- Sportland NRW
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Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen 21 von uns Stadien und Arenen in Nordrhein-Westfalen Treffpunkt des internationalen Spitzensports Sportstars präsentieren ihre Wettkampfplätze Lebensbildung www.mfkjks.nrw.de 21 von uns Steine können nicht erzählen. Beton, Stahl und Plastikschalen kriegen auch kein Wort raus. Wie also sollen sich die einmaligen Sportstätten Nordrhein-Westfalens einer Weltöffentlichkeit vorstellen? Ganz einfach! Diese großartigen Sportplätze erinnern an fantastische Sportler, die hier ihre Erfolge errungen und/oder viele Tausend Stunden harte Trainingsarbeit geleistet haben. 21 von uns eben, 21 Sportlerinnen und Sportler aus Nordrhein-Westfalen. Und die sollen mal erzählen. Olympiasiegerinnen und -sieger, Weltmeister, Weltmeister-Trainer, Europameister, Medaillengewinner und Sportlegenden führen nun durch Stadien, Arenen, Wettkampfanlagen und Sportschulen, die ein Aushängeschild für den Spitzensport in Nordrhein-Westfalen sind. Und die in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Schauplätze von hochrangigen internationalen Wettkämpfen waren, sind und sein werden. Ohne Fußball kein Sportland NRW. Und da es weltweit wohl nirgendwo in einer Region eine solche Dichte von international bedeutenden Fußballstadien gibt wie in Nordrhein-Westfalen, haben wir eine „Elf“ aufgestellt, die in einem „Stadion-Extra“ in der Mitte des Heftes ihre elf Fußball-Arenen vorstellt, von denen viele schon Schauplätze von Welt- und Europameisterschaften waren. Als Spielführer läuft der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes auf, gefolgt von Weltmeistern, Europameistern, einem Champions-League-Gewinner und anderen Meisterkickern. inhalt 4 einundzwanz ARENEN, STADIEN, ANLAGEN 12 FRAGEBOGEN 6 Hannelore Kraft Die Ministerpräsidentin und ihr frühes Ballgefühl SPORTLAND NRW 8Markenzeichen Das Logo der Olympia-Bewerbung wurde zur Klammer des Erfolgs Lanxess arena | Köln Handball-Weltmeistertrainer Heiner Brand über Gänsehaut-Feeling unter dem Stahlbogen 16 Warsteiner Hockeypark | Mönchengladbach Für Timo und Benjamin Weß war der WM-Titel der schönste Erfolg in der schönsten Anlage 18 Reitstadion in der Soers | Aachen Reiterlegende Hans Günter Winkler führt durch sein „Wohnzimmer“ 22 Golf Club Gut Lärchenhof | Pulheim Profigolfer und Weltreisender Marcel Siem spielt einmal im Jahr vor seiner Haustür 26 Leichtathletikhalle | Leverkusen Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel schwärmt von einmaligen Bedingungen 28 Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen Unternehmer und Sportmäzen Gerhard Weber über seine Idee des deutschen Wimbledon 32 Lohrheidestadion | Bochum Weltmeisterin Sabine Braun ist in Deutschlands Leichtathletikstadion Nummer eins zu Hause 36 Sportschule Wedau | Duisburg Die Karriere von Fußball-Weltmeister Berti Vogts und die Rasenplätze in Duisburg 40 Regattabahn | Duisburg Die Wedau ist das Lieblingsgewässer von Doppelolympiasieger Thomas Reineck 66 Stadtbad Schwimmoper | Wuppertal Wo Simone Osygus schon mit fünf Jahren ihre ersten Bahnen geschwommen ist 70 Sportschule Hennef Fußball-Weltmeister Wolfgang Overath kickt noch heute auf dem grünen Hügel 5 ig von uns STADION-EXTRA 72 Rochusclub | Düsseldorf Für Eric Jelen ist der feine Club eine der schönsten Anlagen der Welt 76Deutsches Tischtennis-Zentrum | Düsseldorf Wo Weltmeister und Bundestrainer Jörg Roßkopf seinen Starspielern den letzten Schliff beibringt 78Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf In einer kleinen Dachstube begann die Karriere von Dressur-Olympiasiegerin Nicole Uphoff-Selke 82 Schießsportanlage | Dortmund Das Revier des vierfachen Olympiateilnehmers Maik Eckhardt liegt unter Tage 84ISS Dome | Düsseldorf Eishockey-Legende Otto Schneitberger verpasst kein Spiel auf der glatten Fläche der neuen Arena 88 SportCentrum | Kamen-Kaiserau Der „besondere Geist“ des Trainingsquartiers ist für Olaf Thon einer der Gründe für den WM-Titel 1990 90 Westfalenhallen | Dortmund 50 Welt- und Europameisterschaften – und die Winterlaufbahn für Olympiasiegerin Annegret Richter 94 Lipperlandhalle | Lemgo Mit Volker Zerbe wurde das kleine Städtchen zum nationalen Zentrum des Handballsports 96 Regattastrecke Fühlinger See | Köln Ruderweltmeister Stephan Volkert kann auch nach Karriereende nicht vom See lassen 100Bobbahn | Winterberg Europameister René Spies freut sich auf die Weltmeisterschaften in der schönsten Eisröhre 42 elf von uns Ein prominentes Fußballteam stellt die großen Stadien in Nordrhein-Westfalen vor 44 Signal Iduna Park | Dortmund Michael Zorc 46 Esprit arena | Düsseldorf Wolfgang Niersbach 48 Veltins-Arena | Gelsenkirchen Klaus Fischer 50 Schauinsland-Reisen-Arena | Duisburg Bernard Dietz 52 Stadion im Borussia-Park | Mönchengladbach Rainer Bonhof 54 SchücoArena | Bielefeld Uli Stein 56 RheinEnergieStadion | Köln Toni Schumacher 58rewirpowerstadion | Bochum Dariusz Wosz 60Benteler Arena | Paderborn Roger Schmidt 62BayArena | Leverkusen Rudi Völler 64Tivoli | Aachen Willi Landgraf GESPRÄCH 104Ute Schäfer und Walter Schneeloch Die Sportministerin und der Sportpräsident über den Sportstandort Nordrhein-Westfalen 106Impressum fragebogen 6 „Familie mit Sportvirus infiziert“ Sind Sie eigentlich selbst sportbegeistert? Heute schlägt Ihr Herz für den Fußball: Haben Sie einen Lieblingsverein? Ich liebe Sport, und zwar schon von Kindheit an. Können Sie sich noch an Ihren ersten „Ballkontakt“ erinnern? Ich bin seit über 30 Jahren Fan von Borussia Mönchengladbach. Aber ich freue mich auch über gute Spiele und tolle Erfolge der anderen Fußballvereine aus NRW. Das war mit meinem Vater, der mich mit zu Fußballspielen von Rot-Weiß Essen genommen hat. Wie oft schaffen Sie es, ins Stadion zu gehen? Haben Sie sich in Ihrer Jugendzeit eher für Handball oder für Fußball interessiert? So oft es der Terminkalender zulässt, bin ich in Gladbach. Ich habe selbst Handball gespielt, weil es in Mülheim an der Ruhr keinen Fußballclub für Mädchen gab. Sind Sie auch im Urlaub sportlich aktiv oder bevorzugen Sie es, zu relaxen? Was waren Ihre größten sportlichen Erfolge? Seit Jahren machen wir regelmäßig Familienfreizeit im Sauerland mit dem Landessportbund. Wir sind mit der A-Jugend 1979 Westdeutscher Handballmeister geworden, später dann Dritte bei den Deutschen Meisterschaften. Halten Sie sich eigentlich selbst auch mit Sport fit? hannelore kraft 7 Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen Ich gehe regelmäßig sehr früh am Morgen ins Fitnessstudio. Wie sportlich ist Ihre Familie? Die ganze Familie ist mit dem Sportvirus infiziert. Unser Sohn Jan spielt Basketball; mein Mann war früher im Motorsport aktiv. Wir fiebern mit von Biathlon bis Formel 1. Welche Bedeutung hat der Olympiaort London für Sie persönlich? Während des Wirtschaftsstudiums habe ich auch einige Semester am King’s College studiert. Was ist für Sie außer sportlichen Höchstleistungen noch wichtig bei den Olympischen Spielen? Die Spiele sind auch toll für solche Sportarten, die sonst nicht jeden Tag im Rampenlicht stehen. NRW hat 21 Sportstätten von Weltrang, in denen internationale Meisterschaften ausgetragen werden. Übernimmt der Sport für ein Land wie Nordrhein-Westfalen auch eine Botschafterfunktion? Immer! Nicht nur für die Sportstätten, sondern auch für die Vielfalt und Schönheit Nordrhein-Westfalens. Ein Besuch lohnt sich. Auf welche sportlichen Großereignisse haben Sie sich gefreut und für welche wird Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren als Gastgeber auftreten? Mit der Eishockey-WM 2010, der Frauen-Fußball-WM 2011 oder der Tischtennis-Mannschafts-WM 2012 haben wir tolle Sportveranstaltungen erlebt. 2015 können wir uns auf die Reitsport-Europameisterschaft in Aachen und die Bob-Weltmeisterschaft in Winterberg freuen. sportland nrw 8 Die Klammer für den Erfolg SPORTLAND NRW. Eine Region, die im Sport zusammenhält und ein toller Gastgeber für internationalen Wettkampfsport in modernsten Stadien und Arenen ist. 9 M anche Erfolgsgeschichte beginnt mit einer Niederlage. Gerade im Sport. Man denke da nur an die Fußball-Weltmeistertitel der deutschen Mannschaften. 