interferenţe culturale şi lingvistice / kulturelle und sprachinterferenzen

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interferenţe culturale şi lingvistice / kulturelle und sprachinterferenzen
INTERFERENŢE CULTURALE ŞI LINGVISTICE / KULTURELLE UND
SPRACHINTERFERENZEN
ASPEKTE DES KULTURAUSTAUSCHES ZWISCHEN
RUMÄNIEN UND DEM DRITTEN REICH
in der Zwischenkriegszeit 1
Daniela Olărescu
Holger Laube gewidmet
Auf der Basis der untersuchten Aktenbestände im Bundesarchiv Berlin, im
Archiv des Auswärtigen Amtes, im Archiv der Humboldt-Universität Berlin,
im Staatsarchiv Bukarest und im Archiv des rumänischen Außenministeriums ergibt sich ein umfassendes Bild der deutsch-rumänischen Wissenschafts- und Kulturbeziehungen in der Zeit von 1933-1944, das in dieser
Form und in diesem Ausmaß bislang nicht existierte. Rumänien ist in dieser
Zeit ein Land, in dem westeuropäische Kulturen miteinander konkurrieren –
schon vor der Gründung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts (DWI)
gab es in Bukarest zahlreiche französische, italienische 2 und englische Kultureinrichtungen3. Noch viel mehr konkurrieren die politischen und ökonomischen Ambitionen dieser Staaten, die unter der Maske der Kultur die rumänische Elite für sich gewinnen wollen. Es sind dabei zwei historische Momente in der Entwicklung der deutsch-rumänischen Kulturbeziehungen zu
unterscheiden: Von 1933 bis 1940 und von 1940 bis 1944, nachdem Rumänien
Kriegsverbündeter Deutschlands geworden ist. An dieser Stelle werden nur
die deutsch-rumänischen Beziehungen zwischen 1933 und 1940 präsentiert.
1.1 Germanistik in Rumänien
Nach dem Ersten Weltkrieg stellt man eine deutliche politische und kulturelle Präferenz Rumäniens für Frankreich und England fest, die die Entstehung
1 Dieser Aufsatz resultiert aus dem eigenen Forschungsprojekt „Deutsch-rumänische Wissenschafts- und Kulturbeziehungen in der Zeit des Nationalsozialismus. Kulturtransfer und Bildervermittlung“, das von der Thyssen-Stiftung als Postdoktrandenstipendium finanziert wird.
2 Laut dem Kulturbericht des Gesandten Kirchholtes 1939-1940 (R 60662, Archiv des Auswärtigen Amtes) gab es in Bukarest folgende französische und italienische Kultureinrichtungen: Institut Français des Hautes Etudes, Mission française universitaire en Roumanie, Academie Ronsard, Institut Bossuet, Maison des Français, Institut byzantinologique, Librairie
Hachette; Casa Italiana, eine italienische Buchhandlung verbunden mit dem italienischen Reisebüro und ein Italienisches Kulturinstitut.
3 Das British Institute wurde 1938 gegründet. Eine Anglo-Rumanian-Society bestand seit
1937.
Daniela Olărescu
Großrumäniens möglich gemacht hatten. In den 30er Jahren zählt auch Italien dazu auf Grund der Erinnerung an die gemeinsame römische Abstammung und auch deswegen, weil Italien der drittstärkste Handelspartner Rumäniens wird. Hingegen muss das rumänische Interesse an Deutschland differenziert betrachtet werden. Die rumänischen Politiker vertreten nach dem
Ersten Weltkrieg eine Distanzierung von Deutschland, und der politische
Weg, den dieses Land seit 1933 beschreitet, findet im Bukarest der 30er Jahre kein gutes Echo. In mehreren Briefen der Deutschen Gesandtschaft Bukarest an das Auswärtige Amt wird Nicolae Iorga als einer der "schlimmsten
Hetzer gegen Deutschland in Rumänien"4 beschrieben. Gemeint sind seine
Artikel in der selbstgeleiteten Zeitschrift "Neamul Românesc", in denen Iorga das Nazi-Deutschland als eine drohende Gefahr für ganz Europa darstellt.
Infolge dieser Briefe schlagen die Rektoren der Universitäten Breslau und
Leipzig dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
vor, Jorga seinen Leipziger Doktortitel abzuerkennen 5. Im Bericht des rumänischen Gesandten in Berlin, Comnen, an Außenminister Titulescu 6 steht,
dass die deutschen rechtsextremistischen Organisationen einen negativen
Einfluss auf die rumänischen Studenten in Deutschland hätten. Aus diesem
Grund wird der Generalkonsul Karadja beauftragt, den Kontakt mit den Studenten fast täglich aufrecht zu halten. Seit einiger Zeit zeigten manche von
ihnen ein großes Interesse für politische Ideologien, die von den rumänischen Gesetzen und Traditionen stark abwichen, so der Bericht. Die geschickte Kulturpolitik Deutschlands, die den rumänischen Studenten viele
Stipendien gewähre und jedem Studierenden im Vergleich zu anderen Ländern einen zusätzlichen Geldbetrag dank der Konversion Reichsmark-Registermark sichere, bewirke, dass die jungen Rumänen lieber in Deutschland
als in einem anderen Land studieren wollten. Aus einer Untersuchung der
„Deutschen allgemeinen Zeitung“ im Jahre 1934 über die Zahl der ausländi-
4 Brief der Deutschen Gesandtschaft Bukarest an das Auswärtige Amt vom 25.04.1935, Archiv
des Auswärtigen Amtes, R 64103.
5 Brief des Rektors der Universität Breslau an Graf Yorck von Wartenburg, Auslandsabteilung
der NSDAP vom 8.05.1935 bzw. Brief des Rektors der Universität Leipzig an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 14.09.1935, Archiv des Auswärtigen
Amtes, R 64103.
6 Vertraulicher und dringender Bericht vom 4.06.1936, Archiv des rumänischen Außenministeriums Bukarest, Fond Germania 1933-1942, Band 131, Kulturelle Beziehungen.
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schen Studenten in Deutschland7 geht hervor, dass Rumänien mit 438 Studierenden an der Spitze steht und erst an nächster Stelle mit je 402 Studenten Polen und die USA folgen. Seit 1937 wächst die Zahl der rumänischen Studenten, die nach Deutschland mit Stipendien fahren, sogar noch, was für die
rumänischen Politiker ein erneuter Grund zur Besorgnis wird. Der Bericht des
Ministers für Nationalerziehung an den Außenminister8 spricht für das Jahr
1937-1938 von 659 rumänischen Studenten in Deutschland im Vergleich zu nur
364 in Frankreich und endet mit „Trimiterea în Germania a unui număr exagerat de tineri, trebuie să ne reţină atenţia din punct de vedere politic...“9
Dass der rumänische Staat bis 1940 Deutschland gegenüber eher feindlich
eingestellt ist und Frankreich – sei es auch nur auf kulturellem Gebiet – favorisiert, geht aus einer Reihe politischer Filme10 hervor, die bis 1939 in den
rumänischen Kinos gezeigt wurden und als antideutsche Propaganda charakterisiert werden können. Im Film „Marthe Richard“ fliehen französische Kinder vor den Deutschen, ein Zivilist schießt auf die einziehenden deutschen
Truppen, der deutsche Offizier nimmt sein Frühstück auf einem „Reitstuhl“
ein. Der Film „Ľ homme à abatto“, der als Karikatur des NS-Regimes zu verstehen ist, wird in Deutschland als Hetzfilm etikettiert: Aus einem Bierkrug
werden Fahnen mit Hakenkreuzen gezogen, französische Offiziere werden
von deutschen NS-Soldaten getötet. Ähnlich sind auch die Filme „La danseuse rouge“ und „La grande illusion“. Letzterer wurde in Venedig preisgekrönt
und stellt die Deutschen in einer krassen Antithese den Franzosen gegenüber
dar: Der deutsche Major macht Verbeugungen wie ein Lakai und sieht wie
ein Verbrecher aus, während der französische Offizier sympathisch und
wohlerzogen wirkt. Im Film „Alexander Newsky“ werden die deutschen Ordensritter des 13. Jahrhunderts als Barbaren hingestellt, die selbst vor Kindesmord nicht zurückschrecken. Die Szenen, in denen sie die Frauen und die
Kinder der slawischen Gefangenen dem Feuer überlassen, werden als Ausdruck großer Barbarei hervorgehoben. Der Film spielt deutlich auf die tschechische Krise an und war in den rumänischen Kinos stets ausverkauft. Gegen
7 Siehe den Artikel „Wieviel Ausländer studierten in Deutschland ?“, in: „Deutsche allgemeine
Zeitung“, 23.10.1934, Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 140.
8 Bericht vom 13.01.1939, Archiv des rumänischen Außenministeriums Bukarest, Fond Germania 1933-1942, Band 131, Kulturelle Beziehungen.
9 „Eine übertrieben große Zahl von jungen Leuten nach Deutschland zu schicken, muss aus
politischer Sicht unsere Aufmerksamkeit erregen.“
10 Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 62.
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all diese Filme haben deutsche Stellen bei den rumänischen Behörden protestiert und verlangt, sie zu verbieten. Die Proteste blieben ohne Erfolg, hingegen wurde der deutsche Film „Die Reiter von Deutsch - Ostafrika“ von den
rumänischen Behörden für unerlaubt erklärt, da er Propaganda für die deutschen Kolonialansprüche sei.
Dass der französische Einfluss in Rumänien in dieser Zeit dominant ist, beweisen auch die zahlreichen Übersetzungen und Buchbesprechungen französischer Werke. Sie sind zwischen 1933 und 1935 ständig gestiegen, während
die Übersetzungen aus dem Deutschen zurückgegangen sind 11. Die deutschen
klassischen Autoren werden um 1935 vernachlässigt, eine Gesamtausgabe
von Goethes Werken gab es noch nicht, auch wenn einzelne seiner Dichtungen wiederholt übersetzt worden sind12, dafür werden aber jüdische und aus
Deutschland emigrierte Schriftsteller, wie Stefan Zweig, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Friedrich Wassermann übertragen. Damit stellt sich der rumänische Buchmarkt der offiziellen deutschen Kulturpolitik bewusst entgegen.
Für das Jahr 193913 sind 10 Übersetzungen aus dem Deutschen zu verzeichnen, genauso viele wie ein Jahr zuvor, alle aus dem Bereich der Belletristik.
Die Übersetzungen aus dem Französischen sind im Vergleich zu 1938 gesunken (von 57 auf 44), die aus dem Englischen gestiegen (von 23 auf 39). Trotzdem bleiben die aus dem Französischen übersetzten Werke weiter an der
Spitze. An der Zahl der Übersetzungen insgesamt lässt sich erkennen, dass
die rumänischen Verleger Ende der 30er Jahre einfach weniger Übersetzungen auf den Buchmarkt brachten, denn im Vergleich zu 1935 z. B. ist die Zahl
aller Übersetzungen gesunken.
Mit dem starken französischen Einfluss in Rumänien setzt man sich in
Deutschland ständig auseinander. Die Polemik erweitert sich von verstreuten Artikeln bis zu Büchern über Rumänien14 und Berichten der dort tätigen
11 Laut Charlotte Bauschinger: „Das deutsche Buch in fremden Sprachen“, in: „Mitteilungen
der Deutschen Akademie“, 12 (1937), 4 sind die Übersetzungen aus dem Französischen und
aus dem Deutschen auf die Jahre 1933-1935 folgendermaßen verteilt: 1933: 34 bzw. 34; 1934:
56 bzw. 44; 1935: 64 bzw. 29, S. 509-510.
12 So etwa viermal „Die Leiden des jungen Werther“, siebenmal „Hermann und Dorothea“,
zweimal „Faust“ I und sehr häufig die Lieder und Balladen.
13 Siehe „Deutsche Kultur im Leben der Völker“, 16 (1941) 2, S. 264-265.
14 Siehe Höpker, Wolfgang: „Rumänien diesseits und jenseits der Karpathen“, München:
1936; Hauser, Heinrich: „Süd-Ost-Europa ist erwacht“, Berlin: 1938; Theil, Karl Hermann:
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deutschen Lektoren. Während der französische Einfluss als Überfremdung
des Rumänentums dargestellt wird, wird der deutsche als entscheidend für die
Weiterentwicklung der rumänischen Kultur beschrieben, da er „gerade an die
Eigenkräfte des Volkstums anknüpft [...] [und] aus seiner Ursprünglichkeit in
natürlicher Entwicklung auf eine höhere Bewußtseinsstufe emporhebt“15
Trotz der kulturellen Dominanz Frankreichs hat die rumänische Germanistik
eine lange Tradition. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren in der
Walachei und Moldau die ersten preußischen Konsulate gegründet worden,
was den Anfang der politischen deutsch-rumänischen Beziehungen markierte16. Schon 1830 wird die deutsche Sprache als Wahlfach im Basilius-Gymnasium in Jassy eingeführt, und 4 Jahre später wird sie Pflichtfach in der
Mädchenschule von Samuil Botezatu und an der Michaelsakademie, ebenfalls in Jassy17. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die Lehrer bestrebt, selbst Lehrbücher zusammenzustellen. So entsteht 1855 die Grammatik der deutschen Sprache von Zaharia Columb. Bemerkenswert ist auch das
Lehrbuch von Constantin Meißner „Erstes Buch zur Erlernung der deutschen Sprache“ von 1899-1900, in dem die audio-visuelle Methode angewandt wird. Unter König Karl I. und durch den Lehrplan seines Unterrichtsministers Spiru Haret wird die deutsche Sprache in den Lehrplan aller Klassen aufgenommen. Bis 1928 wird sie in den Realschulen 7 Jahre und in den
Gymnasien 4 Jahre lang unterrichtet. Ab diesem Zeitpunkt wird sie in den
Gymnasien zu Gunsten des Italienischen und Englischen entfernt und in den
Realschulen auf 4 Jahre herabgesetzt. An den Handelshochschulen bleibt
das Deutsche obligatorisch.
Dass man eine widersprüchliche Haltung gegenüber dem Deutschen hat und
dass die Situation von den an die Macht kommenden Regierungen abhängig
ist, beweist auch die Tatsache, dass 1930 allen Studierenden der modernen
Philologie der Universität Bukarest im Vorbereitungsjahr Deutsch als
Pflichtsprache vorgeschrieben wird. Nur ein paar Monate später wird die Bestimmung wieder aufgehoben mit der Begründung, dass auch in anderen
„Rumänien-Land im Werden“, Berlin: 1938; Heinrichsbauer, August: „Eindrücke von einer
Balkanreise im April/Mai 1940“, Wien: 1940.
15 Höpker, Wolfgang: „Rumänien diesseits und jenseits der Karpathen“, München: 1936, S.
105.
16 Siehe Docea, Vasile: „Relaţii româno-germane timpurii“, Cluj: 2000.
17 Französisch war Schulfach seit 1828, es ist also nur ein sehr kleiner Zeitunterschied.
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Ländern Anzeichen für einen Rückgang des Ansehens der deutschen Sprache
vorlägen18. Trotzdem entstehen bis 1940 und teilweise auch danach zahlreiche Deutsch-Lehrbücher. Auch die Hochschulgermanisten beteiligen sich
daran, denn sie sind ursprünglich selbst als Deutschlehrer an Gymnasien tätig gewesen19.
Mit der Hochschulgermanistik erreicht man neue Perspektiven in der Förderung der deutschen Sprache und Literatur in Rumänien. Der Bukarester
Lehrstuhl für Germanistik wird 1905 gegründet und auf ihn wird Professor
Simion C. Mândrescu20 berufen. Ebenfalls 1905 wird ein solcher Lehrstuhl in
Jassy ausgeschrieben. Nach 1918 kann Germanistik in Rumänien an vier verschiedenen Universitäten studiert werden, da neben Bukarest und Jassy
nach der Entstehung Großrumäniens auch die ehemals habsburgischen Universitäten in Klausenburg und Czernowitz dazu gehören. Gamillscheg erwähnt sogar 1933, dass „in keinem anderen romanischen Lande die Kenntnis
des Deutschen so weit verbreitet wie in Rumänien ist“ 21, denn während Rumänien über vier Germanistik-Lehrstühle verfüge, gebe es in Spanien überhaupt keinen und „Italien hat bereits angefangen, sich wissenschaftlich mit
der deutschen Philologie zu beschäftigen.“22 Viele der rumänischen Germa18 Siehe Thierfelder, Franz: „Deutsch im Unterricht fremder Völker“, in: „Mitteilungen der
Deutschen Akademie“, 4 (1931), S. 344.
19 Für die Zeit von 1933-1940 sind hier die folgenden Hochschulgermanisten zu nennen: Bratu, Traian: „Gramatica limbii germane“, Bukarest: 1935; „Limba germană. Clasa a V-a – clasa
a VIII-a“, Bukarest: 1935; Sân-Giorgiu, Ion: „Deutsches Lehrbuch für die 7. Klasse an Knabenund Mädchengymnasien“. Zusammen mit Bruno Colbert, Bukarest: 1935; „Deutsches Lehrbuch für die 8. Klasse an Knaben- und Mädchengymnasien“. Zusammen mit Bruno Colbert,
Bukarest: 1935; Tempeanu, Virgil: „Curs rapid de limba germană“, Bukarest: 1938.
20 Siehe weitere Angaben in George Guţu/Doina Sandu: „Zur Geschichte der Germanistik in
Rumänien“ (II). Der Bukarester Germanistiklehrstuhl. Hgg. von George Guţu und Doina Sandu. Reihe GGR-Beiträge zur Germanistik Bd. 15, Editura Universităţii din Bucureşti (Verlag
der Universität Bukarest),Bukarest: 2005, sowie: George Guţu/Doina Sandu: Interkulturelle
Grenzgänge. Akten der Wissenschatlichen Tagung des Bukarester Instituts für Germanistik
zum 100. Gründungstag. Bukarest, 5.-6. November 2005. Reihe GGR-Beiträge zur Germanistik Bd. 16. Editura Universităţii din Bucureşti (Verlag der Universität Bukarest), Bukarest
2007. Einen herzlichen Dank auf diesem Wege Prof. Dr. George Guţu für die Hinweise auf
diese Bände, die er mir zur Verfügung gestellt hat.
21 Gamillscheg, Ernst: „Revista Germaniştilor Români“, in: „Archiv für das Studium der neueren Sprachen“, 88 (1933)1/2, S. 84.
22 Ibidem, S. 84.
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nisten wurden in Deutschland promoviert23 und waren bestrebt, sich für die
deutsche Kultur einzusetzen. Auf Initiative von Simion C. Mândrescu entsteht
in Bukarest 1932 die Gesellschaft der rumänischen Germanisten, die auch die
„Revista Germaniştilor Români“ (Zeitschrift der rumänischen Germanisten)“
herausgibt. Die rumänischen Germanisten versuchen, durch selbstständige
Publikationen und Übersetzungen24 die deutsche Literatur in Rumänien bekannt zu machen. Vor allem den Bukarester Germanisten wie Mândrescu, Ion
Sân-Giorgiu, Virgil Tempeanu ist die Popularisierung deutscher Schriftsteller
zu verdanken. Der Jassyer Lehrstuhl engagiert sich mehr im Bereich der deutschen Sprachwissenschaft und der rumäniendeutschen Literatur.
Am 20. Januar 1935 gründet Mândrescu in Bukarest das Rumänisch-Deutsche Kulturinstitut, das die Förderung kultureller Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland zu seiner Aufgabe macht. Eine Zweigstelle
des Instituts wird im November 1935 in Kronstadt unter aktiver Beteiligung
der Siebenbürger Sachsen eröffnet. Nach Oskar Wittstocks 25 Ausführungen
fanden hier Vorträge über deutsche Kultur statt, und 1938 wurden deutsche
Sprachkurse für Anfänger und Fortgeschrittene abgehalten sowie Rumänisch-Kurse für deutsche Mitbürger. Dass das Institut von Mândrescu sicherlich in keinem Zusammenhang mit der offiziellen deutschen Kulturpropaganda stand, sondern die Initiative eines Germanisten war, der die deut23 Simion C. Mândrescu, Traian Bratu, Ion Sân-Giorgiu, Bernhard Capesius., Ion Pătrăşcanu,
Mihai Isbăşescu.
24 Hier ein paar Beispiele (die in Zeitschriften veröffentlichten Beiträge wurden außer Acht
gelassen): Simion C. Mândrescu: „Herder despre limba şi literatura naţională“, Bukarest:
1908; „Din istoria literaturii germane. Friedrich Gottlieb Klopstock“, Bukarest: 1911; Ion SânGiorgiu: „Cercetări critice. Bd. 1: Teoria dramatică a lui Schiller. Friedrich Hölderlin. Expre sionismul dramatic“, Bukarest: 1923; „Lirica germană contimporană. Studiu critic“, Bukarest:
1927; Übersetzungen: „Lirica lui Goethe. O antologie românească“, Bukarest: 1935; Virgil
Tempeanu: „Sippenfeindschaft und Wiedervergeltung im Nibelungenlied“, Fălticeni: 1938;
Übersetzungen: „Novalis. Imnuri către noapte“, Fălticeni: 1914; „Johann Wolfgang Goethe.
Ifigenia in Taurida“, Arad: 1925; „Franz Grillparzer. Sappho“, Fălticeni: 1927; „Gudruna. Epopee populară medievală germană în versiune românească“, Fălticeni: 1931; „Cavalerii
cântăreţi. Antologie din Minnesänger“, Fălticeni: 1932; „Der arme Heinrich. Walther von der
Vogelweide. Cântecele de cruciată“, Fălticeni: 1934; Victor Morariu: „Novalis – teoretician al
romantismului“, Suceava: 1924; „Povestea vulpei de Anton Pann şi 'Reinecke Fuchs' de Goe the“, Bukarest: 1932.
25 Wittstock, Oskar: „Eine Brücke von Volk zu Volk: das Kronstädter Rumänisch-Deutsche
Kulturinstitut“, Kronstadt: 1940.
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sche Sprache und Kultur in rumänischen Kreisen populär machen wollte, beweist die Korrespondenz zwischen Fabricius, dem deutschen Gesandten in
Bukarest, und dem Auswärtigen Amt in den Jahren 1938/39. Daraus ergibt
sich, dass Fabricius sich mehrmals negativ über das Institut geäußert und die
Schaffung einer neuen Organisation empfohlen hat. In seinem Bericht vom
12.05.193926 an das Auswärtige Amt wird ausgeführt, dass das Institut die
Erwartungen nicht erfüllt habe und dass außer den Sprachkursen, die verdienstvoll seien, die anderen Initiativen gescheitert seien. Der Studentenaustausch werde nicht gefördert, die öffentlichen Vorträge seien mangelhaft organisiert und schlecht besucht27, die Bibliothek sei immer noch sehr klein 28.
Aus diesen Gründen kommt er dem Wunsch Mândrescus nach einer Bücherspende von deutscher Seite nicht nach 29. Wie man nachweisen kann, waren
dies nur Ausreden, um Mândrescus Tätigkeit nicht mehr zu fördern, denn es
war bereits bekannt, dass die kurz zuvor gegründete Zweigstelle der Deutschen Akademie zu einem Kulturinstitut ausgebaut würde, für das man Bücher erhalten wollte und von der vor allem eine intensive Propaganda für das
Neue Deutschland zu erwarten war. Davon ausgegangen ist zu verstehen,
warum die deutsche Gesandtschaft in Bukarest sich für das RumänischDeutsche Kulturinstitut nicht eingesetzt hat. Schon in der Sitzung vom
31.01.1935 machte Simion C. Mandrescu klar, dass die Politik bei seinem
Kulturinstitut "immer ausgeschlossen bleiben wird. Sehen Sie es als eine Kirche an, in die Gläubige aller Bekenntnisse eintreten können, ihre Bekenntnisse aber vor der Türe zurücklassen müssen.“ 30 Anderseits ist es offensichtlich, dass Deutschland Interesse daran hatte, in Rumänien ein Werbeinstru26 Brief von Fabricius an das Auswärtige Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 163.
27 Obwohl mir im Moment keine Einzelheiten über die Vortragsreihe, die in Bukarest stattfand, vorliegen, erscheint es mir wenig wahrscheinlich, dass sie schlecht besucht war. Laut
Oskar Wittstock fanden die Vorträge der Zweigstelle in Kronstadt immer vor einem großen
Publikum statt. So z. B. hielt Mihail Manoilescu seinen Vortrag „Die Weltanschauung des
Dritten Reiches“ am 18.11.1937 vor mehr als 700 Zuhörern.
28 Die Bibliothek bestand aus Büchern, die Mândrescu beim Ausscheiden aus seinem Amt als
Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Bukarest gestiftet hat.
29 Eine Bücherspende, die gerade zur Vergrößerung der Bibliothek beigetragen hätte. Siehe
dazu den Brief vom Rumänisch-Deutschen Kulturinstitut „Simion C. Mândrescu“ an die Deutsche Gesandtschaft Bukarest vom 27.03.1939, Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 163.
30 „Revista Germaniştilor Români“, 1 (1935), S. 93.
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ment für seine Sprache und Kultur zu haben, solange es noch keine selbst gegründete Kultureinrichtung besaß, was erklärt, warum Mândrescus Initiativen für eine Zeit lang unterstützt wurden. Als der rumänische Germanist wegen der Fortsetzung der „Zeitschrift der rumänischen Germanisten“ in finanziellen Schwierigkeiten steckt, werden für 1937 vom Auswärtigen Amt 500
RM bewilligt31. Mit Brief vom 12.04.1939 wird die deutsche Gesandtschaft in
Bukarest gebeten, dem Rumänisch-Deutschen Kulturinstitut zur Deckung
seines Defizits von 6823 Lei den Gegenwert dieses Betrages mit 17 RM aus
eingenommenen Geldern auszuzahlen32. Die Einkünfte des Instituts waren
bescheiden, denn sie stammten aus Einschreibegebühren im Wert von 200
Lei, Jahresbeiträgen vom gleichen Wert und Schenkungen, während die bereits bestehenden französischen, italienischen und polinischen Institute von
den betreffenden Staaten subventioniert wurden. Trotz der finanziellen
Schwierigkeiten, mit denen sich Mândrescu konfrontiert sah, ist es ihm gelungen, die Zeitschrift der Rumänischen Germanisten in einer sehr guten
Qualität zu drucken. Seit 1938 galt sie als Publikation des Kulturinstitutes.
Regelmässig wurden Übersetzungen aus der deutschen Literatur ins Rumänische und umgekehrt veröffentlicht sowie zahlreiche Aufsätze über deutsche
Kulturpersönlichkeiten, die in der Regel auch mit Foto auf dem Umschlag
der Zeitschrift vertreten waren.
1.2 Rumänistik in Deutschland
Ende der 30er Jahre gab es auch rumänische Versuche, im deutschsprachigen Raum Fuß zu fassen, und damit die rumänische Kultur einem breiteren
Publikum zugänglich zu machen. Sie waren vereinzelt und kamen in der Regel von Wissenschaftlern aus Siebenbürgen, was ihre pro-deutsche Einstellung auch erklärt, denn im Altreich waren die meisten Intellektuellen französisch orientiert33. Hier sollen drei Initiativen erwähnt werden, die allerdings
alle gescheitert sind. Die erste geht auf Virgil Tempeanu zurück. Er stammte
nicht aus Siebenbürgen, war aber Germanist und Schüler von Simion C.
Mândrescu, was auch sein Engagement für die Förderung der deutsch-ru31 Brief vom 3.05.1937 vom Auswärtigen Amt an die Deutsche Gesandtschaft Bukarest, Politi sches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 163.
32 Brief vom Auswärtigen Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bukarest 163.
33 Siehe Höpker, Wolfgang: „Rumänien diesseits und jenseits der Karpathen“, München:
1936.
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mänischen Beziehungen erklärt.
Als Lektor für Rumänisch an der Universität München -das Lektorat wird
auf seinem Vorschlag gegründet34- ergreift Tempeanu die Initiative, ein
Deutsch-Rumänisches Kulturinstitut35 als Gegenstück zum Bukarester Rumänisch-Deutschen Institut ins Leben zu rufen. Schon in seiner Antrittsvorlesung im Mai 1935 stellt er ausführlich die Aufgaben des neugegründeten
Rumänisch-Deutschen Kulturinstitutes in Bukarest dar und unterstreicht
damit seine Bedeutung für die deutsch-rumänischen Kulturbeziehungen. Bei
einem Vergleich der Berichte der „Revista Germaniştilor Români“ mit den
Briefen der Deutschen Akademie zum Thema des Deutsch-Rumänischen
Kulturinstitutes fallen einige Unstimmigkeiten auf. Während die Zeitschrift
der rumänischen Germanisten im zweiten Heft von 1935 notiert, dass an der
Antrittsvorlesung von Tempeanu anschliessend der Germanist Eduar Hartl
den Vorschlag macht, eine Abteilung des Institutes in München zu gründen
und in dem ersten und zweiten Heft von 1937 von drei Sitzungen des Rumänisch-Deutschen Institutes berichtet, ergibt sich aus den Briefen vom
16.02.1938 und vom 13.09.1940 der Deutschen Akademie an das Auswärtige
Amt, dass es nur eine Sitzung am 11.05.1937 gab, an der der rumänische Generalkonsul und die Professoren Dölger und Wilhelm von der Universität
München teilnahmen. Hier wurden die Aufgaben des Instituts besprochen
und Dr. E. G. Kolbenheyer zum ersten Vorsitzenden gewählt. Ferner steht,
dass die Gründung des Institutes ohne Wissen der Deutschen Akademie im
Senatssaal der Universität beschlossen wurde. Umgekehrt erfährt man aus der
Zeitschrift der Rumänischen Germanisten36, dass der Vorschlag gemacht wurde, dass das Institut mit der Deutschen Akademie zusammen arbeitet. Weil die
Zeitschrift in ihren Heften immer über akuelle Themen informiert hat, während die Briefe der Deutschen Akademie erst auf der Rückfrage des Auswärtigen Amtes ein paar Jahre später geschrieben wurden, ist es anzunehmen, dass
die rumänische Seite die Daten korrekt dargestellt hat. Es bleibt bloss die Frage, warum die Satzungen des Instituts von den deutschen Behörden nicht genehmigt wurden und welche Rolle die Deutsche Akademie dabei gespielt hat.
34 Siehe den Brief Tempeanus an den Dekan der Philosophischen Fakultät München vom
5.02.1934, Archiv des Auswärtigen Amtes, R 64103.
35 Siehe die Briefe vom 16.02.1938 und vom 13.09.1940 von der Deutschen Akademie an das
Auswärtige Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 61279 bzw. R 61322.
36 Constituirea Institutului de Cultură Germano-Român din München, in: „Revista Germa niştilor Români“, 2 (1937), S. 189.
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Wie aus dem Bericht von Josef März 37 hervorgeht, beabsichtigte der Minister
für Angelegenheiten der Minderheiten, Silviu Dragomir38, 1939, ein Rumänisches Institut in Wien zu gründen, wo sich das Gebäude der ehemaligen rumänischen Gesandtschaft und zwei Grundstücke im Besitz des rumänischen
Staates befanden, die er zu diesem Zweck nutzen wollte. Silviu Dragomir
kam aus Siebenbürgen. Der ganze Beamtenstab seines Amtes bestand aus
Rumänen aus Siebenbürgen, die – wie März bemerkt – meist sehr gut
Deutsch sprachen. Auch das Projekt Dragomirs ist nicht zustande gekommen. Die Gründe hierfür konnten noch nicht ermittelt werden.
Auch die Initiative Puşcarius, ein Rumänisches Kulturinstitut in Berlin39 zu
gründen, wird erst im Herbst 1940 verwirklicht, obwohl es hierfür bereits in
den 30er Jahren Pläne gab40. Puşcariu41 war ebenfalls ein Siebenbürger Rumäne, der vom deutschen Einfluss stark geprägt war. Es ist anzunehmen, dass all
diese Projekte an der rumänischen Aussenpolitik gescheitert sind, die nicht
daran interessiert war, eine starke Annäherung an Deutschland zu erreichen.
Immerhin gab es in den 30er Jahren drei rumänische Lektorate in München,
Leipzig und Berlin sowie Lehraufträge für Rumänisch in Frankfurt am Main,
Hamburg, Dresden und gelegentlich auch in Freiburg und Marburg. Der
Münchener Lektor Virgil Tempeanu scheidet 1937 nach weniger als 3 Jahren
Tätigkeit aus. An der Universität Leipzig gab es seit 1893 ein von Gustav
Weigand gegründetes Rumänisches Institut, an dem kontinuierlich Rumänisch-Sprachkurse stattfanden. In den 30-er Jahren war hier Martin Block
als Lektor tätig, der zwischen 1936 und 1939 auch von dem rumänischen Ministerium für Nationalerziehung bezahlt wird. In Berlin wird 1934 das außerplanmäßige Lektorat von Vasile Luţă besetzt. Sowohl Virgil Tempeanu als
37 Bericht über eine Reise nach Rumänien und Jugoslawien 17. - 25.7.1939, Politisches Archiv
des Auswärtigen Amtes, R 61321.
38 Silviu Dragomir war Professor für Geschichte an der Universität Klausenburg. Er hat in der
ehemaligen habsburgischen Monarchie studiert und wurde dort auch promoviert.
39 Die Initiative Puşcarius ist auf das Jahr 1926 zurückzuführen. Erneute Versuche unternimmt er 1928 und 1933.
40 Siehe den Kulturbericht des Gesandten Kirchholtes 1939-1940, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 60662, in dem er auch auf seinen Brief vom 4.11.1937 an den Gesandten
Stieve verweist.
41 Puşcariu hat in Leipzig studiert und wurde dort promoviert, bevor er sich in Wien habilitierte.
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auch Vasile Luţă zählen zu den besten Schülern von Simion C. Mândrescu
und sind von diesem als Lektoren nach Deutschland entsandt worden, was
seine Einsetzung für die beiden Kulturen noch einmal bestätigt. Ebenfalls in
Berlin am Romanischen Seminar ist Ernst Gamillscheg als Professor tätig,
der sich für Rumänien und die rumänische Philologie stark einsetzt. Schon
1932 organisiert er an der Universität eine Reihe von Vorträgen über Rumänien, die von der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“, „Vossischen Zeitung“,
„Berliner Börsen Zeitung“ und „Täglichen Rundschau“ ausführlich besprochen werden. Die Vorträge werden von Gamillscheg in der Reihe „Vom Leben und Wirken der Romanen“ herausgegeben. Im Vorwort dazu beschreibt
er seine Aufgabe als Beitrag zur kulturellen Annäherung des deutschen und
rumänischen Volkes: „Mögen sie [die Vorträge] mit dazu beitragen, daß die
geistigen Führer der beiden Völker einander wieder näher kommen, zu unser
aller Nutz und Frommen.“42 Die Vorträge, die zusammen mit der rumänischen Gesandtschaft organisiert und vom Auswärtigen Amt subventioniert
wurden, sind auch im Wintersemester 1933-1934 fortgesetzt worden. In einem Brief an das Auswärtige Amt43 unterstreicht Gamillscheg die Bedeutung
seines Unternehmens, das auch deutliche kulturpropagandistische Zwecke
verfolgt: „Diese Vorträge haben nicht nur den Zweck, unsere Studentenschaft und ein weiteres deutsches Publikum in das Geistesleben eines Volkes
von 18 Millionen einzuführen, [...] sondern sollen gleichzeitig dazu beitragen, den deutschen Einfluss, der die ganze Entwicklung des Rumänentums
im 18. Jhrdt. grundlegend orientiert hat, der aber namentlich in der 2. Hälfte
des 19. Jhrdts. ständig von dem französischen Einfluss zurückgedrängt wurde, neu zu stärken.“
Gamillscheg hat sich bemüht, die rumänische Kultur auch außerhalb der
Universitätskreise bekannt zu machen und damit ein größeres Publikum zu
erreichen. Zwar hat er selbst nur selten Vorlesungen zum Rumänischen angeboten44, dafür aber hat er oft die Initiative ergriffen, Veranstaltungen zu
Rumänien und zur rumänischen Kultur zu organisieren, bei denen immer der
42 Gamillscheg, Ernst (Hrsg.): „Vom Leben und Wirken der Romanen“, II, Rumänische Rei he, Jena und Leipzig: 1933, S. 6.
43 Brief vom 26.02.1933, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 61206.
44 Wenn man die Vorlesungsverzeichnisse der Humboldt-Universität der 30er Jahre durchblättert, sieht man, dass Gamillscheg nur im Sommersemester 1936 eine Lehrveranstaltung
zum Rumänischen angeboten hat. Es handelt sich um die „Einführung in die historische
Grammatik des Rumänischen“, die zweimal in der Woche stattfand.
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Aspekte des Kulturaustausches zwischen Rumänien und dem Dritten Reich in der Zwischenkriegszeit
Eintritt frei war. Außer den schon erwähnten Vortragsreihen findet am
29.05.1935 auf seine Anregung hin ein rumänischer Literaturabend in der Aula
der Humboldt-Universität statt. Dies wird von Gamillscheg als Ergänzung zu einer Ausstellung über rumänische Volkskunst und Tourismus betrachtet, die am
gleichen Tag in Berlin eröffnet wird. Nach seiner Einführung in die rumänische
Musik und Dichtung liest die Schauspielerin Thea Maria Lenz mehrere rumänische Gedichte in deutscher Übersetzung und anschließend trägt der Chor Kurt
Thomas von der Hochschule für Musik rumänische Lieder vor45.
Zusammen mit Franz Dölger und Herbert Duda gibt Gamillscheg 1937 die
Zeitschrift „Stimmen aus dem Südosten“ heraus, in der auch deutsche Übersetzungen rumänischer Literatur sowie Aufsätze über ganz unterschiedliche
Themen der rumänischen Kultur präsentiert werden. Schon im Vorwort
drücken die Herausgeber den Wunsch aus, die Kultur der Balkan-Länder in
Deutschland bekannt zu machen, denn „Mit dem Abklingen der Romantik
sind [...] leider die Kenntnisse [darüber] vergessen.“46
Dumitru Cristian Amzăr, damals Presseattaché bei der Rumänischen Gesandtschaft in Berlin, schreibt in seinem Tagebuch 47, dass Gamillscheg am
20.12.1938 eine rumänische Weihnachtsfeier mit Weihnachtsliedern und
klassischer Musik veranstaltet. Am Ende des Programms teilt er dem Publikum die Konstituierung des Rumänisch-Deutschen Studienkreises „Mihail
Kogălniceanu“ mit48. Die erste Sitzung sowie die nächstfolgenden finden bei
ihm zuhause statt, und dabei wird der kurz zuvor erschienene rumänische
Sprachatlas besprochen. Auf der Basis dieses Sprachatlasses erarbeitet er
seine Theorie über die Kerngebiete der Romanisierung in Dakien und
kommt damit zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf die Kontinuitätstheorie49. Dass in Rumänien darauf großer Wert gelegt wurde, sieht man nicht
45 Siehe den Brief vom 30.05.1935 von Ilcuş an den Aussenminister, Staatsarchiv Bukarest,
MPN (das Ministerium für Nationalpropaganda), Propagandă, 959.
46 Dölger, Franz; Duda, Herbert; Gamillscheg, Ernst (Hrsg.): „Stimmen aus dem Südosten“,
Heft 1/2, 1937/1938.
47 Amzăr, Dumitru Cristian: „Jurnal berlinez“, Bucureşti: 2005, S. 18-19.
48 Gamillscheg kündigt die Konstituierung des Rumänisch-Deutschen Kulturkreises das erste
Mal am 18.12.1938 an anlässlich eines Vortrages des Sprachwissenschaftlers Matteo Bartoli.
49 Die Kontinuitätstheorie, die besagt, dass die romanisierte Bevölkerung ununterbrochen
auf dem Gebiet des ehemals römischen Dakien und besonders in Siebenbürgen auch nach
dem Rückzug der römischen Armee 275 gelebt habe, war ein politisches Instrument der Ru-
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zuletzt an den Schlagzeilen der rumänischen Presse, die den Vortrag von Gamillscheg in Bukarest über den Ursprung der Rumänen in der König- Karl I.
– Stiftung am 29.03.1940 schon Tage zuvor als „Mitteilung von großer nationaler Bedeutung“ ankündigen.
Gamillscheg ist auch die Ernennung Puşcarius zum Korrespondierenden
Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1939 zu verdanken.
Diese Ehre wurde nur noch einem weiteren Rumänen zuteil, und zwar Dimitrie Cantemir bereits im 18. Jahrhundert. Dank der im Laufe eines ganzen
Jahrzehnts erworbenen Verdienste hat Gamillscheg in den 40er Jahren ein
gewichtiges Wort sogar in kulturpolitischen Fragen Rumäniens mitzureden50.
Aus der bereits dargestellten Lage der Germanistik in Rumänien bzw. der
Rumänistik im Dritten Reich und der damit verbundenen deutsch-rumänischen Kulturbeziehungen zwischen 1933 und 1940 kommt die Bedeutung der politischen Faktoren hervor, die den kulturellen Austausch zwischen den beiden Ländern stark geprägt haben. Am Beispiel des RumänischDeutschen Kulturinstitutes wurde gezeigt, dass allein das Einsetzen eines
Germanisten für die deutsche Kultur in Rumänien nicht als ausreichend für
den Erfolg seines Unternehmens und des geistigen Austausches zu bezeichnen war. Umgekehrt ist dem Romanisten Gamillscheg gelungen, die deutsche Aufmerksamkeit auf die rumänische Kultur zu lenken, weil sein kulturelles Programm mit der Politik eng zusammen lief und sein Fach im Dienste
der Macht instrumentalisiert werden konnte. Auch die Rumänen sahen in
Gamillscheg einen Vermittler ihrer Kultur in Deutschland, so dass seine Ernennung zum Direktor des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Bukarest im April 1940 herzlichst begrüsst wurde. Dass die Kulturbeziehungen
von der Politik stark abhängig sind, steht ausser Frage. Um so mehr ist die
Tätigkeit eines Einzelgängers wie Mândrescu zu bewundern, denn er hat es
geschafft, in einer schwierigen Zeit - trotz der ungünstigen politischen Faktoren -, für die rumänische Germanistik neue Wege zu finden - gemeint sind
die Gesellschaft der Rumänischen Germanisten und ihre Zeitschrift sowie
die Vereinigung der rumänischen Germanistik-Studenten, die auch auf seine
mänen in ihrem Kampf um Siebenbürgen. Vor allem von ungarischer Seite dagegen wurde
versucht, das Gegenteil zu beweisen, um die ungarische Herrschaft über Siebenbürgen zu legitimieren.
50 Aus seinem Brief vom 7.08.1943 an den rumänischen Kultusminister (Staatsarchiv Bukarest, MPN Propagandă, 2885) kommt hervor, dass er Gheorghe Vrabie zum rumänischen Lektor in Berlin vorgeschlagen hat.
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Aspekte des Kulturaustausches zwischen Rumänien und dem Dritten Reich in der Zwischenkriegszeit
Anregung zurückgeht. Dass er das Rumänisch-Deutsche Kulturinstitut in der
rumänischen Öffentlichkeit nicht durchsetzen konnte, liegt einerseits an der
rumänischen Außenpolitik und anderseits an der deutschen Kulturpropaganda, in der die Ideologie des Nationalsozialismus ausschlaggebend war.
Literatur:
1.
Amzăr, Dumitru Cristian: Jurnal berlinez, Editura România Press, Bucureşti 20 05,
S. 18-19
2.
Bauschinger, Charlotte: Das deutsche Buch in fremden Sprachen. In: Mitteilungen
der deutschen Akademie 12 (1937) 4, S. 509-510
3.
Constituirea Institutului de Cultură Germano-Român din München. In: Revista
Germaniştilor Români 2 /1937, S. 189-190
4.
Deutsche Kultur im Leben der Völker, 16 (1941) 2, S. 264-265
5.
Dölger, Franz; Duda, Herbert; Gamillscheg, Ernst (Hrsg.): Stimmen aus dem Süd osten, Heft ½, 1937/1938
6.
Gamillscheg, Ernst: Revista Germaniştilor Români. In: Archiv für das Studium der
neueren Sprachen, 88 (1933) ½, S. 84.
7.
Gamillscheg, Ernst: Vom Leben und Wirken der Romanen (II), Rumänische Reihe,
Jena und Leipzig 1933, S. 6.
8.
Guţu, George: Simion Mândrescu - Germanist der Anfänge. In: Beiträge zur Ge schichte der Germanistik in Rumänien. I, hgg. v. George Guţu u. Speranţa Stănes cu. Verlag Charme-Scott, Bucureşti 1997, S. 131-150
9.
Guţu, George: Der germanistische Studiengang an der Universität Bukarest / Ru mänien. In: Germanistik im Europäischen Hochschulraum. Studienstruktur, Quali tätssicherung und Internationalisierung. Service-Stelle Bologna. Hochschulrekto renkonferenz, DAAD. Bonn 2006 (Beiträge zur Hochschulpolitik 6/2006), S. 183-191
10. Guţu, George: Simion C. Mândrescu (1868-1947): Bahnbrecher und Wegbereiter
der rumänischen Germanistik. In: Zur Geschichte der Germanistik in Rumänien
(II). Der Bukarester Germanistiklehrstuhl. Hrsg. v. George Guţu und Doina Sandu.
Editura Universităţii din Bucureşti, Bucureşti 2005, S. 105-110 (Reihe GGR-Beiträge zur Germanistik, Bd. 15)
11. Guţu, George: Zur Geschichte des Bukarester Lehrstuhls für deutsche Sprache und
Literatur. In: Zur Geschichte der Germanistik in Rumänien (II). Der Bukarester
Germanistiklehrstuhl. Hrsg. v. George Guţu und Doina Sandu. Editura Universităţii
din Bucureşti, Bucureşti 2005, S. 11-54 (Reihe GGR-Beiträge zur Germanistik, Bd. 15)
12. Höpker, Wolfgang: Rumänien diesseits und jenseits der Karpathen. Knorr und
Hirth, München 1936
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Daniela Olărescu
13. Korodi, Lutz: Verständnis! Rumänisch-Deutsches Kulturinstitut in Bukarest. In:
Revista Germaniştilor Români 1/1935, S. 92-93
14. Thierfelder, Franz: Deutsch im Unterricht fremder Völker. In: Mittelungen der
Deutschen Akademie, 4 (1931), S. 344
15. Wittstock, Oskar: Eine Brücke von Volk zu Volk: das Kronstädter RumänischDeutsche Kulturinstitut 1935-1940, Druck der Buchdruckerei Johann Götts Sohn,
Kronstadt 1940, S. 3-19.
***
Aspects of the cultural exchange between Romania and The Third
Reich in the time between the Wars
Abstract
The article exposes the German-Romanian cultural relationships from 1933
till 1940 based on the exploration of the documents from the archives of the
Department of Foreign Affairs of Germany and Romania, from the archive of
Humboldt university from Berlin and in the public record office of
Bucharest. It results from a research project (postdoctoral studies) assisted
from the Thyssen Foundation „German-Romanian Relationship of Science
and Culture in the time of the National Socialism. Culture and Image Transfer“. The article gives a short introduction into the political relationship
between Romania and Germany in 1930, at the beginning and is devided into
two parts. The first part analyses the Romanian attitude towards Germany
based on the student exchange, films and translations as well, as the efforts
of the Romanian specialists in German studies, above all of Simion C.
Mândrescus, on durable cultural contacts with the German speaking area.
The second part presents the Romanian efforts on the spreading of the Romanian culture in Germany (Tempeanu, Silviu Dragomir, Puşcariu, the Romanian lectorates from Berlin, Leipzig, Munich) and the commitment of
Gamillscheg, professor of Romance languages in Berlin, that also pursuits
purposes of culture and propaganda.
Schlüsselwörter/Keywords: German-Romanian cultural relationships,
Culture and Image Transfer, Student exchange, Propaganda, Simion C.
Mândrescu/ Ernst Gamillscheg.
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JUCĂTORI DE ŞAH.
Psihologii şi trasee la scriitori de expresie germană
Diana Adamek
“La miezul nopţii” şi în “agitaţia ultimului ceas”, începe, în nuvela lui Stefan
Zweig, cursa spre polii magnetici ai tablei de şah, spaţiu cu circumferinţa
nicăieri şi centrul pretutindeni.
Şahistul lui Stefan Zweig (prima mână) e un nod de forţe moarte şi rădăcini
întunecate, al căror scenariu se joacă între încrâncenare şi indiferenţă. E o
minte greoaie – sună descrierea – care până la paisprezece ani nu ştia să numere altfel decât pe degete şi care se remarcă printr-un singur lucru: “totala
lui indiferenţă”. Înceată, dar tenace, “făptura sa mută” se dezvoltă sub dicteul
unei singure note, repetitive. Ea nu va atinge însă funcţia refrenului şi nu va
impune, în cadenţe, treptele unei structuri melodice, fiindcă Czentovic, protagonistul nuvelei Şah, e campionul jocurilor concrete. Inteligenţa sa se leagă
de pământ şi e condiţionată de soluri clare şi ancore ferme pe care se dezvoltă un “talent unilateral”.
