Schwarz | Rot | Gold - Kunstuniversität Linz
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Schwarz | Rot | Gold - Kunstuniversität Linz
EINZELKAPITEL 1 SCHWARZ ROT GOLD 222 2010 223 Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“, von links oben nach rechts unten: Otto von Bismarck, Ricarda Huch, Johann Gottlieb Fichte, Klara Zetkin, erblasst in der Mitte: Walter Ulbricht 224 225 Monitorausschnitt, Powerpoint von Gerhard Müller SCHWARZ | ROT | GOLD Die deutschen Farben aus Jena Ein keineswegs kontinuierlicher Weg führt vom erstmaligen Auftauchen von „SchwarzRot-Gold“ bis zu deren Festlegung als Nationalfarben der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Schon zwischen dem Hochhalten der rot-schwarz-roten, mit Gold umstickten Fahne auf der Wartburg im Oktober 1817 und einer erstmaligen Erwähnung des „Dreifarbs“ als „deutsche Farben“ vergingen etliche Jahre. Die schwarz-rote, goldumrandete Fahne der Jenaer Urburschenschaft war ebenso wie die berühmte Wartburgfahne, das Prunkstück der Ausstellung im Jenaer Stadtmuseum, nichts anderes als das gemeinsame Zeichen eines Kartells studentischer Korporationen, die ihre regionale Identität unter einem gemeinsamen gesamtdeutschen Dach zusammenfassen wollten. Noch nach dem Wartburgfest dachte dabei niemand an ein Nationalsymbol; dass es ein solches gewesen sein soll, ist eine Legende der deutschnationalen Geschichtsschreibung. Die „Grundsätze und Beschlüsse des 18. Octobers“, in denen die Studenten, angesichts der vom Berliner Polizeichef Karl Albert von Kamptz inszenierten Kampagne gegen das Wartburgfest, ihre politischen Ansichten öffentlich darzustellen suchten, kannten noch kein schwarz-rot-goldenes Nationalsymbol. Einer gemeinsamen deutschen Nationalflagge bedürfe es, so hieß es, überhaupt nur in Kriegszeiten, und für diesen Fall konnte man sich allein 226 die preußischen Farben Schwarz-Weiß, die Farben Blüchers, als deutsche Nationalfarben vorstellen. Erst auf dem Burschentag in Jena am 19. Oktober 1818, auf dem sich die Allgemeine Deutsche Burschenschaft konstituierte, kam die Flaggenfrage zur Diskussion, und mit Verweis auf Friedrich Ludwig Jahn, der meinte, die Farben Schwarz, Rot und Gold seien die alten deutschen Reichsfarben, zog man in Erwägung, diese zum Symbol der Burschenschaft zu erheben; doch wurde hierzu noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Die sich überstürzenden politischen Ereignisse der Folgezeit, als deren Ergebnis die Karlsbader Reaktionsbeschlüsse die Verhältnisse des Deutschen Bundes für Jahrzehnte veränderten und die Burschenschaft gezwungen wurde, sich aufzulösen oder in die Illegalität zu gehen, verhinderten die weitere Klärung der Flaggenfrage. Es war schließlich der Druck der Reaktion und die Notwendigkeit, unter diesen Verhältnissen ein sofort erkennbares Symbol der gemeinsamen Identität zu finden, die dazu führten, dass sich die burschenschaftlich gesinnten Studenten, wie man es in Stammbüchern lesen konnte, im Zeichen des schwarz-rot-goldenen Bandes verbunden wussten. Ob es allerdings einen Zusammenhang gibt zwischen den sich allenthalben in burschenschaftlicher Gesinnung zusammenfindenden Studentenkränzchen und jenen Hambacher Bürgern, die 1832 zur feierlichen Umrahmung des nationalen Freiheitsfestes auf dem Hambacher Schloss die schwarz-rotgoldene Trikolore erfanden, ist nicht schlüssig nachweisbar. Fest steht, dass dieser „Dreifarb“ von nun an sowohl von den Burschenschaften als auch von allen anderen, die sich für die Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“, Walter