Ding dong Der Begriff ‚beides`, damit ist sowohl das eine wie das

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Ding dong Der Begriff ‚beides`, damit ist sowohl das eine wie das
Ding dong
Nicht war diese Welt am Anfang nicht; nicht war sie.
Upanishaden
Der Begriff ‚beides’, damit ist sowohl das eine wie das andere gemeint, führt uns
sogleich in eine Verwirrung und in einen Widerspruch, weil Dinge oder Sachverhalte,
die hier mit ‚beides’ ausgedrückt werden sollten, gar nicht erst genannt worden sind.
Wovon ist die Rede? Was meint ‚beides’? Ähnlich einem Wort, welches von einem
Passanten ausgesprochen wurde, und das im Vorbeigehen gerade aufschnappt wird,
kann ‚beides’ auf alles Mögliche hindeuten. ‚Beides’ ohne jeglichen
Bedeutungszusammenhang besagt nichts und ist nonsense, weil wir es so nicht
verwenden und einordnen können. - Selbst ein Unding wird durch ein Ding bedingt.
Im Falle von ‚beides’ kann das nicht stimmen, da ‚beides’ nicht zwingend ein Ding
oder ein Gegenstand darstellen muss. Beispielsweise wenn Jemand sagt: „Mir ist
gleichzeitig heiss und kalt!“, so sind diese Befindlichkeiten ebenfalls ‚beides’,
obschon sie keine Dinge sind.
Für mich bietet der Titel der vorliegenden Publikation einen Zugang zur Betrachtung
und zum Verstehen der künstlerischen Arbeit von Christian Herter. Für ihn spielt es
keine Rolle, was ‚beides’ wirklich bezeichnet. Vielmehr interessiert ihn die
Herbeiführung von Konstellationen, die abstrakte Räume spürbar machen, poetische
Sinnzusammenhänge provozieren, und die verschiedene Interpretationen zulassen.
Eine eigene Themenwelt entwirft Christian Herter mit seinen Zoing-Arbeiten. Anfang
der neunziger Jahre beginnt er mit einer neuen Form der Selbstbetrachtung und
Bildfindung. Er beobachtet seine eigenen Träume und fängt an, sein Unbewusstes
zu durchforsten und zu initialisieren. Auffällig ist, dass er speziell von Gegenständen
träumt, die in ihm in verschiedensten Zusammenenhängen, Farben und Dimensionen
erscheinen: Ein wiederkäuender Apparat, ein inwendiger Fernseher, welcher sich
einschaltet, wenn Herter ‚wegdenkt’ oder schläft. Diese Träume werden in Form von
Zeichnungen aufnotiert und in einem Registrierschrank katalogisiert und nummeriert.
Er lässt sich davon inspirieren. Als Prokurist seiner inneren Reflektion und Intuition
funktioniert er ähnlich gewissenhaft wie ein beobachtender Wissenschaftler bei
seiner Labortätigkeit. Diese Zeichnungen nennt er Zoings, wobei er sich von der
Comix-Sprache inspirieren lässt. Herters Praxis gleicht mit der Zeit derjenigen von
Hochseefischern, welche ihre Netze auswerfen und ihren Fang auf dem Oberdeck, in
diesem Fall in Herters Atelier, ausnehmen und weiterverarbeiten. Mit der
Verwendung dieses Bilderspeichers schlägt er seinem eigenen Verstand
gewissermassen ein Schnippchen. Die Bilder verwendet er als Ausgangslage für
künstlerische Arbeiten und Prozesse. Sie werden im Atelier analysiert und auf ihren
poetischen Gehalt geprüft, umgekrempelt und neu aufgeladen.
In Herters Arbeiten sehen wir oft Gegenstände des Alltags, Fahrräder oder in Topo
( Abd.
Seiten 10 -13) einen durcheinander gewürfelten Hausrat und Zivilisationsgut, sowie
Nahrungsmittel, die schliesslich vor sich hinfaulen. Da diese Gegenstände,
Platzhalter für alles und jedes, nie für sich alleine stehen, sondern durch Eingriffe
und Kombinationen verändert werden, sind sie weniger dem Ready-made
zuzuordnen, sie sind mehr in der Tradition des objet trouvés zu lesen.