Personajul materializează însă un paradox, cu trimitere nu doar la dezacordul dintre centrul victoriei şi vocaţia perifericului trădată de fiinţa care ocupă
acest nucleu al puterii, ci şi la o geometrie care triumfă, încălcându-şi regulile elementare, şi care va lansa în infinit cifre şi linii şi va uni paralele,
ţâşnind, pură, în fantezie. Recucerirea abstractului stă în acest frison al realului, în această răzgândire a formelor. Cerul începe tocmai în limitarea
pământului. “Monomanii – mărturiseşte personajul lui Zweig – oamenii prizonieri ai unei singure idei, m-au intrigat întreaga viaţă, căci un spirit cu cât
e mai limitat, cu atât este pe de altă parte mai aproape de infinit”.
Sub astfel de degete, jocul de şah îşi aduce careul sub calcule vrăjitoreşti.
Sunt încălcate nu doar hotare, ci mai ales fracţii şi funcţii care mută tărâmurile clare ale matematicii sub zodii încâlcite. Naratorul lui Zweig vede în el o
împăcare a contrastelor, aducând în acest perimetru limitat infinitul. “Doar
cunoşteam din propria-mi experienţă – spune el – tainica atracţie a acestui
“joc regal”, singurul dintre toate jocurile născocite de om, care se sustrage
suveran oricărei tiranii a hazardului şi care acordă lauri numai spiritului sau
Diana Adamek
mai bine zis unei anumite forme de înzestrare a spiritului. Dar oare nu minimalizăm jignitor şahul, numindu-l un joc? Nu este şi el o ştiinţă, o artă, plutind între aceste categorii ca sicriul lui Mohamed între cer şi pământ? Nu e o
împăcare unică a tuturor contrastelor? E străvechi şi, totuşi, veşnic nou, mecanic în concepţie şi totuşi eficient numai prin fantezie, limitat geometric într-un spaţiu încremenit şi în acelaşi timp nelimitat în combinaţiile sale, dezvoltându-se pururi şi rămânând totuşi steril, o gândire ce nu calculează nimic, o artă fără opere, o arhitectură fără substrat”. Împreună, deci, mimesis
şi phantasia construiesc în şah ceea ce, instantaneu, destramă.
Iată cum, în această ipostază de carapace indiferentă, trupul levitează. Corpul şahistului se desprinde de pământ, se face una cu aerul. Deasupra tablei
de şah pluteşte din nou spiritul. El inventează lumile, cu atât mai mult cu cât
nu le cunoaşte.
Aici, în acest moment, în plin triumf al mâinii de pământ, intră în joc cel deal doilea şahist al lui Stefan Zweig. E o apariţie neaşteptată, cu “obraz îngust
şi ascuţit”, năpădit de maree de roşeaţă şterse imediat de valuri de “paloare
ca de cretă”. El aduce cu sine necunoscutul, gestul aerat, şi uimeşte prin
“precizia şi nu mai puţin rapiditatea calculului”.
Confesiunea lui va reclădi un spaţiu spectral, invadat de ecouri şi subminat
de tensiuni, destrămat de chiar mişcarea care îi dă, prin repetiţie, consistenţa
nehotărâtă, derulând simultan două scenarii: unul febril, pătimaş (cristalul
îşi aprinde aici, până la destrucţie, miezul), celălalt al absenţei. Cele două
partituri se resorb însă sub dicteul aceleiaşi “arhitecturi fără substrat” care
aduce vidul în pasul grăbit, în arcul mâinii şi ritmurile inimii. Jucătorul lui
Zweig e, în spaţiul concret, un prizonier, ipostază în care resimte întreaga
forţă a golului, presiunea neantului deplin. Camera sa de detenţie ia forma
dorinţei şi în miezul ei febril eroul reinventează jocul de şah. Pătrăţelele din
careul magic răstoarnă toate semnele; deschid mai întâi temniţa, redau apoi
formelor nemărginitul cosmic. Liniile pământeşti trec în infinit.
Dacă Czentovic întruchipa greutatea pământului şi limitarea formei în triumful concretului, mâna a doua a jocului lui Stefan Zweig trimite la aripă şi
spaţii eterice, fiind campioana abstractului. Aceştia sunt de fapt protagoniştii
nuvelei Şah, reprezentanţii unui alt parteneriat: cel stabilit între mimesis şi
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Jucători de şah. Psihologii şi trasee la scriitori de expresie germană
phantasia. Mâna întâi urmează partitura, cea de-a doua o reinventează.
Amândouă o ştiu pe dinafară, doar că prima se sprijină pe prezenţa ei, iar
cealaltă visează în praful stârnit de replierile sale în absenţă.
Acest al doilea jucător din textul lui Zweig concretizează astfel, şi el, un paradox. El transpune în concret întreaga magie a jocului orb şi, în sensul cel mai
tragic, teatralizează. Expune şi impune scena unei unice individualităţi compuse dintr-o pluritate, dintr-o infinitudine de euri. În prizonieratul la care e
supus, eroul lui Zweig tentează limita absolută, câştigându-şi ilimitarea prin
sacrificarea umbrei. De aici încolo, spiritul său e vândut: face loc vorbirii şi
gândirii duble.
Eul alb şi eul negru cer prin urmare aceeaşi mănuşă într-o luptă fără final.
Arhitectura e invadată de paralele care au semnat însă de mult pactul interzis. De la doi la multiplu, lumile se împlinesc, paradoxal, în destrămare.
Zweig numeşte toată această cavalcadă o “schizofrenie artificială”.
Acest joc, al cărui scenariu desfăşoară de fapt, ca într-un teatru magic, reprezentările unei identităţi plurale, îmi aminteşte Lupul de stepă al lui Hermann
Hesse.
Traseul acestui personaj stă permanent sub semnul dubletelor. Drumul se
face între da şi nu, ţesătura împleteşte din nou firul alb şi cel negru în caroiaje infinite. Pentru că dualitatea nu este decât prima faţă din jocul multiplilor, iar “scindarea în lup şi om, în materie şi spirit, prin care Harry caută să
ne facă să înţelegem mai lesne propria lui soartă” face doar primul pas din
seria căutărilor din galeriile teatrului magic. “Viaţa lui – explică textul tratatului despre Lupul de stepă – la fel ca viaţa oricărui alt om, nu pendulează
între doi poli, cum ar fi instinctul şi spiritul sau evlavia şi desfrâul, ci între
mii, între nenumărate perechi de poli”.
Jucătorul de şah din Lupul de stepă aduce în lumină prismele multiple ale
unui cristal. Identitatea sa se împlineşte în spectacolul franjurării, în fractură, în refracţie. Razele se aşează altfel şi unghiurile se modifică după ce traversează mica peliculă transparentă, foiţa permeabilă ce separă mediile. Intră astfel în prim plan un personaj atins de “boala secolului, schizofrenia”,
actor al unor infinite schimbări. Indecis şi mereu în atingere cu substanţa
contrară, într-o facere-desfacere continuă, el convoacă pe scena interiorităţii
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logica dubletelor şi resorturi paradoxale, deschiderea amplă şi alunecoasă,
simultan cu desfolierea unei garderobe fantaste. Aici se pierde şi tot aici se
câştigă, în iureşul măştilor, inima: un imens sâmbure al absenţei. Pentru că
modelul după care îşi construieşte Hermann Hesse personajul este cel al
“omului-ceapă”; foiţe traversate şi hrănite de lumină, înconjurând în încântarea lor oarbă un centru gol. Esenţa se naşte din jocul aparenţei: “Pieptul,
trupul este întotdeauna unul singur, dar sufletele care sălăşluiesc într-însul
nu sunt nici două, nici cinci, ci nenumărate; omul este ca o ceapă compusă
din sute de învelişuri, ca o ţesătură compusă din multe fire. În Asia antică
lucrul acesta era cunoscut şi ştiut cu exactitate, iar în yoga budhistă a fost
inventată o tehnică precisă, al cărei scop era demascarea ideii fixe despre
personalitate”.
Există încă un aspect care apropie întreg acest scenariu de textura infinit deschisă a jocului de şah. E vorba despre presiunea neantului, a golului ce inundă suveran tabla după ultima mutare. Harry Haller intră în galeria “sinucigaşilor”, aşezându-se sub semnul finalului. El caută în ultimul gest însă lumina dintâi, pacea de dinaintea naşterii, despărţirii de Cosmos şi căderii lumii în multiplu. Moartea ar reface armonia şi ar recompune chipurile din oglindă în figura atemporală şi imaterială a Marelui Unu şi Tot. Dar pentru că
“în eternitate nu există lumea de mai târziu, ci numai lumea prezentului”,
eroul va schiţa acest şah-mat împotriva propriei fiinţe în explozia clipei. Râsul e cel ce împlineşte în această partitură condiţia jucătorului de şah. El
echilibrează tensiunile şi pune în lumină liniile de tangenţă; conţine, altfel
spus, unitatea. Iată de ce, în cerul lor de gheaţă, nemuritorii râd.
Este vorba de fapt despre ceea ce Hermina numeşte la un moment dat un joc
“pe faţă”. “Am să mă joc cu tine pe viaţă şi pe moarte, frăţioare, iar eu am sămi dau cărţile pe faţă, arătându-ţi-le încă înainte de a începe jocul”, îl avertizează ea pe Harry, a cărui personalitate scindată (între lup şi om, instinct şi
raţiune, natură şi spirit) vorbeşte despre aceeaşi atingere a extremelor şi
complicitate a contrariilor. În jocul pe care i-l propune şi la care îl obligă
Hermina, eroul lui Hesse este deopotrivă iubitul şi adversarul. La fel cum
Hermina face, la rândul ei, dovada duplicităţii. Ea întruchipează figura hermafroditului şi intră de fiecare dată în scenă cu masca croită simultan după
două tipare; în plus, identitatea ei alunecoasă trimite în aceeaşi clipă la arde200
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Jucători de şah. Psihologii şi trasee la scriitori de expresie germană
ri şi palori, la creta mată şi foc. Un permanent joc al dubletelor face astfel tabla de joc şi în Lupul de stepă. Personajele întruchipează întâi de toate triumful extremelor. Sunt, fiecare, simultan, şi mâna dreaptă şi mâna stângă a
jocului orb. Desfăşoară cu toţii, în multiplicitatea eurilor, armate albe şi armate negre. Nu întâmplător, la balul mascat, Hermina expune în apariţiile
sale cromatica jocului de şah; cele două costume pe care le poartă sunt tăiate
sever în alb şi negru. Masca de Pierette e indecisă: gravă şi suspendată între
tărâmuri
E ceasul la care Harry îşi pregăteşte trecerea. Şi vertijul. Hermina, cea pe
care o va ucide, îi este oglindă, ceea ce înseamnă că, împlântând cuţitul în
mica sa inimă trădătoare, Harry îşi împlineşte într-un mod obscur destinul
de sinucigaş. Acesta e rolul fetei: de a aduce la suprafaţă multiplul, seducţia
şi forţa clipei (egală într-o aritmetică transnumerică cu eternitatea) şi de a
întoarce faţa lumii spre Marele Tot.
După acelaşi model, al “omului-ceapă”, e construit şi personajul lui Max
Frisch din Don Juan sau dragostea pentru geometrie. El adună, sub foiţe
transparente, spectacolul multiplului şi face din aceşti “mulţi” scena lui “nimeni”. Ca şi jucătorul de sah ce străjuieşte intrarea în teatrul magic din Lupul de stepă, Don Juan e stăpânul unor decoruri de mucava. Într-o “Sevilla
de teatru” şi “pe timpul costumelor frumoase” îşi plasează autorul acţiunea.
Balul mascat şi-a născut deja vârtejul. Doar că râsul aici ezită. Între ironie şi
melancolie, el schiţează gestul întoarcerii în miezul de vid care l-a zămislit.
Ce face între timp Don Juan; încurcă măştile. Pentru că Anna şi Miranda
sunt de fapt, sub chipul iubirii, o singură femeie. O faţă a ei poartă însă vălul
negru şi răspunde morţii, cealaltă se întoarce febril spre triumful clipei fugare. Amândouă au încălcat şi limite şi legi. Paralelele trimit din nou spre ceruri nebune.
Iată-l, deci, între măşti cu textura rarefiată, pulverizată sub presiunea emoţiei. Foşnetul e al valurilor de spumă şi cearceafurilor uşoare, învăluirea deja a
giulgiului. Don Juan stârneşte forţele nopţii; şoapta se frânge, ecoul se spulberă, pasul alunecă, gândul fuge, simţurile uită. Iureşul e al plăcerii, porunca
a despărţirii. Don Juan pleacă cu inima goală, fără amintiri. “Ce rămâne în
amintire sunt nişte obiecte – observă eroul – un vas lipsit de gust, o pereche
de papuci, un crucifix de porţelan. Uneori, o mireasmă de lămâiţă veştedă”.
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Diana Adamek
Iubiri despre care Don Juan şi pudorile lui aprinse la mari adâncimi (niciodată “la suprafaţă”) nu descoperă alte detalii decât aceste elemente de recuzită, fac împreună o fortăreaţă de gol. Personajul tânjeşte după lumi cristaline, cu linii precise şi configuraţii clare, în care simţurile sale s-ar putea odihni. Numai că geometria cu ritmurile sale egale şi previzibile, etalând doar
chipul sărac al simetriei şi celebrând, de la un punct, prin repetiţia oarbă şi
inerţie, staticul, e întotdeauna, sub o formă sau alta, indiciul lipsei de viaţă. E
ceea ce eroul lui Max Frisch ilustrează cu prisosinţă. El este şi cheamă moartea. Intuiţia miresei sale care îşi pune, în pragul nunţii, voal negru, e fără
greş; apropierea lui Don Juan trezeşte soarele negru..
Când mirii apar, el “în alb de sus până jos, în mătase strălucitoare”, ea “cu
vălul negru ca noaptea”, iar în jurul lor se închide inelul unei ape negre, nunta coboară treptele morţii. Legea şi hazardul, ordinea şi desfrâul simţurilor. E
marele bal macat şi Don Juan apare aşa cum e; cu inima împărţită. Chemarea geometriei şi a spiritului, chemarea oarbă şi amnezică a cărnii. Între
aceste extreme joacă el rolul seducătorului. Le trădează pe amândouă şi
rămâne singur.
Între jucătorii de şah, Don Juan face o figură aparte; mişcările sale rămân într-un fel ciudat mereu înafara tablei. Nu stăpâneşte nici una dintre culori. Visează puritatea formei şi “adevărul” expresiei ei concrete, dar face din iubire
cea mai volatil trădătoare faţă a atingerii. Nici lucid, nici beat, în permanenţă
între prezenţă şi absenţă, personajul lui Max Frisch stă în faţa tablei de şah
mai “liber ca niciodată, pe dinăuntru gol şi treaz, şi plin de dorul bărbăteştei
geometrii”. Dacă Harry Haller întruchipa simultan instinctul şi raţiunea, materul şi paternul, Don Juan vine să trădeze deopotrivă spiritul ca şi carnea.
Gesturile lui sunt întotdeauna “la locul nepotrivit”, iar mintea în altă parte.
Când se întâmplă să calce pragurile bordelului, “ce face acolo? Joacă şah.
Asta am văzut-o cu ochii mei. Şah!”. Tocmai în această inadecvare însă stă
puterea sa.
Pater Diego numeşte Dumnezeu puterea de care ascultă şi pe care o urmează,
Don Juan îi spune Geometrie şi, sub pecetea ei clară, lasă lucrurile să alunece. El aduce în scenă numele şi carcasa. E un alt cavaler inexistent, deşi
purtat de alte ţeluri, ca personajul lui Italo Calvino. Trăieşte dintr-o legendă
pe care interioritatea sa oarbă şi simţurile mate o neagă. Don Juan nu cuno202
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Jucători de şah. Psihologii şi trasee la scriitori de expresie germană
aşte bucuria. Nu se putea imagina de aceea o pedeapsă mai grea pentru acest
personaj decât grădina deliciilor din final şi “desfătările pielii” la care consimte, complice, decorul şi stăpâna acestuia, Miranda, maestra simţurilor.
Personajul lui Max Frisch pare croit după acest tipar împletit: totul proclamă
unul, dar pactizează cu doi. O imensă tablă de şah se întinde sub cerul tăcut, magnific, dar indiferent, al Spaniei. Luxurianţa, acest alt chip şi altă vârstă a fervorii, vine de aici; din faptul că, în faţa tablei de şah spaniole,
jucătorul nu mai trebuie să se grăbească, victoriile sale au fost adunate. Doar
că triumful cere sinuciderea. Don Juan e aşadar un jucător de şah atins de
“marele plictis al melancoliei”.
Stăpânul geometriei şi al logicii, Don Juan, nu e înţelept pentru că e prea pasionat. Drumul său spre adevăr e grăbit, el joacă şah într-o concentrare teatrală, la un pas depărtare doar de neatenţie. Mă gândesc, prin contrast, la
personajul lui Lessing din Natan, înţeleptul. Şi despre el ştim că este şahist şi
că jocul pune în lumină de data aceasta împăcarea cu lumea. Natan e calm,
aşezat într-un tipar al ordinii interioare născut la confluenţa gândului şi inimii.
Prinde astfel contur silueta unui sfinx prins în jocul propriului surâs: melancolic, ironic, indiferent, destrămat. E un cerc de hipnoză în care mai multe
personaje, începând cu Reha, “visează pân’la pierdere de sine”. Cei doi stăpâni, inima şi mintea, construiesc acum alte regate, încurcându-şi gesturile,
greşind cel mai adesea măsurile, iluminând însă, tocmai în aceste derapări,
în glisajul continuu, desenul ascuns, textul tăinuit al tiparului. Gândul e al
inimii, simţirea a minţii, lumea şi fiinţa, împreună, o alunecare. Acestea sunt
şi cele două armate ale partidelor de şah jucate în piesa lui Lessing. Inima şi
mintea fac rând pe rând mâna albă şi neagră ale unui joc cu rădăcini neliniştite. Disputa se mută repede de pe terenul religios care-i face pretextul. Pentru că cei care se confruntă aici nu sunt de fapt evreul, musulmanul şi creştinul, ci taberele neaşezate, cu ierarhii confuze, ale “raţiunii” şi “simţirii”. E un
joc cu piese nesigure; nici o figură nu se fixează în formă, fiecare e multiplu
deschisă.
Scenariul şahist din piesa lui Lessing reclamă prin urmare scena. Jocul orb
cere acum spectatori. Sittah întruchipează figura trişorului, iar Saladin pe
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Diana Adamek
cea a partenerului galant, cu gândul însă aiurea. Într-un joc bazat pe raţiune,
în care febra inundă rareori şi atunci doar în spaţiile de tăcere create de
celălalt sau în graba propriului pas, astfel de “ieşiri din cadru” ca cele pe care
şi le îngăduie sultanul, sunt ucigătoare. Saladin pierde partida, ceea ce nu-l
tulbură; pentru el jocul înseamnă doar decorul unui ceas pustiu, în care mintea caută cu înfrigurare altceva: o soluţie salvatoare. La celălalt capăt al balanţei, Sittah câştigă, numai că ea ştie că totul e o minciună. Înaintează în joc
cu un frison de plăcere, cu mişcări nerăbdătoare, senzuale însă, în care s-au
strecurat toate voalurile seraiului. Nici sultanul, nici sora lui nu intră, aşadar,
în tipologia jucătorilor de şah. Suveranul joacă ornamental, simţurile de felină ale femeii vânează. Îi aşează în afară pe unul absenţa, pe celălalt excesul,
pe amândoi o abatere de la calea de mijloc a ordinii date.
În această formulă, mişcările celor doi se despart hotărât de tiparul jocului
orb. Tabla nu zămisleşte, în pasul fascinat, forme fantaste, nu le multiplică
halucinant şi nu le destramă apoi în caruselul nebun al minţii. Partida lui Saladin cu Sittah nu atinge vraja şi nu naşte, în vârtejuri de febră, magie sau
manie, boala. Fiecare e singur, dar calcă oarecum înafara taberelor; şi gândurile şi simţurile se dezleagă de careul care îşi pierde de la bun început semnificaţia unui câmp de luptă. Nimic nu ameninţă aici figurinele: nici arşiţa, nici
înfrigurarea.
Mai există însă un jucător de şah în piesa lui Lessing: dervişul Al-Hafi. El are
în scenariu doar rolul de corector al textului impur, copiat la nesfârşit, în
aceeaşi matriţă greşită, de cuplul Sittah-Saladin. Acest al treilea personaj e
de fapt un intrus, al cărui ochi se acomodează rapid şi perfect oricărei scheme străine. Intră în jocul celor doi şi face mai mult decât îi denunţă şi amendează erorile: îi trezeşte subteranele, strecoară freamătul, încordarea, febra.
Multiplică apoi senzaţia nu în copii stereotipe, ci în ecouri cu straturi schimbătoare şi ceasuri, mereu altele, ale deschiderii. E prima oară, când, sub apelul acestei priviri venite din afară, jocul se aprinde: el face sens, dar nu atât
din reconectările, acum logice, ale circuitelor sale, ci din neastâmpărul mâinii care schiţează gesturile, din nervurile pasionale ale vocii. Brusc, tabla îşi
ia zborul peste nepăsarea sultanului, peste ruga şoptită şi speriată a femeii,
peste voaluri şi umbre de iatac, peste coama nisipului şi balansul fin al palmierilor, şi aruncă paralelele ei acolo unde îşi au de fapt locul: în ceruri ne204
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Jucători de şah. Psihologii şi trasee la scriitori de expresie germană
bune. “Ce? Eşti nebun? – Dar, Saladin! Jocul nu-i încheiat şi n-aţi pierdut.”,
astfel arată dialogul sultanului cu intrusul. Suveranul nu va recunoaşte însă
jocul în această ipostază, preferând să-l păstreze în matriţa imperfectă. “Chiar dacă a ieşit din joc regina? Nu înseamnă c-aţi pierdut, că sunteţi mat”, explică dervişul, dar sultanul a decis: jocul s-a jucat deja în ceţurile unei suverane indecizii. Îl mai poate stăpâni doar retezându-i prelungirile. Aşa că, deşi
dervişul îi arată limpede că nu e în poziţie de mat, sultanul răstoarnă tabla, o
răsuceşte după propria-i voinţă şi îi personalizează logica: “Ba sunt şi vreau
să fiu”, hotărăşte el.
Rămân, după această voce, doar stupoarea şi indignarea. Jocul s-a încheiat
aşa cum s-a jucat; într-un simulacru. Victoria ca şi înfrângerea sunt platoşele
goale ale unor cavaleri absenţi. După descrierea corectorului respins, suntem
în faţa unui metatext. Verdictul îl dă Natan: e un “joc de-a jocul” cel pe care îl
scrie aici, prin stereotipia copiei, Al-Hafi.
Dacă în textele asupra cărora m-am oprit înainte găseam exemplul unui joc
în joc, multiplicat după modelul păpuşilor ruseşti (un alt şahist, al lui Nabokov chiar va inspecta pântecul zămislitor al unei astfel de jucării), în Natan,
înţeleptul pătratul magic se deschide din nou, însă în afara lui, în pură absenţă. Cel care-i va prelua moştenirea, distorsionându-i mesajul şi lăsând liberă, în franjurările sale, rama spectrală, e, prin urmare, jocul de-a jocul, textul despre text.
În aceasta constă înţelepciunea şahistului Natan: el aduce împreună extremele şi face din apelul lor, imperativ şi ultimativ, jocul celor mai deschise
configuraţii.
Bibliografie:
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Jean Ricardou, Noi probleme ale romanului, Bucureşti, Univers, 1988
W. Worringer, Abstracţie şi intropatie, Bucureşti, Univers, 1970
10. Stefan Zweig, Jucătorul de şah, Bucureşti, Ştiinţă şi tehnică, 1988
***
Chess Players. Psychology and Patterns in German Literary Works
Abstract
This study encompasses a few distinct features that can be found in some literary
works in German, dealing with the game of chess or indirectly related to it. A shift
from reason to passion is to be observed in the theme, structure and expression of
such novels and short stories, proving that the game of chess can easily become a
magnifying glass to emphasize the permeability of the boundaries between these two
poles of human psychology.
Schlüsselwörter/Cuvinte-cheie/Keywords: Chess, Identity, Border, Limit,
German prose, Reason, Passion.
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DIE JÜNGSTE FREIHEIT NACH 1989
im Spiegel der „Karpatenrundschau“
Delia Cotârlea
Nun ist das Wunder geschehen, über Nacht sind wir plötzlich frei. Wir sind in einer unbekannten, beunruhigenden
Freiheit erwacht, in einer Freiheit gleich einer seltsamen
Landschaft, die uns teil fasziniert, teils aggressiv erscheint.1
Die so genannte „rumänische Revolution“ stürzte im Dezember 1989 das
kommunistische System und veranlasste eine jahrzehntelange Transition im
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben Rumäniens. Rückblickend
kann nun festgestellt werden, dass der Übergang vom Totalitarismus zur Demokratie nicht als vollendet betrachtet werden kann, viele Bereiche der rumänischen Gesellschaft gelten weiterhin als reformbedürftig.
Wie Nora Iuga kurz nach der Wende 1990 prophezeite, sollte die lang ersehnte Freiheit große Verwirrung und Instabilität auslösen: Denn die noch
sehr junge und zerbrechliche Demokratie entstand gezwungenermaßen auf
den Strukturen der alten Gesellschaftsordnung. „Wir erleben einen Augenblick der Verwirrung“ – so benannte Nora Iuga die damaligen Umstände:
„wir haben die Anormalität verlassen, die uns normal schien, und eine Normalität betreten, die wir als anormal empfinden“ 2. Der Diskurs der „Anormalität“ der Entwicklungstendenzen in der rumänischen Gesellschaft ist in den
letzten zwanzig Jahren zu einer Konstante geworden.
Der vorliegende Beitrag möchte aber weniger auf die brisante Diskussion der
alten gesellschaftlichen Strukturen (der „Securisten“), die sich vernetzt im
gegenwärtigen sozialen Milieu wieder finden, eingehen. Ebenso wenig wird
dem etwas hysterischen journalistischen Diskurs der „Anormalität“ Beachtung geschenkt. Folgende Untersuchung möchte an Hand der Publikation
„Karpatenrundschau“ die Erfahrung der Freiheit exemplarisch in einem
deutschsprachigen Medium aus Rumänien aufzeigen, denn „Über Nacht haben wir das Recht erhalten, offen zu sprechen. Von der Epoche der Mikrophone sind wir übergangslos in jene der Megaphone gelangt“3.
1 Iuga, Nora: Freiheit – ein Grund zum Unbehagen. In: NL 5-6/1990, S. 125.
2 Ebd.
3 Ebd., S. 128.
Delia Cotârlea
Im Rahmen des Themenkomplexes der jüngsten Freiheit nach der Wende
1989 kann der Schwerpunkt auf deutschsprachige und rumänische Publikationen der 90er Jahre in Rumänien gelegt werden und gewiss wären Forschungen, die sich auf die Widerspiegelung der rumänischen Wende, der Erfahrung der Freiheit in der Presse konzentrieren, ergiebig. Vorliegender Beitrag engt jedoch den Rahmen ein und geht punktuell auf die Publikation
„Karpatenrundschau“ im Jahr 1990 ein. Wie wurde in einem Klima der äußeren Freiheitserfahrung geschrieben, was bedeutete dieses neue Wunder
der Freiheit für die deutschsprachige Minderheit in Rumänien – das sind
Fragen, denen die vorliegende Untersuchung nachgehen möchte.
In den ersten Monaten des Jahres 1990 fand in Rumänien eine Explosion
der Presse statt. Es wurden neue Publikationen gegründet, alte Publikationen änderten ihre Namen, andere behielten den Namen mit der Bemerkung
„Neue Serie“. Theoretisch, wie der berühmte rumänische Journalist Ion Cristoiu behauptete, befand sich die Presse in der Konjunktur der Freiheit, sie
war nun in der Lage, sich kritisch äußern zu dürfen und zu können. 4 Ablehnend äußerten sich die Medien, so Cristoiu, dem alten Regime gegenüber,
kritische Stimmen bezüglich der Revolution selber und der neuen Regierung
waren anfangs kaum hörbar. Erst Ende Januar begannen einige rumänische
Publikationen zur Macht des FSN (Frontul Salvării Naţionale – die Front der
Nationalen Rettung) Stellung zu nehmen, eine rechte Opposition fasste Konturen. Nora Iuga äußerte die Meinung, in Rumänien seien zum damaligen
Zeitpunkt keine Bücher mehr erschienen, dafür aber Hunderte von Zeitungen, denn die Literatur habe eine präzise Funktion erworben: „Die Literatur,
die es noch gibt, ist keine Literatur mehr, sondern den Umständen entsprechende Opposition“5.
Eine offiziell organisierte Opposition zur Front der Nationalen Rettung und
zum Kommunismus selber verwirklichte sich in der nun bekannt gewordenen Bürger-Allianz. Diese entstand am 6. November 1990 durch einen
Zusammenschluss derzeitiger bürgerlicher Vereinigungen und setzte sich für
die Stärkung der Zivilgesellschaft und des Rechtsstaates ein. Die Bürger-Allianz war und ist eine der größten Organisation ihrer Art in Rumänien. 216
Persönlichkeiten sowohl aus der technischen als auch aus dem kulturellen
Umfeld sind der Bürger-Allianz im November 1990 beigetreten.
Im Weiteren soll aber das Profil der KR umrissen werden. Die KR entstand
4 Siehe Cristoiu, Ion: Presa de după '89 sub semnul neaşezării. http://www.presa-zilei.ro
/stire/59/presa-dupa.html.
5 Iuga, Nora: Freiheit ..., S. 129.
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Die jüngste Freiheit nach 1989 im Spiegel der „Karpatenrundschau“
1968 aus der Publikation namens „Volkszeitung“ und nannte sich selber
„Wochenschrift für Gesellschaft, Kultur, Politik“. Sie war eine bedeutende
Publikation der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien und bewahrte
ihre Kontinuität bis in die heutigen Tage. Das Ziel der KR war, über gesellschaftliche, kulturelle und politische Gegebenheiten das deutschsprachige,
hauptsächlich in Rumänien wohnhafte Lesepublikum zu informieren. Es gelang der KR unter der Diktatur trotz Zensur eine starre Befolgung der staatlichen Kulturpolitik zu meiden, was anderen deutschsprachigen Publikationen aus Rumänien, wie zum Beispiel der „Volk und Kultur“, mit dem ausschlaggebenden Motto Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ nicht gelang. Wenn auch im Laufe der 80er Jahre die Fülle an Material und Informationen in der KR abnahm und die einschlägige Wochenschrift im wahrsten
Sinne des Wortes „schmaler“ wurde, so blieben die Kulturseiten bzw. der
„Kulturspiegel“ – S. 4-5 – erhalten und prinzipiell von der Problematik der
sozialistischen Erziehung verschont. Wie sich die KR im Umbruch des Dezember 1989 gestaltete, soll im Weiteren zur Diskussion gestellt werden.
Betrachtet man die ersten Monate der KR, so stellt man fest, dass sich die
Freiheit in einer Fülle der Thematik widerspiegelt. Aspekte, über die bis dahin nicht berichtet werden durfte, wurden nun in jeder Nummer angesprochen: einerseits die Russlanddeportationen, andererseits die Möglichkeit des
freien Reisens. Wenn auch die ersten Nummern sich nicht deutlich oppositionell dem vorgängigen kommunistischen Regime begriffen, so entschied
man sich doch für eine indirekte Form der Kritik, und zwar für die Veröffentlichung als Serie von Fragmenten aus den Memoiren des ehemaligen Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa. Mihai Pacepa war ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter und persönlicher Berater von Nicolae Ceauşescu gewesen, der 1978 aus dem Ostblock in die USA übertrat. In Rumänien wurde
er im selben Jahr zweimal zu Tode verurteilt und angeblich habe Ceauşescu
ein Kopfgeld von zwei Millionen Dollar gesetzt. Erst im Juli 1999 hob der
Oberste Gerichtshof Rumäniens Pacepas Todesurteile auf und im Dezember
2004 gab die rumänische Regierung auch den Generalsrang an Pacepa zurück.
1987 veröffentlichte Pacepa das Buch “Red Horizons: Chronicles of a Communist Spy Chief”, in dem er das verkomme Leben des Ehepaares Ceauşescu
schilderte. 1988 hatte auch Freies Europa die Memoiren in ihr Programm
eingebaut. Zwei Tage nach dem Tod der Ceauşescus begann die ehemalige
Zeitung „Scânteia” – „Der Funke”, nun „Adevărul” – „Die Wahrheit” serienmäßig Fragmente aus Pacepas Buch zu drucken. Der KR ist diese Tendenz
nicht entgangen und sie veröffentlichte bis Ende des Jahres 1990 in der RuZGR 1-2 (39-40) / 2011
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Delia Cotârlea
brik „Dokumentation” Textfragmente aus Pacepas Buch „Rote Horizonte”.
In den ersten Januarwochen des Jahres 1990 dokumentierte die KR durch
mehrere Artikel sowohl die gegenwärtigen politischen Bewegungen als auch
die Ereignisse des Monats Dezember – „Revolution live”, „Jahre, und dann
diese Tage”, „Zeichen der Solidarität”, „Was kommen musste, kam endlich
doch”, „Ein Tag der Revolution”, „Augenzeuge der Revolution”. Die Aufsätze
berichteten über die Massendemonstrationen in Kronstadt, Bukarest und
Temeswar. Zugleich richtete die Kronstädter Wochenschrift auch ihren Blick
auf die Lage der Bevölkerung, die dringend Hilfe brauchte. So füllten
Berichte über Hilfsaktionen und Sondermaßnahmen viele Seiten der KR in
den ersten Monaten des Jahres 1990, zum Beispiel „Humanitäre Hilfe”, „Erst
kommt das Essen”, „Solidarität des Mitgefühls”, „Bereit, zu helfen”.
Ebenfalls voraussehbar war die intensive Behandlung des weiten und bis dahin dem Veröffentlichungsverbot unterlegenen Themenkomplexes der Meinungsfreiheit und Schreibfreiheit. So wurden in den ersten Monaten konsequent Aufsätze zur Russlanddeportation oder zur Deportation in die rumänische Dobrudscha publiziert. Überleber der Deportation berichteten nun über
das schwere Deportiertenleben zwischen Securitate und Miliz, über wöchentliche Meldepflichten, über das Verbot, mit anderen Menschen, außer den Arbeitskollegen, zusammenzukommen. Leben und Sterben in der Deportation
waren Hauptschwerpunkte der Berichterstattungen. Aspekte wie unbekannte, nicht anerkannte Opfer wurden ebenfalls angeschnitten. Das Thema wurde auch aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchtet, indem Annemarie
Schuller im April 1990 ein Interview mit der Soziologin Renate Weber über
das Projekt „Russlandverschleppung der Rumäniendeutschen im Januar
1945“ führte. In dem Gespräch wurden Forschungsergebnisse aus deutschen
und rumänischen Archiven, so wie einschlägige zukünftige Forschungspläne
und -richtungen angeführt.
Andere zum tabuisierten Themenkomplex dazugehörende Schwerpunkte, die
nach dem Umbruch besprochen werden konnten, waren Altenheime, Straßenkinder, Heime für unheilbare kranke, Schwangerschaftsunterbrechungen. All das, was das kommunistische Regime als den „Schmutzkorb“ der Gesellschaft betrachtete und folglich zensierte, trat nun als Licht.
Die Publikationsfreiheit bot den Redaktionen die Möglichkeit, vollständig
oder zum Teil zensierte Texte zu publizieren. So erschien in der KR, 14/1990
ein Aufsatz zu einigen zensurierten Seiten der Schullerus-Monographie von
Dr. Carl Göllner. Es wurden Texte von Ana Blandiana, Mircea Dinescu in
deutscher Übersetzung gedruckt, es gibt aber keine konkreten Hinweise, ob
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Die jüngste Freiheit nach 1989 im Spiegel der „Karpatenrundschau“
die in der KR erschienenen Texte der beiden Dichter durch die Zensur betroffen worden waren.
Die Meinungs- und Publikationsfreiheit spiegelte sich erneut in der Übernahme des Interviews mit Mircea Dinescu aus dem Spiegel 8/1990 – „Literatur war ein Lebens-Mittel“ wider. In dem von Rainer Traub geführten Gespräch wurden Aspekte des Dissidententums, der Bedeutung der Literatur in
der Freiheit, sowie die Rolle der Literatur und des Dichters in der zukünftigen Entwicklung Rumäniens angesprochen.6 Die Übernahme des Artikels
deutet auf das Interesse für das brisante Thema des Dissidententums, offenbart aber zugleich den Beginn einer tristen Realität – Mangel an Arbeitskraft: durch die Auswanderungen hatte sich die Zahl der deutschsprachigen
Journalisten verringert, es gab wenig ausgebildetes Personal, das eingesetzt
werden konnte. So war die Übernahme von Artikeln und Rezensionen aus der
deutschsprachige Presse eine bequeme, aber auch eine notwendige Maßnahme zur Informierung des deutschsprachigen Lesepublikums in Rumänien.
Tabu-Themen während des Kommunismus bezogen sich fernerhin auf ausgewanderte oder in dem Westen gebliebene Personen. Die KR bot ihrem Lesepublikum serienmäßig die Flucht der weltbekannten Nadia Comăneci in
mehreren Nummern. Horst Schuller-Anger schnitt das Thema unter einem
anderen Blickwinkel an – die ehemaligen „drüben gebliebenen“, die sich nun
plötzlich sehen ließen. Schuller-Anger meinte, man erwarte von diesen, so
bald sie sich öffentlich äußern, dass sie eine Erklärung geben, warum sie Rumänien verlassen haben, und dass sie berichten, wie es ihnen in der neuen
Welt ergangen sei.7 Konkret bezog sich Schuller-Anger auf den Fall des
ehemaligen Redakteurs und Schriftstellers Paul Schuster, der 1971 einen
„eleganten Abgang über die Akademie der Künste in Berlin bewerkstelligt“
hatte. In der deutschen Sendung, in der Schuster kurz nach der DezemberRevolution aufgetreten war, solle es ein „Geworfel von Gedankenlosigkeiten,
Flegeleien und das Herunterspielen eigener Verantwortung“ gegeben haben,
statt eines verantwortungsvolles Auftretens. Schuster war nämlich Vorsitzender im Rat der Werktätigen deutscher Nationalität gewesen und tat nun
unwissend in der Sendung – „wie heißt’s nur?“ und war mit Ceauşescu zweimal zusammengekommen. Schuller-Anger nahm dazu Stellung und äußerte,
dass man Flüchtlingen nicht unüberlegt vorwerfen solle, dass sie in den Westen bzw. zum Konsum übergetreten sind, man solle die Weggänger jedoch
6 Traub, Rainer: „Literatur war ein Lebens-Mittel“. Der Schriftsteller Mircea Dinescu über
Revolution und Kultur in Rumänien. / „Ein Spiegel“-Gespräch. In KR,, 11und 12/1990, S. 4-5.
7 Anger, Horst: Überstehen. TV-Chronik. In: KR, 6/1990, S. 4-5.
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auch nicht im Fernsehen pauschal als Widerständler oder Revolutionäre feiern.8 Widerstand sei ein großes Wort, „Rilke schrieb bescheidener, wer spreche von Siegen, Überstehen sei alles“.9
Der rumäniendeutsche Dichter Franz Hodjak traf diesbezüglich in seiner Rubrik „Eintragungen“ in der KR, 4/1990 den Nagel auf den Kopf:
Es ist Revolution. Alle sind jetzt dabei. Vor allem die Gewesenen. Die Schweiger reden plötzlich laut. Die Zurückgezogenen drängen sich in den Vordergrund. Es ist ein Babylon sondergleichen. Ich weiß, die Wortführer, werden
die sein, die das rote Hemd des Terrorismus wechseln mit dem weißen demo kratischen friedlichen Hemd.10
Franz Hodjaks Äußerungen sind emblematisch nicht nur für die sozialpolitische Lage kurz nach Wende, sie lassen sich unser Erachtens auf die Entwicklung der rumänischen Gesellschaft der letzten 20 Jahre übertragen.
Die Texte der KR in den ersten Monaten nach den Ereignissen im Dezember
1989 pendelten zwischen Hoffnung und Zweifel – die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben, begleitet von der Angst vor der ungewissen Zukunft. Mit
gemischten Gefühlen schrieb die rumäniendeutsche Schriftstellerin Carmen
Puchianu schon am 25. 12. 1989 über die politische Lage in Rumänien:
Bedeutsame, zukunftsträchtige Stunden und Tage liegen hinter uns und, zweifelsohne, vor uns. Trotzdem, oder vielmehr deswegen kann ich nicht umhin,
in diesen Augenblicken höchst gemischten Gefühlen unterworfen zu sein. Erleichterung und Freude bewegen mich darob, endlich sagen zu dürfen, was ich
sagen will. [...] Gleichzeitig drängt sich auch die Frage auf, die nicht einzig
mich bedrängt und beschäftigt: Kommt die Revolution für unsere deutschsprachige Gemeinschaft nicht vielleicht zu spät? 11 (25. 12. 1989)
Die Dichterin Puchianu begann ihren Aufsatz mit der Behauptung einer
durch den Zerfall der Diktatur und Zensur gewonnen Freiheit: schreiben und
sagen zu dürfen, was man wollte. Gleichzeitig reflektierte sie aber auch über
die damalige Situation der Deutschsprachigen in Rumänien und sprach ohne
Umschweife die kollektive Krise der deutschsprachigen Minderheit an, wäh8 Siehe ebd.
9 Ebd.
10 Hodjak, Franz: Eintragungen. In: KR, 4/1990, S. 5.
11 Puchianu, Carmen: „Wir erleben historische Augenblicke“. In KR, 1/1990, S. 3.
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Die jüngste Freiheit nach 1989 im Spiegel der „Karpatenrundschau“
rend sie auf eine spezifische Problematik der Minorität einging – die Auswanderungen der Deutschen aus Rumänien ins Mutterland Deutschland.
Frühzeitig hatte die Dichterin die Gefahr der errungenen Freiheit für die
deutschsprachige Minderheit erfasst – das Aussterben einer 800-Jahre langen Tradition durch Massenauswanderung. In den nächsten Monaten dokumentierte die KR das Phänomen der Auswanderungen kontinuierlich. Bereits in der nächsten Nummer der KR (KR, 2/1990) wurde in dem Artikel
„Die Heimat ruft“ an die Minderheit seitens eines Rumänen appelliert:
Freunde, gebt euer Sachsentum und euer Schwabentum und eure wiedergeborene Heimat nicht auf! [...] Der weitere Abgang jeder einzelnen rumäniendeutschen Familie bedeutet einen schweren, nicht wieder gutzumachenden
Verlust für die nationale, wirtschaftliche und kulturelle Erbschaft des wahren
Rumäniens.12 (28. 12. 1989)
In dem Bericht „Torschlusspanik unberechtigt!“ aus der KR, 3/1990 geht es
ebenso um Aussiedlung. Bei dem Treffen zwischen dem Außenminister
Hans-Dietrich Genscher und den Vertretern des Demokr,atischen Forums
der Rumäniendeutschen betonte erster, dass „die prinzipielle Bereitschaft
der BRD, Rumäniendeutsche im Rahmen der Familienzusammenführung
aufzunehmen, eine unbestrittene Tatsache sei und bleiben werde.“ 13 Dabei
soll Genscher präzisiert haben, dass die deutsche Bundesregierung sich dafür
einsetzen würde, dass die Minderheitenrechte in Rumänien gewahrt werden
und dass Besonnenheit bezüglich der Auswanderung nötig sei.
Anfang Februar 1990 wurde in der KR ein Brief von Annemarie Schuller veröffentlicht, der am 16. Januar anlässlich der Begegnung in Hermannstadt
des Außenministers Genscher vorgelegt wurde. In ihrem Schreiben forderte
Annemarie Schuller Hilfe für die Rumäniendeutschen, und zwar dass die
Hilfe für die Bleibenden genauso konkret und effizient sein müsse wie diejenige für die Auswanderer. Denn die Eingliederung der Auswanderer in der
BRD koste Geld, und die BRD habe bis zur Wende im Ungleichgewicht in
Richtung Deutschland geholfen, „nach oben“, nun sei es nötig, im Ungleichgewicht „nach unten“, also Rumänien zu, zu helfen, wolle man undiskriminatorisch allen Deutschen behilflich sein.14
12 Sperlea, Ovidiu: Die Heimat ruft. In: KR, 2/1990, S. 2.
13 Wittstock, Wolfgang: Torschlusspanik unberechtigt! In KR, 3/1990, S. 1 u. S. 7.
14 Schuller, Annemarie: Wir sind zu schwach, um uns zu verteidigen – wir müssen zum
Angriff übergehen. Freundlichst Herrn Genscher. In KR, 5/1990, S. 1.
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In derselben KR, 5/1990 erschien ein weiterer Artikel mit dem Schwerpunkt
Auswandern oder Bleiben – „Der Abwertung des Lebens entgegenwirken“,
wo der Autor mit einem verzweifelten Ton das Dilemma des Bleibens oder
des Gehens in den Mittelpunkt stellt. Das Gefühl der Ungewissheit solle man
überwinden, man solle bei der Entscheidung alle Faktoren der Emigration in
Betracht ziehen, sowie allen Fragen des Bleibens nachgehen und handeln. 15
Die Überlegungen Siegfried Thudt sind für die damalige Lage der rumäniendeutschen Minderheit sinnbildlich, er artikulierte nachdrücklich die Zerrissenheit innerhalb der minoritären Gesellschaft.
Dass die Situation der Aussiedlung als ernsthaft und bedenklich einzustufen
war, zeigte es gleichermaßen die Erklärung des rumänischen Gelehrten Gabriel Liiceanu in der deutschen Fernsehsendung Bukarest. Seine Ansprache
„Wir brauchen Sie!“ wurde auch von der KR übernommen. Liiceanu fasste in
seinem Appell die Grundgedanken im Hinblick auf die panikartige Ausreise
zusammen:
Ich habe so gedacht: Wenn eine Art ausstirbt, ist das ein Drama für den Biologen. Was heißt es jedoch für einen Kulturgeschichtler oder für die ganze Welt,
wenn eine Zivilisation ausstirbt? Ich glaube, für Europa und speziell für Rumänien ist das wahrhaftig ein Drama, wenn eine 800 Jahre alte Zivilisation
ausstirbt, die deutsche Zivilisation nämlich. [...] Wir brauchen Sie, wir brauchen Ihre Tradition, um uns und auch Sie zu bereichern und dadurch auch
ganz Europa.16
Die Mahnungen wiederholten sich in einem bittenden Ton: „Bitte bleibt“ appelliert die Österreichische Landsmannschaft, „Heimat ist unersetzbar“. Die
wiederholten Aufforderungen, die 800jährige Kultur nicht aufzugeben,
konnten nicht überzeugen, so dass in den kommenden Jahren die deutschsprachige Minderheit in Rumänien durch die Massenauswanderungen nach
Deutschland erschütternd zusammenschrumpfte. Es war ein bitterer und zugleich kolossaler Preis, den sowohl die Minorität als auch die Majorität durch
die lang erwünschte Freiheit gezahlt haben.
Werner Söllner schnitt das Thema der Folgen der Emigration für die rumäniendeutsche Literatur an. Obwohl sich die Arbeitsbedingungen für die
Schriftsteller in Rumänien wesentlich verbessert hatten, und, so Söllner, das
Interesse des rumänischen Lesepublikums für die rumäniendeutschen Au15 Thudt, Siegfried: Der Abwertung des Lebens entgegenwirken. In KR, 5/1990, S. 4-5.
16 Liiceanu, Gabriel: Wir brauchen Sie! Erklärung in der deutschen Fernsehsendung Bukarest. In KR, 8/1990, S. 4-5.
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Die jüngste Freiheit nach 1989 im Spiegel der „Karpatenrundschau“
toren gestiegen war, brauche der Autor nicht nur Freiheit zum Schreiben,
sondern auch ein Publikum. Söllner begriff die Umstände als „Auswanderungsneurose“ und war der Überzeugung, dass sich die Situation nicht verbessern würde, solange innerhalb der deutschsprachigen Minderheit eine innenpolitische KR,ise herrschte. Denn gerade über die Gründe zur Ausreise
waren sich die Mitglieder der Minderheit nicht im Klaren, und „Solange [...]
die Rumäniendeutschen, wenn man sie nach den Gründen für die Ausreise
fragt, antworten [werden]: ‚Man geht, weil man geht.’“ 17, konnte es keinen
Ausweg aus der Situation geben.
Wilhelm Solms war in seinen aus der FAZ übernommenen Ausführungen etwas optimistischer. Er war der Ansicht, über die Zukunft der rumäniendeutschen Literatur sei noch nicht entschieden, da es noch Schriftsteller wie Joachim Wittstock gab, die bleiben wollten.18
Im Hinblick auf die politische und gesellschaftliche Situation der deutschsprachigen Minderheit stellte sich das Demokratische Forum in Rumänien
zunächst auf nationaler Ebene Fragen bezüglich der Zukunft der deutschsprachigen Minderheit und formulierte wiederholt Programme, die auf die
Hauptbereiche des Alltags fokussierten: Wirtschaft, Schule, Gesellschaft,
Kultur. Jedes Lokalforum sollte künftig auf regionaler Ebene Initiativen ergreifen. Daraufhin folgten in der KR die Satzungen des Demokratischen Forums Kronstadt. Durch das vorgesehene nationale und regionale Konzept
wollte das DFRD zur zukünftigen Verfassung und Gesetzgebung beitragen,
damit die Minderheiten und die Mehrheit ein freies, demokratisches Rumänien aufbauen konnten. Die Programmentwürfe entstanden im Zuge des
postrevolutionären Idealismus und eine Diskussion um, in wie weit diese
Satzungen in der Gesetzgebung Rumäniens in den kommenden Jahren Niederschlag fanden, sprengt den Rahmen vorliegender Auseinandersetzung.