Ulbricht mit Lichtschalter und Kopfverzierung durch ausgeronnene Farben 227 228 Blick in den ersten Raum der Ausstellung, rechts Urfahne „Schwarz-Rot-Gold“ der revolutionären Studenten in Jena 229 Vitrinendetail, Helmut Kohl, sogenannter Einheitskanzler Collage in der Vitrine 230 Einheit Deutschlands in Freiheit begeisterten, als gemeinsames politisches Symbol angesehen und benutzt wurde. Als beredter Beweis dafür kann der Verbotsbeschluss des Deutschen Bundestags gelten, der wenige Monate nach dem Hambacher Fest jegliches öffentliche Zeigen der schwarz-rot-goldenen Farben unter Strafe stellte, sofern es sich nicht, kurios genug, um die in einigen deutschen Bundesstaaten offiziell geltenden Landesfarben handelte, zum Beispiel in den reußischen Fürstentümern. In der bürgerlichen Revolution 1848/49 wurde „Schwarz-Rot-Gold“ zum Symbol des Strebens nach einem Nationalstaat; die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche erklärte diese Farben zur offiziellen deutschen Nationalflagge. Kaum jemand weiß heute noch, dass damals auch schon unter dieser Fahne Krieg geführt wurde, als nämlich Dänemark versuchte, das vom dänischen Königshaus in Personalunion regierte Schleswig an den dänischen Staat anzuschließen. Es gab sogar eine deutsche Kriegsflotte der Provisorischen Zentralgewalt, deren Schiffe unter schwarz-rotgoldener Flagge operierten; da diese „Nationalflagge“ aber noch nicht supranational anerkannt war, behandelte man sie als Piratenflagge. Nach der Niederlage der Revolution und der Wiederherstellung des alten Deutschen Bundestags führte dieser die Farben Schwarz-RotGold in seinem Wappen. Als der deutsche Nationalstaat unter preußischer Führung 1871 mit „Eisen und Blut“ zusammengeschmiedet wurde, verschwanden diese „Freiheitsfarben“ – zumindest von der staatlichen Bühne. Die von Bismarck erwählte schwarz-weiß-rote Fahne wehte über dem Kaiserreich bis zu dessen Untergang 1918. Für die Burschenschaften entstand nun eine zwiespältige Situation. Als bekennende Vorkämpfer der deutschen Einheit sahen sie in der Bimarck’schen Reichsgründung die Verwirklichung ihrer Ideale und flaggten Schwarz-Weiß-Rot; die Farben Schwarz-Rot-Gold wurden lediglich als Traditions- und Verbindungsfarben weitergeführt. Die Weimarer Republik, die seit 1918 unter schwarz-rot-goldener Flagge firmierte, hatte zeit ihres Bestehens schwer mit der schwarzweiß-roten Gesinnungslast des untergehenden Reiches zu kämpfen. „Schwarz-Weiß-Rot“ und „Schwarz-Rot-Gold“ wurden zu den politischen Symbolen, unter denen sich wie in einem eingefrorenen Bürgerkrieg die Gegner und Anhänger der Weimarer Demokratie sammelten. Den „Flaggenstreit“, der sich durch die gesamte Geschichte der Weimarer Republik zieht, vermochte das halbherzige Flaggengesetz der Weimarer Nationalversammlung, das die Farben SchwarzRot-Gold zur offiziellen Nationalflagge, SchwarzWeiß-Rot (mit einem kleinen schwarz-rot-goldenen Feld in der rechten oberen Ecke) aber zur „Handelsflagge“ erklärte, nicht beizulegen. Das durch Wahlen an die Macht gekommene Verbrecherregime des Nationalsozialismus beendete so abrupt wie brutal jede öffentliche Diskussion über die deutsche Fahne – zugleich orientierten sich die Nazis mit der Hakenkreuzfahne an „Schwarz-Weiß-Rot“. Das öffentliche Zeigen von „Schwarz-Rot-Gold“ zog Verfolgung und KZ-Haft nach sich, und nicht wenige, die etwa in dem SPD-nahen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ für die Verteidigung der Demokratie eintraten, bezahlten ihre schwarz-rotgoldene Gesinnung mit dem Leben. 