein kann, kann es meiner Meinung nach nicht nur um das momentane Wohlbefinden gehen. Vielmehr sollten Angehörige dazu motiviert werden, die freie Zeit so zu nutzen, dass sie aus dem Erlebten möglichst über den konkreten Entlastungseinsatzes hinaus Nutzen für ihren Alltag ziehen können. Der Nutzen der Unterstützung für die Angehörigen sollte möglichst nachhaltig gestaltet werden – und da Beurteilungen der „Lebensqualität“ in der gerontologischen Fachliteratur „häufig als Hinweis für die Effektivität von sozialpolitischen Maßnahmen und Wohlfahrtsprogrammen“ (Smith et al. in Meyer&Baltes; 1996, 497) verstanden werden, und Tandem ob seiner 21 derzeitigen Förderung des Landes NRW als „sozialpolitische Maßnahme“ zu verstehen ist, bietet sich folgende Fragestellung an: „Veränderte sich die subjektiv empfundene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen, wenn Besuche einer geschulten Freiwilligen stattfa nden?“ In dieser ersten Fragestellung liegt die Betonung weniger auf dem Zeitraum, als auf der Veränderung der Lebensqualität in gewünschter Richtung. Innerhalb von sechs Monaten, so lang war der jeweilige Untersuchungszeitraum, geben Angehörige möglicherweise eine Steigerung ihre Lebensqualität an. Angehörige demenziell Erkrankter betreuen ihr pflegebedürftiges Familienmitglied aber häufig bereits über einen längeren Zeitraum, oft schon jahrelang. Sie kümmern sich Tag und Nacht um den Kranken, der zunehmend hilfsbedürftig wird und dessen Persönlichkeit möglicherweise mit fortgeschrittener Krankheit ganz andere Züge zeigt, als früher. Der Kranke zieht sich zunehmend zurück, reagiert „komisch“ auf Freunde, die sodann unangenehm berührt sind und schnell wieder gehen – nicht ohne zu beteuern, sie kämen bald wieder. Was nicht geschieht. Im Stammrestaurant ist die pflegende Angehörige peinlich berührt, wenn der Kranke mit den Fingern isst und schmatzt. Wochen später bestellt sie noch einmal den Lieblingstisch in diesem Restaurant für ihren Mann und sich – die beiden werden unter Vorwänden an einen anderen Tisch in der hintersten Ecke geleitet. Dem Restaurant könnten wichtige Gäste fernbleiben, wenn sich herumspräche, dass hier „solche“ Menschen ein- und ausgingen. Die Frau wird in Zukunft keine so genannten „Freunde“ mehr einladen und auch nicht mehr im Restaurant essen wollen. Das Paar wird zu Hause bleiben, seine Außenkontakte (zwangsläufig) verringern und die Pflegende wird ihre eigenen Bedürfnisse zurück stellen. Anderes Beispiel: ein Ehepaar mit klar verteilten Rollen. Sie gab mit der Heirat ihre berufliche Tätigkeit auf, war für Haushalt und Kinder zuständig. Als die Kinder aus dem Haus gingen, kümmerte sie sich ein wenig um die Enkel und die gehbehinderte Nachbarin, kaufte für sie ein oder brachte etwas für sie zur Reinigung. Die Enkel wurden groß, kamen weniger zu Besuch, die gehbehinderte Nachbarin verstarb plötzlich. Ihr Mann arbeitete tagein, tagaus. Er wurde vergesslicher, sie kompensierte vieles - hatte sie sich doch immer um sein Wohl gekümmert. Er schied aus dem Berufsleben aus – jetzt unternahmen 22 sie Einiges zu zweit. Wenige Jahre genossen sie ihren Freiraum. Seitdem sind neun Jahre vergangen: neun Jahre des körperlichen und vor allem geistigen Abbaus zeichnen jetzt den Ehemann. Seit der Hochzeit ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen – ein halbes Jahrhundert, in dem sie sich über ihn definierte, seine Freunde kamen zu Besuch, sie gingen gemeinsam seinen Interessen nach. Jetzt unternehmen sie nichts mehr gemeinsam, er kann seine Interessen nicht mehr artikulieren. Und die Frau? Sie antwortet auf die Frage, was sie denn gerne machen würde, wenn sie ihren Mann gut betreut wüsste „ich? Etwas machen? Ich habe seit 52 Jahren nichts ohne meine n Mann unternommen!“ Gelingt es pflegenden Angehörigen, die häusliche Pflegesituation hinter sich zu lassen und für einige Stunden ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen? Ob es ihnen überhaupt gelingt und Auswirkungen auf ihre Lebensqualität hat, war die erste Fragestellung. Aber wie lange dauert es, bis sie, führen wir uns die oben skizzierten Lebens - bzw. Betreuungsgeschichten vor Augen, loslassen können? Ist es ein Zeitrahmen, der überblickbar ist, so dass nicht nur die Angehörigen in Frage kommen, für die eine langfristige Begleitung durch eine stundenweise Unterstützung möglich scheint? Die zweite Fragestellung, die in dieser Arbeit untersucht wurde lautete also: „Wie viele Tandem – Besuche benötigen pflegende Angehörige, um eine Steigerung ihrer Lebensqualität wahrzunehmen?“ Der dritte Erkenntnis leitende Komplex befasst sich im Gegensatz zu den beiden ersten nicht mit den Unterstützungseinsätzen an sich, sondern mit dem Gesamtkonzept des Projektes „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige vo n Menschen mit Demenz“. Neben den Unterstützungsbesuchen der Tandem– Partnerinnen können die pflegenden Angehörigen Beratung oder Hilfe bei der Vermittlung weiterer Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder zu Informationsabenden für Angehörige kommen, die jeweils ein demenzspezifisches Thema behandeln. In der Regel geht es bei diesen Abendveranstaltungen um den praktischen Umgang mit dem Erkrankten. 23 Das Konzept ist so umfassend gestaltet, um den pflegenden Angehörigen möglichst viel Information und Unterstützung aus einer Hand zukommen zu lassen. Erfahrungsgemäß fällt es ihnen schwer, sich in den unterschiedlichen Institutionen durchzufragen. Kompetente, umfassende Hilfen, niedrigschwellig vermittelt, will Tandem den Familien anbieten. Um dies leisten zu können, sind professionell arbeitende, hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerlässlich – eine nebenamtliche Umsetzung des Gesamtkonzeptes erscheint unmöglich und würde ein falsches Signal setzen: Gegen eine Aufwandsentschädigung arbeitende Freiwillige oder sogar unentgeltlich Tätige können und sollen nicht die Leidtragenden möglicher Sparmaßnahmen sein. Ihnen Verantwortung zu übertragen ist richtig – sie damit nicht allein zu lassen, die gesellschaftlich-logische Voraussetzung. Also ist Folgendes zu untersuchen: Ziehen Angehörige aus den Möglichkeiten, die das Gesamtkonzept ihnen bietet, für sich einen Nutzen? Hintergrund aller gestellten Fragen ist die Notwendigkeit, neue Wege zu finden, die die ambulante Betreuung demenziell erkrankter Menschen gewährleisten und unterstützen, um die Pflegefähigkeit der Angehörigen so lange wie möglich zu erhalten. Tandem beschreitet einen solchen neuen Pfad – die folgenden Kapitel bahnen aber zunächst einen Weg durch die Forschung zum Thema Demenz, bevor in Kapitel 4 („Hypothesen“, ab 75) die aus den Fragestellungen abgeleiteten Hypothesen zu finden sind, die in den darauf folgenden Kapiteln geprüft werden. In Kapitel 7ff („Hypothesenprüfung und Diskussion der Ergebnisse“, ab Seite 106) werden die Ergebnisse beschrieben und diskutiert. Bleibt bis dorthin abzuwarten, ob ein häuslicher Unterstützungsdienst, insbesondere einer, der in einer Großstadt mit einem profunden Konzept umgesetzt wird, ein gangbarer Weg in der ambulanten Hilfe sein kann. 24 3. Stand der Forschung 3.1 Die demographische Entwicklung Der demographische Wandel der nächsten Jahrzehnte stellt ein historisch einmaliges und globales Phänomen dar. Die Lebenserwartung ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit um zwanzig Jahre gestiegen und sie wird weiter ansteigen. Der prozentuale Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung wird sich voraussichtlich bis 2050 verdoppeln, gleichzeitig kommt es zu einer Verdreifachung der absoluten Zahl über 60jähriger. Das bedeutet: Erstmals in der Menschheitsgeschichte werden mehr ältere als jüngere Menschen auf dem Globus leben (Liaison Office Ageing; 2002). In Europa gibt es mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung weltweit zwei Superlative zu verzeichnen: Italien hat den prozentual höchsten Anteil älterer Mensche n und Spanien die niedrigste Geburtenrate. Obwohl die Bundesrepublik keine diesbezüglichen Spitzenpositionen aufzuweisen hat, erfordert die Bevölkerungsentwicklung größte Aufmerksamkeit und weitreichende Maßnahmen: Der im Jahr 2000 vorgelegten 9. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung ist zu entnehmen, dass bis zum Jahr 2030 eine Zunahme der über 65jährigen von derzeit gut 13 Mio. bundesweit auf dann über 20 Mio. zu erwarten ist. In diesem Jahrzehnt nimmt die Altenbevölkerung jährlich um 260 000 Personen zu. Dieser „rasante Anstieg wird nach 2010 zwar abgeschwächt, doch Jahr für Jahr werden bis 2030 im Durchschnitt 224 000 ältere Menschen hinzukommen“ (Bickel; 2001; 110). Vor allem Fortschritte in der Medizin bedingen die steigende Lebenserwartung, es gibt große Erfolge in der Bekämpfung von Herz-Kreislauferkrankungen. Daneben lässt sich die steigende Gesamtzahl älterer Menschen auch mit der langen Friedenszeit begründen, die die Bundesrepublik seit 1945 erlebt. Die beiden Weltkriege hatten deutliche Einschnitte insbesondere in der männlichen Bevölkerung hinterlassen. Der Geburtenboom nach dem zweiten Weltkrieg hat zur Folge, dass es in den nächsten Jahrzehnten eine stark ansteigende Zahl älterer und hochaltriger Menschen geben wird. 25 Die Zahl der Jüngeren ist dagegen rückläufig. Die Geburtenrate in Deutschland liegt derzeit bei 1,3 Lebendgeborenen pro Frau – noch Mitte der sechziger Jahre lag sie fast doppelt so hoch. Während „derzeit 17 Personen zwischen 20 und 64 Jahren auf einen hochaltrigen Mensche n über 80 kommen, wird das Verhältnis 2050 aller Voraussicht nach 5:1 sein“ (Bickel; 2001;110). Ende der 60er Jahre begründete die Erfindung der Anti-Baby-Pille den sog. „Pillenknick“ – einen starken Rückgang an Geburten. Ein historisches Ereignis gegen Ende des 20. Jahrhunderts zog einen weiteren Geburtenrückgang nach sich: die deutsche Wiedervereinigung. Traditionell ausgedrückt haben Kinder ihren „instrumentellen Charakter“ verloren, schreibt Ursula Lehr 1999, man sehe sie nicht mehr als Arbeitskräfte für den Hof oder als Altersvorsorge an. Im Gegenteil, heute wird man als junges Paar eher von Finanzexperten gewarnt, wenn man den Wunsch nach zwei oder gar drei Kindern äußert. Kinder gelten in der Bundesrepublik oft als Armutsrisiko. Deutschland als hoch entwickeltes, wohlhabendes Land mit einem System staatlicher Alterssicherung ist für Böckle ein typisches Beispiel dafür, dass der „Entwicklungsgrad eines Landes negativ mit der Geburtenrate“, dagegen die „Kinderzahl stark positiv mit der absoluten Armut korreliert“ (Böckle 1987, zitiert in Lehr; 1999; 39). Angenommen, die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau bliebe konstant oder würde leicht ansteigen (auf 1,6 Kinder pro Frau), wäre dies für den Alterungsprozess an sich erst einmal unbedeutend: erst ab 2050 würde eine Konsolidierung der demographischen Alterung auf dem oben genannten hohen Niveau vo n 5:1 eintreten (Birg&Flöthmann; 2002). Gepaart mit den statistischen Fakten und Hochrechnungen, stellen jetzt schon soziologische Entwicklungen die Bundesrepublik vor eine große Herausforderung: Wie können die alten Menschen ihren Bedürfnissen entsprechend bei einer selbständigen Lebensführung unterstützt werden - wer übernimmt die Pflege und Betreuung der Pflegebedürftigen? Die Veränderung der Alterspyramide lässt das informelle Pflegepotential (nichtberufliche Helfer, in erster Linie (Ehe)Partner und Kinder) deutlich sinken 26 (Blinkert&Klie, 2001), was bedeuten könnte, dass die Basis für die häusliche Pflege schwindet: ? Verringert sich der Anteil der Jüngeren an der Bevölkerung, sinkt gleichzeitig die Zahl derer, die überhaupt für Pflegetätigkeiten in Frage kommen, ? Haushalts- und Familienformen verändern sich; immer weniger alte Menschen leben im Alter mit anderen zusammen, ? die soziale Verankerung älterer Menschen in informellen Netzwerken nimmt ab, und außerdem ? steigt die Quote der Frauenerwerbstätigkeit an (Blinkert; 2003, 2; Blinkert&Klie; 2001). Eine ernst zu nehmende Entwicklung zeichnet sich also ab – die Vorausberechnungen sind naturgemäß Schätzwerte. Sicher ist jedoch, dass die Bundesrepublik einem, so bezeichnet es Tews, „dreifachen Altern“ entgegensieht. Das bedeutet ? „die Zunahme der absoluten Zahl älterer Menschen, ? einen wachsenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung und ? einen starken Anstieg der sehr alten Menschen im Alter von 80 Jahren und mehr“ (Tews in Reichert; 2000; 2). Sicher ist aber auch, dass älter allein nicht kränker heißt. Eine Analyse unter der Leitung des Gerontologen Kruse hat gezeigt, dass die Zahl der chronisch kranken, hilfs- und pflegebedürftigen Menschen nicht im gleichen Umfang steigen wird. Im Gegenteil, heute sind 70jährige im Durchschnitt fünf Jahre gesünder, als 70jä hrige vor dreißig Jahren (Kruse; 2002; 2003). Inwiefern Alter und Altern als Risiko und Chance begriffen werden kann, wird im nächsten Kapitel erläutert. 27 3.2 Chancen und Risiken des Alter(n)s Studien haben nicht nur gezeigt, dass heute 70jährige so gesund sind wie 65jährige vor Erkrankungen dreißig Jahren, zunehmend erst sondern näher auch, am dass lebensbedrohliche Todeszeitpunkt eintreten (Kruse&Wachter; 2002). Das spricht für „gewonnenen Jahre“ als Ergebnis umfangreicher medizinischer Forschung und Jahrzehnte langer Bemühungen um verbesserte Lebens - und Arbeitsbedingungen. Wer heute in den Ruhestand tritt, hat oftmals noch ein Viertel oder sogar noch ein Drittel seines Lebens vor sich – und das häufig bei relativem Wohlstand und recht guter Gesundheit. Wenn heute von „Gesundheit im Alter“ gesprochen wird, so ist vielfach ein dreidimensionales Konstrukt von Gesundheit gemeint: „Das Fehlen von […] Krankheiten“, ein optimal funktionaler Status der „kognitiven Leistungsfähigkeit, Mobilität, Kontinenz, spezieller Sinnesfunktionen, der Sprache und Kommunikation“ sowie der „Aktivitäten des täglichen Lebens“ (ADL), außerdem „ein individuell angemessenes System sozialer Unterstützung“ (Kruse/Wachter; 2002; 325). Die gewonnenen Jahre erleben viele ältere Menschen als Jahre der Unabhängigkeit (Großjohann; 2000). Von beruflichen Pflichten entbunden, die Familienphase zumeist - bis auf die Freuden des Großeltern-Daseins - hinter sich, haben viele ältere und alte Menschen heute die physischen, psychische n und finanziellen Mittel, die späte Freiheit zu genießen. Neben der umfassenden Chance, die das Alter mit sich bringen kann und die im Kapitel über die Kompetenzen im Alter näher beschrieben wird, seien einige Risiken erläutert, die beim Altern oder im Alter auftreten bzw. auftreten können: Die physiologische Leistungskapazität des alternden Menschen lässt spürbar nach – womit insbesondere das Risiko von Stoffwechsel- und Herz-KreislaufErkrankungen sowie von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates zunimmt (BMFSFJ; 2001). Ein Nachlassen der Sinnesfunktionen, eine geringere Glukosetoleranz und erhöhte Cholesterinwerte (Lampert; 2002) gehören zu den physiologischen Veränderungen im Alter. Alle genannten Erkrankungsrisiken sind individuell verteilt und ausgeprägt. 28 In einigen Studien wie der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie von 1994 konnten Faktoren Sterbewahrscheinlichkeiten für die persönlichen ausgemacht werden: Erkrankungs- Armut, ein und geringes Bildungsniveau und eine niedrige berufliche Stellung stehen in Verbindung mit dem häufigeren Auftreten von oben genannten Krankheiten. Allerdings ziehen weder diese drei Phänomene, noch genetische Dispositionen oder die allgemein nachlassende physiologische Leistungsfähigkeit zwangsläufig pathologische Prozesse nach sich. Erst dauerhafte Belastungszustände wie Stress, unausgewogene Ernährung, Alkohol- oder Tabakkonsum führen zu einer Schädigung der Organe und Gewebe, die Krankheitswert haben kann. Durch präventive Maßnahmen wie ausreichende körperliche Bewegung, nährstoffreiche Ernährung und die Einschränkung oder Aufgabe des Alkoholund Tabakkonsums können Erkrankungsrisiken verringert werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass Angehörige der unteren Bevölkerungsschichten „über ein geringeres Gesundheitswissen verfügen“ (Lampert; 2002; 331). Das bedeutet, dass sie über Präventionsmöglichkeiten schlechter informiert sind, später auf Krankheitsanzeichen reagieren und häufiger ärztlichen Rat ignorieren. Manifestierte Erkrankungen bedürfen häufig einer kontinuierlichen Behandlung und Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen. Aber auch an diesen nehmen Angehörige der unteren Schichten seltener teil (Lampert; 2002). Fehlende oder zu kurze Regenerationsphasen führen aber insbesondere bei Bevölkerungsgruppen, die dauerhaft psychischen oder physischen Belastungen ausgesetzt sind, wozu auch schwere körperlicher Arbeit und mangelhafte Wohnbedingungen zählen, teilweise zur Chronifizierung der Erkrankungen und damit oft zu einschneidenden Veränderungen. 3.2.1 Kompetenzen Die späte Freiheit nutzen zu wissen, um sie möglichst lange bei guter Gesundheit gestalten zu können, ist ein Ziel vieler älterer Menschen. Unterschiedliche Kompetenzen sind dazu notwendig: ? „Körperliche Kompetenz – worunter all jenes, was im vorangegangenen Kapitel als „Gesundheit im Alter“ definiert wurde, zu verstehen ist. 29 ? Alltagspraktische Kompetenz – „Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Gestaltung des Alltags und die Bewältigung einzelner Anforderungen im Alltag bedeutsam sind ? Psychische Kompetenz – „Ressourcen für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben, Anforderungen und Belastungen des Alters ? Kognitive Kompetenz - Erhalt und Ergänzung erworbener Fähigkeiten und Fertigkeiten (Faktenwissen: sowie „gewusst von was“; strukturierten Strategiewissen: Wissenselementen „gewusst wie“)“ (BMFSFJ; 2001; 57f). Die vier genannten Faktoren bilden die Basis für ein selbständiges Leben, das je nach individuellen Bedürfnissen und Verfügbarkeit von Angeboten befriedigend gestaltet werden kann. Insbesondere die körperliche Kompetenz kann vom Einzelnen beeinflusst werden, denn es besteht Einigkeit darüber, dass Kondition und Koordination auch im Alter noch hochtrainierbar sind. Ein dem Lebensstil, der Biographie und den Interessen angemessenes körperliches Training führt, auch wenn es spät begonnen wird, zu einem Maß an Körpererfahrung, das den Menschen befähigt, die Signale seines Körpers zu verstehen und Beeinträchtigungen zu vermeiden oder auszugleichen (Johannsen et al.; 1997). Aktivität hat in diesem Zusammenhang sowohl präventiven als auch rehabilitativen Charakter und dient der Erhaltung der Beweglichkeit und des Selbstwertgefühls. Denn die psychosozialen Effekte körperlichen Trainings liegen in der Überzeugung des Einzelnen, „selbständig und mit Ökonomie die Belastungen des Alltags meistern zu können“ (Johannsen et al.; 1997; 481). Die Alltagspraktischen Kompetenzen werden noch einmal in basale und erweiterte Kompetenzen unterteilt: Zu den basalen Kompetenzen zählen beispielsweise einkaufen oder ein Transportmittel zu nutzen. Unter erweiterten Kompetenzen versteht man komplexere instrumentelle Tätigkeiten wie die Haushaltsführung und soziale Aktivitäten wie die Kontaktpflege mit Freunden und Freizeitaktivitäten (BMFSFJ; 2001). Über alltagspraktische Kompetenzen zu verfügen ermöglicht einem Menschen, weitgehend unabhängig von Hilfe sein Leben kreativ gestalten zu können. 30 Einzelne Situationen im Alter stellen das Individuum vor enorme Entwicklungsaufgaben, in denen große psychische Kompetenz notwendig ist. Der Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand ist eine solche Situation, die eine weitreichende Neuorientierung bei der Gestaltung es Alltags und sozialer Rollen erfordert. Neben solchen Entwicklungsaufgaben erfordern Belastungen oder neue Lebenssituationen oft psychische Stärke: Eigene nachlassende Fähigkeiten in einem der genannten Bereiche oder die Übernahme der häusliche Pflege einer nahe stehenden Person erfordern außerordentliche Bewältigungsstrategien und damit eine große psychische Kompetenz. Es ist erwiesen, dass die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und der Lösung neuartiger kognitiver Probleme mit zunehmendem Alter abnimmt (BMFSFJ; 2001) – gleichzeitig aber auch, dass das Training von Denk- und Lernstrategien in einem gewissen Rahmen durchaus dienlich sein kann, um sich kognitive Kompetenz zu bewahren (Wahl&Tesch-Römer; 1998) Insbesondere im Zusammenhang mit Entwicklungsaufgaben und Belastungssituationen, aber auch in Anbetracht der Tatsache, dass die menschliche Physiologie im Altersprozess nachlässt, ist es bemerkenswert, dass das Ausmaß erlebter Belastungen im Alter nicht höher ist, als in jüngeren Jahren (BMFSFJ; 2001). Zurückzuführen ist dieses Zufriedenheitsparadox auf psychische Anpassungsprozesse älterer Menschen: Die eigenen Belastungen und Einschnitte werden nicht mit denen anderer verglichen, denen es „besser“ geht, sondern mit den Belastungen von Mitmenschen, die ein noch schwereres Los haben. Oder aber Belastungen werden gar nicht in der Gegenwart verglichen, sondern mit schweren Zeiten der eigenen Biographie. Die Fähigkeit, mit der eigenen Situation zufrieden zu sein und auch in Grenzsituationen Zukunftsperspektiven entwickeln zu können ist ein Anknüpfungspunkt für einen Dialog der älteren Generation mit der jüngeren. Eigene Erlebnisse aus Kriegs- und Nachkriegszeiten berichten zu können und damit die Geschichte lebendig zu halten, ist ein Aspekt einer gesellschaftlich dienlichen, kommunikativen Kompetenz älterer Menschen, die auf der Basis von Erfahrung und Erfahrungsverarbeitung gründet. Gesellschaftlichen Nutzen haben alle bisher genannten Kompetenzen – indirekt, wie die erstgenannten, die eine selbständige Lebensführung 31 ermöglichen und damit das Sozialsystem vor größten Ausgaben bewahren oder direkt, wie die kommunikative Kompetenz, die den Dialog zwischen den Generationen ermöglicht. Intergenerationeller Austausch ist auch im beruflichen Alltag von hohem Wert. Im Rahmen von „Wissensbörsen“ oder eines „SeniorTrainings“ bieten ältere, aus dem Beruf ausgeschiedenen Menschen ihr Wissen und ihre Erfahrung jüngeren an, die gerade in den Beruf oder die berufliche Selbständigkeit einsteigen. Auch im Ehrenamt und im Bürgerschaftlichen Engagement sind Fähigkeiten und Fertigkeiten älterer Menschen von großer Bedeutung, indem sie ihre Ressourcen beispielsweise als ehrenamtlicher Kassenwart einem Verein zur Verfügung stellen. Oder innerhalb der Familie oder Nachbarschaft, indem durch die Kinderbetreuung der Älteren erst eine Erwerbstätigkeit und damit eine Sicherung des Lebensstandards der Jüngeren ermöglicht wird. Die beschriebenen Kompetenzen sind beim Einzelnen unterschiedlich ausgeprägt vorhanden bzw. eingeschränkt. Im folgenden Kapitel wird nun insbesondere auf Einschränkungen der körperlichen Möglichkeiten eingegangen, bevor in Kapitel 3.3. („Demenzielles Syndrom“, ab Seite 31) kognitive und damit verbundene Einbußen der alltagspraktischen Fähigkeiten beim demenziellen Syndrom aufgezeigt werden. 3.2.2 Pflegebedürftigkeit Obwohl eine steigende Zahl älterer und alter Menschen ein recht selbständiges und selbstverantwortliches Leben führen kann, steigt das Risiko auf Hilfe angewiesen zu sein. Der Hilfe- bzw. Unterstützungsbedarf kann pflegerischer oder hauswirtschaftlicher Art sein, Unterstützung bei der Tagesstrukturierung bedeuten, Maßnahmen präventiver oder rehabilitativer Pflege oder Beistand in der letzten Lebensphase beinhalten. Auch Unterstützungsleistungen, die sich nicht unmittelbar auf den Hilfebedürftigen beziehen, sondern durch Entlastung des sozialen Umfeldes mittelbar dem Wohle des zu Pflegenden dienen, können notwendig sein. Pflegebedürftigkeit kann trotz ihrer Vielschichtigkeit als Tatsache beschrieben werden, „dass jemand aufgrund von Krankheit, Funktionseinschränkungen, Behinderung oder Alter nicht nur kurzfristig auf pflegerische Hilfe zur 32 Aufrechterhaltung elementarer Lebensfunktionen angewiesen ist“ (BMFSFJ; 2001; 81). Seit Inkrafttreten des PflegeversicherungsGesetzes (SGB XI) gilt bundesweit eine einheitliche Definition von „Pflegebedürftigkeit“. In §15, SGB XI sind einzelne Verrichtungen und Minutenwerte aufgezählt, die notwendigerweise von Hilfspersonen übernommen bzw. erreicht werden müssen, um als „pflegebedürftig“ im Sinne des Gesetzes zu gelten. Es muss ein erheblicher Hilfebedarf bei regelmäßigen und wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens (Körperpflege, Ernährung, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung) gegeben sein, wobei dieser Hilfebedarf voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern muss. Auf Antrag und nach persönlicher Begutachtung wird die pflegebedürftige Person gegebenenfalls in eine der drei Pflegestufen eingeordnet und ist damit leistungsberechtigt. Der Pflegeaufwand, also Art der Hilfe, Häufigkeit und tägliche Dauer der Hilfebedürftigkeit, sind in der Erhebung entscheidend für die Einstufung. Die an körperlichen Hilfen des Erkrankten orientierte Definition des Gesetzes teilt auf Hilfe angewiesene alte Menschen in zwei Klassen: Diejenigen, die somatisch pflegebedürftig sind und damit in den Katalog des Gesetzgebers passen. Daneben Beaufsichtigungsbedarf diejenigen, weitgehend deren vernachlässigt Unterstützungswird, da der und reine „Pflegebedarf“ in den genannten Kategorien Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung (noch) nicht in einem leistungsberechtigenden Umfang gegeben ist. 3.3 Demenzielles Syndrom Die wörtliche Übersetzung des lateinischen Begriffes “Demenz” bedeutet “weg vom Verstand”, “weg vom Denkvermögen”. Damit werden bereits die Primärsymptome angesprochen: kognitive Einschränkungen und Ausfälle sind charakteristisch für den Verlust der intellektuellen Fähigkeiten. Ebenso bedeutsam sind emotional- und verhaltensbedingte Störungen jeglicher Art, die sogenannten Sekundärsymptome. 33 Sehr unterschiedliche Kombinationen beobachtbarer Auffälligkeiten sind möglich: Der Begriff „Demenz“ bezeichnet also keine einzelne Erkrankung, sondern verschiedene Symptome intellektueller und emotional- verhaltensbedingter Art, die medizinisch als demenzielles Syndrom bezeichnet werden. 3.3.1 Definition nach ICD-10/DSM In den einschlägigen Diagnosemanualen ICD oder DSM werden bestimmte Kriterien wie Symptom-Kombinationen und Zeitpunkt der Erkrankung aufgeführt, die Voraussetzungen für die Diagnose „Demenz“ sind. So wird im ICD-10 genau wie im DSM-IV eine Gedächtnisbeeinträchtigung als wesentliche Voraussetzung gesehen, wenn sie mit einer der folgenden Störungen einhergeht: Aphasie – Störung der Sprache Apraxie – Beeinträchtigte Fähigkeit, motorische Aktivitäten auszuführen Agnosie – Unfähigkeit, Gegenstände zu identifizieren bzw. wiederzuerkennen Störung der Exekutivfunktionen – Planen, Organisieren und Einhalten einer Reihenfolge Die notwendige Kombination einer Gedächtnisbeeinträchtigung und einer weiteren Störung hilft dem Diagnostiker, einen „normalen“ von einem pathologischen Gedächtnisabbau zu unterscheiden und entsprechend sicher eine Diagnose (in Abgrenzung beispielsweise zu einer endogenen Depression oder einer Schizophrenie) zu stellen. Zusätzlich kann bei einer Demenz eine Störung der Affektkontrolle, des Antriebs oder der emotionalen Stabilität gegeben sein. In jedem Fall fehlen bei jedem Symptom Hinweise auf eine vorübergehende Störung , beispielsweise durch Drogeneinfluss. Das Bewusstsein der Patienten ist nicht getrübt. Beim Betroffenen liegen aufgrund der Störungen bereits deutliche Verschlechterungen des früheren Leistungsniveaus vor, die mit signifikanten Beeinträchtigungen der sozialen und beruflichen Funktionen einhergehen. 34 Diese zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits deutlich werdende Einschränkung der Alltagskompetenz impliziert, dass „sich die Frage nach einer verminderten Lebensqualität bei Demenz nicht erst dann stellt, wenn diese bereits über die üblichen ICD-10-Krite rien diagnostiziert werden kann“ (Filipp&Meyer in DZA 2002; 376). Die häufigsten Demenzformen, die Demenz vom Alzheimertyp und die Vaskuläre Demenz, zeichnen sich durch spezifische Symptome zusätzlich zu den oben genannten sowie unterschiedliche Verlaufsformen aus: Die Demenz bei Alzheimer-Krankheit (Klassifikation nach ICD-10: F00) ? Entwicklung langsam aber stetig durch einen fortgesetzten zerebralen Abbau über einen Zeitraum von mehreren Jahren ? Jegliche substanzinduzierte, systemische oder ZNS-Erkrankungen fehlen Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit frühem Beginn (Typ 2/Präsenile Demenz); (F00.0) ? Beginn der Alzheimer Krankheit vor dem 65. Lebensjahr ? Vergleichsweise rasche Verschlechterung ? Deutliche und vielfältige Störungen der höheren kortikalen Funktionen (einschl. Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen) Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit spätem Beginn (Typ 1/Senile Demenz); (F 00.1) ? Beginn der Alzheimer Krankheit nach dem 65. Lebensjahr, meist in den späten 70ern oder danach ? Langsame Progredienz mit Gedächtnisstörungen als Hauptmerkmal 35 Die Vaskuläre Demenz (F 01) ? Ergebnis einer Infarzierung des Gehirns als Folge einer vaskulären Krank heit einschl. Hypertonie ? Die einzelnen Infarkte sind meist klein, kumulieren aber in ihrer Wirkung ? Beginn normalerweise im späten Lebensalter Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn (F01.0) ? Entwicklung meist sehr schnell nach mehreren Schlaganfällen ? Selten ist nur eine massive Infarzierung die Ursache Multiinfarkt-Demenz (F01.1) Allmählicher Beginn, durch eine Anhäufung von Infarkten im Hirngewebe verursacht. Die hier aufgezählten Demenzformen treten bei ungefähr 80% der Patienten auf. Allein zwei Drittel aller demenziell Erkrankten leiden unter der Alzheimer Krankheit, Mischformen aus der Demenz vom Alzheimer-Typ und der vaskulären Demenz werden bei weiteren fünfzehn Prozent der Erkrankten diagnostiziert. Außerdem können beispielsweise Patienten mit Chorea Huntington, einem primären Parkinson-Syndrom, HIV oder Multiple Sklerose eine Demenz entwickeln (DIMDI; 2002). Man geht davon aus, dass rund fünfzig Krankheiten mit einer Demenz einhergehen können. Die jeweiligen ICD-10-Schlüssel sind für diese begleitenden Demenzen in dem jeweils auslösenden Krankheitsbild zu finden. 3.3.2 Epidemiologie In der Bundesrepublik gibt es keine differenzierte Gesundheitsstatistik, in der die genaue Zahl der Demenzkranken zu finden wäre. Stattdessen liefern Feldstudien Ergebnisse, die eine hinreichende Schätzung der Anzahl Demenzerkrankter zulassen. 