Multivitamin-Folsäure-Supplement für werdende

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U P D AT E / C O N G R E S S WAT C H
Multivitamin-Folsäure-Supplement für
werdende Mütter
Neue Studie: Erhöhter Schutz vor kindlichen Fehlbildungen
Der Nutzen einer präventiven Gabe von Folsäure vor und
während der Schwangerschaft als Prophylaxe gegen
Neuralrohrdefekte ist seit langem in verschiedenen Studien dokumentiert und gilt als unbestritten. Jetzt kann
eine aktuell publizierte Studie aufzeigen, dass die Einnahme einer Kombination verschiedener Vitamine plus
A
ngeborene Fehlbildungen sind unter anderen die häufigste Todesursache bei Kindern in den ersten Lebensjahren, berichtete Prof. Dr. Dr. h.c.
mult. Wolfgang Holzgreve, Vorsteher der
Universitäts-Frauenklinik Basel. Wie statistische Erhebungen zeigen, ist weltweit
1 von 33 Neugeborenen bei der Geburt
von gravierenden strukturellen Fehlentwicklungen betroffen. Zu den häufigsten
angeborenen Fehlbildungen des Zentralnervensystems gehören die Neuralrohrdefekte mit einer regional unterschiedlichen Inzidenz von 1 bis 5 pro 1000
Lebendgeburten.
Der Verschluss des Neuralrohrs erfolgt bereits in der frühen Embryonalentwicklung,
etwa zwischen dem 22. und 28. Schwangerschaftstag, zu einem Zeitpunkt also,
bei dem viele Mütter noch nicht wissen,
dass sie ein Kind erwarten. Störungen in
dieser sensiblen Entwicklungsphase können zu erheblichen Defekten führen, wie
Spina bifida mit Meningozele oder
Meningomyelozele sowie zu Anenzephalien mit vollständigem oder weit gehendem Fehlen der Grosshirnanlage.
Während Neugeborene mit Fehlbildungen
des Gehirns kaum überleben, haben Kinder mit Spina bifida gute Lebenschancen;
sie sind allerdings aufgrund unterschiedlicher neurologischer Beeinträchtigungen
häufig lebenslang behindert.
Genetische und Umweltfaktoren
als Ursachen
Für die Entstehung von Neuralrohrdefekten wird das Zusammenwirken von
Folsäure (0,8 mg) einen signifikant besseren Schutz gegen die meisten Fehlbildungen bietet als Folsäure allein. Bei einer Seminarveranstaltung anlässlich des Jahreskongresses der SGGG wurden die neuen Daten und
ihre Bedeutung für die Gesundheit der Neugeborenen
vorgestellt.
Umwelt- und genetischen Faktoren verantwortlich gemacht, so Holzgreve. Die
genetische Komponente spiegelt sich im
hohen Wiederholungsrisiko nach erstmaligem Auftreten eines Neuralrohrdefektes wider. Frauen, die bereits ein Kind
mit Neuralrohrdefekt geboren haben,
haben bei nachfolgenden Schwangerschaften ein 10- bis 20fach erhöhtes
Wiederholungsrisiko (4–5%). 95 Prozent
der Kinder mit Spina bifida werden allerdings in Familien geboren, die in ihrer
Anamnese keine Behinderungen dieser
Art aufweisen.
Die Bedeutung der Umweltfaktoren
zeigt sich in den teils ausgeprägten geografischen Unterschieden der Inzidenz.
Wie man heute weiss, hat die Ernährung
der Mutter einen entscheidenden Einfluss auf beide Mechanismen. Eine ausreichende Versorgung der Mutter mit essenziellen Mikronährstoffen vor und
während der Schwangerschaft ist für die
gesunde Entwicklung des Kindes im
Mutterleib entscheidend und kann die
Häufigkeit angeborener Fehlbildungen
sowie daraus resultierende Schwangerschaftsabbrüche signifikant reduzieren.
Diese Chance der Prävention gelte es zu
nutzen, betonte Holzgreve.
Bedeutung der Folsäure-Substitution
Bereits in den Sechzigerjahren wurde diskutiert, dass Folsäure in der kritischen
Phase des Neuralrohrverschlusses eine
entscheidende Rolle spielen könnte.