Dass die KR, eher punktuell auf das Politische in Rumänien fokussierte, zeigen ebenso die Berichte und Artikel des Monats Mai 1990, als in Rumänien
die ersten freien Wahlen nach 50 Jahren Diktatur stattfanden. Außer Werbung für das Demokratische Forum gibt es kaum Hinweise auf die damalige
einigermaßen gespannte politische Lage Rumäniens. Die politischen Diskussionen der Wahlkampagne fanden sich in der KR nicht wieder. Dafür gab es
genaue technische Anweisungen zum Wahlverfahren selber. Erst nach den
17 Söllner, Werner: Soll man gehen, soll man bleiben. In: KR, 31/1990, S. 4-5.
18 Siehe Solms, Wilhelm: Restschnaps. Was wird aus der deutschsprachigen Literatur in
Rumänien? In: KR, 32/1990, S. 5.
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Wahlen wurde knapp in einer Stellungnahme die geringe Opposition zur
Front der Nationalen Rettung bedauert.
In Bezug auf die Bergarbeiter-Aktion („Mineriadă”) im Juni 1990 veröffentlichte die KR den Artikel „Angriff auf die Demokr,atie“. Der Autor des Textes
Ralf Sudrigian äußerte sich kritisch in Bezug auf die Unfähigkeit der Polizei,
die Randalierer unter Kontrolle zu bringen. Sudrigian betrachtete die
blutigen Ereignisse als einen tragischen Anschlag auf die junge Demokratie
Rumäniens. In derselben KR betonte der Evangelische Kirchentag ebenfalls
die Tragik der Bukarester Straßenkämpfe. Weitere oppositionelle Ansätze im
Hinblick auf die konfuse politische Lage gab es in der KR jedoch nicht.
Abschließend kann behauptet werden, dass die KR im Umfeld der Freiheit
ihr Profil kaum geändert hat – sie blieb eine Zeitschrift für „Gesellschaft,
Kultur, Politik“, in der den drei Schwerpunkten gleichermaßen Beachtung
geschenkt wurde. Durch die erworbene Meinungs- und Schreibfreiheit bereicherte sich das inhaltliche Angebot selbstverständlich. Durch die Massenauswanderungen sank aber das Lesepublikum drastisch. Die KR überlebte aber
und erscheint heutzutage als Beilage der ADZ.
Literatur:
1. ANGER, Horst: Überstehen. In: KR, 6, 7 u. 8/1990, S. 4-5.
2. BERBECARIU, Agathe: Frei reisen. In: KR, 2/1990, S. 2.
3. BINDER, Rolf: „Wirkliche Wahrheit“. In: KR, 4/1990, S. 2.
4. Bitte Bleibt. Heimat ist unersetzbar. Österreichische Landsmannschaft. In: KR, 14/
1990, S. 3.
5. BLUMEL, Thomas: Reise in die Vergangenheit. Erlebnisse eines deutschen Touristen, der im November 1989 nach Rumänien reisen wollte. In: KR, 7/1990, S. 7.
6. CRISTOIU, Ion: Presa de după '89 sub semnul neaşezării. http://www.presazilei.ro/stire/59/presa-dupa.html.
7. DROTLEFF, Dieter: Revolution live. In: KR, 1/1990, S. 2.
8. EHRMANN, Karl Arthur: „Die deutschen zurückgewinnen“. KR-Gespräch mit dem
Professor Silviu Brucan über die Zukunft. In: KR, 23/1990, S. 1. u. 3.
9. ELSEN, Helmar: Der „Schmutzkorb“ der Gesellschaft. In: KR, 6/1990, S. 3.
10. ELSEN, Helmar: Die Sicherheit hat funktioniert. In: KR, 3/1990, S. 3.
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Die jüngste Freiheit nach 1989 im Spiegel der „Karpatenrundschau“
11. ELSEN, Helmar: Ein neuer Wind. In: KR, 1/1990, S. 1.
12. ELSEN, Helmar: Schrei des Lebens. Für und wider Schwangerschaftsunterbrechun gen in einem KR-Rundtischgespräch. In: KR, 9/1990, S. 3.
13. GÖLLNER, Carl: Symbol nationalen Erhaltungswillens. Zensurierte Seiten von einer
Adolf-Schullerus-Monographie. In: KR, 14/1990, S. 1 und S. 6.
14. IONESCU, Karin: Erst kommt das Essen. In: KR, 2/1990, S. 3.
15. IUGA, Nora: Freiheit – ein Grund zum Unbehagen. In: NL 5-6/1990, S. 125-128.
16. KOITY, Marius: Nadias größter Sprung. In: KR, 11-17/1990, S. 6.
17. LIICEANU, Gabriel: Wir brauchen Sie! Erklärung in der deutschen Fernsehsendung
Bukarest. In KR, 8/1990, S. 5.
18. MORSCHER, Burghard: Quelle des Lichts. Geleitwort im neuen Jahr für christliche
Leser. In: KR, 1/1990, S. 3.
19. NICODIN, Gabriel: Augenzeuge einer Revolution. In: KR, 24/1990, S. 7.
20.Programm des Demokratischen Forums der Rumäniendeutschen. In: KR, 3/1990, S. 6 .
21. PUCHIANU, Carmen: „Wir erleben historische Augenblicke“. In: KR, 1/1990, S. 3.
22. Rote Horizonte. Aus den Memoiren des ehemaligen Securitate-Generals Ion Mihai
Pacepa. In: KR, 1-31/1990, S. 8.
23. Satzungen des Demokratischen Forums im Kreis Kronstadt. In: KR, 7/1990, S. 6.
24. SCHULLER, Annemarie: Ein Tabu wird aufgehoben. KR,-Gespräch mit den Soziolo gen Renate und Georg Weber aus Münster über die Russlanddeportation und ihr
Zendersch-Buch. In: KR, 17/1990, S. 4-5.
25. SCHULLER, Günther: Ich wollte nicht verscharrt werden. Günther Schuller über
Leben und Sterben in der Deportation. In KR, 19, 20/1990, S. 4-5.
26. SCHULLER-WEBER, Annemarie: Wir sind zu schwach, um uns zu verteidigen – wir
müssen zum Angriff übergehen. Freundlichst Herrn Genscher. In: KR, 5/1990, S. 1.
27. SIMON, Dieter: Sondermaßnahmen nötig. Vorschläge zur Verbesserung der Lage
der Deutschen in Rumänien. In: KR, 3/1990, S. 2.
28. SPERLEA, Ovidiu: Die Heimat ruft. In: KR, 2/1990, S. 2.
29. SOLMS, Wilhelm: Restschnaps. Was wird aus der deutschsprachigen Literatur in
Rumänien? In: KR, 32/1990, S. 5.
30. SÖLLNER, Werner: Soll man gehen, soll man bleiben. In: KR, 31/1990, S. 4-5.
31. SUDRIGIAN, Ralf: Angriff auf Demokratie. In: KR, 25/1990, S. 1-2.
32. SUDRIGIAN, Ralf: Bisher ignoriert: Hilfsbedürftiges Leben. In: KR, 4/1990, S. 3.
33. SUDRIGIAN, Ralf: Unbekannte, nicht anerkannte Opfer. In KR, 15/1990, S. 3.
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34. SUDRIGIAN, Ralf: Zeichen der Solidarität. In: KR, 1/1990, S. 3.
35. TATAR, Emil: Gedanken eines einfachen Rumänen. In: KR, 3/1990, S. 2.
36. THUDT, Siegfried: Der Abwertung des Lebens entgegenwirken. In: KR, 5/1990, S.
4-5.
37. TRAUB, Rainer: „Literatur war ein Lebens-Mittel“. Der Schriftsteller Mircea Dinescu über Revolution und Kultur in Rumänien. / „Ein Spiegel“-Gespräch. In KR, 11
und 12/1990, S. 4-5.
38. WITTSTOCK, Wolfgang: Ein Tag der Revolution. In: KR, 3/1990, S. 7.
39. WITTSTOCK, Wolfgang: Im Dienst humanitärer Hilfe. In: KR, 1/1990, S. 2.
40. WITTSTOCK, Wolfgang: Torschusspanik unberechtigt. In: KR, 3/1990, S. 1 u. S. 7.
***
Freedom of speech in the Journal “Karpatenrundschau” after 1989
Abstract
The present paper deals with the literary field after the Romanian Revolution 1989.
It analyses the reaction of the weekly journal Karpatenrundschau during the year
1990. The research aims at portraying the changes within the mentioned periodical
due to the recent gain of freedom of speech.
A consistent part of the paper is dedicated to some topics, that where censored till
1989. Topics as the deportation of the German minority after the Second World War
are covered by the weekly Karpatenrundschau.
But not only tabu-topics enter the pages of the periodical but also political and
ethnic issues that mattered immediately after December 1989, such as the emigration of the ethnic minority from Romania back to Germany.
Schlüsselwörter/Keywords: Schreib- und Ausdrucksfreiheit, Rumänische Revolution 1989, Kronstädter Wochenschrift Karpatenrundschau
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LAZARUS DARF NICHT HERAUSKOMMEN.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht
über dem Kopf“1
Raluca Rădulescu
Dimitré Dinev wurde 1968 in Plovdiv, Bulgarien, geboren. Im nahegelegenen Pasardshik besuchte er ein deutschsprachiges Gymnasium.
Während seiner Schulzeit begann er mit dem Schreiben und konnte ab
1986 erste Texte in bulgarischer und russischer Sprache veröffentlichen. Ende der achtziger Jahre nahm er an den Protesten der Oppositionellen gegen das Regime von Todor Shivkov teil. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verließ Dimitré Dinev im Winter 1990
Bulgarien. Er gelangte über die tschechische Grenze illegal nach Österreich, wo er zunächst im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgenommen
wurde. In Wien schlug er sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs
durch. Nebenher studierte er Philosophie und Russische Philologie. Seit
1992 verfasst er in deutscher Sprache Drehbücher, Theaterstücke,
Rundfunkfeatures und Prosa. Sein erster Roman Engelszungen (2003)
wurde zu einem großen Erfolg bei Kritik und Publikum. Im Frühjahr
2005 erschien der Erzählband Ein Licht über dem Kopf.
Ein Licht über dem Kopf heißt die Sammlung von zehn Erzählungen des
Adelbert-von-Chamisso-Preisträgers, der in Bulgarien aufwuchs und heute
in Wien lebt. Der Band bietet eine „Einführung in Dinevs Welt“ 2, wobei es
dem Autor gelingt, „die Realität zum Leuchten zu bringen.“ 3 Seine Gestalten
sind „tragische Helden des Alltags, pfiffige Sisyphus-Figuren“, in der
1 Acest studiu se publică cu sprijinul şi finanţarea proiectului european „Dezvoltarea capacităţii de inovare şi creşterea impactului cercetării prin programe post-doctorale“, ce se încadrează în Programul Operaţional Sectorial Dezvoltarea Resurselor Umane - POSDRU, axa
prioritară 1, domeniul major de intervenţie 1.5 „Programe doctorale şi post-doctorale în sprijinul cercetării“ POSDRU 89/1.5/S/49944. / Dieser Beitrag erscheint mit der finanziellen Unterstützung des EU- Projekts „Die Entwicklung der Innovationsfähigkeit und die Erhöhung
der Forschungsauswirkung durch Postdoc-Programme“, das zum operativen sektoriellen Programm zur Entwicklung des Personals - POSDRU, Priorität-Achse 1, Einsatzbereich 1.5 „Doktoratskollegs und Postdoc-Forschungsprogramme zur Unterstützung der Forschung“ 89/1.5/
S/49944 gehört.
2 Hans-Peter Kunisch: Leder ist Haut. Alles Balkan: Dimitré Dinevs „Ein Licht über dem
Kopf“. In: Süddeutsche Zeitung, 05.11.2005.
3 Bernhard Fetz: Rezension zu Dimitré Dinev, „Ein Licht über dem Kopf“. In: Falter, 11/2005,
16.03.2005.
Raluca Rădulescu
„scheinbaren Ausweglosigkeit entwickeln sie spitzfindig unkonventionelle
Ideen und wagen Experimente am Rande der Legalität und darüber hinaus.“4
Die Erzählungen sind einer der Exilthematik zuzuordnen, sie handeln alle
von Erfahrungen in der Fremde, vordergründig in Österreich, wo Bulgaren
und andere Osteuropäer bessere Verdienstmöglichkeiten auf dem westlichen
Arbeitsmarkt zu finden hoffen. „Dinevs Welt ist bevölkert von Schwindlern
und Schmugglern, Flüchtlingen und Fensterputzern, Passfälschern und Pferdedieben. In erster Linie aber von Menschen, die auf der Suche sind. Vertriebenen, getrieben von ihrer Sehnsucht nach Liebe, Arbeit und Heimat.“ 5 Der
Autor ist selten an den Verhältnissen mit den Inländern interessiert, vielmehr wendet er sich den Beziehungen zu, die unter Gastarbeitern zustandekommen.
Gemeinsame Erlebnisse in ihren Heimatländern lassen eine politisch-soziale
und seelische Isotopie entstehen, die den ehemaligen kommunistischen Ostblock als Keim materiellen und geistigen Verfalls bloßstellt. Die Neueuropäer
„veranstalten an den Toren des alten Europas einen Karneval der Blessuren
und Torturen“.6 Es sind „sich gegenseitig ergänzende [...] balkanische Underdog-Lebensläufe“7, die sich im Erzählungsband zu einem Panoptikum der
zur Verzweiflung bringenden Unmöglichkeit, Mensch zu sein, zusammenfügen. Zugleich bleibt das neue Aufnahmeland keinesfalls vor einer scharfen
Infragestellung verschont, es ist der Mangel an Menschlichkeit, der dort
herrscht, und dem die Einwanderer erneut zum Opfer fallen. Darauf ist auch
die Tatsache, dass es dem Autor gelingt, seine Figuren „mit einem erzählerischen Heiligenschein des Wunderbaren zu umkränzen: dem ´Licht über dem
Kopf´ eben“8, zurückzuführen.
In der gleichnamigen Erzählung Ein Licht über dem Kopf setzt wieder finanzielle Armut in Osteuropa den Handlungsmotor in Gang. Dinevs Figuren
„lieben ihre bulgarische Heimat, tun aber alles, um sie zu verlassen, denn das
Glück wohnt anderswo, vorzugsweise in Österreich.“9 Die schwierigen Ar4 Carmen Eller: Sisyphus auf dem Gerüst. Dimitré Dinevs feine Erzählungen sind dicht bevölkert von skurrilen Alltagshelden. In: Frankfurter Rundschau, 01.06.2005.
5 Ebd.
6 Sabine Berking: Im Zweifel für die Reisefreiheit. Karneval der Blessuren: Dimitré Dinev
erzählt mit fröhlichem Pathos und tiefschwarzem Humor von heimatlosen Neueuropäern. In:
FAZ, 09.07.2005.
7 Hans-Peter Kunisch, Anm. 2.
8 Ebd.
9 Matthias Gretzschel: Kafkaeske Geschichten mit schwejkschem Humor. In: Hamburger
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
beitsbedingungen in Bulgarien veranlassen den Haupthelden Plamen Svetlev
zu vielfachen Schwankungen zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen. Dem
Arbeitswechsel entspricht oft auch ein topographischer Wechsel, die Hauptgestalt pendelt von einem Land zum anderen in der Hoffnung auf bessere
Verdienstmöglichkeiten. Auf geistig-subjektiver Ebene vollzieht sich gleichzeitig ein Prozess des Identitätswechsels, der intensiver oder gemäßigter zum
Vorschein kommt, je nachdem, wie stark der soziale Druck ist.
Um die Thematik Leben und Tod kreist die Erzählung Die Totenwache, wobei der Schauplatz der Handlung national gefärbte Umrisse deutlich erkennen lässt. Das bulgarische Ehepaar Stawrev lebt seit einiger Zeit in Wien, wo
sie als Gastarbeiter ein bescheidenes Leben führen. Es ist der unerwartete
Tod des Ehemanns auf einer Baustelle, der den Motor der Handlung in Gang
setzt, gleichgesinnte osteuropäische Gastarbeiter zusammenbringend. So
entsteht eine lebendige Geschichte, die der Autor mit traditionsbedingten
balkanischen Sitten bei der Totenwache würzt. Doch erweist sich das angebliche Exotische als irreführend, das Hantieren mit Aberglauben und Bräuchen ist eine verfeinerte literarische Strategie, um von einem konkreten Anlass auszugehen, der weiterhin eine philosophische Problematik untermauern soll.
Dass dem hoffnungslosen Gastarbeiter nichts übrigbleibt, als in Traum und
Schlaf zu versinken, wird in der Erzählung Spas schläft veranschaulicht.
Diesmal räumt der Autor den Geschehnissen mehr Platz ein, da vorwiegend
rückblendend erzählt wird, was die Auswirkungen der Vergangenheit auf die
traurige gegenwärtige Lage rechtfertigen soll. Die besessene Suche nach einer Arbeit und die ständigen Hindernisse, die dem osteuropäischen Gastarbeiter im Wege stehen, werden mit dem für Dinev üblichen Blick eines Sezierarztes problematisiert.
Auch in der Erzählung Lazarus wird die Geschichte eines Verfalls dargestellt, um, wie der Autor explizit ankündigt, „die Ursache seines [des
Haupthelden] Untergangs zu ergründen.“10 Der weiteste Raum wird der Vorgeschichte gewidmet, in der der lange Atem des Erzählers zu spüren ist, der
dem Leser die Geschehnisse nicht nur aus zu untersuchenden Gründen veranschaulicht. Zugleich ist auch die prägende Lust am Fabulieren zu bemerken, gekoppelt mit der bekannten Ironie und dem Spiel mit syntaktischen
und semantischen Korrespondenzen. Dinev geht das Risiko ein, an novellisAbendblatt, 16.07.2005.
10 Dimitré Dinev: Lazarus. In: Ein Licht über dem Kopf. Erzählungen. Wien: Deuticke 2005,
S. 56-92, hier S. 56.
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Raluca Rădulescu
tischer Genauigkeit zu verlieren, zugunsten einer weiträumigen Prosa, deren
feste Zusammenfügungen er nichtdestotrotz beherrscht, ohne dass es dem
Erzählfluss an Klarheit mangelt. Anstelle der erlebten Rede oder des inneren
Monologs als durchbohrende Untersuchungsstrategien des Innenlebens der
Gestalten treten zunehmend lebendige Dialoge auf, die die Handlung und die
Erzählstimmung dynamisieren und die dramatische Spannung steigern.
Lazarus ist wahrscheinlich eines der gelungensten Stücke des Erzählbandes,
vor allem weil hier eine vielstimmige Vielfalt der Stilmittel und narrativen
Techniken anzutreffen ist. Es wird vorwiegend souverän auktorial erzählt,
was für die sichere Handhabung des Schicksals Lazarus´sorgt, das dermaßen
vorbestimmt scheint, als ihm keine Möglichkeit geboten wird, sich dagegen
zu wehren. Die Er-Erzählung steigert auf der anderen Seite den Sachlichkeitsgrad und eignet sich für diese narrative Form insofern, als Dinev einen
Mikro-Bildungsroman erschafft, in dem der Lebenslauf einer Hauptgestalt
im Mittelpunkt steht. Die Fokussierung auf Lazarus´ Entelechie ist so stark,
dass die Handlung sich nur auf einen einzigen Strang beschränkt, dem sich
der Autor entschieden hingibt. Manchmal wird die lineare Episodenfolge
durch erklärende Rückblenden unterbrochen, sie gleitet aber nicht in Nebenhandlungen ab.
Mit der üblichen, manchmal den Leser verspottenden Sicherheit fängt der
Autor seine Erzählung ex abrupto an, ohne ihm weitere Hinweise zu geben.
In Lazarus erweist er sich als Meister einer abwartenden, rätselhaften Spannung, die den Leser an der Nase führt bis gegen Ende der Geschichte. Es
wird knapp mitgeteilt, dass Lazarus sich in einem Sarg befindet, wo er über
sein Leben nachdenkt. Wie es dazu gekommen ist, bleibt unbekannt, da der
Autor gleich mit der Vorgeschichte fortfährt, was sich aus dem Bedürfnis
nach einem „Überblick über sein Leben“11 erklären lässt. Der Einblick in seinen Lebenslauf beginnt mit der malerischen Darstellung seiner Mutter, gebürtiger Zigeunerin, einer bulgarischen heißbegehrten Schönheit, die
schließlich eine bescheidene Ehe mit einem Militärbarbier schließt.
Ihr Name, Sneshana, war auf zahlreiche Männerkörper tätowiert und hatte
mal unter parfümierten, mal unter verschwitzten Hemden schon ganz Bulgarien durchreist. […] Auf jeden Fall kamen ständig Männer zu ihr. Manche
kamen von weit, andere aus der näheren Umgebung. Sie stiegen aus Zügen,
Bussen, Kutschen, Lastwagen, von Traktoren, Anhängern, Motorrädern,
Karren, Pferden, Eseln und aus ihren Autos. Manche kamen allein, manche
mit Musikbegleitung. Manche mit falschen Pässen und unter falschem Na-
11 Ebd.
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
men. Aber alle kamen mit echten Gefühlen.
12
Dinevs Vorliebe für chiasmische Verhältnisse, das humorerzeugende Spiel
mit unerwarteten Gegensätzen kommt wieder zum Voschein. Weiterhin ist
die Katalog-Technik zu verzeichnen, von der in dieser Erzählung auf weite
Strecken Gebrauch gemacht wird. Die Freude an lebendigen Aufzählungen
lässt den Erzählfluss schneller gleiten und färbt das Geschilderte mit Ironie
ein. Das auch in anderen Erzählungen wiederkehrende Motiv der Tätowierung weist auf eine gefühlsbeladene Topographie hin, die sich von der Menschenhaut auf die bereisten Orte überträgt und lieux de mémoire entstehen
lässt. Durch die Herstellung von Tätowierungen wird darauf abgezielt, mnemonische Spuren zu hinterlassen, die für die Verewigung der für solche gehaltenen Grunderfahrungen verantwortlich sind. Onkel Ibro, ein ehemaliger
Verehrer Sneshanas, der sie immer noch besucht, erweckt die Ehrfurcht des
Kindes mit seinen Tätowierungen: „Riesig, blau und geheimnisvoll waren
sie. Geheimnisvoller als jedes Märchenbuch.“13 Auf seiner Brust entdeckt es
auch ein großes blaues Herz mit dem Namen seiner Mutter.
Die Erinnerung an Lazarus' Mutter wandert durch das ganze Land und
zeichnet in seinem Gedächtnis einen Augenblick ab, in dem sich das Mutterbild und Heimatmatrix überschneiden und ineinander verschmelzen. Dass
der Muttername das Vaterland durchzieht, stellt sich als Vorzeichen der vielfachen Reisen des Haupthelden dar und scheint sein Schicksal vorbestimmt
zu haben. Es ist das Mutterbild, das für sein künftiges Leben einen prägenden Einfluss haben soll, und nicht das Vaterbild. Auch wenn die Mutter beim
Waschen dargestellt wird, sich über die Schläge des Mannes beschwerend
und sie in der nächsten Sekunde verzeihend, bleibt das Bild ihrer männerverschlingenden Schönheit vorherrschend und besteht im Kindesgedächtnis
fort. Der Vater wird hingegen in der Eintönigkeit seiner Berufsausübung dargestellt, nichts als sein dienstliches Pflichtbewusstsein zeichnet ihn aus. Diese langweilige Tätigkeit wird in einem humorvoll herausfordernden Autorbericht dermaßen gelungen geschildert, dass sie umsomehr lächerlich erscheint:
Die Menschen sahen ihn beglückt an, die Schafe ängstlich, die Widder feindselig, die Esel mißtrauisch, die Pferde unzufrieden, die Ziegen provokant, die
Schweine unentschlossen, die Kühe gleichgültig, die Gänse verächtlich und
14
die Hühner rätselhaft. Er tat seine Arbeit schnell und tadellos.
12 Ebd., S. 58.
13 Ebd., S. 62.
14 Ebd., S. 60.
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Raluca Rădulescu
Das hoffnungszerstörende Alltag droht auch einen durchaus normalen Knaben wie Lazarus zu verschlingen, deshalb träumt er eines nachts von einer
riesigen Stadt und beschließt, seine Geburtsstadt zu verlassen. Selbst eine
erste Liebe wird gewaltsam entromantisiert, wie er nach seinem Armeedienst
erfährt: Bistra hatte einen Reiseführer geheiratet,
der drei Fremdsprachen perfekt beherrschte und dadurch problemlos mit
den drei Kindern aus seinen drei früheren Ehen telefonieren konnte. Bistra
erwartete ein Kind von ihm, mit dem er dann endlich auch Bulgarisch sprechen konnte. Bistra war also berufen, den Traum eines Polyglotten zu
15
vollenden.
Dinevs bissiger Ironie bleibt nichts verschont, da sich schon von Anfang an
ein mächtiger Desillusionierungsprozess abzeichnet, solange der Autor die
Geschichte eines Untergangs ankündigt. Und trotzdem hätte man auch
glückselige Kindheitserinnerungen erwartet oder einzigartige Augenblicke
jugendhafter Siege, denen er die Enttäuschungen des Erwachsenenlebens
hätte entgegenstellen können. Hingegen sind auch in den möglichen segnungsreichen Daseinsstufen alltagsnahe prosaische Eingriffe vorhanden, die
einer gefühlsfremden Wirklichkeit eine zerstörerische Macht überlassen. Die
Augenblicke gärender Liebeserfüllung zwischen Lazarus und Bistra in einem
schäbigen Keller überlappen sich mit dem Klappen der Mausefallen, die
„ihre Intimität absicherten“16 , auf der Hochzeit küsst er seine Frau „so gierig,
als ob sie das Ende eines sehr langen Krieges erlebt hätten.“17
Und wenn es darum geht, die Entwicklung des Helden in der kommunistischen Ära zu verfolgen, geht der Sarkasmus in die Tiefe und verleibt einer
mechanisierten, gleichschaltenden, krankhaften Welt die minderwertigen
Bestrebungen eines erbärmlichen Einzelnen ein, der aufgehört hat, ein Einzelner zu sein, und der längst ein Rad im System ist. Lazarus arbeitet in einer
Zigarettenfabrik in Plovdiv und leitet sein Dasein vom Zigarettenschicksal
ab: „Er war wie eine der zahllosen Zigaretten [...]. Weiß waren sie, eine wie
die andere, und alle gleich beliebt beim Volk.“ 18 Er beginnt ein „im Fabrik
produziertes Leben“19 und lernt bei einer Erste-Mai-Manifestation seine zukünftige Frau kennen. In der Nähe der „in perfekt geordneten Reihen mit
15 Ebd., S. 67.
16 Ebd., S. 66.
17 Ebd., S. 71.
18 Ebd., S. 67.
19 Ebd.
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
Klassenbewusstsein und festem Lächeln“20 aufmarschierenden Proletarier lernt
Genosse Lazarus Genossin Nedelka kennen und ihr Familienleben scheint nach
genau entworfenen kommunistischen Vorschriften zu verlaufen.
Nach der Hochzeitsszene wird die Vorgeschichte von dem inneren Monolog
des Haupthelden unterbrochen, der sich nach dem Anfang seines Untergangs fragt. Er äußert die Vermutung, dass sein Untergang mit dem Untergang des Kommunismus übereinstimmen könnte, was sich tatsächlich dadurch bewahrheitet, dass sein gängiger stereotyper Lebenszyklus von einer
ehebrecherischen Beziehung gestört wird. Er gibt der wie „ein schäumender
Wein“21 dursterregenden Wahrsagerin Slatiza und somit ihrer Geldgier nach
und lässt sich als Warenschmuggler beschäftigen. Seine Wege führen unablässig nach Jugoslawien, wo er alles mögliche von Taschentüchern bis zu
Elektrogeräten verkauft, sich immer um die Zollbeamten kümmernd und sie
bestechend: „Die Gesundheit der Zöllner war Lazarus wichtig. Besonders die
Gesundheit derer, die er kannte.“22 Die Begierde nach seiner Liebhaberin erweckt eine Sucht, die er nur durch Geldbesorgen stillen kann, mit dem er sie
zufriedenstellen und seine verhängnisvolle Leidenschaft weiterernähren
kann: er
brachte immer das gleiche zurück: Deutsche Mark. Es war eine magische
Währung. Sie öffnete Türen und Herzen, sie bewirkte Wunder. Selig, wer sie
besaß. Lazarus basaß sie. Er pilgerte voller Demut nach Jugoslawien, ertrug
23
dort geduldig Erniedrigungen und Beleidigungen und kehrte selig zurück.
Während des Kriegs in Jugoslawien ändern sich die Verhältnisse unter den
Embargobedingungen, so dass er etwas behutsamer verfahren muss, was er
auch tut, bis er an der Grenze von der Polizei gefangengenommen und seine
Ware beschlagnahmt wird. Im Zimmer der Polizeistation fallen ihm drei Portraits auf, erstarrte Denkmäler katastrophaler Schicksale im kommunistischen Ostblock, die sich keinesfalls anfassen lassen, und die für immer jenseits der Zeit bestehen:
Stalin, Tito und Milosevic, gerahmt und verglast, genossen sichtlich die tägliche Pflege, und ihre Blicke waren frei für höhere Aufgaben. Drei stille
20 Ebd., S. 68.
21 Ebd., S. 72.
22 Ebd., S. 73.
23 Ebd., S. 74.
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Raluca Rădulescu
Wanduhren, die keine Zeiger brauchten.“
24
Die drei kommunistischen Führer verbinden in Lazarus´ Vorstellung drei
Balkanvölker und somit eine Leidensgemeinschaft, die von dem serbischen
Polizeibeamten nicht als solche anerkannt wird. Er beschimpft ihn als „Zigeuner“ und nennt die antikommunistischen Balkanbewohner „Schmuggler,
Diebe und Betrüger“25, was seine Lage umsomehr verunsichert, als er nicht
nachvollziehen kann, weshalb die üblichen Bestechungsmittel ihr Ziel nicht
erreicht haben. Er kann nur ratlos folgern, der Untergang des Kommunismus habe an seinem Verfall mitgewirkt. Zu Hause findet er seine Liebhaberin nicht mehr, sie hätte sich auf eine Weltreise ohne ihn gemacht; seine
Frau teilt ihm mit, sie möchte sich von ihm scheiden lassen und seinen Bruder heiraten. Lazarus bleibt nichts übrig, als vor seinem Unglück zu fliehen
und kehrt nach einer weiteren mißlungenen Liebesbeziehung nach einundzwanzig Jahren in seine Heimatstadt zurück. Beim Wiedersehen mit seinen
Eltern kann er die Frage, warum er so spät zurückkommt, nicht beantworten, was nicht mal Onkel Ibro, den er vorher getroffen hatte, tun kann. Er
fährt weiter, dafür beschließt er, den Namen seiner Mutter im Verborgenen
weiterzutragen, und von ihm ausgehend eine ihm heilige seelische Geographie weiterzubereisen. Der Himmel war „blau und ruhig wie in der Mitte eines Herzens“26, was an den tätowierten Mutternamen inmitten eines gezeichneten Herzens auf Ibros Brust erkennbar ist. Lazarus reisst sich von der körperlichen Anwesenheit der Mutter los, doch scheint sein ganzer Lebensweg
eine Entdeckungsreise zu sein, eine trostlose Suche nach Liebe. Kurz vor der
Ankunft im Elternhof stellt er sich die Frage: „Wie viele Leben braucht man,
um richtig lieben zu lernen?“27
Seine nächste Station ist Sofia, wo er aus Zufall die Sprengung des Mausoleums des Genossen Dimitrov verfolgt. „Nicht nur Lazarus, auch der Staat versteckte seine Vergangenheit, das beruhigte ihn.“28 Dabei erinnert er sich an
ein Kindheitsereignis, als eine Mitschülerin fragte, ob sich der Führer immer
tot stellen müsse, wenn Besucher kommen. In der unmittelbaren Gegenwart
geht Lazarus an einem Karussell vorbei, das sich am Ort befindet, wo die
Mumie einst gelegen hatte. Ihm kommt der dem Führer ähnelnde Karussel24 Ebd., S. 78.
25 Ebd., S. 79.
26 Ebd., S. 89.
27 Ebd., S. 88.
28 Ebd., S. 89.
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
kassierer als Toter vor, der sich lebendig stellt. Diese zwei Bilder prallen aufeinander und bauen ein erschreckendes Todesdenkmal zusammen, vor dem
sich Lazarus fürchtet. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen miteinander in dem Sinne, dass sich beide als Verfälschungen, als vorgetäuschte
Realitäten erweisen. In dem Augenblick, als er sich dessen bewusst wird, beschließt er, das Land zu verlassen. Seine Sinnsuche kann nicht durch Inlandreisen oder Schmugglerreisen ins Nachbarland gestillt werden, er muss im
Ausland ein neues Leben beginnen.
Er flieht deswegen nach Österreich, und zwar in einem Lastwagen, der Särge
transportiert. Die Vorgeschichte nimmt hier ein Ende und die Erzählzeit
stimmt mit der erzählten Zeit überein. In den anderen Särgen liegen vier Albaner, zwei Bosnier und ein Rumäne, mit dem er sich bruchstückartig unterhält, da dieser ein paar Worte Bulgarisch von den vom bulgarischen Fernsehen ausgestrahlten Fußballspielen kann. Eine Stimme „wie aus dem Jenseits“29 teilt ihnen plötzlich mit, dass sie die Grenze erreicht haben. Er nimmt
sich vor, abzuwarten, und schläft ein.
<Lazarus, komm heraus!> Eine laute Stimme weckt ihn. […] <Wir sind da.
Wir sind in Österreich!> hört er. Lazarus hebt den Deckel, setzt sich auf und
steigt aus seinem Sarg. […] Alle stricken ihre verspannten Glieder, um sie
auf das neue Leben vorzubereiten. […] Einer der Bosnier schiebt ihm ein
Stück Brot in die Hand. Es ist trocken und riecht nach Benzin. Lazarus beißt
30
hinein. Und es schmeckt ihm.
Es sind die Endzeilen der Erzählung, die sowohl die Titelauswahl als auch
den Anfang rechtfertigen sollen. Der Bezug zum christlichen Mythos erfolgt
diesmal nicht mehr durch seine Demontage (Die Totenwache), sondern
durch seine Wiedereinschreibung, was eine reine Intertextualität erkennen
lässt. Der Aufruf Lazarus´ ist ein Aufruf zum Leben, er wird gerettet und eingeladen, eine neue Existenz anzufangen. Die Brotmetapher hat ebenfalls
christologische Bedeutung, es wird auf den lebensspendenden Leib Jesu angespielt. Mit Lazarus hat das schließlich selbstgewählte Schicksal ein Wunder vollbracht, er musste im Sarg liegen, um auferstehen zu können, und
vorher musste er sich mal tot mal lebendig stellen, um zu erkennen, dass seinem Leben an Lebendigkeit fehlte.
Schwarzarbeiterschicksale zerstört die grausame Realität auch in der Erzäh-
29 Ebd., S. 91.
30 Ebd., S. 92.
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Raluca Rădulescu
lung Kein Wunder.31 Auf einer Baustelle in Wien errichten in der Hitze drei
osteuropäische Arbeiter - Karel der Tscheche, Dan aus Rumänien und Juri
aus Moldawien – zwei- oder dreistöckige Gebäude. Ihre stereotypen Bewegungen rücken sie in die Nähe von Maschinen, die unablässig einen befohlenen Auftrag durchführen müssen. Der natürliche menschliche Tagesablauf
wird schwerwiegend gestört, sie sind nur dazu da, um eine entpersönlichte
Arbeit zu leisten: „Sie bauen morgens, sie bauen mittags, sie bauen abends.“
Dafür werden sie doch wie menschliche Wesen bezahlt, aber nur wenn der
Arbeitgeber will, und das geschieht mit Verspätung. Sie wären sogar imstande, ein bis an den Himmel reichendes Haus zu bauen, der einzige Einwand
wäre, dass niemand das Geld dafür bezahlen könnte.
Der Autor verleiht seiner Erzählung schon von Anfang an christologische
Züge, also über den Titel hinaus, der sonst dank der Doppelbedeutung nur
im Zusammenhang mit dem Ganzen darauf hinweist, dass die Person Gottes
miteinbezogen wird.
Also bauen die drei nur zwei Stock hoch, und der Herr im Himmel bleibt
ruhig, weil die Löhne so niedrig und die Herren auf Erden so geizig sind, daß
keiner mehr Interesse hat, einen Turm bis an den Himmel zu bauen.32
Die Anspielung auf den Babelturm ist unverkennbar, doch wird der Bau eines solchen nicht angestrebt, Menschen zielen viel niedriger ab, sie wollen
diesmal nicht mehr bis zu Gott klettern und sein Reich erobern. Die Unterscheidung zwischen den himmlischen und den irdischen Hierarchien erfolgt
durch den Bezug zu diesem vorgestellten Turm, der in der Tat nicht gebaut
wird. In der gegenwärtigen Welt möchte man die alte Bibelgeschichte nicht
wiederschreiben, weil man nicht aus Überheblichkeit, sondern aus Geldsucht
baut. Somit kann sich der Herr im Himmel freuen, weil seine Allmacht nicht
gefährdet wird.
Das Augenmerk gilt nach der kleinen, mit symbolträchtigen Anspielungen
gewürzten Einleitung, der Darstellung der drei Hauptgestalten. „Stilistisch
ist [alles] genau kalkuliert“, Dinevs Stärke zeigt sich dort, „wo er keine keine
besonderen Mittel benötigt, wo einfach die Geschichte trägt und der Autor
ganz in den Hintergrund tritt.“33 Selbst ihre Zahl weist auf die Heilige Drei31 Dimitré Dinev: Kein Wunder. In: Ein Licht über dem Kopf. Erzählungen. Wien: Deuticke
2005, S. 184- 186.
32 Ebd., S. 184.
33 Balduin Winter: Ein Volk unter den Füßen. Dimitré Dinevs fantastisch-märchenhafte und
sozialkritische Geschichten werfen ein Schlaglicht auf die neuen europäischen Verhältnisse.
In: Der Freitag, 18.03.2005.
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
faltigkeit hin, was in der Verbindung mit dem Babelturm an die Theophanie
der drei Engel an der Mamwri-Eiche denken lässt. Bloß dass die drei Gastarbeiter traurige Schicksalsboten sind, die ein ähnliches Leben für ihre Leidensgenossen verkünden. Ihre Schilderungstechnik überrascht den mit anderen Gastarbeiterfiguren vertrauten Leser nicht mehr, Dinev geht mit seinen kargen Aussagen, knappen Sätzen und äußerst ironischen Steckbriefen
weiter. Er fasst in parataktischen Sätzen Lebensläufe zusammen, scheut sich
nicht, Einzelheiten übersehen zu haben, weil er den Anspruch hat, das Wesentliche erfasst zu haben. Der Duktus ist flott, entschieden, manchmal wird
der Leser selbst wegen gewalttätiger Sprache oder gewaltsamer Bilder verletzt, der Autor scheint es zu ahnen, setzt aber den Erzählfluss wie ein ungnädiger Herr fort, denn er ist sich seiner literarischen Allmacht völlig bewusst. Er hat tatsächlich kein Mitleid mit seinen Gestalten, aber auch keins
mit dem Leser, der umsonst auf eine Atempause wartet. Wenn eine vorkommt, wird sie so geschickt in Ironie und Spott verhüllt, oder sie wird dann
sofort ohne Vorwarnung unterbrochen. „Dinev erzählt in kurzen, trockenen
Sätzen. Nutzt jede Möglichkeit zum Wortspiel, fabuliert und schafft so eine
ganz eigene, poetische Prosa. Absurdes wirkt in seinen bunten Schilderungen vertraut. Das Schreckliche wie ein schlechter Witz Gottes.“34
Bei den drei Männern bringt Dinev diesmal einen wiederholenden Zug in
den Vordergrund, der wie ein epitheton ornans funktioniert, an dem man die
betreffende Figur am leichtesten erkennt. Es sind die Sprachkenntnisse, worauf Bezug genommen wird, um anscheinend eine Wertskala zu entwerfen
oder eine Hierarchie zu schaffen. Karels Porträt scheint dem Leser durch keine Besonderheit aufzufallen, und der Autor bleibt bei dem äußeren Steckbrief, um dann eine feine Bemerkung wie eine nebensächliche Erwähnung
anzuführen: „Sein Name ist Karel Nemetz, sein Gesicht noch jung, seine Augen klein und blau, sein Kopf kahl, seine Gedanken in der Heimat, sein
Deutsch gut.“35 Auch wenn er über gute Sprachkenntnisse verfügt, gelingt
ihm eine richtige Anpassung nicht, er bleibt immer noch ein Heimatloser.
Man geht zur Darstellung seiner Kollegen über: dabei muss man anmerken,
dass der Sprachaneignungsgrad abnimmt, was auch eine immer tiefere Verwurzelung in den Heimatwerten voraussetzt. Deutsch fungiert als „Gastarbeitersprache“ unter den drei, zugleich zeugt es durch die rein „utilitaristische“ Beschränkung von einer sprachlich bestimmten Heimatlosigkeit.
34 Carsten Hueck: Abstrampeln für ein bisschen Glück. Dimitré Dinev: „Ein Licht über dem
Kopf“, Erzählungen. Deutschlandradio, Radiofeuilleton: Kritik, 15.04.2005, www.dradio.de/
dkultur/sendungen/kritik/366762.
35 Dinev, Kein Wunder, Anm.31.
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Der Rumäne Dan kommt mit seinem Deutsch recht gut aus, weiss aber noch
nicht, „was das Wort Wahrheit bedeutet. Er hat es all die Jahre nicht gebraucht. Ein Visum hat er gebraucht, einen Meldezettel, eine Arbeit, aber nie
die Wahrheit.“36 Selbst Karel gibt auf, ihm die Bedeutung zu erklären, da es
nicht so wichtig sei. Die Scheinexistenzen, die sie führen, lassen sie sich keine Gedanken darüber machen, denn was würde passieren, wenn sie entdecken würden, dass sie in einer Lüge leben? So können sie zumindest in einer
wertefreien, amoralischen Welt ihr absurdes Dasein fortsetzen. Mit den
Deutschkenntnissen des Moldawen Juri sinkt die Sprachlinie fast zu Boden,
seine Lebenserfahrung beschränkt sich nur auf zwei Fragen, und mehr
braucht er auch nicht zu sagen. Er möchte wissen, ob der Chef komme, oder
wie lange man noch auf den Lohn warten müsse.
In der Tat hängen die drei nur von einer einzigen Autoritätsinstanz ab, und
ihr haben sie sich auch zu unterwerfen. Nach ihrer Darstellung setzt der Autor einen kurzen Abschnitt ein, der leitmotivisch ihre tägliche Routine und
die Willkür ihres Chefs bei ihrer Entlohnung wiederholen soll. Eine gewisse
Routine hat auch inhaltlich bis zu diesem Zeitpunkt geherrscht, was für Dinevs Erzähltechnik etwas befremdend wirkt. Er hat bis jetzt aber mit der
Aufmerksamkeit des Lesers so geschickt gespielt, hat ihn sich an einen Charaktertypus gewöhnen lassen, hat ihn dann langsam betäubt, um den völlig
unerwarteten Höhepunkt zu entfesseln. Eines Morgens bekommt ausgerechnet Juri, der sonst zu einer sprachlichen Kommunikation unfähig war, Stigmata. Da er sich aber nicht traut, zu einem Arzt zu gehen, „bleibt den Menschen ein Wunder und der Kirche ein Heiliger vorenthalten.“37 In Wirklichkeit sind es keine außergewöhnlichen Erscheinungen, sondern Wunden vom
Schaufeln. „Aber keiner soll etwas davon erfahren. Er verliert sonst seine Arbeit.“38 Dass er sie verbergen soll, verleiht ihnen eine christologische Valenz.
Nicht nur ist er Opfer und Märtyrer eines ungerechten Arbeitgebers, sondern
auch einer geschlossenen Gesellschaft, die blind gegenüber den Leiden des
Individuums bleibt. Juri zeigt seine Wunden nicht weiter, weil er Bescheid
weiss, dass er keine andere Arbeitsstelle finden wird. Also ertragen sie alles
weiter, ohne sich zu beschweren, aus Angst, arbeitslos zu werden.
So erklärt sich die Titelauswahl zweifach. Einerseits weist er auf die religiössakrale Dimension hin, hinterfragt sie aber in der nächster Sekunde und verneint sie, da trotz der Stigmata kein Wunder geschieht. Zugleich entsakrali36 Ebd., S. 185.
37 Ebd., S. 186.
38 Ebd.
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Lazarus darf nicht herauskommen.
Dimitré Dinevs unheile Welt im Erzählungsband „Ein Licht über dem Kopf“
siert der Autor am Ende der Geschichte ein Ereignis, das man als Zeichen eines Märtyrerdaseins hätte ansehen können, das aber in der grausamen
Wirklichkeit als ein bloßer Arbeitsunfall betrachtet wird. Auf der anderen
Seite nehme es nicht wunder, dass eine solche Geschichte so endet, kein
Wunder, dass das heutzutage noch vorkommen kann.
„Ein Licht über dem Kopf kann für die Menschen, von denen Dimitré Dinev
in seinen Geschichten erzählt, vieles bedeuten. In der Praxis des Überlebens
ist es eine Taxilampe am Autodach.“39 Sie würden auch das winzigste schimmernde Licht wahrnehmen, vorausgesetzt dass es ihre Hoffnung nährt. Nur
dass die gesellschaftlichen Verhältnisse allzu oft widrig sind und eine Auferstehung als lächerlichen, erstarrten Mythos und die Mythen selbst als erbarmungslose Götzen erscheinen lassen.
Literatur:
Primärliteratur:
1.
Dimitré Dinev: Lazarus. In: Ein Licht über dem Kopf. Erzählungen. Wien: Deuti-
cke 2005.
Sekundärliteratur:
2.
Sabine Berking: Im Zweifel für die Reisefreiheit. Karneval der Blessuren: Dimitré Dinev
erzählt mit fröhlichem Pathos und tiefschwarzem Humor von heimatlosen Neueuropäern. In: FAZ, 09.07.2005.
3.
Carmen Eller: Sisyphus auf dem Gerüst. Dimitré Dinevs feine Erzählungen sind dicht bevölkert von skurrilen Alltagshelden. In: Frankfurter Rundschau, 01.06.2005
4.
Bernhard Fetz: Rezension zu Dimitré Dinev, „Ein Licht über dem Kopf“. In: Falter,
11/2005, 16.03.2005.
5.
Matthias Gretzschel: Kafkaeske Geschichten mit schwejkschem Humor. In: Hamburger
Abendblatt, 16.07.2005.
6.
Carsten Hueck: Abstrampeln für ein bisschen Glück. Dimitré Dinev: „Ein Licht über dem
Kopf“, Erzählungen. Deutschlandradio, Radiofeuilleton: Kritik, 15.04.2005, www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/366762.
39 Christine Rigler: Rezension zu Dimitré Dinev, „Ein Licht über dem Kopf“. In: Literatur haus.at, 4. Juli 2005, www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/dinev_einlicht/.
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Raluca Rădulescu
7.
Hans-Peter Kunisch: Leder ist Haut. Alles Balkan: Dimitré Dinevs „Ein Licht über dem
Kopf“. In: Süddeutsche Zeitung, 05.11.2005.
8.
Christine Rigler: Rezension zu Dimitré Dinev, „Ein Licht über dem Kopf“. In: Literaturhaus.at, 4. Juli 2005, www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/dinev_einlicht/.
9.
Balduin Winter: Ein Volk unter den Füßen. Dimitré Dinevs fantastisch-märchenhafte
und sozialkritische Geschichten werfen ein Schlaglicht auf die neuen europäischen Verhältnisse. In: der Freitag, 18.03.2005.
***
Lazarus is not allowed to come outside. Dimitré Dinev’s unholy
world in the story volume „Ein Licht über dem Kopf“ („A light
above the head“)
Abstract
„Ein Licht über dem Kopf“ („A light above the head“) is the collection of ten sto-
ries of the Adelbert von Chamisso Prize winner, who grew up in Bulgaria and
now lives in Vienna. The volume offers an introduction to Dinev’s world,
whereby the author succeeds in “bringing reality to light." His characters are
"everyday tragic heroes, clever Sisyphus figures",in the apparent hopelessness they develop subtle unconventional ideas, daring experiments on the
fringe of legality and beyond. The stories are assigned to the exile theme,
they are all about experiences in a foreign country, especially Austria, where
Bulgarians and other Eastern Europeans hope to find better earning opportunities on the western market. Shared experiences in their home countries
give rise to a political-social and mental isotopy, which exposes the former
communist bloc as a topos of material and spiritual decay. At the same time,
the new host country is not spared from a severe questioning, it is the lack of
humanity that exists there, re-victimizing the immigrants.
Schlüsselwörter/Keywords: Exil, Fremdheit, Identität, Migrantenliteratur,
Kommunismus, Südosteuropa/ exile, identity and alterity, literature of the immigrants, communism, south-eastern Europe.
