Lernkulturen und die Neue Mittelschule
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Lernkulturen und die Neue Mittelschule
Fortbildung für WMS-Trainer/innen Pädagogische Hochschule Wien 30.11./1.12. 2010 Lernkulturen und die WMS Christian Kraler Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung Universität Innsbruck Tel: 0043 (0)512 507-4657 eMail: [email protected], http://homepage.uibk.ac.at/~c62552 2 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Angebote: ¾ Einführung zu Lernkulturen ¾ Kraler, Ch. (2009). Lernkulturen: Zur Einführung und zum Weiterdenken. Studienskriptum. ¾ Kraler, Ch. & Schratz, M. (2006). Neue Lernkulturen: Von allwissenden Lehrmeistern zu starken Lernräumen. In: Chisholm, L. / Möller, H. & Schratz, M. (Hrsg.). Bildung schafft Zukunft, S. 46-65. Innsbruck: iup. Zugänge: ¾ Impulse ¾ erfahrungsbezogener Zugang ¾ Austausch, Gruppen- und Partnerphasen, Plenum ¾ …. 3 [email protected] 30.11./1.12. 2010 4 [email protected] 16.11. 2007 „39“ ¾ Ritual ¾ Unmittelbarer Anlass ¾ Nicht formal ¾ Selbstgesteuert Æ sich Aufgabe gestellt ¾ Elementare Kulturtechnik ¾ Emotion: Spaß, Freude, Enttäuschung ¾ Prozess und Produkt Æ Erfahrung(en) + Krise: Zahl 5 Unmittelbarer Kontext: Unterstützung, Möglichkeit (Schicht), Wissen Ort: Zentraleuropa Zeit: 21 Jh. … bedingen technolog. Möglichkeiten Æ kulturelle Determination 5 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Kulturen (1) Kulturbegriff als Hintergrundfolie verwenden als Arbeitsinstrument . pragmatisch und offen als KULTUR~ … von Akteuren geteilte Normen, Werte, Denkweisen, Anschauungen und Traditionen, die als Referenzpunkte für Einstellungen und Handlungen von Akteuren dienen und diesen jenseits ihrer individuellen Dimension auch eine kollektive Bedeutung verleihen. 6 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Kulturen (2) Die Verständigung auf eine gemeinsame Kultur dient immer auch zur Aufrechterhaltung bestimmter Strukturen und damit auch der Wahrung von spezifischen Interessen und Macht. Gleichzeitig befinden sich Kulturen auch stets in historischen Wandlungsprozessen. Entsprechend stehen auch Strukturen formaler Bildungsprozesse (Schule, Universität,…) stets im Spannungsfeld von Machtinteressen, getragen von Bewahrung und Weiterentwicklung. (Schnabel-Schüle/Kraler 2008) „Wer Schulen einrichten darf, wer welche Fächer unterrichten darf, wer Schulträger sein darf, wer Lehrer werden darf, welche Fächer und Prinzipien den Unterricht bestimmen war über Jahrhunderte hinweg nicht etwa nur die Suche nach der besten pädagogischen Lösung, sondern eine Machtfrage […].“ (Handbuch der Schulforschung: Zymek 2004) 7 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernkulturen ¾ Lernen individueller Vorgang ¾ reine Fremd-/Außensteuerung nur sehr bedingt möglich ¾ Lernen in unterschiedlichen Kontexten/Strukturen/Settings möglich, denen tw. Verschiedene Normen/Werte, Denkweisen, Anschauungen und Traditionen zugrunde liegen („Subkulturen“) Æ Lernkulturen Æ diese theoretisch begründen … unterschiedliche Zugänge L E R N K U L T U R (E N) ~ … von Akteuren geteilte Normen, Werte, Denkweisen, Anschauungen und Traditionen, die als Referenzpunkte für Einstellungen und Handlungen von Akteuren in ihrem Zugang zum Lernen dienen und diesen jenseits ihrer individuellen Dimension auch eine kollektive Bedeutung verleihen. 8 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Traditionelles Lehrverständnis „Zu Beginn des Prozesses verfügen nur die Lehrenden über 'objektives' Wissen. Durch den Unterricht vermitteln sie es an die Lernenden - und zwar möglichst vollständig und ohne Veränderung. Die Aufgabe der Lehrenden ist es dementsprechend, das Unterrichtsgeschehen systematisch zu planen, die Wissensinhalte quasi "in Scheiben zu schneiden", zu präsentieren, zu erklären und schließlich den Lernfortschritt dadurch sicherzustellen, dass alle dieselben Aufgaben mit demselben Lernerfolg bearbeiten. Die Lernenden bleiben in dieser Auffassung in einer passiven Position: ihre Aufgabe besteht lediglich darin, das Vorgegebene effizient zu verarbeiten.