1954 verloren die Herberger-Buben im Gruppenspiel sang- und klanglos 3:7 gegen die starken Ungarn, um schließlich im Finale von Bern denselben Gegner mit 3:2 zu deprimieren. Oder 20 Jahre später, Hamburg, 0:1 gegen die DDR, ausgerechnet, das Prestigeduell. Anschließend 2:1 im Finale gegen Holland. Ausgerechnet. Blicken wir nach Nordrhein-Westfalen. Auch dort gibt es solche Sportgeschichten zu erzählen. Dort, wo der Erfolg im Fußball, in der Leichtathletik, im Schwimmen, Hockey und Reiten an der Tagesordnung ist. Die Region zwischen Rhein und Weser, so groß wie der Nachbar Niederlande, stellt regelmäßig ein Viertel des deutschen Olympiateams – im Sommer zumindest. Olympiasieger und Weltmeister stehen zu ihrer Region, sie engagieren sich, sie werben für dieses Land. Sollte da nicht …? Ja. 2001 sammelte sich die Sportkompetenz des Landes hinter einer Idee: Olympische Spiele an Rhein und Ruhr. Echte Spiele aus einer Region sollten es werden – mit Düsseldorf als Bewerberstadt. Wir alle wissen, die Spiele werden nun in London ausgetragen. Denn die fantastische Bewerbung aus NRW schaffte es im deutschen Wettbewerb nur auf Platz 3, hinter Leipzig und Hamburg – eine politische Entscheidung. Und sicherlich konnte der eine Oberbürgermeister nicht so wunderbar Cello spielen wie der andere … Nun, der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Der Musiker gewann den nationalen Entscheid und war im internationalen Schaulaufen ohne Noten chancenlos. Doch die Niederlage in der nationalen Ausscheidung führte in der Sportpolitik bei Funktionären in Nordrhein-Westfalen zu einer Jetzt-erst-recht-Haltung. Ähnlich wie Franz Beckenbauer 1974 seine Kameraden nach der desaströsen Niederlage gegen die damalige DDR wieder aufrichtete und zum WM-Titel führte, standen Sportler und Macher auch in Nordrhein-Westfalen wieder auf. Von einer erneuten Olympia-Bewerbung mag man hierzulande zwar nicht sprechen. Aber: Das Sportland Nordrhein-Westfalen stand auf. Eine Einheit, ein Zusammenhalt, den man so nicht erwartet hätte. Die Akteure verkrochen sich nicht, sondern machten weiter, bauten neue Sportstätten und Strukturen auf und präsentieren sich in dem Jahr von Olympia 2012 so stark wie nie zuvor. sportland nrw 10 Und selbstbewusst. Das Logo aus der verlorenen Olympia-Bewerbung ist sogar geblieben. Ein bunter Streifen wie ein von Miro angepinselter Barcode verbindet den Sport an Rhein und Ruhr. Engagement von Privatunternehmern wie Gerhard Weber. Er entwickelte auf der grünen Wiese am Rande des Teutoburger Waldes das erste deutsche Rasenplatzturnier für die internationale Tenniswelt. Das Logo ist zum Markenzeichen geworden. Ein Markenzeichen für das erfolgreiche Sportmanagement des Landes und seiner Verbände. Vor allem der enge Schulterschluss zwischen Politik und dem Landessportbund überzeugt, eine Kooperation, die vor wenigen Jahren so noch nicht denkbar war und möglich erschien. Wir wollen nun nicht einzelne Menschen herausheben, die am Zustandekommen dieser eindrucksvollen Entwicklung des Sports beteiligt waren. Es haben viele mitgemacht, eine große Anzahl aktiver und früher aktiver Sportler, Leitfiguren ihrer Vereine und des Sports in NRW haben sich beteiligt. Unternehmer und Sponsoren, Vertreter der Medien. Ohne sie und ihre Bereitschaft zu weiterem Engagement wäre es wohl nicht möglich gewesen, das Sportland NRW national und international als herausgehobenen Sportplatz zu etablieren und zu positionieren. Aus diesem Wiesenturnier ist eines der weltweit bekannten und besten Turniere auf der ATP Tennis-Tour der Herren geworden. Das zeigt nicht nur den Mut von Unternehmern, in den Sport zu investieren. Auch die Zuschauerbegeisterung in Ostwestfalen hat dazu beigetragen, dass Weber auf diese Wiese das Gerry Weber Stadion mit einer Kapazität von mehr als 11 000 Zuschauern setzen konnte und dem Sportpalast noch ein bewegliches Dach spendierte. Damit war nicht nur Tennis auf dem Rasen von Halle möglich – ab 2014 dann auch noch ein hochkarätiges Damenturnier –, sondern auch Boxen, Handball, Basketball, Eiskunstlauf. Die Handball-Weltmeisterschaft oder Henry Maskes Box-WM-Kämpfe sind nur einige Belege für dieses großartige private Engagement für den Sport im Sportland NRW. So wie Weber vor fast zehn Jahren die Olympia-Bewerbung unterstützte, ist er heute noch immer dabei: als Mitglied im Kuratorium der Sportstiftung. Dennoch darf man wohl Doppelolympiasiegerin Heide Ecker-Rosendahl nennen, die als Vorsitzende des Bewerbungskomitees bereit war, sich ehrenamtlich weiter zu engagieren für den Sport in NRW. Oder was wäre der Sport in Nordrhein-Westfalen ohne das Ein kleiner Rückblick auf die vergangenen Jahre: 2006 die Fußball-Weltmeisterschaft, ein Sommermärchen, das in Köln, Gelsenkirchen und Dortmund tolle Spiele und fantastische Fans erlebte. Die Gastmannschaften, die an Rhein und Ruhr ihr Trainings- 11 camp aufschlugen, wie die Spanier in der Sportschule Kaiserau oder die Italiener in Duisburg, fühlten sich geherzt von der Gastfreundschaft. Im selben Jahr noch kamen die besten Hockeyteams der Welt zur ihren Championships in den Hockeypark von Mönchengladbach. Ein weiteres Sommermärchen mit deutschem Weltmeistertitel. Und die Aachener Soers sah ebenfalls 2006 tolle Wettkampfwochen bei den Weltreiterspielen. Nur ein Jahr später war schon die Handball-Weltmeisterschaft in Nordrhein-Westfalen, mit Spielen in der Westfalenhalle Dortmund, im Gerry Weber Stadion, in der Lipperlandhalle in Lemgo und mit dem Finale in der Lanxess arena zu Köln. 2011 kamen die Fußballerinnen nach Nordrhein-Westfalen: Die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft mit den Spielorten Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach zeigte die besondere Stimmung im Fußballland NordrheinWestfalen. Im Frühjahr 2012 gastierten dann die besten Tischtennisspieler der Welt in der Dortmunder Westfalenhalle, um in Timo Bolls Heimat die Mannschafts-Weltmeisterschaft auszuspielen. Und so geht es weiter, die Zukunft verheißt spannenden internationalen Wettkampfsport mit der einen oder anderen Überraschung: Denn dass NordrheinWestfalen auch eine Wintersportregion ist, weiß man offensichtlich nicht nur bei den schnee- und skifahrverrückten Nachbarn aus den Niederlanden, die im Winter zu Tausenden auf die Pisten des Sauer- landes abfahren. Auch die Formel 1 des Wintersports bringt jedes Jahr ihre schnellen Bobs zu WeltcupRennen nach Winterberg. 2015 darf die rasante und kurvenreiche Eisröhre die Weltmeisterschaften ausrichten. Im selben Jahr trifft sich die Reiterelite in der Aachener Soers zu ihrer Europameisterschaft, um erstmals in fünf Disziplinen – Springreiten, Dressur, Reining, Fahren und Voltigieren – die Champions zu küren. Die Welt des Sports ist eingeladen. Das Sportland NRW ist bereit für viele weitere internationale Wettkämpfe. lanxess arena | köln 12 heiner brand 13 Wenn nicht hier, wo dann? LANXESS ARENA. Handball-Weltmeistertrainer Heiner Brand und das Gänsehaut-Feeling beim Betreten von Deutschlands größter Halle. M anchmal ist es erst die Kombination von Dingen, Begebenheiten oder Eindrücken, die bei Menschen heftige Emotionen auslöst. Gänsehaut zum Beispiel. Im Normalfall würden die auf dem Kölner Willy-Brandt-Platz verbauten 120 000 Kubikmeter Beton den ehemaligen Handballtrainer Heiner Brand völlig kaltlassen. Auch wenn daraus in 27-monatiger Bauzeit Mitte der 90er Jahre die größte Veranstaltungshalle Deutschlands entstanden ist – die Lanxess arena. Nach der O2 Arena in London die zuschauerreichste Arena weltweit. Doch in seinem persönlichen Reiz-Reaktions-Schema gibt es eine Kombination, die die Haare auf Brands Unterarmen nahezu reflexhaft aufrichtet. „Piloerektion“ nennen Mediziner das und sprechen von einem physiologischen Mechanismus. Bei Heiner Brand, 60, ist es die Kombination aus Lanxess arena und der Frage: „Wenn nicht hier, sag mir wo und wann?