1 Der Sieg der FMLN in El Salvador ist auch ein Sieg über die Angst

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1 Der Sieg der FMLN in El Salvador ist auch ein Sieg über die Angst
Der Sieg der FMLN in El Salvador ist auch ein Sieg über die Angst
Ursula Hauser, Mitarbeiterin von medico international schweiz, beschreibt ihre
persönlichen Eindrücke als Wahlbeobachterin in San Salvador
San José, den 17. März 2009. Noch erfüllen die skandierten Worte mein Herz: SÍ SE PUDO, SÍ
SE PUDO! (ja, wir haben es geschafft) und: EL PUEBLO UNIDO JAMAS SERA VENCIDO!
(das vereinte Volk wird nie besiegt werden), die am Sonntagabend auf den Strassen von El
Salvador widerhallten, sowie auch die geteilten Freudentränen und das strahlende Lachen auf
all unseren Gesichtern!
Wahrlich ein lang ersehnter Sieg, nach langem Kampf und Leiden! Die kollektive Katharsis
vermag verschiedene Generationen zu vereinen, junge und alte, die zusammen die
schmerzliche Geschichte geteilt und erlitten haben, und nun den langersehnten Erfolg feiern.
Dies, nachdem Stimme um Stimme an den Wahlurnen erkämpft werden mussten, denn ARENA
agierte bis zum Schluss mit Schmutzkampagnen und Wahldelikten für ihre Macht.
Wahlbetrug verhindert
Wir wurden Zeugen einer solchen
Situation, als ein Camion voller
Ausländer (Nicaraguaner, Honduraner,
Guatemalteken) entdeckt wurde, die mit
gefälschten Papieren zum Wahllokal
gefahren wurden (s. Foto). Für 17 Dollar
wurden sie angeheuert, mit ARENA Hemden ausgestattet, und als
Menschenware gebraucht für den
Wahlbetrug. Aber diesmal gelang es
nicht, denn sofort blockierte eine grosse
Menschenmenge der FMLN den
Lastwagen und verunmöglichte das
Weiterfahren.
Unsere Präsenz als internationale BeobachterInnen und ein grosser Medienaufwand halfen,
aber natürlich vor allem der entschlossene Widerstand der GenossInnen konnte schliesslich die
Polizei dazu bringen, alle 15 Männer zu verhaften,dies in Anwesenheit des Staatsanwaltes. Ein
kleiner Sieg vor dem grossen, der stellvertretend für viele andere Erfahrungen in diesem
Wahlkampf stehen soll und zeigt, wie ARENA keine Mittel scheute, um ihre Macht zu
verteidigen. Mit beispielhafter Disziplin handelten die aufgebrachten und wütenden
GenossInnen der FMLN angesichts dieser niedertráchtigen Aktion, denn nur allzu gerne hätte
es die Polizei gesehen, wenn ein gewalttätiger Übergriff auf die angeheuerten Männer gemacht
worden wäre. Bis zuletzt versuchten sie, den Weg zu öffnen, damit der Camion durch durch die
Menge fahren könnte. Aber schliesslich wurden die Verhafteten in einem Polizeiwagen
abgeführt, unter den zufriedenen Buhrufen der GenossInnen.
An den Urnen sahen wir andere, weniger spektakuläre Wahlbetrüge seitens von ARENA, aber
viele wurden aufgedeckt. Im Flugzeug nach Costa Rica erzählte mir eine Salvadorianerin, die
für ihre Stimmabgabe nach El Salvador gereist ist, wie die Unternehmer die ArbeiterInnen
einschüchtern und die Angst schüren, dass sie ihre Stelle verlieren würden, wenn sie nicht für
ARENA wählen. Dies, zusammen mit der Drohung, dass den ‘Remesas’ (monatliches Geld der
MigrantInnen im Ausland) eine höhere Steuer auferlegt würde, sollte ganze Familien mit Angst
erfüllen, und so das alte feudalistische Machtsystem stützen.
