Schwarz | Rot | Gold - Kunstuniversität Linz

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Schwarz | Rot | Gold - Kunstuniversität Linz
EINZELKAPITEL
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SCHWARZ
ROT
GOLD
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2010
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Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“, von links oben nach rechts unten: Otto von
Bismarck, Ricarda Huch, Johann Gottlieb Fichte, Klara Zetkin, erblasst in der Mitte: Walter Ulbricht
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Monitorausschnitt, Powerpoint von Gerhard Müller
SCHWARZ | ROT | GOLD
Die deutschen Farben
aus Jena
Ein keineswegs kontinuierlicher Weg führt
vom erstmaligen Auftauchen von „SchwarzRot-Gold“ bis zu deren Festlegung als Nationalfarben der heutigen Bundesrepublik
Deutschland. Schon zwischen dem Hochhalten
der rot-schwarz-roten, mit Gold umstickten
Fahne auf der Wartburg im Oktober 1817 und
einer erstmaligen Erwähnung des „Dreifarbs“
als „deutsche Farben“ vergingen etliche Jahre.
Die schwarz-rote, goldumrandete Fahne der
Jenaer Urburschenschaft war ebenso wie die
berühmte Wartburgfahne, das Prunkstück der
Ausstellung im Jenaer Stadtmuseum, nichts
anderes als das gemeinsame Zeichen eines
Kartells studentischer Korporationen, die ihre
regionale Identität unter einem gemeinsamen gesamtdeutschen Dach zusammenfassen
wollten. Noch nach dem Wartburgfest dachte
dabei niemand an ein Nationalsymbol; dass es
ein solches gewesen sein soll, ist eine Legende
der deutschnationalen Geschichtsschreibung.
Die „Grundsätze und Beschlüsse des 18. Octobers“, in denen die Studenten, angesichts
der vom Berliner Polizeichef Karl Albert von
Kamptz inszenierten Kampagne gegen das
Wartburgfest, ihre politischen Ansichten öffentlich darzustellen suchten, kannten noch kein
schwarz-rot-goldenes Nationalsymbol. Einer
gemeinsamen deutschen Nationalflagge bedürfe es, so hieß es, überhaupt nur in Kriegszeiten, und für diesen Fall konnte man sich allein
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die preußischen Farben Schwarz-Weiß, die
Farben Blüchers, als deutsche Nationalfarben
vorstellen. Erst auf dem Burschentag in Jena
am 19. Oktober 1818, auf dem sich die Allgemeine Deutsche Burschenschaft konstituierte,
kam die Flaggenfrage zur Diskussion, und mit
Verweis auf Friedrich Ludwig Jahn, der meinte, die Farben Schwarz, Rot und Gold seien
die alten deutschen Reichsfarben, zog man in
Erwägung, diese zum Symbol der Burschenschaft zu erheben; doch wurde hierzu noch
keine abschließende Entscheidung getroffen.
Die sich überstürzenden politischen Ereignisse
der Folgezeit, als deren Ergebnis die Karlsbader Reaktionsbeschlüsse die Verhältnisse
des Deutschen Bundes für Jahrzehnte veränderten und die Burschenschaft gezwungen
wurde, sich aufzulösen oder in die Illegalität
zu gehen, verhinderten die weitere Klärung
der Flaggenfrage. Es war schließlich der Druck
der Reaktion und die Notwendigkeit, unter
diesen Verhältnissen ein sofort erkennbares
Symbol der gemeinsamen Identität zu finden,
die dazu führten, dass sich die burschenschaftlich gesinnten Studenten, wie man es
in Stammbüchern lesen konnte, im Zeichen
des schwarz-rot-goldenen Bandes verbunden
wussten. Ob es allerdings einen Zusammenhang gibt zwischen den sich allenthalben in
burschenschaftlicher Gesinnung zusammenfindenden Studentenkränzchen und jenen
Hambacher Bürgern, die 1832 zur feierlichen
Umrahmung des nationalen Freiheitsfestes
auf dem Hambacher Schloss die schwarz-rotgoldene Trikolore erfanden, ist nicht schlüssig
nachweisbar. Fest steht, dass dieser „Dreifarb“
von nun an sowohl von den Burschenschaften
als auch von allen anderen, die sich für die
Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“, Walter Ulbricht mit Lichtschalter und Kopfverzierung durch ausgeronnene Farben
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Blick in den ersten Raum der Ausstellung, rechts Urfahne „Schwarz-Rot-Gold“ der revolutionären Studenten in Jena
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Vitrinendetail, Helmut Kohl, sogenannter Einheitskanzler
Collage in der Vitrine
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Einheit Deutschlands in Freiheit begeisterten,
als gemeinsames politisches Symbol angesehen
und benutzt wurde. Als beredter Beweis dafür
kann der Verbotsbeschluss des Deutschen Bundestags gelten, der wenige Monate nach dem
Hambacher Fest jegliches öffentliche Zeigen
der schwarz-rot-goldenen Farben unter Strafe
stellte, sofern es sich nicht, kurios genug, um
die in einigen deutschen Bundesstaaten offiziell geltenden Landesfarben handelte, zum
Beispiel in den reußischen Fürstentümern.