231 232 Napoleon-Statuette vor „Hermeneutic Wallpaper“, links Paul von Hindenburg, rechts Walter Ulbricht 233 Nach der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches“ 1945 waren zunächst alle deutschen Nationalsymbole verboten. Deutsche Schiffe mussten den C-Stander des internationalen Flaggenalphabets (C = Capitulation) als Hoheitszeichen führen. Vier Jahre später, nach der Gründung von Bundesrepublik und DDR, wurde „Schwarz-Rot-Gold“ erneut zu den Nationalfarben beider deutscher Staaten erkoren. In Ost und West waren dieser Entscheidung höchst kontroverse Debatten vorausgegangen, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich der Volkskongress der sowjetischen Zone, der Vorläufer der späteren DDR-Volkskammer, zunächst sogar für Schwarz-Weiß-Rot, die Farben des kommunistisch geführten „Nationalkomitees Freies Deutschland“, der antifaschistischen Umerziehungsorganisation deutscher Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg, entscheiden wollte, was das Auftreten des Ex-Sozialdemokraten Friedrich Ebert, des Sohnes des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, jedoch verhindern konnte. 1956 ergänzte die DDR den „Dreifarb“ um Hammer und Zirkel im Ährenkranz, jenes Symbol der SED-Diktatur, das die Demonstranten während der friedlichen Revolution von 1989 als Ausdruck ihres Verlangens nach Herstellung der Einheit Deutschlands aus den mitgeführten schwarz-rot-goldenen Fahnen herausschnitten. Erst seit der politischen Einheit 1990 hat Deutschland wieder eine Fahne. Im Gegensatz zu den beiden großen Ausstellungen in Weimar („Wozu braucht Carl August einen Goethe?“ und „Das Bernhardzimmer“) erwies sich das Ausstellungsprojekt in Jena insofern als subtile Herausforderung, als die Bandbreite vom Fahnensymbol einer 234 Studentenrevolte über Kaiserreich und Nazidiktatur bis hin zum offiziellen Symbol zweier deutscher Staaten unter verschiedenen Herrschaftsstrukturen und dem letztendlich geeinten Deutschland von heute ganz und gar unterschiedliche mentalitätsgeschichtliche Spannungsbögen durchläuft. Ein formales Problem rückte bei der Gestaltung der „Hermeneutic Wallpapers“ in den Mittelpunkt: Als völlig unmöglich stellte sich die Lösung heraus, die drei Farben in Form rechteckig umgrenzter Felder darzustellen. Auch das saloppe Gegenteil, mit den Farben gleichsam über die Wände „zu wischen“, brachte eher den Touch eines PR-Labels mit sich, verkörperte aber kaum politische Ernsthaftigkeit, die mit der Ausstellung eines staatstragenden Emblems auch mitschwingen sollte, handelt es sich doch um das Freiheitssymbol einer Demokratie. Erst der Einsatz comicartig stilisierter Pinselstriche (wie sie auch Roy Lichtenstein verwendet hat), die jeweils die Farben „trugen“, brachte das gewünschte Ergebnis. So waren die schnell hingepinselten „Fahnenkleckse“ Ausdruck einer Spontaneität, wie sie vielleicht für die politische Radikalität all der Freiheitsbewegungen stehen mochte, die im Zeichen von „Schwarz-Rot-Gold“ angetreten sind. Die Köpfe politisch relevanter Persönlichkeiten (Bismarck, Fürst Carl Alexander, Turnvater Jahn, Johann Gottlieb Fichte, Carl Ludwig Sand, Ricarda Huch, Clara Zetkin, Walter Ulbricht, Michael Gorbatschow, Willi Brandt, Friedrich Ebert, Rosa Luxemburg, Sophie Scholl) waren in die Tapete integriert und standen als Embleme exemplarisch für die unterschiedlichsten politischen Richtungen, die sie in der Stadtmuseum Jena 235 Links Stich von Carl Sandhaas, „Die Höhle von Salamanca” Realgeschichte repräsentierten. So gelang es, auf kleinstem Raum die Größe