Heiß in Las Vegas. Es muss nicht immer eine dicke

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Heiß in Las Vegas. Es muss nicht immer eine dicke
ROLLER-REISE
VON LAS VEGAS IN DEN RED ROCK CANYON
TEXT UND FOTOS MICHAEL BERNLEITNER
HIGH ROLLER
Heiß in Las Vegas. Es muss nicht immer eine dicke
Limousine und schon gar nicht ein Leihauto der
Kompaktklasse sein. Auch auf dem Roller
erfährt man (fast) unbegrenzte Möglichkeiten …
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(1) Die Roller-Reise beginnt dort, wo auch
die Pfandleihanstalten sind
(2) Blick auf den Eiffelturm des Paris-Hotels
(3) Typische US-Vororte-Straße
(4) Friends on the Road …
(5) Ich bin da. Der
Canyon leuchtet
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B
ei meiner 36. Einreise in die
Vereinigten Staaten habe ich
es endlich geschafft, das grüne
Einwanderungsformular ohne Fehler
auszufüllen. Endlich einmal keine
gelangweilt-demonstrative Korrektur
durch den Immigration Officer. Und
seit 20 Jahren bedeutet für mich die
Ankunft am McCarran International
Airport von Las Vegas den traditionellen Gang zum Alamo- oder HertzSchalter und das bedingungslose
Zeiten ändern sich:
China-Roller statt
Lincoln Towncar
Ausfassen eines fetten Lincoln Towncars der jeweils letzten Fasson. Damit
man halbwegs gescheit unterwegs ist
und sich nicht verrenken muss.
Die Zeiten ändern sich. Radikal. Diesmal soll’s ein Roller werden. Las Ve-
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gas ist mittlerweile sogar ein bisschen
Scooter City, ein ganz klein wenig.
Nicht so auffällig wie zum Beispiel
in Key West, wo Rollido und Springbreaker zusammengehören wie José
Cuervo und picksüßer Limettensaft
– doch bereits vor einigen Jahren ha-
ben wir auf den den Parkplätzen der
Hotels am Las Vegas Boulevard eine
ganze Menge Roller gesehen, die sich
direkt bei den Eingängen zur Rezeption stapeln und somit ihren Fahrern
tüchtige Fußwege zu weit weg geparkten Autos ersparen.
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R
oller-Verleihe gibt es einige, sie
sperren auf und sperren wieder
zu. Doch immer gibt es etwa fünf
bis sieben Adressen, die die Freiheit
auf zwei kleinen Rädern anpreisen.
Obacht bei der Internet-Suche: Unter Scooter versteht der Amerikaner
durchaus auch einen Rollstuhl oder
ein elektrisches Behindertenfahrzeug
– etliche Rental Shops bieten aber
sowohl diese Vehikel für Disabled
Persons als auch Roller in unserem
Sinn für die gelenkigere Kundschaft
an. Die meisten Geschäfte wird man
im nördlichen Teil des Strips finden,
dort wo auch die günstigen Hochzeitskapellen,
Pfandleihanstalten
und Tattoo-Shops dichter werden. Im
übrigen ist das Netz der öffentlichen
Verkehrsmittel in Las Vegas gar nicht
schlecht: Es gibt Doppeldeckerbusse
(auch von der alten, wieder entdeckten Fremont Street weg), die am Boulevard genauso im Stau stehen wie
die Autos; und es gibt die auf Stelzen
Unter Scooter
versteht man hier
auch E-Rollstühle
gebaute Monorail, die vom MGM
Grand zum Sahara führt und eigentlich eine Verbindung von Hotelcasino zu Hotelcasino ist.
Ich wähle eine Scooter-Verrentung
in diesem nicht so noblen Teil. In
Fußweite des Stratosphere Towers,
dessen Hotel ja auch schon bessere
Zeiten gesehen hat. Der Stratosphere
ist aber noch immer eine erste Adresse wegen seiner Fahrgeschäfte, ganz
besonders wegen des sensationellen
„Big Shot“: In 350 Meter Höhe kann
man sich druckvoll noch weitere 40
Meter hochkatapultieren lassen, dabei wirken vier g auf den Delinquenten ein, und am oberen Totpunkt
fühlt man sich für einige Sekunden
komplett schwerelos – weit unter
sich die Lichter von Las Vegas. Ein
unvergessliches Erlebnis.
