Einzelseiten L_R - Zuerich

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Einzelseiten L_R - Zuerich
BEST OF
Dienstag, 10. April 2007
Alte und neue
Nazis in Italien
Ist Anarchismus
noch zu retten?
Liaty Pisani «Das Tagebuch der
Signora», Diogenes-Verlag, 277
Seiten, 34.90 Franken.
KRIMI – Der italienische
Schriftsteller Zevi, einst dem Konzentrationslager entkommen, und
sein junger Freund, der US-Künstler Veronese, geraten durch die
Veröffentlichung der Erinnerungen
einer alten Dame in grosse
Schwierigkeiten. Neofaschisten
sind hinter ihnen her, weil in den
Aufzeichnungen brisante Infos zur
Vergangenheit gewisser Politiker
stecken. Es geht um die Verfolgung und Ermordung von Juden am
Ende des 2. Weltkriegs in Italien.
An diesem Politkrimi sind nicht
Suspense und Plot die Hauptsache, sondern die Darstellung dieser Judenverfolgungen, deren Verantwortliche von der italienischen
Justiz nie belangt wurden. (wob)
Horst Stowasser «Anarchie!», Edition Nautilus, 510 Seiten, 41.70
Franken.
SACHBUCH – Wie heisst es
doch so kurz und schön: «Anarchie
ist machbar, Herr Nachbar!»
Wenn es nur so einfach wäre.
Was ist das überhaupt, Anarchie?
Horst Stowasser, seit 1969 aktiv
in der anarchistischen Bewegung,
will es uns erklären. Sein Buch
geht der Frage nach, ob Anarchie
ein weltfremder Traum oder ein
noch zu verwirklichender Entwurf
ist. Es versucht, die radikale Philosophie von der Freiheit in all
ihren Ideen umfassend zu zeigen
und berichtet von gescheiterten
und erfolgreichen Versuchen. Stowasser schreibt verständlich und
mit Humor und stellt die richtige
Frage: Ist der Anarchismus noch
(wob)
zu retten?
www.20minuten.ch
Mit Connor Oberst
leiden bleibt schön
DIE BESTEN BÜCHER
1. Marie-Thérèse Cuny
«Zur Ehe gezwungen»
(10)
2. Dean Koontz
«Todesregen»
(erneut)
3. Gabriele Hessmann
«Schlank im Schlaf – Das Kochbuch»
(erneut)
4. J.D. Robb
«Symphonie des Todes»
(1)
5. Sherry Argov
«Warum die nettesten Männer bei den
Für Leseratten: Bücher bestellen bei 20 Minuten.
schrecklichsten Frauen bleiben»
(3)
6. Dan Brown
«Illuminati»
(erneut)
7. Berndt Stromberg
«Chef – Deutsch / Deutsch – Chef» (2)
8. Mo Hayder
«Die Sekte»
(9)
9. Patrick Dunne
«Keltengrab»
(8)
10. Mary Higgins Clark
«Hab Acht auf meine Schritte»
(7)
www.20minuten.ch
Der Ort, wo Zürich
wirklich Schweiz ist
Susann Sitzler «Vorstadt
Avantgarde», Limmat-Verlag,
155 Seiten, 34 Franken.
SACHBUCH – Schwamendingen ist der 12. Stadtkreis von Zürich und hat
etwa 30 000 Einwohner, ein
Drittel davon sind Ausländer.
Hier hat die Zürcher SVP
eine Hochburg. Man bezeichnet Schwamendingen wahlweise als Dörfli oder als
Ghetto. Chic und urban ist es
nicht. Um den schlechten Ruf
etwas zu relativieren, engagierte ein Schweizer namens
Nikola Grkovic vom dortigen
Gewerbeverband eine in
Berlin lebende Schweizer
Journalistin, damit einmal jemand objektiv über Schwamendingen schreibt.
Susann Sitzler nimmt den
Auftrag an, unter der Bedingung der kompletten inhaltlichen Freiheit. Sie lebt drei
Monate im 12. Stadtkreis,
beobachtet und schreibt
dieses Buch. Sie erzählt vom
Migros-Restaurant als Szenelokal der Alten, von schwierigen kulturellen Initiativen,
gelangweilten Jugendlichen,
vom Hässlichen und von
manchmal
überraschend
Schönem und davon, dass es
in keinem Schweizer Ort
mehr Vereine gibt. Sitzler
berichtet von der Gartenstadt
Schwamendingen, von 60erJahre-Blöcken mit grossen
Wiesen dazwischen, von
Wohngenossenschaften, von
einer Zeit, als es allen noch
gut ging, wo man sich vollkommen sicher war. Mittlerweile hat die globale Wirklichkeit die heile Schweiz
eingeholt, nicht nur in
Schwamendingen. So ist dieses spannende und gut geschriebene Buch für die
ganze Schweiz gültig, denn
die Schweiz ist Agglo, nicht
Stadt.