“ Von 19 000 begeisterten Zuschauern siegestrunken mitgesungen, wurde das Lied der Kölner Stimmungsmacher „De Höhner“ am 4. Februar 2007 zu einer Hymne an das Handballspiel. An eine Mannschaft. Und an einen Mann, den dieser Sport groß gemacht hat wie keinen anderen in Deutschland. Denn auf dem Spielfeld der „Kölnarena“, wie sie damals hieß, hatten Heiner Brand und seine Mannschaft die Frage der Höhner endgültig beantwortet. Im „Tollhaus am Rhein“ – so die Tageszeitungen anderntags – wurden sie Weltmeister. Und Heiner Brand war der erste Handballer, der als Spieler und als Trainer WM-Gold gewonnen hat. Sukzessive hatte die DHB-Auswahl in den Tagen zuvor die Fieberkurve in der Halle nach oben getrieben. Mit Emotion, Leidenschaft und knappen Siegen. Gegen Titelverteidiger Spanien und den erst nach zweifacher Verlängerung niedergerungenen Europameister aus Frankreich. Mit Losglück hatte Deutschland schon Viertel- und Halbfinale in Köln austragen dürfen. „Das war Kampf, Herz und sich durchbeißen“, schnaufte der Mann mit dem Walrossbart hinterher und räumte ein: „Man kann nicht sagen, dass wir spielerisch besser waren. Aber die Leidenschaft meiner Jungs auf dem Spielfeld und die Stimmung auf den Rängen – ich hab das hier und heute genossen.“ Das „hier“ war ihre Halle. „Henkelmännchen“ nennen Einheimische die Anlage liebevoll. Zumindest im Februar 2007. Denn originär ist die Lanxess arena Heimspielstätte der „Haie“, des traditionsreichen Kölner Eishockey-Clubs KEC. Schon bei zwei Weltmeisterschaften (2001 und 2010) konnte die Halle zeigen, dass die Gastgeberrolle für hochkarätigen Eishockey-Sport eine ihrer vornehmsten Aufgaben ist. Und es waren die Kölner Truntschka, Sikora und de Raaf, die die Halle noch vor der offiziellen Eröffnung einweihen durften – im September 1998, im Bundesligaspiel gegen die Frankfurt Lions. Mit 6:3 fegten die neuen Hausherren den Gegner vom Eis – dem 30 x 60 Meter großen Fundament, auf dem Eishockey in Köln seine fast 70-jährige Tradition seither fortsetzt. Die Erinnerung an Spieler, die hier zu Ikonen wurden, hält der Club buchstäblich hoch. Torwart Josef Heiss, die verstorbenen Ralph Philipp und Robert Müller, aber auch Kölns RekordBundesligaspieler Mirko Lüdemann sind nur einige der Cracks, deren Trikots seit dem 26. September 2010 vom Ehrenplatz unter dem Hallendach aus daran erinnern, was sie für das Hockey auf Kölner Eis geleistet haben. lanxess arena | köln 14 Als „Henkelmännchen“ aus 120 000 Kubikmetern Beton, 40 000 Tonnen Stahl und 140 000 Quadratmetern Glas Die Umkleideräume des Kölner Eishockey-Clubs – machten die Kölner die Lanxess arena zum lieb gewordenen zweiten Wahrzeichen ihrer Stadt. der Garderobenplatz des aktuellen Haie-Torhüters Youri Ziffzer gehörte während der Handball-WM 2007 Bundestrainer Heiner Brand. Und in deren „Allerheiligstem“ – den Umkleideräumen des KEC – saß am 4. Februar 2007 Heiner Brand. Wenn man reinkommt unter dem ersten Kleiderhaken gleich rechts. In der Box, die heute KEC-Keeper Youri Ziffzer nutzt. Welche Fragen gehen einem Trainer durch den Kopf, der nur noch Minuten Zeit hat, um seine Truppe einzustimmen? Auf das Größte, was sie in einer mit 24 Mannschaften besetzten WM erreichen kann. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht hier, sag mir wo und wann? Wenn nicht wir, wer sonst? – Zum wievielten Mal eigentlich (?) spielten „De Höhner“ oben in der Halle den Turnier-Gassenhauer, diesmal aber live vor erwartungsfrohen Rängen. Nervig? „Nein, genau das Gegenteil“, versichert Brand. „Denn jede Zeile dieses Lieds bringt auf den Punkt, welche Chance wir hier hatten.“ Und in jeder Zeile steckt auch ein wenig Herzblut von Heiner Brand. Nur auf seine Initiative und erst in der Aufwärmphase des WM-Turniers ist das Lied überhaupt entstanden, zu dessen größter Bühne die Kölner Arena später werden sollte. Gemeinsam mit De-Höhner-Schlagzeuger Janus Fröhlich, einem Freund seit mehr als 30 Jahren, entwickelte Heiner Brand drei Tage vor Weihnachten 2006 den Text, „die Geschichte, die wir erzählen wollten“. Im Silvesterurlaub ging die Combo ans Komponieren und nach letzten Textkorrekturen – erst wenige Tage vor dem Eröffnungsspiel – stand die finale Version. Und im Finale, jetzt, zweieinhalb Wochen später, ging es gegen Polen. Ausgerechnet. Zu Polen hat die Lanxess arena eine ganz eigene Verbindung. Denn dass sich die Multifunktionshalle im Stadtteil Deutz, also auf der „Scheel Sick“ der Stadt, dennoch zum zweiten Wahrzeichen Kölns entwickelt hat, ist dem Stahlbogen zu verdanken, der sich 240 Meter weit über die Halle schwingt. Er trägt das Arena-Dach mit seiner extremen Neigung und einem Höhenunterschied von der Nord- zur Südseite von zwölf Metern und gibt der Halle erst ihr markantes Profil. „Henkelmännchen“ nennen Einheimische die Anlage liebevoll, auf die sie so stolz sind wie auf den Dom. Und dieser Bogen wurde aus zehn bis zu 90 Tonnen schweren Einzelteilen in Polen gefertigt und ist mit einem beleuchteten Innenraum ausgestattet und über eine eingeschweißte Treppe im Bogenverlauf begehbar. Nur noch ein Schritt fehlte der DHB-Auswahl, 76 Meter weiter unten am Finaltag 2007, um den Triumph von 1978 zu wiederholen. Zum ersten und bis dato einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik war Deutschland 29 Jahre zuvor Handball-Weltmeister geworden. Mit Heiner Brand am Kreis, in Kopenhagen gegen die Sowjetunion. „Doch diesmal waren die Russen früh gescheitert“, erinnert sich Brand, „im Viertelfinale gegen Polen.“ Ausgerechnet. Deren Trainer Bogdan Wenta hatte selbst 50-mal – und noch bei Olympia in Sydney – für die deutsche Nationalmannschaft gespielt. Sein Trainer damals: Heiner Brand. Und Wenta war es, gegen dessen Team die DHB-Auswahl in diesem heiner brand 15 Durch Teleskoptribünen lässt sich das Fassungsvermögen der Lanxess arena auf bis zu 20 000 Zuschauer erweitern. Turnier schon in der Vorrunde verloren hatte. Ihre einzige Niederlage. Und eine, die den deutschen Trainer mächtig wurmte. Doch das hier war Köln. Im ganzen Turnier hatte Polen noch nie in dieser Halle gespielt. Vor 19 000. „Mit so einer Unterstützung im eigenen Land“, hatte Brand zuvor versprochen, „können wir ganz oben anklopfen.“ Und die Unterstützung auf den bis auf zwei Meter an das Spielfeld herangezogenen Teleskoptribünen war von der ersten Minute an da. Wenn nicht jetzt, wann dann? Alles auch eine Frage der Überzeugung. Doch – kein Zweifel – auch der Gegner glaubte an sich. „Jeszcze Polska nie zgineła“ („Noch ist Polen nicht verloren“), hielten Wenta und sein Team vor dem Anpfiff mit ihrer Nationalhymne den Gastgebern entgegen. Aber 60 Minuten später hatten die Gäste das Nachsehen. Mit schnellen Tempogegenstößen und einstudierten Rückraumkombinationen, genialen Anspielen auf ihre Kreisläufer und die „Außen“ und dem kühlen Kopf von Henning Fritz im Tor hatte die Brand-Truppe auf alles eine Antwort. Wenn nicht wir, wer dann? Das deutliche 24:20 der DHB-Auswahl ließ mit dem Abpfiff keine Frage offen. Und was dann folgte, „waren Emotionen pur“, erinnert sich Brand heute. „Mit dem Schlusspfiff kam alles raus.“ Denn der Erwartungsdruck zuvor war riesig gewesen. Zwar galten – auch seiner Meinung nach – „die Dänen und die Kroaten, Spanien und Frankreich sowieso als Nationen, die aus rein sportlicher Sicht vor uns lagen“. Doch nach dem Sommermärchen der Kicker um Jürgen Klinsmann bei der Fußball-WM ein halbes Jahr zuvor hatte Brand selbst die Vorlage gegeben: „Wir hoffen auf ein Wintermärchen.