Diese Vermutung liess sich inzwischen
durch zahlreiche Studien (1) bestätigen,
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GYNÄKOLOGIE 6/2004
die übereinstimmend zeigten, dass die
zusätzliche Einnahme von Folsäure in der
Frühschwangerschaft das Risiko von Neuralrohrdefekten um mehr als 70 Prozent
vermindert, berichtete Professor Dr. Klaus
Pietrzik, Leiter der Abteilung Pathophysiologie der Ernährung des Menschen am
Institut für Ernährungswissenschaft der
Universität Bonn. Zwar wird der eigentliche Wirkmechanismus noch nicht bis ins
Detail verstanden, wesentlich für den
protektiven Effekt scheint jedoch der Einfluss der Folsäure auf den HomocysteinStoffwechsel zu sein. Vieles deutet darauf hin, dass die reduzierte Aktivität eines
für die Umwandlung von Homocystein
essenziellen folsäureabhängigen Enzyms
(Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase) im
Stoffwechsel zu einer Anreicherung des
neurotoxischen Homocysteins führt.
Diese genetisch bedingte Aktivitätsminderung ist weit verbreitet, betrifft etwa
10 Prozent der Bevölkerung und wird
häufiger bei Müttern beobachtet, die
Kinder mit Neuralrohrdefekten geboren
haben, so Pietrzik. Erhöhte HomocysteinSpiegel scheinen offenbar nicht nur für
Neuralrohrdefekte, sondern auch für eine
ganze Reihe anderer Fehlbildungen mitverantwortlich zu sein, wie angeborene
Herzfehler, Gaumenspalten, Fehlbildungen der Harnwege oder Pylorusstenosen.
Dass eine frühzeitige angemessene Folsäure-Versorgung die Häufigkeit von
Neuralrohrdefekten und anderen Fehlbildungen signifikant zu senken vermag,
zeigte sich unter anderem in verschiedenen von Czeizel et al. durchgeführten
kontrollierten klinischen Studien. So
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Multivitamin-Folsäure-Supplement für werdende Mütter
konnten Czeizel und Dudas 1992 in einer
kontrollierten Studie (2) zeigen, dass das
erstmalige Auftreten von Neuralrohrdefekten signifikant seltener ist, wenn
eine angemessene perikonzeptionelle
Gabe von Multivitaminen plus Folsäure
(0,8 mg) erfolgt. 1994, im Final Report zu
dieser Studie (3), wurden diese Daten
bestätigt: Von den insgesamt 5502
schwangeren Frauen erhielt eine Gruppe
(n = 2819) mindestens einen Monat vor
Eintritt der Schwangerschaft sowie
mindestens zwei Monate danach das
Multivitamin-Folsäure-Präparat
beziehungsweise Plazebo in der Kontrollgruppe. Während die mit Verum supplementierten Mütter alle gesunde Kinder
zur Welt brachten, wurden in der Kontrollgruppe 6 Fälle von Neuralrohrdefekten beobachtet (p = 0,014). Dass
sich auch das Wiederholungsrisiko durch
eine perikonzeptionelle Folsäuregabe um
mehr als 70 Prozent vermindern lässt,
wurde bereits 1991 durch eine internationale Multizenterstudie des Medical
Research Council nachgewiesen (1).
Effektiverer Schutz durch
Folsäure plus Multivitamine
Seit 1992 wird bereits vermutet, dass die
Gabe von Multivitaminen plus Folsäure
eine deutlich bessere Schutzwirkung für
das ungeborene Kind haben könnte als
Folsäure allein, wie Pietrzik in seinen
Ausführungen darlegte. So liess sich
durch die perikonzeptionelle Einnahme
einer Multivitamin-Kombination inklusive Folsäure (0,8 mg) ein deutlich besserer Schutz vor Neuralrohrdefekten und
anderen Fehlbildungen erzielen als durch
die isolierte Einnahme einer hohen Folsäuredosis (6 mg pro Tag), wie Czeizel in
einer 2000 publizierten Arbeit berichtete (4). Dies könnte sich unter anderem
dadurch erklären lassen, dass an der Aktivierung des Homocystein-Stoffwechsels nicht nur Folsäure allein, sondern
auch andere Mikronährstoffe, wie die
Vitamine B6 und B12, beteiligt sind, die
eng mit Folsäure zusammenwirken.