Wolfgang Bortlik
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Liess sich Zeit für «Cassadaga»: Songwriter Connor Oberst.
Universal
DIE BESTEN CD
1. Jennifer Lopez
«Como ama una mujer»
6. Polo Hofer
(1)
2. Melanie C
«This Time»
(neu)
3. DJ Gogo & DJ Andrew
«Life Is a Bitch»
«Future Sex/Love Sounds»
(neu)
(erneut)
«Introducing Joss Stone»
(8)
9. Timbaland
(9)
5. Nelly Furtado
«Loose» – Ltd. Tour Ed. (2-CD-Set)
(neu)
8. Joss Stone
4. Mika
«Life in Cartoon Motion»
«Duette 1977–2007»
7. Justin Timberlake
«Shock Value»
(neu)
10. Gimma
(5)
«Panzer»
Diese und viele andere CDs mehr kann man bestellen unter
(4)
www.musik.20min.ch.
Bright Eyes, «Cassadaga»,
Universal.
FOLK – Connor Oberst
gilt als einer der genialsten
Songwriter unserer Zeit.
Diesen Status hat er sich
vor allem mit dem BrightEyes-Album
«Lifted or
the Story Is in the Soil ...»
erarbeitet: Der neueste
amerikanische Folk-Boom
wurde fast im Alleingang
durch dieses atemberaubende Lo-Fi-Epos ausgelöst.
Nach dem letzten Doppelschlag «Digital Ash in a
Digital Urn» und «I’m Wide
Away This Morning» liess
sich Oberst zwei Jahre Zeit
– und das hört man dem
Album auch an: «Cassadaga» ist orchestraler, ausgereifter, pathetischer und
ausschweifender als die
bisherigen Bright-EyesPlatten – doch die unvergleichliche Zerbrechlichkeit ist geblieben. Was früher grau war, ist heute in
Technicolor; stand einst
Dylan Pate, ist es heute
eher Springsteen.
Für alle Fans des geplagten und verschupften
Connor Oberst mag die
neue Platte eine kleine
Enttäuschung sein, doch
unter der Orchesterschale
verstecken sich immer
noch grosse Songs: so etwa
«Four Winds», eine berührende anti-religiöse Hymne. Oder das reduzierte «No
One Would Riot For Less»
mit Obersts unvergleichlicher, zittriger Stimme und
das abschliessende «Lime
Tree», bei dem noch einmal
sein ganzes musikalisches
Genie durchblitzt. Mit
Bright Eyes zu leiden bleibt
schönes Leiden.
(nik)
Seelenheil mit Mark
Lanegan: Soulsavers
Fujiya & Miyagi: Süffiger
Sound für den Kaffeetisch
Soulsavers «It's Not
How Far You Fall, It’s
the Way You Land», V2.
EXPERIMENTALGOSPEL – Auf ihrem
zweiten Album werden
die Soulsavers ihrem
Namen mehr als gerecht: Mit Hilfe von
Mark Lanegan haben sie
eine Platte eingespielt, die die Seelen retten wird, welche der Papst nie erreichen könnte. Denn wenn der
einstige Sänger der Queens of the Stone Age zu düster experimentellen Schleppbeats singt, dann klingt das
einfach nur ergreifend – besonders, wenn er es im Duett mit Bonnie «Prince» Billy tut.
(tna)
Fujiya & Miyagi «Transparent Things», Phonag.
DANCE – Fujiya &
Miyagi sind weder Japaner noch ein Duo. Das
Trio aus dem englischen
Brighton macht verträumte Dance-Musik
zwischen LCD Soundsystem und Air – mit
einer Prise Krautrock für die individuelle Note. Mal süffig-süss («Collarbone»), dann wieder pfiffiger («Photocopier») ist allen Songs auf «Transparent Things» gemeinsam, dass sie immer Kaffeetisch-konform bleiben.
Und das ist gut so, denn in gewissen Lebenslagen soll
Musik ja einfach nur angenehm sein.
(tna)