36 Prävalenz von Demenzerkrankungen Die Anzahl der an einer Demenz Erkrankten liegt nach „umfangreichen Feldstudien in Deutschland und anderen westlichen Industrieländern zwischen sechs und knapp neun Prozent der über 65jährigen“ (Bickel, 2002;1). Das bedeutet laut Bickel (2002; 1), dass „zwischen 800.000 und 1,2 Millionen der Altenbevölkerung in Deutschland an einer degenerativen Erkrankung des Gehirns leiden, die mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen, besonders im Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit“, einhergehen. Die Prävalenz der demenziellen Erkrankungen steigt mit zunehmendem Alter. Zu diesen Untersuchungen liegen unterschiedliche Daten vor. In der Berliner Altersstudie zitieren Helmchen et al. Jorm, dessen Hochrechnungen von 1987 von einer Prävalenzrate bei den 70-74jährigen von null Prozent ausgeht, während sie bei den über 90jährigen bei zweiunddreißig Prozent liegt (Helmchen in Meyer/Baltes; 1996; 1999). Neuere Berechnungen der Prävalenzrate stellt Bickel an, der davon ausgeht, dass von den 70-74jährigen 2,8% an einer Demenz leiden. Er stellt weiter fest, dass sich die Krankenziffer etwa im Abstand von fünf Altersjahren verdoppelt: Tabelle 1 Prävalenz von Demenzen im Jahr 2000 (Bickel; 2002; 1): Altersgruppe Mittlere Prävalenzrate (%) Schätzung der Krankenzahl in Deutschland 65-69 1,2 48.000 70-74 2,8 99.000 75-79 6,0 171.000 80-84 13,3 173.000 85-89 23,9 272.000 90 und älter 34,6 172.000 über 7,2 935.000 65jährige insgesamt 37 Da Bickels Ergebnisse auf den Daten von 1999 beruhen, werden sie hier genauer betrachtet als die Studienergebnisse von 1987, die in der Berliner Altersstudie zitiert werden. Aus der Tabelle geht hervor, dass gut siebzig Prozent der Erkrankten hochaltrig und nur etwa dreißig Prozent zwischen 65 und 79 Jahre alt sind. Die Annahme, Demenzen seine eine typische Erkrankung des höheren Lebensalters, wird mit dieser Aussage unterstrichen. Kumuliert man die Erkenntnisse über die demographische Entwicklung mit den vorliegenden Ergebnissen zur Prävalenz demenzieller Erkrankungen, wird deutlich, vor welch große Herausforderung die Gesellschaft hinsichtlich der Zunahme von demenziellen Erkrankungen gestellt wird. Die Schätzung zur Entwicklung der Zahl von Demenzkranken in Deutschland in der folgenden Tabelle basiert auf der Annahme, dass die altersspezifischen Prävalenzraten mit den heutigen identisch sind, also keine bahnbrechenden Erfolge für die Therapie von Demenzen errungen werden können. Die zugrunde liegenden Daten über die Entwicklung der Anzahl älterer und alter Menschen sind verlässlich, da diejenigen, die bis 2050 in die hohen Altersdekaden kommen, bereits geboren sind. Tabelle 2 Voraussichtliche Entwicklung der Zahl von Demenzkranken in Deutschland bis 2050 (Angaben in 1000): Altersgruppe Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr 2000 2010 2020 2030 2040 2050 65-69 49,8 52,2 58,8 75,0 54,1 54,4 70-74 100,7 133,4 110,1 140,0 151,9 112,2 75-79 170,1 186,4 197,2 228,6 296,3 216,9 80-84 196,0 295,4 402,5 343,8 447,8 495,7 85-89 260,3 304,8 347,6 379,2 469,4 633,9 90 + 176,6 183,1 272,0 394,8 382,3 533,1 Insgesamt 953,5 1155,2 1388,2 1561,4 1810,8 2046,2 (Bickel; 2001; 110) 38 Der überwiegende Teil der Demenzkranken gehört der Altenbevölkerung an. Aus der ICD-10 Verschlüsselung ging jedoch auch hervor, dass Demenzen vor dem 65. Lebensjahr auftreten können. Zur Prävalenz dieser präsenilen Demenzen liegen nur wenige Studien vor, die Bickel dahingehend zitiert, dass man für die Bevölkerung im „Altersbereich zwischen 45 und 65 auf eine Prävalenzrate von rund 0,1% schließen kann“ (Bickel; 2001; 109). Trifft dieser Schluss zu bedeutet das für Deutschland ca. 20.000 Demenzkranke unter 65 Jahren, was einem Anteil von unter drei Prozent an der Gesamtmorbidität bedeutet. Inzidenz Auch für die Rate der Neuerkrankungen innerhalb eines Jahres liegen inzwischen einige Studien aus der ganzen Welt vor, die eine hinreichend genaue Schätzung erlauben. Diesen zufolge liegt das mittlere Neuerkrankungsrisiko der 65-69jährigen bei 0,4%; das der über 80jährigen bei bis zu zehn Prozent. Das heißt für Deutschland: jährlich erkranken mehr als 200.000 Menschen an einer Demenz, 125.000 von ihnen an der Alzheimerschen Krankheit (Bickel; 2001). Schätzungen zur Inzidenz präseniler Demenzformen haben einen geringeren Aussagewert, da umfangreiche Studien kaum bekannt sind. Lediglich aus den anglo-amerikanischen Ländern sind Daten vorhanden. Legt man diese zugrunde, sind in Deutschland jährlich 4.000-6.000 Neuerkrankungen zu erwarten (Bickel; 2001). Erkrankungsrisiken Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken hängt in erster Linie vom Alter, prospektiv gesprochen also von der individuellen Lebenserwartung ab. Geschlechtsunterschiede oder geographische Unterschiede konnten bisher nicht festgestellt werden. Bereits aus der höheren Lebenserwartung sowie der daraus folgenden Überrepräsentation hochaltriger Frauen erklärt sich, warum etwa siebzig Prozent der demenziell Erkrankten weiblich und nur rund dreißig Prozent männlich sind (Bickel; 2002). 39 Zur Frage, ob das Erkrankungsrisiko im Laufe der letzten Jahrzehnte angestiegen ist, liegen keine gesicherten Daten vor. Man tendiert im Moment dazu, die gewachsene Zahl Erkrankter in der Hauptsache mit der gestiegenen Lebenserwartung zu erklären. Sollte die Lebenserwartung in Deutschland schneller ansteigen als derzeit vorauszusehen oder sollte sich die in einigen Studien bereits beobachtete mittlere Krankheitsdauer verlängern, ist mit noch höheren Zuwachsraten - als den oben prognostizierten - zu rechnen (Bickel; 2002). 3.4 Versorgung demenziell Erkrankter Rund eine Million Menschen mit Demenz werden derzeit in Deutschland betreut und gepflegt. Ein Großteil, nämlich laut Bickel (2001) und den Ergebnissen der Berliner Altersstudie (Meyer&Baltes; 1996) gut zwei Drittel, wird von Angehörigen mit oder ohne professionelle Unterstützung zu Hause oder im Haushalt der Angehörigen, ein kleinerer Teil in stationären Einrichtungen der Altenhilfe versorgt. In den folgenden Kapiteln werden stationäre, teilstationäre und ambulante Einrichtungsformen und -konzepte sowie Dienste aufgezeigt, die die Versorgung demenziell Erkrankter leisten oder bei der Pflege und Betreuung unterstützen. In der Betrachtung all der Ansätze und Konzepte darf nie vergessen werden, dass es weder „den“ Demenzkranken noch „das“ Betreuungspersonal, noch „die“ pflegende Angehörige gibt. Es gibt folglich nicht das eine einzig und allein richtige Konzept für die Betreuung Demenzerkrankter. Immer wieder kommen Trends auf, wie das seit einigen Jahren unter anderem vom Kuratorium Deutsche Altershilfe propagierte Wohngruppen- oder Hausgemeinschaftskonzept (KDA, 1999a; KDA, 1999b; Klie et al. 2002; Knauf, 2002). Den demenziell Erkrankten kommen solche Strömungen sicherlich zu Gute, da die positiven Erkenntnisse dieser Modelle phantasievolle, kreative Anregungen für eine bedürfnisgerechte Versorgung bieten. Dort wo derartige Konzepte umgesetzt werden, wird die Versorgungslandschaft bunter und vielfältiger. 40 Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, für den einzelnen Demenzkranken eine möglichst passende Versorgungsform zu finden. Allerdings sei direkt in dieser Einführung zu den im Folgenden aufgelisteten Beispielen der Versorgung angemerkt, dass die Infrastruktur der Altenhilfe sehr unterschiedlich ausgebaut ist und in Deutschland insgesamt leider als defizitär angesehen werden muss. Lange Wartelisten sind für spezialisierte Einrichtungen keine Seltenheit. Beispielsweise Heime, die den ausschließlich altersverwirrten Bewohnern eine bedürfnisgerechtes Umfeld und ein von individueller Unterstützung des Einzelnen geprägtes Versorgungskonzept bieten, haben oft eine Wartezeit von zwölf bis achtzehn Monaten auf einen Platz. 3.4.1 Stationär In vollstationären Pflegeeinrichtungen leben zumeist alleinstehende demenzkranke Menschen oder Erkrankte, die sich mit fortgeschrittenen Stadium einer demenziellen Erkrankung befinden und deren Angehörige aufgrund des Schweregrades die Pflege und Betreuung zu Hause nicht mehr sicherstellen können. Der Berliner Altersstudie zufolge leben 71,1% der schwer dementen Menschen in einem Heim, von den Patienten mit einer mittelgradigen Demenz 30,3% und von leicht Dementen 18,9%. Inzwischen beläuft sich der Anteil der an einer mittelschweren oder schweren Demenz Erkrankten unter den Pflegeheimbewohnern auf rund sechzig Prozent der gesamten Bewohnerschaft (BMFSFJ; 2002). Bei der Planung der Heime wurden vielerorts die besonderen Bedürfnisse dieser Personengruppe übersehen, eher stand die Funktionalität im Mittelpunkt. Entsprechend finden sich lange Flure, große Stationen oder eine extrem anregungsarme, wenig gemütliche Einrichtung. Krankheitsbedingt entwickeln demenziell Erkrankte in einer solchen Umgebung zum Teil Verhaltensstörungen wie Unruhe, Aggressivität oder auch Apathie. In Heimen, in denen nicht nur die architektonischen Voraussetzungen ungeeignet sind, sondern deren Konzeption nicht oder nur sehr unzureichend auf die Bedürfnisse altersverwirrter Menschen abgestimmt ist, wird nach einer 41 Studie in München in einem größeren Umfang als in anderen Einrichtungen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen gegriffen (Landeshauptstadt München; 2002), um herausfordernden Verhaltensweisen zu begegnen. Verhaltensauffälligkeiten der demenziell Erkrankten oder Hilflosigkeit des Personals können in freiheitsentziehende Maßnahmen münden. Sie zwingen seit Jahren dazu, bestehende Versorgungskonzepte in Einrichtungen zu überprüfen und den Bedürfnissen dieser wachsenden Bewohnergruppe anzupassen. Im Folgenden sind drei beispielhafte Ansätze und Prinzipien der Versorgung kurz beschrieben: Nach dem Domus-Prinzip leben die Demenzerkrankten in einer wohnlichen Atmosphäre. Alle Räume einer Station bzw. eines Wohnbereiches sind für die Bewohner frei zugänglich, sie können sich also auch tagsüber in freien Betten ausruhen oder das, was sie in einem Zimmer interessiert, mitnehmen. Es wird wenig Tagesstruktur vorgegeben, man orientiert sich an den Gewohnheiten der Bewohner. Therapeutische Angebote werden gemacht, sie können von den Bewohnern frei gewählt werden. Hauptaufgabe der Pflegekräfte ist es aber, durch gemeinsames Tätigsein dem Tag eine Struktur zu geben. Sie sollen die Bewohner beobachten, um deren Realität zu erfassen und entsprechend darauf eingehen zu können. So wird den Bewohnern Sicherheit und Geborgenheit vermittelt (pflegen&wohnen; 1999). Wohngruppen für demenziell Erkrankte gibt es seit Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in Frankreich, seit Mitte der 90er werden sie auch in Deutschland vermehrt von Trägern umgesetzt. Hier leben Demenzkranke in kleinen Gruppen (sechs bis 12 Bewohner) zusammen, jeder hat ein mit eigenem Mobiliar eingerichtetes Einzelzimmer, in das er sich zurückziehen kann. Der Alltag aber spielt sich im gemütlich eingerichteten Gemeinschaftsraum, der Wohnküche, ab. Möglichst gefahrlose Wanderwege innerhalb der Wohngruppe und im umschlossenen Garten tragen dem Wanderbedürfnis sehr mobiler Demenzkranker Rechnung (Klie et al.; 2002). 42 Im Mittelpunkt des Zusammenlebens steht der gelingende Alltag, in dem sich jeder seinen Fähigkeite n entsprechend beim Essen machen, Abspülen, Besteck polieren, Wäsche legen u.v.m. einbringt. Die alltägliche Hauswirtschaft bestimmt die Tagesstruktur, pflegerische und medizinische Aspekte werden beachtet, treten aber in den Hintergrund. Aus ökonomischen Gründen ist die Personaldecke oft sehr dünn. Angehörige der Bewohner sowie freiwillig Engagierte übernehmen in den Gruppen Mitverantwortung – Die Umsetzung dieses Konzeptes der geteilten Verantwortung kommt den Bewohnern zu Gute und ist für den „gelingenden Alltag“ von großer Bedeutung. Milieutherapeutische Ansätze führen nach Lind (2000, zitiert in Klie 2002) zu einer deutlichen Verbesserung in der Versorgung von demenziell Erkrankten. In diesem Rahmen bekommen die Raum - und Farbgestaltung, die Beleuchtung, das Mobiliar, die Orientierungsmöglichkeiten sowie die Personal- und Betreuungsgestaltung besonderes Gewicht. Um die milieutherapeutischen Grundsätze umzusetzen, ist die Homogenität der Bewohnerschaft notwendig, denn in segregativen Einrichtungen ist die Wahrscheinlichkeit der Diskriminierung von Bewohnern untereinander deutlich geringer als bei integrativen Ansätzen. Das Pflege- und Betreuungspersonal arbeitet hier nach den Grundsätzen der Beziehungspflege. Auf weitere Konzepte und therapeutische Ansätze, die in der Dementenversorgung zum Teil erfolgreich angewandt werden, wird hier nicht eingegangen, da diese Kapitel lediglich einen groben Überblick über Versorgungsformen für demenziell Erkrankte bieten sollen. 3.4.2 Teilstationär Zu den teilstationären Angeboten für demenziell Erkrankte gehören in erster Linie Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen. Letztere sind selbst in Großstädten sehr rar gesät. In der Millionenstadt Köln, in der mindestens 12 500 demenziell Erkrankte leben, gibt es beispielsweise keine teilstationäre Nachtpflegeeinrichtung. 43 Das Pendant zur Betreuung über Nacht sind Tagespflegeeinrichtungen. Sie bieten tageweise oder an jedem Werktag Betreuung, Versorgung und Pflege von ca. 8.00-16.00 Uhr an. Sie weisen meist ein anregendes und inspirierendes Klima auf, in dem verbliebene Fähigkeiten der Tagesgäste aktiviert werden. „Gerade unter dem Aspekt der Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bzw. der Stabilisierung der Situation erscheinen [gerontopsychiatrische] Tagespflegeangebote [für demenziell Erkrankte] in hohem Maße geeignet“. Zugleich stellen Tagespflegen eine „wirksame Entlastung dar für Pflegende“ dar (Klie; 2002; 77). Trotz allem ist die Infrastruktur an Tagespflegen allgemein und an Tagespflegen für demenziell Erkrankte im Besonderen wenig ausgebaut, was Klie (2002; 76f) auf zweierlei Faktoren zurückführt: Es gibt nur „eine geringe kulturelle Verankerung außerhäuslicher Versorgungsformen für ältere Menschen und Pflegebedürftige.“ So wie es in früheren Jahrzehnten auch nicht üblich war, Kleinkinder in die Krippe oder den Kindergarten zu schicken, so ist es vielfach heute noch unüblich, pflege- oder betreuungsbedürftige Angehörige in die Tagespflege zu „schicken“. Von Seiten des Gesetzgebers wird diese Mentalität durch den Grundsatz „ambulant vor stationär“ noch unterstützt, statt die Aspekte der Stabilisierung für die Erkrankten und der Entlastung für Pflegende zu unterstreichen. Tagespflegeeinrichtungen erweisen sich unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht immer als Erfolg, vor allem wenn die unter Bedarfsgesichtspunkten vorausgesetzte Nachfrage ausbleibt. Die oben aufgeführte geringe Nutzung vorhandener Tagespflegeplätze wird von Reichert und Naegele in einer Expertise für die Friedrich-Ebert-Stiftung (2000; 13) erklärt. Die Ausführungen beziehen sich nicht nur auf die Inanspruchnahme von Tagespflegen sondern externer Hilfs- und Unterstützungsangeboten allgemein: ? Viele pflegende Angehörige verfügen über einen stark ausgeprägten Autonomiewillen („brauche ich nicht“, „kann mir selbst helfen“) oder sehen keine Notwendigkeit, sich unterstützen zu lassen. ? Sie haben das Gefühl nur sie selbst wissen, was für den Kranken gut ist. 44 ? Pflegende Angehörige wissen häufig wenig oder gar nichts über externe Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten und/oder haben keine Zeit, diese zu recherchieren. ? Sie haben Schwierigkeiten die unterschiedlichen Hilfsquellen zu koordinieren. ? Die Angehörigen haben schlechte Erfahrungen mit der Nutzung von Angeboten gemacht. ? Finanzielle Barrieren erschweren die Inanspruchnahme bzw. die Entscheidung für eine Unterstützung. 3.4.3 Ambulant Weitaus differenzierter als das Angebot an teilstationären Versorgungsformen sind die ambulanten. Das trägt der Tatsache, dass zwei Drittel der demenziell Erkrankten zu Hause oder im Haushalt der Angehörigen betreut werden, Rechnung. Zweifellos wirkt sich die gewohnte häusliche Umgebung auf leicht demenziell Erkrankte kompensierend und stabilisierend aus. Aufgabe der ambulanten Versorgungsbausteine ist es, ein bedarfsgerechtes Angebot an diagnostischen, medizinisch-pflegerischen, hauswirtschaftlichen und betreuerischen Diensten vorzuhalten mit dem Ziel, die humane Versorgung des demenziell Erkrankten zu gewährleisten und die Pflegefähigkeit der pflegenden Angehörigen zu erhalten. In der Regel haben Dienstleister des ambulanten Hilfesystems - insbesondere der Hausarzt - regelmäßigen Kontakt zum Erkrankten und der pflegenden Angehörigen, so dass es in ihrer Verantwortung liegt, die Grenzen der ambulanten Versorgung im individuellen Fall zu erkennen, Alternativen zu benennen und in die Wege zu leiten. Ambulante Hilfe und Unterstützung für demenziell Erkrankte bieten an: ? Hausärzte und Fachärzte (Diagnostik, medikamentöse Therapien) ? Gerontopsychiatrische Zentren (Diagnostik, medikamentöse Therapien, Tagesklinik, Tagespflege, stationäre Wohnbereiche) 45 ? Institutsambulanzen und Gerontopsychiatrische Polikliniken (Diagnostik, medikamentöse Therapien) ? Ambulante Pflegedienste und Sozialstationen (ambulante Grund - und Behandlungspflege, ambulante psychiatrische Pflege mit Tagesstrukturierung, hauswirtschaftliche Hilfen, stundenweise häusliche Unterstützung) ? Sozialpsychiatrische Dienste (Krisenintervention, ambulante psychiatrische Pflege) ? Unterschiedliche Therapeuten (Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden) ? Beratungs- und Vermittlungsstellen (Beratung zu allen Fragen des Älterwerdens, Koordinierung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten) Alle genannten Hilfeerbringer bieten durch Informationen oder praktisches Handeln Unterstützung für den Erkrankten selbst und die pflegende Angehörige. Die häusliche Pflegesituation zu stabilisieren ist ihre Aufgabe – die Gewichtung, welche Unterstützung wem mehr nutzt, dem Kranken oder der Angehörigen, kann individuell unterschiedlich sein. Angebote, die in erster Linie zur Entlastung der pflegenden Angehörigen dienen wie Betreuungsgruppen für demenziell Erkrankte (Klie et al; 2002), Angehörigengesprächskreise, Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige sowie Cafénachmittage für pflegende Angehörige und demenziell Erkrankte gemeinsam werden in Kapitel 3.5.4. („Unterstützungsangebote für Angehörige“, ab Seite 53) beschrieben. Wie alle Bausteine, sind auch die hier aufgezählten ambulanten Versorgungsangebote nicht überall und nicht immer in ausreichendem Maße verfügbar. Sie sind leider keine bundesweit verlässlich abrufbaren Dienstleistungen. 46 3.5 Pflegende Angehörige Die häusliche Betreuung eines demenziell Erkrankten wird in der Regel von einer Person, der Hauptpflegeperson geleistet. Beispielhaft für die Hauptpflegepersonen wurde Frau M. in der Einleitung (ab Seite 8) vorgestellt. In den folgenden Kapiteln wird noch näher auf ihre Erfahrungen, Erwartungen oder Motive eingegangen, die dazu führen können, einen demenziell Erkrankten zu Hause zu versorgen. In einem weiteren Schritt werden pflegeund betreuungsbedingte Belastungen aufgezeigt. 3.5.1 Wer pflegt? Familienangehörige sind die wichtigsten Betreuungspersonen demenziell Erkrankter in der häuslichen Umgebung. Die Hauptpflegepersonen sind laut Reichert überwiegend weiblich. Ihre Studie im Auftrag der Friedrich–Ebert Stiftung ergab diesbezüglich einen Anteil von 82,2%. In der Erhebung zu „Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung im Alter“ (MUGSLA), waren in den alten Bundesländern 78,2% der Hauptpflegepersonen weiblich (Halsig in Kruse; 1998). In Pflege und Betreuung sind Frauen also die Hauptakteurinnen, Pflege und Betreuung sind „weiblich“. „Weibliche Pflegende betreuen zur Hälfte ein Elternteil […] Schwiegereltern werden fast ausnahmslos, fernere Verwandte und Nachbarn überwiegend von Frauen gepflegt und betreut“ (BMFSFJ; 2002; 201). Zwei Drittel der pflegenden Männer hingegen betreuen ihre Ehepartnerin, Söhne sind nur selten als Hauptpflegepersonen tätig, Schwiegersöhne oder Brüder noch seltener (zusammen machen diese Personengruppen rund 7% der männlichen Hauptpflegepersonen aus; Halsig in Kruse; 1998). Die Variable „Alter der Hauptpflegepersonen“ Verwandtschaftsverhältnisses zum Gepflegten wechselt aufgrund erheblich: Pflegende des der Kindergeneration stehen im mittleren Erwachsenenalter, während pflegende Partnerinnen und Partner oft selbst bereits ein hohes Alter erreicht haben. In der Altersgruppe der unter 80jährigen dominiert die Pflege eines Ehepartners durch den anderen, während sich bei den über 80jährigen die Relation umkehrt: 47 nun stellen die Töchter und Schwiegertöchter über die Hälfte der Hauptpflegepersonen (Böhmer in Klie et al.; 2002). Studien von Gräßel oder Adler et al. ergaben Mitte der 90er Jahre, dass das Durchschnittsalter der Pflegenden bei 58,1 bzw. 61 Jahren liegt (in Reichert; 2000), wobei Stuhlmann in der genannten Studie von Reichert darauf hinweist, dass die meisten Pflegenden älter als 65 Jahre als sind. Im Zusammenhang mit der Frage, wer die Pflege übernimmt, stellt sich eine weitere, nämlich wer darüber entscheidet, von wem die Pflege übernommen wird. Nach Grond (Grond in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2001; 41) kommen folgende Instanzen in Frage: ? „Die Familie je nach Macht, Beziehung und Abgrenzung, ? die Elterndelegation mit der Erziehung zum care-giver, ? die Rolle der Frau und häufig ? Erwartungen der Nachbarn“. Etwa die Hälfte der Angehörigen übernimmt die Pflege selbstverständlich, ein Drittel gern und ein Zehntel nur unter dem Druck der anderen Familienmitglieder. Diese Entscheidungsinstanzen finden sich im folgenden Kapitel wieder, in dem anhand von Erfahrungen und Studienergebnissen auf die Motive, die Pflege für einen demenziell Erkrankten zu übernehmen, eingegangen wird. 3.5.2 Motive für und Erwartungen an die Pflegeübernahme Vor der Entscheidung, einen demenziell Erkrankten im häuslichen Umfeld zu pflegen, stehen in der Regel entweder die Kinder bzw. Mitglieder der Kindergeneration oder der Ehe- bzw. Lebenspartner des sich verändernden Menschen. Grundsätzlich sind es Menschen, die irgendeine Beziehung zum Erkranken haben und sehr oft ein langes Stück des bisherigen Lebensweges mit ihm gegangen sind . Die Motive, die Pflege eines Menschen zu übernehmen, dessen Krankheit von einem progressiven Verlauf bis hin zum völligen Verfall kognitiver Fähigkeiten gekennzeichnet ist, sind sehr unterschiedlich: In 48 Gesprächen über die Gründe der Pflegeübernahme geben Angehörige an, aus Dankbarkeit bzw. als Wiedergutmachung für erhaltene Hilfe und Unterstützung des Gepflegten oder auch aus Dankbarkeit über die gemeinsamen schönen Jahre jetzt für ihn da sein zu wollen: „Sie hat mir im Berufsleben immer den Rücken frei gehalten und zu Hause den Kindern gesagt, wenn ich Ruhe brauchte. Jetzt freue ich mich, ihr ein wenig zurückgeben zu können“ , so der 82jährige Ehemann einer Alzheimerpatientin. Das Verhältnis zum zu Pflegenden spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Pflegeübernahme als Selbstverständlichkeit anzusehen kann mehrerlei Hintergründe haben: Das vor Gott gegebene eheliche Versprechen, in guten wie in schlechten Tagen zueinander zu stehen zum einen, zum anderen die Überzeugung vieler Angehöriger selbst am besten zu wissen, was der Kranke braucht und mag. Häufig ist diese „selbstverständliche Pflegeübernahme“ aus der Intention heraus, den Kranken selbst am besten zu kennen, ein Grund, warum keine oder wenige Hilfeleistungen professioneller Dienstleister in Anspruch genommen werden. Auf diesen Punkt wird im folgenden Kapitel über die pflegebedingten Belastungen noch näher eingegangen. Gewiss gibt es auch Angehörige, die ein schlechtes Gewissen bekämen, würden sie die Pflege des erkrankten Angehörigen nicht selbst übernehmen – allerdings kann es auch ein von außen aufgezwungenes schlechtes Gewissen, verbunden mit der Sorge um das eigene Ansehen sein: „Warum ich pflege? Ich möchte gar nicht wissen, was meine Brüder gesagt hätten, wenn ich das abgelehnt hätte, nein, da nehme ich die Pflege lieber auf mich!“ (61jährige Frau, die ihre 89jährige demenziell erkrankte Mutter allein pflegt und betreut). Für Grond sind die bisher genannten Motive für die Pflegeübernahme im Pflegenden selbst begründet (Grond in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2002) und unterscheiden sich damit grundlegend von Motiven, die in der Familientradition verankert sind. Als ein solches schildert er beispielsweise einen angestrebten Machtzuwachs der Pflegenden. Durch die Pflegeübernahme erhält sie „das familiäre Gleichgewicht, mischt sich in die Angelegenheiten des Kranken ein und leitet familiäre Konflikte auf den Kranken um “ (Grond in Tackenberg&AbtZegelin; 2002; 41). 49 Im Zusammenhang mit den Motiven für die Pflegeübernahme werden häufig finanziellen Aspekte benannt. Einerseits können hier Erbschaften oder allgemeine finanzielle Zuwendungen von Seiten des Gepflegten eine Rolle spielen, andererseits auch die Leistungen der Pflegeversicherung. Oder aber, umgekehrt betrachtet, eine Pflege in einer stationären Einrichtung kommt aus finanziellen Gründen für die Familie nicht in Frage, da die notwendigen Mittel nicht aufgebracht werden können bzw. nur durch Rückgriff auf das Vermögen Angehöriger vorhanden wären. Doch das Erbe anzubrechen ist oft unerwünscht. Häufig ist die „selbstverständliche Pflegeübernahme“ schwer abzugrenzen von der Verpflichtung zur Pflege. Beispielsweise können moralische Aspekte leitend sein, die Pflege zu übernehmen – können aber Moralvorstellungen nicht einerseits eine innere Bestärkung sein, die Pflege zu übernehmen und auf der anderen Seite als Pflegeverpflichtung wahrgenommen werden? Blinkert fragt in der Studie zur Verankerung von Solidarität in der Sozialstruktur (2001) anhand einer Dilemmasituation, wie die 40-60jährigen Befragten (also die pflegenahen Jahrgänge, nicht getrennt nach Personen, die bereits pflegen und Personen, die hypothetisch über die Pflege eines Angehörigen nachdenken) die Entscheidung einer halbtags arbeitenden Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, die Großmutter gegen ihren Wunsch in ein Pflegeheim zu geben, einschätzen. Hier zeigen sich in der Häufigkeit der Aussagen Urbanisierungseffekte: rund drei Viertel der Befragten in Kassel stimmten der Entscheidung zum Heim zu – in einer baden-württembergischen Kleinstadt nur knapp 60%. Die weitergehende Frage nach der Begründung zur Einschätzung der Dilemmasituation ergab folgende Antwortkategorien (Mehrfachnennungen waren möglich): Kostengesichtspunkte: ? Wirtschaftliche (Nennung von 4% der Befragten) ? psychische, körperliche und soziale Belastungen (25%). ? Nennung von „Opportunitätskosten“, d.h. Hinweise auf entgangene Chancen zur Selbstverwirklichung oder in berufliche r Hinsicht (54%). 50 Insgesamt nannten 74% der Befragten (100%= 437 Personen) einen oder mehrere Aspekte aus dieser Kategorie als Begründung für ihre Entscheidung der Dilemmasituation. Moralische Erwägungen: ? „Konventionelle moralische Erwägungen“ – der Verweis auf Traditionen und traditionelle Rollenvorstellungen oder Aussagen wie „das gehört sich so“. ? „Postkonventionelle moralische Erwägungen“ – Verweis auf generalisierbare Prinzipien, wie z.B. auf die Reziprozitätsnorm („als Kind wurde ich auch gepflegt“) oder die Angabe von verallgemeinerbaren humanitären Gesichtspunkten wie z.B. die Forderung, den eigenen Egoismus zurück zu stellen. Insgesamt verwiesen 37% der Befragten auf moralische Erwägungen. Pragmatisch-technische Erwägungen: ? Verweise auf professione lle Hilfsdienste, auf schlechte Qualität von Heimen, auf die geringe Eignung der Wohnung, auf eine unzureichende pflegerische Kompetenz. Insgesamt gaben 28% der Befragten pragmatisch-technische Aspekte an und 5% verwiesen auf ihre eigene unzureichende Pflegeerfahrung. (Blinkert; 2001; 11ff) Unabhängig davon, aus welchen Motiven die Pflege eines dementen Angehörigen übernommen wird, können Belastungen auftreten. Beide, der demenziell Erkrankte und die pflegende Angehörige können durch die Pflegesituation belastet werden. Mögliche Belastungen der Pflegenden werden im kommenden Kapitel geschildert; auf das Belastungserleben der demenziell Erkrankten kann hier allerdings nicht näher eingegangen werden, das sich die Arbeit explizit mit der Lebensqualität der Pflegenden befasst. 51 3.5.3 Pflegebedingte Belastungen (physisch, psychisch, sozial, finanziell) Die häusliche Betreuung eines demenziell Erkrankten fordert von Angehörigen große Anstrengungen und persönliche Einschränkungen. Eine Studie der Infratest Sozialforschung (Gust; 2002), kommt zu dem Ergebnis, dass 90% der Angehörigen, durch die Pflege und Betreuung des demenziell Erkrankten „stark“ oder „sehr stark“ belastet seien. In einer Studie von Gräßel (1998; in Reichert; 2002; 5f) wurden die Items erforscht, in denen sich bei mehr als der Hälfte der Hauptpflegepersonen von Demenzkranken das Belastetsein ausdrückt. Die Ergebnisse, nach abnehmendem Zustimmungsgrad geordnet: Tabelle 3 Belastungen der Hauptpflegepersonen Item In % Zu wenig Zeit für eigene Interessen 84,6% Pflege kostet viel Kraft 84,1% Traurigkeit über das Schicksal der gepflegten Person 79,3% Wunsch nach Ausspannen 76,4% Außerhalb der Pflegesituation nicht abschalten können 65,8% Körperliche Erschöpfung 65,3% Morgendliche Unausgeschlafenheit 63,2% Erschwerte Bewältigung pflegeunabhängiger Aufgaben 63,2% Aufgabe von eigenen Zukunftsplänen aufgrund der Pflege 58,3% Pflegebedingte Abnahme mit der Zufriedenheit mit dem Leben 53,9% In einer eigenen Studie „zur Lebenslage pflegender Angehöriger psychisch kranker alter Menschen“ (eine deutliche Mehrheit pflegt einen an Demenz Erkrankten) kommen Reichert et al. 2002 zu folgender, detaillierten Aufschlüsselungen der Belastungen: 52 Physische Belastungen wirken sich u.a. aus in Form von: ? Rückenschmerzen ? Schulter- und Gelenkschmerzen ? Allgemeine Erschöpfung (fehlende Regeneration) ? Schlafstörungen ? Andere Krankheiten (z.B. Hypertonie) Psychische Belastungen werden u.a. verursacht durch: ? Überforderung mit der Situation ? Keine freie Minute / keine Entlastung / ausgepowert ? Soziale Isolation / kein Verständnis von der Umwelt ? Druck durch Verantwortung ? Familiäre Spannungen Soziale Belastungen: ? Beeinträchtigung der sozialen Kontakte, insbesondere : ? Familienleben ? Freunde und Bekannte Fast 60% der Befragten können praktisch keinem Hobby mehr nachgehen Pflege wirkt sich auch auf andere Lebensbereiche aus: ? Eigene Lebensplanung ? Freizeit ? Urlaubsmöglichkeiten (Vortrag von Reichert et al.; 2002) Über die finanziellen Auswirkungen wurde in der eben zitierten Studie herausgefunden, dass es sowohl negative als auch positive Veränderungen durch die Pflegeübernahme geben kann. So berichten Angehörige, durch pflegebedingte Mehrausgaben und fehlendes eigenes Einkommen, negative finanzielle Auswirkungen hinzunehmen, während andere Angehörige positive 53 finanzielle Veränderungen feststellen. Letztere entstehen beispielsweise durch das Pflegegeld und Unterhaltszahlungen der pflegebedürftigen Person. Allerdings gibt es unterschiedliche Einflussfaktoren auf das Ausmaß der Belastungen. Während Reichert in ihrer Expertise (2000) den Grad der Pflegeund Hilfsbedürftigkeit als die bedeutsamste Variable darstellt, von der das Ausmaß der erlebten Belastung des Angehörigen bestimmt wird, weist Grond (in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2001) darauf hin, dass die Belastung mehr von der Beziehung der Beteiligten abhängt, als von der Schwere der Demenz. Reichert führt weiter aus, dass besondere Belastungen emotionaler und physischer Art entstehen, wenn der demenziell Erkrankte körperlich schwer pflegebedürftig ist oder problematische Verhaltensweisen wie Aggressivität oder Inkontinenz entwickelt. Leben die pflegende Angehörige und der Demenzkranke in einem Haushalt, hat die Pflegende oft keinerlei Möglichkeit mehr, sich der Pflegesituation zu entziehen. Keine Zeit mehr für sich, bzw. zur eigenen Gestaltung zu haben, sieht Kruse (in Reichert; 2000) als entscheidenden Faktor, der oft von der Belastung in die pflegebedingte Überlastung führt. Folgen des Pflegestresses sind nach Grond (in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2001): ? Familienkrisen bis zur Scheidung ? Burnout der Pflegenden bis zur Depression oder auch Flucht in Alkohol oder Beruhigungsmittel ? Kontaktverluste bis zur Isolation ? Kränkungen bis zur Altenmisshandlung: Drei Viertel der Misshandler in der Familie sind Partner, ein Viertel pflegende Kinder Klie formuliert es ähnlich: „Es sind die pflegenden Angehörigen, die ihren Lebensmut verlieren, die in der Überforderung und im „ver-rückten“ Alltag untergehen“ (Klie in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2002; 57). Zusammenfassend charakterisiert Grond in oben zitierter Quelle die Überlastung der pflegenden Angehörigen als „überforderte Liebe“ und betont 54 dadurch die emotionale Seite der Pflege eines Demenzerkrankten was einen Hinweis darauf gibt, warum viele pflegende Angehörige Fremdhilfe ablehnen. Grond und Böhmer zeigen die Gründe auf, die zur Ablehnung von Unterstützung führen: ? Pflegende Angehörige brauchen die Pflege zur Selbstbestätigung, ? sie schämen sich, um Hilfe bitten zu müssen und Fremde in die Intimräume zu lassen, ? sie fürchten, versagt zu haben, von professionell Pflegenden getadelt zu werden oder dass Gewalt bekannt werden könnte . ? Sie fürchten die Rivalität der professionell Pflegenden und die Kosten der Pflege (Grond in Tackenberg&Abt-Zegelin; 2001; 48, Böhmer in Klie et al. 2002). 