“ Lanxess arena Adresse: Willy-Brandt-Platz 3, 50679 Köln Und machte es beim Finale wahr. Architekt: Architekturbüro Böhm Doch dass „dieser ‚Handball-Tempel‘“ in seinem Leben auch heute noch zur Schnittstelle unterschiedlichster Emotionen taugt, hat viel mit Weggefährten zu tun, die ihn hierher begleitet haben. Mit dem Schlusspfiff, der den Finalsieg gegen Polen besiegelte, kam Oleg Velyky von der Bank, verletzt und schwerkrank. Der Rückraumspieler aus der Ukraine, den Heiner Brand 38-mal ins Nationalteam berief, bevor der Spieler des Hamburger SV einer Krebserkrankung erlag. Erinnerungen auch an Joachim Deckarm. Mit ihm gewann er als Spieler die WM 1978, bevor der nach einem Sportunfall im ungarischen Tatabánya im folgenden Jahr nie wieder Handball spielen konnte. Mit Deckarm war Heiner Brand hier, um sich erstmals gemeinsam die Kölnarena anzuschauen. Eröffnet: 17. Oktober 1998 Aber auch sonst ergeben sich für den heute als Manager des Deutschen Handballbundes Tätigen immer wieder Gelegenheiten, in der Multifunktionsarena vorbeizuschauen. Bei einer der zahlreichen Konzertveranstaltungen zum Beispiel, wie am 30. April 2012 beim Jubiläumskonzert „40 Jahre De Höhner“. Brand war natürlich dabei. Und da war sie wieder – die Gänsehaut. Kapazität: Eishockey: 18 650, Handball: 19 250, maximal: 20 000 Besonderheiten: Abdeckbare Eisfläche sowie in der Größe variable Sitz- und Stehplatztribünen, nach der O2 Arena in London die zuschauerreichste Arena weltweit Veranstaltungen: Eishockey-WM der Herren 2001 und 2010, European Club Championship 2006 (Handball), Handball-WM der Herren 2007, Finale EHF Champions League 2010 bis 2014 (Handball), Boxkämpfe der KlitschkoBrüder und von Felix Sturm 1999 bis 2011 Vereine: Kölner Haie (DEL, seit 1998), VfL Gummersbach (HBL, seit 2001), Köln 99ers (BBL, 2001 bis 2009) www.lanxess-arena.de Warsteiner Hockeypark | mönchengladbach 16 Ständiges Leuchten WARSTEINER HOCKEYPARK MÖNCHENGLADBACH. Timo und Benjamin Weß feierten in der schönsten Anlage Europas große Erfolge. A cqua alta in Mönchengladbach? Pure Untertreibung. Die Wahrheit: Es schüttet wie aus Eimern und der Rundgang über die Anlage des Warsteiner Hockeyparks fällt ins Wasser. Es bleibt nur die Flucht in die Sportsbar, welche, wie sich bei einer Tasse Tee schnell herausstellt, eine hervorragende Übersicht über das Hauptfeld der Open-Air-Arena bietet. Donnerwetter – erst jetzt fällt auf: Das Stadion ist ja voller Menschen. Richtiger Eindruck, trotzdem falsch. Es sind leere Plätze, die eine volle Bude suggerieren. Eine geniale optische Täuschung, hervorgerufen von mehr als 9 000 bunten Hartschalensitzen. Der aufmerksame Betrachter kann verschiedene Nuancen von Blau, Apricot und Gelb ausmachen, aber es wird ihm nicht gelingen, auch nur eine Stelle zu finden, wo zwei Stühle neben- oder übereinander haargenau den gleichen Farbton haben. Trotz des miesen Wetters – das Stadion leuchtet. Wenn man es sieht, glaubt man sofort, dass es nichts Vergleichbares in Europa gibt. Mobile Tribünen an den Kopfseiten können bei Bedarf die Zahl der Zuschauersitze erheblich erhöhen. Sowohl Haupt- als auch Nebenplatz verfügen über einen formidablen Kunstrasen, Flutlichtanlagen und anderen technischen Schnickschnack, den Großveranstaltungen heute benötigen. Und davon gibt es hier viele. Serienmäßig, wenn man so will. Denn es gibt in Deutschland keine erfolgreichere Ballsportart als Hockey und die Niederrhein-Metropole mit ihrem Bundesligisten Gladbacher HTC ist ihr Zentrum. Unweit der Bar residiert der Deutsche Hockeybund und seit der Eröffnung des Parks 2006 gibt es landesweit kaum ein wirklich wichtiges Ereignis in diesem Sport mehr, das nicht hier ausgetragen wird. Schon das erste große Turnier beschert den Gladbachern ihre eigene, ganz besondere Version des Sommermärchens. Die erste WM im eigenen Land und die Gastgeber verteidigen erfolgreich ihren Titel. Im Finale besiegt die Hockey-Nationalmannschaft der Herren den Rivalen Australien mit 4:3. Das kann man mal einen gelungenen Start nennen. „Ein unvergessliches Erlebnis“, bestätigt Timo Weß, ein knapp 30-Jähriger, der im Hockey alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt: Der gebürtige Moerser gilt als einer der besten Abwehrspieler im internationalen Hockeysport. Er darf sich Welt- und Europameister nennen, Champions-Trophy-Gewinner und Olympiasieger. Jetzt sitzt Timo Weß mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Benjamin, wie er Mitglied im A-Kader der Nationalmannschaft, in der Sportsbar und schaut in den niederrheinischen Frühsommerregen. Die Stimmung im Stadion damals sei unbeschreiblich gewesen, sagt Timo. In zwölf Spieltagen waren 100 000 Zuschauer in den Sportpark gekommen – eine schwarz-rot-goldene Masse, Fähnchen schwenkend, euphorisch. Bruder Benjamin war mit dabei – allerdings lediglich als Fan auf den Rängen. Fünf Jahre später: Doppel-Europameisterschaft der Damen und der Herren. Da aber stand der jüngere der Weß-Brüder auf dem Feld. Und wieder zeigte die Stadt, dass die Eigenwerbung „Hockey-Hauptstadt Mönchengladbach“ keineswegs eine leichtfertige Übertreibung von MarketingExperten ist: Die deutschen Hockey-Damen unterlagen im Endspiel der niederländischen Auswahl, die Herren aber bezwangen ihre Kollegen aus dem Nachbarland in einem grandiosen Endspiel mit 4:2. Logisch, dass die Brüder mit dem Warsteiner Hockeypark „große sportliche Momente und viele Emotionen“ verbinden. Dass die sympathischen Jungs diese Erfahrungen nun auch bei den Olympischen Spielen in London machen – das Turnier beginnt einen Tag nach Benjamins 27. Geburtstag –, sei ihnen gewünscht. Und dem Sport in Mönchengladbach – by the way – viel Sonnenschein. Warsteiner Hockeypark Adresse: Am Hockeypark 1, 41179 Mönchengladbach Baubeginn: August 2004 Eröffnet: 15. April 2006 Kapazität: Hauptspielfeld: 9 046, Erweiterung durch mobile Tribünen auf etwa 12 000, Nebenspielfeld: 850 Parkplätze: 2 000 Veranstaltungen: Feldhockey-WM der Herren 2006, Feldhockey-EM der Damen und Herren 2011, 32. Champions Trophy der Herren im Feldhockey 2010, Junior Bowl 2007 bis 2009 www.warsteiner-hockeypark.de timo und benjamin weSS 17 reitstadion in der soers | aachen 18 hans günter winkler 19 Höhepunkte und Dramen REITSTADION IN DER SOERS. Reitsportlegende Hans Günter Winkler ritt zunächst mit Eisenhower aus und gewann später 40 Turniere in Aachen. E r hat alles gewonnen, was man als Reiter gewinnen kann. Deutsche Meisterschaften und Europameisterschaften, wurde zweimal Weltmeister und holte fünfmal Gold bei Olympischen Spielen. Darunter vier Medaillen mit der Mannschaft. Die beispiellose Karriere des erfolgreichsten Springreiters der Welt, aber nicht zuletzt auch seine Lebensjahre machen Hans Günter Winkler gleichsam zum Doyen des deutschen Reitsports. Von dem er 1986 als aktiver Reiter Abschied nahm. Doch wenn er heute bedächtigen Schrittes, aber zielstrebig das Reitsportgelände des Aachen-Laurensberger Rennvereins betritt, fühlt es sich an wie immer. Er fiebert ein wenig. „Pferde sind ein Virus“, sagt der Mann, dessen Initialen HGW zum Signum für Reitsport auf allerhöchstem Niveau wurden. In jenem Aachener Stadtteil Soers begann 1948 seine Karriere. („Damals war ich eine Null und Fritz Thiedemann längst ein großer Reiter.“) Die Marke HGW hat Konturen bekommen und für nicht wenige seiner insgesamt sechs Olympiateilnahmen hat Hans Günter Winkler sich in Aachen qualifizieren können. Im heute 40 000 Zuschauer fassenden Springstadion. Beim CHIO, dem Concours Hippique International Officiel. Laut Reglement der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) darf jedes Land nur einen CHIO austragen. Und als „Weltfest des Pferdesports“ hält der CHIO hierzulande seit 88 Jahren immer in Aachen Hof. Und ist das renommierteste Reitturnier der Welt. Zur Stadt im Dreiländereck mit Belgien und den Niederlanden gehören Pferde wie der Hafen zu Hamburg oder der Dom zu Köln. Fast 150 reiterliche Betriebe, 22 Reithallen, Dutzende Vereine und die mehr als 40 Kilometer langen Reitwege der Stadt stehen für eine breit angelegte, perfekte Infrastruktur des Pferdesports. Und die Soers ist ihr Mekka. Einmal im Jahr treffen sich dort gut 300 der besten Reitsportler der Welt, um sich mit mehr als 550 Pferden in fünf Disziplinen zehn Tage lang zu messen. Trippelbarre, Wassergraben, Oxer. Piaffen, Passagen, Pirouetten. Querlieger, Prinzensitz, Standspagat. Beim Springen, bei der Dressur, bei der Vielseitigkeit, beim Voltigieren und bei den Fahrprüfungen in vierspännigen Kutschen geht es um viel. Um Preisgelder in Höhe von 1,9 Millionen Euro zum Beispiel. Und – wie in diesem Jahr – um die Qualifikation für Olympia. Mit einem Pferderennen begann es am 13. Juli 1924. Doch die in der Region seit Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegte Tradition der Hürden-, Galopp- und Trabrennen wurde vom „Rennverein“ bald aufgegeben. Der CHIO war im selben Jahr erstmals zu Gast in der Soers und in der Turnierserie war der Rennsport keine Disziplin. „Ein wenig schade“, findet Hans Günter Winkler das schon. In den 60er und 70er Jahren betrieb er ein Rennpferdegestüt in Irland. Noch heute ist er regelmäßig zu Gast auf der Rennbahn in KölnWeidenpesch. „Doch schon als junger Mann wurde mir schnell klar, dass ich als Jockey zu schwer war.