In seiner kürzlich publizierten Untersuchung (5) verglich Czeizel erneut den
Schutzeffekt eines Multivitamin-Folsäure-Supplements (0,8 mg) mit der
reinen Folsäure-Gabe (6 mg/Tag), indem
er die gepoolten Daten aus zwei kurze
Zeit zuvor abgeschlossenen ungarischen
Interventionsstudien mit denen einer
ungarischen Fall-Kontroll-Studie (CaseControl Surveillance of Congenital Abnormalities [HCCSCA]) verglich. Dabei
zeigte sich, dass die tägliche perikonzeptionelle Einnahme des MultivitaminFolsäure-Supplements (0,8 mg) 92 Prozent der Neuralrohrdefekte verhindern
konnte. Sie erwies sich damit als wesentlich wirksamer als hochdosierte Folsäure allein (Odds Ratio: MultivitaminFolsäure-Kombination
0,08;
hoch
dosierte Folsäure 0,68 bei Einnahme im
ersten Schwangerschaftsmonat). Weitere Vorteile der Multivitamin-FolsäureGabe zeigten sich darüber hinaus in einem deutlich effizienteren Schutz vor
kongenitalen Herzfehlern sowie vor angeborenen Harnwegsmissbildungen, Pylorusstenosen und Gliedmassendefekten.
INTERVIEW
Multivitamin-Folsäure-Supplement für werdende Mütter
Fazit
Diese eindrücklichen Daten belegen,
dass die perikonzeptionelle Einnahme einer 0,8 mg Folsäure enthaltenden Multivitamin-Kombination einen signifikant
besseren Schutz vor den meisten angeborenen Fehlbildungen bietet als die Einnahme reiner Folsäure in höheren Konzentrationen (bis zu 6 mg pro Tag).
Optimal ist die für Mutter und Kind so
wichtige Prophylaxe also erst, wenn
nicht nur Folsäure allein, sondern auch
die übrigen Vitamine, Mineralstoffe und
Spurenelemente in ausgewogener Kombination ausreichend zur Verfügung stehen, damit das Zusammenwirken dieser
essenziellen Mikronährstoffe garantiert
ist.
◗
Claudia Reinke
Quelle:
Lunch-Meeting (Roche Pharma [Schweiz]):
«Multivitamin-Präparate mit Mineralien und Spurenelementen für Frauen vor, während und nach
der Schwangerschaft». Nach Vorträgen von Prof.
Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve, Basel; Prof.
Dr. Klaus Pietrzik, Bonn; Dr. Michel Boulvain,
HUG, Genf, anlässlich des Jahreskongresses der
SGGG, Juni 2004, Interlaken.
In allen erwähnten Czeizel-Studien wurde die
Multivitamin-Folsäure-Kombination Elevit® Pronatal eingesetzt.
Referenzliteratur:
1. MRC Vitamin Study Research Group: Preven-
tion of neural tube defects: results of the Medical
Research Council Vitamin Study. Lancet 1991; 338
(8760): 131–7.
2. Czeizel A.E., Dudas I.: Prevention of the first occurence of neural tube defects by periconceptional vitamine supplementation. N Engl J Med 1992;
327: 1832–1835.
3. Czeizel A.E. et al.: Pregnancy outcomes in a
randomised controlled trial of periconceptional
multivitamin supplementation. Final report. Arch
Gynecol Obstet 1994; 255: 131–139.
4. Czeizel A.E.: Primary prevention of neural-tube
defects and some other major congenital abnormalities: recommendations for the appropriate
use of folic acid during pregnancy. Paediatr
Drugs 2000; 2: 437–449.
5. Czeizel, A.E.: The primary prevention of birth
defects: Multivitamins or folic acid? Int J Med Sci
2004; 1 (1): 50–61.