3.5.4 Unterstützungsangebote für Angehörige Pflegenden Angehörigen bietet sich eine breite Palette von Unterstützungsmöglichkeiten – allerdings beziehen sich einige davon auf eine praktische Unterstützung im Pflegealltag und dringen somit in die Intimsphäre der Pflegebeziehung unmittelbar ein. Diese sind in dieser Arbeit eher in den Kapiteln 3.4.ff („Versorgung demenziell Erkrankter“ – „Stationär“ – „Teilstationär“ – „Ambulant“, Seite 38-44) beschrieben, die sich in erster Linie mit der Versorgung Demenzerkrankter befassen, auch wenn sie pflegenden Angehörigen bei der alltäglichen Pflege und Betreuung behilflich sind, sie so entlasten. An dieser Stelle werden beispielhaft Angebote aufgeführt, deren primäres Ziel es ist, Angehörige zu unterstützen bzw. sie zu stützen und ihre Pflegefähigkeit zu erhalten, indem sie auf Beratung, Information, Vermittlung weiterer hilfreicher Maßnahmen sowie eine Stabilisierung des psychischen Wohlbefindens abzielen. Nach Grond (in Tackenberg&Abt-Zegeli n; 2001) ist eine emotionale Entlastung für Pflegende am bedeutsamsten. Darüber hinaus benötigen sie Beratung und Informationen, die Ärzte, Pflegedienste und Beratungsbüros geben können. Für die Beratung von Angehörigen hat Bruder Leitlinien erarbeitet, die sowohl 55 allgemeine Ziele der Beratung von Pflegenden enthalten als auch methodische Gesichtspunkte (Bruder in Kruse; 1998). Angehörigenberatungen bieten in der Regel sowohl feste Sprechzeiten mit telefonischer Erreichbarkeit, als auch Hausbesuche an. Bei der Klärung rechtlicher Angelegenheiten wie der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung oder der Durchsetzung von Ansprüchen, die sich aus dem SGB XI oder dem BSHG ableiten, können Angehörigenberatungen pflegenden Angehörigen unterstützend zur Seite stehen. Neben einer reinen Angehörigenberatung betont Erich Grond in oben genannter Quelle den Wert von Selbsthilfegruppen, in denen Angehörige motiviert werden sich auszusprechen und ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrzune hmen. Darüber hinaus werden sie ermutigt, eine einfühlsame aber doch distanzierte Rolle dem Kranken gegenüber einzunehmen und ggf. filiale Reife zu zeigen. In klassischen Selbsthilfegruppen finden Beratung und Information untereinander statt. Angeleiteten Selbsthilfegruppen erhalten Informationen auch von Seiten einer professionellen Kraft. In der Gruppe mit ebenfalls Betroffenen spürt die Angehörige, dass sie in ihrer Lebenslage und mit ihren Emotionen nicht allein ist. Das ist oft schon eine große Unterstützung für die Pflegende. Angeboten werden Selbsthilfegruppen beispielsweise von den regionalen Alzheimergesellschaften, die zwar vielerorts vertreten sind, aber kein bundesweit flächendeckendes Netz anbieten können. Eine weitere Schwierigkeit neben der Erreichbarkeit kann für pflegende Angehörige darin liegen, dass für die Zeit des Gruppentreffens der demenziell Erkrankte in irgendeiner Weise beaufsichtigt werden muss. Sei es zu Hause durch eine Vertretung der Pflegenden oder in einer Betreuungsgruppe zusammen mit anderen Demenzerkrankten. Die örtlichen Alzheimergesellschaften bieten neben Gruppenzusammenkünften in der Regel auch Sprechzeiten an, in denen sich die einzelne pflegende Angehörige persönlich oder telefonisch Beratung, Tipps zum Umgang mit dem Erkrankten oder Informationen über weitere Unterstützungsangebote holen kann. Darüber hinaus hat die Deutsche Alzheimergesellschaft eine bundesweite Servicenummer eingerichtet, unter der die Anruferin ebenfalls Beratung und Information erhält. 56 Ein ähnliches Ziel wie Selbsthilfegruppen verfolgen Angehörigengesprächskreise. Diese können zweierlei Form haben: Es gibt fortlaufende Gruppen, zu der eine Angehörige jederzeit hinzu stoßen kann und es gibt das Konzept des geschlossenen Angehörigengesprächskreises. Letzterer ist für eine bestimmte Anzahl von Gruppentreffen und Teilnehmerinnen konzipiert. In den einzelnen Treffen wird in einer festen Gruppe beispielsweise thematisch am Selbstbild der Pflegenden, an der Beziehungsgestaltung in der Pflege und an Kraftquellen im Pflegealltag gearbeitet. Ein weiteres niedrigschwelliges Angebot, das allerdings Erfahrung im Umgang mit dem Internet erfordert, ist eine geschlossene Mailingliste (www.alzheimerforum.de), in der sich Pflegende vo n Angehörigen und ehrenamtlichen Beratern rund-um-die-Uhr Informationen holen können; drei Monate nach Anmeldung kann das Angebot kostenlos getestet werden. Anschließend kann man gegen einen geringen Beitrag Mitglied werden und die Mailingliste weiter nutzen. Für den Austausch unter Fachkräften der Gerontopsychiatrie besteht unter oben genannter Internetadresse ebenfalls ein solches Angebot. Neben diesen psychosozialen Unterstützungsangeboten gibt es weitere: Fachliche Entlastung wird durch Pflegekurse, die auf Wunsch auch zu Hause durchgeführt werden und durch den Einsatz von Physiotherapeuten und Logopäden geleistet. Körperliche Entlastung der pflegenden Angehörigen bieten neben dem Einsatz eines Pflegedienstes auch Haushaltshilfen, Mahlzeiten- und Fahrtendienste. Hausnotrufgeräte, Sensoren, von denen ein Signal ausgeht, wenn jemand die Wohnung verlässt, Hilfsmittel und eine bedürfnisgerecht angepasste Wohnung sind technische bzw. bauliche Mittel, die als hilfreich empfunden werden. Wie wichtig eine zeitliche Entlastung der Pflegenden ist, lässt sich daran ablesen, dass 84,6% der pflegenden Angehörigen in der zitierten Studie von Gräßel (Kapitel 3.5.3 „ Pflegebedingte Belastungen“ ab Seite 50) angeben, zu wenig Zeit für eigene Interessen zu haben. Hier können Vertretungen der Pflegeperson durch andere Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn oder stundenweise Unterstützung durch Honorarkräfte 57 sowie Ehrenamtliche Abhilfe schaffen. In den Kapiteln 3.4.ff („Versorgung demenziell Erkrankter“ – „Stationär“ – „Teils tationär“ – „Ambulant“, Seite 38-44) wurden bereits Angebote wie Tages- oder Kurzzeitpflege erwähnt und der Nutzungsgrad beschrieben. Eine verlässliche , bezahlbare stundenweise Vertretungskraft, die im Umgang mit demenziell Erkrankten geschult ist und fachlich begleitet wird, bietet das Projekt „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ der Diakonie gGmbH im Ev. Stadtkirchenverband Köln an. Da das Kernstück dieser Arbeit die Auswertung des genannten Projektes unter dem Fokus seiner Auswirkungen auf die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen ist, wird das Konzept des Projektes Tandem im Folgenden ausführlich dargestellt: Tandem häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz Die Gefühle von Angehörigen demenziell Erkrank ter bewegen sich ständig zwischen Liebe und Last, wenn die Betreuung eines älteren Menschen mit Demenz zu Hause sie kaum noch dazu kommen lässt, einmal Zeit für sich zu haben. Diese Angehörigen brauchen Unterstützung von Menschen, die ihnen in der belastenden Betreuungssituation zur Seite stehen können. Zielgruppe: Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz Ziel: Unterstützung pflegender Angehöriger, um sie vor Überlastung zu schützen und dadurch einen längeren Verbleib des demenziell Erkrankten in der vertrauten Häuslichkeit zu ermöglichen Die Helferinnen sollten folgendes mitbringen: ? Neugier und Freude am Umgang mit älteren Menschen und ihrer Lebensgeschichte. 58 ? Verlässlichkeit, da Kontinuität im Umgang mit demenziell Erkrankten notwendig ist. ? Offenheit für neue Erfahrungen, an denen die Engagierten vielleicht Neues über sich selbst lernen. ? Die Bereitschaft, an der Schulung sowie an Reflexionstreffen teilzunehmen. ? Die Fähigkeit, sich abgrenzen zu können. Kosten für die Nutzer: Pro Einsatzstunde einer Helferin in der häuslichen Betreuung sind 7,50 Euro als Aufwandsentschädigung an die Helferin zu bezahlen. Einführung, Schulung und Begleitung der Helferinnen: ? Kennlern- Gespräch ? 15 Doppelstunden Schulung zu den Themen Krankheitsbild und –verlauf von Demenzen, Einführung in das Pflegeversicherungs- und Betreuungsrecht, Kommunikation mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen. ? Einige Stunden praktische Schulung in einem Café für Angehörige und demenziell Erkrankte. ? Regelmäßige Gruppenreflexionen und Einzelgespräche mit der Projektkoordination bei Bedarf. ? Zusätzliche Fortbildungsangebote ? Bei Konflikten in der Betreuungssituation ist Unterstützung durch die Projektkoordination möglich. Aufgaben der Helferinnen: ? In erster Linie ist es ihre Aufgabe, psychisch und physisch anwesend zu sein, die Bedürfnisse des Erkrankten zu erkennen und darauf einzugehen: z.B. vorlesen, zuhören, Nähe vermitteln, zu trinken reichen, zur Toilette führen. ? Gegenseitige Absprachen mit den Angehörigen sollen eingehalten werden. 59 ? Gegebenenfalls sollen sie auch Gesprächspartner für die Angehörigen sein (mit der Möglichkeit, bei Beratungsbedarf an die Seniorenberaterinnen der Diakonie gGmbH o.ä. zu vermitteln). ? Keinesfalls sollen hauswirtschaftliche oder pflegerische Tätigkeiten übernommen werden (nur situativ notwendige). Was bekommen die Helferinnen: ? Die Möglichkeit, (zwischen-)menschliche und fachliche Kompetenzen in der Schulung und in den Einsätzen weiter zu entwickeln. ? Die Möglichkeit, den häuslichen Unterstützungsdienst mit zu entwickeln ? Anerkennung und Wertschätzung. ? Eine Aufwandsentschädigung von 7,50 Euro pro Einsatzstunde in den Haushalten. ? Eine zukunftsträchtige Aufgabe. Organisatorische Rahmenbedingungen: Die Helferinnen werden über die Diakonie gGmbH unfall- und haftpflichtversichert. 3.6 Lebensqualität Ein langes, gutes Leben zu führen ist das Ziel der meisten Menschen. Angesichts der in Kapitel 3.1. dargestellten „Zunahme der absoluten Zahl älterer Menschen und des zu erwartenden starken Anstiegs der sehr alten Menschen“ (Tews in Reichert; 2000, 2), scheint das lange Leben für sehr viele Fakt zu werden. Stellt sich die Frage nach der Qualität der gewonnenen Jahre. Was macht ein gutes Leben aus? Wer oder was definiert die Lebensqualität? Sind es von außen beobachtbare Faktoren, die ein Leben zu einem guten Leben machen? Spielt die individuelle Wahrnehmung der eigenen Lebenslage bei der Definition von Lebensqualität eine Rolle? Erwähnt sei, dass gerade Fragen zur Lebensqualität im Alter von immer größerem Interesse und außerordentlicher Relevanz sind. Dies spiegelt sich unter anderem in der Thematik des 4. Berichtes zur Lage der älteren 60 Generation in Risiken, die der Bundesrepublik (BMFSFJ; 2002) wider, der explizit die Versorgung sowie eben die Lebensqualität Hochaltriger thematisiert. In der Berliner Altersstudie befassen sich Smith et al. mit dem Wohlbefinden im hohen Alter und stellen fest, dass aus der Beurteilung von Lebensqualität in der gerontologischen Literatur oft Schlüsse auf „die Effektivität von sozialpolitischen Maßnahmen und Wohlfahrtsprogrammen“ gezogen werden (Smith et al. in Meyer&Baltes; 1996; 497) – was finanzielle und damit existentielle Konsequenzen für solche Programme haben kann. Es zeigt sich, dass die Frage nach der Lebensqualität im Alter beachtet wird: mehrtägige Kongresse finden statt (z.B. „Altern und Lebensqualität“ der Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie), einzelne Studien liegen vor (z.B.: „Growing Older: The ESRC Research Programme on Extending Quality of Life“ http://www.shef.ac.uk/uni/projects), aber es gibt nur wenige systematisch angelegte Forschungsprogramme. Wenn überhaupt, dann befassen sich Gesundheitswissenschaften oder Altersforschung mit der Frage nach Lebensqua lität, was den Schluss nahe legt, dass man sich erst damit befasst, wenn Alter oder gesundheitliche Einbußen das angestrebte „gute Leben“ bedrohen. Was aber steckt hinter dem viel bemühten Begriff „Lebensqualität“? „Lebensqualität“ ist eine Art Hilfskonstruktion, die mit variablen Inhalten gefüllt wird, um Aussagen über die „Qualität“ des Lebens Einzelner oder ganzer Gruppen zu treffen. Der Begriff stellt für sich allein eine Worthülse dar, unter der jeder, der sie benutzt, sich etwas vorstellt – aber wohl niemals zwei identische Vorstellungen existieren. Folglich verhält es sich mit dem Begriff „Lebensqualität“ ähnlich wie mit dem Begriff „Glück“: jeder versteht was damit gemeint sein könnte, aber eine exakte, allgemein gültige Definition haben wir nicht (Filipp&Meyer in DZA 2002). Das Eine kann aber nicht ohne das Andere: Ohne eine Definition von Lebensqualität kann sie nicht allgemein gültig operationalisierbar gemacht werden. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen 1500 Messverfahren zur Bestimmung von Lebensqualität vorliegen. Das zeigt 61 wiederum: eine einheitliche Definition von Lebensqualität (so sie denn überhaupt möglich und angestrebt ist) scheint in weiter Ferne zu liegen. Bevor in den folgenden Kapiteln einige Ansätze, Lebensqualität zu definieren bzw. zu konzeptualisieren dargestellt werden, sollen zunächst mögliche Zugangswege in der Bestimmung von Lebensqualität aufgeführt werden. Die Autorinnen Filipp und Meyer nennen die folgende Tabelle selbst lediglich den „Versuch einer Systematisierung“ (in DZA 2002; 324f): Tabelle 4: Fokus der Betrachtung Sozialräumliche Perspektivität der Betrachtung Selbstbewertungen Fremdbewertungen („Subjektive („Zugeschriebene Lebensqualität“) Lebensqualität“) Umwelt Urteilsmodell und Lebenslage Lebensqualität der Modell der (Sozial-) (kognitive Indikatoren Komponente der LQ) Das Leben allgemein Globale Bewertungen des Lebens/Maße der Lebenszufriedenheit Gesundheit Subjektive Gesundheit Objektiver Körperliche Beschwerden Gesundheitsstatus/ Schmerzwahrnehmung klinischer Befund Ausgewählte Domänenspezifische Registrierung Lebensbereiche Selbstbewertungen Indikatoren, z.B.: mit Blick auf z.B.: Einkommen Lebensstandard Wohnregion Wohnsituation Religionszugehörigkeit Ehe-/ Familienleben Familienstand Soziale Einbindung Kalendarisches Alter „relevanter“ 62 Individuum Modell der (impliziten) Modell der Wohlbefindensindikatoren Beobachtungsdaten Affektive Komponente der Verhaltenskomponente der LQ: LQ Zielbindung (commitment) Interaktionsverhalten Bedürfnisbefriedigung Funktionsstatus Positiver und negativer Agitiertheit vs. Apathie Affekt Aktivitätsniveau Furcht vor dem Alter Verhaltenskompete nz Depressivität Affektive Komponente der Selbstwertgefühl LQ Verhaltenskomponente der Mimischer Ausdruck LQ (emotionales Aktivitätsniveau Befinden/Depressivität) Kompetenzerleben Gedächtnisinhalte Emotionale Reaktivität Individuum -Umwelt- Subjektive Passung Vergleiche Ist-Soll- Quasi-objektives Passungsmodell/Vergleich („Was ist?“ vs. „Was soll der sein?“) individuellen Bedürfnisse und Potentiale mit den umweltseitigen Anforderungen und Handlungsspielräumen Das Schema Lebensqualität: beinhaltet die zwei Perspektiven Selbstbewertungen des in der Bestimmung Individuums von („subjektive Lebensqualität“) getrennt von der Fremdbewertung. Letztere beschreibt von Außenstehenden zu beobachtende Faktoren, die objektiv wahrnehmbar erscheinen. Allerdings erweist sich der hier gewählte Begriff „zugeschriebene Lebensqualität“ als genauer im Vergleich mit dem andernorts verwandte n Begriff „objektive Lebensqualität“ (BMFSFJ; 2002): wahrgenommen und interpretiert werden die beobachtbaren Faktoren von Außenstehenden jeweils vor deren individuellem Hintergrund und Erfahrungsschatz – was Objektivität im 63 Sinne einer wertfreien, allgemeingültigen Darstellung unmöglich macht. Den beobachteten Faktoren wird auf der Basis der individuellen Wahrnehmung des Beobachters, vor dem Hintergrund allgemeiner Vorstellungen von Ansprüchen und Erwartungen sowie evtl. in Anbetracht der Vergangenheit (die „schweren Zeiten“, die bewältigt wurden) des Beobachteten ein Qualitätsniveau zugeschrieben. Die Fremdbewertung ist hier entscheidend. Belegt ist aber, dass sich Lebensqualität aus der Perspektive des Individuums anders darstellt als aus der Perspektive Außenstehender (Filipp&Mayer in DZA 2002) und viele Definitionen daher dem Primat der Subjektivität folgen. „Kein Mensch kann glücklich sein, der sich nicht selbst dafür hält“ philosophierte Seneca und nach Lewin ist „das, was die Menschen als real ansehen auch in seinen Konsequenzen real“ (Filipp&Mayer in DZA, 2002; 324) – sprich das subjektive Urteil über den Erreichungsgrad der selbst definierten Ziele spielt eine entscheidende Rolle in der Bewertung der eigenen Lebensqualität. Auf die Bedeutung dieses Urteilsmodells wird in Kapitel 3.6.2 („Lebensqualität in dieser Arbeit“, ab Seite 68) näher eingegangen, wenn die Relevanz des Modells für die vorliegende Arbeit geprüft wird. Aufgezählt werden in der Tabelle über die Perspektiven der Selbst- und Fremdbewertung hinaus einige inhaltliche Aspekte, die zur Bewertung von Lebensqualität beitragen (können): sozialräumliche und faktische („Glück von außen“) sowie intrapsychische Merkmale („Glück von innen“). Auf letztere wird in Kapitel 3.6.1 („Lebensqualität als mulitidimensionales Konzept“, ab Seite 63) näher eingegangen. Bevor im empirischen Teil dieser Arbeit Ergebnisse zur Veränderung der Lebensqualität bei pflegenden Angehörigen Demenzkranker im Zusammenhang mit einer stundenweisen Unterstützung referiert und diskutiert werden, stehen zunächst konzeptuelle Überlegungen zur Lebensqualität im Alter im Vordergrund: ausgewählte Theorien zur Lebensqualität werden vorgestellt. Im letzten Abschnitt des Erläuterungszusammenhanges „Lebensqualität“ wird das Verständnis dieses Begriffes in der vorliegenden Forschung dargelegt. 64 3.6.1 Lebensqualität als multidimensionales Konzept Menschen jeden Alters setzen sich Lebensziele und haben ihre eigenen Maßstäbe, um den Grad des Realisierten zu messen. Die gesteckten Ziele (angestrebte, positiv bewertete Zustände) sowie den Fortschritt beim Erreichen dieser, werden durch das Individuum selbst bewertet. Die subjektive Wahrnehmung steht hier im Vordergrund. Gleichzeitig gibt es von außen beobacht- und bewertbare Gegebenheiten und Bedingungen, die in ihrer Summe den Lebensstandard einer Gesellschaft widerspiegeln und Einfluss nehmen können auf die individuelle Einschätzung der eigenen Lebensqualität. In Deutschland bedient sich die empirische Wohlfahrtsforschung eines Ansatzes von Lebensqualität, der eine Synthese sowohl sozialpolitisch als auch sozialpsychologisch ausgerichteter Ansätze darstellt: „Unter Lebensqualität verstehen wir ... gute Lebensbedingungen, die mit einem positiven subjektiven Wohlbefinden zusammengehen. In einer allgemeinen Definition ist die Lebensqualität von Individuen und Gruppen bestimmt durch die Konstellation der einzelnen Lebensbedingungen und der Komponenten des subjektiven Wohlbefindens. Unter Lebensbedingungen verstehen wir die beobachtbaren, ´tangiblen´ Lebensverhältnisse: Einkommen, Wohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen, Familienbeziehungen und soziale Kontakte, Gesundheit, soziale und politische Beteiligung. Unter subjektivem Wohlbefinden verstehen wir die von den Betroffenen selbst abgegebenen Einschätzungen über spezifische Lebensbedingungen und über das Leben im Allgemeinen. Dazu gehören insbesondere Zufriedenheitsangaben, aber auch generelle kognitive und emotive Gehalte wie Hoffnungen und Ängste, Glück und Einsamkeit, Erwartungen und Ansprüche, Kompetenzen und Unsicherheiten, wahrgenommene Konflikte und Prioritäten“ (Zapf, 1984, 23). In seinem Definitionsversuch geht Zapf davon aus, dass Lebensqualität ein Gefüge vieler Elemente ist, die das Leben potentiell beeinflussen. So komplex, facettenreich und individuell wie sich menschliches Leben gestaltet, so komplex und facettenreich muss auch die Messung des Qualitätsniveaus des 65 individuellen Lebens ausfallen. Lebensqualität sollte seinen Ausführungen nach multikriterial, respektive mehrdimensional erfasst und bewertet werden. Ansatzpunkte für zu erfassende Kriterien nennt Zapf, indem er Lebensqualität in Lebensbedingungen und Wohlbefinden unterteilt. Unter Lebensbedingungen subsumiert er zu beobachtende Aspekte der Lebensverhältnisse, Wohlbefinden dagegen bezieht er auf rein subjektive Bewertungen. Ryff wies 1989 darauf hin, dass subjektives Wohlbefinden neben dem von Zapf Genannten auch Dimensionen wie „Selbstentfaltung, Lebenssinn, Selbstakzeptanz und tragfähige persönliche Beziehungen“ einschließt (Ryff in BMFSFJ; 2002; 72). In den Wissenschaften wird Wohlbefinden aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet: Die Wirtschaftswissenschaften und Abteilungen der Medizin wie Innere Medizin und Psychiatrie messen es an materiellen Ressourcen, während in der Psychologie und der Soziologie die subjektive Wahrnehmung von „Wohlbefinden“ im Vordergrund steht. In den Expertisen zum Vierten Altenbericht der Bundesregierung gehen Noll und Schöb auf die Faktoren Einkommen und Lebensstandard, Gesundheit, Wohnen, öffentliche Sicherheit, soziale Netzwerke, gesellschaftliche Beteiligung und Freizeit ein. Diese Dimensionen kennzeichnen in ihren Ausführungen die „objektiven Lebensbedingungen“ (Noll&Schöb in DZA 2002) eines Menschen. Der Ansatz der objektiven Lebensbedingungen gründet auf dem Konzept der Ressourcen. Ressourcen sind hier die von einer Person zu aktivierenden Kräfte und Möglichkeiten, mit denen sie ihre Lebensbedingungen bewusst und Ziel gerichtet beeinflussen kann. Die Ressourcen bestimmen die Handlungsspielräume einer Person, wobei Determinanten eine Rolle spielen können, die die Person selbst nicht oder nicht direkt beeinflussen kann. Der Ressourcen orientierte Ansatz, der das Konzept der objektiven Lebensqualität auszeichnet, geht also davon aus, dass sich die Lebensqualität einer Person an deren zur Verfügung stehenden und nutzbaren Ressourcen ablesen lässt, wobei sowohl personenbezogene als auch infrastrukturelle bzw. sozialraumspezifische Merkmale in die Messung einzubeziehen sind. 66 Neben den individuellen Lebenszielen, die durch gezielt eingesetzte Kräfte erreicht werden sollen, existieren offenbar eine Reihe basaler Bedürfnisse, die zu den handlungsrelevanten Ressourcen gehören: „Einkommen und Vermögen, Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit, mentale Kapazitäten (wie Gedächtnis und Denkfähigkeit), soziale Netzwerke (insbesondere Familie und Freunde) sowie die Ausstattung der Wohnung und Infrastruktur des Wohnumfeldes“ (BMFSFJ; 2002; 71). Nach der eben zitierten Quelle kann das ungefähre Niveau von Lebensqualität durch externe Beobachtung erfasst werden, indem der Grad der Befriedigung der basalen Bedürfnisse und damit das Vorhandensein bzw. das Fehlen handlungsrelevanter Ressourcen beurteilt wird. Neben dem Konzept der objektiven Lebensqualität gibt es eine zweite Richtung, die Wissenschaftler eingeschlagen haben, um Fragen nach Kriterien eines „guten Lebens“ auf den Grund zu gehen: Das Konzept der subjektiven Lebensqualität. Dieser Ansatz stellt die subjektiven Werturteile eines Menschen bezüglich seiner Lebensbedingungen und seines Wohlbefindens in den Vordergrund. In der Gerontologie genießt dieser Ansatz einen hohen Stellenwert, da sich gerade bei älteren und alten Menschen die Fremd- und die Selbstperspektive auf „objektive“ Faktoren deutlich unterscheiden können. Eine solche Diskrepanz zwischen den Perspektiven zeigt ein Zufriedenheitsparadoxon auf, wenn die Einschätzung der älteren Menschen deutlich besser ausfällt, als es nach objektiven Beobachtungskriterien angenommen wurde. Eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen objektiver und subjektiver Realität ist, dass alte Menschen von einem mentalen Anpassungsprozess Gebrauch machen, der ihre psychologische Widerstandsfähigkeit erhöht (Staudinger in Mayer&Baltes; 1996; 321ff). Dadurch sind sie in der Lage, ihre Ziele flexibler an unkontrollierbare Ereignisse anzupassen. 85% der älteren Menschen geben an, zufrieden oder sehr zufrieden zu sein; „dieser Befund wird [seit Ende der 60er Jahre] wiederholt berichtet und scheint somit stabil zu sein“; (George, 1986; Smith et al.; 1996; zitiert vo n Zank&Baltes in Kruse 1998; 61). Erklärt wird die hohe Zufriedenheit älterer Menschen darüber hinaus mit sozialen Abwärtsvergleichen der älteren Menschen oder 67 einer Gegenüberstellung der jetzigen Lebenssituation mit Belastungen früherer Lebensabschnitte (Vgl. Filipp&Meyer in DZA; 2002; Diener in Lewis&Haviland; 2000). Die individuellen, in der Selbstperspektive erstellten Definitionen von Lebensqualität basieren auf den Wertvorste llungen des Einzelnen über ein „gutes Leben“ und seiner Einschätzung im Hinblick auf das verfügbare Maß an Handlungsoptionen. Darüber hinaus spielen die individuell wahrgenommenen Kontroll- und Veränderungsmöglichkeiten eine Rolle, die die Sicherheit geben, das eigene Leben gestalten zu können. Die „subjektiv definierte Lebensqualität umfasst also immer drei Komponenten, nämlich eine kognitive, eine affektive und eine verhaltensbezogene, d.h. sie schließt ein, was eine Person über ihre Lebenslage und sich selbst denkt, wie sie sich fühlt und was sie tut oder tun kann“ (Filipp&Mayer in DZA; 2002; 392-393). Auch Diener (2000) plädiert dafür, das Primat der Subjektivität walten zu lassen, indem er darauf verweist, dass die Definition eines „guten Lebens“ immer von der Person selbst vorgenommen werden sollte: „self-reports of happiness are valid: most instruments show impressive internal consistency, temporal stability and convergence with non-self-report measures of well-being“ (Diener&Lucas zitiert in Lewis&Haviland; 2000; 330). Wie aber entsteht die individuelle Einschätzung von Lebensqualität? Zapf teilte Lebensqualität in die Faktoren Lebensbedingungen Wohlbefinden auf. Die Lebensbedingungen als und „tangible“, subjektives nach Zapf „beobachtbare“ Kriterien wurden bereits mehrfach erwähnt. Diener (1996) widmet sich dagegen Erklärungsversuchen, wie subjektives Wohlbefinden entsteht. Dabei stellt er zwei Sichtweisen dar, wobei die eine Wohlbefinden als erfahrungsabhängig ansieht („bottom-up“-Theorie), während die andere davon ausgeht, Wohlbefinden sei erfahrungsstrukturierend („top-down“-Theorie). Bottom-up-Theorien definieren Lebenszufriedenheit als Summe positiver und negativer Erfahrungen und angenehmer sowie unangenehmer sozialer Interaktion. Entsprechend der gemachten Erfahrungen steigt oder sinkt das subjektive Wohlbefinden (BMFSFJ; 2002). 68 Der Top-down-Ansatz geht demgegenüber davon aus, dass Menschen mit stabilen Grundhaltungen ausgestattet sind. Diese prädisponieren das Individuum dazu, Erfahrungen positiv oder negativ wahrzunehmen. Diener und Lucas (in Lewis&Haviland; 2000) fanden heraus, dass Optimismus, Neurotizismus (Ausmaß, mit negativen Emotionen zu reagieren), Extraversion (Bereitschaft, auf andere Menschen zuzugehen/ mit ihnen umzugehen) oder Selbstbewußtsein mit dem subjektiven Wohlbefinden einer Person korrelieren. Dem Top-down-Ansatz zufolge entsteht Lebensqualität quasi „im Kopf“ – ihre Persönlichkeitsmerkmale bestimmen die emotionale Richtung von Erfahrungen; sie strukturieren das Alltägliche, alle Erfahrungen, die ein Mensch macht. Allerdings gebe es Hinweise, dass die Persönlichkeitseigenschaften, die die „Glücksfähigkeit“ eines Individuums beeinflussen zwischen unterschiedlichen Kulturen differierten. Insbesondere der Einfluss des Selbstbewusstseins auf das subjektive Wohlbefinden des Einzelnen lasse sich in Kollektivgesellschaften nicht nachweisen und die Korrelation zwischen subjektivem Wohlbefinden und Extraversion sei deutlich schwächer (Diener et al. in Lewis&Haviland; 2000). Die Gründe für den Zusammenhang zwischen subjektivem Wohlbefinden und den Persönlichkeitseigenschaften einer Person sind unklar, aber: „the relation itself is robust“ (Oishi, Suh et al. in Lewis&Haviland; 2000). Aus den theoretischen Darstellungen bzw. Herangehensweisen lässt sich zusammenfassend ableiten, dass Lebensqualität in jedem Falle mehr ist, als einzelne Indikatoren aussagen können (Lebensqualität ist mehr als materieller Wohlstand, mehr als Gesundheit und mehr als Wohlbefinden). Lebensqualität spiegelt die individuellen Vorstellungen wider, die Menschen von einem guten Leben haben – die Lebensqualität des Menschen lässt sich folglich genauso wenig definieren wie der Demenzkranke und die pflegende Angehörige. Wahl schreibt über Lebensqualität, sie sei ein „perspektivisches Konstrukt, das primär einen Blickwinkel auf den Alltag und das Leben [...] eröffnet und das innerhalb dieses Blickwinkels verschiedene Fokussierungen erlaubt, wobei stets das einzelne Individuum in der Lage sein muss (oder sein darf), den Maßstab für ein „gutes Leben“ zu setzen; das sollten wir bei allem „Interventionsoptimismus“ nicht vergessen“ (Wahl; 1998; 248). 69 3.6.2 Lebensqualität in dieser Arbeit Die Verwendung des Begriffs „Lebensqualität“ und seine Operationalisierung in der vorliegenden Arbeit basieren auf zwei Überzeugungen: Zum einen gibt es aufgrund der in den vorigen Kapiteln aufgezeigten Unterschiede und Unverträglichkeiten der vorhandenen Konzepte untereinander keine einheitliche Definition von Lebensqualität und es ist unmöglich, zu einer zu gelangen (Filipp&Meyer in DZA; 2002) - zum anderen ist eine idiographische Betrachtung die einzige Möglichkeit, maßgeschneiderten Zugang zum Individuum und seiner Vorstellung von einem „guten Leben“ zu bekommen. Der Begriff „Lebensqualität“ bleibt dabei eine Hilfskonstruktion, die genutzt wird, um die facettenreichen Einzeldefinitionen der Untersuchungsteilnehmerinnen und –teilnehmer zu bündeln und verständlich zu machen. Filipp und Meyer stellen vielleicht zu Recht die Frage, ob der Begriff „Lebensqualität“ nicht inflationär gebraucht wird (Filipp&Meyer in DZA; 2002)? Sie begründen ihre Frage allerdings damit, dass Lebensqualität häufig nur an Einzelindikatoren fest gemacht wird, beispielsweise, indem die globale Zufriedenheit oder aber der Funktionsstatus einer Person mit deren Lebensqualität gleichgesetzt wird. Ich schließe mich der Kritik der zitierten Autorinnen an, denn bei einer solchen Nutzung des Begriffes „Lebensqualität“ wird ein Bedeutungsüberschuss erzeugt, der im Hinblick auf eine konzeptuelle Klarheit zu vermeiden ist. In der folgenden Forschung zur Lebensqualität von pflegenden Angehörigen Demenzerkrankter Lebensqualität werden mehrere entsprechend Einflussvariablen der Multidimensionalität erhoben: objektive wie von das kalendarische Alter oder die Dauer der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit des Demenzkranken und subjektive, die in der Mehrzahl Antworten auf eine Phantasiereise und die Frage „Was bedeutet für Sie Lebensqualität?