In der bürgerlichen Revolution 1848/49 wurde
„Schwarz-Rot-Gold“ zum Symbol des Strebens
nach einem Nationalstaat; die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche
erklärte diese Farben zur offiziellen deutschen
Nationalflagge. Kaum jemand weiß heute noch,
dass damals auch schon unter dieser Fahne
Krieg geführt wurde, als nämlich Dänemark
versuchte, das vom dänischen Königshaus
in Personalunion regierte Schleswig an den
dänischen Staat anzuschließen. Es gab sogar
eine deutsche Kriegsflotte der Provisorischen
Zentralgewalt, deren Schiffe unter schwarz-rotgoldener Flagge operierten; da diese „Nationalflagge“ aber noch nicht supranational anerkannt war, behandelte man sie als Piratenflagge.
Nach der Niederlage der Revolution und der
Wiederherstellung des alten Deutschen Bundestags führte dieser die Farben Schwarz-RotGold in seinem Wappen. Als der deutsche
Nationalstaat unter preußischer Führung 1871
mit „Eisen und Blut“ zusammengeschmiedet
wurde, verschwanden diese „Freiheitsfarben“
– zumindest von der staatlichen Bühne. Die
von Bismarck erwählte schwarz-weiß-rote Fahne wehte über dem Kaiserreich bis zu dessen
Untergang 1918. Für die Burschenschaften
entstand nun eine zwiespältige Situation.
Als bekennende Vorkämpfer der deutschen
Einheit sahen sie in der Bimarck’schen Reichsgründung die Verwirklichung ihrer Ideale
und flaggten Schwarz-Weiß-Rot; die Farben
Schwarz-Rot-Gold wurden lediglich als Traditions- und Verbindungsfarben weitergeführt.
Die Weimarer Republik, die seit 1918 unter
schwarz-rot-goldener Flagge firmierte, hatte
zeit ihres Bestehens schwer mit der schwarzweiß-roten Gesinnungslast des untergehenden
Reiches zu kämpfen. „Schwarz-Weiß-Rot“ und
„Schwarz-Rot-Gold“ wurden zu den politischen
Symbolen, unter denen sich wie in einem eingefrorenen Bürgerkrieg die Gegner und Anhänger
der Weimarer Demokratie sammelten. Den
„Flaggenstreit“, der sich durch die gesamte Geschichte der Weimarer Republik zieht, vermochte das halbherzige Flaggengesetz der Weimarer
Nationalversammlung, das die Farben SchwarzRot-Gold zur offiziellen Nationalflagge, SchwarzWeiß-Rot (mit einem kleinen schwarz-rot-goldenen Feld in der rechten oberen Ecke) aber
zur „Handelsflagge“ erklärte, nicht beizulegen.
Das durch Wahlen an die Macht gekommene
Verbrecherregime des Nationalsozialismus beendete so abrupt wie brutal jede öffentliche
Diskussion über die deutsche Fahne – zugleich
orientierten sich die Nazis mit der Hakenkreuzfahne an „Schwarz-Weiß-Rot“. Das öffentliche
Zeigen von „Schwarz-Rot-Gold“ zog Verfolgung und KZ-Haft nach sich, und nicht wenige,
die etwa in dem SPD-nahen „Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold“ für die Verteidigung der Demokratie eintraten, bezahlten ihre schwarz-rotgoldene Gesinnung mit dem Leben.