“ Ganz aufgeben wollte er den Galopp anfangs nicht. Neben der Dressur schaffte er es auch in der Vielseitigkeit bis zu Turnieren der anspruchsvollsten Kategorie S. Doch ermuntert von den Besitzern „seiner“ Pferde, konzentrierte sich der junge HGW früh auf das Springen. „Über den Graben und weg“, erinnert sich der Sohn eines Reitlehrers daran, wie er als 18-jähriger Flakhelfer 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft „abhaute“. Um wenige Tage später denselben Amerikanern seine Dienste anzubieten. Als Stallbursche und Pferdepfleger. Für die Vollblüter hoher US-Offiziere, die, wie ein gewisser Dwight D. Eisenhower, ihre reitstadion in der soers | aachen 20 Rennpferde in einem Reitstall in der Nähe von Frankfurt versorgen ließen. In der ausgebombten Stadt war HGWs Mutter untergekommen. Und Einzelkind Hans musste arbeiten. Nicht für Geld, aber für Lebensmittel. Der Vater, der ihn in den Vorkriegsjahren oft zu den großen Turnieren in der Dortmunder Westfalenhalle mitgenommen hatte, war gefallen. Den Amerikanern gefiel, wie Winkler mit den 16 Pferden des Generalstabs umging, und einem von ihnen besonders. Kaum zwei Wochen vergingen, da durfte HGW erstmals mit Eisenhower gemeinsam ausreiten. Und fortan 18 Monate lang jeden Tag. Als sie sich fünf Jahre später im Oval Office des Weißen Hauses in Washington wiedertrafen, hatten beide längst höhere Aufgaben übernommen. Der Hausherr war 34. Präsident der USA und HGW ein Sportler, der als Botschafter unter schwarz-rot-goldener Flagge jahrzehntelang wie selbstverständlich auch eine zweite „mission de l’équipe allemande“ übernahm. Die Turnierserie in Harrisburg, Toronto, New York und Washington war 1951 – so Winkler – „ein Beispiel dafür, dass es Reiter waren, für die im Ausland nach langer Zeit erstmals wieder die deutsche Hymne gespielt wurde“. Allein das Springstadion auf dem Gelände des AachenLaurensberger Rennvereins fasst 40 000 Besucher. Mit mehr als 350 000 Zuschauern vor Ort und bis zu einer Milliarde Menschen, die die TV-Berichterstattung verfolgen, ist der hier jährlich ausgetragene CHIO das publikumsträchtigste Reitsportspektakel der Welt. Als Walk of Fame sind in den Vorplatz der Anlage – zu Ehren berühmter Pferde – Sterne in den Boden eingelassen, die den Namen der vielfachen Champions tragen. Reitstadion in der Soers Adresse: Albert-Servais-Allee 50, 52070 Aachen Angelegt: 1924, Wiederaufbau des Turnierplatzes 1945, Neubauten der Tribünen 1955, 1999, 2002 Kapazität: Hauptstadion: 40 000 Zuschauer (gesamt 46 500) Anlage: Turnieranlage (2 Stadien, 1 Halle und Außengelände) für die Disziplinen Springen, Dressur, Voltigieren, Vielseitigkeit und Vierspännerfahren mit Stallungen für 400 Pferde Veranstaltungen: Jährlicher Austragungsort für das Weltfest des Pferdesports CHIO (Concours Hippique International Officiel), einziges deutsches Turnier, das Nationenpreise ausrichtet, Austragungsort von fünf Welt- und sieben Europameisterschaften, Weltreiterspiele 2006 www.chioaachen.de Die Leistung der Reiter und ihrer Pferde, die sie – wie manch einer sagt – „nur in der Soers bringen“, ist es auch, für die der CHIO in Aachen bislang zehnmal als „Bestes internationales Freilandturnier“ ausgezeichnet wurde. Mehr geht nicht. Denn der Preis des niederländischen Fachbuchverlags „L’Année Hippique“ wurde erst zehnmal ausgelobt. Für den Erfolg des mit einem 10-Millionen-Euro-Budget ausgestatteten Spektakels beschäftigt der Veranstalter mehr als 1 300 freiwillige Helfer – an den Wettkampfstätten ebenso wie im 22 000 Quadratmeter großen CHIOVillage mit mehr als 190 Ausstellern, über 200 Zelten und feiner Gastronomie. Am letzten Mittwoch im Juni dieses Jahres geht Winklers Westfale „Allerdings“ in das Turnier um den „Preis von Europa“ und muss sich auf dem 124 x 145 Meter großen Parcours vor den aufmerksamen Augen seines Besitzers und des schwedischen Bundestrainers bewähren. Denn im Sattel von Allerdings sitzt Henrik von Eckermann, ein Mann aus Nyköping, dessen Olympiateilnahme im blauen Rock für das DreiKronen-Team schon feststeht. Doch mit welchem Pferd wird der Schwede in London starten? Mit dem Schimmel „Coupe de Coeur“ oder dem Fuchswallach aus dem Hause HGW? Kein Wunder, dass Hans Günter Winkler wie immer in der Soers „fiebert“. Zwei Tage vor Beginn der Olympischen Spiele wird er Geburtstag feiern, seinen 86. Und Allerdings hat noch die Chance, dabei zu sein. Aber nicht nur aus diesem Grund ist der Fuchs für HGW nicht irgendein Pferd. Zwar hat der Wallach erst hans günter winkler 21 Zu einem großen Tag seiner Geschichte machte der Aachen-Laurensberger Rennverein 2011 den 85. Geburtstag von Hans Günter Winkler. Die Springsportlegende ist Ehrenmitglied auf Lebenszeit des Clubs. 2011 im besten Alter von zwölf Jahren die für Reitsportunternehmer nicht unwichtige Messlatte von 100 000 Euro Preisgeld touchiert. Vor allem ist Allerdings aber ein Pferd, das von der Amerikanerin Debby Winkler in den Reitsport geführt wurde. Von Hans Günter Winklers junger Frau, die im Februar vergangenen Jahres wenige Tage nach einem Reitunfall verstarb. „Mein Leben ist ein wenig wie Kino“, sagt er heute, „und manchmal auch wie eine italienische Oper – große Höhepunkte und große Dramen.“ Im sportlich größten Drama seiner Laufbahn führte das Schicksal Regie. Oder war es Halla? Am 17. Juni 1956 trug die Fuchsstute hellwach den nach einem Muskelriss von Ärzten unter Betäubung gestellten Winkler über den Olympia-Parcours von Stockholm. Die Wunderstute sicherte ihrem Reiter mit dem einzigen fehlerfreien Durchlauf aller Teilnehmer die Goldmedaille und der deutschen Equipe das Mannschafts-Gold. Eine Performance, die zur Legende des Sports wurde. Und die dank der jungen Fernsehübertragungstechnik noch am selben Tag die Runde um die Welt machte. „Ich finde keinen Ausdruck, der seiner Leistung gerecht werden könnte“, kommentierte Deutschlands Reitsport-Moderator Hans-Heinrich Isenbart seinerzeit etwas salbungsvoll und versicherte: „Halla wusste, was los war. Sie hat Winkler ins Ziel getragen. Dieses Pferd. Wie kann man solche Treue lohnen?“ – Mit einem auskömmlichen Gnadenbrot zum Beispiel. Und das sollte sie auch bekommen. Doch bis dahin (die Stute wurde 34 Jahre alt) feierten HGW und Halla noch viele weitere Erfolge. Auch in der Aachener Soers. Dabei war die Stute kein einfaches Pferd. Doch in Deutschlands Reitsportszene galt Winkler als „Pferdeflüsterer“, der mit den Tieren auf Wegen kommunizierte, die anderen Reitern ein lebenslanges Hindernis bleiben. „Und wie war der erste gemeinsame Auftritt in Aachen nach dem Olympiaritt von Stockholm?“ – „Standing Ovations“, erinnert sich HGW kurz, grübelt einen Moment und stellt fest: „Wie fortan eigentlich immer, wenn ich irgendwo hinkam.“ Die Verehrung geht weit über die Aachener Soers hinaus und hält bis heute an. Unlängst im Restaurant einer Fast-Food-Kette zum Beispiel, an der Autobahn auf dem Weg nach Aachen. „Gibt’s da auch was für mich?“, hat sich HGW skeptisch erkundigt und sich von seiner Mitarbeiterin überzeugen lassen. Eine Mittsechzigerin im Service traut ihren Augen nicht. „Sind Sie das wirklich?“ Wohlwollend registriert ihr Kunde den Respekt und reicht die Rechte über den Tresen zum Handschlag. Und kaum haben Speisen und Münzen die Seiten gewechselt, bittet die Angestellte mit Glanz in den Augen: „Darf ich Sie noch einmal anfassen?