“ sind. Die subjektiven Indikatoren spiegeln das Ergebnis komplexer Bewertungsprozesse hinsichtlich des eigenen Lebens bzw. des derzeitigen Lebensabschnitts wider. Da nicht nur nach einem einzelnen Indikator bzw. der momentanen Befindlichkeit gefragt wurde, trugen die Befragten individuell relevante Indikatoren aus unterschiedlichen Lebensbereichen zusammen. 70 Folglich füllen in der vorliegenden Arbeit vielfältige Fokussierungen die an sich inhaltslose Worthülse „Lebensqualität“. In die zwanzig Datensätze umfassenden Erhebung fließen zwanzig individuelle Definitionen von Lebensqualität ein, die einen Querschnitt durch die Vorstellungen von Lebensqualität pflegender Angehöriger von Demenzkranken zeigen. Ob und inwieweit hier jeweils auch die Dimensionen enthalten sind, die aus psychologischer Sicht die Lebensqualität beeinflussen (Autonomie, Alltagsbewältigung, menschliches Wachstum, positive Beziehungen zu anderen, Lebenssinn und Selbstakzeptanz; nach Ryff in Meyer&Baltes; 1996) sollte nicht von Forscherseite beeinflusst werden. Ziel war es vielmehr zu erfahren, ob die Summe der Definitionen von Lebensqualität im außerordentlichen Zusammenhang Belastungen, eine mit Pflege bestimmte und Betreuung, Richtung enthält, also die wissenschaftlich und praktisch nutzbar gemacht werden kann. „Subjektive Lebensqualität im (hohen) Alter [wird in den Expertisen zum vierten Altenbericht] verstanden als Fähigkeit von Menschen, sich an die realen Gegebenheiten ihrer Lebenslagen, an die Begrenzungen ihrer Handlungsspielräume, auch an Verluste und Leid anpassen zu können“ (Filipp&Meyer in DZA, 2002; 394; Smith et al. in Meyer&Baltes; 1996; 505). Bezug nehmend auf dieses Verständnis von Lebensqualität ist angestrebt, in der vorliegenden Arbeit zu prüfen, wie groß diese Verluste für pflegende Angehörige sind, bzw. aufzuzeigen, wie groß „Gewinne“ für pflegende Angehörige sein müssen, um Einfluss auf ihre Lebensqualität zu haben. In der Berliner Altersstudie wird zur Subjektivität und Objektivität in der Messung (nicht nur von Lebensqualität) festgestellt, dass die Beziehung zwische n den beiden Perspektiven nicht nur ein Problem methodischer Unzulänglichkeiten sei. Es sei auch ein Problem der menschlichen Konstruktion von Realität und der Einbettung von Realität in die Subjektivität des Lebens : Es gehöre „zu einem „gut“ geführten Leben, objektive Realität zu vernachlässigen oder zu verändern, beispielsweise um dem eigenen Selbst das „Gefühl“ von Handlungskontrolle zu geben“ (Meyer&Baltes; 1996; 49-50). Diese methodische Schwierigkeit, basierend auf psychischen Schutzmechanismen, wird in der 71 vorliegenden Arbeit kombiniert mit der Unmöglichkeit, „zu eine r verbindlichen Definition von Lebensqualität zu gelangen“ (DZA; 2002; 391). Der geneigte Leser möge sich selbst ein Bild der Bedeutungsfacetten des Begriffs „Lebensqualität“ in dieser Arbeit machen und dabei im Blick behalten, dass es in den unterschiedlichsten Schattierungen von zwanzig pflegenden Angehörigen gezeichnet wurde. 3.6.3 Pflege und Betreuung aus einer systemischen Perspektive Pflege und Betreuung werden allgemein als ein Prozess wahrgenommen, in dem ein oder mehrere Akteure tätig sind, um dem Pflegebedürftigen zu einem möglichst hohen Maß an Wohlbefinden zu verhelfen. Im Mittelpunkt der Bemühungen, ganz gleich ob jemand allein von der Angehörigen, von der Angehörigen und ergänzenden Diensten oder aber in einer stationären Einrichtung versorgt wird, steht der Pflegebedürftige. Auch Betty Neuman (1998) richtet den Fokus auf den Pflegebedürftigen, den sie als Klienten bezeichnet. Als offenes System tritt er fortwährend in Interaktion mit seiner Umwelt, also mit allen Faktoren, die ihn beeinflussen. Der Klient verändert sich in Wechselwirkung mit der Umwelt und bewegt sich auf einen dynamischen Zusta nd der Systemstabilität, des Wohlbefindens , hin oder aber in Richtung eines Krankheitszustandes (Neuman; 1998). Das Wohlbefinden eines Menschen spiegelt sich in seiner Gesundheit wider – allerdings ist Gesundheit hier nicht als das Fehlen von Krankheit definiert sondern als ein individuelles Konstrukt aus den Bedürfnissen, Anlagen, Wahrnehmungen und Zielen des Pflegebedürftigen. Ein optimales Wohlbefinden besteht, wenn die Bedürfnisse des Klientensystems gestillt sind. Da nach Neuman die Gesundheit den Grad des Wohlbefindens widerspiegelt, drehen sich pflegerische und betreuerische Bemühungen darum, die Einflüsse der Umwelt auf den Pflegebedürftigen so zu gestalten, dass es ihm möglich ist, eine Balance zwischen den einströmenden Einflüssen, den Stressoren, die sich positiv und negativ auswirken können, zu halten (Neuman; 1998). Der Grad der Gesundheit kann daran abgelesen werden, wie viel Energie das System benötigt, um die Balance, die Systemstabilität, zu halten, bzw. in diesen 72 Zustand zurück zu kehren. Benötigt der Pflegebedürftige mehr Energie als er erzeugen kann, um das Gleichgewicht zu halten, kann er sterben. Menschen sind offene Systeme, die sich nach Neuman ihrer Umwelt anpassen, indem sie versuchen, Stressoren in sich aufzunehmen oder unter Kontrolle zu bringen, um das eigene Überleben zu sichern (Neuman; 1998). So sucht der Verwirrte seine Ordnung indem er ständig kramt, sucht seinen Weg, indem er unaufhörlich durch die Wohnung streift und sortiert das Wahrgenommene oder Gehörte so, dass es für ihn einen Sinn ergibt – der sich allerdings, wenn überhaupt, nur Menschen erschließt, die seine Vergangenheit und damit den Hintergrund, vor dem er Erfahrungen erlebt, kennen. Neumans Systemmodell ist als „Gesundheitsmodell“ zu verstehen (Neumann; 1998), da durch Anwendung des Modells bzw. eine an das Modell angelehnte Handlungsmaxime, das optimale Wohlbefinden des Klienten angestrebt wird. Zweifellos soll das Wohl des Patienten in pflegerischen Handlungsfeldern im Mittelpunkt stehen – dennoch wird Neumans Modell hier etwas umgewidmet: Bei einer stundenweisen Unterstützung von pflegenden Angehörigen von Demenzerkrankten stehen die Angehörigen im Mittelpunkt des Interesses. Sie sind diejenigen, denen eine Unterstützung zuteil wird, die ihnen dabei helfen soll, ihre Balance zu halten bzw. wieder zu erlangen. Ein umfassendes Verständnis von pflegenden Angehörigen, ihrer Tätigkeit, Entwicklung und ihres Wohlbefindens ist meiner Meinung nach ohne systemisches Denken nicht vorstellbar. Neuman beschreibt Befunde aus der Pflegeforschung die zeigen, dass sich die Interaktionen des Klientensystems (bei ihr bezogen auf den Patienten) „ohne Berücksichtigung des KlientenUmwelt-Systems nicht hinreichend verstehen und verändern lassen“ (Neuman; 1998; 12). Ebenso verhält es sich, wenn der pflegende Angehörige in den Mittelpunkt des Interesses rückt und als Klientensystem verstanden wird: Ohne Kenntnisse über die Systemzusammenhänge, Interaktionsmuster, Stressmomente, die Idealvorstellung von Unterstützung und das Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen ist eine Balance stützende Hilfestellung für pflegende Angehörige nicht effektiv zu realisieren. 73 3.7 Demenzforschung in Deutschland Die gerontologische Forschung allgemein befasste sich in den letzten zwanzig Jahren vorrangig mit den „jungen Alten“, den 60-70jährigen. Hier wurde untersucht, ob und unter welchen Umständen „erfolgreiches Altern“ bei geistiger und körperlicher Gesundheit, sozialer Einbindung und hoher Lebensqualität möglich ist (Smith&Zank in DZA 2002). Angesichts der heutigen Bevölkerungszusammensetzung und den demographischen Prognosen fand auch die Hochaltrigenforschung (über 85jährige) immer mehr Interesse. Eine Folge dieser Forschungsrichtung war die Einsicht, dass Studien über altersspezifische Krankheiten wie Demenzen forciert werden sollten. Weltweit ist eine deutliche Zunahme an Demenzforschungen zu beobachten. Förstl et al. recherchierten den Umfang demenzspezifischer Forschungstätigkeiten anhand des Dokumentationssystems „Excerpta Medica“: Über 20 000 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Demenz aus den Jahren 1991 bis 1999 machten sie ausfindig. Die jährliche Steigerungsrate betrug ihren Angaben zufolge rund 10% (Förstl et al. in BMFSFJ; 2002). 40% der Publikationen stammten aus den USA, 10% aus dem Vereinigten Königreich und rund 5% aus Deutschland (ebenda). Verschiedene etwas später durchgeführte Recherchen Publikationsverzeichnissen in unterschiedlichen ergaben ähnliche Datenbanken Ergebnisse: Auf und eine Demenzstudie mit Deutscher Beteiligung kommen drei mit britischer und zwanzig mit amerikanischer Beteiligung (Smith&Zank in DZA; 2002). Setzt man die sozialgerontologische Forschungsproduktivität in Deutschland ins Verhältnis mit der hiesigen ökonomischen Leistungsfähigkeit, steht Deutschland an letzter Stelle: Hinter den „USA, den Niederlanden, Kanada, Skandinavien, Spanien, Italien Großbritannien, Frankreich und Japan“ (BMFSFJ; 2002; 67). Im Gegensatz zu diesem letzten Platz steht die medizinische Demenzforschung, Dank des vom Bundesforschungsministerium gestarteten Kompetenznetzes Demenzen, weltweit auf einem Spitzenrang (Lahm; 2004) – der allerdings aufgrund akuten Geldmangels gefährdet ist. 74 Von den 124 in der Recherche für den Vierten Altenbericht erfassten Forschenden in Deutschland, die mindestes eine Arbeit zur Demenz publiziert haben, arbeiten die meisten in kleinen Teams oder alleine. Forschungsschwerpunkte mit zehn oder mehr Forschenden befinden sich nur in vier Städten: in Berlin, Düsseldorf, Leipzig und München. Jeweils ein Forschender in Düsseldorf, Heidelberg und München publizierte zumindest eine Arbeit zur Versorgung Demenzkranker. Zum Vergleich: 81 der 124 Forschenden widmen sich der Grundlagenforschung, achtundzwanzig der Diagnostik und zwölf der Therapie Demenzkranker. Angesichts der genannten Zahlen zeigt sich Deutschland geradezu als Entwicklungsla nd in der Versorgungsforschung der Demenzen. Zwar wurden einige pflegewissenschaftliche Studiengänge geschaffen, allerdings wenige mit überwiegend gerontologischer Ausrichtung. Letztere wurden an Fachhochschulen eingeführt. Professoren an Fachhochschulen können aber aufgrund hoher Lehrverpflichtungen sowie karger finanzieller und personeller Ausstattung nur sehr begrenzt forschen (BMFSFJ; 2002). Ähnliches gilt für die in der praktischen Altenarbeit Tätigen: Nur selten sind finanzielle und personelle Mitte l gegeben, um die praktische Arbeit wissenschaftlich zu begleiten oder begleiten zu lassen. Aufgrund geringer öffentlicher Aufmerksamkeit, mangelnder Strukturen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Theorie und Praxis und fehlender finanzieller Mittel gehen Projekte und Ideen verloren, die in nächster Zukunft von äußerster Relevanz in der Altenhilfe sein werden. Im Vierten Bericht zur Lage der älteren Generation in Deutschland werden vermehrte Forschungstätigkeiten gefordert. Zukünftig sollen dem Bericht der Bundesregierung zufolge beispielsweise die „Entwicklung und Evaluation von Interventionen zur Verminderung der Belastung pflegender Angehöriger“ gefördert werden (BMFSFJ; 2002; 70), ein entsprechender Absatz ist in das Gesetz zur Sozialen Pflegeversicherung eingearbeitet worden (§45c SGB XI). Die demographische Entwicklung und die erwarteten Inzidenz- und Prävalenzraten von demenziellen Erkrankungen drängeln darauf, vorhandene Unterstützungsangebote zu evaluieren. Das von der Europäischen Union 75 geförderte Projekt „eurofamcare“ hat damit vor kurzem in sechs EU-Staaten punktuell begonnen (www.eurofamcare.de). Großjohann formuliert es so: „Die Praxis kann nicht untätig bleiben und warten, bis Forscher ihre Ergebnisse wissenschaftlich abgesichert vorlegen, sie muss hier und heute handeln“ (Großjohann in Tackenberg et al.; 2000; 14). Dem zitierten Desideratum zu notwendiger Forschungstätigkeit in der Gerontologie und dem Aufruf von Klaus Großjohann, jetzt mit der Forschung in der Praxis zu beginnen, stimme ich gerne zu – und behalte dabei die Feststellung Ernst Blochs vor Augen: Die Dinge zu nehmen, wie sie sind ist für mich in der Rolle der Untersuchenden eine Pflicht, in der Rolle der Handelnden und Wertenden mitnichten. 76 4. Hypothesen Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz sind einer Vielzahl von Belastungen ausgesetzt (psychisch, physisch, sozial, finanziell, Kapitel 3.5.3 „Pflegebedingte Belastungen“, ab Seite 50). Sie sind in der Gestaltung ihres Tagesablaufs eingeschränkt und leiden nach der Studie von Gräßel (1998; in Reichert; 2002) besonders unter dem Aspekt, keine Zeit für eigene Interessen zu haben. Aus der genannten Studie geht hervor, dass pflegende Angehörige sich darüber hinaus häufig belastet fühlen, weil sie außerhalb der Pflegesituation nicht abschalten können. Eine stundenweise Unterstützung, wie das hier evaluierte Projekt “Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz”, will genau an diesen Punkten ansetzen und den pflegenden Angehörigen durch den Einsatz geschulter Helferinnen Zeit und Muße für eigene Interessen ermöglichen. Ausgehend von der Vermutung, dass es für die Lebensqualität der Pflegenden förderlich ist, etwas freie Zeit zum Abschalten zu haben, ergab sich Hypothese 1: Die subjektiv empfundene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen steigt bei stundenweiser Unterstützung. Direkt daran schließt sich eine weitergehende Annahme an, die auf dem Wissen basiert, dass die Demenz des zu Pflegenden progressiv verläuft und die pflegende Angehörige meist selbst in einem fortgeschrittenen Alter ist. Angehörige leben im Hier und Jetzt, Zukunftspläne haben viele von ihnen aufgegeben (Gräßel 1998; in Reichert; 2002). Um Kraft für den Pflegealltag zu sammeln benötigen sie also kurzfristig verlässliche Unterstützung, die ihnen das Gefühl gibt, der Kranke ist während ihrer Abwesenheit in guten Händen. 77 Hypothese 2: In der Zeitspanne von vor dem ersten bis nach dem vierten Tandem – Besuch nimmt die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen zu. Die dritte hier untersuchte Hypothese zielt auf die Vermutung ab, dass pflegende Angehörige nicht nur Zeit und Ruhe für sich benötigen. Häufig leben sie isoliert und werden über Jahre hinweg durch die Betreuung des demenziell Erkrankten ständig mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Sie finden nicht die Zeit, sich Hilfe zu holen oder wissen nicht, wo sie Ansprechpartner für ihre speziellen Probleme finden können. Das Projekt Tandem bietet aus diesem Grunde eingehende Beratung an, vermittelt weitere Unterstützungsangebote und veranstaltet Informationsabende für die pflegenden Angehörigen. Ein solch breitgefächertes Angebot bereitzuhalten ist nur durch eine hauptamtliche Fachkraft möglich, die den Angehörigen eine gewisse Kontinuität bieten kann. Sicherlich kann eingewandt werden, dass es in kommunaler oder freier Trägerschaft inzwischen einige Beratungs- oder Servicestellen gibt, die pflegenden Angehörigen zur Seite stehen und dass sich ein Projekt zur stundenweisen Unterstützung nur auf sein „Kerngeschäft“, nämlich die Vermittlung von Helferinnen, konzentrieren sollte. Das ist nicht von der Hand zu weisen, zumal eine enge Kooperation mit den auf dem Gebiet der Gerontopsychiatrie Tätigen unbedingt notwendig ist; dennoch gehe ich davon aus, dass die Angehörigen von den Unterstützungsleistungen „aus einer Hand“ profitieren. Genau das ist Gegenstand von Hypothese 3: Pflegende Angehörige geben an, über den konkreten Unterstützungseinsatz hinaus einen Nutzen von ihrer Anbindung an Tandem zu haben. Im folgenden empirischen Teil der Arbeit wird auf das Forschungsdesign eingegangen, in dem das Ziel der Forschung sowie die Rahmenbedingungen 78 der Erhebung erläutert werden. Anschließend werden die Methoden zur Prüfung der Hypothesen dargestellt, bevor die Ergebnisse der Studie vorgestellt und diskutiert werden. 5. Untersuchungsdesign Das Ziel dieser Forschung, eine Auswirkung stundenweiser Unterstützung auf die Lebensqualität pflegender Angehöriger wissenschaftlich zu evaluieren, ergab sich aus dem in der praktischen Arbeit mit Demenzkranken und ihren Familien erfahrenen Bedarf an Entlastung. Von pflegenden Angehörigen wurden all jene Belastungsmomente geschildert, die in den vorangegangenen Kapiteln aufgeführt wurden. Zum Teil waren diese Berichte mit Verzweiflung gepaart, zum Teil mit Resignation. Bei fast allen klang aber auch Hoffnung an, dass es eine Betreuungsmöglichkeit für den Demenzkranken geben könnte, die dieser akzeptiere und bei deren Nutzung sie, die pflegenden Angehörigen, kein schlechtes Gewissen haben. Eine stundenweise Unterstützung wie die hier entwickelte anzubieten, ist ein Versuch, den Bedürfnissen der Pflegenden und der Demenzkranken gerecht zu werden. Das Angebot wird so in die bestehenden Vorschriften des Pflegeversicherungsrechtes eingefügt, dass es für leistungsberechtigte Demenzkranke erstattungsfähig ist. Die Unterstützung anzubieten und gleichzeitig Forschende zu sein, ist mein selbst gewähltes doppeltes Mandat, das zumindest aus zwei Perspektive interessant ist: Stellt sich die Frage, ob es gelingen kann, die Rolle der Forschenden zu erfüllen und das wissenschaftliche Interesse an den Fragestellungen gleichberechtigt neben der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Familien stehen zu lassen. Die Rolle der Forschenden erfordert Distanz und Objektivität – die Rolle der Praktikerin kann nur in einer Mixtur aus reflektierter Anteilnahme an der Lebenssituation und der Pflege- und Betreuungshistorie effektiv erfüllt Überzeugungskraft bei der Suche werden. Kreativität, nach und der Empathie und Implementation von individuellen Lösungen sind Voraussetzung. Einerseits wissenschaftliche Distanz zu wahren, andererseits unmittelbare Ansprechpartnerin für viele 79 Sorgen und Nöte der Angehörigen zu sein, ist sicherlich eine Gradwanderung. Aber eine Gradwanderung, die für professionell in der Sozialen Arbeit Tätige lösbar sein muss. Die Fähigkeit, reflektiert auf Fakten und distanziert auf Emotionen zu blicken ist unbedingte Voraussetzungen für hilfreiche Sozialarbeit und das eigene Bestehen in diesem Feld. Die Doppelrolle bot mir aber auch die Möglichkeit, Daten zu erheben, die Angehörige nur bereit waren preiszugeben, weil sie in mir die Helfende, die Unterstützende sahen, der sie vertrauten. Durch ständige Rückkoppelungen mit den einzelnen Familien sind ehrliche Vertrauensbeziehungen entstanden, in denen Positives und Negatives, bestätigende und widersprechende Aussagen und Ansichten Platz hatten. Da von beiden Seiten Respekt vor der Arbeit des anderen bestand und jeder als Experte auf seinem Gebiet akzeptiert wurde, waren offene Gespräche gang und gäbe. Wiederholt gaben Angehörige mir den Fragebogen zurück und meinten: „da musst` ich Antworten geben, die Sie vielleicht lieber nicht haben wollen, aber ich fühl` mich eben so!“ Als Forschende habe ich mich immer über solche Ehrlichkeit gefreut, zeugt sie doch davon, dass die Angehörigen nicht nur die „erwünschten“ Antworten gaben, sondern ehrliche, die wissenschaftlich aussagekräftig sind. Im Vergleich zu anderen Studien, in denen ich lediglich die Rolle der Interviewerin innehatte, erwies sich diese Datenerhebung als deutlich fruchtbarer, was ich unter anderem auf meine Doppelrolle zurückführe. Die Angehörigen kannten mich, merkten, dass ich bei der Befragung ethische und rechtliche Grundsätze achtete: Physische, psychische und soziale Belastungen sollten ausgeschlossen werden, Gefühle der Angehörigen wurden ernst genommen, sie wurden als Fachkundige im Umgang mit ihrem Demenzkranken angesehen und nicht Datenschutzbestimmungen wurden zum Hilfeempfänger beachtet. Die degradiert, Pflegenden spürten gleichzeitig vom Erstkontakt an mein Verantwortungsbewusstsein, für sie nach Entlastungsmöglichkeiten zu suchen. Das doppelte Mandat erwies sich als reizvolle Rahmenbedingung in einem Forschungsprozess, in dem äußerst sensible Daten erhoben wurden. 80 Durch meine Funktion als Projektkoordinatorin gestaltete sich der Zugang zu den pflegenden Angehörigen recht einfach. Zwar lief die Familienakquirierung in den ersten Monaten schleppend an, was sich darauf zurückführen lässt, dass ein neues Projekt in einer Millionenstadt wie Köln erst nach äußerst zeitaufwendiger Öffentlichkeitsarbeit Beachtung und damit auch Nutzer findet. Das Angebot der stundenweisen häus lichen Unterstützung war etwas ganz Neues in Köln und sollte von Anfang an begleitet und auf seine Wirkung hin eingeschätzt werden. Die Zielgruppe der Evaluation (pflegende Angehörige) und das Evaluationssubjekt (Lebensqualität) legten eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden nahe. Das bloße Errechnen signifikanter Veränderungen im Sinne eines einfachen Vorher-Nachher-Designs kann der Komplexität der sozialen Zusammenhänge des Untersuchungsgegenstandes, für den keine objektiven Effizienzkriterien aufgestellt werden können, nicht gerecht werden. Interventionsprojekte in der Psychologie und den Erziehungswissenschaften lassen sich realitätsnäher evaluieren, indem auch den Regeln der qualitativen Evaluationsforschung gefolgt wird. Zusammenfassend fordern diese, Praxisprozesse offen und subjektorientiert Veränderung zu von beschreiben: Orientierung Bewertungskriterien (so sie am Einzelfall aus dem und die begleiteten Prozessverlauf heraus veränderungswürdig erscheinen) sind ebenso erwünscht wie eine Selbstevaluation der Beteiligten (Mayring; 2002). Darüber hinaus passt meine Doppelrolle ins Design einer qualitativ orientierten Evaluation, denn eine naturalistische, alltagsbezogene Perspektive wird eher durch den direkten Bezug zur Zielgruppe möglich als durch eine distanzierte Bewertung von außen (Mayring; 2002). Mayring (2002) beschreibt ausführlich die Grundlagen qualitativen Denkens, die in dieser Arbeit beachtet, aber nicht in aller Ausführlichkeit, sondern nur kurz und im direkten Bezug zum hier bearbeiteten Thema, wiedergegeben werden. Die Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes und der relevanten Zusammenhänge muss stets, so wie hier in den Kapiteln 3. bis 3.7 („Stand der Forschung, Seite 23-74) aufgezeigt, der Ausgangspunkt sein, um das Vorverständnis zu erläutern. 81 Eine weitere Säule der qualitativen Forschung stellt die Erkenntnis dar, dass der Untersuchungsgegenstand der Humanwissenschaften nie völlig offen liegt, sondern immer auch durch Interpretation erschlossen werden muss (Mayring; 2002; 22). Um nicht nur auf Interpretationen angewiesen zu sein, wurden hier Methodenkombinationen gewählt, die Interpretationen zur Verdeutlichung der Ergebnisse heranziehen, sich aber nicht allein auf Interpretationen zur Erkenntnisgewinnung stützen: Die individuellen Definitionen von Lebensqualität der einzelnen Befragten sind bekannt, so kann die Frage nach dem Veränderungsgrad der Lebensqualität im Sinne des Befragten eingeordnet werden - die Auswertung basiert nur in einem nicht zu umgehenden Maß auf meinem Verständnis von Lebensqualität. Die Gespräche mit den Pflegenden fanden stets bei ihnen zu Hause statt, der Demenzkranke war zumindest eine zeitlang dabei. Möglichst große Alltagsnähe wird in der qualitativen Forschung angestrebt, da die Ergebnisse wiederum auf Alltagssituationen hin verallgemeinert werden sollen. Beide Forschungsrichtungen, die quantitative und die qualitative , haben mit Verzerrungsfaktoren zu tun. Die erste mit der Problematik, dass Menschen im Labor anders reagieren als im Alltag, sie wollen ein ideales oder zumindest erwünschtes Bild abgeben und verhalten sich folglich nicht natürlich. Die qualitative Forschung muss dagegen, wie erwähnt, oft interpretativ tätig werden; das kann ein Verzerrungsfaktor sein. Nun wäre die Behauptung möglich, die Mischung aus quantitativen und qualitativen Methoden sei nur theoretisch ein sinnvoller Ansatz, um Verzerrungsfaktoren vorzubeugen. In diesem speziellen Fall könnten sich nämlich die pflegenden Angehörigen von mir in meiner Tätigkeit der Projektkoordinatorin abhängig fühlen und deshalb mir gegenüber die vermeintlich erwünschten Angaben machen. Dieser Befürchtung können zwei Dinge entgegen gesetzt werden: Erstens fließen auch Daten in Form von Aussagen der Pflegenden ein, die gegenüber den Helferinnen geäußert wurden und zweitens hat sich das Verhältnis zu den Angehörigen als sehr offen erwiesen. Nach der Einleitung „Liebchen, nun hörens mir mal zu“ wurde „op kölsch“ Kritik geübt, wie ich sie in anderen Teilen der Republik noch nicht zu hören bekommen hatte: deutlich, mal mehr, mal weniger konstruk tiv, aber immer offen für gemeinsame Überlegungen oder auch kritische Anmerkungen meinerseits. 82 Ein weiteres Postulat der qualitativen Forschung ist das der Verallgemeinerung der Ergebnisse. Aufgrund der sehr kleinen Fallzahlen ist es schwierig, Kriterien zu isolieren, die ein verkleinertes Abbild der Gesamtgruppe wiedergeben. In der qualitativen Forschung werden keine Naturgesetze gefunden. Um zu erläutern, unter welchen Bedingungen eine Übertragbarkeit der Ergebnisse möglich erscheint und unter welchen nicht, muss die Verallgemeinerung der Forschungsergebnisse Schritt für Schritt begründet werden. Da sich aber die Sozialwissenschaften nur zögerlich qualitativ orientierter Methodik öffnen und die Thematik auch quantitative Methoden zulässt, wird hier, wie bereits erwähnt, eine Kombination beider Forschungsansätze gewählt: so werden neben Methoden der qualitativen Evaluationsforschung auch Methoden der deskriptiven Statistik angewandt sowie statistische Tests herangezogen. Nach dieser Vorstellung des Forschungsdesigns und der Problematisierung meiner Doppelrolle wird nun die Stichprobe beschrieben, bevor die eingesetzten Methoden und der Forschungsablauf dargestellt werden. 5.1 Die Stichprobe Die hier untersuchte Stichprobe von N=20 pflegenden Angehörigen setzt sich aus Frauen und Männern unterschiedlichen Alters zusammen, die einen Verwandten, der an einer Demenz erkrankt ist als Hauptpflegeperson pflegen und betreuen. Gemeinsam ist allen Befragten, dass sie stundenweise durch das Projekt „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ von ihrer Pflege- und Betreuungstätigkeit entbunden werden. Sinn einer zumindest zum Teil quantitativ erfolgten Datenerhebung ist der Rückschluss von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit. Je größer die Stichprobe ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Werte der Stichprobe denen der Grundgesamtheit annähern (Mayer; 2002). Pflegende von Menschen mit Demenz bilden zwar eine große Grundgesamtheit, aber diejenigen, die von der stundenweisen Unterstützung des Projektes Gebrauch machen, eine sehr kleine. In die Auswertung kamen alle pflegenden Angehörigen, die im Zeitraum von Mai 2002 bis September 83 2003 zumindest ein halbes Jahr lang die Unterstützung in Anspruch nahmen und in der Lage waren, an den Befragungen teilzunehmen (Näheres dazu im Kapitel 6 „Untersuchungsverlauf“, ab Seite 104). 5.2 Demographische und pflegerelevante Kennzeichen der Stichprobe N=20 davon 16 weibliche und 4 männliche Hauptpflegepersonen Verwandtschaftsverhältnisse: 8 pflegende Töchter 8 pflegende Ehefrauen 4 pflegende Ehemänner Durchschnittsalter der Pflegenden: 66 Jahre und ein Monat zu Beginn der stundenweisen Unterstützung Altersstreuung: 39 bis 85 Jahre 14 Angehörige waren über 60 Jahre alt davon 8 Angehörige über 70 Jahre alt davon 4 Angehörige 80 Jahre oder älter 84 Alter der Pflegenden älter als 80 Jahre: 3 Pflegende jünger als 60 Jahre: 6 Pflegende 71-80 Jahre: 5 Pflegende 61-70 Jahre: 6 Pflegende Abb. 2 Altersverteilung der pflegenden Angehörigen Ausbildungsgrad: Keine Schule besucht 1 Pflegende Volksschule 2 Pflegende Volksschule + Ausbildung 3 Pflegende Mittlere Reife 1 Pflegende Mittlere Reife + Ausbildung 8 Pflegende Abitur 2 Pflegende Abitur + Studium 3 Pflegende Ausbildungsgrad Abitur+Studium /Ausbildung: 3 keine Schule: 1 Volksschule: 2 Volksschule + Ausbildung: 3 Abitur: 2 Mittlere Reife: 1 Mittlere Reife + Ausbildung: 8 Abb. 3 Ausbildungsgrad der pflegenden Angehörigen 85 Einschränkung bzw. Aufgabe der Berufstätigkeit aufgrund der Pflegeübernahme: 6 Pflegende Berufstätigkeit eingeschränkt: 4 Pflegende (zwei Töchter, eine Ehefrau, ein Ehemann) Berufstätigkeit aufgegeben: 2 Töchter Mittlere Dauer seit der Pflegeüberna hme: 4 Jahre Davon pflegen 15 Hauptpflegepersonen seit: 5 Jahren oder weniger Streuung: 0 bis 11 Jahre Dauer der Pflege länger als 5 Jahre: 5 höchstens 5 Jahre: 15 Abb. 4 Dauer der bisherigen Pflegetätigkeit Mittlere Dauer seit zusätzlich zur Pflege Betreuung/Beaufsichtigung notwendig ist: 3 Jahre und vier Monate Dabei benötigen 18 Demenzerkrankte seit: 5 Jahren oder weniger Betreuung/Beaufsichtigung Streuung: 6 Monate bis 8 ½ Jahre 86 Betreuungsintensität: ? 11 Demenzkranke brauchen rund um die Uhr Beaufsichtigung bzw. eine Person die in „Rufnähe“ ist und jederzeit Hilfestellungen bieten kann. ? Demenzkranke können bis zu einer Stunde allein gelassen werden. ? 3 Demenzkranke können bis zu zwei Stunden allein gelassen werden. ? 2 Demenzkranke schlafen nachts durch und können immer dann allein gelassen werden, wenn sie schlafen. Betreuungsintensität - Möglichkeit, den Kranken allein zu lassen nachts allein : 2 Demenzkranke bis zu zwei Stunden allein: 3 Dememzkranke rund um die Uhr zu betreuen: 11 Demenzkranke bis zu einer Stunde allein: 4 Demenzkranke Abb. 5 Betreuungsintensität 87 Belastungen der pflegenden Angehörigen: Auf die Frage nach den pflegebedingten Belastungen antworteten sechzehn der zwanzig Befragten. Die Möglichkeit, verschiedene Belastungen zu nennen war gegeben. ke Zu in ku Ge nft sp sa räc ng h st sp fam a Kr rtn iliä an er re kh m Pr eh e ob its r lem be wä ed ltig urc un hP ga fle lg ge . üb ern ah m e 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 ze itl. Ei ns ch rä nk un g ge ist ige rA bb kö au rp er l. S ym Ve pto rh alt m en e sa uff äl igk eit en Anzahl der Nennungen Belastungen der Hauptpflegepersonen Belastungsart Abb. 6 Belastungen der Pflegenden . 88 Größte Belastung der pflegenden Angehörigen: Als größte Belastung im Pflegealltag (hier war nur eine Angabe möglich) nannten sieben der sechzehn Pflegenden, die sich zur Belastungssituation äußerten, die zeitliche Einschränkung. Insgesamt fünfzehn Nennungen betrafen unmittelbar die Krankheitssymptome physischer und psychischer Art und die auftretenden Verhaltensauffälligkeiten. Größte Belastung der Hauptpflegepersonen 8 Anzahl der Nennungen 7 6 5 4 3 2 1 Kr an kh eit sb ew ält igu ng alg . Zu ku nft sa ng st Ve rha lte ns au ffä lig ke ite n kö rpe rl. S ym pto m e Ab ba u ge isti ge r ze itl. Ein sc hrä nk un g 0 Belastungsart Abb. 7 Hauptbelastungen der Pflegenden Unterstützung erhalten die Hauptpflegepersonen außer von Tandem durch: Pflegedienst: 14 Pflegende Intensität: 1x wöchentlich (4 Pflegende) bis 2-3x täglich (3 Pflegende) Tagespflege: 6 Pflegende Intensität: 1x wöchentlich (eine 89 Pflegende) 2x wöchentlich (4 Pflegende) 5x wöchentlich (eine Pflegende) Familie: 14 Pflegende Streuung: 1x monatlich bis täglich Intensität: 1x täglich (eine Pflegende) Maximal 1x wöchentlich (5 Pflegende) Freunde: 2 Pflegende Intensität: 1x täglich bzw. 1x wöchentlich Nachbarn: 5 Pflegende Intensität: alle 5 weniger als 1x wöchentlich In einer Kurzzeitpflegeeinrichtung waren bislang: 8 Demenzkranke (3 bereits mehrfach) Erholen konnten sich während des Aufenthalts der Erkrankten: 6 Pflegende 90 Unterstützung außer TANDEm Anzahl der Nennungen 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Pflegedienst Tagespflege Familie Nachbarn Freunde Wer unterstützt? Abb. 8 Unterstützung außer Tandem Nach dieser Charakterisierung der Stichprobe folgt im nächsten Kapitel die Vorstellung der angewandten Methoden sowie ein Überblick über das Untersuchungskonzept. 