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MEDIENTHEORIEN UND MANIPULATION
Claudia Spiridon
1. Einleitung
Die Medientheorien analysieren die Wirkung der Massen- und Einzelmedien
auf die Gesellschaft, wobei es sich die Arbeitshypothese aufdrängt, dass Wissen durch Institutionen der Macht, wie Fernseher, Radio, Internet oder
Schule vermittelt wird. Inwieweit unser Verstand und Benehmen davon beeinflusst werden, ob wir nur serielle Kopien sind, oder wir noch über einen
eigenen Charakter und eines Denkens verfügen, stellt sich als Frage.
Weiterhin soll auf die Werbung als Instrument der Manipulation eingegangen werden, indem auf zwei konstitutive Richtlinien Bezug genommen wird;
einerseits werden die medialen Strategien der Werbung präsentiert, anschließend erfolgt die Auseinandersetzung mit der Überlappung von Realitätserfahrung und Simulation.
Frederic Beigbeders Roman Neununddreißigneunzig soll das Konzept der
Massenmedien aus einer internen Sicht belegen. Theorie und literarischer
Text liegen jedoch in diesem Falle parallel, da sie Ähnliches auf verschiedene
Weise formulieren. Der Konsument soll durch die angenehme Aufmachung,
beispielsweise einer Werbeanzeige, zum Kauf animiert werden. Doch sind
Menschen wirklich machtlos solchen Manipulationsversuchen ausgesetzt?
2. Mediale Strategien der Werbung
Menschen werden immer nach Schönheit und Perfektion streben, wobei
man heute glaubt, diese Schönheit in der Werbung zu finden. Dieses optische
Medium ist glänzender Vermittler einer Utopie, die, obwohl künstlich geschaffen, so real erscheint, dass jeder danach trachtet, an diesem Idealbild
beteiligt zu sein, ohne in Rechnung zu stellen, dass er nur belogen wird, und
damit andere bereichert.
Adorno und Horkheimer führen den Terminus Kulturindustrie ein, und beziehen sich damit auf die kommerzielle Vermarktung der Kultur. Es gäbe somit einen Industriezweig, der sich gezielt mit der Herstellung der Kultur beschäftige. Die industriell hergestellte Kultur raubt dem Menschen die Fantasie und übernimmt das Nachdenken für ihn. Auf diese Weise wird durch
Massenmedien und Kommunikationsmittel die kapitalistische Schematisie-
Claudia Spiridon
rung herbeigeführt.1
Die Entwicklung der Medien definiert heute unsere Realität, wobei der optische Kanal häufig als Form der Manipulation gebraucht wird. Illusionsmalerei, die Täuschungen auf mathematischen Grundlagen erzeugt, oder optische
Abläufe mit Soundtricks, Montagen und Schnitten, führen unsere Sehnerven
irre.2
Im Folgenden möchte ich ein paar optische Illusionsmittel präsentieren, die
oft verwendet werden, um uns die Realität umzuformen. Der Stroboskopeffekt wäre in diesem Zusammenhang zu erwähnen, da er zu den ältesten Mitteln gehört, die künstliche Bewegung erzeugen. Er bezeichnet den scheinbar
verlangsamten oder umgekehrten Ablauf von periodischen Prozessen. Zerhakkung oder Schnitt im Realen führt zu Verschmelzung oder Fluss im Imaginären.3 Schluchten, Abgründe und Dörfer werden durch die Fatamorganamaschiene zu Extremen umgestaltet; die Wälder werden zu Häusern, die
Dörfer zu Wüsten, und die Abgründe zu reizenden Wiesenflächen. 4 Die Anfertigung von künstlichen Personen, von schemenhaften und seriellen Menschen, die ihr Aussehen verändern können, ist als Doppelgängereffekt bekannt.5
Die oben aufgelisteten Strategien sind aber heutzutage veraltet. Der Trick
mit dem man mitten in Spielfilmsequenzen das Einzelbild einer Coca-Cola
Reklame einklebt, weil die 40 Millisekunden seines Aufblitzens nur die Augen und nicht das Bewusstsein erreichen, und die Zuschauer danach so unbegreiflichen wie unwiderstehlichen Durst entwickeln, 6 ist bereits entlarvt.
Moderne Manipulation bietet ein detailliertes Modell, welches das Publikum
von Grund auf beeinflusst und anschließend zum Konsum anreizt. Kleinen
Kindern wird durch Trickfilme eine bestimmte Richtlinie aufgedrängt: „Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten
1 Vgl. Adorno, Theodor/ Horkheimer, Max (1947): Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. in Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido Verlag N.V. S.144-199.
2 Vgl. Kittler, Friedrich (1986): Film in Grammophon. Film. Typewriter. Berlin: Brinkmann
& Bose. S.177- 270.
3 Vgl. Kittler 1986: S.187.
4 Vgl. Kittler 1986: S. 205.
5 Vgl. Kittler 1986: S. 225.
6 Kittler 1986: S. 180.
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Medientheorien und Manipulation
ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.“7
Ich möchte ein Buch vorstellen, Neununddreißigneunzig von Frédéric Beigbeder, das die Wahrheit der Werbung ans Licht bringt, ein Buch, in dem den
Bekenntnissen eines Insiders Raum geschaffen wird: „Mein Amt ist es, Ihnen
den Mund wässrig zu machen. In meinem Metier will keiner Ihr Glück, denn
glückliche Menschen konsumieren nicht.“8 Frédéric Beigbeder wurde aufgefordert, einen Roman darüber zu schreiben, was hinter den Kulissen der
Werbung vorgeht. Octave Parangos ist der Protagonist, durch dessen Augen
die Geschichte erzählt wird. Ein Kreativer, der sich gegen die Konsumwelt
und den Kapitalismus ausspricht: „Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft. Der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden. Immer
blauer Himmel, nie flaue Frauen, perfektes Glück, Photoshop retuschiert.“ 9
Photoshop schafft Vollkommenheit, und Menschen beginnen allmählich zu
glauben, dass sie durch das Kaufen eines Produktes auch zu dieser Vollkommenheit gelangen. Wenn man das erste Produkt hat und dennoch nicht
glücklich ist, braucht man schon das nächste. Das Leiden erzeugt den Konsum, Bedürfnisse werden durch Neid und Unzufriedenheit ausgelöst. „Glamour ist das Land, in dem man nie landet.“10 – das ist die Regel des Perpetuum Mobile, denn das heutige Ziel ist, wie in der Werbung zu werden. Das
Unbehagen in der Natur treibt uns dazu, Sachen zu ersehnen, die wir eigentlich nicht brauchen. Schließlich gelangt man in eine Art Teufelskreis, denn
„der Begierde, die all die glanzvollen Namen und Bilder reizen, wird zuletzt
die Anpreisung des grauen Alltags serviert, dem es entrinnen wollte.“ 11 Ist
man sich seiner selbst nicht sicher, braucht man einen Vergleich (ich bin
schöner/ reicher/ stärker/ klüger als er). Werbung ist die „Technik der Vergiftung,“12 denn „das Begehren ist nicht mehr Ihres (...) Ihr Begehren ist das
Ergebnis eines Milliarden Euro Investments“13. Es gibt gewisse Leute, die dafür bezahlt werden, mit unserem Unbewussten zu spielen, uns dazu zu bringen, bestimmte Produkte zu kaufen: „Mein Leben besteht darin, sie zu belü7 Adorno/Horkheimer 1947: S. 165.
8 Beigbeder, Frédéric (2001): Neununddreißigneunzig. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt. S. 15.
9 Ebda.
10 Beigbeder 2001: S. 15.
11 Adorno/Horkheimer 1947: S. 166.
12 Beigbeder 2001: S. 28.
13 Beigbeder 2001: S: 18.
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Claudia Spiridon
gen und dafür werde ich fürstlich entlohnt“14.
Aber wie das Wissen verkauft wird, hängt von den Interessen des Verkäufers
ab. Denn, wie es in der Zeit der Postmoderne heißt, ist „das Wissen für seinen Verkauf geschaffen, da die Beziehung der Lieferanten und Benutzer der
Erkenntnis (...) das Verhältnis der Produzenten und Konsumenten von Waren auszeichnet.“15
Neben den optischen Illusionen, die Bewegungen schaffen oder ein Bild verschönern, spielt im Prozess der Manipulation selbstverständlich auch der
Diskurs eine sehr wichtige Rolle. Medien bilden ein Netzwerk, das uns konditioniert. Wir werden dazu gezwungen, in einem auferlegten Paradigma zu
denken, durch das unser Verstand gemäß vorausgesetzter Richtlinien geleitet
wird. Was der Mensch tut, ist ihm vorgegeben. „In der Ordnung des Diskurses (...) gibt es jenseits jeden offenbaren Beginns stets einen geheimen Ursprung“16. Wörter vermitteln nicht, was tatsächlich gesagt wird, sollten also
nicht zu sehr beachtet werden. Wörter sind nur da um die Wahrheit einzukleiden, keinesfalls um sie zu denunzieren. Wie ein schöner Anzug zu wenig
über den Charakter eines Menschen sagt, bekunden anreizende Adjektive
kein perfektes Leben: „Der manifeste Diskurs wäre die repressive Präsenz
dessen, was er nicht sagt (...) das Nichtgesagte wäre eine Höhlung, die von
Innen alles Gesprochene unterminiert.“17 In der Werbung werden Diskurse
gründlich nach Regeln konstruiert, denn ein guter Diskurs heißt Kontrolle,
und Macht ist kein zufälliges Ereignis. Man sollte das stumme Sprechen separat von der Stimme, die man hört, oder dem Text, den man liest, wahrnehmen, um die unsichtbare Ansage dechiffrieren zu können, wobei die Analyse
dessen, was in dem Gesagten wirklich gesagt wurde, erforderlich ist, um
nicht in die Falle der Manipulation hineinzutreten:
Glück ist eine Nestlé geschützte Marke (...) Blau möchte Pepsi kaufen. Pepsi
finanziert CD-ROMs mit Unterrichtsprogrammen, die den Grundschülern
gratis verteilt werden. So lernen die Kinder ihre Lektionen auf Pepsi-Computern und gewöhnen sich daran, das Wort „Durst“ neben der Farbe
14 Beigbeder 2001: S. 16.
15 Lyotard, François (1986): Das postmoderne Wissen. Hrsg. von Peter Engelmann, Wien:
Passagen Verlag. S. 24.
16 Foucault, Michel (1973): Einheiten des Diskurses in Archäologie des Wissens. Frankfurt
am Main: Suhrkamp Verlag. S. 35.
17 Foucault 1973: S. 36.
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Medientheorien und Manipulation
„Pepsi“zu lesen.18
Beigbeder schildert in diesem Punkt, wie durch das Schriftmonopol die Alphabetisierung zustande kommt, wie die Erziehung der Kinder frühzeitig von
verschiedenen Machtsystemen geplant wird. Einen Vergleich zwischen der
heutigen Gesellschaft und der in Orwells 1984 geschilderten Situation, kann
nicht ausgelassen werden, da beide Bezüge von Kontrolle geprägt werden.
Obwohl uns kein Big Brother überwacht, ist heute die Präventionsstrategie
viel profunder. Die staatliche Aufsicht erfolgt zurzeit durch Medien. Man liefert oder man lässt gewisse Informationen aus, um uns irrezuführen. In seinem Werk Grammophon. Film. Typewriter. meint Kittler, dass das Fernsehen von Anfang an seine überragende Macht auch im Kontext der Herrschaft
und der Autorität ausgeübt hat: „Der Krieg hat die überragende Macht des
Bildes als Aufklärungs- und Beeinflussungsmittel gezeigt. (...) Für die ferne
Kriegsdauer wird es seine gewaltige Bedeutung als politisches und militärisches Beeinflussungsmittel nicht verlieren.“19 Er wählt als Beispiel eine Aussage Ludendorrfs, die sich auf den Ersten Weltkrieg bezieht. Auch heute aber
gibt es verschiedene Waffenkonflikte, die durch die Medien unterschiedlich
gelenkt werden. Sichtpunkte können verhehlt werden, um einer Partei, der
Regierung des Staates, oder sich selbst zu nützen:
Effekte und Witze sind kalkuliert wie ihr Gerüst. Sie werden von besonderen
Fachleuten verwaltet, und ihre schmale Mannigfaltigkeit läßt sich grundsätzlich im Büro aufteilen.20
3. Überlappung von Realitätserfahrung und Simulation
Inwiefern Medien unsere Wahrnehmungskraft aufgrund präziser Interessen
bearbeiten, möchte ich im folgenden Abschnitt aufgreifen, wobei ich auf das
Dechiffrieren der Wirklichkeit und des Imaginären eingehen werde: „Kulturindustrie macht sich um so gebieterischer geltend, je mehr die perfektionierte Technik die Spannung zwischen dem Gebilde und dem alltäglichen Dasein
herabsetzt.“21
18 Beigbeder 2001: S. 132.
19 Ludendorff in Kittler 1986: S. 197.
20 Adorno/Horkheimer 1947: S. 151.
21 Adorno/Horkheimer 1947: S. 153.
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Claudia Spiridon
Unser Dasein wird von zwei Konzepten bestimmt: dem Realen und dem
Imaginären. Der Unterschied zwischen dem, was wirklich geschieht und
dem, was wir uns nur einbilden, wird immer schwerer fassbar, in einer Zeit,
in der Medien unsere Fantasie konstruieren: „Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: das Produkt zeichnet jede Reaktion vor.“ 22 Medien
schaffen ein Bild des Menschen, das wir als Maßstab in die reale Welt aufnehmen. Wir begehren das, was uns auf dem Bildschirm gezeigt wird. Das legen wir als Ideal fest und beginnen darauf unser Leben aufzubauen, träumen
davon, diese künstliche Utopie eines Tages auch zu erreichen: „Leicht gelingt
heute die Täuschung, dass die Welt draußen die bruchlose Verlängerung derer sei, die man im Lichtspiel kennenlernt.“ 23 Es ist schon wahr, dass Menschen Ideale oder Träume brauchen, denn ohne einen Sinn würden sie nicht
weiterkommen. Eine vollkommene Welt wäre aber still und stumm. Dennoch muss man sich dessen bewusst sein, dass die Wirklichkeit niemals dem
Traum entsprechen wird. Es ist wichtig, sich den alltäglichen Zustand als solchen anzueignen, um sich darüber freuen zu können. Ein ständiger Vergleich
zwischen dem Imaginären und dem Realen bringt nur Verzweiflung. Der
subversive Zweck der Medien besteht darin, Misere und Elend zu bewirken:
Indem Kulturindustrie immer wieder das Begehrte exponiert, den Busen im
Sweater und den nackten Oberkörper des sportlichen Helden, stachelt sie bloß
die unsublimierte Vorlust auf, die durch die Gewohnheit der Versagung längst
verstümmelt ist.24
Unsere Imagination etabliert das Glück nach einer Märchenschablone; nach
gewaltiger Anstrengung sollte sich der Mensch der Ruhe hingeben und bis zu
seinem Ende sorgenlos leben. Werbung wird stets mit dieser ursprünglichen
Sichtweise assoziiert, da sie die zerstörte Harmonie in hellen Tönen wieder
einrichtet: „Solange nichts anderes da ist, wird die Werbung allen Raum einnehmen. Sie ist zum einzigen Ideal geworden“. 25 Beigbeder meint in seinem
Roman, dass wir alle der Schönheit hinterherlaufen, weil diese Welt zum Erbrechen hässlich ist. Wir streben nach Schönheit, da wir besser sein wollen:
„Die Welt ist irreal, außer wenn sie zum Kotzen ist.“ 26 Dennoch vergisst Beig22 Adorno/Horkheimer 1947: S. 163.
23 Adorno/Horkheimer 1947: S. 151.
24 Adorno/Horkheimer 1947: S. 167.
25 Beigbeder 2001: S. 133.
26 Beigbeder 2001: S. 145.
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Medientheorien und Manipulation
beder hinzuzufügen, dass wir an die Schönheit, die durch Medien vermittelt
wird, anknüpfen, obwohl diese falsch ist. Sie wird uns nur gezeigt, damit wir
uns einem gewissen Paradigma unterordnen. Wenn wir unser Leben ständig
mit dem, das uns durch Medien gezeigt wird, konfrontieren, wird unser Dasein immer abstoßend scheinen. Hiermit wird auch das Ziel der Produzenten
erreicht.
Die Belieferung des Publikums mit einer Hierarchie von Serienqualitäten
dient nur, damit sich jeder seinem durch Indizien bestimmten „level“ gemäß
verhalten soll, und nach der Kategorie des Massenproduktes greift, die für
seinen Typ fabriziert ist.27
Medien führen auf eine demokratische Weise zur Standardisierung und Serienproduktion, während sie die Zuschauer zu Hörern machen, „um sie autoritär den unter sich gleichen Programmen der Stationen auszuliefern“.28
Paradoxerweise ist ein problemloses Dasein langweilig. Man muss immer etwas unternehmen, denn ohne Aufregung kann man das Leben nicht genießen. In diesem Kontext finden die Medien ihr Spannungsfeld und bringen
Individuen dazu, auf ihr eigenes Leben zu verzichten, indem sie ihnen ein
anderes eintröpfeln.
Das Problem der modernen Menschen (...) sie hassen die Langeweile (...) die
Langeweile ist der wahre Hedonismus (...) um ihr zu entgehen, ergreifen sie
mittels Fernsehen, Kino, Internet, Telefon, Videospiele die Flucht (...) Sie sind
nie bei der Sache und leben ein Leben aus zweiter Hand, als wäre es eine
Schande sich damit zu begnügen, hier und jetzt zu atmen. Wer fernsieht oder
vor einer interaktiven Webseite sitzt, wer über Handy telefoniert oder auf seiner Playstation spielt, lebt nicht.29
Als Flucht vor sich selbst, vor seinem Unbewussten, muss man ständig beschäftigt sein. Desto mehr man alleine mit sich selbst Zeit verbringt, desto
mehr kommt das Dunkle zum Vorschein und flößt Angst ein. Was unbekannt
ist, kann nicht kontrolliert werden und eine Gegenwirkung ist in diesem
Falle unmittelbar drohend. Medien machen gedankenlos, darin liegt effektiv
ihr Erfolg. Denn sie sind ein Schutzwehr, hinter den man sich, wenn Beden27 Adorno/Horkheimer 1947: S. 147.
28 Adorno/Horkheimer 1947: S. 145.
29 Beigbeder 2001: S. 137.
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Claudia Spiridon
ken und Sorgen allgemeiner Art anfallen, zurückziehen kann. Alles muss unablässig laufen, in Bewegung sein, doch das Problem besteht darin, dass „alles, was sich einprägt, die automatisierte Abfolge genormter Verrichtungen
ist.“30
Weiterhin formt Beigbeder Descartes Devise: „Ich denke, also bin ich“ um, in
„Ich gebe Geld aus, also bin ich“. Die Tatsache, dass sich die Modernität
durch diesen Satz aufzeichnen lässt, ist kein Grund zur Freude. Lyotard führt
in seinen Bericht zur Postmoderne den Begriff „ Merkantilisierung des Wissens“31 ein. Wissen sei vielleicht „der wichtigste Einsatz im weltweiten Konkurrenzkampf um die Macht“32 und ist mit den „Ideen des inneren Gelichgewichts und der Selbstbegrenzung verbunden.“33
An der Spitze steht eine einzige, einheitliche Wahrheit, die alle anderen unterdrückt, und nach deren Richtlinien wir uns alle bewegen. Wie auch Freud
in seinem Essay Das Unbehagen in der Kultur andeutet, kann die Maximierung unserer Leistungen nur durch die Subminierung unserer Triebe zustande kommen:
Die Kulturindustrie hat den Menschen als Gattungswesen hämisch verwirklicht. Jeder ist nur noch, wodurch er jeden anderen ersetzen kann: fungibel,
ein Exemplar. (...) Er selbst als Individuum ist das absolut Ersetzbare, das reine Nichts.34
Demzufolge beziehen sich die Begriffe Entwicklung und Evolution nicht auf
das Individuum, sondern auf das Prinzip der Funktionalität der Gesellschaft:
In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis,
in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt. Verschwiegen wird dabei, dass der Boden auf dem die Technik Macht über die Gesell schaft gewinnt, die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft
ist.35
30 Adorno/Horkheimer 1947: S. 163.
31 Lyotard 1986: S. 26.
32 Lyotard 1986: S. 26.
33 Lyotard 1986: S. 32.
34 Adorno/Horkheimer 1947: S: 173.
35 Adorno/Horkheimer 1947: S: 146.
240
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Medientheorien und Manipulation
Sollte der Kunde einen blauen Himmel bestellt haben, so Beigbeder, bekommt er es, auch wenn es draußen regnet. Alles funktioniert wie geplant,
wenn man für das Image Geld bezahlt. Die Ausbeutung der Hoffnungen und
der geheimen Wünsche macht Menschen zu Opfer des Systems:
Lichtspiele und Rundfunk brauchen sich nicht mehr als Kunst auszugeben.
Die Wahrheit, dass sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie,
die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen.36
Täuschungen werden ganz subtil eingesetzt, sodass die fixierte, durch bestimmte Formen der Medienverarbeitung erworbene Realitätsstruktur nicht
entlarvt wird. Dementsprechend erblickt der Verbraucher nicht, dass seine
Entscheidungsfreiheit beschränkt wird, und unterstützt soeben die Entwicklung des Konsumverlaufs.
4. Schlussfolgerungen
Wenn die Medien die Wirklichkeit vermitteln, wo bleibt dann unsere eigene
Identität? Die heutige Gesellschaft wird durch Konsum gekennzeichnet und
agiert aufgrund zweier Prinzipien: Macht und Geld. Grundsätzlich stimmen
die beiden überein und können nicht separiert werden; denn Macht heißt oft
Geld und umgekehrt. Angebot und Nachfrage im volkswirtschaftlichen
Kreislauf ziehen uns allmählich hinein, ohne dass wir erkennen, inwieweit
wir darin verwickelt sind. Was wir verbrauchen, wird uns mit der präzisen
Angabe eines Grunds verkauft. Wir nehmen, was uns gegeben wird und nicht
was uns gefällt. Wir führen kein Leben, das von unserer Auswahl bestimmt
wird. Alltägliche Probleme beschäftigen uns zu sehr und halten uns zu fest
an dieses System gebunden, sodass wir nicht bemerken, wie falsch und betrügerisch die Umwelt ist, in der wir nur als mechanische, gedankenlose Lebewesen existieren.
Literatur:
Primärliteratur:
1.
BEIGBEDER, Frédéric (2001): Neununddreißigneunzig. Reinbeck bei Hamburg:
36 Adorno/Horkheimer 1947: S: 145.
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241
Claudia Spiridon
Rowohlt Verlag.
Sekundärliteratur:
2.
ADORNO, Theodor/ Horkheimer, Max (1947): Kulturindustrie. Aufklärung als
Massenbetrug. In: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido Verlag N. V,
S.144-199.
3.
FOUCAULT, Michel (1973): Einheiten des Diskurses in Archäologie des Wissens.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
4.
KITTLER, Friedrich (1986): Film in Grammophon. Film. Typewriter. Berlin:
Brinkmann & Bose, S.177- 270.
5.
LYOTARD, François (1986): Das postmoderne Wissen. Hrsg. von Peter Engelmann,
Wien: Passagen Verlag.
***
Media and manipulation theories
Abstract
This paper analyzes the way in which the media leads democratically towards standardization and mass production. In order to achieve this, I have contrasted the confessions of an advertising business insider, Fredéric Beigbeder, with a number of
philosophical considerations. To this extent, Adorno and Horkheimer emphasize the
existence of a cultural industry that deals with the commercialization of culture. This
industrially produced culture deprives people of their imagination, taking over their
own ideas, and leading to a capitalist schematization. Consequently, literacy is affected through a monopoly on symbols and words, and also various powersystems
involved in the education of children at an early stage.
Keywords: kapitalistische Schematisierung, Kulturindustrie, Massenproduktion,
Realitätserfahrung und Simulation
242
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ZUM WORTBILDUNGSPARADIGMA
„WORTBILDUNGSNEST“
im Siebenbürgisch-Sächsischen, das aufgrund
rumänischer Lehnlexikate entsteht (mit Fallbeispielen)
Sigrid Haldenwang
1. Vorbemerkungen
Der siebenbürgisch-sächsische Dialekt, der in Form von Ortsmundarten in
rund 240 Ortschaften, hauptsächlich in Dörfern gesprochen wurde, gehört zu
den fränkischen Mundarten des Mittelrheins. Die meisten Gemeinsamkeiten
lassen sich in den Mundarten, die zwischen Köln und Trier gesprochen werden sowie in dem Luxemburgischen feststellen. Zu der fränkischen Grundlage kamen im Laufe der Ansiedlung in Siebenbürgen ostmitteldeutsche und
oberdeutsche Elemente hinzu sowie Wortgut (Entlehnungen) aus den Nachbarsprachen, dem Rumänischen und dem Ungarischen.
Das jahrhundertelange gemeinsame Miteinander der Siebenbürger Sachsen mit
Rumänen und Ungaren hat markante Spuren im Wortschatz des Siebenbürgisch-Sächsischen hinterlassen. Besonders rumänische Lehnlexikate wie Substantive, Adjektive, Verben sind den morphologischen Regeln der siebenbürgisch-sächsischen Mundarten entsprechend in diese eingebürgert worden und
bilden einen Teilbereich des bunten siebenbürgisch-sächsichen Wortschatzes.
2. Begriffsbestimmung
Mein Beitrag bezieht sich im Rahmen der Wortbildung auf Muster bezüglich
der Bildung von „Wortbildungsnestern“ im Siebenbürgisch-Sächsischen aufgrund rumänischer Lehnlexikate, die mir als Lexikografin bei meiner langjährigen Bearbeitung des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs (SSWB) 1
begegnet sind.
1 Das Wörterbuch belegt den Allgemeinwortschatz der siebenbürgisch-säschsischen Mundarten in al len bäuerlichen Lebensbereichen, im Alltag und bei festlichen Gelegenheiten (z.B. Brauchtumsbeschreibungen oder Ansprachen bei Taufe, Hochzeit, Beerdigung, Zusammenkünfte der Nachbarschaften), es berücksichtigt die mundartliche Volks- und Kunstdichtung, erfasst Redensarten, Sprichwörter,
Vergleiche, Zaubersprüche, Heilsegen, Rätsel und Kinderspiele, sowie aus dem Rumänischen, Ungarischen und anderen Sprachen übernommene Entlehnungen. Hinzu kommen Pflanzennamen, oft mit viel
Volksmedizin und Aberglauben verbunden. Von den Eigennamen werden alle toponomastischen Bezeichnungen im weitesten Sinne gebracht, doch keine Personennamen, außer solchen Vornamen, die
zahlreiche Lautvarianten aufweisen oder auch im Sinne von Gattungsnamen auftreten. Dieser Wortschatz wird in seiner lautlichen, grammatikalischen und bedeutungsmäßigen Eigenart möglichst weitgehend erfasst und nach wissenschaftlichen Grundsätzen wiedergegeben.
Sigrid Haldenwang
Um den Begriff „Wortbildungsnest“ zu erläutern, gehe ich davon aus, dass
sich Wortbilgungsprodukte aufgrund ihrer lexikalischen Bedeutung regulär in
die paradigmatischen lexikalisch-semantischen Relationen einordnen. Sie stehen aufgrund der morphemischen Komplexität und der Motiviertheit in spezifischen systemhaften Beziehungen zu einander (vgl. Fleischer/Barz 1992,
68f.). Sie bilden verschiedene Wortbildungsparadigmen2 aus. Der Prägung
des Wortbildungsparadigmas „Wortbildungsnest“ liegt das Bestreben zugrunde, einen Unterschied zu machen zwischen der etymolgischen Verwandtschaft von Wortbildungsprodukten, die mit dem Begriff der Wortfamlien erfasst wird, und der morphemischen Motiviertheit der Wortbildungsprodukte
auf gegenwartssprachlicher Ebene zu fixieren. Mit Fleischer/Barz (1992, 71)
werden als Glieder eines „Wortbildungsnestes“ Wortbildungsprodukte bezeichnet, die in ihrer Struktur über ein formal und semantisch identisches Basismorphem (Grundmorphem) verfügen, das das Kernwort des Nestes darstellt.3
Da im Rahmen der ausgewählten Wortbildungsnester Wortbildungskonstruktionen belegt sind, die durch Derivation4, wie „explizite Suffigierung“ oder
„explizite Präfigierung“, von gemeinsamer Derivationsbasis (Basismorphem)
ausgehend, gebildet werden, oder auch Kontamination vorliegt, wollen wir
auch diese Wortbildungsarten erläutern.
Mit Fleischer (1974, 63) ist die explizite Suffigierung „eine Morphemkonstruktion, von deren unmittelbaren Konstituenten nur die erste frei im Satz
vorkommen kann, die zweite unmittelbare Konstituente, das Suffix begegnet
nur gebunden, an die erste unmittelbare Konstituente; „die Suffixe legen die
Wortart des abgeleiteten Wortes fest“ (Drosdowski 1995, 423).
Mit Fleischer (1974, 76) ist die „explizite Präfigierung“ die Wortbildungsart,
bei der „eine freie homonyme Partikel vor eine nicht freie Morphemkontruk2 Unter einem Paradigma ist eine „Menge von unterschiedlichen Einheiten [...], die aufgrund eines invarianten Merkmals zusammengefasst werden", zu verstehen (Probleme der semantischen Analyse
1977, 322).
3 Vgl. z.B. das Adjektiv „klug“ als Kernwort in dem Wortbildungsnest: klug, Klugheit, klugerweise,
klugreden, Klugreder, Klugscheißer, neunmalklug, unklug u.s.w.
4 Der Terminus „Ableitung“ wird für den Vorgang „Derivation“ gebraucht, das Ergebnis ist das „Derivat“ (vgl. Fleischer / Barz 1992, 46; Lühr 1968, 165).
244
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
tion tritt, ohne dass sich die Wortbildungsart der Ausgangswortart verändert.
Die „Kontamination“ (Wortkreuzung) ist eine von der Komposition abweichende Verschränkung von meist zwei lexikalischen Einheiten. Unter Kontamination versteht man die Verschmelzung von zwei Wörtern, die gleichzeitig
in der Vorstellung des Sprechenden auftauchen, zu einem neuen Lexem. Sie
erfolgt gewöhnlich in der Weise, dass von jedem der Ausgangswörter ein
Teil ausfällt, gelegentlich aber auch so, dass eines der Ausgangswörter mit
dem andern verschmolzen wird5 (vgl. Schmidt, W. 1972, 130; Paul 9 1975,
160; Erben 1983; 51; Fleischer / Barz 1992, 47; Barz 2006, 677; siehe auch:
LŒzŒrescu 2008, 134–140).
3. Praktische Ausführung
Dazu haben wir folgende Fälle mit Beispielen ausgewählt:
3.1 Von einem rumänischen Wortbildungsnest ausgehend, Bildung eines
siebenbürgisch-sächsischen Wortbildungsnestes mit gemeinsamem
Kernwort
(prŒpŒd> pr#p#d)
p r Πp Πd i t > Pr#p#dit(#)
p r Πp Πd > Pr#p#deal#
p r Πp Πd i t > pr#p#diti|
a ( s e ) p r Πp Πd i > pr#p#din
p r Œ p Œ d i t rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘armer Schlucker, ‘Unglücksmensch’; ‘Lump, Schurke, Taugenichts’ > (wird zu) siebenbürgischsächsisch Pr#p#dit Substantiv (maskulin) (Tre), auch Pr#p#dit# (maskulin)
(Pesch).
5 Vgl. z.B.: überwiegend + vorherrschend > vorwiegend; verbessern + schlimm > verschlimmbessern;
Kur + Urlaub > Kurlaub ‘mit einer Kur verbundener Urlaubsaufenthalt’.
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
245
Sigrid Haldenwang
Eine Wortform wird ohne Lautveränderung in die Mundart übernommen (Œ =
#), die andere mit Hinzufügung des Suffixes - #.
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘Lump, Taugenichts’, z.B.:
„d# bäszt a pr#p#dit, dear# f#rprÆszt, dear# šwƳ asz, nÇ j§d#r oart nÇ /in/
sain#m b#ni“ ‘du bist ein Taugenichts, der alles verprasst, der schwach ist, in
jeder Hinsicht, seinem Benehmen nach’ (Tre); im Vergleich „# heoxt wa #n
pr#p#dit#“ ‘er sitzt zusammengekauert, wie einer der zu nichts taugt’ (Pesch).
p r Œ p Œ d i t rumänisches Adjektiv, im Sinne von ‘vernichtet, ruiniert’; ‘zerrüttert, schwach, schwächlich’; ‘dürftig, elend, arm’; ‘nichtsnutzig, nichtswürdig’ > siebenbürgisch-sächsisch pr#p#diti| (--™--) Adjektiv, durch explizite Suffigierung gebildet (pr#p#dit Derivationsbasis + -i| [-ig] adjektivbildendes mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ’elend, arm, untauglich’, z.B.:
„disz pr#p#diti| ts#gun#n“ ‘diese armen Zigeuner’ (Gr-Prdf); in der Wendung: „s# sen pr#p#diti|, dÆd #d #n woi doit“ ‘sie sind elend, arm, dass es einem weh tut’ (Dur).
p r Œ p Œ d rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘Untergang’, ‘Vernichtung’, ‘Verderben’ > siebenbürgisch-sächsisch Pr#p#deal# (--™-) Substantiv
(maskulin), auch mit Vokalveränderung Prop#deal#; durch explizite Suffigierung gebildet (pr#p#d Derivationsbasis + -eal# aus dem Rumänischen entlehntes, in die Mundart eingelautetes Suffix).
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘magerer, schwacher, elender Mensch’, z.B.: „t# bäszt näszt ämšteund#n, ä
/du/ pr#p#deal#“ ‘du bist nichts im Stande, du Tölpel’ (Dur).
– ‘elend, Verderbnis’, z.B.: in der Wendung: „gǵ än d# prop#deal#“ ‘geh
ins Elend!’ (Bon).
246
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
a (se) p r Œ p Œ d i rumänisches Verb, im Infinitiv, im Sinne von ‘zugrunde
richten’, verderben, ruinieren, vernichten’; ‘verschwenden, vergeuden’; ‘zugrunde gehen, umkommen’ > siebenbürgisch-sächsisch pr#p#din (--™) Verb,
durch explizite Suffigierung entstanden (p#r#p#di eingelauteter rumänischer
Infinitiv + -n verbbildendes mundartliches Suffix); im Partizip Präteritum
auch Präfigierung mit Präfix -g#: g#pr#p#dit, auch g#prop#dit (mit Vokalwandel).
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘zugrunde richten, verderben’, z.B.:
„m#r hun @s ault däšdä|#r g#pr#p#dit“ ‘wir haben unsere alten Tischtücher
zugrunde gerichtet’ (Mort); reflexiv gebraucht: „#t pr#p#dit si| n%x“ ‘es
verdirbt noch’ (Holz), auch „# h#ut si| pr#p#dit“ ‘er hat sich zugrunde gerichtet’ (Alz).
– ‘verlieren, vergeuden’, z.B.:
„# hu#t nea ux d#t li#tst prop#dit“ ‘das letzte Vermögen verloren, vergeudet’
(Med); „s# hun Æl#nt g#prop#dit“ ‘gleichbedeutend’ (südsiebenbürgisch).
3.2 Von rumänischen Lexemen mit Kernwort m u t und einer Kontamination ausgehend, Bildung eines siebenbürgisch-sächsischen Wortbildungsnestes mit Kernwort mut
m u t > muti|
m u t , m u t Œ > Mut#g#t, Mutl#µk
m u t Πl Πu > Mutal%
m u t + m a t a h a l Π(Kontamination) > Mutah@l#
m u t rumänisches Adjektiv, im Sinne von ‘stumm’; ‘stumm, wortlos’;
‘stummm, sprachlos’; schweigsam, wortkarg’ > siebenbürgisch-sächsisch
muti| (™-) Adjektiv, durch explizite Derivation gebildet (mut Derivationsbasis + -i| [-ig] adjektivbildendes mundartliches Suffix); belegt in: Dun, KlZGR 1-2 (39-40) / 2011
247
Sigrid Haldenwang
Scheu, Med, Na, Nd-Ei, Schbg, Pien, Tm, Tö, Tra, Zu.
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘einfältig, dumm’, im eigentlichen Sinn, z.B.:
„d$ äsz muti| g#b&r#n unt hot näszt d#rtsea g#l$rt“ ‘er ist einfältig geboren
und hat nichts dazu gelernt’ (Schbg); „a h%d # muti| h$ft“ ‘er hat einen dummen Kopf’ (Na); auch im Vergleich und Redensart: „muti| wai d# noi|t“
‘dumm wie die Nacht’ (Tra); „muti| w@# # šiuf, w@# # $#s#l“ ‘dumm wie ein
Schaf, wie ein Esel (Dun); „i| bän ned #si muti| wä ta auszsetst ‘ich bin
nicht so dumm, wie du aussiehst’ (Schbg);
– ‘sich ungeschickt stellen’, z.B.:
„t# št@lts dij as& muti|“ ‘du stellst dich so ungeschickt’ (Zu, auch Med);
im übertragenen Sinn in einem Reihmuster belegt 6: „d# mutij Än“ ‘die dumme Anna’, ein stark verschnörkeltes Muster (Tm);
– ‘stumm’, z.B.: „#d äsz muti|“ ‘sie ist stumm’ (Kl-Scheu und Nd-Ei);
„ri#d, sonszt diµkt #m, t# w§ršt muti|“ ‘rede, sonst denkt man, du wärst
stumm’ (Tö);
‘wortkarg’, z.B.: „net sÆ #si muti|“ ‘ nicht sei so wortkarg’ (südsiebenbürgisch);
– als nähere Bestimmung in einem Pflanzennamen, z.B.: „muti| bränesz#ln“
eine Taubnesselart (Pien).
m u t Œ l Œ u rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘Dummkopf‘, ‘Murrkopf’,
‘Griesgram’, ‘Junggeselle’ > siebenbürgisch-sächsisch Mutal% (--™) Substantiv (maskulin) (H, B), auch mutaläo (Tre), mutal#u (Alz), mutaloi (Ur), bei
der Entlehnung findet statt: Lautersatz von rumänischem Vokal Œ durch
mundartlich a; Abfall von rumänischem Suffix -Œ u + mundartliche Suffixe
-o, -äo, -#u,--oi, entsprechend der jeweiligen Dorfmundart.
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
6 Eine Faltenstickerei am Trachtenhemd der Frauen.
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Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
– ‘Dummkopf’, ‘Wortkarger, z.B.:
„mutaläo, a tum mäntš“ ‘ein einfältiger Mensch’ (Tre); „ i| ben #si #
mutal#u, i| orb#d#n any ts# fil“ ‘ich bin so ein Dummkopf, ich arbeite immer
zu viel’ (Alz); auch als Schelte: „tea f#rfla|t#r mutaloi“ ‘du verfluchter
Dummkopf’ (Ur); „wat bäszt# #si # mutal%“ ‘weshalb bist du so ein Wortkarger?’ (H).
Kontamination von m a t a h a l Œ rumänisches Substantiv, im Sinne von
‘Koloss’, ‘Riese’, ‘Ungetüm’ + m u t rumänisches Substantiv, im Sinne von
‘Dummkopf’, ‘unbeholfener Mensch’ > siebenbürgisch-sächsisch Mutah@l#
(--™-) Substantiv (maskulin) (wobei Wortteil m a t ausfällt und durch mut ersetzt wird); nur südsiebenbürgisch belegt.
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘einfältiger Mensch’ (Med); auch ‘übermütiges Kind’ (Lesch).
m u t rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘Stummer’, ‘Dummkopf’ > siebenbürgisch-sächsisch Mutl#µk Substantiv (maskulin) gebildet durch explizite Suffigierung (mut Derivationsbasis + -l#µk [entspricht hochdeutschem
Suffix -ling] substantivbildendes mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘Dummkopf’ (Brenndörfer 36).
m u t Œ rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘Stumme’, ‘Dummkopf’ > siebenbürgisch-sächsisch Mut#g#t Substantiv (feminin) (Bhm) (mut# ([Œ = #]
Derivationsbasis + -g#t substantivbildendes mundartliches Suffix [dem entspricht das hochdeutsche Suffix‘-keit’]); nur südsiebenbürgisch belegt.
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘Dummheit, Albernheit’, z.B.: „äsz dÇt niet # mut#g#t , wun # gaµ sij #n
h%ultsk@tnt|# keift!“ ‘ist das nicht eine Dummheit, wenn ein Junge sich ein
Halskettchen kauft!’ (Joh);
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
249
Sigrid Haldenwang
– ‘Dummheiten, böse Streiche’(im Plural), z.B.: „d@ gaµ# wäszn näszt Ælts
mut#g#t#n ts# mÐx#n“ ‘die Jungen wissen nichts anders als böse Streiche zu
machen’ (Ir).
3.3 Ausgangswort rumänisches Substantiv, mittels Vokalveränderung
Bildung eines siebenbürgisch-sächsischen Substantivs, von dem ausgehend ein Wortbildungsnest mit gemeinsamen Kernwort ( pak@l) entsteht
p Œ c a l Œ > Pak@l# > Pak@l#rÇi
Pak@l#> pak@lin
Pak@l# > pak@li|
P Œ c a l Œ rumänischer Personenname ‘Art bäuerlicher Schalksnarr, von dem,
wie vom Till Eulenspiegel, allerlei lose Streiche erzählt werden’ (Tiktin 2 3,
1103), dann auch p Œ c a l Œ , im Sinne von ‘Schelm’, ‘Possenreißer’, ‘Spaßvogel’ > siebenbürgisch-sächsisch Pak@l# (-™-) Substantiv (maskulin, auch
feminin) (Mttdf, Reen, Wbch), mit Vokalwandel: rumänisch Œ > mundartlich
a; auch in verschiedenen Wortformen: pokal# (Gr-Schenk, Kl-Schenk), pok@l# (Frau, Rs), pokÇl# (Alz), pak@la (Tre), pÆkala (Kl-B).
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘einfältiger, unbeholfener, träger Mensch’, z.B.:
“o teau pok@l#!” (Rs, auch Frau, Gr-Schenk); „pÆkala“ ‘einfältige Frau’ (KlB); im Vergleich: „däu bäszt wæ än pak@la“ ‘ein unzuverlässiger Geselle’
(Tre).
– ‘Possenreißer, Hanswurst’, z.B.:
„pokal#“ (Brenndörfer 40); „d#r Giets esz gu#r # pokÇl#“ ‘der Georg ist gar
ein Possenreißer’ (Alz).
‘Pechvogel’: „ta pok@l#“ (Brenndörfer 40).
Mundartlich Pak@l# Substantiv (maskulin), im Sinne von ‘Possenreißer’ +
250
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
mundartliches Suffix -rÇi (entsprich dem hochdeutschen Suffix -rei) > mundartlich Pak@l#rÇi (---™) Substantiv (feminin) (Wl).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘Possen, Albernheit’, z.B.:
ai| g§ mi| näszn mäd #sut|#r pak@l#rÇi ua ‘ ich gebe mich mit solchen Dingen nicht ab’; gemeint sind Zauberformeln, Krankheitssegen (Win).
Mundartlich Pak@l# Substantiv (maskulin), im Sinne von ‘Possenreißer’ >
mundartlich pak@lin (--™) desubstantivisches Verb (B, auch Krew, O-Neudf),
es findet statt: Abfall des mundartlichen Suffixes -# (pak@l Derivationsbasis
+ -in verbbildendes mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘täuschen, übervorteilen’, z.B.:
„d@i wiarn ai| pak@lin“ ‘die werden euch übervorteilen’ (Krew); auch reflexiv „ai| hu mi| pak@lit“ ‘ ich habe mich getäuscht’ (B).
Mundartlich Pak@l# Substantiv (maskulin) im Sinne von ‘Possenreißer’; auch
‘einfältiger Mensch’ > mundartlich pak@li| (-™-) Adjektiv, durch explizite
Suffigierung entstanden (Win, Wl), es findet statt: Abfall des mundartlichen
Suffixes -# (pak@l Derivationsbasis + -i| [-ig] adjektivbildendes mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘närrisch, tölpelhaft, ungeschickt’, z.B.:
„# red #su pak@li|“ ‘spricht dummes Zeug‘ (Wl); „# asz pak@li|“ ‘er stellt
sich ungeschickt an’ (Wl).
3.4 Bildungsvorgang des siebenbürgisch-sächsischen Mundartwortes,
das zum Kernwort eines Wortbildungsnestes wird, kann nicht mit Bestimmtheit nachvollzogen werden:
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
251
Sigrid Haldenwang
vielleicht Kontamination von c r a c Œ + c r Œ c o s > Kr@koš
Kr@koš > kr@koši|
Kr@koš > kr@košin
c r a c Œ rumänisches Substantiv, im Sinne von ‘Ast’+ c r Œ c o s rumänisches
Adjektiv, im Sinne von ‘(viel)ästig, verästelt’ (Tiktin1 439). Verschmelzung
des Wortteils c r a c mit Wortteil o s > mundartlich Kr@koš (™-) Substantiv
(maskulin) (B, Kl-B, Mttdf); für Wortform und Betonung ist auch das ungarische Verb k r á k o g n i in Betracht zu ziehen, doch dieses ist im Sinne von
‘krähen’ belegt. In diesem Fall könnte man von einem „Bedeutungs- und
Wortformengemisch“ sprechen.
Bedeutungen im Siebenbürgisch-Sächsischen:
–‘dreibeiniger Untersatz der Garnwinde’ (S-Gg).
– ‘Krummbeiniger, auch nicht gerade gewachsener Mensch: „d%#t äsz #su #
kr@koš“ ‘das ist so ein Krummbeiniger’ (Mttdf).
Mundartlich Kr@koš Substantiv (maskulin) im Sinne von ‘Krummbeiniger’ >
mundartlich kr@koši| (B und sonst nordsiebenbürgisch verbreitet), durch explizite Suffigierung gebildet (kr@koš Derivationsbasis + -i| [-ig] adjektivbildendes mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
– ‘krumm, gespreizt, im Besondern von Beinen’, z.B.:
„# huat kr@koši| f@isz“ ‘er ist o-Beinig’ (Tschi); auch „# g§t kr@koši|“ ‘er
hat einen unschönen, gespreizten Gang’ (Mttdf).
Mundartlich Kr@koš Substantiv (maskulin) im Sinne von ‘Krummbeiniger’ >
mundartlich kr@košin Adjektiv (--™) desubstantivisches Verb, reflexiv (S-Gg
und sonst nordsiebenbürgisch) (kr@koš Derivationsbasis + -in verbbildendes
mundartliches Suffix).
Bedeutung im Siebenbürgisch-Sächsischen:
252
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
– ‘einen weiten Schritt tun wollen’:
„nami kr@koši dij ib#r dn gruam, d# wiszt d#r dn f@sz f#rriµkµ“ ‘nicht mehr
tue einen weiten Schritt über den Graben, du wirst dir den Fuß verrenken’ (SGg).
4. Abschließende Bemerkungen:
Das Ziel meiner Ausführungen war es nicht, die ganze Problematik des Wortbildungsparadigmas „Wortbildungsnest“, das im Siebenbürgisch-Sächsischen
aufgrund rumänischer Lehnlexikate entsteht, zu erfassen. Zur Veranschaulichung habe ich nur einige Wortbildungsmuster ausgewählt. Unterzieht man
den Bedeutungsinhalt der Wortbildungskonstrukionen der jeweiligen Wortbildungsnester einer Musterung, ergibt sich ein „buntes Bild“.
Im Rahmen des Wortbildungsnestes 3.1 ist im Bezug auf die rumänischen
Ausgangswörter p r Œ p Œ d i t (Substantiv u. Adjektiv), die eine Bedeutungsvielfalt aufweisen, bei den siebenbürgisch-sächsischen Wortbildungskonstruktionen Pr#p#dit(#) (Substantiv) und pr#p#diti| (Adjektiv) eine Bedeutungsverengung zu beobachten. Die vom rumänischen Substantiv p r Œ p Œ d
gebildete Wortbildungskonstruktion Pr#p#deal# bringt eine Bedeutungserweiterung, während das von dem rumänschen Verb a ( s e ) p r Œ p Œ d i gebildete mundartliche Verb pr#p#din eine Bedeutungsverengung aufweist.