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Napoleon-Statuette vor „Hermeneutic Wallpaper“, links Paul von Hindenburg, rechts Walter Ulbricht
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Nach der bedingungslosen Kapitulation des
„Dritten Reiches“ 1945 waren zunächst alle
deutschen Nationalsymbole verboten. Deutsche Schiffe mussten den C-Stander des internationalen Flaggenalphabets (C = Capitulation)
als Hoheitszeichen führen. Vier Jahre später,
nach der Gründung von Bundesrepublik und
DDR, wurde „Schwarz-Rot-Gold“ erneut zu
den Nationalfarben beider deutscher Staaten erkoren. In Ost und West waren dieser
Entscheidung höchst kontroverse Debatten
vorausgegangen, und es entbehrt nicht einer
gewissen Ironie, dass sich der Volkskongress
der sowjetischen Zone, der Vorläufer der späteren DDR-Volkskammer, zunächst sogar für
Schwarz-Weiß-Rot, die Farben des kommunistisch geführten „Nationalkomitees Freies
Deutschland“, der antifaschistischen Umerziehungsorganisation deutscher Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg, entscheiden wollte,
was das Auftreten des Ex-Sozialdemokraten
Friedrich Ebert, des Sohnes des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, jedoch
verhindern konnte. 1956 ergänzte die DDR den
„Dreifarb“ um Hammer und Zirkel im Ährenkranz, jenes Symbol der SED-Diktatur, das die
Demonstranten während der friedlichen Revolution von 1989 als Ausdruck ihres Verlangens
nach Herstellung der Einheit Deutschlands aus
den mitgeführten schwarz-rot-goldenen Fahnen
herausschnitten. Erst seit der politischen Einheit
1990 hat Deutschland wieder eine Fahne.
Im Gegensatz zu den beiden großen Ausstellungen in Weimar („Wozu braucht Carl
August einen Goethe?“ und „Das Bernhardzimmer“) erwies sich das Ausstellungsprojekt
in Jena insofern als subtile Herausforderung,
als die Bandbreite vom Fahnensymbol einer
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Studentenrevolte über Kaiserreich und Nazidiktatur bis hin zum offiziellen Symbol zweier deutscher Staaten unter verschiedenen
Herrschaftsstrukturen und dem letztendlich geeinten Deutschland von heute ganz
und gar unterschiedliche mentalitätsgeschichtliche Spannungsbögen durchläuft.
Ein formales Problem rückte bei der Gestaltung
der „Hermeneutic Wallpapers“ in den Mittelpunkt: Als völlig unmöglich stellte sich die
Lösung heraus, die drei Farben in Form rechteckig umgrenzter Felder darzustellen. Auch das
saloppe Gegenteil, mit den Farben gleichsam
über die Wände „zu wischen“, brachte eher
den Touch eines PR-Labels mit sich, verkörperte aber kaum politische Ernsthaftigkeit,
die mit der Ausstellung eines staatstragenden
Emblems auch mitschwingen sollte, handelt es
sich doch um das Freiheitssymbol einer Demokratie. Erst der Einsatz comicartig stilisierter
Pinselstriche (wie sie auch Roy Lichtenstein verwendet hat), die jeweils die Farben „trugen“,
brachte das gewünschte Ergebnis. So waren
die schnell hingepinselten „Fahnenkleckse“
Ausdruck einer Spontaneität, wie sie vielleicht
für die politische Radikalität all der Freiheitsbewegungen stehen mochte, die im Zeichen
von „Schwarz-Rot-Gold“ angetreten sind.
Die Köpfe politisch relevanter Persönlichkeiten
(Bismarck, Fürst Carl Alexander, Turnvater Jahn,
Johann Gottlieb Fichte, Carl Ludwig Sand,
Ricarda Huch, Clara Zetkin, Walter Ulbricht,
Michael Gorbatschow, Willi Brandt, Friedrich
Ebert, Rosa Luxemburg, Sophie Scholl) waren in die Tapete integriert und standen als
Embleme exemplarisch für die unterschiedlichsten politischen Richtungen, die sie in der
Stadtmuseum Jena
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Links Stich von Carl Sandhaas, „Die Höhle von Salamanca”
Realgeschichte repräsentierten. So gelang es,
auf kleinstem Raum die Größe des Themas
sinnfällig zu machen, schwebten doch die „Fahnenkleckse“ und die, zum Teil schemenhaften,
Porträts wie in einer Hall of Fame im Raum.