5.3 Methoden In dieser Arbeit werden systematisch soziale Daten erhoben, die nachvollziehbar einzelne Aspekte der spezifische n Wirklichkeit pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz abbilden sollen. Da angenommen wird, dass die soziale Realität der Zielgruppe nie vollständig erfassbar ist und selbst objektiv Feststellbares nicht die Wirklichkeit des Einzelnen widerspiegeln muss (Atteslander; 2000) drängt sich ein multimethodales Vorgehen auf, um so die Wirklichkeit der Zielgruppe wenigstens facettenreich beleuchten zu können. Dabei sollte unbedingt bedacht werden, dass es Bereiche menschlichen Lebens gibt, quantitativen. die Dazu qualitativen gehört Methoden die besser Erfassung zugänglich von sind, als Lebensqualität im Zusammenhang mit außergewöhnlichen, individuellen Belastungen. Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die qualitative 91 Datensammlung dabei nicht der Vorbereitung von quantitativ einzusetzenden Methoden dient, sondern der eigenen Erkenntnisgewinnung, die aber quantitative Ergebnisse ergänzen sowie vertiefen kann – und umgekehrt. Mayer stellt den Unterschied zwischen qualitativer und quantitativer Forschung folgendermaßen vereinfacht dar: „Qualitative Sozialforschung [...] nutzt nichtstandardisierte Methoden der Datenerhebung sowie interpretative (nichtstatistische) Methoden der Datenauswertung, wobei sich die Interpretation nicht nur wie (meist) bei den quantitativen Methoden auf Generalisierungen, sondern auch auf Einzelfälle bezieht. Weiter werden in der qualitativen Forschung Theorien induktiv mittels Verifikation aus Beobachtungen gebildet, während der quantitativen Forschung [...] deduktives Vorgehen [...] zugrunde liegt“ (Mayer; 2002; 25). Die Möglichkeit, durch die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden ein vertieftes Bild der Auswirkungen einer stundenweisen Unterstützung auf die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen zu bekommen, wird Erhebungsschritte in dieser beide Arbeit Elemente genutzt. eingesetzt Da innerhalb werden, wird einzelner in der Methodenvorstellung auf die Trennung nach qualitativen und quantitativen Methoden verzichtet. Stattdessen werden die einzelnen Erhebungsinstrumente vorgestellt. Im Folgenden zunächst die Instrumente, mit denen von den Angehörigen Daten zur Entwicklung ihrer Lebensqualität gewonnen wurden. Anschließend werden die Mittel dargestellt, die zur Erhebung der Fremdperspektive dienten. 5.3.1 Erhebungsinstrumente Narratives Interview Das Erstgespräch diente dazu, die pflegende Angehörige und den demenziell Erkrankten kennen zu lernen sowie die Pflegesituation und den Belastungsgrad zu erfassen. Es fand in Form eines narrativen Interviews statt, das in ein Leitfadeninterview zur Lebensqualitä t mündete. Am Ende des Hausbesuchs 92 (die Erstgespräche fanden bei der Familie zu Hause statt) kam ein standardisierter Fragebogen zum Einsatz. Der wenig strukturierte, narrative Teil nahm in der Regel eineinhalb bis zwei Stunden in Anspruch. In dieser Zeit entstand Vertrauen. Mein berufliches und wissenschaftliches Interesse erlaubten mir im Gespräch mit der Familie bzw. der pflegenden Angehörigen nur Zusammenfassungen des Gesagten oder Fragen, die sich unmittelbar ergaben. Dadurch schienen die Angehörigen sich veranlasst zu fühlen, mir immer tiefere Einblicke in die Pflegekonstellation zu gewähren (Atteslander, 2002; Mayer, 2000). Das narrative Interview wurde in seinen Kernaussagen protokolliert. Diese ergaben sich aus dem wissenschaftlichen Interesse und dem Auftrag eine stundenweise Unterstützung einzurichten. Es folgte eine Überleitung zum leitfadengestützten Interview, das mit einer „Wunschreise“ eingeleitet wurde, in der Angehörige sich auf sich und ihre Bedürfnisse konzentrieren sollten, um Abstand von der eben geschilderten Pflegesituation zu bekommen. Leitfadengestütztes Interview In diesem Teil des Gesprächs wurde die Angehörige gebeten, ihre Bedeutung von Lebensqualität zu nennen. Ziel war es, individuelle Definitionen von Lebensqualität zu erhalten, die dennoch vergleichbar sein sollten. Durch den konsequenten Einsatz von Leitfadeninterviews nach Mayer (2002) wurden vergleichbare Daten Leitfadeninterviews gewonnen. wurden Die Antworten protokolliert und auf zum die Fragen Abschluss des dieses Gesprächsteils noch einmal vorgelegt – und ggf. von den Angehörigen ergänzt. Dieses Vorgehen erschien sinnvoll, da in vielen Fällen erst die Frage zu Überlegungen veranlasst hatte (Atteslander; 2000) und die Angehörigen etwas Zeit brauchten, sich Gedanken zu ihrer Definition von Lebensqualität zu machen. Als letzte Methode im Erstgespräch wurde die Kurzversion von Aaron Antonovskys Fragebogen zur Lebensorientierung (sense of coherence) eingesetzt. 93 Standardisierter Fragebogen In diesen Gesprächen wird in Anlehnung an das Systemmodell auch die Bedeutsamkeit Pflege und Betreuung des Demenzkranken für das Leben der Angehörigen erfasst. Dadurch ergibt sich eine weitere Sichtweise auf die Nutzung vorhandener Energie im Betreuungsprozess – das kann eine Vermutung über den Stabilitätsgrad der Angehörigen zulassen. Als standardisiertes Instrument wird der Kurzfragebogen zur Lebensorientierung (SOC-Skala) nach Aaron Antonovsky verwendet. Die dreizehn Fragen beziehen sich auf verschiedene Aspekte des Lebens, wobei sie das sog. Kohärenzgefühl (engl. sense of coherence (SOC)) des Befragten ermitteln. Unter dem Kohärenzgefühl versteht Antonovsky eine geistig-seelische Globalorientierung – „Menschen mit viel Kohärenzgefühl kommen – grob gesprochen – im Leben gut zurecht“ (Bengel zitiert in BzgA; 2001; 142). Das Kohärenzgefühl stellt eine Art kognitives Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster dar, das allerdings nicht als Typologisierung von Menschen missverstanden werden darf. Viel eher will Antonovsky das Kohärenzgefühl als beständiges Muster der Wahrnehmung und als überdauernde Orientierung verstanden wissen. “Menschen mit viel Kohärenzgefühl werten ihr Leben als interessant, lebenswert und schön” (Bengel zitiert in BzgA; 2001; 143). Der Fragebogen zum sense of coherence erfasst drei Komponenten: ? “Verstehbarkeit” kennzeichnet die kognitive Seite des Erlebens. “Menschen mit hohem Kohärenzgefühl erleben die Welt als strukturiert, vorhersehbar und erklärbar” (Bengel in BzgA; 2001; 143). Gleichzeitig haben diese Menschen das Gefühl, von anderen Menschen verstanden zu werden. ? “Handhabbarkeit” wird auch der kognitiven Seite des Erlebens zugeordnet. Menschen mit hohen Werten in der Kategorie “Handhabbarkeit” sind überzeugt, dass Probleme und Schwierigkeiten zu meistern sind, egal, ob durch eigene Fähigkeiten oder indem sie auf andere Menschen oder eine höhere Macht vertrauen. ? “Bedeutsamkeit” und “Sinnhaftigkeit” bezeichnet Antonovsky als affektivmotivationale Komponenten des Kohärenzgefühls. Hohe Werte erzielen hier Menschen, die ihr Handeln als sinnvoll ansehen und es als 94 lohnenswert empfinden, Energien in die Lösung von Schwierigkeiten aufzuwenden. Eingesetzt wurde der Kurzfragebogen zur Lebensorientierung, da er ein beständiges Wahrnehmungsmuster, das bis etwas zum dreißigsten Lebensjahr entwickelt wird, widerspiegeln soll (Bengel in BzgA; 2001). Diese in erster Linie kognitiv gesteuerte Lebenswahrnehmung weist in gewisser Weise auf den theoretischen Ansatz hin, dass Lebensqualität “im Kopf” (“top-down-Ansatz”) entsteht. Die Ausprägung des Kohärenzgefühls der pflegenden Angehörigen soll daher im Zusammenhang mit der Steigerung der Lebensqualität im Zuge einer stundenweisen Entlastung gesehen werden. Teilstandardisierte Fragebögen Aus den individuellen Definitionen von Lebensqualität wurden individuelle, teilstandardisierte Fragebögen erstellt (Beispielfragebogen in Kapitel 10.1 „Fragebogen 1“, ab Seite 172). Dies erschien angebracht, da Menschen in ihrem Streben nach Wohlbefinden ihre eigenen Lebensziele setzen. Bei der Beurteilung von Lebensqualität verwenden sie persönliche Maßstäbe, um den Fortschritt beim Erreichen dieser Ziele zu beurteilen (Smith et al. in Mayer&Baltes; 1996; Filipp&Mayer in DZA; 2002). Der Fragebogen wurde beim zweiten Hausbesuch (Befragungszeitpunkt LQ 1) mit der Angehörigen gemeinsam durchgegangen, um Missverständnissen in der Frageformulierung und beim Gebrauch einzelner Ausdrücke vorzubeugen. Die zukünftige Helferin wurde bei diesem Besuch der Familie vorgestellt und nahm am Gespräch teil. Ausgefüllt wurden die Fragebögen von den Angehörigen alleine. So wurde einer Datenverzerrung entgegengewirkt: Meine Anwesenheit oder die Gegenwart des Demenzkranken, der beim gemeinsamen Besprechen der Fragebögen anwesend war und zum Teil mit besorgtem Gesicht oder Tränen in den Augen auf die Fragen reagierte, hätten die Antworten verfälschen können. Dieses Verfahren war nicht nur eine Vorsichtsmaßnahme: Es konnte nämlich „nachgewiesen werden, dass Bewertungen des eigenen Lebens systematisch höher ausfallen, wenn sie interaktiv, d.h. im Rahmen persönlicher Befragung 95 vorgenommen werden“, als wenn Personen solche Urteile schriftlich und allein für sich abgeben (Schwarz&Starck 1991, zitiert in DZA; 2002; 329). Die geschlossenen Fragen (Bsp.: „Wie schätzen Sie Ihre Lebensqualität spontan ein?“) wurden mittels geschlossener Antwortkategorien auf einer Ratingskala erfasst. Näheres zu den Skalen im Abschnitt „Ratingskalen“. Offene Fragen wurden erst gegen Ende des Fragebogens gestellt, um die Befragten nicht zu überfordern und um wenigstens Antworten auf die standardisierten Fragen zu bekommen, falls die Pflegenden den vollständigen Fragebogen nicht ausfüllen wollten oder nicht dazu in der Lage waren (Zeitmangel, der demenziell Erkrankte fordert ihre Aufmerksamkeit o.ä .). Der Fragebogen war so ausgelegt, dass die Angehörige keinesfalls länger als zehn Minuten zur Beantwortung der Fragen benötigte. Der beschriebene teilstandardisierte Fragebogen wurde den Angehörigen insgesamt zu drei verschiedenen Erhebungszeitpunkten vorgelegt, bzw. per Post zugesandt: vor dem ersten Entlastungsbesuch (LQ 1), nach vier Entlastungsbesuchen (LQ 2) und nach 12 Entlastungsbesuchen (LQ 3). Die Erhebungsvariablen und die Erhebungspopulation wurden stabil gehalten, was als einzig sinnvolle Maßnahme erachtet wurde, um Veränderungen feststellen zu können. Diese Form der Befragung wird Panel-Befragung genannt (Atteslander; 2000). Relevant für die Beantwortung der Fragen war immer die Zeitspanne seit der letzten Befragung. Beim zweiten und dritten Erhebungszeitpunkt waren dem Fragebogen eine einseitige Ergänzung (siehe Kapitel 10.2 „Fragebogen 2“, Seite 174) sowie ein auszufüllendes Schaubild beigefügt. Näheres dazu im Abschnitt „Lebenslinientechnik“ in diesem Kapitel. Im Ergänzungsfragebogen wurden mittels der den Angehörigen bekannten Ratingskalen und ergänzenden offenen Fragen Gefühle und Gedanken in konkreten Situationen erfasst. Die letzte Frage des Ergänzungsbogens war eine geschlossene in Form einer Ja-Nein-Dichotomie. Das erschien angemessen, da nicht ein Spektrum von Ausprägungen erhoben werden sollte, sondern lediglich, ob beim Erkrankten 96 nach den Unterstützungsbesuchen vermehrt bestimmte Verhaltensauffälligkeiten auftraten oder nicht. Zu einem vierten Erhebungszeitpunkt (sechs Monate nach dem ersten) wurde den Angehörigen ein „Abschlussfragebogen“ zugesandt, in dem sie retrospektiv Angaben zum vergangenen halben Jahr machen sollten. Mit diesem Fragebogen war ein kleiner Pre-Test bei sechs Pflegenden durchgeführt worden, da die Fragen nicht persönlich mit den einzelnen Angehörigen auf Verständlichkeit geprüft werden konnten. Ein nochmaliger Hausbesuch, eben um die Abschlussbefragung gemeinsam durchzusprechen, erschien den Angehörigen nicht notwendig. Das wurde respektiert, weil ein Besuch und damit die Unterbrechung des Tagesrhythmus in einigen Pflegebeziehungen Unruhe bringt, die – wenn möglich – vermieden werden soll. Dieser Fragebogen war ebenso wie die vorangegangenen multimethodal aufgebaut (Kapitel 10.3 „Fragebogen der Abschlussbefragung “, ab Seite175) Da die Befragten bereits seit einem halben Jahr regelmäßig befragt wurden und sie wussten, dass die Abschlussbefragung eine Art Zusammenfassung der vergangenen Monate war, konnte mit demographischen Fragen begonnen werden. Eine solcher Beginn hatte sich auch im Pre-Test als sinnvoll herausgestellt, damit den Angehörigen noch einmal bewusst wurde, dass die Fragen aus ihrer, der Angehörigensicht, beantwortet werden sollten und nicht aus Sicht des Demenzkranken. Es folgten geschlossene Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien, halboffene Fragen und offene Fragen. Der Fragebogen wirkte mit 5 Seiten auf den ersten Blick sehr umfangreich. Aber die bewusst gewählte große Schrift war geeignet, da fast alle Befragten ältere Menschen waren. Lebenslinientechnik Als Methode, die Entwicklung der Lebensqualität graphisch darzustellen zu lassen, wurde die Lebenslinientechnik von Mayring (2002) gewählt. Anhand der erhobenen Daten aus dem Erstgespräch wurde für die Angehörigen jeweils eine individuelle Zeitachse entwickelt, auf der sie ihre 97 Lebensqualität zu den bestimmten Zeitpunkten ankreuzen sollten. Wichtige Ergänzungen konnten von ihnen hinzugefügt werden. Die erste „Kurve der Lebensqualität“ wurde zum Erhebungszeitpunkt LQ1 gefertigt. Die Zeitachse Krankheitsanzeichen“, enthielt „Diagnose“ folgende und „Beginn Zeitpunkte: der „erste stundenweisen Unterstützung“, also den Zeitpunkt, zu dem die Daten erhoben wurden. Eine „zweite Kurve der Lebensqualität“ sollten die Angehörigen zusammen mit dem Abschlussfragebogen ausfüllen. Das zweite Schaubild enthielt als einzigen Zeitpunkt den „Beginn der stundenweisen Unterstützung“, in das der von der Angehörigen in der letzten Kurve angegebene Wert eingezeichnet war. Ratingskalen Die in mehreren Fragebögen verwendeten Skalen waren stets gleich gewichtet, wobei die neutrale Antwortkategorie „0“ fehlte. Auf die „0“ war bewusst verzichtet worden, um die Befragten zu einer Stellungnahme zu zwingen (Atteslander; 2002). Die verbale n Bedeutungen der einzelnen Werte waren angegeben. Skalierung: -3 -2 -1 1 2 3 Definition: -3 sehr niedrige Lebensqualität -2 niedrige Lebensqualität -1 tendenziell eher niedrige Lebensqualität 1 tendenziell eher hohe Lebensqualität 2 hohe Lebensqualität 3 sehr hohe Lebensqualität Entsprechend der zu erhebenden Merkmale (z.B. individuelle Lebensqualität) kam eine Ordinalskala zum Einsatz. Die Ausprägung des erhobenen qualitativen Merkmals lässt sich an der Rangfolge der Kategorien ablesen. Relationen zwischen den zu verschiedenen Zeitpunkten angegebenen Werten lassen sich aufzeigen. Der Abstand zwischen den einzelnen Ausprägungen ist dagegen ebenso wenig definiert und definierbar, wie das Verhältnis der 98 Ausprägungen zueinander. Das wiederum zieht nach sich, dass eine Skalentransformation in ein höheres Niveau nicht zu vertreten ist. Daher macht die Anwendung statistischer Tests, denen die Berechnung von Mittelwerten, Varianzen und Standardabweichungen zu Grunde liegen, keinen Sinn (Weiß; 1999; Sachs; 2002). Anwendung fand der Wilcoxon-Test für zwei verbundene Stichproben, bei dem die Mediane der beiden Stichproben verglichen werden. Instrumente zur Erhebung der Fremdperspektive Ergänzend zu den Aussagen der pflegenden Angehörigen wurden von den Helferinnen Daten bezüglich ihrer Einschätzung der Lebensqualität der Pflegenden erhoben. Mit den Helferinnen bestand ein ständiger Austausch, dem unterschiedliche Untersuchungsmethoden zu Grunde lagen. Da die Methoden oben bereits erläutert wurden, sind hier nur die Zusammenhänge aufgeführt, in denen sie in der Helferinnenbefragung eingesetzt wurden. Leitfaden-Interview In erster Linie dienten die monatlich stattfindenden Reflexionssitzungen der Erkenntnisgewinnung. Die beschränkte Zeit, die für eine Sitzung angesetzt war (zwei Stunden bei ca. zehn Teilnehmerinnen), und der Bedarf jeder Einzelnen, von ihrer Tätigkeit mit dem Demenzkranken zu berichten, strukturierten die Sitzung nach einiger Zeit fast von selbst. Jeder Helferin wurden stets die gleichen offenen Fragen zur eigenen Befindlichkeit und dem Verhalten des Demenzkranken während der Unterstützungsbesuche sowie offene Fragen zum Eindruck von der pflegenden Angehörigen gestellt. Wie im Leitfaden-Interview üblich, wurde situativ entschieden, an welc hen Punkten nachgefragt bzw. Abschweifungen eingeschränkt wurden (Mayer; 2000). 99 Teil-standardisierte Fragebögen Nach jedem Unterstützungsbesuch sollten die Helferinnen kurz ihre Eindrücke von dem Besuch schriftlich wiedergeben. Nach sechs Monaten wurde jeder Helferin, ähnlich wie den Pflegenden, ein Fragebogen mit offenen und geschlossenen Fragen vorgelegt, die retrospektiv die Entwicklung in den Familien der Demenzkranken bezogen auf die stundenweise Unterstützung abbilden sollten. Sie hatten den Auftrag, aus ihrer Sicht ihre subjektiven Eindrücke und Interpretationen des Erlebten und Beobachteten zu nennen. Überblick über den Ablauf der Angehörigenbefragung: Erstgespräch: - Ziel: Erfassung der Pflegesituation ? Erhebungsinstrument: narratives, wenig strukturiertes Interview ? Auswertungsmethode: inhaltsanalytische Zusammenfassung - Definition individueller LQ ? wenig strukturiertes Leitfadeninterview ? inhaltsanalytische Zusammenfassung - Erhebung sense of coherence (SOC) ? standardisierter Kurzfragebogen; Beantwortung mündlich mit schriftlicher Vorlage ? Häufigkeitsauszählungen; in Anlehnung an Vergleichsstudie statistische Tests Vermittlungsbesuch: - Erhebung der Lebensqualität vor dem ersten Entlastungsbesuch ? Teilstandardisierter Fragebogen (LQ1) mit offenen Fragen, RatingSkalen; ? Gemeinsames Durchgehen der Fragen, um Verständnisprobleme ausräumen zu können 100 ? inhaltsanalytische Zusammenfassung der Antworten auf offene Fragen; statistischer Test Nach vier Entlastungsbesuchen: - Erhebung der Lebensqualität nach 4 Entlastungsbesuchen ? Teilstandardisierter Fragebogen (LQ2) ist derselbe wie LQ1, ergänzt durch zusätzliche offene Fragen, Rating-Skalen, eine geschlossene Frage (Ja-Nein-Dichotomie) ? inhaltsanalytische Zusammenfassung der Antworten auf offene Fragen; statistischer Test - Visualisierung der Lebensqualität seit dem Auftreten erster Demenzsymptome beim Pflegebedürftigen ? Kurve der LQ1 (Lebenslinientechnik) ? Graphische Darstellung ? Fragebogen und Kurve werden zusammen mit einem adressierten und frankierten Rückumschlag per Post zugestellt und von der pflegenden Angehörigen selbständig ausgefüllt; Rückfragen jederzeit telefonisch möglich Nach zwölf Entlastungsbesuchen: - Erhebung der Lebensqualität nach 12 Entlastungsbesuchen ? Teilstandardisierter Fragebogen (derselbe wie LQ 2) ? inhaltsanalytische Zusammenfassung; statistischer Test ? Fragebogen und Kurve werden zusammen mit einem adressierten und frankierten Rückumschlag per Post zugestellt und von der pflegenden Angehörigen selbständig ausgefüllt; Rückfragen jederzeit telefonisch möglich Nach sechs Monaten, unabhängig von der Zahl der stattgefundenen Entlastungsbesuche - Zusammenfassende Abschlussbefragung 101 ? Teilstandardisierter Fragebogen mit geschlossenen, halboffenen und offenen Fragen ? inhaltsanalytische Auswertung - Graphische Darstellung der Lebensqualität seit dem ersten Entlastungsbesuch ? Kurve der LQ2 (Lebenslinientechnik) ? Graphische Darstellung ? Fragebogen und Kurve werden zusammen mit einem adressierten und frankierten Rückumschlag per Post zugestellt und von der pflegenden Angehörigen selbständig ausgefüllt; Rückfragen jederzeit telefonisch möglich Überblick über Ablauf der Helferinnenbefragung: Nach jedem Entlastungsbesuch: - Erhebung der Fremdperspektive ? Schriftliche Fixierung der Eindrücke durch Beantwortung eines standardisierten Kurz-Fragebogens; Rating-Skala ? inhaltsanalytische Zusammenfassung; Bildung von Häufigkeiten Monatlich: - monatlich stattfindende Reflexionen zur Erhebung des Ablaufs der Entlastungseinsätze ? Leitfadeninterview ? inhaltsanalytische Zusammenfassung Zusätzlich fanden aus sehr unterschiedlichen Anlässen Telefongespräche statt: Von Seiten der Projektkoordination beispielsweise, wenn die Pflegeversicherungsleistung genehmigt wurde, von Seiten der Angehörigen, wenn Beratungsbedarf bestand oder eine spontane Rückmeldung zum Verlauf 102 der Entlastungsbesuche gegeben werden sollte . Auch die Helferinnen meldeten sich zwischen den Reflexionen, um Erlebnisse in der Familie zu berichten und ggf. Tipps für die weitere Betreuung zu bekommen. Die Aussagen wurden protokolliert und fließen in die qualitativen Inhaltsanalysen zur Auswertung der Entwicklung der Lebensqualität der Hauptpflegepersonen ein. Operationalisierung der Hypothesen „In der Auswertung von ordinalskalierten Daten machen die Angaben absoluter Häufigkeiten Sinn, mathematische Operationen, wie die Bildung einer Differenz oder eines Quotienten, dagegen nicht“ (Weiß; 1999; 21). Aufgrund des Skalenniveaus und der relativ kleinen verbundenen Stichprobe kommen nur sehr wenige statistische Tests in Frage, der Wilcoxon-Test für zwei verbundene Stichproben ist aber praktikabel. Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgt in Anlehnung an Atteslanders Ausführung zur Darstellung sozialer Daten in verbaler Form und in Messzahlen (Atteslander; 2000). 5.3.2 Begründung der Methodenwahl Einzelne Hypothesen mit unterschiedlichen Methoden zu prüfen, ist ein vages Vorhaben, da jede einzelne Methodenanwendung zu einem eigenen Ergebnis führen kann. Die sich aus der Methodenvielfalt eventuell ergebende Ergebnispalette erschwert die eindeutige Prüfung der Hypothese. Dennoch werden in der vorliegenden Arbeit bewusst unterschiedliche Methoden zur Prüfung der Ergebnisverzerrung Hypothesen durch meine eingesetzt, um Doppelrolle das zu Risiko minimieren: einer Als Projektkoordinatorin bin ich verantwortlich für die praktische Umsetzung der Idee, Angehörige durch den Einsatz geschulter Freiwilliger stundenweise zu entlasten. Nach einem ersten Hausbesuch wählte ich eine geeignete Tandem – Partnerin aus, vermittelte sie an die Familie, vereinbarte die Kostenübernahme mit der Pflegekasse und blieb ständige Ansprechpartnerin für alle Beteiligten. Die entlasteten Angehörigen waren für die Hilfe oft sehr dankbar – was dazu führen könnte, dass sie mir einen Gefallen tun bzw. ihren Teil dazu beitragen 103 wollten, dass Tandem die von Land und Träger eingesetzten Projektmittel rechtfertigen kann und daher die Entwicklung ihrer Lebensqualität beschönigten. In der Literatur wird zwar erwähnt, dass es für die Gewinnung valider Daten förderlich ist, wenn die Befragte ein eigenes Interesse am Gespräch hat und entsprechend motiviert ist, gültige Antworten zu geben (Atteslander 2000; 136), dagegen erscheint mir Dankbarkeit der fragenden Person gegenüber nicht geeignet, um eine ausgewogene Kommunikation zu erreichen. Das gemeinsame und dennoch ungleichgewichtige Interesse am Projekt und meine Doppelrolle sehe ich als Einschränkung des Reaktionsspielraums der befragten Angehörigen. Als möglicherweise Dienstleistungsnehmerin in einem sieht sich Abhängigkeitsverhältnis die Angehörige zu mir, der Dienstleistungsgeberin, das sie nicht (durch ehrliche Antworten) belasten möchte. Um den Einfluss meiner Rolle und meiner Person auf die Datenerhebung gering zu halten, und weil es mir der Situation angemessen erschien, wählte ich bei den mündlichen Interviewerverhalten, Befragungen ein entsprechend zurückhaltendes, der sog. weiches non-direktiven Gesprächsführungsmethode von Carl Rogers. Mein Ziel war es, den Angehörigen das Gefühl zu geben, dass sich jemand für sie und ihre Situation interessiert. Bereits die Erklärung des Projektkonzeptes als Gesprächseinstieg legte den Fokus auf das Interesse an der Angehörigen und nicht auf den Erkrankten. Vertrauen und eine offene Gesprächsatmosphäre erschienen mir als notwendige Grundlagen für die Interviews, in denen die Angehörigen ehrliche Ausführungen zu ihrer oftmals als schmerzlich und belastend empfundenen Situation machen sollten. Regelmäßiges Zusammenfassen und spiegeln des Gesagten hielten das Gespräch in Gang, signalisierten den Befragten fortwährend Interesse, lenkten das Gespräch aber kaum. Die Gesprächsinhalte definierte der Befragte. Dagegen wurde in den schriftlichen bzw. auch den mündlichen Befragungen mit schriftlicher Vorlage eine starke Struktur vorgegeben, um einen Vergleich der Daten zu ermöglichen. Die Fragebögen hatten bei allen Angehörigen die gleiche Form, unterschieden sich jedoch inhaltlich, da die Entwicklung der 104 individuellen Definition von subjektiv empfundener Lebensqualität erhoben wurde. Durch weiches Interviewerverhalten, mit Hilfe von Fragebögen, die ohne mein Beisein ausgefüllt methodischen wurden und durch die im Folgenden aufgezeigten Elemente wollte ich meinen Einfluss auf die Befragungsergebnisse auf ein Minimum beschränken: Zu drei unterschiedlichen Befragungszeitpunkten war die Lebensqualität auf einer Rating-Skala zu markieren (ohne dass den Angehörigen der bei der vorangegangenen Befragung angegebene Wert noch einmal mitgeteilt wurde). Außerdem rundeten die vorgelegten Raster den Methodenkomplex ab: Zu unterschiedlichen Zeitpunkten sollte die Entwicklung der Lebensqualität eingezeichnet werde. Die Angehörigen drückten so noch einmal ihre Selbstwahrnemung aus. Daneben steht die Einschätzung der Tandem – Partnerinnen, die die pflegenden Angehörigen bei jedem Besuch zumindest kurz sahen und sich mit ihnen austauschten. Sie erlebten die Entwicklung der pflegenden Angehörigen „hautnah“ mit, reflektierten und protokollierten diese Eindrücke und trugen somit im Laufe der Zeit qualitativ auswertbare Daten der Außenwahrnehmung zusammen. Selbst auf die Gefahr hin, dass die Steigerung der subjektiv empfundenen Lebensqualität durch die kumulierten Ergebnisse unterschiedlicher Methoden und unterschiedlicher Sichtweisen weniger bezeichnend ist, als sie es bei einer reinen Angehörigenbefragung gewesen wäre, wählte ich diesen Zugang, um valide Daten zu erhalten. 105 6. Untersuchungsverlauf Im Projekt Tandem wurden seit Beginn der stundenweisen Unterstützungseinsätze im Juli 2002 deutlich mehr Familien unterstützt, als die Stichprobe von n=20 vermuten lässt. Allerdings gestaltete sich die Suche nach Familien, die eine stundenweise Unterstützung durch geschulte Helferinnen annehmen wollten bzw. konnten als schwierig: Trotz intensiver Öffentlichkeitsarbeit meldeten sich zunächst nur sehr wenige Familien, was unterschiedliche Gründe gehabt haben könnte: Zum einen zeigte sich im Laufe einiger Angehörigengespräche, dass viele pflegende Angehörige keine Zeit bzw. keine Muße hatten, Zeitung zu lesen, aufmerksam Radio zu hören oder bei Apotheken, Ärzten oder Beratungsstellen ausliegende Flyer durchzusehen. Und selbst wenn die Information zu Kenntnis genommen worden war, war es ein großer Schritt, um Hilfe zu bitten. Zum anderen gab es Schwierigkeiten und es gelang erst mit Verzögerung, eine Reportage über das Projekt in der meistgelesenen Tageszeitung der Stadt zu platzieren. So erfuhr eine breite Öffentlichkeit von dem Angebot einer stundenweisen häuslichen Unterstützung erst recht spät. Ein dritter Grund war sicherlich die durch das Konzept eng gefasste Zielgruppe, nämlich pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz, die mit dem Erkrankten in einem Haushalt leben, bzw. ständige Hauptpflegeperson des Erkrankten sind. Angehörige, die „nur“ einmal täglich im Haushalt des Erkrankten nach dem Rechten sehen aber sonst die Pflege an professionelle Dienste o.Ä. delegiert hatten, konnten keine stundenweise Unterstützung für sich in Anspruch nehmen. Stellte sich bei einer ersten, in der Regel telefonischen, Kontaktaufnahme eine Familie als geeignet und zur Zielgruppe passend heraus, wurden ein Erstbesuch durchgeführt und entsprechend des Untersuchungskonzeptes erste Daten erhoben. Die Suche nach Menschen, die gerne in der Betreuung Demenzerkrankter tätig werden wollten lief hingegen erfreulich gut. Im zweiten Halbjahr 2002 standen deutlich mehr Helferinnen (zwischen März 2002 und Januar 2003 wurden dreißig sog. „Tandem – Partnerinnen“ geschult) zur Verfügung als Familien, die 106 die Unterstützung abriefen. Jetzt war es schwierig, die Tandem – Partnerinnen „bei der Stange zu halten“. Erschwerend kam hinzu, dass im Herbst und Winter 2002 einige der von Tandem betreuten Demenzerkrankten verstarben oder in eine stationäre Einrichtung zogen. Von neun im Sommer und Herbst aufgenommenen Familien wurden nur drei über den im Untersuchungskonzept vorgesehenen Zeitraum von sechs Monaten betreut – und eine der verbliebenen pflegenden Angehörigen war aufgrund psychischer und physischer Erschöpfung nicht in der Lage, an der Datenerhebung mitzuwirken. Sicherlich war es absehbar gewesen, dass sowohl zu Betreuende sterben oder in ein Heim ziehen, als auch, dass Angehörige nicht in der Lage sind, an der Erhebung mitzuwirken – aber weniger als ein Drittel der Familien für nutzbare Auskünfte heranziehen zu können, erstaunte mich doch und verlängerte den Erhebungszeitraum deutlich. Glücklicherweise sank die Zahl der Todesfälle und Heimübersiedelungen ab Frühling 2003. Zudem sorgte eine erneute Öffentlichkeitsarbeits-Offensive für eine Flut interessierter Familien. Nun waren es so viele, dass nicht für alle eine passende Tandem – Partnerin zur Verfügung stand. Mehr Tandem – Partnerinnen zu schulen, war aber nicht möglich, da die Koordination und Betreuung von dreißig Honorarkräften und bis zu sechsunddreißig gleichzeitig betreuten Familien bereits den Zeitrahmen einer Vollzeitstelle mehr als ausfüllten. Im Rückblick brachten unvorhergesehen viele Todesfälle und Heimübersiedlungen die größten Schwierigkeiten in der Datenerhebung, gefolgt von der Tatsache, dass viele Familien nur unregelmäßig oder sporadische die Unterstützungsbesuche wünschten. Die Daten dieser Familien konnten zum Teil nicht in die Auswertung einfließen, da die Besuchsanzahl nicht ausreichte, oder die notwendigen zwölf Besuche fanden über mehr als sechs Monate verteilt statt und schienen daher nicht mit der untersuchten Stichprobe vergleichbar. Schwierigkeiten im Untersuchungsverlauf ergaben sich auch durch die extreme zeitliche Einbind ung der Angehörigen bzw. ihre starke psychische Belastung. Hier musste vereinzelt vom Untersuchungskonzept abgewichen werden: In mehreren Fällen riefen pflegende Angehörige an, nachdem ihnen ein 107 Fragebogen zugesandt worden war. Sie baten darum, mir ihre Antworten diktieren zu dürfen, da sie nicht die Ruhe hätten, sich einige Minuten damit zu beschäftigen, bzw. weil sie keine Gelegenheit hätten, den ausgefüllten Fragebogen in dem frankierten Rückumschlag in einen Briefkasten zu werfen – sie könnten den Demenzkranken keine Minute aus den Augen lassen und auch nicht mit ihm zum Briefkasten spazieren. Mit der graphischen Darstellung ihrer Lebensqualität hatten viele Angehörige Probleme, obwohl sie alle mitgeteilt hatten, die Methode verstanden zu haben. An dieser Stelle sind Datenlücken vorhanden, die sich auch durch mehrmaliges Nachfragen nicht schließen ließen. Diese Datenlücken wurden akzeptiert, da bei zwei pflegenden Angehörigen deutlich geworden war, wie sehr sie darunter leiden, sich den Verlauf ihrer Lebensqualität seit Auftreten erster Krankheitssymptome bildlich vor Augen zu führen. Insgesamt liegen nun zwanzig vollständige (bis auf die zum Teil fehlenden graphischen Darstellungen der Lebensqualität) Datensätze vor und aufgrund von Sterbefällen, Heimübersiedlungen, zu kurzer Tandem-Betreuungsdauer oder zu wenig abgerufenen Unterstützungseinsätzen im Erhebungszeitraum viele unvollständige. 