des Themas sinnfällig zu machen, schwebten doch die „Fahnenkleckse“ und die, zum Teil schemenhaften, Porträts wie in einer Hall of Fame im Raum. Das Pathos dieser Würdigkeit wurde allerdings ironisch gebrochen, zumal das Panoptikum der Porträts als Patchwork auch ein bisschen Zirkuscharakter hatte; dieser korrespondierte mit dem Medium der politischen Karikatur, wie sie in den Bildfolgen mannigfach gezeigt wurde. So trug die „Erzählende Tapete“ explizit zur Vermittlung des schwierigen Kontextes bei und unterstützte das Ansinnen der Ausstellung, das Thema sowohl wissenschaftlich zu diskutieren als auch politisch-ideologisch zu erläutern. Die Ausstellung, die nunmehr als Fixausstellung des Stadtmuseums weitergeführt wird, funktioniert dieserart auch für und mit Jugendlichen; das „Staging-Knowledge“Konzept hat sich als Vermittlungsvehikel für politische Bildung als überaus tauglich erwiesen. Bezeichnenderweise waren bei der Eröffnung im Stadtmuseum Jena – außer dem Bürgermeister und der einen oder anderen Persönlichkeit des thüringischen Kulturlebens, 236 den Repräsentanten des Stadtmuseums und dem kuratorischen Team – als Publikum ausschließlich Burschenschafter anwesend, während draußen unter Polizeischutz die „aufrechten“ Demokraten und Linken lautstark protestierten. Hätten sie sich die Ausstellung angesehen, wäre ihnen wohl bald klar geworden, in welch historisch fragwürdige Gesellschaft sie sich mit ihren Protesten gegen „Schwarz-Rot-Gold“ begeben hatten. Im Vorfeld der Ausstellung ist das Stadtmuseum eine Kooperation mit einer Arbeitsgruppe des Historischen Instituts der FSU Jena eingegangen. Die Konzeption und historische Aufbereitung unterstand der Leitung von Prof. Dr. Hans-Werner Hahn, der mit seinen Studierenden – Susan Burger, Jenny Dübner, Johannes Kühn, Susanne Sodan und Heiko Ziemer – die verschiedenen Etappen nachzeichnete, die „Schwarz-Rot-Gold“ auf dem Weg zum Nationalsymbol durchlaufen hat. Prinz Michael von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Gattin Prinzessin Dagmar 237 Lustige Devotionalien zur deutschen Einheit: Starkbier, Schwämmchen und Fußballmaskottchen Blick auf die deutsche Urfahne von 1815, auf dem „Hermeneutic Wallpaper“: links oben der Dichter Fallersleben, mittig blass der Student Carl Ludwig Sand, Mörder von Kotzebue 238 KuratorInnen: Teresa Thieme, Jan Wiltsch, Gerhard Müller Wissenschaftliches Team: Susan Burger, Jenny Dübner, Hans-Werner Hahn, Johannes Kühn, Susanne Sodan, Heiko Ziemer Ausstellungsarchitektur (kuratorische Szenografie): Herbert Lachmayer Organisation: Stadtmuseum Jena, Juliane Fuchs Grafik: Kai Matthiesen Digital Media: Daniel Dobler, Silke Pfeifer Hermeneutic Wallpapers: Herbert Lachmayer, Margit Nobis Ort und Institution: Stadtmuseum Jena Dauer: 3. Oktober 2010 – 31. Dezember 2012 Produktion (Veranstalter): JenaKultur, Städtische Museen Jena, Stadtmuseum, Direktor Matthias Mieth Kooperationen: Da Ponte Research Center, Filminstitut Weimar, Juliane Fuchs, Kunstuniversität Linz, PEEK (Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste) im Rahmen des FWF – Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Sponsoren: Friedrich-Schiller-Universität, Klassik Stiftung Weimar, Vorwerk Teppichwerke, Interactive Media Services, jena Bild Produktion, Bauhaus-Universität Film-Institut Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“ mit Steckdosenpaar, von links: Sophie Scholl, Friedrich Ebert, Carl Ludwig Sand, Turnvater Jahn, Carl Ludwig Sand, Otto Grotewohl, Teppich von Vorwerk, Entwurf Josef Hoffmann (1911) 239