Alle 125er sind gerade weg, doch die
Dame bei Paradise Rentals legt mir
einen chinesischen No-Name mit 49
Kubik nahe, mit dem ich locker mit
einer halben Tankfüllung zum 25
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Meilen entfernten Red Rock Canyon
und zurück kommen soll. Ich kann
tatsächlich keinen Markennamen
auf der geschundenen Plastikkarosserie erkennen, auch nicht am Zündschlüssel, ich nenne ihn ganz einfach
Zong Ding Deng. Kostet 60 Dollar für
48 Stunden, ich darf also auch zwei
Abende mit ihm verbringen. Plus 18
Dollar Versicherung für die Plastikteile – was angesichts des Zustands von
Zong Ding Deng irgendwie bizarr
erscheint. Doch in Las Vegas verlangt
man und man bezahlt, das geht ganz
automatisch. Man könnt’s sonst ja
auch beim Poker, Black Jack oder anderswie verlieren.
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as Vegas kann im September sehr
heiß sein. Lufttemperaturen in
den Fahrenheit-110ern (in Celsius so
um die 44 Grad) sind kein lindes Lüfterl mehr. Steht man mit dem Roller
an der Ampel, dann hofft man, dass
sie möglichst lang rot bleibt. Denn der
Fahrtwind bringt nicht die geringste
Abkühlung, ganz im Gegenteil – setzt
man sich in Bewegung, dann ist es als
ob man in einen heißen Föhn fährt.
Das Gute daran: Man bleibt trocken,
man schwitzt nicht mehr. Erst die
heiße Hotelgarage bringt etwas Abkühlung.
Luftgekühlt ist auch der kleine Viertaktmotor des China-Rollers. Trotzdem kann ihm die Bruthitze nichts
anhaben. Offensichtlich wissen die
Leute bei Paradise Rentals, warum sie
ihn im Programm haben. Auf dem
nächtlichen Boulevard, zwischen Venetian, Bellagio und Mandalay Bay,
kommt durchaus Stimmung auf. Wo
gibt’s die besten Mojitos, wo gibt’s die
besten Margaritas? 49 Kubik in Amerika – das heißt: keine Zulassung,
keine Nummerntafel, keine Helmpflicht. So gehört sich das, gelobtes
Land, preiset den Herren!
Am nächsten Morgen wartet der Ausflug in die Cowboyhügel, in die roten
Berge. Exakt westwärts auf der 159er,
Ausfallsstraße Richtung Charleston.
Es ist eine dieser typischen, mittelbis unterständischen US-Straßen mit
vielen Burger-Läden, Autoreparatu-
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49 Kubik: kein Helm,
keine Nummerntafel, alles ist frei
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sichtbar ist, kommt näher. Zong Ding
Deng (oder Zing Dong Ding?) ist jetzt
in Höchstform: Auf der Geraden zeigt
er am Tacho gestrichene 60 Meilen,
leicht bergab bis zu einem 70er! Gefühlsmäßig macht er in der Ebene
glatte 80 bis 85 Stundenkilometer,
und das aus einem tiefchinesischem,
luftgekühlten Minimotor. So eine Performance braucht über den Daumen
geschätzt gute 4 kW oder fünfeinhalb PS Leistung, die er anstrengungslos ausschüttet. Erstaunlich.
Bei der Pause an einem Scenic View
Point tuckert er – von der „Geschwindigkeitsorgie“ in sengender Hitze völlig unbeeindruckt – friedlich vor sich
In den Bergen
kommt Zong Ding
Deng in Höchstform
ren, Dentisten, Wal-Marts, Chiropraktikern und Wasserbett-Shops. Erst
weiter draußen gibt es schöne Shopping Plazas, teure Villen und eingezäunte Closed Communities. Wir
fahren durch den Speckgürtel von
Las Vegas. Das Wasser geht schön
langsam aus, doch noch immer gibt
es jeden Tag tausend neue Zuwanderer, die wohlbetucht entweder hier
landen oder in prekärer Situation in
einem R-&-V-Park, wo man im Campingwagen lebt. Aber nie ohne Klimaanlage.