7. Hypothesenprüfung und Diskussion der Ergebnisse Die drei aufgestellten Hypothesen wurden anhand der in Kapitel 5.3 „Methoden“ und 5.3.1 „Erhebungsinstrumente“ (ab Seite 90) dargestellten Mittel operationalisiert und ausgewertet. Die Ergebnisse zu den formulierten Annahmen werden hier nach Hypothesen getrennt dargestellt und direkt im Anschluss einzeln diskutiert. 7.1 Ergebnisse von Hypothese 1 H1: Die subjektiv empfundene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen steigt bei stundenweiser Unterstützung. 108 Absolute Häufigkeit der einzelnen Werte zu den drei Messzeitpunkten 11 10 9 -3 -2 -1 1 2 3 Befragte 8 7 6 5 4 3 2 1 0 LQ 1 LQ 2 LQ 3 Messzeitpunkt Abb. 9 Absolute Häufigkeiten der Messwerte Legende: Messzeitpunkt LQ 1: vor dem ersten Unterstützungsbesuch Messzeitpunkt LQ 2: nach vier Unterstützungsbesuchen Messzeitpunkt LQ 3: nach zwölf Unterstützungsbesuchen Definition der Werte: -3 sehr niedrige Lebensqualität -2 niedrige Lebensqualität -1 tendenziell eher niedrige Lebensqualität 1 tendenziell eher hohe Lebensqualität 2 hohe Lebensqualität 3 sehr hohe Lebensqualität Deutlich ist an obigem Schaubild, dass zum Messzeitpunkt LQ 1, also vor dem ersten Unterstützungsbesuch, die Hälfte aller Befragten ihre Lebensqualität als „sehr niedrig” einstufte (Wert –3). Am Messzeitpunkt LQ 2, nach vier 109 Unterstützungsbesuchen, nur noch eine Befragte und nach zwölf Unterstützungsbesuchen gar keine mehr. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die angaben, eine „hohe Lebensqualität“ (Wert 2) zu haben: Vor den Unterstützungsbesuchen schätzte keine Pflegende ihre Lebensqualität als “hoch” ein, nach vier Besuchen zwei und nach zwölf Besuchen am Messzeitpunkt LQ 3 bereits fünf. Die Verteilung der absoluten Häufigkeiten entwickelt sich von einer linkslastigen, negativ-orientierten Verteilung zu einer symmetrischen, in der Mitte der Skala angesiedelten. Im Einzelnen stellt sich die Entwicklung der Lebensqualität der zwanzig pflegenden Angehörigen folgendermaßen dar: Legende: Messzeitpunkt LQ 1: vor dem ersten Unterstützungsbesuch Messzeitpunkt LQ 2: nach vier Unterstützungsbesuchen Messzeitpunkt LQ 3: nach zwölf Unterstützungsbesuchen Definition der Werte: -3 sehr niedrige Lebensqualität -2 niedrige Lebensqualität -1 tendenziell eher niedrige Lebensqualität 1 tendenziell eher hohe Lebensqualität 2 hohe Lebensqualität 3 sehr hohe Lebensqualität Die Buchstaben A bis T kennzeichnen die zwanzig codierten Befragten. 110 Ergebnis der Rating-Skalen: Entwicklung der Lebensqualität der einzelnen Pflegenden 3 2 Wert 1 0 LQ 1 LQ 2 LQ 3 -1 -2 -3 A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T Messzeitpunkt Abb. 10 Ergebnis der Rating-Skalen Aus Abbildung 10, „Ergebnis der Rating-Skalen“, ist ersichtlich, dass sich die meisten Linien zwischen den Messzeitpunkten LQ 1 und LQ 3 nach rechts oben orientieren. Das kennzeichnet die Steigerung der Lebensqualität. Bei achtzehn der zwanzig Befragten zeigte sich eine Steigerung der Lebensqualität. 111 Aufgrund von Mehrfachnennungen ist die Angabe einer Angehörigen, deren Lebensqualität nach wie vor auf niedrigem Niveau (-2) sei, nicht zu sehen. Von LQ 2 zu LQ 3 ist eine abfallende Linie vom Wert -1 zu -2 erkennbar; die Lebensqualität dieser Pflegenden war zwischen den Erhebungszeitpunkten LQ 1 und LQ 2 um einen Punkt gestiegen, sank aber bis zur dritten Befragung wieder auf ihr Ausgangsniveau von -2. Der Median der drei Messzeitpunkte veranschaulicht die Steigerung der Lebensqualität noch einmal: Median der Entwicklung der Lebensqualität 0 -0,5 LQ 1 LQ 2 LQ 3 Wert -1 -1,5 -2 -2,5 -3 Messzeitpunkt Abb. 11 Median der Entwicklung der Lebensqualität Die Grafik zeigt die Entwicklung der Lebensqualität der pflegenden Angehörigen. Zum Messzeitpunkt LQ 1 lag der Median bei –2,5, was als “niedrige bis sehr niedrige Lebensqualität” definiert ist. Bis zum zweiten Messzeitpunkt (LQ 2) steigt die Lebensqualität zu einer “tendenziell eher niedrigen Lebensqualität” mit dem Skalenwert von -1. Am Messzeitpunkt LQ 3 liegt der Median der Lebensqualität bei 0, einer Kategorie, die rein rechnerisch zustande kam, den Pflegenden aber nicht angeboten worden war. Mit Blick auf die unten stehende Datenquelle und Abbildung 9 („Absolute Häufigkeiten der Messwerte “; Seite 107) erklärt sich der Wert 0 aus der symmetrischen Verteilung der Nennungen zum Befragungszeitpunkt LQ 3: 112 Tabelle 5 Die Lebensqualität nach 12 Unterstützungseinsätzen Lebens- Sehr qualität niedrig -3 Anzahl Niedrig Tendenziell Tendenziell Hoch eher niedrig eher hoch Sehr hoch -2 -1 1 2 3 5 5 5 5 0 der Nennungen 0 Auf den Rating-Skalen fehlte jeweils der Wert „0“, um die Angehörigen zu einer Entscheidung zu zwingen, ob sie ihre Lebensqualität eher als niedrig oder eher als hoch einschätzten. Nachdem in den vorangehenden Grafiken gezeigt wurde, wie sich die Entwicklung quantitativ darstellt, zeigt untenstehende Abbildung eine qualitative Analyse der Entwicklung der Lebensqualität. Veränderung der Lebensqualität zwischen den Erhebungszeitpunkten LQ 1 und LQ 3 9 8 Befragte 7 6 5 4 3 2 1 0 LQ von negativem Bereich zu positivem Bereich gesteigert LQ im Bereich positiv codierter Werte gesteigert LQ im Bereich negativ codierter Werte gesteigert LQ nicht gesteigert Art der Veränderung Abb. 12 Art der Veränderung der Lebensqualität Die Hälfte der Befragten gab nach zwölf Unterstützungsbesuchen an, ihre Lebensqualität wäre tendenziell eher gut als schlecht; vor den 113 Unterstützungsbesuchen hatten nur zwei Angehörige diese Einschätzung gehabt (vgl. Abb. 9 „Absolute Häufigkeiten der Messwerte“, Seite 107). Bemerkenswert ist hier: Acht dieser zehn hatten zum Befragungszeitpunkt LQ 1 einen negativ codierten Wert angegeben. Eine Veränderung der Grundtendenz in der Beurteilung der subjektiven Lebensqualität war also bei acht von insgesamt zwanzig pflegenden Angehörigen erreicht worden. Statistisches Testverfahren zur Feststellung der Ergebnissignifikanz: Außer der qualitativen Analyse und grafischen Darstellung der Skalen wurden die Ergebnisse einem statistischen Testverfahren unterzogen. Der WilcoxonTest für zwei verbundene Stichproben wurde eingesetzt : Geprüft wurde hier die Entwicklung der Lebensqualität zwischen den Befragungszeitpunkten LQ 1 und LQ 3. Die Tabelle der Werte befindet sich im Anhang (Kapitel 10.4; Seite 181). Keine der Befragten gab ein Sinken der Lebensqualität zwischen den Befragungszeitpunkten LQ 1 und LQ 2, folglich ist die Testgröße R=0. Da sich die Lebensqualität von zwei Angehörigen im relevanten Zeitraum nicht veränderte, konnten bei ihren Angaben keine Differenzwerte errechnet werden. Somit ist N bei dieser Signifikanztestung =18. Der Vergleich der Testgröße mit dem kritischen Wert aus der Tabelle der kritischen Werte für den Wilcoxon-Test zeigt: Tabelle 6 Irrtumswahrscheinlichkeit alpha bei zweiseitiger Fragestellung N 0,1 0,05 0,02 0,01 18 47 40 32 27 Da Testgröße R=0 und das Ergebnis R=27 laut Tabelle höchst signifikant ist, ist Ergebnis, dass die Lebensqualität pflegender Angehöriger bei einer stundenweisen Unterstützung ansteigt, signifikant. Neben den beschriebenen und dem getesteten Ergebnissen der zwanzig Rating -Skalen liegen von sechzehn Pflegenden so genannte „Kurven der Lebensqualität“ vor, die in Anlehnung an die von Mayring (2002) beschriebene Lebenslinientechnik von den Pflegenden erstellt wurden. Vier Angehörige 114 sahen sich außerstande, ihre Lebensqualität grafisch darzustellen (vgl. Kapitel 6, „Untersuchungsverlauf“, ab Seite 104). Legende der Kurve: Auf der Größenachse waren Werte von -2 bis 18 eingetragen; der Wert 0 war als „sehr niedrige Lebensqualität“ gekennzeichnet, der Wert 18 als „sehr hohe Lebensqualität“. Die insgesamt 20-stufige Bewertungsmöglichkeit sollte die Gelegenheit geben, auch kleinere Schwankungen darstellen zu können, als dies auf den bewusst nur 6-stufigen Rating-Skalen für sinnvoll erachtet worden war. Die Buchstaben auf der Rubrikenachse kennzeichnen die Zeitpunkte seit Beginn der Intervention, unabhängig von der Anzahl der stattgefundenen Unterstützungseinsätze: a: Erste Krankheitsanzeichen b: Zeitpunkt der Diagnosestellung c: Tiefster Punkt der Lebensqualität vor Beginn der stundenweisen Unterstützung d: Beginn der stundenweisen Unterstützung (= Zeitpunkt zu dem die erste Kurve der Lebensqualität erstellt wurde) e: Nach einem Monat stundenweiser Unterstützung f: Nach zwei Monaten stundenweiser Unterstützung g: Nach drei Monaten stundenweiser Unterstützung h: Nach vier Monaten stundenweiser Unterstützung i: Nach fünf Monaten stundenweiser Unterstützung j: Nach sechs Monaten stundenweiser Unterstützung (= Zeitpunkt zu dem die zweite Kurve der Lebensqualität erstellt wurde) 115 Ergebnis der Lebenslinientechnik: Entwicklung der Lebensqualität der einzelnen Pflegenden 18 16 Einschätzung der eigenen Lebensqualität 14 12 10 8 6 4 2 0 a b c d e f g h i j A B D E G H I J K M O P Q R S T -2 Zeitpunkt Abb. 13 Ergebnis der Lebenslinientechnik Zum Zeitpunkt der ersten Krankheitsanzeichen (a) war die Lebensqualität der überwiegenden Mehrheit tendenziell hoch; lediglich bei einer Pflegenden war sie zu diesem Zeitpunkt bereits sehr , sehr niedrig (Wert –2). Zwischen den 116 ersten Krankheitsanzeichen und der Diagnosestellung (b) sank die Lebensqualität deutlich, in allen bis auf einen Fall war die Lebensqualität nach der Diagnosestellung (c) weiter gesunken. Eine Angehörige erweiterte dabei die Skala bis ins Unermessliche mit einem deutlichen Pfeil unter den niedrigsten vorgegebenen Wert von -2. Dieser Angabe wurde durch die unterbrochene Linie am Zeitpunkt C Rechnung getragen. Zu Beginn der stundenweisen Unterstützung (d) schätzten die pflegenden Angehörigen ihre Lebensqualität bereits wieder ein wenig höher ein, bis zum Ende des ersten Monats (e) stieg sie bei zehn Befragten weiter. Bei sechs Befragten blieb sie auf dem Niveau des Unterstützungsbeginns. In den folgenden beiden Monaten (Ende dritter Unterstützungsmonat; g) verbesserte sie sich bei dreizehn Pflegenden wiederum, bei zweien blieb die Lebensqualität auf dem Niveau des ersten Monats. Eine pflegende Angehörige beschrieb mit Höhen und Tiefen eine zickzackförmige Lebensqualität, die sich im Bereich zwischen 1 und 3 bewegte. Damit ist sie höher als vor der stundenweisen Unterstützung aber immer noch im untersten Sechstel der positiven Werte. Zwischen dem dritten (g) und dem sechsten Unterstützungsmonat (j) stieg die Lebensqualität bei zehn Pflegenden weiter an, hielt sich bei drei Angehörigen konstant auf der Höhe des dritten Monats, stellte einmal die oben beschriebene Zickzacklinie dar und sank bei zwei pflegenden Angehörigen. Eine Angehörige gab nach sechs Monaten an, ihre Lebensqualität sei wieder auf den Wert vom Ende des ersten Unterstützungsmonats gesunken (sie war aber noch um zehn Punkte höher als am „tiefsten Punkt der Lebensqualität vor der Unterstützung“ (c)). Bei der zweiten Pflegenden fiel die Lebensqualität nach einem kurzen „Hoch“ am Ende des vierten Unterstützungsmonats (h) wieder auf den Wert vom Ende des dritten Monats (g). Obwohl die Lebensqualität wieder gesunken war, lag sie immer noch um fünf Punkte höher als am „tiefsten Punkt“ (c). Die folgende Grafik stellt obiges Schaubild komprimiert dar, sie zeigt den Median der Werte, der aus den sechzehn Kurven der Lebensqualität errechnet wurde. 117 Median der Kurven der Lebensqualität Höhe der Lebensqualität der pflegenden Angehörigen 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 a b c d e f g h i j -2 Zeitpunkt Abb. 14 Median der Kurven der Lebensqualität Von einer Lebensqualität, die im oberen Drittel der Größenachse angesiedelt war, sank sie bis zum Zeitpunkt der Diagnosestellung (b) stark und erreichte an ihrem „tiefsten Punkt vor Beginn der stundenweisen Unterstützung“ (c) den Wert 0, der als „sehr niedrige Lebensqualität“ definiert war. Von nun an stieg die Lebensqualität stetig an, bis sie nach vier Unterstützungsmonaten ein Niveau von 6 Punkten auf der Größenachse von 0 Punkten („sehr niedrige Lebensqualität“) bis 18 Punkten („sehr hohe Lebensqualität“) erreichte. In den ersten beiden Unterstützungsmonaten (bis zum Zeitpunkt f) ist dabei eine deutlichere Steigerung der Lebensqualität erkennbar, als in den folgenden. Die Grafik verdeutlicht die sinkende Lebensqualität durch das Auftreten einer Demenzerkrankung und die Pflegeübernahme, zeigt aber gleichzeitig den Anstieg der Lebensqualität der pflegenden Angehörigen vom Beginn einer stundenweisen Unterstützung an. 118 Die Auswertung der Fremdperspektive zur Entwicklung der Lebensqualität der pflegenden Angehörigen ergab ein ähnliches Bild, wie das von den Pflegenden selbst gezeichnete: während achtzehn der Pflegenden angaben, ihre Lebensqualität sei gestiegen, stimmten sechzehn Helferinnen dem zu. Sie begründeten ihren Eindruck beispielsweise so: „Meine Familie, bzw. die Tochter der kranken Person hat jetzt Zeit, etwas mit ihrem Mann zu machen. Danach erzählt sie mir, wie schön das war, Zeit mit ihm zu haben. Ich glaube: „wie früher““ (Zitat einer Helferin; qualitative Inhaltsanalyse der Helferinnenbefragung; S. 5; Zeile 24-33) oder „beim 1. Mal, als ich mit dem Erkrankten allein war, rief seine Frau an, um nachzuhorchen, ob alles in Ordnung ist – seitdem scheint sie uns aber beruhigt zwei Stunden allein zu lassen“ (ebenda; 3; 25-35). Drei Helferinnen können die Veränderung der Lebensqualität nicht einschätzen, eine Helferin meint, die Lebensqualität sei erst gestiegen, aber im Laufe der Zeit eher wieder gesunken. Letztere Annahme deckt sich mit der Aussage der Pflegenden. Die vorangegangenen Darstellungen zeigen die allgemeine Veränderung der Lebensqualität der Pflegenden. Da aber die individuelle Lebensqualität der einzelnen Pflegenden erhoben wurde, würden obige Grafiken alleine zu kurz greifen, weil sie das Konstrukt „Lebensqualität“ als gemeinsame Maßzahl für etwas sehr individuell Definiertes darstellen. Die folgenden Grafiken stellen die einzelnen Aspekte von Lebensqualität und ihre Entwicklung im Zeitraum von zwölf Unterstützungsbesuchen dar. 119 Aspekte von Lebensqualität in den individuellen Definitionen der Pflegenden 13 12 11 10 Befragte 9 8 7 6 5 4 3 2 1 un be so rgt se in un ge he tzt se in Ze it f ür Fa m ilie Ha us ha Un lt/E ter ink ha au ltun f g/A bw ec hs lun Rü g ck zu gs mö glic hk eite n Fre un de n St Sp ad ort tbu m m el/ Ku ltu r Ko nta kt zu Fr eiz eit 0 Abb. 15 Individuelle Aspekte von Lebensqualität Die aufgeführten Aspekte von Lebensqualität wurden jeweils von mehr als zwei Angehörigen genannt. Kategorien wurden nur insofern gebildet, als „joggen“, „schwimmen“ und „walken“ zu „Sport“ zusammengefasst und die Merkmale „Zeit für die Kinder“ und „Zeit für den Ehemann“ in eine Kategorie „Zeit für Familie“ vereint wurden. Alle anderen Punkte wurden im Gespräch von den Angehörigen genau so benannt, auch die Merkmale, die wie kategorisierte Merkmale wirkten. Zur Lebensqualität gehörte also für sechs Pflegende „Stadtbummel mit (ein bisschen) Kultur“ oder „Unterhaltung, eben hin und wieder etwas Abwechslung“. Die Antwort „Freizeit“ war nicht nur die häufigste auf die Frage, was die Angehörige unter Lebensqualität versteht, sondern auch die einzige mehrfach spontan gegebene Antwort. 120 Nach vier und nach zwölf Unterstützungsbesuchen wurde erhoben, ob und gegebenenfalls inwiefern sich die einzelnen Aspekte der individuellen Lebensqualität verändert haben. Aspekte von Lebensqualität und ihre Veränderungen 13 12 11 10 Befragte 9 8 7 Nennungen als spezifisches LQMerkmal 6 5 4 3 2 1 davon Veränderungen des spezifischen LQ-Merkmals innerhalb von 12 Unterstützungsbesuchen Ko nta ktz uF Frei reu zei t nd en St ad tbu m Sp m ort el/ Ze Kult ur it f ü Un Ha r Fa ter ha us m i h ltu ng alt/E lie Rü /Abw inka uf ck ec zu hs gs lun m g ög lich ke i un ten be so rgt un s ge ein he tzt se in 0 Abb. 16 Aspekte von Lebensqualität und ihre Veränderungen Hinsichtlich der Aspekte „Freizeit“, „Zeit für Familie“, „Haushalt/Einkauf“ und „Unterhaltung/Abwechslung“ gaben alle, die dieses Merkmal als Bestandteil ihrer Lebensqualität angegeben hatten, Steigerungen an. In den übrigen Bereichen sind überwiegend Verbesserungen zu erkennen, in keinem Fall hatte sich die Lebensqualität hinsichtlich eines bestimmten Aspektes verschlechtert. Ein lebensqualitätssteigerndes Maß an „Kontakt zu Freunden“ erreichten von den elf Pflegenden acht. Als Erläuterung dazu ist es wichtig hinzuzufügen, dass zwei der elf pflegenden Angehörigen zwar den Kontakt zu Freunden als wichtigen Bestandteil ihrer Lebensqualität sehen, aber gleichzeitig angaben, 121 dass sich im Laufe der Demenzerkrankung des Partners alle Freunde zurückgezogen hätten. In den beiden nicht an Aktivitäten orientierten Bereichen „unbesorgt-sein“ und „ungehetzt-sein“ verspürten neun von zehn Pflegende Verbesserungen. An die beiden emotional geleiteten Merkmale „unbesorgt-“ und „ungehetzt-sein“ knüpft sich die Frage, ob es den pflegenden Angehörigen gelingt, während der Unterstützungsbesuche Kraft für den Pflege- und Betreuungsalltag zu schöpfen: Die Pflegenden können während der Unterstützungsbesuche Kraft schöpfen 8 7 Befragte 6 5 4 3 2 1 0 1 immer 2 meistens 3 manchmal 4 selten 5 sehr selten 6 nie Häufigkeit Abb. 17 Zielerreichung durch Unterstützungsbesuche Jeweils sieben Pflegende schöpften „immer“ oder „meistens“ Kraft während der stundenweisen Unterstützung. Zwei Befragten gelang es „manchmal“. Das geht aus der in Abbildung 17 dargestellten linkslastigen Verteilung hervor. Vier Angehörige begründeten ihre Entspannung mit der allgemeinen „Gewissheit, mein Mann wird gut versorgt“, (qualitative Inhaltsanalyse zur Frage, woran es lag, dass sie während der Unterstützungsbesuche Kraft schöpfen konnten; 122 Zeile 2; 4; 5; 7) drei na nnten ihr Vertrauen in und die Zuverlässigkeit der Tandem – Partnerin als Grund (ebenda; 11; 13; 14), jeweils zwei stellten die positiven Reaktionen des Demenzkranken auf die Unterstützungsbesuche (ebenda; 6; 10) und die „optimale, professionelle - “ bzw. die „liebevolle und authentische Betreuung“ (ebenda; 12; 13) in den Vordergrund. Eine Angehörige schätzte darüber hina us ausdrücklich den Umgang der Helferin mit dem Erkrankten: „sie muntert ihn auf – lässt ihn aber auch in Ruhe“ (ebenda; 1). Zwei weitere genossenen die Abwechslung: „ich seh` mal was Anderes“ (ebenda; 9); „ich komm` mal raus“ (ebenda; 17). Diesen achtzehn Befragten standen zwei Angehörige gegenüber, denen es sehr selten oder nie gelang, Kraft zu schöpfen. Als Begründung dafür sagte eine Angehörige: „Mein Mann ist sehr anspruchsvoll, ich muss ihm jeden Tag die Zeitung etc. bringen, nicht jemand anderes“ (ebenda; 16), die andere formulierte ihre Angst, aufgrund derer sie nicht oft Kraft sammeln konnte, sondern „nur sehr selten, da mein Mann misstrauisch gegenüber Fremden ist und sehr schnell aggressiv wird“ (ebenda; 15). Einen ergänzenden Hinweis darauf, ob es den Pflegenden gelang, während der Unterstützungsbesuche Kraft zu schöpfen, gab die Auswertung der Helferinnenbefragung. Ihnen wurde die Frage gestellt, welchen Eindruck die pflegende Angehörige machte, wenn sie nach ihrer mehrstündigen Freizeit nach Hause in die Pflegesituation zurückkehrte: Insgesamt zwölf pflegende Angehörige wirkten entspannt, fröhlich oder erholt bei ihrer Rückkehr: „Ganz viel Druck ist von ihr gewichen und ihr Gesicht strahlt glücklich“ (qualitative Inhaltsanalyse der Helferinnenbefragung; Seite 1; Zeile 19-22). Vier weitere machten einen „guten Eindruck“, wirkten aber etwas abgehetzt „weil sie weiß, dass ihr Mann nach zwei Stunden ungeduldig wird. Aber sie hat dann immer ein Lächeln auf dem Gesicht“ (ebenda1; 1-8). Zwei Angehörige schienen froh, etwas Notwendiges erledigt zu haben, was eine Helferin so beschrieb: „sie ist froh, etwas von der langen Liste „abgearbeitet“ zu haben“ (ebenda; 5; 34-37). 123 7 6 5 4 3 2 1 fro h, No tw er en ho dig lt es er led igt zu ... vo m Sp or ta us ge po we rt gu t, a be re tw as ab ge he tzt frö hli ch 0 en tsp an nt Befragte (N=19) Fremdperspektive: Welchen Eindruck machte die Pflegende am Ende des Unterstützungsbesuches Abb. 18 Darstellung der Fremdperspektive N=19; eine He lferin verließ den Demenzkranken immer, bevor die Angehörige nach Hause kam; folglich konnte sie hierzu keine Einschätzung abgeben. Neben der Tatsache, ob die pflegenden Angehörigen während der Unterstützungsbesuche unbesorgt waren oder Kraft schöpfen konnten, wurde erhoben, welche Gedanken sie sich in der Zeit bis zum nächsten Unterstützungsbesuch machten. Diese Frage schien relevant, da sie die Angehörigen dazu anhielt das „hier und jetzt“ zu verlassen, in dem sie oftmals gedanklich gefangen waren (Neumann; 2000), und sie den Blick in die Zukunft richten ließ. 124 Gedanken der Pflegenden zum nächsten Unterstützungsbesuch 9 8 7 Befragte 6 5 4 3 2 1 0 (Vor-) freude Überlegung zur Freizeitgestaltung Sorge vor Absage gemischte Gefühle Abb. 19 Gedanken der Pflegenden zum nächsten Unterstützungsbesuch Acht Angehörige äußerten offen ihre Vorfreude auf den nächsten Unterstützungsbesuch, in Sätzen wie „bin voller Vorfreude“ (qualitative Inhaltsanalyse der Gedanken zum nächsten Einsatz, Zeile 13), „freue mich drauf, sie (die Helferin; Anm.) ist eine wichtige Stütze geworden“ (ebenda, 6) oder „Freude auf den nächsten Einsatz, weil ich mich durch die Betreuung sicher fühle“ (ebenda; 1), kam das zum Ausdruck. Planungen bzw. Überlegungen, wie sie die freie Zeit am besten nutzen können, stellten sechs Angehörige an: „überlege oft, was ich Schönes machen könnte, plane für gutes und schlechtes Wetter“ (ebenda; 13). Eine andere Angehörige überlegte „was ich mit den Einsätzen anfange, um sie bestens zu nutzen!“ (ebenda; 16), während sich eine weitere Pflegende fragte, „ob ich etwas Notwendiges oder etwas Schönes tun soll?“ (ebenda; 14). Die Sorge vor einer Absage beschäftigte vier Angehörige (ebenda; 2; 12; 17; 19), während zwei Pflegende sehr gemischte Gefühle vor dem nächsten Unterstützungsbesuch hatten: „gemischte Gefühle; ich weiß nicht, ob ich die 125 Unterstützungsbesuche für mich in Anspruch nehmen darf (innerlich)“ (ebenda; 13) bzw. „zwiespältig, eigentlich möchte meine Mutter niemanden haben zur Betreuung“ (ebenda; 8). Diese Mutter, die niemanden zur Betreuung haben möchte, freute sich jedoch nach Aussage der Helferin immer sehr über deren Besuch und bewirtete sie liebevoll. Das Ergebnis der Besuche: achtzehn Befragte freuten sich auf die Unterstützungsbesuche, verplanten die freie Zeit oder fürchteten gar eine Absage. Einen direkten Bezug zu diesem Ergebnis schien die Tatsache zu haben, dass die meisten Demenzkranken nach dem Besuch der Helferin weder aggressiver waren noch eine verstärkte motorische Unruhe zeigten. Da Demenzkranke Kontinuität in der Betreuung unbedingt benötigen, hätte der Wechsel der Betreuungsperson eine verstärkte Verwirrtheit oder das Gefühl, von der Angehörigen verlassen worden zu sein, hervorrufen können. Um den Ausdruck solcher Emotionen dokumentieren zu können wurden zweierlei Perspektiven erhoben: nach jedem Einsatz beantworteten die Helferinnen die Frage nach Aggressionen und motorischer Unruhe und zu den Untersuchungszeitpunkten LQ 2 und LQ 3 wurden die Angehörigen dazu befragt. Die Auszählung der Antworten ergab, dass es zu beiden Befragungszeitpunkten der Angehörigenbefragung jeweils zwei Demenzkranke gab, die sowohl von ihren Angehörigen als auch von den Helferinnen als motorisch unruhiger eingestuft wurden. Ein Demenzkranker wurde sowohl von Helferinnenseite als auch von der Angehörigen als zunehmend aggressiv beschrieben, was zu dem beschriebenen Sinken der Lebensqualität der Pflegenden zwischen den Befragungszeitpunkten LQ 2 und LQ 3 und schließlich zu einem Abbruch der Unterstützungsbesuche führte. Aber einige Angehörige berichteten auch das Gegenteil: „Der Demenzkranke war nach den Besuc hen fröhlicher und gesprächiger, der Kranke fragte nach der Helferin, wollte wissen, ob sie denn schon gehe n müsste oder wann sie wieder käme“ (Qualitative Inhaltsanalyse der Kurzprotokolle; 1; 30/39). Er umsorgte sie, was in ihm verloren geglaubte Gastgebertalente erkennen ileß oder wurde unruhig, wenn die Helferin zu spät kam: „Ich hab` schon gedacht, Du kommst nicht mehr!“ (ebenda; 1; 40). 126 Eine erprobte standardisierte Form der Befragung sollte in diese Studie mit aufgenommen werden. Dazu wurde der Kurzfragebogen zur Lebensorientierung von Aaron Antonovsky herangezogen. Die Ergebnisse wiesen allerdings keinerlei Korrelationen etwa zwischen Bildungsstand und Höhe des Kohärenzgefühls oder Pflegeintensität und Kohärenzgefühl auf, so dass aus dem sense of coherence der Pflegenden keinerlei Schlüsse oder Erklärungsansätze gezogen werden konnten. Gunzelmann et al. hatten dagegen einen Zusammenhang zwischen höheren Ausprägungen auf den sense of coherence Subskalen und einem höheren Bildungsniveau ausgemacht (Gunzelmann et al.; 2000). 7.2 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 1 Die dargestellten Ergebnisse zeigen eine signifikante Steigerung der subjektiv empfundenen Lebensqualität der pflegenden Angehörigen im Laufe der stundenweisen Unterstützung. Allerdings darf diese bedeutsame Steigerung nicht monokausal betrachtet, sondern die relevanten Einflüsse müssen auf ihre Gültigkeit in vorliegender Studie und ihre Möglichkeit zur Verallgemeinerung hin überprüft werden. Zu diskutieren sind daher: ? Die Zusammensetzung der Stichprobe. ? Die Belastungen der pflegenden Angehörigen. ? Die einzelnen Faktoren, mit denen „subjektive Lebensqualität“ individuell definiert wird. ? Die Möglichkeiten und Grenzen einer stundenweisen Unterstützung im Hinblick auf das Interventionsziel und die genannten Faktoren der Lebensqualität. Bezüglich der Zusammensetzung der Stichprobe wies die hier untersuchte Gruppe von Angehörigen einige Parallelen zu Stichproben repräsentativer Studien und einer weiteren Projektauswertung auf: Sowohl bei Gräßel (in Reichert; 2000; 3f) als auch bei Halsig (in Kruse; 1998; 213f) und Klingenberg et al. (2001) waren rund 80% der Hauptpflegepersonen Frauen; in der hier 127 untersuchten Gruppe von pflegenden Angehörigen waren es sechzehn von zwanzig. Die Pflegenden waren in dieser Untersuchung mit gut 66 Jahren im Mittel fünf Jahre älter, als in den drei genannten, was wiederum Stuhlmanns Annahme, die meisten Pflegeleistenden seien älter als 65 Jahre (in Reichert; 2000) stützt. Zurückzuführen ist die „weibliche“ Pflege beispielsweise auf eine traditionelle Rollenverteilung in der älteren Generation, auf die Tatsache, dass Demenzen als Alterskrankheiten eher den älteren der beiden Ehepartner und damit meist (zuerst) den Ehemann treffen und auf die längere Lebenserwartung von Frauen (vgl. Kapitel 3.1 „Die demographische Entwicklung“, ab Seite 23; Kapitel 3.5.1 „Wer pflegt?“ ab Seite 45). Zum Ausbildungsgrad der Pflegenden liegen aus anderen Studien keine Angaben vor. Interessant ist an den hier gewonnenen Daten aber, dass alle Bildungsschichten vertreten sind; sowohl eine Pflegende ganz ohne Schulabschluss wie auch drei Akademiker kümmern sich um die Pflege und Betreuung ihres demenzkranken Angehörigen. Die Betreuungsintensität unterscheidet sich in der hier ausgewerteten Stichprobe von der bereits mehrfach zitierten Studie zu den „Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung im Alter“ (MUGSLA), die Norbert Halsig im Jahrbuch der Medizinischen Psychologie von 1998 referiert (215). In der MUGSLA-Erhebung müssen nur ein Drittel der Pflegenden rund um die Uhr für den Erkrankten da sein, bei 59,4% genügt eine stundenweise tägliche Betreuung (als Referenzdaten werden die Angaben der Hauptpflegepersonen aus den alten Bundesländern herangezogen). Dagegen müssen elf der zwanzig hier Befragten den Demenzerkrankten rund um die Uhr betreuen, weitere sieben können den Kranken für maximal zwei Stunden allein lassen – und sind damit deutlich enger an die Wohnung gebunden, als Pflegende, die „täglich stundenweise“ Pflege und Betreuung leisten müssen. Sich „täglich stundenweise“ um den Kranken zu kümmern ist in Halsigs Studie bei 90% der Pflegepersonen gegeben, während die Pflegenden dieser Studie ausnahmslos täglich viele Stunden Pflege- und Betreuungsaufgaben wahrnahmen. Die ausgeprägteren Pflegeintervalle der hier befragten Pflegenden lassen sich mit der Gewinnung der Stichprobe für diese Erhebung bzw. für das Projekt an 128 sich begründen. Die stundenweise Unterstützung ist konzeptionell so gestaltet, dass nur pflegende Angehörige eine stundenweise Entlastung in Anspruch nehmen können, wenn sie als Hauptpflegeperson nahezu pausenlos für den Demenzkranken da sein müssen. Sich täglich stundenweise um den Kranken zu kümmern genügt nicht. Bereits in der Konzeptionsphase des Projektes wurde davon ausgegangen, dass es sehr viele pflegende Angehörige gibt, für die eine stundenweise häusliche Unterstützung eine der ganz wenigen Möglichkeiten darstellt, eine kurze Auszeit von der Betreuung zu nehmen. Sei es, weil der Demenzkranke aufgrund sehr eingeschränkter Mobilität keine anderen Betreuungsangebote (mehr) aufsuchen kann oder weil er durch wechselnde Betreuungspersonen oder Gruppenangebote überfordert wird. Mit dem Ergebnis, dass die zeitliche Einschränkung von den Pflegenden als größte Belastung empfunden wird, unterstreicht die hier evaluierte Stichprobe ihre Vergleichbarkeit mit den Stichproben der Repräsentativbefragungen. Ständig verpflichtet, in „Rufnähe“ zum Erkrankten zu sein, den eigenen Tagesablauf den Anforderungen der Pflege und Betreuung unterwerfen zu müssen und nicht mehr frei gestalten zu können, wird oftmals als extreme Einschränkung der eigenen Persönlichkeit erlebt. Eigene Interessen können nicht mehr verfolgt werden, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten, ist äußerst schwierig, da die Pflegende selbst das Haus kaum verlassen kann und sich gleichzeitig so genannte Freunde und Bekannte aus unterschiedlichen Gründen zurückziehen. Selbst Notwendiges - ein Arztbesuch oder ein Behördengang kann nur schwer erledigt werden. Bezogen auf Demenzkranke kommen Filipp und Mayer in ihrer Expertise zum Vierten Altenbericht der Bundesregierung zu dem Schluss: Die „Lebensqualität [der Pflegenden ist] in dem Maße gefährdet, in dem die Kontrolle über die Gestaltung des eigenen Lebens verloren gegangen ist“ (Filipp&Mayer in DZA; 2002; 390). Erfahrungsgemäß ist nicht nur die Lebensqualität der Kranken aufgrund der Krankheitsprogression immer gefährdeter, sondern auch die ihrer Pflegepersonen. Während sich Demenzkranke krankheitsbedingt in ihre Welt zurückziehen und dadurch darauf angewiesen sind, dass ihre äußere Umwelt dementsprechend arrangiert wird, sind die Angehörigen unentwegt damit 129 beschäftigt, Spuren in die innere Welt des Erkrankte n zu suchen und die Umgebung bzw. den Umgang seinen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Dabei verlieren sie die Kontrolle über die Gestaltung ihres Lebens, spüren vielleicht, dass ihr eigener Lebensentwurf unter den gegebenen Bedingungen nicht realisierbar ist und nehmen immense Verluste der eigenen Lebensqualität hin. Mehrfach wurden meine Fragen nach ihren Interessen und Bedürfnissen, nach ihrer Definition von Lebensqualität von der pflegenden Angehörigen mit einem entgeisterten „warum fragen sie mich, mein Mann ist der Kranke, um ihn geht es!