Andersherum können wir sehen, dass Herters Arbeiten, seinen kubischen Rastern
und sonstigen Applikationen, ein Schleier der Ironie, des Schalks, aber auch des
Zweifels innewohnt (innewohnen). Dies teils als Kommentar auf die aktuelle Kunst,
aber auch auf die Wissenschaft, denn Christian Herter findet Anregungen unter
anderem in der Lektüre über die Quantenphysik. Ein Beispiel ist die Bohr-EinsteinDiskussion. Niels Bohr betonte hier die Bedeutung des empirischen
Zusammenhangs („Phänomene sind nur dann Phänomene, wenn sie beobachtete
Phänomene sind“), während Albert Einstein die Position vertrat, dass es auch ohne
Beobachtung eine Wirklichkeit gebe („Der Mond ist auch dann da, wenn niemand
hinschaut“). Wissenschaftliche Theorien und abstrakte Denkfiguren regen Herters
Vorstellungswelt an, wobei sich Eingebungen und Ideen selbst aus
Missverständnissen heraus konstruieren können. Je näher er die Dinge betrachtet,
desto ferner blicken sie zurück.
In Topo haften Würfel verschiedener Grösse an Gegenständen fest. Wir dürfen
mutmassen, ob es sich um überdimensionierten Kandiszucker, eine Verpixelung oder
um einen seltsamen Pilz an toten Gegenständen handelt. Es kristallieren sich Kuben
in Zwischenräumen. So versteht sich der Gegen-stand in der deutschen Sprache als
ein Ding, welches, von der Schwerkraft angezogen, auf etwas anderem steht oder
gegen etwas drückt. In diesem Sinn ist alles, was als Ding auf der Erde existiert, an
ihr ‚angemacht’. Ein Flugzeug oder ein fliegendes Blatt sind Gegenstände in
Ausnahmesituationen, weil sie durch Energie getrieben oder angetrieben werden und
nicht immer in diesem Zustand bleiben können. – Nun, auch diese Würfel (Cézanne:
„Alles sind Kuben“) unterliegen der Schwerkraft, doch sie legen sich paradoxerweise
wie ein Spott über alles, und sie wirken schwebend und schwerelos.
Bei black spot five days (Abb. Seite 20) handelt es sich um eine Installation, die nur
für einige Tage existierte. Eingeladen vom „Übersee-Symposium“ in Romanshorn
setzte Christian Herter auf eine Wiese einen runden Fleck Asphalt, mit Zeichen, die
an die gestrichelte Mittellinie des Strassenverkehrs erinnern. So wird am Seeufer ein
Sockel für Ereignisse geschaffen, die nicht voraussehbar waren. Wie auf einer Bühne
bequemt sich darauf immer wieder ein aus Spaziergängern bestehendes Publikum.
Dieses komplettiert den Ort. Es entsteht ein Landschaftsbild.
An zwei Langlaufskiern (Abb. Seite 26) hängen lakonisch und beinahe
schiksalsergeben zwei Schneebälle von den Spitzen herab, ironisch und tragisch
zugleich. Ein Tischbock (Abb. Seite27), welcher bestimmt jahrelang als Atelierutensil
seine Dienste tat, erhält auf ein Mal einen Stern aus Karton angeheftet. Als ob dieser
Bock von innen her eine Erleuchtung gehabt hätte, oder ob ein unvorsichtiges
Anrempeln plötzlich sichtbar wurde und blieb, oder ob dieser Stern, müde von
seinem Aufenthalt im unterkühlten Universum, ein wenig pausieren würde.
Wenn sich Christian Herter mit der Wirklichkeit duelliert (wer fällt zuerst um?), zieht
er den Kürzeren. Greift er nach der Wahrnehmung im Halfter, ist er zu wenig schnell.
Aber im Dialog mit den Dingen produziert er immer wieder Bilder und durch sie
Poesie. Die Poesie ist die beste Munition der Welt.
Dogan Firuzbay