Betrachtet man das Wortbildungsnest 3.2 zeigt das siebenbürgisch-sächsische
Adjektiv muti| im Vergleich zu dem rumänischen Adjektiv m u t , eine Bedeutungserweiterung. Das Mundartlexem Mutl#µk behält die Bedeutung des
rumänischen Substantivs m u t bei, die siebenbürgisch-sächsische Wortbildungskonstruktion Mut#g#t bringt die Eigenschaft des rumänischen Lexems
m u t Œ zum Ausdruck, während das Mundartwort Mutal% mit seinen verschiedenen Wortformen im Vergleich zum rumänischen Ausgangswort
m u t Œ l Œ u , eine Bedeutungsverengung aufweist. Mutah@l# behält die Bedeutung des rumänischen Substantivs mut bei und bringt eine Eigenbedeutung hinzu. Im Rahmen des Wortbildungsnestes 3.3 beinhaltet das Mundartwort Pak@l# mit seinen verschiedenen Wortformen im Vergleich zum rumänischen Ausgangswort p Œ c a l Œ eine Bedeutungserweiterung, Das mundartliche Adjektiv pak@li| veranschaulicht die Eigenschaft seines mundartlichen
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
253
Sigrid Haldenwang
Ausgangswortes Pak@l#. Der Bedeutungsinhalt des mundartlichen Verbs
pak@lin sowie der Wortbildung Pak@l#rÆi entspricht der Bedeutung des
mundartlichen Substantivs Pak@l#. Betrachtet man das Wortbildungsnest 3.4,
kann die Bildung des mundartlichen Lexems Kr@koš nicht mit Bestimmtheit
nachvollzogen werden. Die durch die angenommene Kontamination der beiden rumänischen Wörter c r a c Œ + c r Œ c o s entstandene mundartliche
Wortbildung gibt bedeutungsmäßig, bildlich betrachtet, den Sinn der beiden
Ausgangswörter wieder. Da auch bezüglich Wortform und Betonung des
Mundartwortes Kr@kos das ungarische Verb k r á k o g n i herangezogen werden kann, liegt ein „Bedeutungs-und Wortformengemisch“ vor.
Die meisten dieser Wortbildungskonstruktionen sind nicht Neubildungen. Sie
gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, auch wenn sie um 1960 und um 1980
noch belegt sind. Das ist darauf zurückzuführen, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Sammler von siebenbürgisch-sächsischem Wortgut es zum ersten Mal unternahmen, systematisch Sammlungen von siebenbürgisch-sächsischem Wortgut anzulegen, die auch rumänische und ungarische Wörter
enthalten.
Die aufgrund von fremdem Sprachgut entstandenen Wortbildungskonstruktionen, die sich in Wortbildungsnester eingliedern lassen, sind in den siebenbürgisch-sächsischen Mundarten nicht allgemein verbreitet. Zunächst sind es
situationsgebundene, durch den Kontakt mit der fremden Bevölkerung zu
Stande gekommene Wortbildungen, die der Mundartsprecher aus Ehrfurcht
vor seiner Muttersprache für die Bezeichnung von meist Abwertendem prägt,
andererseits könnte ihm das fremde Synonym viel aussagekräftiger erscheinen und zieht es wegen seiner besonderen Stilfärbung dem morphologisch
komplizierten und auch sonst weniger geläufigen muttersprachlichen Synonym im gegebenen Moment vor. Die häufige Verwendung der jeweiligen
Wortbildung führt schließlich zu deren allmählichen Einbürgerung in den
Wortschatz des Mundartsprechers. Darauf deuten vielleicht auch die mundartlichen Wortbildungskonstruktionen, die aufgrund einer anderen mundartlichen Bildung entstanden sind (siehe dazu: Pak@l#rÆi, pak@lin, pak@li|).
Auch fällt auf, dass die Wortbildungen nicht gleichmäßig in der Mundartlandschaft verteilt sind. So sind z.B. Mutah@l#, Mutl#µk, Mut#g#t nur südsiebenbürgisch und nur vereinzelt belegt, andere Wortbildungen, wie z.B.
254
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
Kr@koš, kr@koši|, kr@košin nur nordsiebenbürgisch und nur vereinzelt belegt. Es könnten situationsgebundene Momentbildungen (Okkasionalismen)
sein, die nicht weiter Verbreitung gefunden haben. Die Wortbildungen solcher „Wortbildungsnester“ verleihen der mundartlichen Redeweise eine individuelle, originelle Note, ohne das westfränkische Gepräge der siebenbürgisch-sächsischen Mundarten zu schmälern.
5. Schreibkonventionen
5. 1 Die Lautschrift
5.1.1 Die Vokale
Die Lautung der Vokale entspricht im Allgemeinen der hochsprachlichen,
kleine Unterschiede werden in der Schreibung nicht berücksichtigt.
Abweichend von der Schriftsprache sind zu lesen:
ei = e - i
ie = i - e
oe = o - e
ue = u - e
Kürze wird nicht bezeichnet; Länge durch darübergesetzten geraden Strich
(@).
Besondere Lautzeichen:
Æ dumpfes a
e offenes e
î geschlossener Mittelgaumenlaut ohne Lippenrundung
Ñ offenes o
× offenes ö
# Murmel-e (auch in betonten Silben)
5.1.2 Die Konsonanten
p, t, k meist nicht behauchte Fortes
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
255
Sigrid Haldenwang
b, d, g stimmhafte Lenes
| stimmloser Ich-Laut
j stimmhafter Ich-Laut
y stimmhafter Ach-Laut
x stimmloser Ach-Laut
s stimmhafter S-Laut
sz stimmloser S-Laut
² stimmhafter Sch-Laut
š stimmloser Sch-Laut
y vor oder nach den Konsonanten d, t, l, n zeigt Moullierung an.
Auslautendes Endungs-n fällt im Südsiebenbürgischen vor nachfolgendem Konsonanten, außer vor d, t, z, n und h, meist aus (Eifler Regel).
Es werden fogende Zeichen verwendet:
-™- für die Betonung, die nur bei Abweichungen von der
Schriftsprache angegegeben wird
> = wird zu
< = geworden aus
5.2 Ortssigel
Abkürzung
deutsch / rumänisch
Kreis / jude¡: deutsch /rumänisch
Alz
B
NŒsŒud
Bgbg
Bon
Dü
NŒsŒud
Dun
Dur
Frau
= Alzen / Al¡ina
= Bisritz / Bistri¡a
= Hermannstadt / Sibiu
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a
= Burgberg / VurpŒr
= Bonnesdorf / Boian
= Dürrbach / Dip¼a
= Hermannstadt / Sibiu
= Hermannstadt / Sibiu
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
256
= Dunnesdorf / Dane¼
= Mure¼
= Durles / Dârlos
= Hermannstadt / Sibiu
= Frauendorf / Axente Sever = Hermannstadt / Sibiu
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
Gr-Prdf
Gr-Schenk
H
Hoh
Holz
Ir
Joh
Katz
Kl-B
NŒsŒud
Kl-Schenk
Kl-Scheu
Krew
NŒsŒud
Lesch
Lu
Med
Mttdf
NŒsŒud
Na
Nd-Ei
O-Neudf
NŒsŒud
Pdf/Mb
Pdf/Meschl
Pesch
Pien
Rs
Schbg
Sel
S-Gg
NŒsŒud
Tkdf
NŒsŒud
Tm
Tö
= Großprobsdorf / Târnave
= Großschenk / Cincu
= Hermannstadt / Sibiu
= Hohndorf / Vii¼oara
= Holzmengen / Hosman
= Irmesch / Ormeni¼
= Johannisdorf / Sântioana
= Katzendorf / Ca¡a
= Kleinbistritz / Dorolea
= Hermannstadt / Sibiu
= Kronstadt / Bra¼ov
= Hermannstadt / Sibiu
= Mure¼
= Hermannstadt / Sibiu
= Mure¼
= Mure¼
= Kronstadt / Bra¼ov
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
= Kleinschenk / Cinc¼or
= Kronstadt / Bra¼ov
= Kleinscheuern / ½ura MicŒ = Hermannstadt / Sibiu
= Kreweld / Vorstadt v. Bistritz = Bistritz / Nassod /Bistri¡a /
= Leschkirch / Nocrich
= Ludwigsdorf / Logig
= Mediasch / Media¼
= Mettersdorf / Dumitra
= Hermannstadt / Sibiu
= Mure¼
= Hermannstadt Sibiu
= Bistritz / Nassod /Bistri¡a /
= Nadesch / Nade¼
= Mure¼
= Niedereidisch / Ideciu de Jos = Mure¼
= Oberneudorf / Satu Nou = Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
= Petersdorf / Mühlbach
= Alba
= Petersdorf / Marktschelken = Peti¼
= Peschendorf / StejŒnerii = Mure¼
= Pien / Pianu de Jos
= Alba
= Reußen / Ru¼i
= Sibiu / Hermannstadt
= Schäßburg / Sighi¼oara
= Mure¼
= Seligstadt / Seli¼tat
= Kronstadt / Bra¼ov
= Sankt Georgen
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
= Tekendorf / Teaca
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
= Talmesch / TŒlmaciu
= Törnen / PŒuca
= Hermannstadt / Sibiu
= Hermannstadt / Sibiu
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
257
Sigrid Haldenwang
Tra
Tre
NŒsŒud
Tschi
NŒsŒud
Ur
Wall
NŒsŒud
Win
NŒsŒud
Wl
Zei
Zu
= Trapold / Apold
= Treppen / TŒrpiu
= Mure¼
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a /
= Tschippendorf / Cepari
= Bistritz / Nassod / Bistri¡a
= Urwegen / Gârbova
= Wallendorf / Unirea
= Alba
= Bistritz / Nassod /Bistri¡a /
= Windau / Ghinda
= Bistritz /Nassod / Bistri¡a /
= Weilau / Uila
= Mure¼
= Zeiden / Codlea
= Kronstadt / Bra¼ov
= Zuckmantel / ¢igmandru = Mure¼
Literatur:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
258
Barz, Irmhild (2006): Die Wortbildung. In: Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich
für richtiges Deutsch, hrsg. v. der Dudenredaktion [überarb. Neudruck der 7., völlig
neu erarb. u. erw. Aufl.] Dudenverlag Mannheim u.a. S. 641–772 (= Duden, Bd. 4).
Brenndörfer, János (1902): Román (olá) elemek az erdélyi szász nyelvben (Rumänische Elemente im Siebenbürgisch-Sächsischen). Budapest: a szerzƒ tulajdona.
Drosdowski, Günther (1995): Die Wortbildung. In: Duden. Grammatik der deutschen Sprache. [5. , völlig neu bearb. u. erw. Aufl.] Dudenverlag Mannheim u.a. S.
399–536 (= Duden, Bd. 4).
Erben, Johannes (21983): Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin:
Walter de Gruyter.
Fleischer, Wolfgang (1974): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. [3.
neubearb. Aufl.] Leipzig: VEB Bibliographisches Institut.
Fleischer, Wolfgang / Barz, Irmhild (Hrsg. 1992): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. [unter Mitarb. V. Schröder, Marianne]. Tübingen: Max Niemeyer
Lăzărescu, Ioan (2008): Etablierte Okkasionalismen in der Werbesprache. Ein
deutsch-rumänischer Vergleich. In: Rumänisch-deutsche Kulturbegegnungen. Miclea Rodica, Galter, Sunnhild, Sava Doris (Hrsg.). S. 134-151. Sibiu/Hermannstadt:
Verlag der Lucian-Blaga-Universität.
Lühr, Rosemarie (1986): Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissen-
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zum Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ im Siebenbürgisch-Sächsischen...
schaft. München: Bertelsmann. Lexikon Verlag.
Paul, Hermann (91975): Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen: Max Niemeyer.
10. Probleme der semantischen Analyse (1977). Von einem Autorenkollektiv unter der
Leitung von Viehweger(= studia grammatica XV). Berlin: Akademie Verlag.
11. Schmidt, Wilhelm (1972): Deutsche Sprachkunde. Berlin: Volk und Wissen.
12. SSWB = Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Die bisher erschienenen Bände
verlistet:
9.
• Bd. 1 (A-C) bearb. von Schullerus, Adolf. Ausschuss des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde (Hrsg.). 1924 Hermannstadt. Walter de Gruyter-Verlag:
Berlin und Leipzig.
• Bd. 2 (D-F) bearb. von Schullerus, A., Hofstädter, Friedrich und Keintzel, Georg. Ausschuss des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde (Hrsg.). 1926
Hermannstadt. Walter de Gruyter-Verlag: Berlin und Leipzig.
• Bd. 5 (alte Zählung) (R-Salarist) bearb. von Roth, Johann, Göckler, Gustav,
Krauss, Friedrich. Ausschuss des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde
(Hrsg.). 1929–1931 Hermannstadt. Walter de Gruyter-Verlag: Berlin, Leipzig.
• Bd. 3 (G) bearb. von Biesselt-Müller, Annemarie, Capesius, Bernhard, Pancratz, Arnold, Richter, Gisela, Thudt, Anneliese. Akademie der Sozialistischen
Republik Rumänien in Verbindung mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.). 1971 Bukarest. Rumänischer Akademie-Verlag und
Walter de Gruyter-Verlag Berlin.
• Bd. 4 (H-J) bearb. von Capesius, B., Braun-Sánta, Roswitha, Pancratz, A.,
Richter, G., Thudt, A. Akademie der Sozialistischen Republik Rumänien in Verbindung mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg).
1972 Bukarest. Rumänischer Akademie-Verlag und Walter de Gruyter-Verlag
Berlin.
• Bd. 5 (K) bearb. von Braun-Sánta, R., Haldenwang, Sigrid, Richter, G., Thudt,
A. Akademie der Sozialistischen Republik Rumänien in Verbindung mit der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg). 1975 Bukarest. Rumänischer Akademie-Verlag und Walter de Gruyter-Verlag Berlin.
• Bd. 6 (L) bearb. von Haldenwang, S., Richter, G., Thudt, A. Rumänische Akademie in Verbindung mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu
Leipzig (Hrsg.). 1993 Bukarest. Rumänischer Akademie-Verlag und BöhlauVerlag: Köln, Weimar, Wien.
• Bd. 7 (M) bearb. von Haldenwang, S., Maurer, Ute, Thudt, A. [unter Mitarbeit
von Malwine Dengel und Huber, Isolde]. Rumänische Akademie in Verbindung
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
259
Sigrid Haldenwang
mit der Sächsischen Akademie zu Leipzig (Hrsg.). 1988 Bukarest. Rumänischer
Akademie-Verlag und Böhlau-Verlag: Köln, Weimar, Wien.
• Bd. 8 (N-P) bearb. von Haldenwang, S., Maurer, U., Sienerth, Stefan, Thudt, A.
[unter Mitarbeit von Dengel, M.] Rumänische Akademie in Verbindung mit der
Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Hrsg.). 2002 Bukarest.
Rumänischer Akademie-Verlag und Böhlau-Verlag: Köln, Weimar, Wien.
• Bd. 9 (Q-R) bearb. von Dengel, M., Haldenwang, S., Huber, I., Maurer, U., Sienerth, St. Rumänische Akademie (Hrsg.). 2006 Bukarest. Rumänischer Akademie-Verlag und Böhlau-Verlag: Köln, Weimar, Wien. (Wird fortgesetzt).
13. Tiktin1 = Tiktin, H(ariton): Rumänisch-Deutsches Wörterbuch. 3 Bde. Hier Bd. 1.
1903–1925 Bukarest. Staatsdruckerei.
14. Tiktin2 = Tiktin, (H)ariton: Rumänisch-Deutsches Wörterbuch. 3. Bde. Hier Bd. 3.
[2. überarbeitete u. ergänzte Aufl.] v. Paul Miron. 1986-1989. Wiesbaden: Otto Harrossowitz.
***
About Word Formation Paradigm “Wortbildungsnest” (word formations
with the same nucleus word which linguistically speaking constitute a nest)
which occur in the Transylvanian-Saxon dialect based on loan words from
Romanian (case studies are included)
Abstract
My article relating to word formation deals with examples of “Wortbildungsnestern” in the Transylvanian-Saxon dialect based on borrowings from Romanian words, which I encountered as lexicographer during my longstanding
years of work on a Transylvanian-Saxon dictionary. All dialect case studies
are shown and explained in their context.
Schlüsselwörter/Keywords: Lehnwort, siebenbürgisch-sächsischer Dia-
lekt, Morphem, Wortbildungskonstruktion, Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“.
260
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
DIE ZGR STELLT VOR
VASILE V. POENARU
Zuckerstück und Peitsche
Eine Geld-Komödie
PERSONEN
OLD STONEHAND regierungsbeauftragter Goldsucher aus deutschen Landen
SCHWITZENDE HAUT Indianerhäuptling am Vierwaldstättersee, führt einen Friedenspfeifen-,Taschenmesser- und Tomahawk-Laden
ALI BEN URI Steueroasen-Manager und Kamelhändler, Leiter der Stiftung „Pro
Uri“
FRAU BEN URI dessen Gemahlin, u.a. als Teilzeitjournalistin tätig
CAPTAIN BLUNTFORCE Botschafter der Republic of California in Uri
FRÄULEIN KÄSLI Geschäftsführerin der Firma „KÄSLI & KÄSLI“, bewahrt in ihrem
großen Safe u.a. Wertpapiere und Käse auf
VON GROSCHENEHRE österreichischer Bankier, zum Käsekauf angereist
ZUSAMMENFASSUNG
Die Handlung spielt in einem modern eingerichteten Wigwam, den die Firma „Käsli
& Käsli“ und die Stiftung „Pro Uri“ auf den zeitweiligen Jagdgründen des Kantons
Uri betreuen. Old Stonehand, ein regierungsbeauftragter Goldsucher aus deutschen
Landen, der schon seit geraumer Zeit den geheimen Schatz des Indianerhäuptlings
Schwitzende Haut aus dem Vierwaldstättersee bergen will, hat den SteueroasenManager und Kamelhändler Ali ben Uri in Verdacht, gemeinsam mit Frau ben Uri
gegen das Gesetz zur Aufhebung der Anonymität von Sparbüchern zu verstoßen und
im Rahmen einer als Familiengeschäft aufgebauten multinationalen Hypothekenbank den deutschen Fiskus hinters Licht zu führen. Captain Bluntforce, ein renommierter Filmemacher „out west“ und zugleich ständiger Honorarkonsul der Republic
of California in Uri, hat schon jahrelang vergeblich nach der sogenannten „Swiss
Bonanza“ gesucht und muss sich bis zuletzt doch noch lediglich mit einer „Swiss
Army Watch“ begnügen, die er von Schwitzende Haut für ein Heidengeld ersteht.
Old Stonehand aber, der sich im Auftrag der deutschen Bundeskanzlerin während
seines Besuchs im Land der Tunnel als ausgesprochener „Hardliner“ gebärdet, hat
Zuckerstück und Peitsche mitgebracht, um in echter „Good Cop/Bad Cop“-Tradition
Vasile V. Poenaru
von Schwitzende Haut trotz dessen offensichtlicher prinzipieller Hartnäckigkeit „die
Wahrheit in all ihren Facetten“ herauszutreiben. Als ehemaliger Kavallerist hat Old
Stonehand sogar seinen vollständigen Aufputz im Kofferraum, um den Indianern
südlich des Vierwaldstättersees bei Bedarf einen tüchtigen Schrecken einzujagen
und sie durch überlegene Psychologie und raffinierteste Verhörstechniken „Made in
Germany“ vor allem in finanzieller Hinsicht möglichst gefügig zu machen. Von Groschenehre, ein zum Käsekauf angereister österreichischer Bankier, gibt Frau ben
Uri, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich als Herausgeberin der Monatszeitung „Uri
heute“ tätig ist, ein Interview zum Thema „Weltkrise und Privatkundeng’schäft“. Old
Stonehand erklärt sich dadurch beleidigt, dass von Groschenehre die deutschen Finanzexperten im Interview pauschal als „deppert“ bezeichnet und will in logischer
Konsequenz die Streitaxt des Stammes der Deutschen ausgraben. Nur weiß er eben
leider nicht, wo sie in Anschluss an den letzten Friendenspfeifenkongress begraben
wurde, und muss sich deswegen von Schwitzende Haut einen modernen, multifunktionalen schweizerischen Tomahawk mit zehnjähiger Garantie kaufen, über den er
am Anfang überheblich gelacht hatte. Fast wird er darauf aus lauter Patriotismus in
Fräulein Käsli’s Wigwam handgreiflich. Im Namen aller deutschen Bankiere glaube
er sich nämlich „einen derartigen Wortschatz“ verbitten zu müssen. Doch von Groschenehre, der unter anderem als Präsident des Vereins „Osteuropa-Aufbau“ gute
Beziehungen zu den „Rändern“ pflegt, wo er sich auch immer gerne als Wohltäter
feiern lässt, hilft Old Stonehand freundlicherweise, ein Bündel faule Papiere in Vallachei City abzustoßen, und dann ist alles wieder gut - vor allem auch weil Schwitzende Haut dabei schließlich doch noch aus seiner geheimen Bonanza ein kleines
Stimulus Package für Old Stonehands Privatbörse als endgültige Beschwichtigung
mit herausspringen lässt. Zuletzt findet sich auch eine politische Lösung der Krise,
indem die alte Macht der Habsburger in Form eines korporatistischen Dreikanzlerbundes unter „dem Hut“ des Kaisers und Kanzlers in Wien restauriert wird.
ERSTE SZENE
OLD STONEHAND (Sucht mit Lupe und Taschenlampe unter dem Teppich und
hinter der Kautsch. Lüftet darauf eine verstaubte Decke, die am Ende der Kautsch
gelegen hatte) So!...Jetzt wollen wir aber mal gleich alle Geheimnisse lüften, die
noch in diesem gottverlassenen Kanton stecken.
ALI BEN URI Selber gottverlassenen.
OLD STONEHAND Das muss ich mir verbitten! Ich spreche jeden Tag zu meinem
Hergott. Bin ja kein Wilder!
SCHWITZENDE HAUT Du schlecht machen Manitu? Ich legen ein viel große
Beschwerde bei EU-Medizinmann. Respektieren andere Kulturen wichtig. Du nicht
gelernt bei Multikuli-Fortbildungskurse für hohe Tier die vertreten Regierung?
ALI BEN URI Was weiß denn der von Respekt! Solche Schergen haben wir schon vor
264
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
sechzig Jahren gesehen.
FRAU BEN URI Ali! Sei nett zu Herrn Steinhand.
ALI BEN URI Er selber ist ja gar nicht nett.
FRAU BEN URI Aber wir sind’s.
ALI BEN URI Nun gut. Wie dem auch sei. Bei uns gibt’s keine Geheimnisse.
OLD STONEHAND Aha! (Bückt sich.) Da! Unterm Tisch!
FRAU BEN URI Gar nichts.
OLD STONEHAND Doch! Ein Dossier! Da! (Hebt eine Mappe auf, aus der ein Dossier empor ragt. Liest.) Aha! Aha! Aha Aha! Geld. Geld. Geld. Investitionen. Resort
bei Andermatt...Golfkäse mit achtzehn Löchern...
ALI BEN URI (Reißt ihm die Mappe aus der Hand.) Meine Mappe geb ich nicht her!
OLD STONEHAND Keine Ausflüchte! Unsere U-Boote liegen im Vierwaldstättersee
auf der Lauer. Wenn ich das Zeichen gebe...
SCHWITZENDE HAUT Krieger von Uri gesehen große Flossen auf See. Haifisch
böse kommen von andere Seite?
OLD STONEHAND Ja, böse. Nimmt euch in acht!
SCHWITZENDE HAUT Haifisch Zähne haben. Im Gesicht tragen.
OLD STONEHAND Und erst gar die Kavallerie! Also lass dir eins sagen, Rothaut.
Wer geständig ist, darf wieder nach Hause. Wer nicht, muss die Konsequenzen ziehen.
SCHWITZENDE HAUT Du Gesicht bemalen mit Farbe Krieg?
ALI BEN URI Geständig? Konsequenzen? Wie sich der gebärdet!..Wollen wetten,
dass der deutsche Botschafter dafür bald wieder Rechenschaft geben muss? Bei uns
wird niemand Geheimnisse finden. Keine Geheimnisse, kein Herumschnüffeln.
FRAU BEN URI Bereits alles bestens gelüftet.
SCHWITZENDE HAUT Deutscher Bruder. Du dich setzen an Tisch? Du zu dir nehmen Nahrung gut? Rauchen Tabak? Hier! Du nehmen!
OLD STONEHAND Ist das eine Friedenspfeife?
SCHWITZENDE HAUT Rauchen Tabak? How. Klar. Jawohl. Ich habe gesprochen.
FRÄULEIN KÄSLI Bitte! Eine kleine Stärkung! Das Begrüßungscocktail. Mit Quellwasser. Für starke Männer.
OLD STONEHAND Danke. Ehrlich gesagt: Ich brauch einen.
SCHWITZENDE HAUT Feuerwasser gut. Du wieder gebracht Vertrag? Unterschreiben Vertrag sehr gerne wenn Feuerwasser gut.
OLD STONEHAND Lass sein. Jetzt wird sowas nicht mehr gemacht. Wär’ ja auch
nicht anständig. Wir halten uns nun immer an die Richtlinien der...an die Richtlinien...
ZGR 1-2 (39-40) / 2011
265
Vasile V. Poenaru
FRÄULEIN KÄSLI Brav so. Es ist immer gut, wenn sich mal sogar Regierungsbeauftragte benehmen.
OLD STONEHAND Aber natürlich! Wir wollen den Rothäuten doch nicht die Haut
abziehen. Schließlich sind wir ja eine zivilisierte Leitkultur.
ALI BEN URI Wie rührend.
OLD STONEHAND Dafür will ich freilich sofort alle Unterlagen sehen.
ALI BEN URI Finger weg!
OLD STONEHAND Dazu alle Pässe und eure Zensuren aus der Schulzeit. Den Kontostand von Fräulein Käsli, den Kontostand von Schwitzende Haut, die Einlagen internationaler Devisenhändler. Alles, alles, alles!
ALI BEN URI Geht nicht. Da können die U-Boote auf der Lauer liegen, solange sie
wollen. Der Safe bleibt geschlossen.
FRÄULEIN KÄSLI Den Schlüssel kann ich übrigens im Moment sowieso nicht finden.
SCHWITZENDE HAUT Keine Möglichkeit zu sehen was sein in Safe.
OLD STONEHAND Ich will aber!
SCHWITZENDE HAUT Fragen Medizinmann.
FRÄULEIN KÄSLI Was soll da schon drin sein?
ALI BEN URI Nix.
FRAU BEN URI Gar nix.
OLD STONEHAND Na wenn ihr mir so kommt, ihr steuerwidrige Spezimene der
Felswände, ihr käsefressende Wucherer, ihr schwitzende Schwyzer, dann wenden
wir das Blatt. (Brüstet sich)…Achtung Achtung! Audit! Platz da! Im Namen der Bundeskanzlerin!
FRÄULEIN KÄSLI Braucht jemand ein Taxi?
OLD STONEHAND Nein! Kein Taxi. Halt! Achtung! hab ich gesagt. Kontrolle! Financial Audit! Platz da! Im Namen der Bundeskanzlerin!
FRÄULEIN KÄSLI Bitte erst Mantel ablegen. Und hier ein anständiges Stück
Schweizer Käse.
FRAU BEN URI Mit Löchern.
SCHWITZENDE HAUT Alpenmilch von Ziege. Fleißig Ziege essen ganze Tag frisch
Kräuter. Alle Gipfel ruh, alle Wipfel du spüren kaum Hauch, in paar Minuten du ruhen auch.
FRÄULEIN KÄSLI Immer nur zugreifen.
OLD STONEHAND Danke. Mmmm.... Die Mitte schmeckt fantastisch! Den Rand
mag ich aber nicht.
SCHWITZENDE HAUT Rand wichtig. Du nicht mögen Rand, du nicht genießen Mitte. Löcher in Mitte wie Tunnel in Berg. Feuerross fahren durch Tunnel schnell!
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
ALI BEN URI Lecker!
FRÄULEIN KÄSLI Und die Milch kommt aus den Bergen.
ALI BEN URI Die ist gut.
FRAU BEN URI Von ganz oben. Gibt’s im Plattland nicht.
OLD STONEHAND Löcher wie Tunnel, was? Plattland, was?
SCHWITZENDE HAUT Schmecken gut. Du essen!
OLD STONEHAND Aber erst müsst ihr mal richtig auspacken. Wo steckt das Geld?
Wo liegt die Bonanza? Wer hat die anonymen Sparbücher ausgestellt? Warum und
wann? An wen?
ALI BEN URI Auspacken? Das haben wir längst getan. Schon voriges Jahr, als die
spezielle Kommission von der Eidgenossenschaft da war.
FRAU BEN URI Jawohl! Alles sauber ausgepackt.
ALI BEN URI Transparent und durchsichtig.
SCHWITZENDE HAUT Haben gemacht Glasnost. Kontrolle intern. See through.
ALI BEN URI Ja...Transparenz, sag ich immer.
SCHWITZENDE HAUT Du sehen durch. Du sehen?
OLD STONEHAND (isst ein Stück Käse. Nimmt ein anderes. Schaut durch ein Loch)
Durch? Na ja..Mensch! Das sind aber große Löcher! Wieviel kostet denn so’n Loch?
SCHWITZENDE HAUT Wo groß Loch, groß Käse um groß Loch.
ALI BEN URI Transparenz. Alles offen auf dem Tisch.
FRAU BEN URI Bankgeheimnis und so: abgeschafft.
SCHWITZENDE HAUT Geheimnis mein, Geheimnis kein. Du nehmen weg Geheimnis, Schwitzende Haut sparen nie mehr, nie mehr wieder. Verschwenderisch werden,
wie Amerikaner, die Motor Weltwirtschaft, weil immer alles ausgeben, was nicht haben.
OLD STONEHAND Von wegen keine Geheimnisse! Die jüngsten Einlagen der
Dings...wollte sagen das Gutgaben von...
ALI BEN URI Steht alles in den Büchern. Die eidgenössischen Inspektoren haben
jede Seite dreimal stempeln lassen.
VON GROSCHENEHRE (macht eine Pause beim Käseessen) Ein Wort! Wenn’s erlaubt ist.
OLD STONEHAND Ja bitte?
FRÄULEIN KÄSLI Herr von Groschenehre! Mehr vom geräucherten?
VON GROSCHENEHRE Wenn Sie so lieb sind. Also wie die gestempelt haben! Ganz
in alter Tradition.
ALI BEN URI Jawohl.
VON GROSCHENEHRE Ich kann mich noch gut daran erinnern. War gerade wieder
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mal zum Käsekauf da.
OLD STONEHAND Aha.
VON GROSCHENEHRE Faustdicke Stempel wurden eingesetzt. Evrika! Doppelt
hält besser! hat damals ein vereidigter Stempelexperte ausgerufen.
FRÄULEIN KÄSLI Denn er hatte was gefunden.
VON GROSCHENEHRE Besser g’sagt, herausgefunden,
ALI BEN URI Und dreimal hält am allerbesten, wusste der Vorstand der Kommission es auf den Punkt zu bringen.
SCHWITZENDE HAUT Gefunden nix keine Schlamassel. Gesagt gut Kanton, Rechnung stimmen, weil Rechung gemacht mit Wirt, nicht ohne Wirt. Ja ja Stempel.
OLD STONEHAND Ach was! So ein Quatsch! Die haben wohl einfach nicht gut genug kontrolliert. Ich aber werde die Delinquenten allesamt ausräuchern, ob nun
Schweizer, Österreicher, Liechtensteiner oder Luxemburger. (Spricht ins Handy)
Kaufen!
SCHWITZENDE HAUT Du mögen Rauch? Ich dir machen Rauchzeichen schöne. Du
antworten mit Decke, die du lüften über Feuer.
OLD STONEHAND (Spricht ins Handy) Verkaufen? Hmm...Drei Regimente? Nein,
am besten vier! Den DAX müssen wir um jeden Pries halten! Wie? Bereits eingebrochen?
VON GROSCHENEHRE In den Bergen ist der Geldmarkt erstaunlich stabil, muss
ich schon sagen.
OLD STONEHAND (Ins Handy) Ja! Ja! Ja! Verkaufen!
FRÄULEIN KÄSLI Weil unsere Realwirtschaft so realistisch ist.
OLD STONEHAND (Ins Handy) Nein! Mit den Eingeborenen südlich des Vierwaldstättersees war das ja immer so ’ne Sache. Bitte? Ja, hab ich. Nee. Wo ein großes
Loch ist, sei viel Käse rund ums Loch, hat er gesagt. Nein, von Aktien und Fonds war
nicht die Rede. Ein Käsevolk! Natürlich ist das alles Kauderwelsch! Wer kann schon
dieses verflixte Schwyzertütsch verstehen?
SCHWITZENDE HAUT Du nicht gut linguistische Kompetenz? Du Sprachschwierigkeiten haben du machen Zeichen mit Hand. Du machen Rauchzeichen mit Decke.
Du Körpersprache. Tanzen schöne Tanz!
OLD STONEHAND (Spricht ins Handy) Stimmt. Lumpenpack. Und einfältig wie der
Simplicissimus. Alles klar! Wird erledigt. Ross und Reiter nennen! Jawohl! Kein Pardon! Over and out. (Schaltet das Handy aus). Also jetzt mal aufgepasst! Die Bundeskanzlerin stärkt mir den Rücken. Ich werde Ross und Reiter nennen! Ich werde alles
beschlagnahmen, was mir in den Weg kommt!
SCHWITZENDE HAUT Bleichgesicht alles wegnehmen?
OLD STONEHAND Besonders Gold. Verstanden?
SCHWITZENDE HAUT Du reiten Ross? Bundeskanzler dein früher reiten Trabi. Du
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
früher reiten Trabi? Viele Ossi reiten Trabi. Stamm der Uri Freund mit Stamm der
Ossi. Kaufen müssen schnell Ross für reiten schnell. Ali dir helfen große. Billig Ross
aus Vallachei City importieren Tage wenige.
ALI BEN URI Ja doch! Es würde mich sehr freuen, mit Ihnen ins Geschäft zu kommen. Immer nur losschießen! Jederzeit zur Verfügung.
OLD STONEHAND Was?
ALI BEN URI Hab alles auf Vorrat! Was immer der Kunde will! Ein Fahrrad. Ein
Auto. Ein Pferd. Ein Kamel. Einen Stier.
OLD STONEHAND Einen Stier?
ALI BEN URI Ja. Tradition.
SCHWITZENDE HAUT Kanton Uri Name kommen von keltisch ure. Stier bedeuten.
OLD STONEHAND Aha! Stier...Hab ich gar nicht gewusst.
ALI BEN URI Uri ist einer der drei Urkantone. Wer nicht weiß, dass ure die keltische
Bezeichnung für Stier war, kann nicht gescheit sein.
OLD STONEHAND Aha.
CAPTAIN BLUNTFORCE (tritt ein) Grüß Gott! Wollte sagen: Grüezi! Hi, folks!
OLD STONEHAND Urkanton hin und her: Ich werde das Geheimnis der schmutzigen Gelder lüften.
SCHWITZENDE HAUT Auch lüften Geheimnis der schmutzigen Wälder? Deutsch
Auto schmutzig machen Wald. Vögel traurig. Schwitzende Haut rufen an Medizinmann. Medizinmann kommen in deutsch Auto. Deutsch Auto schmutzig machen
Wald.
VON GROSCHENEHRE (immer noch kauend) Auspuffgase kann ich ehrlich gesagt
auch nicht leiden.
ALI BEN URI In unserer Oase verkehren nur Kamele. Jedes Kamel produziert natürliche Düngemittel.
OLD STONEHAND Stinkt das denn nicht?
ALI BEN URI Kommt darauf an, wie man stinken definiert. Keine Chemikalien.
Alles umweltfreundlich.
SCHWITZENDE HAUT Du geben Kamelprämie, Leute machen kaputt Auto reiten
schön umweltfreundlich Kamel. Ali geben Rabatt.
CAPTAIN BLUNTFORCE Im Winter aber können Kamele auf dem Glatteis ausrutschen.
VON GROSCHENEHRE Ein offenes Wort, wenn’s erlaubt ist.
OLD STONEHAND Bitte.
VON GROSCHENEHRE Ach wenn die g’schätzten Kollegen in Deutschland doch
ein gutes Vorbild setzen würden und sozusagen...ja wie die g’schätzte Rothaut es so
schön zum Ausdruck brachte...tja über allen Gipfeln...in allen Wipfeln...und sei es
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nun das Matterhorn oder eben ganz einfach die Göscheneralp oder der
Seelisberg...also wenn alles rundumadum so’n bisserl zirkulär wär’...
OLD STONEHAND Mein Gott! Österreicher sprechen viel.
ALI BEN URI Meist in Reimen.
SCHWITZENDE HAUT Wenn Reime, weise Krieger. Wie Dichter.
OLD STONEHAND Es stimmt doch, was in den Reiseführern steht. Ess- und
Quatschkultur.
ALI BEN URI Nein, am Geheimnis der schmutzigen Wälder kehrt sich der überhaupt nicht.
OLD STONEHAND Wie gesagt: Ich werde das Geheimnis...
SCHWITZENDE HAUT Du nicht Eintracht mit Natur.
CAPTAIN BLUNTFORCE Das Geheimnis wurde bereits gelüftet. Wirklich. Ehrenwort. On my word of honor. Ich wollte mir nämlich selber gerne ein Säckchen Nuggets holen, aber...
SCHWITZENDE HAUT Du dich einschleichen in Nuggets Management Corporation?
CAPTAIN BLUNTFORCE Ein ganz kleines wollte ich. Tschuldigung. War aber keins
mehr da.
OLD STONEHAND Verdammt!...
SCHWITZENDE HAUT Du nicht Eintracht mit Natur. Du bedürftig Schwitzlodge
sein.
OLD STONEHAND Schwitzlodge?
SCHWITZENDE HAUT Schwitzlodge du treten ein und große schwitzen. Dann du
fallen Andacht und du bessere Mensch Eintracht mit Natur.
OLD STONEHAND Der spinnt wohl, was?
ALI BEN URI Keineswegs. Eine gute Schwitzlodge fördert die geistig-seelischen Prozesse, um es einfach zu halten. Aber eine gute Schwitzlodge ist teuer.
CAPTAIN BLUNTFORCE Ach ja, das kenn’ ich von meinen Kanada-Reisen her.
Beim Indianerdorf am Crowford Lake westlich von Toronto gibt’s so ein Ding. Man
schwitzt körperlich und wird geistig geläutert.
OLD STONEHAND Sauna?
SCHWITZENDE HAUT Nicht Sauna. Du bedürftig geistig Läuterung. Schwitzen wie
richtige Profi. Hoch oben auf Alm schwitzen. Du wollen?
OLD STONEHAND Unsinn. Ich schwitze auch ohne. Nur so. Zum Abspecken. Und
für den Kreislauf.
SCHWITZENDE HAUT Deutscher Bruder langer Rede Sinn nicht lang! Du kommen! Friedenspfeife rauchen. Tomahwak kaufen.
OLD STONEHAND Hmm…Ein solcher Tomahawk lässt sich schon sehen. Meine
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
Kanzlerin hat zwar gesagt, ich soll bei Gelegenheit Brücken schlagen. Aber wo geboten, darf ich ruhig Hiebe austeilen. Ganz wie die Amerikaner. Tja, als John Wayne
zum Beispiel einmal...
SCHWITZENDE HAUT Brücke aus Holz nicht halten lange. Brücke aus Stein dauerhaft viel große. Tomahwak Stein gut. Schön Hiebe austeilen. Du kaufen?
OLD STONEHAND Wieviel?
SCHWITZENDE HAUT Dreimal drei Geld in Börse. Viermal vier Geld vier Winde
ich geben Kredit. Du Schuld tilgen Monate zwölf. Hunderte zweimal eine totale.
OLD STONEHAND Was?
CAPTAIN BLUNTFORCE Zweimal einhundert. Das wären also zweihundert.
OLD STONEHAND Euro?
CAPTAIN BLUNTFORCE Franken.
OLD STONEHAND Schweizer Franken? Ha! Damit ich nicht lache!
SCHWITZENDE HAUT Du mir geben schön Franken, ich dir geben Tomahawk
stein. Wir Freunde?
OLD STONEHAND Freunde? Na warte nur, du...Also, als ich noch bei der Kavallerie
war, liefen all die Urnen-Indianer nur so davon, wenn sie unsere Trompeten
hörten...Niedergebrüllt hab ich die, als sie sich in die Nähe von Fort Germania wagten.
SCHWITZENDE HAUT Du hupen intensiv? Große Lärm. Zettel für nicht einhalten
Ruhe?
OLD STONEHAND Ich und Strafe zahlen! Ha!...Eine Frechheit, die ihresgleichen
sucht. Hör gut zu, Schweizer. Wenn unsere Trompeten...
CAPTAIN BLUNTFORCE Die Wilden plappern immer nur vor sich hin. Man muss
das Ganze nicht so ernst nehmen.
OLD STONEHAND Aber wenn ich will, dann wird’s todernst.
CAPTAIN BLUNTFORCE Ja doch! Right on! Das ist die richtige Haltung.
OLD STONEHAND Wo steckt denn bloß meine Peitsche? Moment, bin gleich wieder
zurück!
ZWEITE SZENE
Dieselben. Old Stonehand hat Zuckerstück und Peitsche in der Hand.
OLD STONEHAND Also wie gesagt, hör mal gut zu, du heimtückischer Urnenhäuptling! Wenn du mir sagst, wo die Bonanza liegt, bekommst du ein Zuckerstück.
Sprichst du jedoch mit gespaltener Zunge, so kriegst du die Peitsche zu spüren.
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Vasile V. Poenaru
SCHWITZENDE HAUT Deutscher Bruder, schlechter Bruder. Manitu womöglich dir
geben Problem Verdauung?
OLD STONEHAND Wie hast du denn das erraten? Wollte sagen, nein, natürlich
nicht, na so was, also, was für eine Vorstellung, ganz und gar nicht, wie kommst du
denn darauf?
SCHWITZENDE HAUT Grimasse deutscher Bruder fürchterlich. Schlecht Stuhl,
schlecht alles. Du essen groß Würstli? Ich dir geben nahrungsreich Röstli. Du tiptop
dann, nicht mehr schlecht Grimasse, schlecht Befinden. Essen, trinken, tanzen. Jodeln mit schweizer Bruder. How!
OLD STONEHAND Hmm…Althergebrachte Beschwichtigungsversuche...Bei Eingeborenen in der Regel ein frühes Anzeichen von Verrat...Äußerst verdächtig...Auf der
anderen Seite... Röstli...Hmm...
ALI BEN URI Fürchterliche Grimasse? Da ist was dran.
CAPTAIN BLUNTFORCE Wow! How! That is, how come? Was ist denn dran?
SCHWITZENDE HAUT Friedenspfeife,Taschenmesser, Tomahawk. Du kaufen, du
erfolgreich. Häuptling Bundeskranz dir geben große Kuss.
OLD STONEHAND Häuptling Bundeskranz?
SCHWITZENDE HAUT Häuptling Bundeskranz deine Berlin wo tagen Bunde.
OLD STONEHAND Im Bundestag! Einen Kuss?
SCHWITZENDE HAUT Auf Wange dein.
OLD STONEHAND Wohl kaum.
SCHWITZENDE HAUT Du kaufen, du erfolgreich.
OLD STONEHAND Was soll ich denn kaufen?
SCHWITZENDE HAUT Friedenspfeife,Taschenmesser, Tomahawk. Fünfzig Meter
fliegen durch Luft. Haftung begrenzte. Ich dir verkaufen auch Fluggesellschaft Uri
Air. Sechzig Meter fliegen durch Luft.
CAPTAIN BLUNTFORCE Uri Air mag ich sehr. Wenn Airhansa kein Interesse dran
hat, kannst du mir ruhig ein Small Totem Message mailen. Vielleicht übernehmen
wir den ganzen Kram. Werde jedenfalls den Bürgermeister von Sacramento fragen,
ob er ein paar Flugzeuge will.
OLD STONEHAND O je, o je! Allerlei, was diese Leute in ihren Verstecken gehortet
haben. Ich werd’ sie schon heraustreiben.
CAPTAIN BLUNTFORCE Was?
OLD STONEHAND Die Wahrheit in all ihren Facetten.
SCHWITZENDE HAUT Sonderangebot machen Geschäft. Wahrheit Tauschwert haben wie jede Ware. Viel helfen verstehen lesen Kapital. Geben Manifesto auf Totem
chlorfrei.
ALI BEN URI Der Umsatz hier ist erstaunlich. Und Liquidität ist kein Problem.
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
CAPTAIN BLUNTFORCE O ja, die haben schon was. Ich mach immer wieder gerne
einen Bummel durchs Indianerdorf am See. Schwitzende Haut bietet die beste Auswahl im Kanton.
ALI BEN URI Und der verkauft auch immer den feinsten Tabak. Und unser feines
Blatt, „Urner heute“, gibt’s bei ihm ebenfalls.
FRAU BEN URI Wie in jeder Trafik.
ALI BEN URI Die alpenkundige Zeitung für Frühaufsteher. Herausgegeben von meiner Frau.
CAPTAIN BLUNTFORCE Monatszeitung.
SCHWITZENDE HAUT Frau ben Uri überall Lagerfeuer viel groß „Ja! Ja!“ alle
Mann. Aufstehen früh. Haben auch Modem-Totem-Sektion für elektronische Lesen
Schweizer Bruder Rothaut.
ALI BEN URI Stimmt. Von unserer Zeitung wird an allen Feuerstätten des Kantons
gesprochen.
FRÄULEIN KÄSLI Die ist gut.
ALI BEN URI Kann man schon sagen.
FRAU BEN URI In der gesamten Eidgenossenschaft zu finden. An jedem Lagerfeuer
ein Stück, an jeder Steueroase wenigstens drei. An Kiosken im Bahnhofverkauf jeweils vier.
VON GROSCHENEHRE Aha, aha! Sehr interessant. Sagen’s mal, haben’s auch Interviews mit anerkannten internationalen Bankieren drin?
ALI BEN URI Jeden Monat.
VON GROSCHENEHRE Wirklich?
FRAU BEN URI Zur Zeit planen wir gerade ein Interview zum Thema „Weltkrise
und Privatkundeng’schäft“.
VON GROSCHENEHRE Privatkundeng’schäft! O mei! Das ist genau, was mir machen!
FRAU BEN URI Mir?
VON GROSCHENEHRE Mir. Wir. Wir Österreicher.
SCHWITZENDE HAUT Jagdgründe der Berge, Jagdgründe am Strome...
OLD STONEHAND Jetzt fängt er wohl gleich an zu musizieren.
VON GROSCHENEHRE I bin a Bankier. Wollte sagen: Ich bin ein Bankier. Ein international anerkannter.
FRÄULEIN KÄSLI Ach so! Ich dachte, sie seien Käsehändler.
VON GROSCHENEHRE Das auch. Und zwar ein sehr begabter. Aber Geld ist halt
meine erste Liebe. Wer den Groschen nicht ehrt...
FRÄULEIN KÄSLI...Ist den Taler nicht wert.
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VON GROSCHENEHRE Genau.
SCHWITZENDE HAUT Wer nicht ehren kleine Uhr aus Uri, nicht wert sein groß Bonanza. Du trinken Bruderschaft und kaufen Swiss Army Watch.
CAPTAIN BLUNTFORCE Mir hat eine Bank hier in den Bergen wegen Steuerhinterziehung 780 Millionen Strafe gezahlt. Mit dem Geld hab ich mir eine etwas abgelegenere Steueroase in Unterwalden gekauft.
OLD STONEHAND Cool!
CAPTAIN BLUNTFORCE Oasenpersonal in Bikini und dergleichen mehr.
OLD STONEHAND Wirklich? Und die wollten?
CAPTAIN BLUNTFORCE Die mussten. Sonst hätte ich zum Angriff geblasen.
OLD STONEHAND Genau mein Fall. Die Trompete hab ich mit dabei.
CAPTAIN BLUNTFORCE Nur nicht nachgeben. Blasen.
OLD STONEHAND Ja. Blasen. Die müssen nur wissen, dass es die Kavallerie gibt.
CAPTAIN BLUNTFORCE Wie spät ist es denn? Ich muss noch kurz mit dem Gouverneur von Kalifornien telefonieren.
SCHWITZENDE HAUT Glück haben! Swiss Army Watch Super Sale heute. Einmalig
Opportunität. Immer wissen genaue Uhrzeit wenn anrufen Terminator.
CAPTAIN BLUNTFORCE Zeig mal her.
SCHWITZENDE HAUT Qualität von Uhr ist Qualität von Uri. Internationale Währungsfond gesagt sehr gut.
CAPTAIN BLUNTFORCE Super Sale! Das will ich mir aber gefallen lassen! Ich kaufe
zwei! Eine für mich und eine für meinen Ersten Leutnant. Der muss nämlich auch
immer genau wissen, wie spät es ist.
SCHWITZENDE HAUT (Steckt ihm die Uhren zu.) Zwei mal Super Sale Rabatt
Akreditif für Republic of California. Gratulation! (Gibt ihm die Rechung)
CAPTAIN BLUNTFORCE Halsabschneider.
SCHWITZENDE HAUT Zeit kaufen in Schweiz gut Investition. Time is money, wie
sagen weiße Bruder in Ferngucker.
CAPTAIN BLUNTFORCE Na ja. Werd mich eben am Bailout Package schadlos halten.
SCHWITZENDE HAUT Toxic assets, die du nennen Investitionen. Nicht gefallen
Mitteleuropa. Raus in Wilden Osten. Bruder in Osten große „Ja! Ja!“ unterschreiben
Vertrag ohne wissen was schreiben.
CAPTAIN BLUNTFORCE Das verstehst du nicht. Die Krise packen wir global an.
Und faule Papiere sind an sich weder gut noch schlecht, nur sind sie eben nicht ganz
so fleißig, um das verständlich auszudrücken.
SCHWITZENDE HAUT Medizinmann sagen faule Papiere lichterloh brennen, Realwirtschaft kaputt.