“ beantwortet. Das Wohlbefinden kann auch angesichts von Beeinträchtigungen und Verlusten gesichert und verteidigt werden – diese Annahme geht aus der oben zitierten Expertise von Filipp und Mayer hervor. Ältere Menschen schätzen ihre subjektive Lebensqualität ungeachtet vielfältiger Einschränkungen recht hoch ein („Zufriedenheitsparadox“, erwähnt von Smith in Mayer&Baltes; 1996). Zurückzuführen ist diese Haltung wohl auf temporale Vergleiche und auf sozialen Abwärtsvergleiche, die eine positive Einschätzung der eigenen Lebensqualität zulassen. Die „Kurven der Lebensqualität“ offenbaren die großen Einschränkungen und Schwierigkeiten, die mit der Pflege und Betreuung eines nahe stehenden Demenzkranken einhergehen. Sie können nicht durch temporale Vergleiche oder Ähnliches kompensiert bzw. in der eigenen Wahrnehmung umgedeutet werden. Auch die Annahme, dass Menschen in höherem Alter die „Ansprüche und Erwartungen“ einerseits und die „persönlichen Lebensumstände“ andererseits besser in Einklang zu bringen vermögen (Noll&Schöb in DZA; 2002; 246), was das subjektive Wohlbefinden stabilisieren oder erhöhen kann, trifft bei den hier untersuchten pflegenden Angehörigen nicht zu. Erst als eine zeitliche Entlastung begann und damit die Hauptbelastung der Pflegenden etwas gemindert wurde, änderte sich der Kurvenverlauf. Die Vermutung, alten Menschen gelänge es durch palliative Bewältigungsreaktionen, irreversible Verluste (wie eigene Beeinträchtigungen oder das langsame kleiner Werden des sozialen Netzes) als unveränderlich hinzunehmen und dadurch ihr Maß an subjektivem Wohlbefinden zu bewahren (BMFSFJ; 2002), stößt bei pflegenden Angehörigen demenziell Erkrankter an ihre Grenzen. Weder die innerliche Abwertung nicht mehr erreichbarer Ziele noch eine positive Umdeutung der eigenen Situation (BMFSFJ; 2002) gelingen 130 noch und können entsprechend auch die Lebensqualität der Pflegenden nicht mehr aufrechterhalten. In den zitierten Quellen wird jeweils darauf verwiesen, dass Menschen mit Demenz die genannten Lebensqualität-erhaltenden Bewältigungsmechanismen nicht mehr aktivieren können, so dass ihre Lebensqualität in einem besonderen Maße in Gefahr sei. Dem kann vorbehaltlos zugestimmt werden, doch sind die Hauptpflegepersonen der Demenzkranken eine fast ebenso große Gruppe stark Gefährdeter. Obwohl die Einschränkungen in zeitlicher und sozialer Hinsicht in den meisten Fällen nicht plötzlich und unerwartet, sondern allmählich eintreten, versagen die Bewältigungsmechanismen, die eine Anpassung an die Situation unter Wahrung der eigenen Lebensqualität ermöglichen könnten. Ein wichtiger Punkt mag dabei sein, dass die Angehörige den langsamen geistigen und körperlichen Zerfall des Partners oder Elternteils miterlebt und teilweise mit herausfordernden Verhaltensweisen konfrontiert wird. Durch die Krankheit können sich Angehörige und Demenzkranker fremd werden – das erschwert die Situation für beide Seiten erheblich. Die mit der Pflege und Betreuung eines demenzkranken Angehörigen einhergehenden Verluste sind sehr groß. Erhebungen wie die oben zitierten zum Belastungserleben Pflegender wiesen darauf hin. Diese Untersuchung erweitert das Wissen, indem sie zeigt, wie die Pflegenden von den Belastungen, die mit der Pflege und Betreuung zusammenhängen, dominiert werden. Ihnen bleiben keine ausreichenden Spielräume die Diskrepanz zwischen ihren Wünschen und ihrem Pflegealltag zu überwinden. Ihre Lebensqualität sinkt von dem Zeitpunkt des Auftretens erster Demenzsymptome. Mit den ersten Krankheitsanzeichen wird der Abbauprozess des Gehirns deutlich, bald bestimmen die Folgen der Krankheitsprogression den gesamten Tagesablauf der Pflegenden. Dieses Ergebnis soll für Wissenschaft und Praxis nutzbar gemacht werden. Daher muss darüber nachgedacht werden, wie groß und welcher Art die „Gewinne“ durch eine Intervention sein müssen, um Auswirkungen auf die Lebensqualität der Angehörigen zu haben. Lassen sich überhaupt Elemente von Lebensqualität aufzeigen, die allgemeine Gültigkeit besitzen? Oder ist das perspektivische Konstrukt von Lebensqualität des Einzelnen so individuell, dass 131 sich kein kleinster gemeinsamer Nenner finden lässt? Damit wäre aller Interventionsoptimismus zunichte? Für diese Untersuchung wurde an der größten Belastung der Angehörigen angesetzt und ihnen ermöglicht, einige Stunden ihres Tageablaufes autonom zu planen. Die Ergebnisse der Angehörigenbefragung, die Testergebnisse, die grafischen Darstellungen der eigenen Lebensqualität durch die Angehörigen selbst sowie die Ergebnisse der Erhebung der Fremdperspektive sprechen dafür, dass bei einer stundenweisen häuslichen Unterstützung eine Steigerung der subjektiv empfundenen Lebensqualität der pflegenden Angehörigen erreicht wird. „Die Angehörige scheint es zu genießen, wieder mehr Zeit für sich zu haben und mehr für sich tun zu können; sie muss ja 24 Std. am Tag für sich und ihren Mann denken. Da tut es natürlich gut, wenn sie ab und an einige Zeit abschalten kann“ (Qualitative Inhaltsanalyse der Helferinnenbefragung; 4; 2537): Welche spezifischen Merkmale von Lebensqualität in besonderem Maße durch die Bereitstellung von „Zeit“ touchiert werden, wird im Folgenden aufgegriffen. Grundlage hierzu sind die Abbildungen 15 („Individuelle Aspekte von Lebensqualität“, Seite 118) und 16 („Aspekte von Lebensqualität und ihre Veränderungen“, Seite 119) in denen die verschiedenen Elemente von Lebensqualität in den Definitionen der Pflegenden dargestellt sind. Die Angehörigen nennen in erster Linie „Freizeit“, wenn sie gefragt werden, was für sie Lebensqualität bedeutet. Sie sehen die Tagesstrukturierung durch die Pflege als größte Belastung an – und freie Zeit zu haben, sich Zeit frei einteilen zu können, ergibt sich als erst- und meistgenannter Faktor der Lebensqualität. Aber der Begriff „Freizeit“ ist nur ein Konstrukt, hinter dem sich so viele Vorstellungen wie Nennungen verbergen. Die Formulierung „Freizeit als Merkmal von Lebensqualität“ schließt das Bedürfnis nach freier Zeit als Ergebnis monate - und jahrelanger Pflege und Betreuung ein. Sie resultiert aus einer jeweils individuellen Bewertung dieses Lebensabschnitts und wird damit als Versuch interpretiert, der Belastung „zeitliche Einschränkung“ unverbindlich entgegen zu treten. 132 Die stundenweise Unterstützung ermöglicht den Pflegenden auf jeden Fall etwas Zeit. Zeit, die sie für sich allein nutzen können, in der sie Notwendiges erledigen, etwas Schönes unternehmen oder in der sie es genießen können, nicht allein mit dem Erkrankten zu sein, sondern Besuch von der Helferin zu haben, die ihnen ein Stück Normalität und Abwechslung in die häusliche Abgeschiedenheit bringt. Wie sie die Zeit nutzen, ist ihnen überlassen, aber der Wunsch nach etwas „Freizeit“ durch die stundenweise Unterstützung konnte allen, die dies als Lebensqualitätsfaktor genannt hatten, erfüllt werden. So kristallisiert sich als kleinster gemeinsamer Nenner der Bedürfnisse pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz der Wunsch nach „Freizeit“ heraus. Den Angehörigen freie Zeit zu ermöglichen ist deshalb eine uneingeschränkt sinnvolle Intervention. Mehrfach genannt wurden über den Begriff „Freizeit“ hinaus sieben Aktivitäten, denen die pflegenden Angehörigen nachgehen wollten: der Kontakt zu Freunden sollte in elf Fällen wieder intensiviert werden, Sport treiben wollten sechs (zwei wollten allein joggen oder schwimmen gehen, die übrigen nannten in einem Nebensatz, der Austausch mit Kollegen und Freunden beim Sport sei so schön und die Verbindung von Bewegung und Gesellschaft trage zu ihrer Lebensqualität bei – die Bewegung aber stehe im Vordergrund). In der freien Zeit initiativ zu werden oder sich bereits bei der Planung der Freizeit zu verabreden gelang nicht allen. Zu groß waren bei drei Pflegenden die Kränkungen, die sie von früheren Freunden im Laufe der Demenz des Partners hatten hinnehmen müssen. Es ist erfahrungsgemäß häufig, dass sich Bekannte und Familienmitglieder vom Demenzkranken und damit auch von der Hauptpflegeperson zurückziehen: Die Verhaltensweisen des Erkrankten verunsichern oder machen sie wütend, schüren Angst vor dem eigenen Alterungsprozess und führen einen unaufhaltsamen Zerfall geistiger und körperliche r Funktionen vor Augen. Eine natürliche Verkleinerung des sozialen Netzes durch den Tod von Angehörigen und Freunden oder ein Nachlassen der eigenen Gesundheit ist zweifellos ein Risiko des höheren Lebensalters, was den Pflegenden durchaus bewusst ist. Als schmerzhaft empfanden die Befragten aber die Tatsache, dass sich ihr soziales Netz aufgrund der Demenzerkrankung verkleinerte oder sogar 133 wegbrach und nach einiger Zeit der Pflege zum Teil nur noch aus dem behandelnden Arzt und Ansprechpartnern vom Pflege- oder Mahlzeitendienst bestand: „Kontakte - habe ich nur noch einmal monatlich zum Max-PlanckInstitut hier, wenn mein Mann zur Untersuchung muss. Und jetzt eben zu Ihnen. Aber Freunde? Früher hatten wir viele Kontakte, aber wirkliche Freunde waren wohl keine dabei, das merke ich ja jetzt…“ (aus dem Protokoll des Erstgespräches mit einer Angehörigen). Die Auswirkungen der Demenz nehmen der Angehörigen also nicht nur die Zeit, sich mit Freunden zu treffen, sondern die sozialen Kontakte an sich. Letzteres lässt sich durch eine stundenweise Unterstützung nicht verhindern. Aber vielleicht kann die Gefahr, in eine soziale Isolation zu geraten, durch frühes Einsetzen einer stundenweisen Entlastung eingeschränkt werden. Diese Vermutung kann durch die vorliegenden Ergebnisse weder bestätigt noch verworfen werden. Nur drei Befragte haben vor kurzer Zeit (vor etwas weniger als einem Jahr) die Pflege und Betreuung übernommen. Diese drei hatten noch Kontakte zum Freundeskreis und es gelang ihnen wie fünf anderen auch, während der Unterstützungsbesuche ihre Kontakte zum Freundeskreis zu intensivieren bzw. in einem befriedigenden Maß aufrecht zu erhalten. In der freien Zeit Sport zu treiben hatten sich sechs Pflegende vorgenommen. Sie wollten sich in erster Linie „auspowern“ und einen klaren Kopf bekommen. Zwei der sechs konnten sich nur sehr sporadisch zum Joggen oder Walken aufraffen. Sie vertrauten den Helferinnen ihre Schwierigkeiten an, sich nach der langen pflegebedingten Sport-Pause draußen sportlich zu betätigen. Ihr Selbstbild vom aktiven-dynamischen älteren Menschen hatte gelitten, ihr Selbstwertgefühl beim ersten Versuch im Park zu walken einen Dämpfer erhalten: Kondition und Figur und damit die gesamte Beweglichkeit hatten sich durch die zwangsläufige Sport-Abstinenz deutlich verändert. Kontinuierlich diesem für den Einzelnen wichtigen Merkmal von Lebensqualität nachgehen und für sich entscheiden zu können, ob sie regelmäßig Sport treiben oder nicht ist neben der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte ein weiteres Argument für ein frühes Einsetzen stundenweiser Unterstützung. 134 „Zeit für die Familie“ zu haben betonten sechs Pflegende als wichtigen Faktor an. Alle sechs bestätigten nach zwölf Unterstützungsbesuchen, die freie Zeit gewinnbringend genutzt zu haben. Die familiäre Bindung an bzw. das Verantwortungsgefühl für einen Demenzerkrankten und die pflegende Angehörige scheint fester zu sein, als eine freundschaftliche. Zu diesem Schluss führen zwei Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung: zum einen die Tatsache, dass alle Pflegenden, denen Kontakt zur Familie wichtig war, in dieser Hinsicht ihre Lebensqualität verbessern konnten. Das bedeutet: Alle Angehörigen hatten Ansprechpartner innerhalb der Familie, mit denen sie die freie Zeit in gewünschter Weise verbringen konnten und von denen sie gegebenenfalls psychische Unterstützung erhielten. Zum anderen zeigt ein Blick auf die eingangs dargestellten Charakteristika der Stichprobe, dass vierzehn Pflegende praktische Unterstützung durch die Familie aber nur zwei Hilfe aus dem Freundeskreis erfuhren. Bezüglich der personellen Entlastung der Hauptpflegeperson zeigt die MUGSLA-Studie ein ähnliches Ergebnis: In der Erhebung gaben rund 80% der Pflegenden an, von Familienmitgliedern psychisch unterstützt zu werden, von Freunden nur 9,4%. In welchem Maße die Studienteilnehmer praktische Unterstützung von der Familie erhielten, geht aus den im Jahrbuch der Medizinischen Psychologie von 1998 veröffentlichten Erhebungsergebnissen nicht hervor. Beide Studien, die repräsentative von Halsig und die hier durchgeführte zeigen einen deutlich höheren Umfang der Unterstützung aus dem Familien- als aus dem Freundeskreis auf. Insgesamt hatten sechs Angehörige „Stadtbummel und Kultur“ als Merkmal hervorgehoben. entsprechend Fünf der sechs konnten nutzen und neben einem die Unterstützungsbesuche Einkaufsbummel auch noch Kirchenführungen oder Konzerte besuchen. Eine Angehörige schätzte ihre diesbezügliche Lebensqualität nach zwölf Unterstützungsbesuchen nicht höher ein; ihre Prioritäten hatten sich gesundheitsbedingt verschoben: sie hatte einige Zeit im Krankenhaus gelegen und nutzte die Besuche der Helferin nun, um zu 135 schlafen oder sich Fernsehübertragungen von Konzerten oder Gottesdiensten anzusehen. Sei es durch Sport, Kontakte zu Freunden oder Familie oder auch durch einen Stadtbummel und kulturelle Erlebnisse, Unterhaltung und Abwechslung vom Betreuungsalltag suchten fast alle Angehörigen – und fanden sie auch fast immer. Das sagt die bisherige Aufschlüsselung der einzelnen Aspekte vo n Lebensqualität aus. „Unterhaltung und Abwechslung“ als eigenes, nicht weiter spezifiziertes Merkmal hatte n sich vier Angehörige gewünscht. Alle vier berichtete, während der zwölf Besuche, nach denen die Veränderungen der einzelnen Aspekte ausgewertet wurden, durch „Unterhaltung und Abwechslung“ wohltuende Stunden verbracht zu haben. Ein Merkmal, das von fünf Angehörigen genannt worden war, schert etwas aus der Reihe der bisher aufgezählten Gesichtspunkte für Lebensqualität aus. Während bisher „Freizeit-“ und „Gemeinschaftsaktivitäten“ im Vordergrund standen, nannten fünf Pflegende „Haushalt und Einkaufen“. Alle fünf konnten die Unterstützungsbesuche in dieser Weise gewinnbringend für sich nutzen. „Rückzugsmöglichkeiten“ zu haben, war der zweite Aspekt, der nicht im Zusammenhang mit Gemeinschaft oder Ausbruch aus der erlebten häuslichen Isolation einherging . Drei Pflegende hatten sie sich gewünscht, zwei Pflegende hatten die freie Zeit entsprechend genutzt. Außerdem die Angehörige, die krankheitsbedingt keinen Stadtbummel unternehmen konnte . Eine pflegende Angehörige zog sich zunächst während der Unterstützungsbesuche mit einem Buch zurück. Mit der Krankheitsprogression ging bei ihrem Mann eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere verbaler Aggressionen einher. Die Aggressionen richteten sich scheinbar ziellos gegen jeden, so auch gegen die Helferin und die Ehefrau selbst. Dadurch war jegliche Entspannung unmöglich. Die Befürchtung, nicht entspannen zu können, hatten einige Pflegende beim Erstgespräch. Sie waren unsicher, ob der Demenzkranke sie gehen lassen und wie er sich in ihrer Abwesenheit verhalten würde. So jedenfalls begründeten sie ihre anfängliche Zurückhaltung. Im Gespräch ergaben sich oft weitere Unsicherheiten, die eher in der Person der Angehörigen oder der 136 Beziehungsgeschichte lagen, als im (erwarteten oder befürchteten) Verhalten des Kranken: „Lebensqualität? Mein Mann war meine Lebensqualität – was soll ich denn ohne ihn Schönes machen, ich habe seit 52 Jahren nichts ohne ihn gemacht! Da kann ich ihn doch nicht allein lassen!“ (Aus dem Protokoll eines Erstgespräches). Der Gedanke, nicht ununterbrochen für den Kranken zu sorgen, machte sie unsicher. Es war aber in keiner Weise das Ziel der stundenweisen Unterstützung, den Angehörigen die „Fürsorge“ zu nehmen – lediglich die Sorge um den Kranken, hofften wir, ihnen für einige Stunden abnehmen zu können. Wie wichtig die Entlastung von der Sorge war, zeigte sich, als zehn Pflegende „unbesorgt sein“ als für sie zur Lebensqualität gehörend nannten. „Ungehetzt sein“ hatte den gleichen Stellenwert. Zwei Komponenten, die einander in der Betreuungssituation bedingten: Gehetzt waren die Angehörigen aus Sorge um den Kranken, wenn sie notwendige Erledigungen machten und den Kranken deshalb alleine lassen mussten. Allerdings hing „ungehetzt“ und „unbesorgt“ sein nicht nur von der Tatsache ab, dass der Kranke nicht allein war, sondern von einer geschulten Kraft betreut wurde und sie sich, rein kognitiv betrachtet, weder hetzen noch sorgen mussten. Den Kranken gedanklich loslassen zu können und offen zu sein für Abwechslung ist Übungssache. Beispielsweise war die Stimmung des Kranken beim nach Hause kommen der Angehörigen, bzw. seine Freude oder Unzufriedenheit auf die Nachricht eines Unterstützungsbesuches zwei Parameter. Die Zuverlässigkeit und der persönliche Eindruck von der Helferin zwei weitere, aus denen die Angehörigen „schlossen“, ob sie sich sorgen müssten oder nicht. Neun von zehn Hauptpflegepersonen ließen wissen, während der Besuche unbesorgt und ungehetzt gewesen zu sein, was ihnen sehr gut getan hatte. Eine stundenweise Unterstützung, wie die hier ausgewertete, mit geschulten und durch Reflexionstreffen begleiteten Helferinnen sowie der ständigen Möglichkeit, eine Fachkraft zu Rate zu ziehen, kann den Angehörigen für einige Stunden die Sorge um den Kranken nehmen. Die „Chemie“ zwischen der Helferin, der Angehörigen und dem Demenzkranken kann zwar nicht sicher vorhergesagt werden, aber durch eine Vorabauswahl der Helferinnen, die 137 geschult werden und sorgfältiges Zuordnen der Helferin zu „ihrer“ Familie durchaus beeinflusst werden. Passend zu den emotionalen Aspekten „nicht gehetzt“ und „unbesorgt“ gewesen zu sein ist das Ergebnis, dass vierzehn der zwanzig Pflegenden „immer“ oder „meistens“ während der Unterstützungsbesuche Kraft schöpfen konnten. Vier weiteren gelang es manchmal – nur zweien von zwanzig sehr selten oder nie. Diese Angaben unterstreichen die Gültigkeit der zu verschiedenen Zeitpunkten erhobenen subjektiv empfundenen Lebensqualität. Aus den beiden für die Prüfung dieser Hypothese relevanten Erhebungszeitpunkten (vor dem ersten Unterstützungsbesuch und nach dem zwölften) ergab sich, wie erwähnt, bei achtzehn von zwanzig Befragten eine Steigerung – diese achtzehn Befragte n gaben in der Abschlussbefragung (nach sechsmonatiger Intervention durch die stundenweise Entlastung) an, sie hätten immer, meisten oder zumindest manchmal Kraft sammeln können. Ein abschließender Blick auf Abb. 16 („Aspekte von Lebensqualität und ihre Veränderungen“, Seite 119) zeigt noch einmal, dass bei jedem individuellen Aspekt von Lebensqualität eine Steigerung erreicht werden konnte. Einzelne Schwierigkeiten, die bei jenen Merkmalen eine Rolle spielen können, bei denen nicht alle Angehörigen eine Steigerung der Lebensqualität angaben, wurden aufgezählt und diskutiert. Durch die Möglichkeit, „Zeit für sich zu haben“ entwickelten sich Lebensqualität allgemein oder einzelne Aspekte in gewünschter Richtung. Einige der genannten individuellen Faktoren für Lebensqualität lassen sich unter die von Ryff vorgeschlagenen zentralen Dimensionen subjektiven Wohlbefindens Wachstum, ordnen: positive „Autonomie, Beziehungen Alltagsbewältigung, zu anderen, menschliches Lebenssinn und Selbstakzeptanz“ (Ryff in Mayer&Baltes; 1996; 504). So können Freizeit und Rückzugsmöglichkeiten als Indikatoren für Autonomie bzw. autonome Entscheidungsmöglichkeiten über das eigene Tun gewertet werden. Die von Ryff genannten positiven Beziehungen zu anderen werden durch freie Zeit ermöglicht: Kontakte zur Familie und zu Freunden sind, wenn sie von den 138 Pflegenden als Aspekte von Lebensqualität angesehen werden, als förderlich für das subjektive Wohlbefinden anzusehen. Sport als Merkmal für Lebensqualität spiegelte einen Aspekt wider, der die Selbstakzeptanz einer Person stützen oder stärken konnte, die Möglichkeit, den Haushalt und Einkäufe während der stundenweisen Unterstützung zu erledigen, waren praktische Hilfen, die in die Kategorie Alltagsbewältigung passten. Die Dimensionen Lebenssinn und menschliches Wachstum fanden in den genannten Einzelaspekten Entsprechungen. von Lebensqualität keine passenden Daten, inwiefern die Pflegenden in der Betreuung des Demenzkranken ihren Lebenssinn sehen, liegen nicht vor, lediglich die Antworten auf eine Frage im Fragebogen zur Lebensorientierung von Antonovsky gestatten hierzu eine grobe Orientierung: „Wie oft haben Sie das Gefühl, dass die Dinge, die Sie täglich tun wenig Sinn machen?“ lautet die Frage. Es gab folgende Antwortmöglichkeiten: sehr oft 1 2 3 4 5 6 7 sehr selten Neun der zwanzig Hauptpflegepersonen antworte ten mit den Ziffern „6“ oder „7“, sahen also nur sehr selten wenig Sinn in ihrer täglichen Pflege- und Betreuungsarbeit. Drei Pflegende gaben die Werte „1“ oder „2“ an, sie stelle n für sich den Sinn ihrer Betreuungsarbeit in Frage. Ob und inwiefern die pflegenden Angehörigen in ihrem jetzigen Lebensabschnitt der Pflege und Betreuung menschliches Wachstum erfuhren, darüber konnten noch weniger Rückschlüsse gezogen werden, als über die Dimension „Lebenssinn“. Lediglich vereinzelte Aussagen der pflegenden Angehörigen über Reaktionen des Kranken, die sie Kraft aus der Pflegebeziehung schöpfen ließen, könnten als Andeutungen in dieser Richtung interpretiert werden. Anerkennung vom Kranken durch ein Lächeln oder manchmal auch durch Worte zu erfahren oder die Erzählung einer Angehörigen, ihr Mann antworte auf die Frage nach seinem Befinden hin und wieder „danke, ich bin zufrieden“ sind Hinweise auf eine tiefergehende Beziehung und Kommunikation, in der menschliches Wachstum möglich sein kann. Zur Beeinflussung der Lebensqualität spielen sicherlich auch nicht einzeln isolierbare bzw. kategorisierbare Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise die 139 Grundhaltung der Pflegenden. Die in dieser Arbeit dazu ausgeführten Theorien, nämlich der top-down- sowie der bottom-up-Ansatz, sollen an dieser Stelle noch einmal kurz ins Gedächtnis gerufen werden, um die dargestellten Auswirkungen einer stundenweisen einordnen zu Unterstützung können: Die vor zwei theoretischen bottom-up-Theorie verweist Annahmen darauf, dass Lebenszufriedenheit die Summe aller Erfahrungen ist. Als unmittelbare Folge angenehmer und unangenehmer Erfahrungen und Interaktionen steigt das subjektive Wohlbefinden oder es sinkt ab. Die Top-down-Theorie geht dagegen von stabilen Grundhaltungen der Menschen aus, die sie dazu prädisponieren, Erfahrungen und Interaktionen in einer bestimmten emotionalen Färbung wahrzunehmen und zu verarbeiten. Interessanterweise spricht die Veränderung der Lebensqualität innerhalb des kurzen Zeitraums von zwölf Unterstützungsbesuchen für beide Theorien gleichermaßen: Die Unterstützungsbesuche wurden von Beginn an positiv bewertet und erlebt, die Angehörigen nahmen die ersten Unterstützungsbesuche zum Teil zwar unsicher, aber in positiver Erwartung an – und bewerteten sie entsprechend. Diese positive Bewertung scheint unmittelbar in ihr Empfinden der subjektiven Lebensqualität einzufließen (Kapitel 7.3 „Ergebnisse von Hypothese 2“ ab Seite 139), anders lässt sich die faktische Steigerung der Lebensqualität der Pflegenden während weniger Unterstützungsbesuche theoretisch nicht untermauern. Bisher liegen keine weiteren Studien vor, die so detailliert die Auswirkungen einer stundenweisen Unterstützung auf die sub jektiv empfundene Lebensqualität von pflegenden Angehörigen Demenzerkrankter untersuchten. Deshalb konnten Verallgemeinerungen nur aufgrund einzelner Übereinstimmungen mit den Erkenntnissen anderer Studien mit einer ähnlichen Zielgruppe vollzogen werden. Die herangezogenen Vergleichsstudien untersuchten die Belastungsarten von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz. Der direkte Vergleich der jeweiligen Stichproben mit der hier untersuchten ergab eine Vielzahl von Übereinstimmungen insbesondere im Hinblick auf die jeweils ermittelte qualitative bzw. quantitative Hauptbelastung - die mangelnde Zeit. 140 Halsig formuliert in seiner Studie: Zur Belastungsreduktion wäre es notwendig, „der Hauptpflegeperson die Möglichkeit zu geben, bestimmte Zeiträume des Tages für ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen nutzen zu können“ (Halsig in Kruse; 1998; 224). Er nimmt an, dass sich neben einer Entspannung des häuslichen Angebundenseins auch die Perspektive der Pflegenden verändern könnte: Indem zeitliche Freiräume geschaffen werden, könnten die Pflegenden die Einstellung gewinnen, wieder eigene Gestaltungsmöglichkeiten in ihrem Tagesablauf zu haben (Halsig in Kruse; 1998; 224). Seine Annahme kann bestätigt werden, auch wenn seine Forderung, täglich Freiräume zu schaffen nicht erfüllt werden konnte. Vielmehr zeigen die Ergebnisse: Eine stundenweise Unterstützung, die etwas Freiraum in der Planung des Wochenablaufs ermöglicht, gibt der Angehörigen die Möglichkeit, sporadisch Termine wahrzunehmen; ihre Lebensqualität kann damit in gewünschter Richtung beeinflusst werden. 7.3 Ergebnisse von Hypothese 2 H2: In der Zeitspanne von vor dem ersten bis nach dem vierten Tandem – Besuch nimmt die Lebensqualität der pflegenden Angehörigen zu. Die pflegenden Angehörigen benötigen kurzfristig wirksame Entlastung . Ihr zumeist fortgeschrittenes Alter und die Krankheitsprogression, die die objektive Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit des Demenzkranken im Laufe der Zeit erhöht, lassen ihnen nicht die Zeit, sich nur auf langsam eintretende Entlastungseffekte zu verlassen. Eine niedrigschwellige Dienstleistung wie die stundenweise Unterstützung in der eigenen Häuslichkeit soll kurzfristig Entlastung schaffen, um als Nebeneffekt evtl. die Bereitschaft, ein höherschwelliges Angebot in Anspruch zu nehmen, zu fördern. Die meisten pflegenden Angehörigen entschieden sich, die stundenweise Unterstützung ungefähr einmal wöchentlich in Anspruch zu nehmen. Innerhalb eines Monats sollten für die Angehörigen spürbare Entlastungseffekte eingetreten sein; die Lebensqualität sollte der Annahme zufolge bis zum vierten Entlastungsbesuch bereits gestiegen sein. 141 Operationalisiert wurde diese Hypothese wieder durch eine Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungsverfahren. Die Ergebnisse werden hier in erster Linie beschreibend dargestellt. Einschätzung der Lebensqualität nach 4 Besuchen im Vergleich zur Lebensqualität vor der stundenweisen Unterstützung 20 18 16 Befragte 14 12 10 8 6 4 2 0 Steigerung LQ Abb. 20 Einschätzung keine Steigerung der Lebensqualität nach vier Unterstützungsbesuchen Nach vier Unterstützungsbesuchen gaben achtzehn der pflegenden Angehörigen eine Steigerung ihrer Lebensqualität an. Zwei äußerten zu diesem Zeitpunkt keine Veränderung ihres Befindens . 142 Ergebnis der Rating-Skalen: Entwicklung der Lebensqualität der einzelnen Pflegenden 3 2 Wert 1 0 LQ 1 LQ 2 -1 -2 -3 -4 Messzeitpunkt A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T Abb. 21 Ergebnis der Rating-Skalen nach 4 Besuchen Legende: Messzeitpunkt LQ 1: vor dem ersten Unterstützungsbesuch Messzeitpunkt LQ 2: nach vier Unterstützungsbesuchen Definition der Werte: -3 sehr niedrige Lebensqualität -2 niedrige Lebensqualität -1 tendenziell eher niedrige Lebensqualität 1 tendenziell eher hohe Lebensqualität 2 hohe Lebensqualität 3 sehr hohe Lebensqualität 143 Die Lebensqualität vo n drei Viertel der pflegenden Angehörigen ist bis zum Erhebungszeitpunkt LQ 2 nach vier Unterstützungsbesuchen um einen Lebensqualitätspunkt gestiegen. Zwei Angehörige verspürten eine Steigerung um zwei Punkte, eine Angehörige um drei Punkte. Keine Angehörige hatte den Eindruck, die Lebensqualität sei in diesem Zeitraum gesunken. Aus der Datentabelle (Kapitel 10.4; Seite 181) zu Abbildung 21 („Ergebnis der Rating -Skalen nach vier Besuchen“; 141) ergibt sich darüber hinaus folgendes Ergebnis zur Qualität der Steigerung: Veränderung der Lebensqualität 14 12 10 8 bis einschl. 4. Besuch 6 4 2 0 LQ von negativem Bereich zu positivem Bereich gesteigert im positiven Bereich gesteigert LQ gesteigert LQ nicht aber im Bereich gesteigert aber negativer Werte Besuche als angenehm empfunden LQ nicht gesteigert und freie Zeit nicht als angenehm empfunden Abb. 22 Veränderung der Lebensqualität nach vier Besuchen Zwölf der achtzehn Angehörigen, deren Lebensqualität im relevanten Zeitraum stieg, nannten eine Steigerung im Bereich der negativ codierten Werte; ihre 144 Lebensqualität hatte sich von „sehr niedrig“ oder „niedrig“ maximal zu einer „tendenziell eher niedrigen Lebensqualität“ gesteigert. Vier Angehörige dagegen gaben nach dem vierten Besuch an, die Tendenz ihrer Lebensqualität insgesamt habe eine Wendung genommen: Drei entschieden sich nach einer „tendenziell eher niedrigen Lebensqualität“ (-1) zum Befragungszeitpunkt LQ 1 nun dazu, ihre Lebensqualität als „tendenziell eher hoch“ (1) anzugeben. Die subjektiv empfundene Lebensqualität einer Angehörigen sprang von -3 auf 1. Zwei weitere Angehörige steigerten sich im Bereich der positiv codierten Werte. Sie hatten ihre Lebensqualität vor den Entlastungsbesuchen mit dem Wert 1 angegeben, nach vier Besuchen mit dem Wert 2, damit beschrieben sie eine hohe Lebensqualität. Der Median der Entwicklung ist Abb. 11 („Median der Entwicklung der Lebensqualität“, Seite 110) zu entnehmen, er stieg von -2,5 zum Befragungszeitpunkt LQ 1 auf -1 nach vier Unterstützungsbesuchen. Das statistische Testverfahren nach Wilcoxon ergibt für die zu prüfende Annahme folgendes: Analog zu Hypothese 1 wurde hier die Entwicklung der Lebensqualität zwischen den Befragungszeitpunkten geprüft. Relevant für die jetzt zu prüfende Hypothese sind die Befragungszeitpunkte LQ 1und LQ 2. Keine der Befragten gab ein Sinken der Lebensqualität zwischen den Befragungszeitpunkten LQ 1 und LQ 2, folglich ist die Testgröße R=0. Da sich die Lebensqualität von zwei Angehörigen im relevanten Zeitraum nicht veränderte, konnten bei ihren Angaben keine Differenzwerte errechnet werden. Somit ist N bei dieser Signifikanztestung =18. Der Vergleich der Testgröße mit dem kritischen Wert aus der Tabelle der kritischen Werte für den Wilcoxon-Test zeigt: Tabelle 5 Irrtumswahrscheinlichkeit alpha bei zweiseitiger Fragestellung N 0,1 0,05 0,02 0,01 18 47 40 32 27 145 Da die Testgröße R=0 und das Ergebnis R=27 laut Tabelle höchst signifikant ist, ist das Ergebnis höchst signifikant. Die Lebensqualität der Hauptpflegepersonen stieg bis zum Befragungszeitpunkt LQ 2 an. Dieses Ergebnis wurde um einen Aspekt erweitert: Von welchem Zeitpunkt an empfand die Pflegende die freie Zeit als angenehm? Hintergrund der Frage war die Erfahrung, dass Angehörige im Erstgespräch sagten, sie würden die stundenweise Unterstützung zwar ausprobieren, könnten sich aber nicht vorstellen, die Zeit genießen zu können; eigentlich nähmen sie die Unterstützung nur aus Vernunft an, weil der Kranke etwas Abwechslung brauche. Da es lediglich ein zweitrangiges Ziel der stundenweisen Unterstützung war, dem Kranken Abwechslung und Anregung zu bieten, vielmehr die Angehörigen selbst primäre Zielgruppe waren, wurde ermittelt, ob es ihnen gelang, die freie Zeit doch als angenehm zu empfinden. Der Stichprobenumfang verringert sich für diese Frage um eine Angehörige auf N=19. Die zwanzigste Pflegende verbrachte die Besuchszeit stets gemeinsam mit ihrem Mann und der Helferin. Sie empfand das zwar als angenehm , aber nicht als „freie Zeit“. Ihre Angabe ist daher in diesem Zusammenhang nicht mit denen der neunzehn anderen Pflegenden zu vergleichen, die den Begriffen „Freizeit“ oder „freie Zeit“ durch die stundenweise Unterstützung zustimmten bzw. selbst so nannten und die Zeit wenigstens teilweise ohne den Kranken verbrachten. Für N=19 ergibt sich diese Grafik: 146 Angenehme Freizeit 14 Befragte (N=19) 12 10 8 6 4 2 0 1./2. Besuch 3./4. Besuch 5./6. Besuch später bis heute nicht Zeitpunkt, ab dem freie Zeit als angenehm empfunden wurde Abb. 23 Angenehme Freizeit Dreizehn Pflegende erlebten die ihnen ermöglichte freie Zeit vom ersten oder zweiten Unterstützungsbesuch an als wohltuend , weitere fünf ab dem dritten oder vierten Also nahmen achtzehn pflegende Angehörige die freie Zeit als angenehm wahr. Eine Angehörige gab an, die Zeit der stundenweisen Unterstützung „bis heute“ (Zeitpunkt der Abschlussbefragung; sechs Monate nach Beginn der Entlastungsbesuche) nicht als Annehmlichkeit empfunden zu haben. Wird der Entwicklungsgrad der Lebensqualität mit dem ersten Zeitpunkt des Angenehmempfindens in Beziehung gesetzt, ergibt sich dieses Schaubild: 147 Überblick: als angenehm empfundene freie Zeit & Entwicklung der Lebensqualität bis nach dem 4. Unterstützungsbesuch 12 Befragte (N=19) 10 8 1 LQ- Punkt Steigerung 2 LQ-Punkte Steigerung 6 3 LQ- Punkte Steigerung keine Steigerung 4 2 0 1./2. Besuch 3./4. Besuch 5./6. Besuch später bis heute nicht Die freie Zeit wurde als angenehm empfunden ab dem... Abb. 24 Überblick: Angenehme Freizeit & Steigerung der Lebensqualität Im Untersuchungszeitraum war bei siebzehn Pflegenden, die die freie Zeit als angenehm empfanden, eine Steigerung der Lebensqualität festzustellen. Die Mehrheit von vierzehn Angehörigen erfuhr eine Steigerung von einem Punkt auf der Rating-Skala, zwei Pflegende gaben eine Steigerung von zwei Punkten an und eine pflegende Angehörige ließ von drei Punkten Steigerung wissen. Der Blick auf die Abbildung zeigt, dass elf Pflegende, deren Lebensqualität im Zeitraum bis einschließlich zum vierten Unterstützungsbesuch um einen Punkt gestiegen war, die freie Zeit vom ersten oder zweiten Besuch an als angenehm empfanden. Jeweils eine Angehörige gab an, die freie Zeit bei einer Steigerung der Lebensqualität von zwei oder drei Punkten im relevanten Zeitraum, gleich wohltuend gefunden zu haben. 