«Mehr Multivitamin-Folsäure-Präparate geben statt Folsäure allein»*
*Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve, Vorsteher der Universitäts-Frauenklinik Basel, über den Stellenwert der
neuesten Czeizel-Studie für die gynäkologische Praxis.
Gynäkologie: Welche Bedeutung hat Ihrer Ansicht nach die neueste Untersuchung von Prof.
Czeizel über die kombinierte Gabe von Folsäure
plus Multivitamine im Vergleich zu Folsäure allein zur Prävention kongenitaler Fehlbildungen?
Wolfgang Holzgreve: Schon in seiner allerersten
Untersuchung zur Prävention von Neuralrohrdefekten setzte Professor Czeizel nicht allein Folsäure, sondern ein Multivitamin-Präparat mit 0,8
mg Folsäure ein. Als Nächstes wies die im «Lancet» publizierte Langzeituntersuchung des britischen Medical Research Council (MRC) nach,
dass sich bei Frauen, die bereits ein Kind mit Neuralrohrdefekt zur Welt gebracht hatten, mit 4 mg
Folsäure allein ein sehr deutlicher Präventionseffekt erzielen liess. Dadurch stieg weltweit das
Bewusstsein für die präventive Gabe von Folsäure in der Schwangerschaft. Allerdings konnte
man damals nicht ahnen, dass die zusätzliche
Gabe von Multivitaminen einen noch höheren
Schutzeffekt haben würde als die alleinige Gabe
von Folsäure. Es bedurfte weiterer Untersuchungen, um diesen zusätzlichen Gewinn nachzuweisen. Czeizel kommt das Verdienst zu, diese
Analyse mit den bestmöglichen Methoden geleistet zu haben. Inzwischen ist man auch so weit,
dass man die Mechanismen hinter diesen Wirkungen besser versteht, und so ist klar geworden,
dass nicht nur die Folsäure, sondern auch die
Vitamine B6 und B12 auf die Enzyme wirken, die für
den Homocystein-Spiegel verantwortlich sind.
Durch verschiedene Kampagnen ist die Öffentlichkeit heute für die Bedeutung der Folsäure in
der Schwangerschaft sensibilisiert; nun sollte
man gleich den nächsten Schritt machen und
darüber aufklären, dass die Applikation von
Multivitamin-Präparaten noch günstiger ist als
die alleinige Gabe von Folsäure. Darüber sind
sich die Experten einig.
Die Substitution von Mikronährstoffen in der
Schwangerschaft ist demnach also sinnvoll und
gerechtfertigt. Gilt dies für jede werdende Mutter?
Holzgreve: Ja. Wenn man den Neuralrohrdefekt als prominentestes Beispiel nimmt, dann
stammen nur etwa 5 Prozent der Kinder, die mit
Spina bifida oder Anenzephalie geboren werden, aus Familien, die schon ein Kind mit einer
solchen Anomalie haben. Wenn man sich also
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auf diejenigen beschränken würde, wo – entweder aufgrund der Familiengeschichte oder
anderer Faktoren – ein erhöhtes Risiko bekannt
ist, dann würde man nicht viel erreichen.
Selbstverständlich muss man in solchen Hochrisikofamilien unbedingt eine Substitution sicherstellen. Wenn aber eine echte Prävention
etwas in grösserem Stil bewirken soll, dann
geht es nur mit dem Angebot einer generellen
Substitution.
Wird Ihrer Ansicht nach der Benefit von Mikronährstoffen in der Schwangerschaft in der
Schweiz richtig eingeschätzt?
Holzgreve: Ich glaube schon; viele Frauen
führen eine Substitution mit Multivitamin-Präparaten durch, und es gibt auch viele, die nur Folsäure-Präparate nehmen. Ich persönlich würde
mir wünschen, dass noch mehr auf folsäurehaltige Multivitamin-Präparate umgestellt wird.
Zu welchem Vorgehen würden Sie Ihren Kollegen raten?
Holzgreve: Dass bei der Betreuung von Frauen,
die schwanger werden können und wollen, unbedingt über eine Folsäure-Multivitamin-Substitution gesprochen wird.
Besten Dank für das Interview!
Das Interview führte Dr. Claudia Reinke.
◗

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