Auch nur mit Links ein Meister des Pianos

Transcription

Auch nur mit Links ein Meister des Pianos
Neumarkter Nachrichten, Montag, 5, März 2007
Auch nur mit Links ein Meister des Pianos
Der russische Klavier-Poet Grigory Sokolov spielte Schubert und kühne Skrjabin-Werke
NEUMARKT (mio) Einen Klavierabend voller Gegensätze hat Grigory
Sokolov am FreitagabeI\d dem Publikum im voll besetzten Reitstadel geboten. Der berühmte russische Pianist
spielte Werke seines Landsmannes
Alexander SkI1abin und die c-MollSonate (D 958) von Franz Schubert.
Mit beiden Komponisten hat sich
Sokolov im Laufe seiner nunmehr 40
.Jahre währenden Karriere intensiv
auseinandergesetzt, gerade als Schubert-Interpret zählt CI zu den anerkannten Größen des Klaviers - allenfalls Alfred Brendel hat sich mit ähnliehern Nachdruck für die Klaviersonaten Schuberts engagiert.
Bei Skrjabin bot Sokolov anhand
der ausgewählten Kompositionen
einen Überblick über das Schaffen
des Tondichters, von den noch deutlich Chopin verpflichteten Stücken
für die linke Hand allein op. 9 bis hin
zum späten "Vers la flamme" op, 72.
einem höchst eigenständigen, atonalen Werk voller pianistischer Virtuosität.
Die Schubert-Sonate weist in ihren
vier Sätzen jene "himmlischen Längen" auf, die Scbumann emst in der
achten Svrnphonie erkannte. Obwohl
die techrrlschen Anforderungen nicht
gerade klein sind, ist der Pianist hier
vor allem als Gestalter gefordert, der
dramatische und verspielte Abschnitte miteinander verbindet. Sokolov
gelang dies ohne Mühe; cr verknüpfte
einen sensiblen Pedalgebrauch mit
einer großen dynamischen Palette und
identifizierte sich so stark mit der
Musik, dass man gelegentlich ein leises Mitsummen hören konnte.
G<>wiss, der Russe konnte kraftvoJl
zupacken, wo es nötig war - doch wie
vor allem das "Adagio" an zweiter
Stelle zeigte, ist Sokolov mehr ein
Poet des Klaviers, der kleinste Details
des Werkes souverän ausleuchten
kann. Wenn aueh Menuett und Finalsatz in ihrer kompositorischen Substanz etwas abfallen, so gelang Sokolov doch eine höchst schlüssige Darstellung der c-Moll-Sonatc.
Einhändige Brillanz
Völlig anders präsentieren sich
Skrjabins Sonaten, die dritte Sonate
op. 23 weist noch den viersätzigen
Rahmen auf, doch in der zehnten
Sonate op. 70 hat der Komponist die
Tradition weitestgehend abgestreift
und zu einer schroffen, dissonanzenreichen Tonsprache gefunden.
Sokolov gelang es, die modernen
Elemente in Skrjabins Musik mit den
Anklängen an die Tradition zu verbinden; je weiter er im (Euvre des Komponisten fortschritt, desto geringer wurden diese Anklänge. Besondere Raffinesse konnte der russische Pianist in
den Stücken für die linke Hand alleine entfalten; wer nicht hinsah, hätte niemals glauben mögen, dass der
Flügel mit piner Hand so intensiv zum
Klingen gebracht werden kann.
Nach der dritten Sonate präsentierte Sokolov die heiden "Poemes"
op, 69, impressionistisch angehauchte
Miniaturen mit einer Nähe zu Debus5y, Den Abschluss dieser höchst
abwechslungsreichen Skrjabin-Werkschau bildeten zwei der kühnsten Werke des Komponisten, die zehnte Sonate und der "Vers la flamme". Naeh
Zeitzeugenberichten sollen Kollegen
Skrjabins, nachdem sie ihn diese Werke hatten spielen hören, an der geistigen Gesundheit des Komponisten
gezweifelt haben.
Die außerordentliche Kühnheit dieser Schöpfuwen, ihre Schlüsselstellung in der Übergangsphase zur Atonalität machte Sokolov mit einer
äußerst kraftvollen, dynamische Extreme nicht scheuenden Interpretation deutlich.
Vier Zugaben
Der begeisterte Ap)Jlaus der Zuhörer spornte den russlschen Pianisten
zu insgesamt vier Zugaben an, wobei
Chopin eine prominente Rolle spielte,
Auch hicT konnte Sokolov bis zur
letzten Note durch G<>staltungskraft
und Musikalität überzeugen, die ihn
zusammen mit der fast schon selbstverständlich wirkenden Technik in
den Olymp der Pianisten-Zunft heben. Der Konzertfrcunde-Klavierabend war hierfür ein eindrucksvoller
Beleg.
MICHAEL LOOS
Begeisterter Applaus für Grigo!)' Sokalav: Der russische Star pianist brachte dem
Neurr,arkter PubW<Um das CEuvre seines Landsmannes Skrjabm näher. F.: Etzold