Der Bundesrat ist die Worcester-Sauce der Politik
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Der Bundesrat ist die Worcester-Sauce der Politik
JAN WE I LER M E I N L E B E N ALS MENSCH Der Bundesrat ist die Worcester-Sauce der Politik Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco N achdem meine Kinder in die Schule gewackelt sind, bin ich noch einmal eingeschlafen und habe etwas sehr eigenartiges geträumt: Ich stand in einer mir fremden Wohnung mit gut gekleideten, aber schlecht gelaunten Männern an einem Buffet und zog einen braunen Herrenmantel aus einer Badewanne voller Obstsalat. Dabei wunderte ich mich im Traum zunächst darüber, dass ein Mantel im Salat war, dann staunte ich über sein erhebliches Gewicht und wachte schließlich ratlos auf. Keine Ahnung, was dieser Traum bedeutet, aber er führte auf Umwegen dazu, dass ich über Dinge nachdachte, auf die man gut verzichten kann. Zu dieser Kategorie gehört zweifellos ein mit Obstsalatdressing voll gesogener Herrenmantel. Was man auch nicht dringend braucht: Mon Cherie, Jens Lehmann und Dornwarzen. Und Senf. Jedenfalls nicht in den Massen, in denen er hergestellt wird. Wir leben in einem Senfland, was schon in unserer Flagge deutlich zum Ausdruck kommt und sich aber als tief greifende Erkenntnis noch nicht so richtig durchgesetzt hat. Tatsache ist doch aber, dass wir alle uns mehr Senf auf den Teller klatschen als wir eigentlich müssten. Täglich werden in unserem Land Tonnen um Tonnen Mostrich weggeworfen. Ich glaube, dass ich im nächsten Leben Senffabrikant werden möchte, da verdient man unfassbar viel Geld mit dem, was andere wegschmeißen, und zwar auch zuhause. Wir besitzen ständig mehrere Gläser Senf, die wir nie aufbrauchen, sondern nach zähen Jahren des Aufbewahrens im Kühlschrank in den Müll schmeißen. Man müsste Senfmagnat sein. Oder Worcester-Saucen-Oligarch. Wir haben nämlich auch immer Worcester-Sauce im Haus, da ich alle eineinhalb Jahre einen Spritzer davon benötige. Danach steht die Flasche sinnlos herum und wird nach ein paar Jahren ersetzt. Das erinnert woran? Genau: An den Bundesrat. Der Bundesrat ist die Worcester-Sauce der Politik. Er bereichert wegen der Blockademöglichkeiten der Parteien unser Leben kaum mit neuen Ideen und wird alle paar Jahre ausgewechselt. Wenn dem so ist, dann ist der Bundestag ein riesengroßes Senfglas: Sein Inhalt verliert recht schnell an Würze und Schärfe, besitzt aber gemessen daran ein unverhältnismäßig langes Mindesthaltbarkeitsdatum. Die wirklich wichtigen Gesetze werden schon längst in Brüssel gemacht. Unser Alltag wird in den Landesparlamenten und in den Gemeinderäten organisiert. Und nicht in Berlin. Und weil dies nun einmal so ist, könnten wir doch sehr viel Geld sparen, wenn wir einfach auf die ganze Bundespolitik mitsamt –Rat und –Tag und Kanzleramt verzichteten. Vermutlich würde man den Unterschied überhaupt nicht bemerken, weil sich gar nichts veränderte, das ist ja jetzt auch schon so. Gut, ja, das Sommerfest bei der Bundeskanzlerin, das fiele natürlich mit der Bundeskanzlerin weg. Aber dafür könnte man den Reichstag in ein Spaßbad umbauen, mit einer Wasserrutsche von der Kuppel bis ins oppositionelle Nichtschwimmerbecken. Auch die politischen Parteien könnten sich und uns eine Menge ersparen, denn die großen Parteitage mit den riesigen Plakaten und der teuren Hallenmiete würden natürlich entfallen und illegale Spenden wären bei dem gesunkenen Finanzbedarf der FDP auch nicht mehr vonnöten. Man träfe sich dann eben im kleinen Kreis auf Bezirksebene und das kann man auch privat machen. Für die FDP reichte dann vielleicht eine Dreizimmerwohnung. An einem dieser Abende spricht also Rainer Brüderle zu den Parteifreunden. Er ist nach Abschaffung der Bundespolitik kurzerhand Kämmerer von Bad Bergzabern geworden und hält nun eine flammende Rede über dies und das, dann muss er aber weg, um in Pirmasens ein Bowlingcenter einzuweihen. Er kehrt aber nach wenigen Minuten zurück und sagt: „Leute, hat jemand meinen braunen Herrenmantel gesehen? Die Garderobe war voll, da habe ich ihn in die Badewanne gelegt. Und jetzt isser weg und die ganze Badewanne ist voller Obstsalat. Hat irgendjemand meinen Mantel gesehen?“ 17 . MAI 2010