Ein Sieg über die Angst – nach jahrelanger Arbeit
Also bedeutet dieser Sieg der FMLN auch ein Sieg über die Angst, eine Überwindung der
erpresserischen Drohung seitens der jetzt noch Mächtigen! Dies ist ein doppelter Sieg auf
politischer Ebene, und zugleich in der subjektiven und sozialpsychologischen Realität. Die
Einschüchterung, die Gewalt der Unterdrückung funktionierte nicht mehr, das alte Gesetz von
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‘Herr und Knecht/Magd’ wurde gebrochen, die Spuren der Kolonisierung verschwinden langsam
in der Psyche der Menschen, die frei sein wollen, Gerechtigkeit verlangen und durch den
jahrzehntelangen Kampf politisiert wurden.
Dies macht uns alle umso glücklicher, die wir seit vielen Jahren in psychosozialen Projekten
von ‘medico international schweiz’ arbeiten. In El Salvador ermöglicht medico international seit
13 Jahren mit der Frauenorganisation MELIDA ANAYA MONTES eine PsychodramaAusbildung. Als Auftakt zu diesem historischen Wochenende konnten wir in Anwesenheit von
Maja Hess, Präsidentin von medico international, eine zweite Gruppe von
Psychodramatikerinnen der M.A.M. diplomieren. Etwa 60 Frauen nahmen an dieser Feier teil,
die meisten Integrantinnen einer Gruppe, die die MELIDAS inzwischen mit Arbeiterinnen der
Maquilas, Frauen in den Dörfern, Jugendlichen und Ex-guerrilleras leiten. Viele nahmen das
Mikrophon und erzählten, wie sehr ihnen das Psychodrama geholfen hat. Von der
Ombudsstelle für Menschenrechte kam der Hauptverantwortliche. Er bezog sich in einem
persönlichen Beitrag auf den Vortrag von Maja, die von ihrer Arbeit mit lateinamerikanischen
Immigrantinnen in der Schweiz erzählte. Er bot auch seine Hilfe an, zusammen mit den Melidas
neue Gruppen zu organisieren.
Es ist ein grosser Erfolg, dass heute
bereits 14 Compañeras diese
anspruchsvolle und wirksame Methode
kennen und anwenden können, denn all
diese Frauen sind Ex-Guerrilleras, und
haben die Greuel des Krieges an eigenem
Leibe erfahren und erlitten. Sie wissen
unterdessen, dass die revolutionäre Arbeit
immer auch das Subjektive einbeziehen
muss, und dass die emotionalen und
traumatischen Erlebnisse nicht verdrängt
werden dürfen. Dies hat am 13. März
auch die FMLN- Abgeordnete Lorena
Peña anlässlich der Präsentation ihres
Buches ‘Retazos de mi vida’ (Stücke
meines Lebens) erwähnt, denn sie selber
war in einer Psychodrama Gruppe und
weiss, dass die psychischen Spuren der
Gewalt die Identität der Menschen zerstören kann! Dies gilt im speziellen für die Frauen, die
immer doppelt gelitten haben, als Frauen und als Mütter, und psychische und physische
Vergewaltigungen über sich ergehen lassen mussten.
Jetzt gilt es, die internationale Solidarität weiterhin zu verstärken, denn die kommende Zeit wird
alle Kräfte brauchen, um diesen Sieg der Linken in El Salvador auf dem politischen, sozialen
und psychologischen Feld in einer revolutionären Praxis zu verwirklichen und zu verankern. Wir
alle wissen, welch gigantische Arbeit dies bedeutet, und kennen aus der Geschichte auch die
Verführung und die äusseren und inneren Feinde, die bei der Machtübernahme bereits schon
lauern. Gemeinsam sind wir stark, das salvadoranische Volk – und auch wir – haben hoffentlich
aus der Vergangenheit gelernt, wie leicht unbewusste Wiederholungen der alten Muster
gemacht werden. Deshalb tragen wir alle an der grossen Verantwortung mit, die unsere
GenossInnen und FreundInnen in El Salvador haben.
Salvador Sánches Cerén, der gewählte Vicepräsident, Comandante und Ex-Guerrillero der
FMLN, hat ebenfalls an diesem Wochenende seine Autobiographie veröffentlicht mit dem Titel,
der uns als Wegleitung gelten soll:
CON SUEÑOS SE ESCRIBE LA VIDA –
MIT UNSEREN TRÄUMEN GESTALTEN WIR DAS LEBEN
Mit solidarischen Grüssen
Ursula Hauser
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