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
CAPTAIN BLUNTFORCE Nein! Gar nicht! Das ist ja auch das schöne am Bailout
Package. Jeder kriegt was. Und so arg ist die Umweltverschmutzung von wegen der
toxic assets ja wirklich nicht.
SCHWITZENDE HAUT Bailout Package böser Geist. Wenige Bankier-Häuptlinge
nehmen alle Geld, gemeine Krieger Kontostand Null Komma Null zwei Nullen Büffelfleisch keine, stimulus keine, squaw viel selten „Ja! Ja!“.
CAPTAIN BLUNTFORCE Unsinn.
FRÄULEIN KÄSLI Weltkrise?
CAPTAIN BLUNTFORCE Kriegen wir schon hin.
FRÄULEIN KÄSLI Wir?
CAPTAIN BLUNTFORCE All the president’s men! Der Präsident und seine Mannen!
SCHWITZENDE HAUT Wind flüstern Nachricht in Ohr von Kantone mehrere weise
Krieger dass Präsident und alle Mannen viel wenig können flicken zusammen Humpty Dumpty internationale Wirtschaftsordnung die gefallen tief von Mauer hoch.
CAPTAIN BLUNTFORCE Kriegen wir schon hin. Die Notenbank in Schlaraffenland
County hat hundert nagelneue Druckereien. Jetzt heißt es outbailen, was das Zeug
hält. Und nicht nur in den Staaten, das wäre egozentrisch. Wir drucken für die ganze
Welt.
OLD STONEHAND Ich finde das äußerst produktiv. Und das Geld ist ja durch die
Schätze gedeckt, die im Boden liegen.
CAPTAIN BLUNTFORCE Klar. Ich höre, der Kaiser der Notenbank hat sich sagen
lassen, die ungehobenen Schätze, die wir ahnen, machen alles wett, was durch die
Rettungspakete in Umlauf gebracht wurde.
OLD STONEHAND Alles wett. Es tut gut, genau zu wissen, woran man ist. Wir haben jetzt auch so’n Bailout Package. Mich persönlich spricht das Ganze wirklich sehr
an. Wollen proaktiv bleiben.
Freilich sind die Boni für unsereiner im Moment leider begrenzt.
VON GROSCHENEHRE Prokativ san mir schon immer g’wesen. Wobei freilich die
gschätzen Kollegen in Deutschland...
FRÄULEIN KÄSLI Herbei, herbei! Gekocht ist der Käsebrei!...
DRITTE SZENE
Frau ben Uri, Schwitzende Haut und von Groschenehre.
FRAU BEN URI (Spricht ins Mikrophon) Von Groschenehre, liebe, liebe, liebe
Leut’: ein alter Name. Ein schöner Name.
VON GROSCHENEHRE A adliger Name.
SCHWITZENDE HAUT Bruder Groschen haben viel schön sein ihre Name gebracht
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Vasile V. Poenaru
von alt her.
FRAU BEN URI Devisen in Hülle und Fülle. Kurz: ein Haufen Geld, eine traditionsreiche Familie.
VON GROSCHENEHRE Tradition ham’ma. Garantiert, ma g’schätzte Dame. Und an
Kohle fehlt’s a ni.
FRAU BEN URI Gemütlichkeit...Geborgenheit...Was kann eine schon mehr dazu sagen?
VON GROSCHENEHRE Tja...Besitz und Bildung. Des ka’ma noch sagen.
FRAU BEN URI Ein österreichischer Name, liebe Leut’, der unter anderem den althergebrachten Respekt für die Macht des Cäsars widerspiegelt.
SCHWITZENDE HAUT Cäsar schnell Ross reiten Schule Wien. Alle Pfade Krieger
„Ja! Ja!“ Wien führen. Burg von Kaiser nahe Wigwam von Bruder Groschen.
VON GROSCHENEHRE Stimmt. Kann die Hofburg aus meinem Wohnzimmer sehn.
Manchmal schwenkt der Kaiser seinen Hut.
FRAU BEN URI Ein Wienerischer Name. Eine mitteleuropäische Berufung.
VON GROSCHENEHRE Und nicht nur.
FRAU BEN URI Immer direkt im Vordergrund des Geschehens, um’s mal so auszudrücken. Ganz oben.
VON GROSCHENEHRE Also sinken tun mir nicht. Und wo sich wos tut, san mir
drin.
FRAU BEN URI Das will ich gerne glauben.
VON GROSCHENEHRE A echta Wiener geht nie unter.
FRAU BEN URI Das heutige Thema: „Weltkrise und Privatkundeng’schäft“. Ein Interview unserer beliebten Reihe „Dialogik der Kaufkraft“.
VON GROSCHENEHRE Dialogik! Ja!...Und Kaufkraft...Des wird a Hamma!
SCHWITZENDE HAUT Hammer Symbol Kaufkraft?
VON GROSCHENEHRE Kommt darauf an.
SCHWITZENDE HAUT Und Sichel? Krieger gesehen Hammer mit Sichel viel große
in blaue Donau Land.
VON GROSCHENEHRE Nein. Die Sichel nicht.
SCHWITZENDE HAUT Dann warum Adler halten in Klauen?
VON GROSCHENEHRE Also unser Adler, das heißt der Adler, den mir uns gezogen
haben, des is a braver Vogel, der weiß, wos geht und wos nicht, der mag die Realwirtschaft, kaa aufgeblas’ne...bubble-bubble...
FRAU BEN URI Beginnen wir mit dem eigentlichen Interview!
SCHWITZENDE HAUT Ja Ja Interview!
FRAU BEN URI Ein Österreicher in der Schweiz. Grüezi!
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
VON GROSCHENEHRE Grüß Gott!
FRAU BEN URI Und nochmal Herzlich Willkommen in unserem Wigwam.
VON GROSCHENEHRE Servus. Ma pleasure.
FRAU BEN URI Herr von Groschenehre, Sie kennen die Welt.
VON GROSCHENEHRE Gewiss. Ich war hier und da. Here and there and everywhere, wie die Dichter sagen.
FRAU BEN URI Was halten Sie von der Weltkrise? Ist die gefährlich? Denken Sie,
dass das Schlimmste noch bevorsteht?
VON GROSCHENEHRE Ja, die Weltkrise ist gefährlich. Und ich denke, dass das
Schlimmste noch bevorsteht.
FRAU BEN URI Aha...Sehr aufschlussreich. Also gefährlich...
VON GROSCHENEHRE Wer zum Beispiel genau in die Bücher schaut...
FRAU BEN URI Der sieht auch das Kleingeschriebene.
GROSCHENEHRE Genau.
FRAU BEN URI Und wer nicht so genau in die Bücher schaut...
GROSCHENEHRE Dem droht die Insolvenz.
FRAU BEN URI Eine treffliche Alalyse.
GROSCHENEHRE Trefflicher geht’s ni. Mir san nämlich gut.
FRAU BEN URI Könnte man die gegenwärtige Situation womöglich „Insolvenz im
Krisenjahr“ nennen?
VON GROSCHENEHRE Könnte man.
FRAU BEN URI Was ist das zentrale Moment der Weltkrise?
VON GROSCHENEHRE Überall Gift. Kaa Medizin.
SCHWITZENDE HAUT Klapperschlange beißen mit giftig Zahn. Medizinmann nehmen Zahn und machen Gegengift. So auch Bankiere für Gift viel Geld machen Gegengift noch mehr Geld. In Zelten von Uri-Kriegern groß Diskussion inflationistische
pressure. Papier das geben weißer Bruder nicht gedeckt mit Schatz Gold. Keine. Kaiser von Notenbank spinnen. Irreführen ihn böser Geist der sagen falsch dass von
Licht Aufklärung. Wenn Engel fallen, Licht weg. Keine.
FRAU BEN URI Apropos ungedeckte Zahlungsmittel. Wie steht es mit den faulen
Papieren, den toxic assets?
VON GROSCHENEHRE Ja, die sind toxisch.
FRAU BEN URI Wollen wir es auf einen Vergleich zwischen der Schweiz, Österreich
und Deutschland ankommen lassen?
VON GROSCHENEHRE Da gibt’s kaa Vergleich. Mir san completely clean of toxic
assets, des is unser Vorteil. Mir moch'n Privatkundeng'schäft.
FRAU BEN URI Die Deutschen machen ja auch Privatkundeng'schäft.
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VON GROSCHENEHRE Mog san. Aber mir worn dramatisch weniger deppert als
die g'schätzten Kollegen in Deutschland.
FRAU BEN URI ... dramatisch weniger deppert als die g'schätzten Kollegen in
Deutschland... Eine treffliche Alalyse.
VON GROSCHENEHRE Hundertfünfprozentig.
FRAU BEN URI Sehr elegant ausgedrückt.
VON GROSCHENEHRE Aus dem Herzen.
SCHWITZENDE HAUT Herz in Brustkasten bum bum! Schlagen wie Trommel in
Nacht im Dickicht von Zeltenstädte sein.
FRAU BEN URI Und so begrifflich einleuchtend!
VON GROSCHENEHRE Sag ich doch! In authentischster Wahrhaftigkeit. Aufklärung ist des. Aber ‘ne richtige.
FRAU BEN URI Also gar kein Vergleich.
VON GROSCHENEHRE Kaana. Und mir woll'n aa kaane Vergleiche mit der sogenannten Uri-Krise.
FRAU BEN URI Aber nicht alle Urner...
VON GROSCHENEHRE Der Volksmund sogt: Bei Nacht sind alle Katzen grau.
FRAU BEN URI Sie meinen jetzt wohl die graue Liste.
VON GROSCHENEHRE Mit windigen G'sellen, local tycoons und steuerfeindlichen
Rothäuten arbeiten mir net. Des hab i schon auf’m Kongress g’sagt.
FRAU BEN URI Trotzdem wollen Sie hier Käse kaufen.
VON GROSCHENEHRE O ja. Käse...Lecker! Tun ma. Der schmeckt nämlich.
FRAU BEN URI Fräulein Käsli’s Unternehmen wurde jedoch vo der Stiftung Pro Uri
zum diesjährigen „Master of Desaster“ gekürt. Schweizerischer Käse sei von nun an
schon allein deswegen kompromittiert, weil die Löcher im Käse, so die Presseagentur „Seilbahnfahrer“, immer größer werden.
VON GROSCHENEHRE Des is wie beim Golf. Wir haben alle Desasterszenarien
durchgespielt. Käsi & Käsli is a zuverlässiga Partner. Besonders jetzt in der rezessiven... in der depressiven... Ja. Besonders jetzt.
FRAU BEN URI Denken Sie, dass es zwischen dem Stamm der Tiroler und dem
Stamm der Urner im Kontext der internationalen Wirtschaftskrise wieder zu beträchtlichen Auseinandersetzungen kommt?
VON GROSCHENEHRE Also Streitigkeiten, Handgemenge, Fluche meinetwegen,
sogar in Fremdsprachen, ja, schon, freilich, warum auch nicht, das kann ich mir gut
vorstellen, aber so a richtige Auseinandersetzung mit allem Drum und Dran....ja
des...wohl kaum. Mir san ja schließlich alle mehr oder weniger Österreicher – oder
waren’s jedenfalls vor der G’schichte mit dem Apfel.
FRAU BEN URI Mehr oder weniger.
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
VON GROSCHENEHRE Sozusagen gleichermaßen alpenhaftig veranlagt, net?
FRAU BEN URI Und wir machen ja auch gleichermaßen Privatkundeng'schäft.
VON GROSCHENEHRE Wobei mir freilich dramatisch weniger...
FRAU BEN URI Dramatisch weniger... Bravo! Gut haben Sie’s gesagt.
SCHWITZENDE HAUT Bruder Groschen immer auf Punkt bringen Sachverhalt viel
diplomatisch. Sehr starke Mann sein mit Kaufkraft und Brustkasten wo drin stecken
Herz das pumpen frisch Blut für immer haben Liquiditäten in Ader sein.
FRAU BEN URI Prima! Das würde jetzt aber mal reichen... Na dann: Das wär’s.
Einen recht schönen Dank für das Interview, Herr von Groschenehre.
VON GROSCHENEHRE ...weniger deppert worn. Kaa Problem. Wann wird’s denn
gedruckt?
FRAU BEN URI Am zwanzigsten. Ach ja, und falls Sie zufälligerweise diese Mortgage-Backed Securities bei Ihnen in den netten osteuropäischen Kolonien abstoßen
könnten...Die stehen hierzulande nämlich gerade nicht so hoch im Kurs.
VON GROSCHENEHRE Mortgage-Backed? Des san toxic assets. Mir worn dramatisch...
FRAU BEN URI Ich weiß! Ich weiß, wie sich das anhört!...Alle denken gleich, das
seien toxic assets usw., aber, Hand aufs Herz, in unseren Tälern, auf unseren Bergen
usw....Es ist einfach schade für all diese Investitionen, tja, wie soll ich das kurz und
bündig formulieren?
VON GROSCHENEHRE Aber nicht doch!...Für den Osten sind sie jedenfalls gut genug. Immer nur hergeben!
SCHWITZENDE HAUT Sehen einer an! Faule Wert-Totem von Bruder Lehman,
Bruder Riemann und Bruder Schliemann hier auftauchen! Bank totale kaputt groß
Krach Mauerstraße.
FRAU BEN URI Sie sind sehr liebenswürdig.
VON GROSCHENEHRE Wos ham’ma denn?
FRAU BEN URI Hier: Von Schliemann’s Brothers und von Riemann’s Brothers jeweils ein Bündel Securities. Der Rest kommt dann per Kamel.
VON GROSCHENEHRE Ach so, Sie haben mehr?
FRAU BEN URI Mein eigener Bruder hat auch ein paar ausstellen lassen. Hier sind
sie. Ich glaube, es wäre vielleicht am besten, wenn man die einfach an eine Stiftung
verkauft, die sie dann verschenkt: so an Leute, die nichts haben, oder anWaisenhäuser oder was weiß ich? Irgendwas für die Leute am Tellerrand, damit die sich auch
ein bisschen freuen.
VON GROSCHENEHRE Geht alles direkt nach Vallachei City. Dort reißt man sich
um jeden Fetzen, und es braucht ja keiner zu wissen, dass das ursprünglich amerikanische Wertpapiere waren. Wir machen schnell noch ein k. und k. darauf, und schon
heißt’s „Made in Austria“.
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Vasile V. Poenaru
FRAU BEN URI K. und k.?
SCHWITZENDE HAUT Wird gemacht alle Tage von große Bankier auf weiße Bruder
Papier damit Leute nicht wissen, dass toxic asset. Kunden dann glauben österreichische Äcker, Dome, nicht amerikanische Prärien, Dumpster. Kunden kaufen viel
schnelle. Geschäft Boom, groß Ballon. Feuerwasser fließen Gurgel runter alle Mann
Konjunktur.
FRAU BEN URI Stimmt! Ja doch! Genau! Captain Bluntforce hat uns einmal erklärt,
wie das funktioniert.
VON GROSCHENEHRE Des funktioniert gut.
FRAU BEN URI Finde ich sehr clever! Nochmals vielen Dank, Herr von Groschenehre!
VON GROSCHENEHRE Don’t mention it, meine g’schätzte Dame. Mit Ihnen
moch’n mir gern G’schäfte. Sie san ja kaa local tycoon oder sonstwos.
VIERTE SZENE
Old Stonehand, Schwitzende Haut, Ali ben Uri, Fräulein Käsli.
OLD STONEHAND Mir das! Rothaut! Wollte sagen: Verdammter Habsburger!
Weniger deppert gewesen sein will er! Diese Gauner aus der Ostmark! Take this!
And that!...Dem werd ich’s zeigen.
SCHWITZENDE HAUT Aha! Du hören Vorspann Interview Radio Kanton. Du böse
Bruder Groschen.
OLD STONEHAND Natürlich bin ich ihm böse! Die Ehre unserer Bankmanager ist
geschändet.
SCHWITZENDE HAUT Bankier Häuptlinge Ehre kaputt?
OLD STONEHAND Jawohl! Kaputt! Crash Boom Bang!
SCHWITZENDE HAUT Was du machen?
OLD STONEHAND Ich werde die Streitaxt des Stammes der Deutschen ausgraben.
Einen derartigen Wortschatz muss ich mir verbitten!
SCHWITZENDE HAUT Vow!
OLD STONEHAND Ja! Vow! How!...Ich habe gesprochen.
SCHWITZENDE HAUT Deutsche Stamm mehrere: Sachsen, Schwaben, Alemannen,
Franken...Du welche ausgraben?
OLD STONEHAND Am besten die der alten Germanen.
SCHWITZENDE HAUT Haben Ger. Schön kurz Wurfspieß für machen große Loch
in römische Viaduct.
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ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
OLD STONEHAND Ein Wurfspieß soll mir recht sein. Wenn ich den GroschenDings erwische!...
FRÄULEIN KÄSLI Der wollte nochmal kurz vorbeischauen. Vom Neuen kosten.
ALI BEN URI Und ein Kamel schlachten lassen.
SCHWITZENDE HAUT Bruder Groschen viel gerne essen lecker Faschiertes. Oder
machen Wiener Schnitzel wie internationale Spezialitäten er mögen.
ALI BEN URI Blutwurst isst er auch immer sehr gerne.
FRÄULEIN KÄSLI Stimmt! Blutwurst! Hab welche im Safe liegen!
OLD STONEHAND Blutwurst? Im Safe?
FRÄULEIN KÄSLI Natürlich! Sicher aufbewahrt.
OLD STONEHAND Hmm!…Merkwürdig...Äußerst merkwürdig...
ALI BEN URI Darum macht er bestimmt keinen Bogen.
OLD STONEHAND Ja dann heißt es eben Abwarten und Sehn. Den Safe lass ich sicherheitshalber von drei Finanzinspektoren und einem Chefkoch bewachen.
SCHWITZENDE HAUT Du wie roter Bruder weise Wort geredet. Viel groß wichtige
Teil sein sich richtig heran pirschen. Auf Lauer liegen machen aus über achtzig Prozent von gesamte Projekt wenn Fährtenlesen und Überrumpeln Feind für behutsam
binden an Marterpfahl.
OLD STONEHAND Oder vielleicht am besten ein Kamel als Köder anpferchen und
mit Butterkäse streichen.
SCHWITZENDE HAUT Bruder Groschen gut schmecken Käse fein. Du haben erstklassige Idee.
OLD STONEHAND Also an Ideen hat’s mir nie gefehlt. Meine Bundeskanzlerin zum
Beispiel meinte neulich auf dem Gipfeltreffen...
SCHWITZENDE HAUT Aber wenn trotzdem nicht kommen?
OLD STONEHAND Ausräuchern.
ALI BEN URI Geht nicht.
FRÄULEIN KÄSLI Den Rauch müssen wir nämlich für unseren speziellen Konjunktur-Käse aufbewahren.
SCHWITZENDE HAUT Und für Kommunikationsform viel schöne traditionelle.
Rauchzeichen die geben in vier Wälder Himmelsrichtungen in Stadt und See für
Krieger in Erfahrung bringen was geschehen.
OLD STONEHAND Ich glaube, die Streitaxt der Deutschen liegt bei Aachen begraben. Oder bei Nüremberg. Werde am besten mal im Büro meiner Bundeskanzlerin
nachfragen.
SCHWITZENDE HAUT Deutsche Stamm Ossi verschieden deutsche Stamm Wessi.
Deutsche Stamm Altdeutschli verschieden deutsche Stamm Neudeutschli. Wo
Streitaxt du suchen du brauchen Kopf. Du Bruder Schweizer Franken, ich Streitaxt.
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Vasile V. Poenaru
OLD STONEHAND Aber vielleicht schau ich auf alle Fälle auch mal hier bei euch im
Indianerdorf nach. Wer weiß? Mag sein, sie ist einfach da.
SCHWITZENDE HAUT Für Indianerdorf du fahren Tunnel. Maut zahlen bar.
OLD STONEHAND Oder ich hau dem einfach...Aber Moment: Ich hab meine Peitsche nicht mit. Und das Zuckerstück hat mir der Dings aufgegessen. Schnell! Wieviel
kostet ein Tomahawk?
SCHWITZENDE HAUT Dreimal drei Geld in Börse. Viermal vier Geld vier Winde
ich geben Kredit. Du Schuld tilgen Monate zwölf. Hunderte zweimal eine totale. Plus
Druck von inflationistische pressure.
OLD STONEHAND Nun gut. Ich werde in Raten zahlen. Oder vielleicht könnte ich ja
eventuell eine Filiale der Großen Bank aller Deutschen hier auf den Schweizer Jagdgründen...
SCHWITZENDE HAUT Du nicht Filiale! Monate zwölf Raten.
OLD STONEHAND Aber eine kleine, harmlose Filiale...
SCHWITZENDE HAUT Filiale no go! Einmal große Landvogt Bankier von Groschenehre haben gehabt Filiale bei Küssnacht. Versuchen nehmen weg viel Franken
von schweizer Bruder. Nicht gelingen. Küssnacht kaputt hohle Gasse. Schweizer
Bruder SWIFT du unterschreiben.
OLD STONEHAND Na dann eben.
SCHWITZENDE HAUT Kommen vorbei später für rauchen Friedenspfeife.
OLD STONEHAND Keine Umstände. Kann mir erspart bleiben.
SCHWITZENDE HAUT Du Sparbuch? Ich dir geben.
OLD STONEHAND Nein, nein. Ist schon gut, Schweizer.
VON GROSCHENEHRE (Tritt ein) Hat jemand Friedenspfeife g’sagt?
OLD STONEHAND (Schwingt den Tomahawk) Im Namen des deutschen Fiskus! Im
Namen der Finanzbranche! Im Namen der Lufthansa! Im Namen der Bundes...
VON GROSCHENEHRE O mei! Sieh einer an! Der g’schätzte Kollege aus Deutschland!
OLD STONEHAND (Will ihn anfassen)
VON GROSCHENEHRE (Bückt sich, nimmt ein Stück Käse) O mei! Der
schmeckt!...Dreihundert Tonnen!
FRÄULEIN KÄSLI Vom geräucherten?
VON GROSCHENEHRE In der Tat. Indeed.
FRÄULEIN KÄSLI Geht in Ordnung. Muss nur noch schnell Herrn Ali
pagen...OK...Morgen ist die Karawanne in Wien.
OLD STONEHAND (Schwingt wieder den Tomahawk) Für Vaterland und DAX!
VON GROSCHENEHRE Hat jemand Vaterland g’sagt? Und DAX? Sowas geht ans
Herz! Selbst wenn man selber nicht, also selbst wenn man... Ach, Herr Steinhand!
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
Womit kann ich dienen?
OLD STONEHAND Abschwören! Sofort! Unabdingbar! Unwiderruflich! Un...
VON GROSCHENEHRE Aber bitte! Regen Sie sich doch nicht so auf! Abschwören?
Ja, gerne. Wos denn?
OLD STONEHAND Dass wir deppert sind. Und faule Papiere haben.
VON GROSCHENEHRE (Kostet ein weiteres Stück Käse) Von dem hundertfufzig
Tonnen bitte!
FRÄULEIN KÄSLI Sie werden’s nicht bereuen.
VON GROSCHENEHRE Das nenn’ ich Tradition! Hurra Helvetia!
SCHWITZENDE HAUT Deutscher Bruder und Österreichischer Bruder begraben
Streitaxt?
VON GROSCHENEHRE Aber natürlich...Alles mal zuhören! Die g’schätzten
Kollegen aus Deutschland sind nicht deppert, sie sind unsere Freunde. Und damit
wir wieder gut sind, kaufe ich Ihnen die faulen Papiere ab. Geht alles direkt in meine
Kläranlage bei der Zentralbank in Vallachei City. Sind wir wieder gut?
OLD STONEHAND Na ja...
SCHWITZENDE HAUT Und wenn du nicht mehr reden blödes Zeug mit Kavallerie
und Ross und Reiter und deutsche Fiskus U-Boot in Vierwaltstättersee ich dir geben
extra Bonus mehrere klein Stück Gold von Bonanza für Privatbörse dein.
OLD STONEHAND Das ist ein Wort! (Streckt die Hand nach den Goldstücken aus).
Nur als Erinnerung und so.
SCHWITZENDE HAUT Du Erinnerung schön glänzende wenn Wigwam dein squaw
viel große „Ja! Ja!“.
OLD STONEHAND (Reicht von Groschenehre ein Bündel faule Papiere) Nur weil
wir beim Ostaufbau helfen wollen und so.
VON GROSCHENEHRE Aber natürlich!...
OLD STONEHAND Es wäre mir jedoch äußerst unangenehm, wenn jetzt die Kunde
von dieser kleinen Transaktion an die Öffentlichkeit dringen würde...wobei freilich
die Bezeichnung toxic assets im eigentlichen Sinne der Wortes sowieso wenigstens in
diesem einen Falle gewiss vollkommen irreführend ist...
VON GROSCHENEHRE Bleibt alles unter uns. Machen a „k. und k.“ drauf.
Gegengift reingespritzt: no toxic assets. Und weiter geht’s nach Vallachei City, wo
übrigens ein Mann meines Vertrauens gerade Häuptling wurde.
SCHWITZENDE HAUT Krieger in Kanton gut kennen Häuptling Billiges Ross. Sehr
schnell reiten verkaufen viele große Konkurrenz Opel.
VON GROSCHENEHRE Der hat auch einen verdammt guten Pressesekretär. Kaa
Sorge, wird schon alles umgehend ins Reine bringen. Wie gesagt: Mir san completely
clean of toxic assets.
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Vasile V. Poenaru
OLD STONEHAND (Lacht erleichtert) Wir auch.
VON GROSCHENEHRE Wollen wir darauf anstoßen.
FRÄULEIN KÄSLI Bitte! Eine kleine Stärkung!
SCHWITZENDE HAUT Ja Ja Stärkung!
ALI BEN URI Gerade zur rechten Zeit.
FRÄULEIN KÄSLI Das stimulus cocktail. Mit Quellwasser.
OLD STONEHAND Für starke Männer?
FRÄULEIN KÄSLI Garantiert.
OLD STONEHAND Na dann Prost!
ALI BEN URI Prost!
VON GROSCHENEHRE Prost!
SCHWITZENDE HAUT Ja! Ja!
ALI BEN URI Und bevor ich’s noch vergesse: Als großer Boss und Generalhäuptling
des „Oasencom Resorts“ lade ich euch alle zu einem unvergesslichen Empfang in
meinem neuen Kalifat im Userntal ein.
SCHWITZENDE HAUT Gute touristische Platz an der Sonne! Ich empfehlen!
ALI BEN URI Und jeder bekommt eine kleine Bonanza von der Notenbank. Denn
ein schöner Tag will gefeiert werden.
FRÄULEIN KÄSLI Ach was für ein schöner Tag!
VON GROSCHENEHRE A Kaiserwetter!
FRÄULEIN KÄSLI Hip hip Hurra!
VON GROSCHENEHRE Und von mir je eine Benzinstation in Vallachei City!
ALLE Hip hip Hurra!
SCHWITZENDE HAUT Österreichischer Bruder, guter Bruder.
(Richard Strauß’ Also sprach Zarathustra ertönt.)
OLD STONEHAND Tschuldigung, ich muss das nehmen. (Ins Handy.) Jawohl! Wie
bitte? Frieden mit den Österreichern und den Schweizern? Kapiert. Jawohl!...Wie
bitte?
VON GROSCHENEHRE Wos? Wos?
OLD STONEHAND Schnell! Macht schon! Zündet die Friedenspfeife an!
SCHWITZENDE HAUT Friedenspfeife kommen! Du sagen Anlass?
OLD STONEHAND Bei Jena und Auerstedt gab es gerade eine Doppelschlacht: The
Battle of Ideas und The battle for the economy. Beide wurden gewonnen. Die Wirt schaft ist nicht auf den Hund gekommen, wie alle dachten. Die Wirtschaft ist gerettet.
VON GROSCHENEHRE Gerettet!
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Zuckerstück und Peitsche. Eine Geld-Komödie
SCHWITZENDE HAUT Dreikranzschlacht! Uri Krieger hören von Wind getragen
Nachricht und sehen Rauchzeichen viele.
OLD STONEHAND Nein, das heißt Dreikanzlerschlacht.
SCHWITZENDE HAUT Dreikranzschlacht.
OLD STONEHAND Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde gerade vom großdeutschen Konjunkturkommittee rückgängig gemacht.
Wir sind jetzt eine überregionale korporatistische Verwaltungseinheit unter der
Herrschaft der Habsburger.
ALI BEN URI War also ein Business Deal.
SCHWITZENDE HAUT Österreich Kranz Kaiser von Rom?
OLD STONEHAND Ja, der österreichische Bundeskanzler ist jetzt der Kaiser von
Rom, aber nur der Form halber.
SCHWITZENDE HAUT Viele Male gehen Hand in Hand Sinn und Form.
OLD STONEHAND Der offizielle Titel lautet Kaiser und Kanzler.
SCHWITZENDE HAUT Kranz I von Habsburg?
OLD STONEHAND Wurde vor zehn Minuten gekrönt. Wir haben endlich eine wahrlich grenzenübergreifende neoliberale Corporation deutschsprachiger Ausdrucksweise.
SCHWITZENDE HAUT Alle Bruder deutsch sprechen good corporation! Hip hip
Hurra!
ALLE Hip hip Hurra!
VON GROSCHENEHRE (Singt) Alle Menschen werden Brüder!...Alles Österreich!
Des is a Tag! Mochn a „k. und k.“ vor Deutschland und der Schweiz. Kaiserlich und
kanzlerisch. Mir worn ja sowieso die ganze Zeit mehr oder weniger allesamt Österreicher, net?
ALI BEN URI Mehr oder weniger.
OLD STONEHAND Die Kanzler haben in Frankfurt Bruderschaft getrunken und der
Präsident des Deutschen Börsenvereins hat den Bund heilig gesprochen.
SCHWITZENDE HAUT How! Alle Mann Feuerwasser zu sich nehmen, jodeln und
tanzen alle Tage!
VON GROSCHENEHRE O mei! Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als
Dreikanzlerbund!
(Richard Strauß’ Also sprach Zarathustra ertönt.)
OLD STONEHAND (Ins Handy) Nein doch! Ganz und gar nicht! Die Streitaxt wurde
begraben. Wir stehen jetzt unter demselben Hut.
FRÄULEIN KÄSLI Feuerwaser gefällig?
OLD STONEHAND (Ins Handy) Aufgehoben! Nein! Eben. Ja, natürlich. Stimmt.
Wird nicht mehr ausgeführt. Jagd die Hunde zurück in die Marschhöfe! (Hundebel-
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285
Vasile V. Poenaru
len aus dem Handy) Over and out.
ALI BEN URI Na so was. Wir sind wieder alle Habsburger.
VON GROSCHENEHRE Meinen Hut werde ich dann aus symbolischen Gründen im
großen Wigwam des pluriethnischen Geldnotvereins hoher und niederer Zölle zur
Schau stellen. Sozusagen ganz unverbindlich.
FRÄULEIN KÄSLI Apropos Geldnot...Finanzen in Ordnung und so?
OLD STONEHAND Dreifach garantiert. Und durch die Bank of California rückversichert.
ALI BEN URI Die „Superman Brothers“?
OLD STONEHAND Ja. Die hält sich.
VON GROSCHENEHRE Liquidität kaa Problem. Insolvenz ausgeschlossen.
ALI BEN URI Lasst uns gemeinsam feiern!
OLD STONEHAND Gemeinsam gegen die Krise, gemeinsam in die Konjunktur!
VON GROSCHENEHRE Konjunktur? Da sag ich nur: Bring it on!
OLD STONEHAND Ja!...Bringt den Obstler!
VON GROSCHENEHRE Kaa Bruderzwist in Habsburg, wos?
SCHWITZENDE HAUT Winde vier in Ohr von Krieger sagen, Kaiser haben gesprochen. Jeder bekommen Stück von sogenannte ultimate stimulus package. Viel groß
Freude Lied das singen sagen alle Menschen Brüder wo sanfter Flügel weilen.
ALI BEN URI Rom hat einen prächtigen Kaiser!
VON GROSCHENEHRE Mir a extra Stück, bitte!
SCHWITZENDE HAUT Hoch leben Kaiser von Rom! Hoch leben Bruderschaft und
Konjunktur!
VON GROSCHENEHRE Meine Damen und Herren, das Heilige Römische Reich
Deutscher Nation hat nie aufgehört zu existieren.
ENDE
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PETER K. WEHRLI
„Lesen – anderswo…“
MOÇAMBIQUE
Wer das Glück hat, dass eines seiner Bücher in eine fremde Sprache übersetzt erscheint, der hat oft auch das Glück, in ein fremdes Land eingeladen
zu werden, um sein Buch dort vorzustellen oder – falls einem die dortige
Landessprache keine Fremdsprache ist – daraus vorzulesen. Ich hatte dieses
Glück, dass ein Teil meines Katalogs von Allem ins Portugiesische übersetzt
und in Brasilien veröffentlicht worden ist. Nun hat der Autor, dessen Bücher
ins Portugiesische übersetzt werden, das zusätzliche Glück, dass es in diesem
Falle nicht – wie wenn das Buch ins Dänische oder ins Laotische übersetzt
worden wäre – ein Land ist, sondern dass es sieben Länder sind, und könnte
man Macao und Timor dazuzählen, so wären es neun. Und eines unverhofften Tages flatterte tatsächlich eine Einladung aus einem dieser neun Länder
auf den Schreibtisch des Autors. Die einladende Instanz vertrat die erfreuliche Ansicht, die Buchvernissage eines Buches, das ins Portugiesische übersetzt worden sei, müsse nicht zwangsläufig im Land gefeiert werden, in dem
das Buch gedruckt worden ist, in Brasilien also, sondern könne überall dort
stattfinden, wo man die herrlich musikalische, sinnliche Sprache spreche,
Portugiesisch also, in der das Buch O Catálogo Brasileiro heißt.
Und so landete ich eines frühen Morgens auf dem Flughafen von Maputo,
der Hauptstadt von Moçambique.
Der Zöllner war großzügig wie ich es noch nirgends erlebt hatte. Er forderte
nämlich Rara und mich auf, unter unseren Koffern jenes Gepäckstück auszuwählen, das er kontrollieren solle. Wir schlugen das richtige vor. Und als er
es kontrolliert hatte, verabschiedete er sich mit dem inständig vorgetragenen
Satz „Moçambique ist ein sehr, sehr schönes Land!“ Uns irritierte nur, dass
in dieser Empfehlung ein Unterton mitklang, der die Unerbittlichkeit eines
Befehls hatte, der keine Widerrede duldete.
Zwei Tage darauf dann die erste wichtige Leseerfahrung. Gefeiert wurde der
„Tag der Poesie“ mit einer Lesung, an der neben mir auch vier einheimische
Autoren auftraten. Und der aus Europa Herbeigereiste fiel auf, nicht etwa
seiner absonderlichen Hautfarbe wegen, er fiel unangenehm – so wollte mir
Peter K. Wehrli
scheinen – auf, auch wenn die Freundlichkeit der Mosambikaner dieses Unangenehme gütig überspielte: Ich war nämlich der Einzige unter den auftretenden Autoren, der beim Vorlesen Papier zwischen den Fingern hielt, sein
Manuskript. Ich las vom Blatt. Die Mosambikaner aber hatten kein Blatt vor
den Augen, sondern fixierten geradezu provozierend ihr Publikum. Die vorzutragenden Texte rezitierten sie alle auswendig, und zwar Lyrik wie auch
Prosa. Hier in Afrika scheint man nur dann als Dichter zu gelten, wenn man
die Texte, die man geschrieben hat, auswendig kann, par coeur, by heart
und por memoria, wie man hier sagt. Und so zu erkennen gibt, dass das Geschriebene und das Gesagte wirklich Teil von einem selber ist.
Meine vier afrikanischen Kollegen erhoben sich, wenn sie an der Reihe waren, von ihrem Platz im Zuschauerraum und rezitierten schon während des
Ganges zur Bühne temperamentvoll vor sich hin. Und sobald sie oben vor
dem Publikum standen, wurden sie heftig und fürchteten selbst das Pathos
nicht. Der Geschickteste unter ihnen nutzte seine angeborene Spontaneität,
um den Eindruck zu erwecken, als fielen ihm die Texte jetzt gerade während
des Sprechens ein. Und dann war die Reihe am Europäer. Es gelang ihm nur
halb, sein Handicap, das Stieren aufs Papier, in etwas Positives umzumünzen, in etwas Exotisches. Denn als exotisch muss hier einer erscheinen, der
Schriftsteller sein will und für den Vortrag dessen, was sein größtes Anliegen
sein müsste, auf die Mithilfe von knitterndem Papier angewiesen ist. Nun,
der Exot wurde mit mehr als nur freundlichem Applaus bedacht, der aber
nicht zu vergleichen war mit dem Gedonner, das jenen galt, die ihre Texte im
Gehen, im Stehen, schreiend und flüsternd, rufend, sprechend, bramarbasierend oder verhalten und meist mit übermütigem Charme vortrugen. Nein, zu
schämen brauchte ich mich nicht für den unlauteren Einsatz meines von
Druckerfarbe verschmutzten Hilfsmittels, aber irgendwie stieg die Ahnung
auf, ob die Befreiung vom Papier beim Vortrag nicht auch einen befreiteren
Umgang mit Sprache ermögliche. Bei uns in Europa ist das gedruckte Buch
der Beleg für die dichterische Arbeit und die öffentliche Lesung daraus ein
vielerorts geschätztes Beiprodukt. Hier in Moçambique ist es umgekehrt, das
gedruckte Buch ist allenfalls das Beiprodukt des mündlichen Vortrags, der
„Lesung“. Sie ist die Literatur, mehr als das Druckerzeugnis Buch. Und Geld
für den Erwerb eines solchen ausgeben, kann nur, wer mehrere MeticalScheine übrig hat. Und wer hat das schon? Das zeigt sich am Beispiel des in ternational bekanntesten Schriftstellers von Moçambique, Mia Couto, etwa
auch darin, dass zwar Hunderte, im Lauf der Zeit Tausende von Leuten seine
Werke kennen, vom Vortrag wohlverstanden, vom Hören also kennen, dass
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„Lesen – anderswo…“
aber sein mosambikanischer Verlag von Coutos Neuerscheinungen Auflagen
von kaum mehr als 500 Exemplaren druckt. Und wünschte sich der Besucher
aus Europa auch, dass in seinem Herkunftsland die Literatur einen ebenso
großen Stellenwert im öffentlichen Bewusstsein einnehme wie hier in Moçambique, die Tradition des mündlichen Vortrags korrigiert den Makel, dass Moçambique ein Land ist mit sehr vielen Analphabeten und sehr wenigen Lesern.
Dass verbreiteter Analphabetismus nicht etwa ein Hindernis sein muss bei
der Verbreitung von Literatur im Volk, das wurde mir klar, als mir eine
Dame nach der Lesung beim Umtrunk im „Restaurant des Schriftstellers“ ein
Hörbuch schenkte, eine CD, mit dem emphatischen Vortrag von Gedichten
des zweifellos bedeutendsten Lyrikers des Landes, José Craveirinha. Im Beiheft zur CD las ich den Satz, der alle diese rätselvollen Zusammenhänge erhellte, ein Satz, der mittlerweile fast schon zum Sprichwort geworden ist:
„Erst beim Hören wird die Schrift zum Wort“. Für den Europäer wirkt ein solcher Satz wie eine metaphorische Zeile aus einem Gedicht. Aber die Afrikaner
am Tisch beharren auf der Diskussion: Ist es möglich, dass meine seit Jahren
geübte Schrift noch gar nicht richtig zum Wort geworden ist? Bücher sind
Schrift, und ich habe diese heute den Anwesenden zu Hören gegeben. Damit,
sagt einer, sei sie Wort geworden. Und wie sehr sie es geworden ist, das erlebte ich wenige Sekunden später: Plötzlich stürmte ein junger Besucher meiner
Lesung an unsern Tisch und rezitierte mir, dem Autor, emphatisch ganze Abschnitte aus dem Text, den er eben im Saal gehört hatte, auswendig vor. Jetzt
war ich sprachlos. Der Junge konnte die Texte unmöglich schon gekannt haben, er hat sie gespeichert während er sie in der Lesung hörte. Und gehört hat
er sie ja nicht mehrmals. Dieses stupende Speicherungsvermögen muss die
Folge sein, einer Literaturvermittlung, die auf die Mechanismen des mündlichen Weitergebens baut. Sprechen und Hören sind Aktivitäten, die sich fortwährend gegenseitig intensivieren, („etwa so, wie Haare schneller wachsen, je
öfter man sie kürzt“) und zudem: Sprechen und hören muss nichts mit Lesen
zu tun haben. Meine Verblüffung von einem Unbekannten lange Passagen aus
meinem eigenen Katalog von Allem „por memoria“ vorgetragen zu bekommen, war so groß, dass ich mir vornahm, mir den Unbekannten voller Hochachtung zum Bekannten zu machen und mir den Namen des ungestümen Rezitators für alle Zeiten zu merken: Er heisst Sangaré Okapi.
Dass offenbar jene Geheimnisse, die einst die europäische Faszination für
Afrika weckten und die ein aufgeklärtes 21. Jahrhundert längst gelöst zu haben scheint, noch immer irgendwie virulent werden können, das erfuhr ich
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Peter K. Wehrli
bei einer Lesung in der Kunstakademie ENAV. Ich hatte dort von den Lautgedichten der Dadaisten gesprochen, die überzeugt waren, dass – Marcel
Janco sagte es so: – „die nur nach klanglichen Gesetzen gebauten Texte, weil
sie Musik sein wollen, überall auf der Welt ohne Übersetzung verständlich
sein müssen“. Als Beispiel für Klangpoesie, Lautgedichte, die auf vernunftmäßig nachvollziehbaren Inhalt verzichten und als „phonetische Poesie“
wahrgenommen werden wollen, rezitierte ich Hugo Balls Klangpoem Die
Karawane, das mit der Lautfolge „Jolifanto bambla ô falli bambla“ beginnt.
Erstaunlich teilnahmslos nahmen die afrikanischen Studenten, die erklärtermaßen noch nie etwas vom Dadaismus gehört hatten, die Ballsche Wortmusik sanft lächelnd zur Kenntnis. Als ich aber zur vierzehnten Zeile kam „wulubu ssubudu uluw ssubudu“, da breitete sich eine Unruhe im Hörsaal aus,
ein Raunen und Munkeln, das mich arg irritierte. So sehr, dass ich darob den
Textfaden verlor und diese vierzehnte Zeile wiederholte. Jetzt wuchs das Geraune zum Zischeln und Geflüster, als hätte ich entweder etwas fürchterlich
Unanständiges oder gar etwas Blasphemisches gesagt. Ich versuchte herauszubekommen, was denn die Zuhörer an diesen vier erfundenen Wörtern so
beunruhigt hatte. Aber da war nichts zu machen. Nicht etwa, dass die Studenten schwiegen, aber ihr zögerndes Gemurkse gab mir den Eindruck, als
redeten sie um das herum, was eigentlich zu sagen wäre. Eine Zeile aus einem europäischen Gedicht von 1917 konnte 2006 in Afrika Beunruhigung,
fast schon Aufruhr, auslösen. So irrational es auch klingen mag: es war, als
hätten die Studenten die geheime Botschaft verstanden, die in Balls Gedichtzeile verborgen sein könnte. Und weil in den verstörten Reaktionen auf „wulubu ssubudu uluw ssubudu“ auch etwas Verängstigtes mitklang, legte ich
mir eine Erklärung zurecht, an die ich mich immer noch klammere, nämlich
die, Hugo Ball habe – und ziemlich sicher unwillentlich – in dieser Zeile
Vierzehn einen überlieferten Zauberspruch zitiert oder verarbeitet, wie man
ihn vielleicht heute noch zu hören bekommen kann, wenn man einen der im
Alltag immer wieder angerufenen afrikanischen Magier, den advinho, den
curandeiro oder gar den feiticeiro, bittet, ein Versagen, ein Unglück oder ein
Missgeschick ungeschehen zu machen.
Garcia Bires, der angolanische Dichter, der als Botschafter Angolas in Maputo lebt, erklärte mir mit verschmitztem Lächeln auf den Lippen, die portugiesischen Kolonisatoren hätten seit ihrer Ankunft im Land 1498 die Kraft
der oralen Literaturvermittlung unwillentlich gestärkt: Ihr Schulsystem sei
vom Kindesalter an ganz auf das erzwungene Erlernen der portugiesischen
Sprache aus gerichtet gewesen und auf das Auswendiglernen der Hauptwerke der Dichtkunst. Wer die klassischen „Luisiaden“ von Camões auswendig
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„Lesen – anderswo…“
rezitieren konnte, der hatte Chance zum Lieblingsschüler des Lehrers zu
werden. Neben Sprachunterricht und Auswendiglernen wurde kaum Gewicht gelegt auf die praktischeren Fächer wie Mathematik oder Physik. Listig
akzentuierend meinte er, deshalb seien die Bürger der portugiesischsprachigen Länder Afrikas allesamt schlecht in Mathematik. (“Os africanos lusophonos todos são maus em Matematica.“)
Diese von den Kolonisatoren antrainierte Fähigkeit, große Textmengen im
Hirn zu speichern, hätten die Guerillakämpfer im Befreiungskrieg dann als
Waffe gegen die Kolonisatoren eingesetzt. Die Poesie sei ihr Stärkungsmittel
gewesen, ihr „Energy Drink“, denn Nacht für Nacht hätten sie einander am
Lagerfeuer mit den Gedichten ihrer revolutionären Lyriker Craveirinha, Alda
do Espirito Santo und Agostinho Neto Mut zugesprochen und Kraft für den
Angriff auf die Portugiesen am nächsten Morgen. Die Dichtkunst habe sich
verbreitet und sich geschärft am Widerstand gegen die Portugiesen. Und
dann fügte er mit einem fast schon beseeligt wirkenden stillen Lächeln bei:
„Zur Befreiung des Landes von den Kolonisatoren hat also ganz wesentlich
auch die Poesie beigetragen!“
Mit einer weitern Überraschung wartete mir Maputo auf: Eine meiner Lesungen war zu meinem Erstaunen in deutscher Sprache angekündigt, nicht
in der dort vertrauten portugiesischen. So stellte ich mir denn vor, dass allenfalls einige in Moçambique arbeitende deutsche Entwicklungshelfer, Angestellte der Filialen großer deutscher Firmen wie BASF, Volkswagen oder
Deutsche Bank sich zur Lesung einfinden würden, – falls überhaupt. Ich war
sicher, dass die deutsche Ankündigung nur ein sehr, sehr kleines Publikum
anzöge und stellte mich darauf ein, vor einem fast leeren Saal auftreten zu
müssen. Aber: weit gefehlt! Der Saal war brechend voll. Und was mich am
meisten erstaunte: Nicht die erwarteten deutschen Firmenangestellten saßen
da, die Gesichter der Besucher, die sich da drängten, hatten durchaus alle
eine afrikanische Hautfarbe. Ein schwarzes Publikum, – und nicht ein einziges bleiches europäisches Gesicht. Diese unerwartete Sonderbarkeit musste
ich mir erklären lassen: Die beiden sozialistischen Länder Moçambique und
DDR praktizierten jahrelang ein Austauschprogramm „sozialistischer Bruderhilfe“, in dessen Rahmen nicht weniger als 20'000 Mosambikaner und
auch Mosambikanerinnen zur Ausbildung und zur Arbeit in die DDR verpflanzt wurden. Dort durchliefen sie zuerst Tag für Tag strenge Kurse in
deutscher Sprache und Kultur, bis ihnen dann eine Arbeitsstelle, meist in einer Fabrik, zugeteilt wurde. Vielleicht klang da doch etwas wie Neid mit, als
einer der Besucher bemerkte, ihre Situation sei eine ganz andere gewesen,
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als die etwa der vielen Türken in Westdeutschland, die auch dann zu einer
Stelle kamen, wenn sie Deutsch kaum radebrechen konnten. Dieses eingehende Vertrautsein mit deutscher Sprache und deutscher Kultur trägt nun,
nachdem sich das Staatsgebilde DDR verflüchtigt hat, sonderbare Früchte in
Afrika: Etwa die stupend vitale Theateraufführung, in der eine Gruppe von
Rückkehrern gezeigt wird, die, nachdem sie in der DDR mit Friedrich Schiller vollgestopft worden waren, nun Schillers „Räuber“ in Moçambique aufführen will. Geistvoller, und auch verschmitzter sind wohl die Unterschiede
zwischen den Kulturen selten kommentiert worden als in dieser Aufführung.
Die Rückkehrer aus der DDR bilden heute in Moçambique geradezu eine eigene Bevölkerungsschicht, man könnte fast von einer sozialen Klasse sprechen, die „Magermanes“ genannt wird, eine Bezeichnung in der das deutsche
„Germane“ mitklingt. Nicht nur in Bühnenform schlägt sich der Erfahrungsreichtum der DDR-Mosambikaner nieder: Ein literarischer Wettbewerb unter den Rückkehrern hat zum zweisprachigen Band Mosambik – Deutschland, hin und zurück geführt, ein beeindruckender Beitrag zum Nutzen des
Kulturaustausches für beide Seiten. Angeregt von der europäischen Haltung,
Literatur als etwas Geschriebenes und Gedrucktes aufzufassen, haben mehrere Rückkehrer ihren DDR-Aufenthalt nun in Buchform reflektiert. Einer
der vielen Schwarzen, die den Saal bei meiner Lesung füllen, Fernando Pedro, überreicht mir sein Buch Magermanes na RDA, eine Sammlung von Erzählungen über das Widerspiel von Fremde und Vertrautheit in der fernen
deutschen Welt. In der Form von gedruckten Büchern holt mich nun also europäisches Kulturverständnis wieder ein in Moçambique. Und auch wenn in
der Diskussion mit den Anwesenden einmal die ironisch gefärbte Bemerkung fällt, „Sprechen kommt von Sprache, Schreiben kommt von Schrift“,
diesmal brauche ich mich nicht zu schämen dafür, dass ich bei der Lesung
Papier in den Fingern halte.