“ In Aachen angekommen, hat Winkler die kleine Episode längst vergessen. Aber seine Umgebung berichtet gern von „Anerkennung, Freude und manchmal so etwas wie Stolz, den die Menschen HGW entgegenbringen“. Den letzten Auftritt beim diesjährigen CHIO in der Soers hat – natürlich – der Mann, der auf diesem Boden im Laufe seiner Karriere 40 Turniere gewinnen konnte, der weltweit 107 Turniere für Deutschland ritt und der dabei 92-mal auf dem Siegertreppchen stand. Neben ihm Romanus, Orient, Trophy oder sehr oft eben Halla. Am Ende des zehntägigen Turniers übergibt Hans Günter Winkler denn auch den „HallaEhrenpreis“ für das erfolgreichste Pferd des Turniers. Natürlich vor Standing Ovations. Wobei – wie in den letzten Jahren eigentlich immer – wieder nicht klar wird, wem der Applaus gilt. Dem Pferd, seinem Reiter oder doch HGW? GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF | pulheim 22 Höchste Pflegestufe GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF. Wenn die Top-Golfer auf ihrer Welttour Station in der Heimat machen, spielt Marcel Siem auf vertrautem Grün. W er die Autobahn 57 bei Pulheim verlässt, fährt im Frühsommer mitten hinein in leuchtende Rapsfelder. Bauern pflegen ihre Früchte auf den Feldern. Pferde grasen auf der Weide. Das Rheinland zeigt sich hier von seiner dörflichen Seite. Absolut nichts deutet darauf hin, dass sich hinter Äckern und Wiesen ein exklusiver Golfclub versteckt. Ein Gelände, umsäumt von üppigen Bäumen und verschlossen von einem imposanten schmiedeeisernen Tor. „Privat – Zutritt nur für Mitglieder und für Restaurantbesucher“ steht auf einem Schild neben der Klingel. Wo früher monotone Maiskulturen die Landschaft prägten, fliegen seit 15 Jahren kleine, weiße Bälle durch die mittelrheinische Idylle; wo früher Traktoren über Feldwege zuckelten, gleiten nun lautlos Elektro-Cars über gepflegtes Grün. Wir wollen nun nicht darüber philosophieren, was schöner ist oder war. Immerhin, die Natur hat ihren Platz behalten auf dem Grün. Wie zum Beleg übertönt das Quaken der Frösche aus den angelegten Teichen das metallische Klackern der Golfbälle vom Abschlag. Besuch im Golf Club Gut Lärchenhof – einem exklusiven Platz, angelegt nach höchsten internationalen Standards. Der Golfplatz zählt zu den „Finest Golf Clubs of the World“ und ist seit 1998 regelmäßig Austragungsort bedeutender Turniere der European Tour. Diese Rundreise-Veranstaltung macht jedes Jahr auf den schönsten und am schwierigsten zu spielenden Plätzen Europas Station. Jetzt, im Juni 2012, legen die weltbesten Golfprofis zu den BMW International Open auch einen Stopp nahe des Golfstädtchens Pulheim ein. Zu ihnen zählt Marcel Siem, der neben Top-TenPlayer Martin Kaymer aktuell zu Deutschlands erfolgreichsten Golfern zählt. Marcel Siem lebt mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in Ratingen. „Der Golf Club Gut Lärchenhof gehört zu den TopGolfplätzen in Deutschland. Er bietet mit Abstand die besten Trainingsmöglichkeiten für uns Profis und ist immer in einem top Pflegezustand“, lobt der Weltranglistenspieler die Anlage. Ein Turnier vor der eigenen Haustür ist für den 31-Jährigen auf seiner Tour, die ihn bereits nach China, Malaysia und Spanien geführt hat, eine nette Abwechslung. „Zudem liegt Pulheim mitten zwischen unseren beiden schönsten Städten in NRW, Köln und Düsseldorf“, legt sich Siem fest. „Da wird unseren Spielerfrauen einiges geboten und sie reisen dann auch gerne mal eine Woche mit.“ 50 000 Zuschauer werden zu den erstmals im Lärchenhof ausgetragenen BMW Open erwartet. Fernsehanstalten übertragen das Ereignis mit 1 200 Stunden rund um den Globus. Die Natur hat ihren Platz behalten auf dem Grün. Eine Momentaufnahme, wenn die Pros anrücken, die unvergessen bleibt. Aber schön ist es auch, wenn der Golfplatz den Amateuren gehört, wie bei unserem Rundgang. „Easy Going“ heißt die erste von insgesamt 18 Spielbahnen und der Name beschreibt die Stimmung an diesem Vormittag recht gut. Die ersten Golfer ziehen hinaus aufs Grün und werden, wenn sie alle Bahnen durchspielen, erst vier bis fünf Stunden später mit dem „Homerun“ zurückkehren. Man grüßt freundlich. Alles easy going. Gut Lärchenhof hat knapp 700 Mitglieder, die ohne feste Startzeiten zum Schläger greifen können. Ein Privatclub mit Privatsphäre. Nach vorheriger Anmeldung und bei entsprechendem Handicap sind gegen marcel siem 23 GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF | pulheim 24 Wo einst nur Felder waren, erstreckt sich heute eine der schönsten Golfanlagen Europas. Eine grüne Oase zwischen Köln und Düsseldorf. Golf Club Gut Lärchenhof Adresse: Am Golfplatz 1, 50259 Pulheim-Freimersdorf Eröffnung Signature Course: Mai 1997 Anlage: Gelände 75 ha, 700 qm Putting Green, gepflasterte Cartwege, 20 km Drainageleitungen, 40 km Beregnungsleitungen, 1 100 computergesteuerte Beregner, über 50 000 Bäume und Sträucher, 50 000 qm Teichflächen Veranstaltungen: Linde German Masters 1998 bis 2005, Mercedes-Benz Championship 2007 bis 2009, BMW International Open 2012, mehr als 600 000 Besucher sahen in der bisherigen Turniergeschichte Major-Sieger Bernhard Langer, Martin Kaymer, Ernie Els oder Vijay Singh www.gutlaerchenhof.de Zahlung einer Platzmiete auch Gäste willkommen, unter ihnen viele Amerikaner und Japaner. Vor dem Eingang zum Clubhaus, einem schicken Backsteinbau im Landhausstil, thront ein goldener Bär im Gras. Mit der begehrten Trophäe der deutschen Filmbranche hat der freilich nichts zu tun, auch wenn hier schon Oscar-Preisträger zum Schläger gegriffen haben. Dieser Bär symbolisiert den amerikanischen Jahrhundertgolfer Jack Nicklaus, der wegen seiner blonden Haare und seiner muskulösen Statur „Golden Bear“ (Goldener Bär) genannt wird. Gut Lärchenhof entstand als einzige deutsche Anlage nach seinen Plänen, am 10. Mai 1997 eröffnete die Golflegende persönlich ihren „Signature Course“. Mehr als 750 000 Kubikmeter Erde hatten Bagger zuvor bewegt, aus Australien angereiste sogenannte „Shaper“ modellierten Hügel und Bunkerböschungen nach Jacks Vorstellungen und verwandelten den ehemals ebenerdigen Acker in einen welligen 18-Loch-Golfplatz. In einen Golfplatz, der den Spieler in den Mittelpunkt stellt. „Ein guter Golfschlag darf nicht bestraft werden“, lautet das Credo von Jack Nicklaus. Ein signierter Schläger seines ersten Abschlags samt Handschuhen und Scorecard hängt seitdem in dem nach ihm benannten Kaminzimmer des Clubhauses. „Gut Lärchenhof ist ein Premium-Produkt“, sagt Josef Spyth bei einer Fahrt über die Anlage. Das beginnt schon bei der überdachten Driving Range. Automaten, die, wie andernorts üblich, Übungsbälle ausspucken, wenn man die passenden Münzen einwirft, sucht man vergebens. Stattdessen stehen Spielbälle zum Abschlag bereit – akkurat zur Pyramide aufgetürmt. 365 Tage im Jahr. Wer nach einem langen Arbeitstag zu später Stunde noch Bälle über das Grün treiben will, kann dank einer Flutlichtanlage selbst im Dunkeln üben. Auch beheizbare Toiletten und gepflasterte Cartwege auf dem Course gehören zu den besonderen Annehmlichkeiten. 40 Kilometer lange unterirdische Wasserleitungen und 1 100 Beregner bewässern alle Spielbahnen. Grün bis zum Horizont. Eine idyllische Oase mit einer sanft gewellten Hügellandschaft, die ein anspruchsvolles und abwechslungsreiches Spiel ermöglicht. 14 Greenkeeper sorgen das ganze Jahr dafür, dass das so bleibt: Sie mähen allmorgendlich allein 10 000 Quadratmeter Grün per Hand und kriechen marcel siem 25 Im Clubhaus mit seinem stilvollen Empfangsbereich gehen Weltklasse- Idylle pur. Von diesem Punkt geht der Golferblick über einen See hinaus in die spieler und Amateurgolfer ein und aus. Weite. Was liegt näher, als Loch 16 gleich so zu nennen: „Lake View“ – Seeblick. im Extremfall mit einer Lupe über das Gras. Entdecken sie einen Pilz, schicken sie Proben an drei unterschiedliche Labore. Höchste Pflegestufe für den heiligen Rasen. Auch Hasen, Füchse und Gänse fühlen sich, nicht immer zur Freude der Greenkeeper, auf dem Gelände wohl. Warum auch nicht? Wenn nicht an diesem Ort, wo dann könnten sich Flora und Fauna ungestörter vereinen. „Von hier aus sind es nur 20 Minuten bis zur Düsseldorfer Kö und 20 Minuten bis zum Kölner Dom. Und Sie stehen mitten in der Natur“, schwärmt Josef Spyth, seit bald zehn Jahren Geschäftsführer des Golfclubs. Dann stoppt er urplötzlich seine schmückenden Beschreibungen und verfolgt den Abschlag eines Spielers. Wenig später klatscht er in die Hände und ruft anerkennend hinüber: „Ein guter Abschlag, das beherrschen nicht viele.“ Der Angesprochene grüßt kurz, lächelt und zieht weiter. „Golfen ist ein täglicher Wettstreit mit der Natur“, sagt Spyth. Selbst bei einem Handicap zwischen acht und neun. Das mache für ihn die Faszination dieses Sports aus. Vorbei an Teichen und Sandbunkern steuert er Loch 15 an. Hier am „Peak“, unter dem höchsten Punkt des Golfplatzes, lägen die Überreste einer römischen Villa verborgen. Sie seien bei den Bauarbeiten entdeckt, anschließend versiegelt und wieder zugeschüttet worden. „Gut Lärchenhof ist ein Premium-Produkt.