Kurven! Sanfte, ganz leicht bergauf
und bergab. Der rote Gebirgszug, der
auf der 159er in der Ferne immer
hin, als ob nichts passiert wäre. Es ist
ja auch nichts passiert, außer einem
schönen Ausflug. Die Kiste wird mir
immer sympathischer. Hat er auch
Fahrwerk? Ja, er hat ein bisschen
Fahrwerk, und er hat auch mehr als
ein bisschen Bremsen. Die Reisebegleitung erscheint höchst zuverlässig.
Nur die Versicherungsprämie für die
Plastikteile kommt mir noch immer
ein bisschen komisch vor. Natürlich
komme ich mir auch bald wie ein arroganter Idiot vor: Selbstverständlich
muss ein Billigroller funktionieren.
Wie sonst könnte eine MilliardenNation damit herumfahren? Oder
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(1) Das schon über zehn Jahre alte Venetian
ist noch immer eine sehr feine Adresse
(2) Echte importierte venezianische Gondeln
(3) Herr Carlos Santana musiziert
im Hard Rock Hotel
(4) Damit der Roller ein
bisschen auskühlen kann
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Paradise Rentals seit Jahren damit
profitable Geschäfte machen?
Der Red Rock Canyon ist eines der
zahlreichen Wunder der Natur oder
von Menschenhand, die von Las
Vegas aus in einem Tagesausflug zu
erkunden sind. Ein 13 Meilen langer
Scenic Drive zieht sich als Einbahnstraße durch das 130 Quadratmeilen
große Gebiet, auf dem das Staunen
immer größer wird: beeindruckende
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triptipp
GUT WOHNEN & GUT ESSEN
Der „motomobil“-Hoteltipp in Las Vegas: Lieber die günstigen Wochentage von Sonntag bis Donnerstag für einen Las-Vegas-Besuch einplanen
und dafür eines der wirklich guten Hotels (Bellagio, Caesars, Wynn, Venetian) buchen, statt in einer billigeren Unterkunft an den teuren Tagen von
Donnerstag bis Sonntag zu nächtigen. Denn die „zweitrangigen“ Hotels am
Strip (zum Beispiel Bally’s, Flamingo, Stratosphere, Tropicana …) warten fast
immer mit einem oder mehreren Unzulänglichkeiten auf – Sauberkeit, Zeitaufwand beim Ein- und Auschecken, Pool Area etc. Bei genügend Sparwillen
lieber gleich in ein Hotel oder Motel abseits des Las Vegas Boulevards gehen. Ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis am Strip bietet schon über
lange Jahre das immer noch feine MGM Grand. Achtung: Bei großen Sportveranstaltungen wie Boxkämpfen, bei amerikanischen und mexikanischen
Feiertagen und bei Fachmessen explodieren die Zimmerpreise – unbedingt
vorher im Internet recherchieren. WiFi am Zimmer wird am Strip verrechnet und wer ungeschickterweise sowohl mit dem Notebook als auch mit dem
iPhone (mit denselben Daten) einlogt, bekommt unwiderruflich den doppelten Betrag aufgebrummt – in den Quartieren jenseits des Boulevards ist WiFi
gratis.
Bei günstigem Dollarkurs ist sogar die Spitzengastronomie gut leistbar und
den Las-Vegas-typischen Allerweltsbuffets vorzuziehen. Alle US-Spitzenköche sind hier mit mindestens einer Dependance vertreten – ein Besuch in
einem der fünf Wolfgang-Puck-Lokale kostet kaum mehr als ein gehobenes
Menü in Österreich. „motomobil“-Empfehlung ist die etwas versteckt gelegene Onda Wine Lounge im Mirage. Trotzdem Achtung: Manche Hotels
versuchen die wegen zwanzigprozentigem Besucherschwund gesunkenen
Zimmerpreise andernorts wieder hereinzubringen – so sind manche integrierte Fast-Food-Läden (etwa Nathan’s im New York, New York) mit ihrer
Durchschnittsware frech teuer; oder im Bellagio beispielsweise findet man
keinen Platz, wo man unter 35 Dollar pro Person halbwegs nahrhaft früh­
stücken kann.
„Gefrorene Dünen“,
Zacken, Nadeln,
Marslandschaft
Farbenspiele, phantastische Felsformationen, „gefrorene Dünen“ und
unwirkliche Oberflächen, man fährt
durch eine Marslandschaft. Andere Besucher reiten, radeln, wandern
oder klettern – der Red Rock Canyon
ist ein Hot Spot für die Einwohner
von Las Vegas, ein nahes Erholungsgebiet. Für die Touristen ein krasser
Kontrast zum ständigen Gebimmel
und Geschepper der Slot Machines.