BOLIVIEN
Als ein Teil des „Katalogs von Allem“ in die spanische Sprache übersetzt worden war, gab es, wie es mittlerweile üblich ist, natürlich auch eine Buchvernissage. Und da das Buch unter dem Titel „Der Lateinamerikanische Katalog“ im Verlag „Los Amigos del Libro“, La Paz und Cochabamba, erschienen
war, kam der Autor überraschenderweise zu einer Einladung ins Andenland
Bolivien. Er nahm sie sehr gerne an, und da er um seine schwächlichen Spanisch-Kenntnisse wusste, setzte er sich hin und übte tagelang den möglichst
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fehlerfreien Vortrag seines Textes. Er hatte den verständlichen Ehrgeiz, bei
der Buchvernissage das Publikum mit einem mehr oder weniger einwandfreien Vortag überzeugen zu können. Schließlich hatte er zufrieden zu sein,
als der Text geläufig und ohne verlegenes Gestotter auf Spanisch über die
Lippen kam. Dass sein schweizerischer Akzent stets und immer noch durch
sein Spanisch durchschlug, konnte er angesichts des näher rückenden Abreisetermins dann doch nicht mehr korrigieren. Die zu Kontrollzwecken gemachte Tonbandaufnahme überzeugte ihn, dass er immerhin leidlich und
vielleicht sogar überzeugend vor dem Vernissagenpublikum bestehen könne.
Und wenigstens bestehen können, das wollte er.
Da sonnte er sich dann am Vernissagetag in einer Aufmerksamkeit, die er im
fernen Erdteil nicht erwartet hatte. Woher wohl nur die vielen Fotografen
kamen, die den Autor herumbugsierten, um ihn in immer neuen Gruppierungen mit Leuten aus dem Publikum für Sekunden erstarren zu lassen? Das
wird man als Autor wohl mit sich geschehen lassen müssen, dachte sich der
aus der Schweiz Herbeigereiste. Auf der Bühne des Saales im Kulturzentrum
der Stiftung Patiño in Cochabamba standen erstaunlicherweise sechs Stühle
und ein Sessel. Einer hätte doch durchaus gereicht für den vorlesenden
Gast? Doch als die Scheinwerfer dann die Bühne mit festlichem Licht übergossen, und der Autor auf die Bühne gebeten wurde, stellte er überrascht
fest, dass neben ihm noch sechs andere Personen hinaufstiegen. Einer von
ihnen war ihm noch unten zwischen den Stühlen als der Übersetzer des Buches vorgestellt worden.
Die Gastgeberin, die Leiterin des Patiño-Kulturzentrums, begrüßte das Publikum und referierte detailliert über die Bereitschaft der Stiftung zum Kulturaustausch von den Anden bis zu den Alpen und gab schließlich das Wort
an den Verleger weiter. Dieser erinnerte in seiner Rede daran, wie sich der
Schweizer Autor und sein Verleger 1972 am bolivianischen Stand der Frankfurter Buchmesse erstmals begegnet seien und welche erfreulichen Folgen
dieses erste Treffen gezeitigt habe und lud dann den Schweizer Honorarkonsul in Cochabamba ein, nun seine Rede zu halten. Der auf seinen Einsatz
wartende Autor würde gerne vermelden, worum es in der Rede des Honorarkonsuls ging, er kann dies deshalb nicht, weil er inzwischen, von Lampenfieber gezwickt, begonnen hatte, seinen spanischen Text zu memorieren und
doch beim Publikum den Eindruck zu erwecken versuchte, er höre aufmerksam den Reden zu, die da zu seinen Ehren gehalten wurden. Als der Autor
dann, von seinem verstohlen hinter seiner Mappe aufgeschlagenen Buch aufschaute, merkte er, dass jetzt die Präsidentin des bolivianischen PEN-Clubs
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an der Reihe war und von der großen Aufgabe schwärmte, in der Welt für
das „freie Wort“ einzustehen. Aber da war der Autor schon wieder heimlich
in seinen Text abgetaucht und gab sich Mühe, dem Publikum nicht durch
Lippenbewegungen zu verraten, dass er spanische Ausspracheübungen absolvierte. Denn angehörs dieser in perfektem Spanisch vorgetragenen Reden
wuchs im Autor die Vermutung, mit seinem havarierten Spanisch in seiner
Lesung gewaltig abzufallen. Der Blick in die Zeilen seines Buches gab ihm
immerhin die Sicherheit, beim Vorlesen dann den Faden nicht zu verlieren.
So bekam der Autor auch wenig mit von der Rede der bolivianischen Germanistin, die, mit dem Ehrgeiz, den sie ihrer Wissenschaft schuldig zu sein schien, „die Katalogform als literarische Gattung“ zu analysieren begann. Als sie
danach die einzelnen Katalognummern ausführlich auf ihren Bezug zur lateinamerikanischen Realität hin zu deuten anfing, tröstete sich der auf seinen vorzutragenden Text konzentrierte Autor mit der rettenden Möglichkeit,
die Germanistin um das Manuskript ihrer Rede zu bitten, um wenigstens im
Nachhinein erfahren zu können, was sie über ihn gesagt hatte. Niemand im
Publikum – da war der Autor sicher – konnte sein verzweifeltes Bemühen,
den Text unbemerkt einzuüben, wahrgenommen haben, denn er hatte das
Buch mit seinem Text unter dem Tisch auf seinen Knien verborgen. Dass jeder im Publikum von unten her freie Sicht auf das Buch hatte, in dem der
Autor hektisch – und vermeintlich heimlich – blätterte, das merkte er erst,
als er das vom Oberschenkel auf den Boden gefallene Buch aufzuheben versuchte. Mit gespielter Gelassenheit legte er das Buch vor sich auf den Tisch,
als ob nichts wäre außer seine Aufmerksamkeit für die Ansprachen der Vorredner. Als die Germanistin dann zur Zusammenfassung ihrer Erkenntnisse
ansetzte, hatte der Autor seinen Zeigefinger wieder im Verborgenen zwischen die Seiten seines Buches gesteckt und klappte es gerade auf, als ihn der
Applaus des Publikums auf das Ende der germanistischen Ausführungen
aufmerksam machte. Aber nicht er war jetzt an der Reihe, das merkte er, weil
nun der Übersetzer mit seinem Referat begann. Als er von der Lust sprach,
wie ein Taucher, der ein exotisches Korallenriff erforscht, in eine fremde
Sprache hineinzutauchen, rezitierte der Autor, jetzt schon fiebrig fast, nach
innen, nicht nach außen sprechend, seinen Text, und er war sicher dass
seinem Mund nichts von seinen Bemühungen anzusehen oder gar anzuhören
war. Denn er wollte, wenn er an der Reihe war, bestehen können vor dem gestrengen Publikum, – und vor dieser erlauchten Runde. Von den Erläuterungen des Übersetzers über die morphologischen Aspekte seiner Arbeit bekam
der nun schon fast vor Erwartung und vor Furcht zitternde Autor nichts mit,
denn er hatte verzweifelt festgestellt, dass er überhaupt nicht mehr wusste,
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ob das spanische ‚g’ als ‚ch’ oder als ‚k’ auszusprechen war, ob das spanische
‚j’ ein ‚sch’ ist oder ein ‚ch’, als das sich bereits das ‚g’ aufspielte. Und als er
mit halbem Ohr merkte, dass der Übersetzer in seinem Text das deutsche
„kauern“ mit „kauen“ verwechselt hatte, sodass die Bettler nun nicht an der
Kirchenpforte kauern, sondern dort genüsslich kauen, da schien ihm der
Bühnenboden ins Wanken geraten und alle seine tagelangen spanischen
Sprechübungen vergeblich gewesen zu sein. Der Applaus für den Übersetzer
weckte ihn aus seinem Alb und holte ihn in den Saal in Cochabamba zurück,
wohin er zur Première seines eigenen Buches geladen worden war. Jetzt oder
nie: Er sammelte alle seine Energie, rückte sein Rückgrat gerade, und schlug
sein Buch auf. Er hatte noch keines seiner so lange eingetrichterten spanischen Wörter gesprochen, da merkte er, dass die sechs anderen Personen auf
der Bühne sich von ihren Stühlen erhoben und in den Vorhängen zur Seite
verschwanden. Für die Lesung, dachte er, überlässt man die Bühne allein
dem Autor, und als er wieder ansetzen wollte zu „el misterio que aflora en mi
violenta necesidad de viajar…“, da sah er, dass sich auch das Publikum von
seinen Sitzen erhoben hatte, und als dann der Vorhang fiel, da wurde ihm
klar, dass eine bolivianische Buchpremière nicht – wie er es von der Schweiz
her gewohnt war – aus einer Lesung des Autors besteht, sondern darin, dass
sich der in einen Ehrensessel platzierte Autor kluge und möglichst tiefsinnige Reden über seine Arbeit anzuhören hat.
PARAGUAY
Wenn es stimmt, dass uns andere Länder, wie das Sprichwort sagt, mit andern Sitten und Gebräuchen konfrontieren, dann müssen auch die Formen,
in denen sich Dichterlesungen abspielen, von Land zu Land verschieden
sein. Und nirgends waren sie bisher so anders wie in Paraguay. Erstaunt war
ich schon, als ich mit ansehen musste, wie sich der Saal mehr und mehr füllte bis kein Platz mehr frei war. Und als ich beobachtete, welch üppiges Buffet
mit Fleisch und Früchten und Desserts im Rücken des Publikums aufgebaut
wurde, begann ich zu ahnen, diese verlockenden Leckereien könnten – mehr
als der in Paraguay vollkommen unbekannte Name Peter K. Wehrli – der
Grund für den überraschenden Publikumszustrom sein. Und aufgefallen war
mir auch, dass die Leute beim Eintreten alle ihre namentlich ausgestellte
Einladungskarte zur heutigen Lesung in einen unter der Tür platzierten Papierkorb fallen ließen. Als ich über die Gründe für eine solch eigenartige Sitte
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brütete, entdeckte ich am untern Rand meiner Karte den kleingedruckten
Satz: „Nehmen Sie diese Einladungskarte bitte zur Lesung mit, sie wird an
einer Verlosung teilnehmen“. Da wurde mir klar, dass wohl etwa die Hälfte
der Leute im Saal des Buffets, und die zweite Hälfte der Verlosung wegen zur
Lesung gekommen sein musste. Und vielleicht waren doch auch einige darunter, die gekommen waren, um zu hören, was ihnen der unbekannte
Schreiber aus der Schweiz da mitzuteilen hatte. Und dass es so war, das erfuhr ich als ich schon am Autorentisch saß und wartete, bis der Schweizer
Botschafter in Paraguay höchstpersönlich mit der angekündigten Einführungsrede begann. Noch bevor er beginnen konnte, setzte sich unversehens
eine Karawane im Saal in Bewegung, Leute hatten sich von ihren Plätzen erhoben und schritten nun hintereinander auf den Tisch zu, an dem ich saß.
Das seien die Schriftsteller Paraguays, flüsterte mir der Botschafter zu, es sei
ihre Sitte, auf diese Weise den aus einem andern Kontinent herbei gereisten
Kollegen zu begrüßen. Die Anwesenheit so vieler paraguayischer Autoren
verwunderte mich, denn noch immer hatte ich die Klage der Präsidentin des
Deutschschweizer PEN-Zentrums in den Ohren, dass in der Schweiz kaum je
ein PEN-Mitglied als Zuhörer zu einer Lesung eines anders PEN-Mitgliedes
erscheine. Hier aber, in Asunción, Paraguays Hauptstadt, schienen die
Schriftsteller ihre Anwesenheit wie eine Ehrenpflicht zu zelebrieren: Einer
nach dem andern traten sie an meinen Tisch heran, nickten grüssend mit
dem Kopf, und legten jeder und jede schweigend ein Buch aus ihrer Feder
vor mich hin. Die einen taten es mit dem Aplomb, den das Gewicht ihres
Bandes beim Aufklatschen auf die Tischplatte erzeugte, andere schoben ihr
Werk verschämt und mit fast heimlichen Gesten vor meine Augen. Mein
Kopfnicken vor jedem war ein Zeichen des Dankes. Und während sich die
Karawane auf mich zu bewegte, erfuhr ich vom Botschafter, dass die paraguayischen Autoren als Gegengabe nun ein Exemplar eines Buches von mir
erwarteten. Dass mich diese Pflicht nicht zur Verzweiflung brachte, war nur
der Tatsache zu verdanken, dass mein Verleger der spanischen Übersetzung
gleich im Nachbarland Bolivien hauste. Von Europa aus wären die Bücher
weitaus schwieriger herbeizuschaffen gewesen.
Dann stieg die offizielle Begrüßungsrede, in der die Anwesenden darüber informiert wurden, was der eben in Paraguay angekommene Schweizer bisher
getan und geschrieben hatte. Und sie endete im Zuruf: „Nun folgt die Ziehung!“ Der Redner hob den Papierkorb mit den Einladungen zum heutigen
Abend auf den Lesetisch. Er rührte mit der Hand darin, schloss kurz die Augen und als er sie wieder öffnete las er vom gezogenen Zettel den Namen der
Siegerin. Sie hatte einen der versilberten Kugelschreiber, der nostalgischen
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Retro-Linie gewonnen, welche die Firma Caran d’Ache zwecks Literaturförderung für die heutige Lesung gestiftet hatte. Sie trat vor und nahm das
Schweizer Produkt, das in Paraguay als elegantes Schmuckstück gilt, sichtlich dankbar entgegen. Er zog das zweite und verkündete dann „Nun wird
der Schweizer Autor das dritte Siegerlos ziehen!“. Und dieser zog es. Als er
den Namen des Siegers auf der Karte las, fiel ihm auf, dass ihm dieser selbe
Name, Esteban Bedoya, bereits heute Nachmittag beim Stöbern in der Buchhandlung auf einem Umschlag aufgefallen war. Das Buch hatte meinen Argwohn geweckt, weil sein Titel Der Bärengraben hieß. Ich hatte wahrlich
nicht erwartet, dass damit der Berner Bärengraben gemeint ist, denn es
könnte doch durchaus auch in Paraguay mehrere Bärengräben geben. Aber
nein, ich staunte: Das Buch beginnt auf der Kirchenfeldbrücke, dort wo sie
von der Thunstrasse abgeht, und führt den Helden durch die Zeughausgasse
in die Brunngasse, er fährt mit Tramlinie 9 bis Wabern, und nimmt seinen
Zvieri im Kornhauscafé am gleichnamigen Platz ein. Ungemein präzis, ja minutiös, ist da das Berner Lokalkolorit eingefangen, so kann nur jemand
schreiben, der Bern ganz eingehend genau kennt. Die Tatsache, dass ich da
mitten in Asunción ein kleinteilig differenziertes Bild von Bern vor mir hatte,
verblüffte mich derart, dass mich gleich im Buchladen noch die verschmitzte
Lust befiel, diese Novelle ins Deutsche zu übersetzen. Und jetzt also stand
unverhofft dieser Autor als Sieger der Ziehung vor mir. Woher er denn Bern
so bestürzend genau kenne, fragte ich ihn bei der Preisübergabe. „Ich war
acht Jahre lang paraguayischer Botschafter in Bern“, antwortete er. Da wurde mir klar, dass ich mich hier in jenem Erdteil befand, dessen Länder jahrzehntelang statt Wirtschaftsvertretern und Nationalstatistikern ihre bedeutendsten Dichter als Botschafter in die Welt hinaus geschickt hatten. Das
Bild, das sie in fernen Weltgegenden von ihren Ländern entworfen haben, ist
noch immer von kultureller Sinnenhaftigkeit grundiert.
Als auch der Autor von Bärengraben seinen Kugelschreiber, Retro Linie, in
Empfang genommen hatte, konnte endlich die Lesung beginnen. Ich las, ich
las mit Leidenschaft, denn solange ich mich an den vorbereiteten Text zu
halten hatte, konnten sich keine spanischen Fehler einschleichen. Ich hatte
aber nicht mit einem offenbar typisch paraguayischen Brauchtum gerechnet:
Die Diskussion mit dem Autor war nicht – wie es in Europa üblich ist – auf
das Ende der Lesung anberaumt, nein hier in Paraguay darf das Publikum jederzeit mit Fragen in die Lesung hineinplatzen, den Schriftsteller unterbrechen, wenn jemand einen geschilderten Sachverhalt präzisiert haben möchte. Und von diesem Recht haben die Zuhörer ausgiebigen Gebrauch gemacht.
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Als mein Text eine dürftige Varietévorstellung in einem abgewrackten römischen Vorstadtvariété schilderte, fuhr eine eher wohlhabend bekleidete
Dame mit der Frage dazwischen: „Wurde dort die Oper Cavalleria Rusticana gespielt?“ Nein, dort wurde ein drittklassiges Tingeltangel mit viertklassigen Tänzerinnen aufgeführt, deren Netzstrümpfe in Rümpfen um die Schenkel flatterten. Die Dame ließ sich nicht beirren, sie blieb bei Cavalleria Rusticana und erkundigte sich, warum denn in drittklassigen Vorstadtvarietés
keine Opern aufgeführt würden? Endlich ließ sie mir die Gelegenheit einige
Zeilen weiter zu lesen, bis zur Stelle, an der ein Herr wissen wollte, welches
Verhältnis der Autor denn zu Federico Fellini habe. Er war glücklicherweise
zufrieden, als ich ihm sagte, der Schauplatz meiner Novelle sei genau jenes
Varieté Ambra Jovinelli, das Federico Fellini in seinem Film Amarcord verewigt habe. Als ich mit meinem Vortrag etwa zwölf Zeilen weiter war, wollte
ein anderer Herr wissen, ob meine Auffassung von der Aufgabe der Literatur
mit jener des trinidadesischen Theoretikers Summerhill deckungsgleich sei.
Dazu könne ich nur schon deshalb nichts sagen, stotterte ich, weil ich den
Namen dieses verwegenen Theoretikers eben jetzt zum ersten Mal gehört
hätte. Ich versuchte alle diese Fragen möglichst kurz und knapp zu beantworten, denn ich spürte, dass ich, wenn ich mich nicht an den fest formulierten Lesetext halten konnte, in ein havariertes Spanisch verfiel, dessen Fehlerhaftigkeit ich so zu vertuschen suchte. Entnervt ob der Unterbrecherei tat
ich, als überhörte ich gewisse Fragen aus dem Publikum und las, demonstrativ auf das Papier konzentriert, trotzig weiter. Der nächste Frager aus dem
Publikum wollte wissen, ob der Schaumwein, den sich der arg behinderte
junge Sunny nach seinem vermeintlichen Triumph im Kampf um die Gunst
der Soubrette im Varieté ganz allein leistete, Champagner oder Proseco gewesen sei, und ich war froh, dass ich nur das Wort „Spumante“ aussprechen
musste. War es wohl die Vorfreude auf meine Weiterreise nach Brasilien, die
dazu führte, dass fast jeder meiner frei gesprochenen Sätze zwar richtigerweise spanisch begann, dann aber unweigerlich portugiesisch endete? Ich
zitterte bei der Vorstellung, es könne bei den bevorstehenden Lesungen in
Brasilien dann – umgekehrt – jeder Satz, der richtigerweise portugiesisch
beginnt dort dann im unwillkommenen Spanisch enden.
Mein heimlicher Ehrgeiz, aus dem absonderlichen Stolpern vom Spanischen
ins Portugiesische, und umgekehrt, den eigentlichen Reiz meiner Lesung zu
machen, fand seine befreiende Erfüllung erst, als der Botschafter in seinem
Schlusswort dem Publikum einredete, mein vom Portugiesischen zerfleddertes Spanisch, gebe meinem Auftritt seinen unvergleichlichen „toque simpatico“. Das Publikum applaudierte so heftig, als würde es diese Ansicht teilen.
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Und es demonstrierte dies dann auch darin, dass es mich richtiggehend belagerte mit der Bitte, Widmung um Widmung in die erworbenen Bücher zu
schreiben. Eine volle Stunde lang kritzelte ich Widmungen und Unterschriften, denn ich fühlte mich verpflichtet den Paraguayern nicht einfach allen
den selben Gruß ins Buch zu schreiben, sondern der Widmung irgend eine
weise Sentenz und gute Wünsche beizufügen. Als ich nach einer Stunde vom
Tisch und von den Büchern aufschaute, um nun meinen seit dem Frühstück
leer gebliebenen Magen mit wohlverdienter Speise zu beruhigen, entdeckte
ich, dass das Buffet abgegessen war und nur noch leere Platten dort standen.
Jetzt erst merkte ich, dass mir die ungewohnte Spontanfragerei nur zweieinhalb Manuskriptseiten vorzulesen erlaubt hatte …
Da wandte ich mich den etwa dreißig Büchern zu, welche die paraguayischen
Kollegen in ihrer Karawane am Anfang vor mich hin gelegt hatten und sah,
dass jedes mit einer Widmung des Autors, der Autorin versehen war, die
mich in Paraguay willkommen hieß. So problemlos allerdings lässt sich die
schöne paraguayische Sitte des kollegialen Bücherberges aber nicht in andere Länder übertragen. Als ich nämlich das Gewicht der Beige abzuschätzen
wagte und an die Gewichtsbeschränkung von 20 Kilo beim Fluggepäck dachte, da erwägte ich, die weniger interessanten Bände wohl oder übel auszuscheiden. Dies allerdings wäre ein unentschuldbarer Verstoß gegen die geheiligte paraguayische Freundschaftsgeste gewesen. Dass ich mich dieses
Verstoßes nicht schuldig machen musste, verdanke ich dem Botschafter. Ungefragt hat er mir angeboten, den ganzen Bücherstapel – Kulturaustausch ist
heilig – per Diplomatenkurier in die Schweiz schicken zu lassen.
AMAZONIEN
„Gibt’s denn Bücher am Amazonas?“, wurde ich gefragt. Und tatsächlich:
Wer an den Amazonas denkt, denkt an Urwald, Indianer, Wildnis, aber sicher nicht an Bücher. Das ist bei mir nun anders: Die Bücher am Ufer des
Amazonas kommen mir zuerst in den Sinn. So stark waren die Eindrücke,
welche die Teilnahme an der Buchmesse in Belém, im Mündungsgebiet des
Amazonas, in meiner Erinnerung hinterlassen hat. Und weil die Teilnahme
an der Messe allen jenen Ländern offensteht, die an das Amazonasbecken
angrenzen, heißt die Messe offiziell „Pan-Amazonische Buchmesse“.
Was eine richtige Messe ist, das legt sich stets ein ‚Gastland‘ zu. Und diesmal
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war Deutschland eingeladen, seine Literatur im heißen Winterklima Amazoniens vorzustellen: „Pais homenageado: Alemanha“. Und da wer deutsch
schreibt, unweigerlich zur deutschen Literatur zählt, konnte es geschehen,
dass mich die Einladung ereilte, auf der Messe aus dem Katalog von Allem
vorzulesen.
Hat sich bei der Ankunft die Tür des zu Kühlschranktemperatur herunter gekühlten Flughafens von Belém hinter dem Ankömmling geschlossen, so
überzieht gleich die dumpffeuchte heiße Tropenluft den Körper mit einem
Schweißfilm, das Hemd wird zum getränkten Tuch. Die Banknote für das
Taxi in der Brusttasche des Hemdes ist schnell ein nasser Lappen. Und die
Furcht spukt durch den Kopf, ob das Papier von Büchern unter den Einwirkungen der Äquatornähe nicht feucht werde, der Leim des Einbandes
schmierig. Die Luft ist gesättigt von warmer Nässe. Sie schmiegt sich um den
Körper, lullt ihn förmlich ein wie eine triefende Decke. Ein Hochgefühl, so
wohlig umschmeichelt zu sein.
Auf dem Weg zur Messe dann das Unbehagen, an hunderten von behelfsmäßigen Ständen vorbeizugehen, an denen Feuerzeuge, Damenslips, Büchsenöffner ausgerufen werden von Händlern, deren Tagesumsatz nicht einmal
den Erwerb der heutigen Zeitung erlaubt, an dem an der Uferstrasse ausgebreiteten Fang der Fischer, die sich ein Buch auch dann nicht leisten könnten wenn sie des Lesens mächtig wären. Da spukt die Frage durch den Kopf,
was eine Buchmesse soll in diesem armseligen Ambiente, und die Zuversicht,
geweckt von der Erinnerung an die Antwort brasilianischer Schriftstellerinnen auf die Frage: „Was bedeutet es, Autorin zu sein, in einem Land mit so
wenigen Lesern und so vielen Analphabeten?“ Diese mehrmals gehörte
Antwort, man müsse als Schriftsteller hier eben seine Stoffe, seine Botschaft
auch andern Medien anvertrauen als einfach nur dem gedruckten Buch der
Leser. Aus all dem baute sich im Schweizer Besucher die Vorstellung einer
Buchmesse auf, in der sich verträumte Schöngeister auf einer elitär
eingerichteten ‚Insel der Seligen‘ zu weltentrückten Gesprächen über
Probleme literarischer Ästhetik und die Theorien des neuen Menschenbildes
träfen, zu Verrichtungen also, die keinerlei Bezug zum Straßenbild der Stadt
und zu den gewalttätigen Bedingungen der Existenz hier haben könnten.
Beim Eintreten in die Messehallen dann wurde er aufs heftigste eines andern
belehrt. Messeplatz sind die alten Hallen der Docks am Hafen, wo einst die
Passagierschiffe und die Handelsschiffe aus Europa anlegten, die Möbel, Geschirr und Luxusgüter aus Paris in die Tropen brachten für die reich gewor-
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denen Gummi-Barone Amazoniens und die Verkaufsware für die Gestelle
des mittlerweile ausgeweideten Fin-de-Siècle-Warenhauses „Paris n’America“ (‚Paris in Amerika‘), das mir – auf dem Weg zum Messegelände – wie ein
Bühnenbild zum legendären Amazonas-Film ‚Fitzcarraldo‘ in die Augen
stach. Nach dem Portal galt es, sich einzureihen in die Schlange vor den Torbogen der Metalldetektoren der Sicherheitskontrolle – aber nur die Männer,
weiblichen Besuchern traute man Sabotagematerial oder gar Waffen offenbar nicht zu.
Und drinnen empfing den unvorbereiteten Schweizer ein wahres Kirchweihgetümmel. Dutzende von Schulklassen verschoben sich – unter lehrmeisterlicher Anführung – von Stand zu Stand, Familien trollten durch die Korridore, aus Kinderwagen tönte Geschrei, das Menschengewühl bot einen Querschnitt durch alle Rassen, aus denen sich das brasilianische Volk zusammensetzt, Schwarze, Mulatten, Indianer, Weiße, Mestizen, Gelbe. Und wer eines
besaß, der hatte für den Messebesuch das Sonntagsgewand angezogen. Im
Gedränge verteilten uniformierte Helfer an die Besucher, die heutige Ausgabe der großen Tageszeitungen Amazoniens. Sie alle enthielten mehrseitige
Sonderbeilagen zur Buchmesse. Über all dem Stimmengewirr und Kindergekreisch schwebte die durchdringende Klangwolke aus den Lautsprechern,
die unablässig Veranstaltungen, Lesungen ankündigten oder den ganzen Bücherrummelplatz mit Musik beschallten. Neben den neuen Romanen und
der allgegenwärtigen New Age-Lebenshilfe stachen vor allem jene Bände ins
Auge, die zeigen wie man die hiesigen Früchte züchtet, Cupuaçu, Bacurí,
Açaí, die, der Legende nach, außerhalb Amazoniens sofort zerfallen, wie man
auf Tropenboden Landwirtschaft betreibt und wie die Pupunha-Palme, die
abstirbt wenn man ihr das delikate Palmito entzieht, in Baumschulen schnell
nachwachsen kann. Im Gegensatz etwa zur Buchmesse Frankfurt, wo die
Stände von den Verlagen betrieben werden, ist hier jede Sparte, die zum Umlauf von Büchern beiträgt, berechtigt, Messestände einzurichten: Schriftstellerverbände, Buchhändler, Verlage, Agenten, NoG’s und Ministerien, Autorengruppen, Schulen, Auslieferungen. Und an fast jedem Stand lief ein Fernsehgerät oder spielte ein Musiker mit elektronisch übersteuerter Lautstärke
seine Gitarre. Wie hatten doch die Autorinnen gesagt: „...andere Medien als
einfach nur das Buch...“ Dies alles war darauf angelegt, Besucher zu Tausenden anzuziehen, Leute, die in ihrem Alltag kaum die Gewohnheit oder die
Möglichkeit haben, ein Buch zur Hand zu nehmen. Die vielfältigen Anreize
taten ihre Wirkung, allabendlich wurde die Buchmesse zum Treffpunkt der
belenensischen Jugend, die vierzehn Tage der Messedauer hindurch. Und
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sie, die Jungen, erfuhren hier ganz nebenbei, dass Bücher nicht nur harte
und eckige Gegenstände sind, sondern überbordende Welten, die sich in die
Tasche stecken lassen. Die Taktik: Neugier zu wecken für packende Themen.
Denn wessen Neugier einmal angestachelt ist, läuft schnell Gefahr, ein Leser
zu werden.
In diesem Gewirr von Neugierstimulantien fiel es schwer, ein stilles Eckchen
zu finden, in dem man sich in Bücher vertiefen konnte. Am ehesten noch am
Stand des Gastlandes Deutschland. Denn deutsche Bücher lösen in Amazonien begreiflicherweise nicht gerade einen Ansturm aus. Das Eigenartige und
Sympathische: Statt von einer offiziellen Amtsstelle Deutschlands wurde der
deutsche Stand – eine bestechende Architektur! – vom germanistischen Institut der Universität Belém betrieben unter der Leitung des umtriebigen Dozenten und Dichters Steven Uhly. Stempel in den Bänden von Grass, Walser,
Brecht verrieten, dass die ausgestellten Bücher aus den Gestellen der Seminarbibliothek stammten. In einem abtrennbaren Raum des geräumigen
Standes wurden die Vorträge und Lesungen durchgeführt. Derart anspruchsvoll waren die portugiesischsprachigen Referate zu Problemen der deutschen
Literatur, dass der Eindruck entstand, die Universität habe die Vorlesungen
für Germanistik in die Buchmesse verlegt. Was auch tatsächlich zutraf. Umso
erstaunlicher, dass neben den Germanistikstudenten stets auch eine unerwartet hohe Zahl von einheimischen Zufallsbesuchern das Sälchen füllten.
Noch keine meiner Lesungen wollte so intensiv vorbereitet sein. Im Hotelzimmer hatte ich geübt, denn ich wollte ja nicht nur für die brasilianischen
Germanistikstudenten aus dem Katalog von Allem vorlesen, sondern auch
für die andern Einheimischen. So wurde denn die zweisprachige Lesung unversehens auch zur Buchvernissage für die brasilianische Ausgabe, die bei
Stahli-Editora-Recife unter dem Titel O Catálogo Brasileiro („Der brasilianische Katalog“) erschienen ist.
Da war mir ein Stolperstein in den Weg gelegt worden: Das Dröhnen der
Durchsagen und der Musik aus den Hallenlautsprechern, die auch den kleinen deutschen Saal beschallten, riss mich immer wieder aus dem Text heraus und führte dazu, dass ich mich verhaspelte, – ich fand vor lauter versuchter Hingabe an den zu lesenden Text kaum Gelegenheit, mich darüber
zu wundern, dass sich keiner der Einheimischen am Lautsprechergeplärr
störte und alle getreulich an meinen Lippen hingen. Ich war der einzige, der
sich stören ließ. (Es gibt in Brasilien den Satz, der bei Anzeigen wegen
Nachtruhestörungen oft zitiert wird: „Die Strafe gebührt nicht dem, der
Lärm macht, sondern dem, der sich durch den Lärm stören lässt!“) Mehr
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noch als das sporadisch an- und abschwellende Geschepper aus den Boxen
irritierte mich das permanente Rattern der Klimaanlage, die wie ein Rasenmäher knatterte und mit ihrer Tiefkühlertemperatur die Angst weckte, eine
Erkältung mit herauszutragen.
Als ich, eigentlich aufgebracht, zum Drehknopf ging und die Kühlanlage abschaltete, griffen die Leute – und vorab die Frauen im Publikum – zu Programmzetteln und Prospekten, um sich damit demonstrativ Kühle zuzufächeln. Ich erlebte den Genuss, für ein Weilchen nicht gegen das Geratter der
AirCondition ansprechen zu müssen. Als ich sah, wie einzelne Besucher fast
schon japsend den Saal verließen, stellte ich widerwillig die Klimaanlage wieder ein und merkte – trotzig meine Sätze in den Motorenlärm sprechend –
erfreut, wie die Flüchtigen wieder in den Saal zurückkamen. („Wärme ist
veraltet, Kälte ist modern!“) Mit all diesen Unbilden der elektrischen Schallund Klimakünstlichkeit versöhnte mich die an die Lesung anschließende
Diskussion. Sie erreichte eine Lebhaftigkeit, die beglückend war, anregend,
und die zeigte, dass sich die Zuhörer von derlei Alltäglichkeiten wie Lautsprechergeplärr und Kühlaggregatgeknatter nicht vom vorgetragenen Text
hatten ablenken lassen. Nur ich.
Am meisten beeindruckte mich, dass sich jener Mann im Publikum am intensivsten an der Diskussion beteiligte, dessen Schlitzaugen, Hautfarbe und
schwarzen geraden Haare ihn als Indianer auswiesen, den ich mir eher in
den Urwäldern des amazonischen Hinterlandes als in den Hallen einer
Buchmesse vorstellen konnte. Mich faszinierte die Vorstellung, er könne einer jener vielen hier sein, die – so sagte man mir – Dichterlesungen deshalb
besuchen, weil sie selber nicht lesen können. Hier in Belém, im Stammland
der Indianer, fiel auf, dass Stände fehlten, an denen indianische Stämme ihre
Anliegen vertreten, Im Jahr zuvor hatte ich die cearensische Buchmesse in
Fortaleza besucht. Dort im Staat Cearà – viel weniger Kernland der Urbevölkerung als das Amazonasgebiet – traten die Indianer selbstbewusst auf, verteidigten ihre Kultur, hatten eigene Messestände. Und dort hatte ich das verstörende Erlebnis: Während einer meiner Lesungen drang Trommelgedröhn
durch die geschlossene Saaltür, das mich vom Text ablenkte. Ich hielt Nachschau und fand mich völlig irritiert im Tanz, den Indianer vom Stamme der
Tabajos im vollen Federnschmuck im Korridor vor dem Saal vollführten.
Zwei Welten nebeneinander. Nach der Pause las ich als ein Anderer weiter.
So nachhaltig und heilsam habe ich die legendäre „Allgegenwart des Andern“ nie erlebt. Nach diesen Erlebnissen in Fortaleza musste mir die Abwesenheit der Indianer an der Amazonischen Buchmesse umso mehr auffallen.
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Peter K. Wehrli
Der fortalezensische Germanist Wolfgang Cziesla erklärte sie mir: In Cearà
ließen sich die Indianer leichter zur Teilnahme an der Buchmesse bewegen,
weil sie stärker ‚akulturiert‘ seien als ihre Verwandten in den Urwäldern des
Amazonasgebiet, wo noch Stämme leben, die jeden Kontakt mit der modernen Welt verweigern. Als wollten Einzelne ein solches Bild ihrer geschundenen Rasse korrigieren, mischten sie sich in Belém unter das Messepublikum.
Und zwei von ihnen studieren Germanistik.
Überraschend die unerwartete Schweizer Präsenz: Blaise Cendrars, der aktiv
eingegriffen hatte in das brasilianische Kulturleben der Zwanzigerjahre, ist
hierzulande eine legendäre Figur. Er, der den Amazonas, noch ohne hier gewesen zu sein, phantasmagorisch und furchterregend beschrieben hat, ist zu
einer amazonischen Werkausgabe gekommen. Erschienen im Verlag UFP
hier in Belém. Er, der gesagt hatte, Brasilien sei das Land, das dem Besucher
den vollen Gegenwert gebe für alles, was er hinbringe, erhält nun von diesem
Land drei zweisprachige Bände von bestechender editorischer Brillanz. „Blaise
würde sich darüber freuen“, sagen die Brasilianer, sie betrachten den 1961
verstorbenen Schweizer längst als einen der ihren: „Die Welt heisst Brasilien!“
Als ich das Publikum im brechend vollen Amphitheater in der Mitte der
Haupthalle beobachtete, das die Lesungen von Autoren wie João Silverio
Trevisan, Zelia Gattai, die ihr Gedenkbuch an den Gatten Jorge Amado vorstellte, Ariano Suassuna oder Nelson Pereira dos Santos förmlich stürmte,
wurde mir die Nähe dieser Art von Lesung zur oralen Tradition der brasilianischen Volksliteratur bewusst. Also doch: „... andere Medien als einfach nur
das gedruckte Buch ...“ Als ich die fiebrigen Augen von Alt und Jung sah, die
sich in Bildgeschichten versenkten, als ich hörte, wie inständig ein Mann
vom Land darum bat, ihm den Inhalt von Mario de Andrades „Macunaïma“
nachzuerzählen, als ich beobachtete, mit welch stolzer Hingabe einer den
Umschlag eines Buches, das er bald einmal wird lesen können, mit Spucke
und dem Zipfel seines Hemdes reinigte, da merkte ich, dass ich hier in Amazonien auf einer Buchmesse bin, die auch als umfassende Alphabetisierungskampagne Gewicht hat.
Verlässt man das turbulente Reich der Bücher, so steht man unmittelbar am
Nebenarm des größten Flusses der Welt. In der Ferne ein dunkler Strich
über dem Wasser, das Ufer der Insel Marajó, die so groß sein soll wie die
ganze Schweiz. Auch auf der Insel wird geschrieben. „Lesen Sie marajóarische Literatur!“ stand auf Plakaten. Jetzt verschmiert ein blutroter Sonnenuntergang die waagrechte Linie des Horizonts.
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BUCHBESPRECHUNGEN
Lucia Gorgoi: Hermann Hesse − Sucher und Bewahrer, Casa Cărţii de
Ştiinţă, Cluj-Napoca 2004.
Das bereits vor längerem erschienene, verdienstvolle Buch von Lucia Gorgoi ist ein
Versuch, auf die Spur der Einflüsse auf Hesses Romane zu gelangen wie: Dualität
von Natur und Geist, Überwindung der Zwiespältigkeit, Erlangung der Harmonie,
Suche nach einer höheren Existenzform. Die Zielsetzung der Autorin liegt darin, diese Einflüsse zu untersuchen und gleichzeitig festzustellen, wie sie das Gesamtbild
der Weltanschauung von Hesse geprägt und bereichert haben. Nietzsches Denken,
die Tiefenpsychologie C.G. Jungs, die Lehren und die Symbolik der Gnostik, oder die
Philosophien des Fernen Ostens haben die Denkweise, den Inhalt und das Schaffen
von Hesse grundlegend beeinflusst, so dass sein Gesamtwerk ohne diese Einflüsse
kaum zu denken ist. Diese Begriffe sind Gegenstand der Untersuchung des Buches,
die dabei einer komparatistischen Analyse unterzogen wurden.
Die Autorin des Buches ist während der Analyse ihrer Zielsetzung treu geblieben. Sie
teilt ihr Buch in fünf Kapitel. Jedes Kapitel beschäftigt sich mit einem Aspekt des
Schaffens von Hesse. Die Zielsetzungen werden im ersten Kapitel formuliert, während die anderen Kapiteln die oben erwähnten Begriffen der Reihe nach erklären. Im
zweiten Kapitel schreibt Lucia Gorgoi über Friedrich Nietzsche als Hesses Vorbild
für die Jugend. Der Einfluss des Werkes von Nietzsche prägte nicht nur den Menschen Hermann Hesse, sondern auch seine Werke, vor allem den Roman Demian, in
dem der Hauptcharakter als der Typus des sich nach der Herrenmoral und nicht
nach der Herdenmoral orientierenden Ausnahmemenschen auftaucht. Im dritten
Kapitel wird auf die Psychoanalyse C. G. Jungs hingewiesen, so dass der Leser erfährt, in welchem Maßen Jung die Denkweise von Hesse beeinflusst hat, bzw. wie die
Suche nach dem Selbst in Hesses Romanen gestaltet wird. Der autobiographische
Hintergrund wird als Ausgangspunkt der Analyse betrachtet. Im vierten Kapitel lernen wir das gnostische Gedankengut kennen; Lucia Gorgoi sucht Antworten auf typische Fragen dieses Gedankenguts, z.B. woher kommt das Böse in der Welt, wie
kann man die Antinomien versöhnen und die helle und dunkle Welt in einem dualistischen Weltbild auffassen. Die Philosophien des Fernen Ostens bilden das fünfte
Kapitel. Dieses Kapitel stützt sich zum Großteil auf den Roman Siddhartha von Hermann Hesse, obwohl wir im Unterkapitel mit dem Titel Das strahlende Lachen auch
die Romane Demian und Der Steppenwolf erkennen können.
Die Analyse und Logik des Buches entspringen einem schrittweisen Verfahren. Die
Verfasserin untersucht am Anfang die bekannten und ausführlich kommentierten
Autoren, und erst danach wendet sie sich der Gnostik und den Philosophien des Fernen Ostens hin. Das Buch soll den vielen Lesern Hermann Hesses in Rumänien ein
Wegweiser sein, wie die Autorin des Buches selbst formuliert. Die Popularität von
Hesses Werken wächst ständig, deswegen ist es nötig den Inhalt, die Ausdrucksweise
und die Symbolik dieser Werke für den Leser zugänglich zu machen. Die philosophischen, kulturellen, religiösen, geschichtsphilosophischen Ideen, welche in den Romanen und anderen Schriften von Hermann Hesse auftauchen, dienen zur Bereicherung der Weltanschauung des Lesers. In den Werken von Hesse sind verschiedene
Begriffe und Gedanken von Friedrich Nietzsche, C.G. Jungs Theorie der Archetypen,
Buchbesprechungen
das Prinzip der Vollkommenheit in den Religionen des Fernen Ostens oder die Erlösung in den gnostischen Lehren zu erkennen. Die Interpretation solcher Begriffe und
Prinzipien ist unbedingt notwendig, denn Hesse wird nicht nur von Germanisten gelesen, und das breite Publikum hat nicht immer die Möglichkeit, einen Autor mit
den Augen eines Forschers in allen Aspekten zu untersuchen.
Über die Notwendigkeit der Sekundärliteratur zu Hesse können wir im Vorwort des
Buches Hermann Hesse und die literarische Moderne1 nachlesen. Das Buch beinhaltet Aufsätze und Materialien einer Hesse-Tagung in Deutschland. Nach Meinung
von Andreas Solbach genießt der Autor Hermann Hesse eine weltweite Anerkennung. Aus dem Vorwort erfahren wir, dass bislang keine gedruckte Habilitationsschrift über ihn existiere, und auch innerhalb deutscher Grenzen gründeten erfolgreiche akademische Laufbahnen sehr selten auf sein Werk. Im Jubiläumsjahr 2002
hat an der Universität Mainz eine Tagung zum Thema Hermann Hesse und die Modernisierung stattgefunden, die einen ersten Versuch darstellte, Hesses Werk einer
literaturwissenschaftlich begründeten Analyse zu unterziehen. Solbach behauptete,
dass Hermann Hesse kritisiert, aber auch bewundert werden kann, darf und muss,
und dass eine Germanistik, die mit einem kulturwissenschaftlichen und historischsoziologischen Interesse an die Analyse herangeht, das Werk eines solchen Autors
nicht weiterhin ignorieren dürfe.
In der deutschen Literaturwissenschaft gibt es zahlreiche Interpretationen von Hermann Hesses Leben sowie von seinem gesamten Schaffen sowie von seinen einzelnen Werken wie Demian2, Der Steppenwolf3, Narziß und Goldmund4, Peter Camenzind5, ja auch von den Briefen an Hermann Hesse6, um nur einige Beispiele zu erwähnen. Um aber Hermann Hesse als Sucher und Bewahrer anzusehen, muss man
über ein komplexes Wissen von allen Werken des Autors und von allen Leitfäden
seines Schaffens. Eben deswegen hat das Buch von Lucia Gorgoi im rumänischen
Kulturraum eine beachtliche Bedeutung. Sie setzt frühere Bemühungen rumänischer
1 Hermann Hesse und die literarische Moderne. Kulturwissenschaftlichen Facetten einer literarischen
Konstante im 20. Jahrhundert. Hrsg. Solbach, Andreas. Frankfurt am Main: Suhrkamp Vl., 2004.
2 Esselborn-Krumbiegel, Helga: Hermann Hesse, Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend,
Stuttgart: Philipp Reclam jun. Vl. 1991.
3 Esselborn-Krumbiegel, Helga: Hermann Hesse, Der Steppenwolf. Interprtationen, München: Oldenburg, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, 1988.
4 Nicolai, R. Ralph: Hesses Narziß und Goldmund – Kommentar und Deutung, Würzburg: Königshausen
und Neumann Vl., 1997.
5 Poppe, Reiner: Erläuterungenzu Hermann Hesse Peter Camenzind Unterm Rad Knulp, Hollfeld: C.
Bange Vl., 1994.
6 Hesse, Ninon: „Lieber, lieber Vogel“. Briefe an Hermann Hesse. Hrsg. Gisela Kleine. Frankfurt am
Main: Suhrkamp, 2000.
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Kulturleute und Germanisten fort, unter denen es eine bedeutende Persönlichkeit
der Germanistik Rumäniens gibt, die die Komplexität von Hesse als Autor sehr früh
und schnell erkannt und darüber Einiges geschrieben hat. George Guţu, Germanistikprofessor in Bukarest, hat bereits 1982 und 1983 zwei bedeutende Beiträge über
Hesse veröffentlicht, welche sich auch für das Buch von Lucia Gorgoi als sehr wichtig
erwiesen haben: Hermann Hesse sau calea neîntreruptelor căutări (Hermann Hesse oder der Weg der unendlichen Suche)7 ist 1983 als Vorwort zu der vom Verfasser
selbst besorgten rumänischen Fassung von Hermann Hesses Prosawerken (Der
Steppenwolf und Siddhartha) erschienen, während die Schrift Goethe văzut de Hermann Hesse (Goethe aus der Sicht von Hermann Hesse)8 bereits 1982 erschienen
ist. Diese zwei Publikationen von George Guţu können als unerlässliche Leistungen
in der Interpretation und in der tieferen Erforschung von Hesses literarischem
Schaffen im rumänischen Kulturraum angesehen werden.
Das Buch von Lucia Gorgoi ist 2004 in Klausenburg im Verlag „Casa cărţii de
ştiinţă“ erschienen und öffnet der rumänischen Germanistik den Weg komplexerer
Interpretationen von Hermann Hesses Werken. Es bietet interessante analytische
Gesichtspunkte und zeichnet sich durch eine anspruchsvolle Sprache und durch eine
wissenschaftliche Durchdringung des untersuchten Gegenstandes aus. Als Inhaberin
des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur der Babeş-Bolyai-Universität in
Klausenburg - Cluj-Napoca gilt die Autorin dieses Bandes als eine bedeutende und
gewissenhafte Forscherin, die Hermann Hesses Leben und Werk dem Leser in einem wissenschaftlich untermauerten Diskurs präsentiert. Dabei kommt auch die
mehr als 20 Jahre langen Praxis bei der Anwendung dieses Autors in ihren Lehrveranstaltungen zur literarische Moderne gewinnbringend zur Geltung.
Im Jahre 2004 schrieb ich im Rahmen eines Stipendiums der Domus Hungarica in
Budapest einen Aufsatz zum Thema Die menschliche Entwicklung als Verantwortung für sein Schicksal. Die Rezeption der Werke von Hermann Hesse in Ungarn
und Rumänien aus der Sicht der Anthroposophie. Dabei stützte ich mich in der
Fachliteratur auf das hier kurz präsentierte Buch von Lucia Gorgoi sowie auf die
Publikationen von George Guţu. Das Buch von Lucia Gorgoi hat meiner Forschung
neue und vielfältige Wege eröffnet. Seit 2004 sind sicherlich weitere germanistische
Untersuchungen veröffentlicht worden, so dass auch in Rumänien die Hesse-Rezeption weitere Fortschritte gemacht hat. Lucia Gorgois Buch zählt mit zu den wichtigen
Beiträgen zu Hermann Hesse im rumänischen Kulturraum.
Anita-Andrea Széll
7 George Guţu: Hermann Hesse sau Calea neîntreruptelor căutări. (H.H. oder Der Weg ununterbrochener Suche). Einleitung. In: H. H., Lupul de stepă. Siddhartha, Bucureşti 1983, S. 5-21.
8 George Guţu: Goethe văzut de Hermann Hesse (H. Hs. Goethe-Bild). In: Secolul 20 (Bucureşti), 7-8-9,
1982, S. 271-274.