“ Die Fahrt endet, wo sie begonnen hat: am Clubhaus. Nach Wellness und Sauna lassen die Spieler nach ihrer vier- bis fünfstündigen Runde im Gourmetrestaurant oder auf der Terrasse bei untergehender Sonne den Tag ausklingen. Natürlich auch hier Bestleistung für höchste Ansprüche. Dafür garantiert 1-Sterne-Küchenchef Bernd Stollenwerk. Allein die Weinkarte führt 1 200 Sorten. Nach vorheriger Anmeldung im Gourmettempel öffnet sich das schmiedeeiserne Tor auch Nichtmitgliedern und gewährt ihnen bei Foie gras und Gelbschwanzmakrelen einen genussvollen Blick in die grüne Oase. Ganz ohne Handicap. Leichtathletikhalle | Leverkusen 26 Architektonisches Juwel LEICHTATHLETIKHALLE LEVERKUSEN. Hochspringerin Heike Henkel genießt auch Jahre nach ihren Erfolgen die Atmosphäre in der einmaligen Wettkampfhalle. W er angibt, hat’s nötig, heißt es. Wenn das stimmt, müssten Erfolg und Bescheidenheit ein unzertrennliches Paar abgeben. Zumindest auf Leverkusen trifft das zu. So viel Bescheidenheit war selten. Im Internet präsentiert sich der Ausnahme-Sportverein TSV Bayer 04 Leverkusen – vorsichtig formuliert – zurückhaltend. Die Leichtathletik-Abteilung zählt verglichen mit anderen zur Spitze in Deutschland und Europa, doch die Vereinshistorie erwähnt das mit keinem einzigen Wort. Die 2001 fertiggestellte Trainings- und Wettkampfstätte trägt auch nicht den Namen des Hauptsponsors Bayer AG. Sie heißt auch nicht Gerd-Osenberg-Halle nach dem legendären Trainer und auch nicht nach ihren berühmten Gold-Mädchen Heide Rosendahl etwa oder Ulrike Meyfarth. Die Halle heißt Leichtathletikhalle. Schlichter geht’s nicht. Nicht mal sehen kann man den Bau. Jedenfalls nicht so ohne Weiteres. Besucher müssen am Tor klingeln, bevor ein asphaltierter Weg sie hinabführt in die Versenkung. Von außen sieht die Halle denn auch eher unspektakulär aus. Schönes Dach, das wohl, aber sonst? Eine normale Sportstätte, die es im Lande häufig gibt. Denkste! Innen entpuppt sich das Ding als wahre Wucht: transparent, elegant, stützenfrei und dank Lichtkuppeln und rundum angeordneter Fenster obendrein taghell. Ein architektonisches Juwel, funktional sowieso: Physiotherapie-Zentrum, Fitnessräume, Sauna, Duschen – alles vorhanden. Das Zentrum aber vereint, was Athleten im Winter und bei schlechtem Wetter wirklich glücklich macht: eine 200-Meter-Rundbahn mit überhöhten Kurven etwa, eine außen liegende Bahn zum Warmlaufen, eine 60-Meter-Sprintgerade, zwei „Sandkästen“ zum Weitspringen sowie Anlagen für den Dreisprung, das Kugelstoßen, das Speerund Diskuswerfen, den Hoch- und Stabhochsprung. Mittendrin sitzt Heike Henkel auf der Matte und genießt die Atmosphäre. In dieser Stadt ist sie – sportlich – groß geworden. Lange bevor unser „Treffpunkt Trainingspalast“ hier vor 13 Jahren gebaut wurde. Ihr letzter Besuch in der Halle liegt schon ein Weilchen zurück, aber die große Blonde fühlt sich „direkt wieder wohl hier“. Mitte der 80er Jahre war die gebürtige Kielerin nach Leverkusen und zu seinem Spitzentrainer Osenberg gewechselt. Ein paar Jahre später gewann die Hochspringerin Henkel sechs internationale Titel und darf sich als bislang Einzige rühmen, in drei aufeinanderfolgenden Jahren Europameisterin, Weltmeisterin und Olympiasiegerin geworden zu sein. Gerade schwingt Töchterchen Marlene, 10, an einem von der Decke baumelnden Seil, was das Interesse des früheren Trainers seiner Mutter weckt. Gerd Osenberg feiert heute seinen 75. Geburtstag, was den Jubilar aber mitnichten davon abhält, in der Halle mal wieder nach dem Rechten zu sehen. Während Heike Henkel erzählt, wie sehr sie Kindern zum Sport rate, der wie nichts anderes die „Persönlichkeit formt“, dreht auf der Außenbahn der körperbehinderte Doppelweltmeister Heinrich Popov dank einer Sportprothese lässig seine Runden, macht sich Deutschlands erfolgreichste Siebenkämpferin Jennifer Oeser warm, nimmt Stabhochspringerin Silke Spiegelburg Anlauf. Der Geschäftsführer der Leichtathletik-Abteilung Paul Heinz Wellmann wird auf Nachfrage später diskret auf weitere junge Damen und Herren zeigen und dazu halblaut Namen, Titel, Siegesbilanzen murmeln. Hier scheint es – außerhalb unserer Besuchergruppe – kaum eine Seele in der Halle zu geben, die nicht irgendeinen Rekord vorweisen kann. Wellmann war früher übrigens ein erfolgreicher Mittel- und Langstreckenläufer und holte Bronze bei Olympia. Diese Information allerdings verdanken wir anderen Quellen. Wellmann selbst: viel zu bescheiden. In Leverkusen macht man kein großes Gedöns. Hier wird trainiert. Erfolgreich. Leichtathletikhalle leverkusen Adresse: Tannenbergstraße 57, 51373 Leverkusen Architekten: Dirk Moors & Partner, Düsseldorf Baubeginn: 1999 Eröffnet: August 2001 Kapazität: Plätze für 1 100 Zuschauer an der Südseite, an der Nordseite kann bei Sonderveranstaltungen eine mobile Tribüne für weitere 1 100 Zuschauer errichtet werden http://tsvbayer04-leichtathletik.de Heike meier-henkel 27 Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen 28 gerhard weber 29 Das Besondere ist die Pflicht GERRY WEBER STADION. Manche Unternehmer ziehen sich nach dem erfolgreichen Börsengang ihrer Firma zurück, Gerhard Weber baute eine Sportarena. D iesen Termin in Paris wird Ralf Weber nicht vergessen. Ihm gegenüber sitzt Roger Federer. Der ruhige, gelassene Schweizer, für den Spontanität etwas Fremdes zu sein scheint. Es sei denn, er bewegt sich athletisch auf der Grundlinie eines Tennisplatzes und entscheidet innerhalb von Millisekunden, welche Richtung er der kleinen gelben Filzkugel geben will. Ohne Vorankündigung, so wie mit einer schwingenden Ausholbewegung, spielt er nun einen Ball zurück und fragt sein Gegenüber: „Warum nur zwei Jahre? Machen wir doch gleich einen Vertrag für immer. Ich spiele immer bei euch vor Wimbledon, nirgendwo anders.“ Ralf Weber, Direktor des einzig artigen Rasentennisturniers auf der ATP-Tour im ostwestfälischen Halle, nimmt diese Crossvorhand seines freundlichen Gesprächspartners auf, spielt Longline zurück und sagt: „Okay, das ist eine gute Idee, das machen wir.“ Das war im Mai 2010. Herausgekommen ist ein Lifetime Contract mit Roger Federer. Einzigartig in der Tenniswelt. Ein Turnier und ein Spieler gehen ein Bündnis fürs (Tennis-) Leben ein. Das Besondere ist Pflicht in HalleWestfalen, auch im Frühsommer 2012. Der Mais steht hoch; sattgrün leuchten die Felder unter mit Schäfchenwolken getupftem ostwestfälischen Blauhimmel. Hinter roten Schindeldächern erheben sich dunkelgrüne Stahlrohre und wirken, als seien es besonders dicke Feldpflanzen, die eine weiße Blüte tragen. Sie tragen aber eine weiße Dachkonstruktion. In dieser ländlichen Region hinterlässt jener Federer in diesem Juni deutliche Spuren. Der Schweizer, der erstmals 2000 als junges Talent diesen beschaulichen deutschen Landstrich mit seinem bescheidenen Auftreten und sensiblen Ballgefühl auf dem Centre-Court verzauberte und inzwischen sein Konterfei für eine Briefmarke seiner Heimatpost zur Verfügung stellt, erfüllt diesen Vertrag, spielt sein bestes Tennis und erreicht erneut das Finale. Noch was? Klar doch. Wieder das Einmalige: Roger Federer, der Schweizer mit dem Lebensvertrag für das Tennisturnier in HalleWestfalen, bekommt dort seine eigene Straße. Straße? Nein, eine Allee muss es schon sein. Die Roger-Federer-Allee, die hin zum Gerry Weber Stadion führt, dorthin, wo er schon fünfmal den silbernen Siegerpokal in die Hand gedrückt bekam. Und einen Siegerscheck. Aber diesmal spielt Geld keine Rolle. Eine Straße kann man sich in Deutschland nicht kaufen. Die Umbenennung hat der Bau- und Verkehrsausschuss des 22 000 Einwohner zählenden Städtchens beschlossen, mit allen Stimmen: SPD, CDU, Grüne und unabhängige Wähler. Aber natürlich kam der Vorschlag von den Turniermachern. Endlich sind wir bei Gerhard Weber. Und beim Geld. Und wieder beim Besonderen. Das scheint hier wirklich Pflicht zu sein. 71 Jahre ist der Mann, gepflegt, das erwartet man. Gut gekleidet, erst recht. Und dann das Einstecktuch, von Etro. Natürlich, italienische Seide. Das Markenzeichen eines Modemachers, der vor 40 Jahren in einer Garage seiner Geburtsstadt begann, Frauenhosen den Reißverschluss hinten einzunähen. Er startete eine Unternehmerkarriere, die in diesem Landstrich nichts Besonderes ist. So erfand hier 1891 ein gewisser Dr. August Oetker in seiner Apotheke das Backpulver, die Mohns bauten das Verlagshaus Bertelsmann auf – Weltkonzerne entstanden in der Nachbarschaft. Inzwischen gibt Weber weltweit 4 400 Menschen Arbeit mit seiner Art, Damen einzukleiden. Mehr als 800 Millionen Euro setzt er mit dem Modekonzern um, der aus der Garage erwachsen ist. Der Gründer und Inhaber leitet seit dem Börsengang 1988 das Unternehmen jetzt als Vorstandsvorsitzender und sitzt immer noch jeden Morgen um 8 Uhr am Schreibtisch. Zuvor hat er schon eine Runde Golf gespielt, auf dem eigenen Grün. Selbstverständlich. Da ist er wieder, der Sport. Und das Geld. Mehr als 50 Millionen Euro, heißt es in der Sportveranstaltungsbranche, habe Gerhard Weber in das Tennisstadion, den Sportpark, das 4-Sterne-Hotel, das Event Center und den Golfplatz investiert. Er sagt nur: „Bisher haben wir Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen 30 keine öffentlichen Mittel erhalten. Ist alles privat finanziert.