Das Pathos dieser Würdigkeit wurde allerdings
ironisch gebrochen, zumal das Panoptikum
der Porträts als Patchwork auch ein bisschen
Zirkuscharakter hatte; dieser korrespondierte
mit dem Medium der politischen Karikatur,
wie sie in den Bildfolgen mannigfach gezeigt
wurde. So trug die „Erzählende Tapete“ explizit zur Vermittlung des schwierigen Kontextes
bei und unterstützte das Ansinnen der Ausstellung, das Thema sowohl wissenschaftlich
zu diskutieren als auch politisch-ideologisch
zu erläutern. Die Ausstellung, die nunmehr als
Fixausstellung des Stadtmuseums weitergeführt wird, funktioniert dieserart auch für und
mit Jugendlichen; das „Staging-Knowledge“Konzept hat sich als Vermittlungsvehikel für politische Bildung als überaus tauglich erwiesen.
Bezeichnenderweise waren bei der Eröffnung im Stadtmuseum Jena – außer dem
Bürgermeister und der einen oder anderen
Persönlichkeit des thüringischen Kulturlebens,
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den Repräsentanten des Stadtmuseums
und dem kuratorischen Team – als Publikum
ausschließlich Burschenschafter anwesend,
während draußen unter Polizeischutz die „aufrechten“ Demokraten und Linken lautstark
protestierten. Hätten sie sich die Ausstellung angesehen, wäre ihnen wohl bald klar
geworden, in welch historisch fragwürdige
Gesellschaft sie sich mit ihren Protesten gegen „Schwarz-Rot-Gold“ begeben hatten.
Im Vorfeld der Ausstellung ist das Stadtmuseum eine Kooperation mit einer Arbeitsgruppe
des Historischen Instituts der FSU Jena eingegangen. Die Konzeption und historische
Aufbereitung unterstand der Leitung von
Prof. Dr. Hans-Werner Hahn, der mit seinen
Studierenden – Susan Burger, Jenny Dübner,
Johannes Kühn, Susanne Sodan und Heiko
Ziemer – die verschiedenen Etappen nachzeichnete, die „Schwarz-Rot-Gold“ auf dem
Weg zum Nationalsymbol durchlaufen hat.
Prinz Michael von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Gattin Prinzessin Dagmar
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Lustige Devotionalien zur deutschen Einheit: Starkbier, Schwämmchen und Fußballmaskottchen
Blick auf die deutsche Urfahne von 1815, auf dem „Hermeneutic Wallpaper“: links oben der Dichter Fallersleben, mittig blass der Student Carl Ludwig Sand, Mörder von Kotzebue
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KuratorInnen: Teresa Thieme, Jan Wiltsch, Gerhard Müller
Wissenschaftliches Team: Susan Burger, Jenny Dübner, Hans-Werner Hahn, Johannes Kühn,
Susanne Sodan, Heiko Ziemer
Ausstellungsarchitektur (kuratorische Szenografie): Herbert Lachmayer
Organisation: Stadtmuseum Jena, Juliane Fuchs
Grafik: Kai Matthiesen
Digital Media: Daniel Dobler, Silke Pfeifer
Hermeneutic Wallpapers: Herbert Lachmayer, Margit Nobis
Ort und Institution: Stadtmuseum Jena
Dauer: 3. Oktober 2010 – 31. Dezember 2012
Produktion (Veranstalter): JenaKultur, Städtische Museen Jena, Stadtmuseum, Direktor
Matthias Mieth
Kooperationen: Da Ponte Research Center, Filminstitut Weimar, Juliane Fuchs, Kunstuniversität
Linz, PEEK (Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste) im Rahmen des FWF –
Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Sponsoren: Friedrich-Schiller-Universität, Klassik Stiftung Weimar, Vorwerk Teppichwerke,
Interactive Media Services, jena Bild Produktion, Bauhaus-Universität Film-Institut
Herbert Lachmayer und Margit Nobis, „Hermeneutic Wallpaper“ mit Steckdosenpaar, von links: Sophie Scholl, Friedrich Ebert,
Carl Ludwig Sand, Turnvater Jahn, Carl Ludwig Sand, Otto Grotewohl, Teppich von Vorwerk, Entwurf Josef Hoffmann (1911)
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