“ Gräsel & Mandl (1999): Problemorientiertes Lernen. Empirische Pädagogik 13 (4), 372f. Æ kumulatives Eimermodell Georg Philipp Harsdörffer "Poetischer Trichter". Nuremberg 1648-1653 9 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Altertum Platon (Πλάτων, 428/427-348/347 v. Chr.) Aristoteles (Ἀριστoτέλης, 384-322 v. Chr.) 10 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Mittelalter/Renaissance Michel de Montaigne (1533-1592) Augustinus von Hippo (354-430 n.Chr.) 11 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Mittelalter/Renaissance „Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die SchülerInnen dennoch mehr lernen; in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe herrsche, dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt.” (Comenius 1985 [1632], Didactica magna, S. 9). Johann Comenius (Jan Ámos Komenský, 1592-1670) 12 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Aufklärung John Locke (1632-1704) Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) 13 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Aufklärung „Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freiheit zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nöthig! Wie cultivire ich die Freiheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, einen Zwang seiner Freiheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, seine Freiheit gut zu gebrauchen. Kant: „Pädagogik“ (453:28-37) Immanuel Kant (1724-1804) 14 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Aufklärung/19Jh. Wilhelm von Humboldt (1767-1835) Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) 15 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Lernen Reformpädagogik Célestin Freinet (Freie Arbeit, Klassenrat, Schuldruckerei, Exkursionen Maria Montessori (Freiarbeit, Jahrgangsmischung, Schulische Integration) Ellen Key (Lernumgebung, Jahrhundert des Kindes) Alexander. S. Neill (self-government, Teilnahme am Unterricht frei, Kein Klassensystem, private lessons 16 [email protected] 30.11./1.12. 2010 formal/nichtformal formale & nichtformale Bildung … ¾ Lernen des Individuums immer selbstlernen Å Subjektbezug ¾ kann in unterschiedlichen Kontexten statt finden (formal, nicht formal) Æ Lernkontext = Kontext, in der Erfahrungen gemacht werden „die Erfahrung lehrt, daß sich oft bei unsern Versuchen ganz entgegengesetzte Wirkungen zeigen von denen, die man erwartete.“ (Kant 1803, 451:25-26) Umgebungen, Setting, … Æ Starke Lernumgebungen: solche, wo Erfahrungen gemacht werden 17 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Außenperspektive Sichtweisen der Forschung auf das Phänomen Lernen im 20. Jahrhundert Innenperspektive ~1910 – 1950: Behaviorismus Pawlow, Watson (Stimulus‐Response Modell) Skinner (Operantes Verhalten) ~1945 – 1980: Kybernetik/Informationstheorie Norbert Wiener (technische Informationsverarbeitung) G. Bateson, P. Watzlawick (Mentale Forschung) ~1960‐1985: Kognitivismus Noam Chomskys, Albert Bandura, Jean Piaget ~1975 – 2000: (Radikaler) Konstruktivismus Glasersfeld, Foerster, Paul Watzlawick ~1990 – heute: Sozialer/interaktionistischer Konstruktivismus Gergen, Reich, Rolf Arnold und Horst Siebert ~ 1995 – heute: Sozial & Subjektorientierung Meyer Drawe, Meueler, Holzkamp 18 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Strukturierung 19 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Strukturierung Methodik Didaktik Pädagogik Menschen bild 20 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Personalisierung Personalisierung geht von der Person, nicht vom Inhalt aus. ÆPERSPEKTIVENWECHSEL … limited common understanding of the concept … . According to the range of documents available, it is fundamentally concerned with: • putting the learner at the centre of the system; • moulding the system around the learner; • having high expectations of every learner; • shaping teaching around the way people learn; • promoting learning beyond the classroom; • focusing on developing learning skills and strategies (metacognition); • providing clear pathways through the education system • planning for a combination of independent and collaborative learning; • using the learning needs and talents of young people to guide decision making • allowing for individual interpretations of the goals and value of education. Sue Field, 2006 21 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Personalisierung Lehrplan/Stoff Lernende/r