148 7.4 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 2 Innerhalb der ersten vier Unterstützungseinsätze wurde bei einer signifikanten Anzahl von Befragten ein Anstieg der Lebensqualität erreicht. Da es sich bei der Prüfung dieser Hypothese um die selbe Auswahl von pflegenden Angehörigen handelt wie bei Hypothese 1 wird die Stichprobe hier nicht erneut auf ihre charakteristischen Kennzeichen hin untersucht und die Verallgemeinerbarkeit der Stichprobenmerkmale nicht noch einmal diskutiert. Die diesbezüglichen Parallelen zu den Studien von Gräßel (in Reichert; 2000; 3f), Halsig (in Kruse; 1998; 213f) und Klingenberg et al. (2001) wurden bereits aufgezeigt. Die Ergebnisse der Hypothesenprüfung unterstreichen die Effekte einer stundenweisen Unterstützung wie der hier evaluierten: Die Lebensqualität der Pflegenden stieg nicht nur an, sondern sie erhöhte sich gleich zu Beginn der Intervention in besonderem Maße . Abb. 10, „Ergebnis der Rating-Skalen“ (Seite 109) zeigt den Anstieg um ein bis drei Punkte. Offenbar litt die Lebensqualität der Pflegenden derart unter der fehlenden freien Zeit, dass die Tatsache, einige Stunden für sich zu haben sofort Auswirkungen hatte. Das unterstreicht das in den Ergebnissen zu Hypothese 1 offensichtlich gewordene Faktum : Der Wunsch nach freier Zeit sei der kleinste gemeinsame Nenner unter den genannten, die Lebensqualität beeinflussenden Aspekten. Interessant ist dieses Ergebnis, da es eine Wendung aufzeigt, die nicht unbedingt zu erwarten war: Hatten doch einige Angehörige zunächst angegeben, sie nähmen die Unterstützungsbesuche nur als Abwechslung für den Kranken an – ob sie mit der freien Zeit etwas anzufangen wüssten, war unklar. Es zeigte sich aber, dass die freie Zeit sehr schnell als angenehm empfunden wurde und sich in gewünschter Richtung auswirkte. Aus der dargestellten Verknüpfung von Lebensqualität und als angenehm empfundener Freizeit lässt sich eine (unbewusst verspür te) Bedürfnisrangfolge ableiten: Das Bedürfnis nach Zeit, die ohne den Demenzerkrankten verbracht wurde, hatte einen höheren Stellenwert, als die mögliche Sorge, den Kranken mit einer für beide relativ fremden Betreuungsperson allein zu lassen. Die Angehörigen stellten den eigenen Wunsch über die einer Fremdbetreuung evtl. entgegenstehenden Bedürfnisse des Demenzkranken. Sie waren in der Lage, die Sorge um den 149 Kranken mit der Sorge um sich selbst zu verknüpfen, da ihnen bewusst war, welchen Anteil ihre Pflegefähigkeit auf die häusliche Pflegekonstellation hat: nämlich den entscheidenden. Eine so gesunde Ich-Bezogenheit der Angehörigen mochte durch die Art der Unterstützung bedingt sein: Nur Angehörige, für die es vorstellbar war, die Betreuung kurzfristig einer anderen Person zu überlassen, wurden durch das Konzept angesprochen. Angehörige, für die ein zeitweises Abgeben der Pflegeaufgabe unvorstellbar war, meldeten sich nicht oder zogen sich zurück, nachdem sie genauer über das Projekt und sein Ziel unterrichtet worden waren. Auf diese konzeptbedingte Angehörigenselektion lässt sich auch zurückführen, dass alle Angehörigen die freie Zeit auf ihre individuelle Art für sich nutzen konnten. Das unterscheidet die hier untersuchte Stichprobe möglicherweise von den Klienten anderer niedrigschwelliger Unterstützungen wie beispielsweise einer Angehörigengesprächsgruppe. So beschreiben Wilz et al. (in Kruse; 1998; 232-250) Erfahrungen aus der Leipziger Studie, denen zufolge Pflegende nicht immer die ihnen ermöglichte freie Zeit als entlastend empfanden, sondern die traurige Erfahrung gemacht hätten, die freie Zeit, die sie sich „immer wieder erträumt hatten“ nicht für sich hätten nutzen können. Eine einzige Pflegende fragte sich in der hier untersuchten Stichprobe über den gesamten Befragungszeitraum hinweg, ob sie die Entlastungsbesuche genießen „dürfe“. Diese Frage stellte sie sich jedoch nicht aus Sorge um den Demenzkranken oder schlechtem Gewissen weil sie die Zeit für sich nutze, sondern aus religiösen Gründen. Das eindeutige Ergebnis bestätigt die Annahme, dass eine stundenweise Unterstützung wie die hier untersuchte, schnell und effektiv Entlastung bringt. Aufgrund des zumeist fortgeschrittenen Alters der Nutzerinnen und des späten Zeitpunktes, zu dem in der Regel Unterstützung gesucht wird, ist dieses Ergebnis äußerst relevant: Eine rasche Steigerung der Lebensqualität der Pflegenden, die stützende bzw. stabilisierende Auswirkungen auf ihre Pflegefähigkeit und damit auf die möglicherweise von der Solidargemeinschaft zu tragenden Pflege- und ggf. Unterbringungskosten hat, kann auf kostengünstige und niedrigschwellige Weise erreicht werden. 150 Die unmittelbar mit Einsatz der Entlastungsbesuche beginnende Steigerung der Lebensqualität birgt zweierlei Chancen: Zum einen bietet sie Pflegenden, deren erkrankte Angehörige mobilitätsbedingt keine Tagespflege, Betreuungsgruppe o.Ä. mehr besuchen können, eine Möglichkeit, etwas freie Zeit zu haben. Diese Gruppe hat häufig bereits einige Angebote insbesondere im teilstationären Bereich abbrechen müssen und knüpft so eine letzte Hoffnung an die stundenweise häusliche Unterstützung. Für diese leidgeprüften Angehörigen muss der Entlastungseffekt schnell eintreten, damit sie nicht resignieren. Zum anderen werden mit einem solchen Konzept auch Angehörige angesprochen, die noch keine weiteren Hilfen in Anspruch nehmen. Für sie kann der Zugang zu weiteren ambulanten aber auch teilstationären und stationären Unterstützungen erleichtert werden, da sie durch Tandem Kontakt knüpfen und Vertrauen zu den Akteuren des Hilfesystems fassen können – ohne eine n frustrierenden Telefonmarathon auf der Suche nach Informationen und Unterstützung durchlaufen zu müssen. Die Hypothesen 1 und 2 werden also bestätigt. Unter der Voraussetzung, dass eine stundenweise Unterstützung mit einem vergleichbaren Konzept wie das Projekt „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ arbeitet, kann man die formulierten Annahmen, die subjektiv empfundene Unterstützung Lebensqualität und das der Pflegenden bereits nach steige vier bei stundenweiser Entlastungsbesuchen, verallgemeinern. Wird ein Konzept wie das hier vorgestellte umgesetzt, kann davon ausgegangen werden, dass ein ähnliches Klientel, wie das der untersuchte n Stichprobe, unterstützt wird. Eine gewissenhafte Auswahl geeigneter Helferinnen, ihre Schulung und die sorgfältige Zuordnung der Helferinnen zu den Familien, regelmäßige Reflexionen sowie Weiterqualifizierungen für die Helferinnen und bei Bedarf Unterstützung für alle Beteiligten sind die Grundpfeiler eines solchen Angebotes. Ich halte es zumindest im urbanen Bereich für umsetzbar und die hier gemachten Erfahrungen für allgemein gültig: Wird Angehörigen durch den Einsatz geschulter Freiwilliger etwas freie Zeit geschaffen, die es ihnen ermöglicht, einige Stunden ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen, statt sie dem 151 Rhythmus der Pflege zu unterwerfen, wirkt sich das nach kurzer Zeit merklich auf ihre Lebensqualität aus. Die konkrete stundenweise Entlastung, gepaart mit Informationsabenden, Beratung und Vermittlung an andere Dienste sind die Charakteristika des Konzeptes. Ob die Angebote, die über die Unterstützungsbesuche hinausgehen von den Pflegenden angenommen und für sinnvoll erachtet werden, untersucht die folgende Hypothese. 7.5 Ergebnisse von Hypothese 3 H3: Pflegende Angehörige geben an, über den konkreten Unterstützungseinsatz hinaus einen Nutzen von ihrer Anbindung an Tandem zu haben. Zusätzlich zur Schulung, Vermittlung und Begleitung von Helferinnen, die pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz stundenweise entlasten, sieht das Konzept des Projektes Tandem weitere Hilfestellungen vor: Während des telefonischen und persönlichen Erstkontaktes wurde dem Gesprächsverlauf entsprechend Beratung zu allen sich stellenden Fragen angeboten. Kristallisierte sich in diesen Gesprächen ein Interesse der Pflegenden an einem weiteren Dienst oder Informationen über ein ergänzendes Unterstützungsangebot heraus, wurden ihr Informationsmaterialien zugesandt und die zuständige Seniorenberaterin oder direkt die betreffenden Spezialdienste einbezogen. Die angebotenen Informationsabende waren speziell an den Interessen der Pflegenden ausgerichtete 2-stündige Abendveranstaltungen zu Themen wie „Integrative Validation“, „Vorsorgevollmachten“ oder „Symbole & Sterben“. Die Abende waren immer so datiert, dass alle Helferinnen Zeit hatten, „ihren“ Demenzkranken zu Hause zu betreuen, während die Angehörige an dem Infoabend teilnahm. 152 Untersucht wurde, wie viele Angehörige aus wie vielen Angeboten für sich einen Nutzen ziehen. Anzahl der Nennungen (Mehfachnennugen möglich) Die pflegenden Angehörigen profitieren über den konkreten Unterstützungseinsatz hinaus von... 14 12 10 8 6 4 2 0 Beratung Infoabenden Vermittlung Abb. 25 Angehörige profitieren von… Dreizehn pflegende Angehörige gaben an, einen Nutzen aus der Beratung im Erstgespräch oder einem der folgenden Telefonate bzw. Hausbesuche gezogen zu haben, vier hatten von der direkten Vermittlung an einen weiteren Unterstützungsdienst profitiert. Interessanterweise interpretierten nur diejenigen eine Vermittlung an einen weiteren Dienst als solche, die an einen Pflegedienst, einen Mahlzeitendienst oder in einen „Urlaub mit Demenzkranken“ vermittelt worden waren. Die bloße Überleitung an eine Seniorenberatung, die eigentlich für Beratung und Vermittlung rund ums Alter zuständig ist, wurde nicht als solche angesehen oder aber die Angehörigen zogen aus dieser Weiterleitung keinen Nutzen. 153 Die pflegenden Angehörigen profitieren über den konkreten Unterstützungseinsatz hinaus von... 11 Anzahl der Pflegenden 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 0 Angeboten 1 Angebot 2 Angeboten 3 Angeboten Abb. 26 Anzahl der Angebote, von denen Angehörige profitieren Insgesamt geben sechzehn der zwanzig Angehörigen an, über den konkreten Unterstützungseinsatz hinaus von ihrer Verbindung zum Projekt „Tandem – häusliche Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz“ profitiert zu haben; elf von ihnen zogen aus zwei oder mehr der dargestellten Angebote Beratung, Vermittlung und Infoabende einen Nutzen für sich. Damit wird Hypothese 3 bestätigt. 7.6 Diskussion der Ergebnisse von Hypothese 3 Vier Fünftel der Befragten profitierten über die Unterstützungsbesuche hinaus von den Angeboten des Projektes Tandem. Der Nutzen der Beratung und der Infoabende wurde von den Angehörigen besonders hervorgehoben. Das spiegelt „das Bedürfnis nach allgemeinen und spezifischen Informationen“ wieder, das Dirksen et al. in ihren Leitlinien für Projekte der Beratung und Unterstützung von Familien mit Demenzkranken erwähnen (BAGA; 1999; 187). Die Pflegenden bekamen allgemeine Informationen zum Krankheitsverlauf, zur Pflegeorganisation oder zu sozialrechtlichen und finanziellen Fragen, außerdem Beratung zum Umgang mit dem Demenzerkrankten. Letzterer stand im 154 Mittelpunkt der Informationsabende: Hier sollten praktische Fertigkeiten vermittelt werden, die der Angehörigen im Alltag einzelne Situationen erleichtern, vor allem, wenn keine Unterstützung in der Nähe war. Zwar liegt die Haupttätigkeit von Tandem in der stundenweisen Unterstützung, das alleine wäre aber unzulänglich. Die Akzeptanz und Effektivität des Projektes wären ohne die ergänzenden Leistungen fraglich. Die ausgeprägte Nutzerorientierung wurde erst durch mehrere Dienstleistungen aus einer Hand erzielt Sechzehn der zwanzig Befragten zogen einen Nutzen aus den Angeboten. Die untersuchte Angehörigengruppe war also nicht nur bezüglich der Geschlechterverteilung, des Alters und des Belastungserlebens mit anderen vergleichbar, sondern auch in ihren Bedürfnissen. Die Wünsche nach freier Zeit, zugehender Beratung, emotionaler Unterstützung und langen, gut erreichbaren Sprechzeiten einer koordinierenden Fachkraft, die Dirksen (in BAGA; 1999) und Halsig (in Kruse; 1998) als allgemeine Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen angeben, können aus fachlicher Sicht erfüllt werden – und werden es auch, wie die Beurteilung der Hilfe durch die Angehörigen beweist. Da die Stichprobe einen recht typischen Querschnitt durch die Gesamtheit der pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz darstellt, kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisse zu verallgemeinern sind: Wird Angehörigen die Möglichkeit gegeben, recht unbürokratisch nicht nur zeitliche sondern auch psychische Entlastung zu erhalten, ebenso physische oder hauswirtschaftliche durch Weiterleitung der Anfrage an einen (Pflege-)dienst und einen Mahlzeitendienst zu bekommen, werden sie diese Angebote weitgehend gerne annehmen. Voraussetzung für die Verallgemeinerung aller Ergebnisse dieser Studie ist allerdings, dass ein Dienst, der solch umfassende Hilfe anbietet und bei der Hilfeerbringung recht häufig erster Ansprechpartner in seelischen Notlagen ist, von einer qualifizierten Fachkraft geleitet wird. Sowohl die Aus- und Weiterbildung spielen eine Rolle als auch die persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Mitarbeiters. Die Angehörigen müssen auf seine Kompetenz, sein Einfühlungsvermögen und seine Diskretion vertrauen können. Hilfreich 155 sind für die Leitung eines Unterstützungsdienstes Offenheit und ein gewisses Maß an Neugier – gepaart mit Gesprächsführungskompetenz, Erfahrungen und Wissen im gerontopsychiatrischen Bereich, Freundlichkeit, Überzeugungskraft und Humor. Gemeinsames Lachen löst Spannungen und Ängste – auch ist es ein Element der Kommunikation, mit dem pflegende Angehörige und Demenzerkrankte ihren Kontakt untereinander und zur Umwelt pflegen können. 156 8. Ausblick Die Lebensqualität Pflegender kann durch den Einsatz fachlich geschulter und begleiteter Freiwilliger in gewünschter Richtung beeinflusst werden. Die vorliegende Studie weist damit die Effektivität einer stundenweisen Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Demenz nach. Sowohl die Belastungen der hier untersuchten Pflegenden als auch ihre Bedürfnisse erwiesen sich trotz aller Individualität von Pflegesituationen und Pflegebeziehungen als ähnlich und beeinflussbar. Die meisten Tandem-Partnerinnen gehören der Kinder- und der Enkelgeneration der Erkrankten an, ein Drittel von ihnen ist unter dreißig Jahre alt. Das zeugt vom Interesse junger Menschen an einem Engagement für und mit der älteren Generation. Da nicht nur das Interesse der jungen an den älteren besteht, sondern sich die jungen Tandem – Partnerinnen auch als kreative, einfallsreiche und unvoreingenommene Betreuungskräfte gezeigt haben, sei diese Arbeit auch als ein Plädoyer für eine Stärkung des Generationenvertrages im Freiwilligensektor verstanden. Funktionieren kann die Annährung der Generationen aber nur, wenn alle Beteiligten fachlich begleitet und beraten werden. Knappe finanzielle Mittel dürfen nicht dazu führen, dass die Schulungs-, Begleitungs-, oder Beratungsintensität sinken. Nur wenn diese Faktoren erhalten bleiben, ist die hier aufgezeigte Wirksamkeit einer stundenweisen Unterstützung gewährleistet. Denkbar wäre es allerdings, Aufgaben der Koordinationskraft an Fachleute zu delegieren, deren Tätigkeit in die Regelfinanzierung fällt, da sie kommunal zu tragende Aufgaben erledigen. So könnten die zeitintensiven Erstgespräche von Seniorenberaterinnen übernommen werden, deren definierte Aufgabe Beratung zu allen Themen des Älterwerdens ist. An den Unterstützungsdienst würden nur diejenigen Familien weitergeleitet, die tatsächlich ins Konzept der stundenweisen häuslichen Entlastung passen. Am Zeitaufwand für die Familien, die eine Unterstützungskraft bekommen sollen, darf hingegen nicht gespart werden. Die ausführliche n Gespräche mit der Koordinationskraft und die 157 Klärung der jeweiligen Erwartungen wirken vertrauensbildend. Sie erleichtern es der pflegenden Angehörigen schließlich loszulassen und in der freien Zeit Kraft zu schöpfen, indem sie sie tatsächlich für sich nutzt. Die Untersuchung von pflegenden Angehörigen demenziell veränderter alter Menschen birgt die Schwierigkeit, dass Langzeitstudien in vielen Fällen nicht möglich sind. Häufig verstirbt der Kranke oder die Angehörige, oder aber die häusliche Pflege muss aufgegeben werden, weil ein Heimeinzug stattfindet. Dennoch wäre es interessant zu erheben, welche Auswirkungen eine stundenweise Unterstützung über einen längeren Zeitraum als die hier untersuchten sechs Monate hat und inwiefern ein mit der Krankheitsprogression zusammenhängender steigender Pflege- und Betreuungsbedarf den Nutzen einer stundenweisen Unterstützung schmälert oder gar zunichte macht. Einen Hinweis darauf gab eine der untersuchten Angehörigen, deren Lebensqualität innerhalb der ersten vier Unterstützungsbesuche gestiegen war, aber im Folgenden wieder auf das Ausgangsniveau sank. Sie führte diese Tatsache auf die vermehrten Verhaltensauffälligkeiten ihres Mannes zurück. Die Pflege zehre darüber hinaus auch an ihren eigenen Kräften. Anzunehmen ist folglich, dass eine stundenweise Unterstützung hauptsächlich kurz- und mittelfristig Entlastung bringt. Eine noch wirksamere mittel- bis langfristige Entlastung könnte eine stundenweise Unterstützung bringen, die zu einem deutlich früheren Zeitpunkt einsetzt. Ein Effekt einer früh einsetzenden häuslichen Unterstützungsleistung könnte sein, dass der Pflegenden und dem demenziell Erkrankten die Verkleinerung des Freundeskreises bis hin zur Isolation weitgehend erspart bleibt, da sie die Möglichkeit hätte, Freundschaften kontinuierlich zu pflegen. Damit bliebe dieses Stück Lebensqualität beispielsweise von vornherein erhalten. Ist aber eine Konzepterweiterung auf Familien, die noch nicht am äußersten Rand ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind, finanzierbar? Das Projekt Tandem schafft es mit seiner personellen Ausstattung angesichts der vielen Familien, die derzeit auf der Warteliste stehen nicht, das Konzept um diesen wünschenswerten, weil gesundheitspräventiv wirkenden Faktor auszubauen. 158 Eine grundsätzliche Rechtfertigung für eine Unterstützung dieser Art ist durch die hier vorgelegten Ergebnisse erbracht – jetzt sind Politik und Praxis gefordert, stundenweise Unterstützungsdienste zu ermöglichen und flächendeckend zu realisieren. Der Gesetzgeber versucht durch einschlägige Ergänzungen im Pflegeversicherungsrecht bereits, niedrigschwellige Unterstützungsangebote unter anderem für demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen zu forcieren. Die Bestimmungen im PflegeleistungsErgänzungsGesetz sind noch nicht ausreichend, besonders die bereitgestellten Finanzmittel decken den Bedarf nicht. Von Seiten der Träger und der Praktiker wäre trotz oder gerade wegen der finanziellen Engpässe eine größere Innovationsfreude wünschenswert, denn von solchen Angeboten profitieren nicht nur die pflegenden Angehörigen und die Demenzkranken. Auch die Helferinnen ziehen neben dem kleinen finanziellen Verdienst vor allem persönlichen Gewinn aus der Begegnung mit den alten Menschen, ebenso die Anbieter ambulanter Pflege: durch eine diesbezügliche Erweiterung ihres Portfolios wird ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Pflegemarkt gestärkt und Kunden werden gewo nnen und gebunden. Teilstationäre oder stationäre Einrichtungen können ebenso Angebote zur häuslichen Unterstützung profitieren: Als Ergänzung machen zur und wie Tagespflege ambulante Dienste beispielsweise, davon wenn die Angehörigen längere Entlastungszeiten insbesondere am späten Nachmittag wünschen. Eine Kombination und ein aufeinander Abstimmen von schon Bewährtem und der stundenweisen Unterstützung kommt den Angehörigen auf zweierlei Weise zugute: Ihnen werden längere Freiräume geschaffen und eine trägerübergreifende enge Kooperation der Fachkräfte ermöglicht den Familien einen reibungsloseren Übergang von einer Hilfeinstanz zur anderen. An welche Einrichtungstypen zukünftig eine niedrigschwellige, bedürfnisorientierte Unterstützung, wie die hier evaluierte , angegliedert ist, ist fast irrelevant. Wichtig ist lediglich, dass Träger dieses einfache Konzept realisieren – denn die dargestellten Ergebnisse manifestieren die Effektivität des Unterstützungsdienstes eindrucksvoll. 159 9. Literaturverzeichnis Adler, C.; Gunzelmann, T.; Machold, C.; Schumacher, J.; Wilz, G.; 1996 Belastungserleben pflegender Angehöriger von Demenzpatienten In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 29: 143-149 (1996) Steinkopff Verlag: Darmstadt. 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(-3 bedeutet „sehr niedrig“, +3 bedeutet „sehr hoch“) -3 -2 -1 +1 +2 +3 Wie schätzen Sie Ihr gesundheitliches Wohlbefinden ein, Frau X? -3 -2 -1 +1 +2 +3 Im Folgenden sind die von Ihnen aufgezählten Bereiche aufgeführt, die für Sie zur Lebensqualität gehören. Bitte geben Sie an, wie Sie die einzelnen Bereiche heute einschätzen. Bedeutung der einzelnen Werte: Wert Bedeutung -3 nie -2 sehr selten -1 selten +1 häufig +2 sehr häufig +3 immer Wie oft… 3a) …sind Sie ohne Hast? -3 -2 -1 +1 +2 +3 174 3b) …ohne sich belastet zu fühlen? -3 -2 -1 +1 +2 +3 +2 +3 +2 +3 Wie oft… 3c) …treiben Sie Sport? -3 3d) -1 +1 -2 -1 +1 +2 +3 -2 -1 +1 +2 +3 Hatten Sie in den letzten drei Monaten die Zeit, Sport zu treiben? -3 6. -2 Haben Sie sich in den letzten drei Monaten ungehetzt gefühlt? -3 5. +1 …haben Sie Abwechslung? -3 4. -1 …treffen Sie Freunde? -3 3e) -2 -2 -1 +1 +2 +3 Haben Sie in den letzten drei Monaten etwas unternommen, was Ihnen gut getan hat? -3 -2 6a) Was? 6b) Wie oft? -1 +1 +2 +3 Vielen Dank für Ihre Mühe und Ihre Offenheit – bitte senden Sie den ausgefüllten Fragebogen in beiliegendem Umschlag an mich zurück. 175 10.2 Fragebogen 2 Befragungszeitpunkte: LQ 2 (nach dem vierten Unterstützungsbesuch) und LQ 3 (nach dem zwölften Unterstützungsbesuch). Derselbe Fragebogen wie Fragebogen 1, nur mit folgender Ergänzung: Noch einige Fragen zu den Tandem – Einsätzen: 7. Wie fühlten Sie sich, während Sie unterwegs waren? (-3 bedeutet „sehr schlecht“; +3 bedeutet „sehr gut“) -3 -2 -1 +1 +2 +3 7a) Bitte nennen Sie kurz die Gefühle, die Sie unterwegs hatten: 8. Wie fühlten Sie sich, als Sie nach Hause zurück kamen? -3 8a) -2 -1 +1 +2 +3 Bitte nennen Sie kurz die Gefühle, die Sie hatten, als Sie nach Hause kamen: 9. Welche Gedanken hatten Sie in der Zeit bis zum nächsten Tandem – Einsatz? 10. War Ihr Mann nach den Tandem – Einsätzen - unruhiger O ja O nein - aggressiver O ja O nein als vor den Einsätzen? 176 Bemerkungen: Vielen Dank für Ihre Mühe und Ihre Offenheit – bitte senden Sie den ausgefüllten Fragebogen in beiliegendem Umschlag an mich zurück. 10.3 Fragebogen der Abschlussbefragung (retrospektiv, sechs Monate nach dem ersten Unterstützungsbesuch): Name: Geburtsdatum: Geburtsort: In Köln seit: 1. Ausbildung: ? Sonderschule ? Volksschule ? Volksschule und Berufsausbildung ? Mittlere Reife ? Mittlere Reife und Berufsausbildung ? Abitur ? Abitur und Studium oder Berufsausbildung 177 In den folgenden Fragen geht es um die Pflege und Betreuung Ihres Ehemannes 2. Seit wann benötigt Ihr Ehemann Pflege? Seit Betreuung? Seit 3. Jahren Jahren Haben Sie Ihre Berufstätigkeit eingeschränkt oder aufgegeben, um die Pflege und Betreuung Ihres Ehemannes zu übernehmen? ? nein ? ja, eingeschränkt ? ja, aufgegeben ? nach einer (Kinder)pause nicht wieder begonnen zu arbeiten 4. Wie würden Sie das Verhältnis zu ihrem Ehemann bezeichnen? ? sehr gut ? gut ? tendenziell eher gut ? tendenziell eher schlecht ? schlecht ? sehr schlecht 5. Was ist für Sie das Belastendste im Pflege- und Betreuungsalltag? 1. 2. 3. 4. 178 6. Aus welchen Augenblicken in der Betreuung können Sie Kraft schöpfen? 7. Welche praktische Unterstützung haben Sie außer Tandem bei der Pflege und Betreuung Ihres Ehemannes? ? Pflegedienst (Seit wann? ) Wie oft? ) (Seit wann? ) (Wie oft? ) (Wer? ) (Wie oft? ) ? Nachbarn (Wie oft? ) ? Freunde (Wie oft? ) (Wie oft? ) ? Tagespflege ? Familie ? Andere, nämlich 7.1 War Ihr Ehemann schon einmal in einer stationären Kurzzeitpflege? ? ja ? nein 7.2 Konnten Sie sich während dieser Zeit erholen? wie oft? 179 Die folgenden Fragen beziehen sich auf die Tandem-Besuche 8. In erster Linie nehme ich die Tandem – Besuche ? für mich in Anspruch ? als Abwechslung für meinen Ehemann in Anspruch 9. Die Tandem – Besuche nutze ich ? um etwas zu unternehmen, was mir gut tut ? um etwas zu erledigen, was sein muss (z.B. eigene Arztbesuche, Erledigung von Formalitäten für die Krankenkasse o.Ä.) ? um mich mit der Tandem – Partnerin zu unterhalten ? um emotionale Unterstützung zu haben ? um mich auszuruhen ? für etwas anderes, nämlich: 10. Können Sie während der Tandem – Besuche durchatmen und Kraft für den Betreuungsalltag schöpfen? ? immer ? meistens ? manchmal ? selten ? sehr selten ? nie 10.1 Woran liegt das? 180 11. Wenn Sie zurückblicken, ab welchem Zeitpunkt konnten Sie das Haus während der Tandem – Besuche so beruhigt verlassen (bzw. die Zeit zu Hause so nutzen), dass Sie die freie Zeit als angenehm empfanden? ? ab dem 1. oder 2. Tandem – Besuch ? ab dem 3. oder 4. Tandem – Besuch ? ab dem 5. oder 6. Tandem – Besuch ? später, nämlich ab dem ? bis heute empfinde ich die freie Zeit nicht als angenehm 12. Viele pflegende Angehörige beschreiben ihre Situation so, dass sie sich Besuch immer gehetzt fühlen wenn sie das Haus verlassen. Wie oft fühlen Sie sich nun gehetzt, wenn Sie das Haus verlassen, während Ihre Tandem – Partnerin sich um Ihren Ehemann kümmert? ? nie ? sehr selten ? selten ? hin & wieder ? meistens ? immer 13. Das Projekt Tandem bietet außer den Tandem – Besuchen noch Einiges an. Haben Sie von den folgenden Angeboten profitiert? ? Informationsabende für pflegende Angehörige ? Beratung ? Vermittlung an andere Dienste ? Anderes, nämlich 181 Zu Guter Letzt: 14. die Erscheint Ihnen eine stundenweise häusliche Unterstützung geeignet um Lebensqualität von pflegenden Angehörigen Demenzerkrankter zu erhöhen? ? sehr gut geeignet ? gut geeignet ? tendenziell eher gut ? tendenziell eher schlecht ? schlecht geeignet ? gar nicht geeignet Anmerkungen: 182 10.4 Datentabelle Datentabelle: Entwicklung der Lebensqualität (tabellarische Zusammenschau der Ergebnisse der Ratingskalen) LQ 1 A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T LQ 2 -2 -1 -3 -2 -3 -2 -3 -1 -1 -3 -3 -3 -3 1 -2 1 -3 -3 -3 -2 LQ 3 -2 1 -1 -1 -2 -1 -3 1 1 -2 -2 -2 1 2 -1 2 -2 -2 -2 -1 -2 1 1 1 -2 1 -1 2 2 -1 -1 -2 2 2 1 2 -1 -1 -2 -2 183 10.5 Kurven der Lebensqualität Die sechzehn Kurven der Lebensqualität im Einzelnen, die in der Auswertung zu Hypothese 1 (Kapitel 7.1 „Ergebnisse von Hypothese 1“, ab Seite 106) als Zusammenschau in einer Grafik zu sehen waren: a: Erste Krankheitsanzeichen b: Zeitpunkt der Diagnosestellung c: Tiefster Punkt der Lebensqualität vor Beginn der stundenweisen Unterstützung d: Beginn der stundenweisen Unterstützung (= Zeitpunkt zu dem die erste Kurve der Lebensqualität erstellt wurde) e: Nach einem Monat stundenweiser Unterstützung f: Nach zwei Monaten stundenweiser Unterstützung g: Nach drei Monaten stundenweiser Unterstützung h: Nach vier Monaten stundenweiser Unterstützung i: Nach fünf Monaten stundenweiser Unterstützung j: Nach sechs Monaten stundenweiser Unterstützung (= Zeitpunkt zu dem die zweite Kurve der Lebensqualität erstellt wurde) Angehörige A Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt h i j 184 Angehörige B Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g h i j Zeitpunkt Angehörige D Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g h i j h i j Zeitpunkt Angehörige E Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt 185 Angehörige G Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g h i j h i j h i j Zeitpunkt Angehörige H Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt Angehörige I Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt 186 Angehörige J Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt h i j h i j h i j Angehörige K Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt Angehörige M Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt 187 Angehörige O Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 -4 a b c d e f g Zeitpunkte h i j h i j h i j Angehörige P Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt Angehörige Q Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt 188 Angehörige R Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g h i j h i j i j Zeitpunkt Angehörige S Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt Angehörige T Einschätzung der eigenen Lebensqualität Kurve der Lebensqualität 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 -2 a b c d e f g Zeitpunkt h 189 190