Es gibt ein informatives Visitor Center und eine nahe, stimmungsvolle
Ranch mit urigem Restaurant. Daneben eine Nachbau-Westernstadt,
eine Westernshow mit Ballerei und
Galgen darf nicht fehlen.
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INFOS & WWW
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in ähnliches Spektakel erlebt
man noch bei einem Ausflug in
den Süden, in das nicht minder imposante Valley of Fire. Die szenische
Straße wird dort ebenfalls von gewaltigen roten Sandsteinformationen gesäumt, man fühlt sich wie auf einen
fremden Planeten gebeamt. Ja und
wirklich, Scotty schau oba, tatsächlich wurden hier etliche Szenen für
den Raumschiff-Enterprise-Kinofilm
gedreht. Eine Reise durch das weiter
entfernte Death Valley hingegen würde ich auf einem kleinen Roller nicht
empfehlen.
In der Wüste führen so ziemlich alle
Straßen nach Las Vegas. Der Moloch
hat uns wieder, es ist die am schnellsten wachsende Stadt Amerikas. Was
gibt’s Neues in der Wunderwelt? Man
braucht sich nur einmal kurz umdrehen und die Stadt sieht schon wieder
anders aus. Kommt man im regelmä-
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Die USA betreiben in Österreich kein nationales Tourismusbüro oder Fremdenverkehrsamt mehr, auch die Botschaft der
Vereinigten Staaten hat keine Infostelle. Reisevorbereitungen
müssen daher über Reisebüros, Reiseführer oder Internet
getroffen werden – ein sehr guter Einstieg mit unzähligen
hilfreichen Links ist http://austria.usembassy.gov. Hier noch
einige nützliche Websites: www.redrockcanyonlv.org und
www.nv.blm.gov/redrockcanyon (Besucherinfos Red Rock
Canyon); http://parks.nv.gov/vf.htm (Valley of Fire); www.visitlasvegas.com (offizielle Las-Vegas-Seite); www.vegas.com
(Buchungsmöglichkeiten für Hotels und Shows); www.vegas4visitors.com (Buchungsmöglichkeiten); www.vegas-infos.de
(gute deutschsprachige Seite); www.premiumoutlets.com und
www.fashionoutletlasvegas.com (empfehlenswerte Shopping
Malls); www.historic66.com (the Mother Road).
ßigen Abstand von drei, vier oder fünf
Jahren hierher, dann sind kapitale Veränderungen wahrzunehmen. Am auffälligsten ist aber, dass die bekannten
Wahrzeichen von Las Vegas, die vielen
Publkumsattraktionen am Strip, allesamt bereits in den 1990ern entstanden sind: Luxor; New York, New York;
Excalibur; Mirage; Caesars Palace; Pa-
ris; Treasure Island; Stratosphere Tower – seit dem unglaublichen Venetian
und der berührenden SpringbrunnenShow vor dem Bellagio vor über zehn
Jahren ist nichts Aufsehenerregendes
mehr hinzugekommen, wenn man
von den glattflächigen Hotels Mandalay Bay und Wynn vielleicht absieht.
Mehr noch: So einprägsame Land-
marks wie das Caesars oder das Monte Carlo werden von gesichtslosen
Condominiums erdrückt, die wegen
der wirtschaftlichen Lage jetzt schwer
verkäuflich sind, aber die Traditionshäuser trotzdem um fast das Doppelte
überragen. Offensichtlich ist Las Vegas wieder gerade einmal dabei, sich
selbst neu zu erfinden. Vom guten
alten Schlag ist da noch ein gewisser
Senor Carlos Santana, der heute abend
im Hard Rock Hotel musiziert. Muss
man hin. Und man sollte sich beeilen,
Mister Santana spielt nur noch einige
Male bis zum 1. Mai 2011. Ich werde
mit Zong Ding Deng hinfahren, der
mir jetzt schon sehr ans Herz gewachsen ist.
(1) In Saus und Braus am Las Vegas
Boulevard. Das Durchschlängeln mit
einem Roller wird in Amerika aber
eher verständnislos betrachtet
(2) Zum Wandern wär’s mir hier
zu heiß. Trotzdem ist der Red Rock
Canyon auch ein Trekking- und
Mountainbike-Paradies
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