Lehrende/r 22 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Personalisierung Arbeitsdefinition Personalisierung: Personalisierung im Bereich formaler (Aus-)Bildung meint einen Paradigmenwechsel in der Sichtweise der Bedingungen von Lehr-Lernkonfigurationen. Ausgangspunkt didaktischer bzw. unterrichts-/ausbildungskonfiguratorischer Überlegungen ist nicht (mehr) das Curriculum, sondern die Person. D.h. (fachliche/professionsspezifische) Lernprozesse werden vom Individuum her mit den je eigenen biographischen kognitiven und körperlichen Bedingungen gedacht und designt. Ziel ist ein Optimum sinnstiftender expansiver Lernerfahrungen auf Seiten der Lernenden wie Lehrenden/Ausbildenden, einhergehend mit nachhaltig wirkenden auch von Außen beobachtbaren Lernergebnissen. Warum? Lernen ist ein individueller, von Außen nur bedingt steuerbarer ergebnisoffener Prozess. Das Ausgehen von der einzelnen Person bietet daher einen optimalen Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit neuen Erfahrungen. Wie? 1)Haltungsänderung bei Lehrenden (professionsspezifische Selbstklärung, bewertungsfreier Raum, Diskursraum, Transparenz, Rogers-Variablen) 2)Adäquate Verwendung integrativer Instrumente (z.B. Portfolio, Beratungssettings,…) 23 [email protected] 30.11./1.12. 2010 geschlossen-reaktive/passive Lernform „Lehren“ Angeleitetes Lernen Lehrer erklärt Schüler Individuum personenbezogen, alleine „lernen Frontalunterricht „klassischer Unterricht“ Moderiertes Lernen Einzelarbeit Hausaufgabe Gruppe Lerngemeinschaft Projektunterricht Autonomes Lernen offen-aktive Lernform „Lernen“ 24 Lernformensteuerung geschlossen-reaktive/passive Lernform LEHREN (z.B. lehrerzentriert/frontal) Lehrer erklärt Schüler Individuum / DISTANZ personenbezogen, alleine „lernen Frontalunterricht „klassischer Unterricht“ Gruppe / NÄHE Lerngemeinschaft Einzelarbeit Hausaufgabe Projektunterricht individuelle Freiarbeit offen-aktive Lernform LERNEN (z.B. schülerzentriert) 25 Dimensionen starker Lernräume Dimensionen zur Strukturierung starker Lernräume (Kraler/Schratz 2007) ¾ Soziale Dimension: Wer lernt? ¾ Sachdimension: Was wird gelernt? ¾ Raumdimension: Wo wird gelernt? ¾ Zeitdimension: Wie lange und intensiv wird gelernt? ¾ Didaktisch-methodische Dimension: Wie wird gelernt? ¾ Kontextdimension: Unter welchen Rahmenbedingungen wird gelernt? Zieldimension: Wozu wird gelernt? 26 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Konstruktion und Instruktion Lernen im formalen Bildungskontext Lernen erfordert Motivation/Interesse/Aktivität seitens der/des Lernenden Selbstimpuls (intrinsisch) → selbstgesteuertes/reguliertes bzw selbstbestimmtes Lernen Orientierung, Anleitung und Hilfe seitens des/der Lehrenden Fremdimpuls (extrinsische Motivation/Anregung) → fremdgesteuertes Lernen REINMANN-ROTHMEIER, G. & MANDL, H. (1996). Lernen auf der Basis des Konstruktivismus: Wie Lernen aktiver und anwendungsorientierter wird. in: Computer und Unterricht23/1996, S. 41-44. 27 [email protected] 30.11./1.12. 2010 Tendenzen (2) Musterwechsel Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung (Ryan/Deci, Meyer) punktuell vs. Verlauf Selektion vs. Förderung lernprozessabschließend vs. begleitend schriftlich/mündlich vs. multimedial ergebnisorientiert vs. prozess-/produktorientiert Æ MUSTERWECHSEL vom Lehren zum Lernen Lehrer als Experte für Lernen (≠ Lerncoach!!!) 28 [email protected] 30.11./1.12. 2010 nachhaltiges Lernen Nachhaltiges Lernen „funktioniert“, wenn ¾ man einfach etwas ausprobieren kann und auch Fehler machen darf, ¾ es interessant ist oder sogar begeistert, ¾ man über den Lernerfolg Anschluss an andere, die Älteren, die Peers, die Geschwister bekommt oder ihnen sogar imponieren kann, ¾ es eine Notsituation gibt, in der man einfach handeln muss („Druck“) ¾ das, was zu lernen ist, wirklich ein Problem trifft, ¾ man einen Weg und ein dazugehöriges Ziel sieht, ¾ man sieht, dass einen die zu bearbeitende Aufgabe voranbringt, diese erkennbar die eigene Entwicklung fördert, ¾ man sich mit dem, was man lernt, identifizieren kann ¾ man die Lernaufgabe (aus welchem Grund auch immer) als sinnvoll empfindet http://www2.erzwiss.uni-hamburg.de/personal/meyermeinert/Abschiedsvorlesung.pdf [email protected] 30.11./1.12. 2010 29