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Westberlin: die verlorene Chymäre des städtischen Lebensgefühls. Zu:
Wolfgang Hermann, Konstruktion einer Stadt. Versuche, Limbus Verlag
2009, Reihe zeitgenossen, 112 Seiten.
Paris Berlin New York. Ein einziger Ort: DIE Stadt - so wie sie hätte sein können.
Als Überbegriff. Als Traumgebilde. Als Tier. Als Wegweiser. Der Limbus Verlag
brachte bereits 2008 das durchgängige Drei-Metropolen-Buch von Wolfgang Hermann heraus, einem weitgereisten Autor und Weltbürger, der als Anerkennung seines bemerkenswerten literarischen Schaffens u.a. 2006 den Anton Wildgans Preis
und 2007 den Förderpreis zum Österreichischen Staatspreis erhielt (Laudatio: Erich
Hackl). Im Oktober 2009 folgte nun die Konstruktion einer Stadt. Was dabei auf die
Waage kommt? Berlin als Übermaß. Der langatmige, wiewohl fragmentarische Diskurs rund um die Projektion möglicher Verwirklichungen des gelebten Entwurfs der
Traumstadt Berlin geht tief ins Innere. Eine unwahrscheinliche Poetologie des instrumentalisierten Alltags kommt dadurch zustande, indem vorzüglich zeitgemäß
ein kleines Gegenbild zum großen Talk der Stunde in den Vordergrund der Betrachtungen gerückt wird. Hier Mauerfall, da rückwirkende Konstruktion der Vergangenheit - innerhalb der Mauern und doch weit über sie hinweg.
Dem mittlerweile durch die von Medien und Politikern übereilig kanonisierte Phrase
„zwanzig Jahre Mauerfall“ zur Kontinuität verdammten Prozess des Sturzes (oder
des Abbaus) eines freilich an sich äußeren Modells macht ein diskreter, durch
private Blicke und halb philosophische, halb spielhafte Gedanken in Wege geleiteter
Prozess des Emporstrebens, des Aufbaus neuer, oder doch jedenfalls anderer Modelle den Platz streitig. Inwiefern diese inneren Modelle durch das äußere beeinflusst
werden, ist bei Wolfgang Hermann selbstredend immer auch eine Überlegung.
Radiographien von Städten, Vermessungen des Städtischen: darauf versteht sich
dieser Voralberger Baumeister mit hausgemachter deutscher, französischer, amerikanischer und japanischer „Vorgeschichte“ besonders gut. Von Anfang an klar in seinem liebevoll mühselig angelegten Metapher-Beet: Berlin ist nicht Berlin und Stadt
ist nicht Stadt. Es geht hier um den Menschen, den lebendigen, den beständigen,
den vergänglichen. Ein Österreicher in Berlin, möchte der Rezensent die hierin kurz
besprochene Neuerscheinung gleich einmal oberflächlich gängig zusammenfassen
und damit auch zwecks des unbekümmerten kulturellen Verbrauchs tunlichst adäquat vereinfachen. Ein Österreicher in Berlin - aber nicht jetzt. Früher, als der Westen noch der Westen war. Eine Stadt an der Luft zwischen den Schritten ermessen:
Wolfgang Hermann erweist sich ein weiteres Mal als wachsamer Augenzeuge und
Mentalitäten-Kenner, dessen schneidige Notizen über die Seele einer Struktur aus
Menschen, Beton, Asphalt und Trieben Aufschluss geben.
Konstruktion einer Stadt, das ist wohl in erster Linie ein systematisches Nichtbegreifen, ein Vervielfältigen von explizit formuliertem Unbehagen im Dschungel städtischer Entwürfe, ein geistiges Festhalten an der Idee einer Stadt, so wie sie sich die
Menschen einverleiben könnten, die das knurrende große Tier namens Berlin mit ihren eigenen Träumen, Bangen und Idealen oder aber mit öden Alltagsroutinen und
angelernter Gleichgültigkeit füttern. Die Frage an allen Ecken: „Wer bin ich?“ Einer
von hier und da. Einer von drinnen. Einer von draußen: „Ist dort Draußen? Ich bin
einer von draußen, nicht wahr, sagt mir, ich bin einer von draußen, komme ich von
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draußen sagt sagt sagt.“ Die gegen Ende des Satzes schwindende Interpunktion potenziert das der gesamten Konstruktion obliegende kommunikationstechnische
Durcheinander, die begriffliche Verwahrlosung eines selbst unter Heranziehung von
Metaphern, Träumen und Bildern als quasi-wissenschaftlichen Erläuterungsversuch
dargereichten Exkurses über das städtische Gefühl und diejenigen, die sich ihm hingeben oder aber entziehen. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall weiß keiner mehr, ob er
von draußen kommt oder schon immer drin war. Aber Begriffe und Definitionen
sind in diesem Werk lose gesetzt, ebenso wie die intrinsische Neuüberlegung der Zugehörigkeitsfrage: Wer ist Berliner, wer darf’s sein? Die Stadt beim Namen nennen,
um ihrer Herr zu werden: kein geringes Unterfangen. Wolfgang Hermann hat es dabei nicht auf absolutes Namensagen abgesehen. Er konstruiert die Struktur seiner
einnehmenden wie befremdenden Vorstellungen aus mal heimelig, mal unheimlich
anmutenden Baumaterialien präfabrizierter Identitätssortiments. Es geht immer ruhig zu in seinem Berlin, doch keineswegs etwa immer erbaulich. Der Autor bastelt
seine ausgeglichenen Sprachobjekte von der Urtümlichkeit und Zugehörigkeit des
fragenden Stadtkindes stets aus viel Selbstheit und ein klein bisschen Fremde.
„Protokolle des Verlusts“ will der reflektierende Stadtvermesser in diesem seinem
jüngst erschienenen, längst geschriebenen Buch erstellt haben, einem Konglomerat
von Aufzeichnungen, in denen Westberlin und seine Menschen in eine Unmittelbarkeit der Empfindung gerückt werden, die mit einer eigenartigen Besonnenheit der
Träume zu tun hat. „Tastende Protokolle“, „Träume vom Geborgensein“, „Träume
der Unruhe.“ Eine Reihe von Versuchen, von kapriziösen Aneignungen städtischer
Gegebenheiten kommt dadurch in Gang, ein programmatisches Verlangsamen des
Alltags, ein Verweilen des Augenblicks, ein poetologisch haargenau mit der inneren
Architektur des „ummauerten, gefesselten Tieres“ abgestimmtes Innehalten.
Damit beginnt die Konstruktion. Der Leser hält inne, muss innehalten, um sich zu
finden, um zu sich zu finden, um die Lektüre in Angriff zu nehmen, um sich selber
zusammen zu nehmen, was in diesem Falle heißt: mit der Lektüre weiter machen.
Denn das erste Kapitel, Namen, beginnt mit einem elliptischen Satz, über den der
Leser in aller Ruhe nachzudenken hat, soweit der Sinn des sichtbaren, des gedruckten Teils der „Versuche“ gerade in seiner Unschärfe und Multivalenz als lebendiges
Sprachereignis erschlossen werden soll – über eine legendäre Weltstadt, die in der
Art und Weise, wie sie der Autor empfindet (oder konstruiert) am „Horizont verdämmert“: „und sie leben in ihren Leibern wie in unbekannten Häusern welk und
stumm und sie haben sie in Gebrauch wie ein Stück Holz wie Eisen wie Asche und
sie gehen hierhin und sie gehen dorthin das Holz zu spalten das Eisen zu behauen
die Asche zu streuen, so haben sie sich selbst in Arbeit, als Leib, als Kran, als Wasserschlauch, als Leibeigene.“ Fast muss der Lektor da an Uwe Telkamps Uvertüre
am Anfang seines Turms denken. Doch Tellkamp kam ja erst später – und der war
im Osten, dazu gar nicht in Ostberlin, sondern in Dresden. Wolfgang Hermann verortet die andauernde Diskussion rund um das städtische Lebensgefühl in eine ästhetisch formulierte Dimension des Aufgehobenseins, innerhalb derer jedwelcher Emotion Verweischarakter zusteht. Wie er es schafft, seinem Stadtbild anhand tausend
kleiner Blicke wie nebenbei mehr ontische Würde zu verleihen, ist sein großes Ge-
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heimnis. Er will es preisgeben – und doch immer wieder aufs Neue hüten.
Da war was. Die Dunkelheit in den Augen eines jeden, die Namen, die Zeit, die Gesichter, die Schritte, die blinde Seite des Feuers, die Karusselle, die Häuser, der
Dschungel, der Fluss, die Sprache - um nur ein paar der Kapiteltitel aufzulisten, anhand derer das räumlich und zeitlich ausdrucksfähig im Zeichen menschlicher Bedingtheit fingierte Namenssagen am Beispiel einer Stadt versucht wird, die längst
aus ihrem Namen heraus gefallen ist, um die Atemwege immerfort begrifflich wie
sinnlich destillierter Projektionsflächen freizugeben. Poetische Fiktion oder sachliche Dokumentation? Wenn er sich mit seiner Skizze vom Tagesverlauf auf dem
Hauptplatz ans Reißbrett macht, fügt der Autor wie mit peinlichster Genauigkeit
(aber insgeheim eben doch etwas gewollt vage) hinzu: Geträumt auf einer Parkbank
in Berlin-Wilmersdorf. Es sind dies die inwendigen Koordinaten eines nicht nur philosophisch, poetologisch, soziologisch und architektonisch geläuterten fragenden
Bezugssystems. Mehr ontische Würde gebührt den „tastenden“ Träumen über die
Stadt ebenso wie den Bildern und Tränen und dem Schattengrund der Straße und
den Augen der Nacht – lauter Metapher in der Konstruktion.
Was es denn sei, das das Bild der Stadt bestimme: „jene unbekannte Strömung, die
als Funke von Mensch zu Mensch überspringt, um Atmosphäre, Geist und Bild zu
erzeugen?“ Die Zeit, im Übermaß zur Verfügung und noch stets in der prekären Aufgehobenheit einer unwahrscheinlichen Versinnbildlichung befangen. Ist bei Alfred
Kolleritsch nämlich das Namenssagen die Zeit, wenn sie vergeht, so wird bei Wolfgang Hermann die Zeit als unsagbares Medium, in dem sich die Menschen, zu einem
Ganzen gefügt, nicht wiedererkennen, zu dem, was die Leute birgt, an „andere, unversehrte Orte“ rückt, an Schauplätze einer sinnstiftend mutierenden Auffassung des
allseitig beschworenen Begriffs Stadt. Gar manches gehört zu diesem Begriff, von
dem man es nicht ohne weiteres angenommen hätte, darunter „das Innehalten vor
dem Lächeln einer jungen Frau auf einer Fotografie“. Denn „eine Stadt besteht aus
den Lücken, die jeder Einzelne benutzt, um durch sie ins Freie zu gelangen. Der Weg
ins Freie beginnt mit geträumten Alltagsbildern des großen Tiers, das die kleineren
Tiere unentwegt zähmt: seine Kinder, die Kinder der Stadt. Wolfgang Hermann bedenkt durch den leise konstruierten Hilfeschrei seiner oft ungemächlichen Visionen
das städtische Gefüge innerhalb des Menschen, das sich in seiner Anschaulichkeit
immerfort hartnäckig verweigernde Ganze, an das die Teilchen vermittels herkömmlicher Betrachtungsweisen kaum herankommen – es sei denn, sie bilden alles neu für
sich selber, machen sich ein Bild über die Bilder, die ihr inneres Auge in die Welt setzt.
Berlin als virtuelles Steckenpferd, als stilistisches Versuchskaninchen, als inwendige
Baustelle der Selbstreflektion: Bis auf Widerruf gestaute, allein im Kontext bedeutungsvolle Bild-Sequenzen aus einer geläuterten Selbstsetzung des Städtischen werden ins Leben gerufen, aus dem Nichts in die Sprache transponiert, um das Geschöpf zu bändigen, das man Berlin nennen könnte, wenn man dazu einen Namen
bräuchte. Was kann ein Mensch in so einem imaginären Dialog im semantischen
Umfeld seiner Konstruktion – nein, seines Weltentwurfs – mehr sagen? Vielleicht
nur soviel: „Stadt, sei gut zu mir!“
Vasile V. Poenaru
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Buchbesprechungen
Viorica Mavrodin: Goethe, Faust şi Roza-Cruce. Un studiu filozofic.
Traducere din franceză, revizuire şi note de Alice Mavrodin. Bucureşti
2011. 444 Seiten. ISBN 978-973-0-07427-7.
Merkwürdige Wege legen bestimmte Untersuchungen und Exegesen zurück! Eine
davon ist Viorica Nestorian Mavrodins (1905-1985) Studie zu den philosophischen
Anklängen und Zusammenhängen in Goethes Lebenswerk Faust.
In Craiova geboren, studierte sie an der Philologischen und Philosophischen Fakultät der Universität Bukarest und war Studentin und kurze Zeit auch Assistentin von
Mihai Dragomirescu. Als Erzieherin ihres einzigen Kindes gab sie die Hochschullaufbahn auf, befasste sich aber weiterhin intensiv mit vergleichender Volksdichtung und Mythologie, mit orientalischer (indischer) Philosophie und mit der
Theosophie eines Blavatzky, Rudolf Steiner und Bô Yin Râ, nicht weniger aber auch
mit den europäischen Denkern des Mittelalters und der Renaissance (Eckhart, Böhme, Paracelsus) und mit der Kabbala. In Paris entdeckte sie die Untersuchungen von
Max Heindel (Die Weltanschauung der Rosenkreuzer und Die RosenkreuzerMysterien) und Robert Amberlains Adam, dieu rouge.
Goethe wird von der rumänischen Forscherin als Freimaurer in der Tradition der
Rosenkreuzer (lat. Rosicrucianum), der Mysteriengemeinschaften und der Initiationsschulen gesehen und infolgedessen auch ausgelegt. Dem 1909 erschienenen
Werk von Heindel entnimmt sie wesentliche Impulse in Bezug auf die Initiationsetappen von Goethe sowie von seinem Helden Faust. In den 1970er Jahren hat Viorica Mavrodin die Möglichkeit, in den Archivbeständen von Weimar themabezogene
Dokumente einzusehen, so dass sie sich mit den verschiedenen Fassungen des Faust
vertraut machen und dadurch verschiedene Goethesche Gedanken besser nachvollziehen konnte.
Die 1975 begonnene Studie konnte somit allmählich ausgeführt werden. Da eine
Veröffentlichung im damaligen Rumänien wenig wahrscheinlich zu sein schien, verfasste sie die Autorin in französischer Sprache in der Hoffnung, dass sie im Ausland
herausgegeben werden könnte. Sie nahm sich vor, die Faust-Problematik eingehend
zu analysieren, angefangen von den ersten Sinnzusammenhängen auf der Ebene eines jeden Verses bis zu den großen, weltanschaulich-philosophischen Konstellationen der einzelnen Abschnitte des Goetheschen Werkes. Textinterne und textexterne
Bezüge bilden die Grundlage ihrer hermeneutischen Herangehensweise.
Bei der Lektüre dieser Studie erinnerte ich mich unwillkürlich an die Faust-Vorlesung meines Leipziger Professors für deutsche Literaturgeschichte, Walter Dietze,
der im damals größten Hörsaal der berühmten Messestadt des nicht minder berühmten Auerbachskellers, in dem sich eine Schlüsselszene des „Faust“ abgespielt
hatte, ein Semester lang, Woche für Woche die einzelnen Abschnitte, Szenen, Verse
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Buchbesprechungen
des „Faust“-Dramas ausführlich erläuterte, wobei er oft Schauspieler verpflichtete,
Stellen aus dem untersuchten Werk vorzutragen, um auch in der Vortragsweise
selbst die Deutungsmöglichkeiten hervorzuheben und akribisch die vielen Bedeutungen vor allem aus philosophischer, kulturhistorischer und weltanschaulicher
Sicht zu eruieren. Man kam aus dem Staunen nicht heraus, so vielschichtig waren
die intertextuellen Bezüge sowohl im untersuchten und erläuterten Werk selbst als
auch im Kontext der ungemein vielschichtigen und vielfältigen Quellen, die Goethe
für seine kühnen, ästhetisch anspruchsvollen und sprachmagisch zum Ausdruck gebrachten Gedanken und Überlegungen benutzt hatte.
Denselben Eindruck der ausführlichen thematischen sowie ästhetischen Erläuterung
erweckte bei mir auch die Studie von Viorica Mavrodin, die ihr Opus zwei Wochen
vor ihrem Tode abgeschlossen hat – auffällige Ähnlichkeit zum untersuchten Autor
selbst, der ebenfalls kurz vor seinem Tode noch letzte Ergänzungen und Änderungen
am zweiten Teil seines „Faust“ vorgenommen hatte!
Eine der bevorzugten Quellen der Verfasserin war das Vorwort des Franzosen Henri
Lichtenberger zu seiner französischen Fassung des Goetheschen Lebenswerkes, die
die zuverlässigen Goetheschen Schriften – autobiografische Schriften, Tages- und
Jahreshefte, Briefe an und von verschiedenen Partnern, Eckermanns Gespräche mit
Goethe in den letzten Jahren seines Lebens etc. – ergänzten.
Leider erwies sich auch im Falle dieser Studie der Umstand, dass die meiste Sekundärliteratur nicht mitberücksichtigt wurde, ja nicht berücksichtigt werden konnte,
als eine der größten, ja unüberwindlichen Schwierigkeiten in der kühnen Herangehensweise der Verfasserin an die ungeheure Fülle von Szenen, Ideen, Gedanken, von
Anspielungen und Anleihen Goethes. Dass sie aber den ursprünglichen Text in seinen verschiedenen Entstehungsphasen berücksichtigt, erweisen sich ihre Ausführungen nicht selten als erstaunlich richtig. Dennoch vermisst man die ungeheuer feinen Ausführungen so vieler Goethe-Exegeten, auf die man nach den Gesetzen des
Rezeptionsforschung hätte unbedingt hinweisen müssen. Den Stand der Forschung
zu umreißen, ist ein unerlässliches Gebot der Forschungsarbeit, so dass die Studie
eher essayistisch als wissenschaftlich ausfällt – eine weitere Folge der französischen
Ausprägung der Studie von Viorica Mavrodin, in der man die vielen unerlässlichen
sekundärliterarischen Hinweise und Angaben schmerzhaft vermisst.
Der große Vorteil der nun in rumänischer Übersetzung vorliegenden Studie von Viorica Mvrodin besteht alledings darin, dass sie dem rumänischen Leser die komplexe
Welt Goethescher Gedanken und Gestalten aus der Sicht der Heindelschen Rosenkreuzer-Theorien in hervorragender Art und Weise zugänglich macht und sie ihm
dadurch weit näher bringt, als die kontextbezogene Lektüre des Goetheschen Textes
allein es ermöglicht hätte.
George Guţu
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Buchbesprechungen
Zu: 1. Rumänisches Goethe-Jahrbuch. Vol./Bd. 1, 2011, Editura Paideia,
Bucureşti 2011. ISSN 2069-9956. 376 Seiten; 2. Johan Wolfgang Goethe:
Opere alese. Vol. 15: Scrieri Autobiografice III. Traducere din limba germană de Mihai Isbăşescu. Completări şi revizie generală George Guţu.
Postfaţă de Benedikt Jeßing şi George Guţu. Editura RAO, Bucureşti
2009. ISBN: 978-973-103-835-3. 476 Seiten.
Seit die Spaltung der Welt in zwei verfeindete Blöcke überwunden ist, hat sich in den
ehemals sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas ein reges geistiges Leben
entfalten können, in dem die Beschäftigung mit Goethe einen besonderen Stellenwert besitzt, denn sie zeichnet sich durch Intensität und Nachhaltigkeit aus. Im Gegensatz zu nicht wenigen Ländern Westeuropas wird Goethe dort noch immer als
Lebensmacht, als Teil einer lebendigen Kultur begriffen.
Jüngstes Zeugnis einer solchen Beschäftigung ist das in diesem Jahr erstmals erschienene rumänische Goethe-Jahrbuch. Gestützt auf eine deutschsprachige Bevölkerungsgruppe, hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten in Rumänien eine intensive Goethe-Forschung entwickeln können, die heute in der 1998 gegründeten rumänischen Goethe-Gesellschaft ihr organisatorisches und kreatives Zentrum besitzt.
Zusammen mit der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens und dem Forschungsund Exzellenzzentrum „Paul Celan“ der Universität Bukarest gibt sie das Jahrbuch
heraus. Das Spektrum der Autoren ist international. Deutsche Germanisten sind
darunter, aber auch Wissenschaftler aus den Niederlanden und aus Schweden. Den
Löwenanteil aber haben die rumänischen Germanisten, die teils auf Deutsch, teils
auf Rumänisch publizieren. Die gut gewählten essayistischen Kapitelüberschriften
machen Appetit auf die Lektüre des Jahrbuchs. „Skizzen zum Ganzen“ ist der erste
Teil überschrieben, in dem Abhandlungen zu Goethes Werk versammelt sind. Die
Themen des zweiten Teils sind unschwer aus dem Sammeltitel „Naturwissenschaftliche Streiflichter“ zu erschließen. Ein dritter Teil bündelt, für die rumänische Germanistik essentiell, „Rezeptionsreflexe“, und unter der Überschrift „Kulturtransfers“
finden sich Übersetzungen, darunter die von Goethes Gedichten „Die Metamorphose
der Pflanzen“ und „Metamorphose der Tiere“ aus der Feder von Prof. George Guţu,
dem Präsidenten der rumänischen Goethe-Gesellschaft und Gründer des Jahrbuchs.
Aufs Ganze gesehen lässt sich das Jahrbuch als substantieller Beitrag zu dem heute
so notwendigen grenzüberschreitenden kulturellen Diskurs verstehen. Wünschen
wir ihm eine gute, kontinuierliche Zukunft.
Anzuzeigen ist ein weiteres editorisches Unternehmen, das die erstaunliche Leistungskraft der rumänischen Germanistik dokumentiert.
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Buchbesprechungen
2009 kam (mit der Bandzahl 15) der erste Band einer Goethe-Ausgabe heraus, die
dereinst einmal 18 Bände umfassen wird. In den ersten neun Bänden enthält sie
Goethes poetische Werke, es folgen drei Bände naturwissenschaftliche Schriften,
vier Bände autobiographische Schriften sowie abschließend Bände mit den „Maximen und Reflexionen“ und einer Auswahl von Briefen. Der vorliegende Band enthält
den dritten Teil der autobiographischen Schriften, darunter die „Kampagne in
Frankreich“ und die „Belagerung von Mainz“. Herausgeber ist Prof. George Guţu,
dem unser Ehrenpräsident Prof. Werner Keller und ich beratend zur Seite stehen.
Nicht nur darum ist die rumänische Goethe-Ausgabe als schönes Zeugnis einer rumänisch-deutschen Kooperation anzusehen.
Eine Reihe deutscher Germanisten haben sich bereit erklärt, unentgeltlich bei der
Auswahl bestimmter Werkkomplexe mitzuwirken und auch Nachworte beizusteuern. Im vorliegenden Band hat unser Vorstandsmitglied Prof. Jeßing aus Bochum
das Nachwort geschrieben. In Druck und Papier ist die neue Ausgabe eine Augenweide – ein großes Kompliment dem rumänischen Verlag, der das Wagnis einer solchen Ausgabe auf sich genommen hat. Weit mehr noch verdienen George Guţu und
sein Team unseren Respekt und unsere Bewunderung. Wir können nur erahnen,
welcher Arbeitsleistung es bedarf, um 18 Bände Goethe größtenteils neu zu übersetzen und mit wissenschaftlichen Kommentaren zu versehen.
Eine rumänische Goethe-Ausgabe in 18 Bänden ist eine Investition in die Zukunft,
denn sie setzt das Vertrauen in Goethes ungebrochene Attraktivität, in das Interesse
von Benutzern und Lesern in Rumänien voraus. Damit ist auch ein Anspruch an die
deutsche Germanistik formuliert. Wir dürfen nicht müde werden, dem Unternehmen unseren wissenschaftlichen Beistand zuzuwenden. Besser und wirkungsvoller
noch wäre es freilich, wenn einer so wichtigen Unternehmung aus privater oder öffentlicher Hand in Deutschland jene finanzielle Förderung zuteil würde, die in Rumänien nur unter größter Kraftanstrengung möglich ist.
Jochen Golz
(Erschienen auch in: Newsletter der Goethe-Gesellschaft Weimar, 3/2011, S. 7-8; http://www.goethegesellschaft.de/download/pdf-newsletter-3-2011.pdf.)
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MITTEILUNGEN DER GESELLSCHAFT DER GERMANISTEN RUMÄNIENS
PROF. DR. GEORGE GUŢU MIT DEM ORDEN FÜR
KULTURELLE VERDIENSTE AUSGEZEICHNET
Die Festlichkeit in der Rumänischen Botschaft in Berlin
Am 4. Juli 2011 wurde in der Rumänischen Botschaft in der Berliner Dorotheenstrasse dem Präsidenten der Gesellschaft Rumäniens, Leiter des Departements für
Germanische Sprachen und Literaturen der Bukarester Universität, Prof. Dr. George
Guţu, der Orden für Kulturelle Verdienste im Range eines Ritters feierlich überreicht. Durch den Erlass Nr. 421 vom 4. April 2011 verlieh der Präsident Rumäniens
die Auszeichnung an den rumänischen Hochschulprofessor „in hoher Anerkennung
seiner gesamten wissenschaftlichen und didaktischen Laufbahn, für seinen aktiven
Beitrag zur Entwicklung der germanistischen Studien in Rumänien und zur langfristigen Festigung der rumänisch-deutschen Kulturbeziehungen“.
Dabei hielten Botschafter Dr. Lazăr Comănescu und Prof. Dr. George Guţu nachstehende kurze Reden.
Laudatio
Von Dr. Lazăr Comănescu, Botschafter
Sehr geehrter Herr Professor Guţu,
Sehr verehrte Damen und Herren,
es ist für mich eine große Freude, Sie hier in unserer Botschaft begrüßen zu dürfen.
Wir sind da, um einen Mensch zu würdigen, der einen wesentlichen Beitrag zur rumänisch-deutschen kulturellen Beziehungen geleistet hat.
Herr Professor Guţu hat die Auszeichnung, die er heute bekommt, wohl verdient. Ich
könnte an dieser Stelle nicht alles vortragen, was er für die Entwicklung der Germanistik in Rumänien sowie für die Vertiefung der bilateralen Beziehungen getan hat.
Ein paar besondere Höhepunkte seiner leidenschaftlichen Arbeit möchte ich trotzdem erwähnen.
Prof. Guţu hat die germanistische Tradition Rumäniens aus der Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen fortgeführt und im Jahre 1990 die Gesellschaft der Germanisten
Rumäniens gegründet. Auf seine Initiative wurde eine andere Tradition, nach 62
Jahren, wieder aufgegriffen: die seit 1994 regelmäßig alle drei Jahre stattfindenden
internationalen Kongresse der rumänischen Germanisten, auf denen die Ergebnisse
der Lehr- und Forschungstätigkeit in unserem Land vorgestellt, zugleich aber auch
Leistungsvergleiche mit der Inlands- und Auslandsgermanistik angestrebt werden.
Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
Neben seiner vielfältigen wissenschaftlichen Publikationstätigkeit hat Prof. Guţu im
Jahre 1998 die “Goethe-Gesellschaft in Rumänien” gegründet, eine beachtliche
Buchreihe zur Germanistik geschaffen und die Herausgabe der “Transcarpathica.
Germanistisches Jahrbuch Rumänien” angeregt. Nicht zuletzt möchte ich den wertvollen Beitrag hervorheben, den Herr Prof. Guţu zur Unterstützung des Deutschunterrichts in Rumänien, zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur geleistet hat
und weiterhin leistet. Das sind nur ein paar Beispiele, die ein Licht auf seine Leistungswilligkeit und Leistungsfähigkeit werfen, welche nicht nur in Rumänien, sondern auch im Ausland anerkannt sind. (Prof. Guţu ist Mitglied der Internationalen
Vereinigung für Germanistische Wissenschaften, der Goethe-Gesellschaft Weimar,
der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik, Rainer-Maria-Rilke-Gesellschaft,
u.a.)
Ein deutsch-rumänischer Schriftsteller - ich begrüße an dieser Stelle die Anwesenheit des Herrn Hans Bergel - charakterisierte ihn einmal als „Mischung aus südöstlichem Gleichmut, lateinischem Esprit und preußischer Genauigkeit“. Ich finde diese
Beschreibung sehr treffend.
Herr Prof. Guţu wird heute geehrt für seine ausgezeichnete wissenschaftliche und didaktische Tätigkeit sowie für seinen aktiven Beitrag zur Entwicklung der Germanistik in Rumänien und zur langfristigen Festigung der kulturellen Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland.
Lieber Herr Professor Guţu, ich möchte abschließend Ihnen für Ihr leidenschaftliches Engagement meinen noch einmal herzlichen Dank aussprechen und weiterhin
Erfolg in Ihrer Tätigkeit wünschen.
***
„Es gibt offensichtlich für die Förderung des Deutschunterrichts aller
Stufen des Bildungswesens in Rumänien immer noch eine Hoffnung“ –
Rede bei der Entgegennahme des Ordens für kulturelle Verdienste
Von George Guţu
Eure Exzellenz, sehr geehrter Herr Botschafter Dr. Lazăr Comănescu,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
für diese unverhoffte Geste der Anerkennung meines langjährigen bescheidenen Beitrags zur dauerhaften Entwicklung der germanistischen Lehre und Forschung in
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ZGR 1-2 (39-40) / 2011
Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
meinem Land und der rumänisch-deutschen1 Kulturbeziehungen ist es mir ein Bedürfnis, der rumänischen Präsidentschaft und der rumänischen Regierung aufrichtig
zu danken.
Und zwar nicht so sehr deswegen, weil dadurch meine bisherige berufliche Tätigkeit
anerkannt und geschätzt wird, sondern viel mehr dafür, dass es trotz ungünstiger
ökonomischer und entwicklungspolitischer Bedingungen im EU-Land Rumänien
noch Menschen gibt, die auf eine derartige Tätigkeit Wert legen. Und dass durch diese Auszeichnung nicht meine Person, sondern vielmehr all meine Fachkolleginnen
und -kollegen mit ausgezeichnet werden, denn das in unserem Fachbereich bisher
Erreichte und hiermit Anerkannte konnte nur das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen und Anstrengungen sein.
Nach einer etwa dreihundertjährigen Entwicklung, die durch die im 11. Jh. begonnene Ansiedlung deutscher Bevölkerung in traditionell rumänischen Gebieten auf beiden Seiten der Karpaten wesentlich angeregt wurde, wurde die rumänische Germanistik 1905 institutionell etabliert, als an der Bukarester Universität der erste Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur im damaligen Rumänien gegründet wurde.
Für diese bahnbrechende Leistung meines Vorgängers, Prof. Dr. Simion C. Mândrescu, wurde durch unseren Einsatz ein öffentlicher Platz in der rumänischen Hauptstadt nach seinem Namen benannt. Durch ihre Institutionalisierung erhielten der
Deutschunterricht und die germanistische Lehre und Forschung bis dahin ungeahnte Impulse. Zur Förderung des Deutschunterrichts in Rumänien wurden Kongresse
der Deutschlehrer und Germanisten abgehalten, die „Societatea Germaniştilor
Români“ sowie ihr Fachorgan Revista Germaniştilor Români gegründet. 62 Jahre
später wurde nach der Wende an diese ehrwürdige Tradition angeknüpft, indem
1990 die „Gesellschaft der Germanisten Rumäniens“ neu gegründet, 1992 die Zeitschrift der Germanisten Rumäniens ins Leben gerufen und schließlich 1994 die
Kongresse der Germanisten Rumäniens wiederbelebt wurden. Diese angestrengt-begeisterte Entwicklung war nicht zuletzt auch deswegen möglich, weil vor allem im
gesamten 20. Jahrhundert die Präsenz und das Wirken der deutschen Minderheit in
Rumänien durch ihre beispiellosen Organisationsformen sowie durch ihre hervorragenden Kulturleistungen ihre Muttersprache pflegte und somit seinerzeit die Entstehung der sogenannten fünften deutschen Literatur möglich machte, die – wie es der
Literaturwissenschaftler Walter Hinck auf den Punkt brachte – die binnendeutsche
Literatur und Kultur von den Rändern her zu bereichern vermochte. So dass selbst
nach dem Beginn des von uns allen in Rumänien als großen, schmerzhaften Verlust
empfundenen Aderlasses, der Aussiedlung großer Teile der deutschen Bevölkerung
1 Der Redner möchte bei Anlass der Veröffentlichung des Berichts und des Redetextes
ausdrücklich betonen, dass ihm auch die Pflege der rumänisch-österreichischen sowie
rumänisch-schweizerischen Kulturbeziehungen in ebensolchem Maße am Herzen lag und
weiterhin liegt. (G.G.)
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Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
aus Rumänien, die Entwicklung der Germanistik immer noch verstärkt betrieben
werden konnte. Es erwies sich als eine kluge und weitsichtige Entscheidung, dass wir
den Kontakt mit unseren ausgesiedelten deutschen Fachkolleginnen und -kollegen
nicht nur nicht abgebrochen, sondern ständig ausgebaut haben. So entwickelten sich
neue Formen vielschichtiger Zusammenarbeit und vielfältiger Kontakte, die in den
bisher 6 abgehaltenen großen Kongressen der Germanisten Rumäniens, in den vielen wissenschaftlichen Tagungen an allen bedeutenden Germanistik-Lehrstühlen
des Landes, in den zahlreichen gemeinsamen didaktischen und Forschungsprojekten, in gemeinsam herausgegebenen Bänden und Periodika dauerhafte Früchte trugen. Bekanntlich hatte Hölderlin einmal behauptet: „Was aber bleibet, stiften die
Dichter“. In Anwandlung dieses Hölderlin-Spruchs kann man durchaus sagen: „Was
aber bleibet, stiften (auch) die ... Germanisten“.
Der Sinn all dieser Tätigkeit und ihrer Ergebnisse war schlicht und einfach ein ganz
klarer: Die bedeutende Traditionsschiene des von Lucian Blaga als „katalytisch“ definierten Einflusses der deutschen Kultur und Literatur auf das rumänische geistige
Leben aufrechtzuerhalten und möglichst zu entwickeln. Denn wesentliche Leistungen der rumänischen Kultur von Titu Maiorescu und Mihai Eminescu bis Constantin
Noica – um nur einige Eckpfeiler dieser Traditionslinie zu nennen – wären ohne den
engen, kreativen Kontakt zur deutschen Kultur (in dieser Form zumindest, wie wir
sie kennen und bewundern) nicht zustande gekommen.
Um diesen kulturgenetisch konstituierenden Bestandteil des rumänischen geistigen
Lebens aufrechtzuerhalten und fortzuführen, unternimmt die heutige rumänische
Germanistik große Anstrengungen, die leider durch denkbar ungünstige Bedingungen – wie schlechtes Finanzierungskoeffizient, geringe staatlich finanzierte Studienplätze, besorgniserregende Abschaffung der Lehrkanzel für Deutsch als Fremdsprache in den Grund- und Mittelschulen des Landes, Abnahme der Sprachkompetenz
der Inskribierten etc. – einem Kampf ums Überleben gleichkommen. Denn wenn
dem deutschen Muttersprachenunterricht an den traditionell glücklicherweise weiter bestehenden früheren deutschen Schulen sowohl von rumänischer als auch von
deutscher Seite die ihm gebührende Aufmerksamkeit und Unterstützung aller Art
gewährt wird, wurde und wird seit Jahren der zahlenmäßig stark zurückgehende, jedoch immer noch Hunderttausende von Schülern erfassende Unterricht im Bereich
Deutsch als Fremdsprache sowohl von der rumänischen als auch von der deutschen
Seite unverständlicherweise nicht in gebührendem Maße unterstützt und gefördert,
was sich allmählich in einem zunehmenden Mangel an Kennern der deutschen Sprache im Erziehungs- und Kultur-, aber immer deutlicher auch im wirtschaftlichen Bereich auswirkt. Die noch bestehenden lobenswerten Hilfeleistungen der deutschen
Seite werden hoffentlich in der Zukunft nicht auch noch eingestellt. Denn für den
dauerhaften Ausbau der rumänisch-deutschen Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen
ist dagegen nicht nur ihre schlichte Aufrechterhaltung, sondern auch ihre Vervielfältigung wünschenswert.
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Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
Trotz alledem verdanken wir im Bereich Germanistik dem Deutschen Akademischen
Austauschdienst, der Humboldt-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
der Robert-Bosch-Stiftung, dem Goethe-Institut, vielen weiteren deutschen politischen und Kultureinrichtungen wertvolle Hilfe und Unterstützung. Dafür sei ihnen
allen herzlichst gedankt, auch wenn in jeder Hinsicht noch mehr getan werden
könnte. Wünschenswert wäre aber auch, dass die rumänischen Verantwortungsträger, darunter auch jene Einrichtungen, die meine jetzige Auszeichnung befürwortet
haben, allen voran aber das Bildungsministerium dem gesamten Deutschunterricht
in Rumänien mehr Bedeutung beimessen und demgemäß auch mehr Unterstützung
gewähren. In diesem Sinne werde ich mich weiterhin für die Entwicklung neuer Fördermaßnahmen für den Deutschunterricht an den Grund-, Mittel- und Hochschulen
in Rumänien voll einsetzen – der mir heute überreichte Orden ist mir höchste Verpflichtung dazu.
Meine Damen und Herren,
noch eine einzige Leistung der Germanisten in und aus Rumänien sei hier noch erwähnt: die absolut hervorragende, leider recht wenig beachtete und anerkannte
Übersetzungstätigkeit rumänischer und deutscher Germanisten, die durch ihre Anstrengungen beide Kulturen ständig ein gutes Stück einander näher bringen. Auch in
diesem Bereich beweisen die Leistungen der aus Rumänien stammenden deutschen
sowie der rumänischen Übersetzer und Schriftsteller ihre Völker verbindende
Brückenfunktion. Goethe hatte es einmal so ausgedrückt: „Die Besonderheiten einer
jeden (Nation; G.G.) muss man kennen lernen, um sie ihr zu lassen, um gerade dadurch mit ihr zu verkehren; denn die Eigenheiten einer Nation sind wie ihre Sprache
und ihre Münzsorten, sie erleichtern den Verkehr, ja sie machen ihn erst vollkommen möglich.“
Deswegen stimmt mich die heute erfolgte Überreichung des Ordens für kulturelle
Verdienste etwas optimistischer: Es gibt offensichtlich für die bessere Förderung des
Deutschunterrichts aller Stufen des Bildungswesens in Rumänien immer noch eine
Hoffnung, denn bekanntlich stirbt diese als letzte – wenn nicht gar nimmer.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und überhaupt dafür, dass Sie aus diesem
Anlass hierher gekommen sind.
(Siehe auch: http://www.ggr.ro/Gutu_Ordin Merit Cultural.htm )
***
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Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
IX. KONGRESS DER GERMANISTEN RUMÄNIENS 2012 IN BUKAREST
Aufruf vom 3. Juni 2011
Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen!
Nachdem 2009 der VIII. Internationale Kongress der Germanisten Rumäniens in
Cluj/Klausenburg stattfand, veranstaltet die Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) vom 4.-7. Juni 2012 den IX. Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens, der sich - wie die bisherigen - als eine niveauvolle wissenschaftliche Tagung versteht, zu der nicht nur rumänische, sondern auch ausländische GermanistInnen und DeutschlehrerInnen eingeladen werden.
Auch dieser Kongress will – ebenso wie die vorangegangenen - den gegenwärtigen
Stand der rumänischen germanistischen Forschung, der rumänischen Überlegungen
zu Fragen des Deutschunterrichts im Bereich Fremd-, Mutter- und Unterrichtssprache, zu Aspekten der kulturellen und geistigen literarisch-interkulturellen Interferenzen veranschaulichen, diesbezüglich Mängel und Lücken aufweisen und damit
die Forschungsaufgaben sichtbar werden lassen, die die rumänische Germanistik im
Zuge verstärkter vernetzter Zusammenarbeit sowie der europaweiten Umwälzungen
im Bildungssystem zu bewältigen hat. Zugleich sollen rumänische GermanistInnen
und DeutschlehrerInnen angesichts der Teilnahme unserer inlands- und auslandsgermanistischen FachkollegInnen Einblick nehmen in die weltweit relevanten
Aspekte von Forschung und Lehre in den verschiedensten Bereichen, die die Sektionen des Kongresses anvisieren, deren inhaltliche Ausrichtung allen Trends offen
steht.
Nicht zuletzt wird der Kongress den rumänischen GermanistInnen die Möglichkeit
bieten, einander auch persönlich kennen zu lernen und einen nützlichen Erfahrungsaustausch vorzunehmen sowie mit ihren ausländischen KollegInnen, die
freundlicherweise zum Kongress kommen werden, Kontakte anzuknüpfen.
Der Kongress wird nach Wunsch auch weitere Sektionen und Foren zu spezifischen,
aktuellen Themen und Aspekten einrichten, die demnächst (in einem Rundschreiben im Januar 2012) bekannt gemacht werden sollen.
Wir laden alle Interessenten herzlichst ein, an unserem Kongress
teilzunehmen !
M i t v e r a n s t a l t e r 1 dieser internationalen wissenschaftlichen Tagung sind:
* Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) * Lehrstuhl für Germanische
Sprachen der Universität Bukarest * Institut für deutsche Kultur und Geschichte
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Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
Südosteuropas (IKGS) an der Universität München * Forschungs- und Exzellenzzentrum „Paul Celan“ des Instituts für Germanistik der Universität Bukarest * Sonderforschungsbereich 600 der Universität Trier * Stiftungsprofessur der BRD an der
Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg * Departement für Interethnische Angelegenheiten der Rumänischen Regierung * Deutscher Germanistenverband (DGV) * Österreichische Gesellschaft für Germanistik (ÖGG) * Institut zur Erforschung und
Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse (INST), Wien *
Robert-Bosch-Stiftung * Hanns-Seidel-Stiftung * Rumänische Akademie * Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien * Goethe-Gesellschaft in Rumänien * Rumänischer Deutschlehrerverband
T e r m i n: 4.-7. Juni 2012 (6. Juni 2012 - Landeskundliche Exkursion in Bukarest und seiner Umgebung)
T a g u n g s o r t in Rumänien: Bucureşti/Bukarest
____________
1) Einige unserer Partner haben bereits ihre Zusage erteilt. Mit den anderen
stehen wir in Verbindung.
S e k t i o n e n: 1) Theoretische und angewandte Linguistik; 2) Literaturwissenschaft; 3) Rumäniendeutsche Literatur (in der Betreuung des Instituts für deutsche
Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München) 4) Didaktik des
Deutschunterrichts (DaF, DaM, DaU); 5a) Interkulturalität in Aktion. Kulturell-literarische (in deutscher Sprache); 5b) ; 6) Translatologie und Konferenzdolmetschen; 7) Perspektiven der Aus- und Weiterbildung von Deutschlehrern in Rumänien und in der südosteuropäischen Region.
F o r e n: 1) Forum "Exklusion und Inklusion in Gesellschaft und Kultur" - in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich 600 der Universität Trier; 2) Internationales Nachwuchsforum für Studierende und Doktoranden.
Zusätzliche Veranstaltungen:
* L e s u n g e n (deutsche, österreichische, rumäniendeutsche und rumänische Autoren; 4., 5. u. 6. Juni 2012); Ausstellungen
* Tagesexkursion: Ausflug in Bukarest und Umgebung – am 6. Juni 2012
Für die (etwa 100) GGR-Teilnehmer (delegierte Mitglieder der GGR) übernehmen die Organisatoren: * Fahrt- und Übernachtungskosten * Vollpension.
GGR-Teilnehmer zahlen selbst eine ermässigte Kongressgebühr: 120 RON und
eine Teilgebühr in Höhe von 50 RON für den Ausflug.
WICHTIG: Die ausländischen Gäste werden gebeten, sich mit Einrichtungen
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Mitteilungen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens
und Institutionen, die in ihren Ländern die akademische Forschung fördern, in Verbindung zu setzen, um Möglichkeiten für die Finanzierung ihrer Teilnahme am IX.
Internationalen Kongress der Germanisten Rumäniens ausfindig zu machen. Teilnahme aufgrund von Selbstfinanzierung ist selbstverständlich möglich.
* Ausländische Teilnehmer zahlen eine Kongressgebühr von 30.- EUR und eine
Tagesexkursionsgebühr (einschl. Mittagessen am Tag der Exkursion) von 25.EUR.
Der Wunsch auf Teilnahme, der Titel des Vortrags sowie eine kurze (15zeilige) Zusammenfassung werden dem Organisationskomitee spätestens bis zum 25. April
2012 per E-Mail (siehe unten!) mitgeteilt. Anmeldungen ohne Zusammenfassung
sowie später einlaufende Anmeldungen können leider nicht mehr berücksichtigt
werden. Die Dauer der Vorträge: 20’ (mit Diskussion).
Die Tagungsbeiträge werden in den nächsten Heften der "Zeitschrift der Germanisten Rumäniens" (ZGR) sowie - in ausgebauter Fassung - in "transcarpathica. germanistisches jahrbuch rumänien" (GJR) veröffentlicht. Deshalb empfehlen wir, die
zu veröffentlichende Fassung des Vortrags kurz nach dem Kongress (möglichst per EMail-Anhang, Word unter Windows, höhere Versionen und Ausdruck) einzusenden.
Die Option für die landeskundliche Exkursion muss bis 25. April 2012 dem Organisationskomitee schriftlich und bindend bekannt gemacht werden. (Genauere Angaben bitte unserer Kongress-Web-Seite entnehmen: )http://www.ggr.ro/Cong_9
Sonstige persönliche Wünsche im Zusammenhang mit dem Rumänienaufenthalt unserer ausländischen Kollegen (Fahrten, Besuche, Kontakte etc.) können der GGR bis
zum 25. April 2012 mitgeteilt werden. Die GGR wird sich als Vermittlerin bemühen, damit diese Wünsche in Erfüllung gehen. Auch das Bukarester Institut für Germanistik steht Ihnen dafür gerne zur Verfügung.
Weitere, neueste Informationen werden den Interessenten in einem ersten Rundschreiben im Januar 2012 sowie in einem zweiten Rundschreiben im März
2012 mitgeteilt. Die GGR und das Organisationskomitee erteilen auf Wunsch nähere Informationen. Sehen Sie sich von Zeit zu Zeit die Web-Seite der GGR www.ggr.ro an!
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. George Guţu,
Präsident des Organisationskomitees,
Präsident der GGR
[email protected]
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Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer,
Leiterin der GGR-Zweigstelle Bukarest
[email protected]
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DIE AUTORINNEN UND AUTOREN DES HEFTES
Autorinnen und Autoren des Heftes
1. Adamek, Diana – Doz. Dr., Universität Babeş-Bolyai, Cluj-Napoca /
Klausenburg, Philologische Fakultät
2. Arinobu, Mamina – Assist. Dr., Universität Münster
3. Cotarlea, Delia – Lekt. Dr., Universität Transilvania Braşov /
Kronstadt, Philologische Fakultät
4. Dama, Hans – Lekt. Dr., Universität Wien, Institut für Romanistik
5. Diaconu, Ioana – Lekt. Dr., Universität Transilvania Braşov /
Kronstadt, Philologische Fakultät
6. Ghiţă, Roxana – Assist. Dd., Universität Craiova, Fakultät für
Philologie
7. Golz, Jochen – Dr., Präsident der Goethe-Gesellschaft e.V., Weimar
8. Guţu, George – Prof. Dr., Universität Bukarest, Departement für
Germanistik
9. Haldenwang, Sigrid – Dr., Forscherin am Forschungsinstitut für
Sozio-Humanwissenschaften der Rumänischen Akademie,
Sibiu/Hermannstadt
10. Mahmoud, Al-Ali – Assist. Dr., Yarmuk University, Irbid – Jordan,
Department of Modern Languages
11. Martschini, Elisabeth – Assist. Dr., Universität Wien, Institut für
Germanistik
12. Olărescu, Daniela – Assist. Dr., Universität Jena, Institut für
Germanistik
13. Pascu, Cristina Andreea – Lekt. Dr., Universität Politehnica Bukarest,
Departement für Fremdsprachen
Autorinnen und Autoren des Heftes
14. Poenaru V. Vasile – Dd., Germanist, Schriftsteller, Publizist,
Toronto/Kanada
15. Rădulescu, Raluca, Lekt. Dr., Universität Bukarest, Departement für
Germanistik
16. Robciuc, Vasile – Leiter der Tristan-Tzara-Gesellschaft, Moineşti,
Rumänien
17. Sánta-Jakabházy, Réka – Lekt. Dr., Universität Babeş-Bolyai, ClujNapoca/Klausenburg, Departement für Deutsche Sprache
18. Spiridon, Claudia – M.A., Universität Freiburg
19. Spiridon, Olivia – Dr., Institut für Donauschwäbische Geschichte und
Landeskunde, Tübingen
20. Széll, Anita-Andrea – Assist. Dr., Universität Babeş-Bolyai, ClujNapoca/Klausenburg, Philologische Fakultät
21. Wehrli, Peter K – Schriftsteller, Zürich / Schweiz
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