“ Das Unternehmen Sport und Event finanziert sich, ist kein Zuschussgeschäft, keine Liebhaberei. Webers Sportanlage ist nicht zu vergleichen mit dem scheinbar grenzenlosen Investment von Automobilkonzernen, die sich Fußballclubs in der Bundesliga leisten. Nur ein Jahr nach der Eröffnung wurde der Centre-Court 1994 zum Gerry Weber Stadion mit flexiblem Dach ausgebaut (oben). Schon ein Jahr zuvor engagierte Gerhard Weber einen englischen Greenkeeper zur Pflege der Rasenplätze in HalleWestfalen (unten). Turnierdirektor Ralf Weber verpflichtete 2010 den Schweizer Topspieler Roger Federer mit einem Lifetime Contract (ganz unten). 20 Jahre nun schon Gerry Weber Open, jenes Rasenturnier, das nach Wimbledon weltweit in dieser Rangliste auf Platz 2 geführt wird. Wie alles begann, das muss man erzählen. Und wer kann das besser als Gerhard Weber? Der Modeunternehmer mit dem Sportsgeist, der 1988 durch den Gang aufs Börsenparkett viele Millionen einnahm, hätte sich ein schönes Leben unter Palmen und ohne Arbeit machen können. Aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, den Tennisnachwuchs in Deutschland zu fördern. Damals wie heute ist er 1. Vorsitzender des Tennisclubs Blau-Weiß Halle, in dem er diesen Sport betreibt. Der Sport treibt ihn an. Weber veranstaltet zweimal ein Challenger-Turnier. Das reicht ihm aber nicht. Als die ATP 1992 für die Zeit kurz vor Wimbledon weltweit ein neues Turnier ausschreibt, bewirbt er sich. Es ist die Zeit von Boris Becker, von Michael Stich, Andre Agassi und Jimmy Connors. Die Hochzeit des Herrentennis in Deutschland – und des Damentennis. Steffi Graf, die Weltbeste damals, modelt schon für Webers Mode. Sohn Ralf, damals noch Student und angehender Diplom-Kaufmann, aber genauso sportbegeistert und kreativ wie sein Vater, kommt auf die Idee. Gerhard Weber: „Er sagte, wir müssen ein Rasenturnier veranstalten, vor Wimbledon macht es nur Sinn, mit Rasen anzutreten, sonst kommt keiner der Topspieler.“ Wie recht sein Sohn hatte, sieht der Vater heute. Viele Menschen im bodenständigen Ostwestfalen belächelten damals die Webers mit ihren Visionen und eigenem englischen Greenkeeper – and so on. And so on? Auf einem stillgelegten Fußball-Schlackeplatz entsteht der Centre-Court. 3 500 Zuschauer sind zunächst geplant. Noch bevor der erste Ball gespielt wird, lässt Weber mit Stahlrohrtribünen die Kapazität erweitern. 9 200 sehen das Finale, 85 000 Tennisfans pilgern in dieser ersten Tenniswoche auf die grüne Wiese zum „deutschen Wimbledon“, wie die lokalen Zeitungen der Veranstaltung huldigen. In jenem Jahr 1993, als der sympathische und unterhaltsame Henri Leconte die sturen Ostwestfalen verzückt und die Siegerschale in Empfang nimmt, erlebt Weber allerdings auch einen Trauertag. Am 16. Juni, einem Mittwoch, regnet es ohne Unterlass. Kein Spiel, keine Fernsehübertragung. „Ich habe dann entschieden, den Menschen am Abend das Eintrittsgeld zurückzugeben.“ So sind sie in Ostwestfalen, ehrlich und menschlich. Aber auch spontan und kreativ. „Dieser 16. Juni 1993 war die Geburtsstunde des Daches“, blickt der Unternehmer zurück. Innerhalb eines Jahres lässt er das Stadion mit wandelbarem Dach bauen. 12 300 Zuschauer finden nun auf den dunkelgrünen Klappsitzen Platz: die größte Tennisarena in gerhard weber 31 Stahl, Beton – und Rasen. Grün ist die dominierende Farbe des Gerry Weber Stadions im westfälischen Halle, das zunächst als Tennisstadion gebaut wurde und heute als Multifunktionsarena genutzt wird. Deutschland, fast immer ausverkauft. Insgesamt kommen schon zum zweiten Turnier 110 000 Sportfans nach HalleWestfalen. Deutschland hat einen neuen Sportplatz. Und Weber ein neues Unternehmen, das sich mit der Vermarktung von Sportveranstaltungen finanzieren soll und wird. Denn mit Tennis allein lässt sich dieses Hallenstadion nicht betreiben. Im selben Jahr – am 8. Oktober 1994 – boxt Henry Maske in dem Stadionrund um die Weltmeisterschaft. Basketball, Eiskunstlauf, Handballspiele der Weltmeisterschaft 2007 folgen. Und natürlich Tennis, Tennis, Tennis. In den 20 Jahren sehen mehr als zwei Millionen Besucher den weißen Sport auf grünem Rasen. 2012 sind nahezu 500 Medienvertreter akkreditiert, jeden Tag werden 1 600 VIP-Gäste beköstigt, unter anderem mit zwei Tonnen Erdbeeren und 1,4 Tonnen Spargel. Die Landwirte der Region profitieren vom Tennisboom. Aber natürlich kredenzen die besten Köche auch Importiertes, fließt prickelnder Champagner – 1 950 Flaschen –, werden 1,68 Tonnen Gambas und 12 000 Portionen Sushi serviert. Das muss schon sein. Die teuren Gäste lassen sich – einmalig auf der Welt – in einem festen Event Center bewirten, in einer 3 500 Quadratmeter großen Halle, die durch einen langen Tunnelgang mit dem Stadion verbunden ist. In Wimbledon oder bei Champions-League-Finalen baut man für diese Zwecke weiße Zeltstädte auf. Gerhard Weber führt durch die Arena. Für die Handball-Weltmeisterschaft hat er die Anlage noch einmal erweitern lassen – mit einem umlaufenden Cateringbereich. Er schaut hinunter auf den Platz. Grün ist er, grün gestrichen. Der Rasen liegt längst wieder draußen unter freiem Himmel – zur Pflege und Kultivierung. Ein Jahr kümmern sich nun die Greenkeeper, Engländer natürlich, um die von unzähligen Tritten malträtierten Pflänzchen. Erst im Mai 2013 kehrt dieser transportable Rasencourt vier Wochen vor dem ersten Aufschlag in 400 Einzelteilen wieder ins Gerry Weber Stadion zurück. Bis dahin wird wieder ein Box-WM-Kampf stattgefunden und Handball-Bundesligist TBV Lemgo seine Topspiele auf einem Hallenboden ausgetragen haben, der 2,40 Meter über der imaginären Grasnarbe auf Stelzen steht. 20 Jahre gibt es die Open nun schon. 2013 wird dieses Stadion 20 Jahre alt. Das Gerry Weber Stadion. Das erste in Deutschland, das einen Firmennamen trägt. Erst danach kommen all die anderen, die BayArena in Leverkusen oder die Allianz Arena in München. Was hat es gebracht? Gerhard Weber weiß es genau: „Als wir begonnen haben mit dem Tennisturnier, kannten in Deutschland 15 Prozent meine Modemarke, heute haben wir einen Bekanntheitsgrad von über 75 Prozent.“ 60 Prozent Steigerung in 20 Jahren. „Für einen solchen Quantensprung hätten wir nach geltenden Marketingbudgets 70 bis 80 Millionen Euro ausgeben müssen. Da haben wir das hier vergleichsweise günstig hinbekommen“, sagt der Unternehmer. Und, war’s das jetzt? Noch nicht. Turnierdirektor Ralf Weber plant, ab 2014 die Herrenkonkurrenz mit einem Damenturnier zu ergänzen. Ob sich das rechnet? „Das werden wir prüfen“, ist die knappe Antwort. Aber die Pläne liegen schon fertig in der Schublade. Vier neue Plätze müssten gebaut werden, mit Zuschauerrängen, das Sportpark Hotel würde um 30 Zimmer erweitert. Auch wenn noch gerechnet wird bei den Webers in Ostwestfalen: Wenn man das so hört, gibt es keine Zweifel – das Projekt wird realisiert. Es wird sich rechnen. Denn es passt schon in Gerhard Webers Unternehmensstrategie: Zur Internationalisierung der Damenmodemarke Gerry Weber gehört ein internationales Damentennisturnier. Veranstaltet im Gerry Weber Stadion an der Roger-Federer-Allee in HalleWestfalen. gerry weber stadion Adresse: Neulehenstraße 8, 33790 HalleWestfalen Eröffnet: 1993 Kapazität: Centre Stage: 13 000, Front Stage: 9 500 Parkplätze: 3 000 Besonderheit: In Europa einzigartige Konstruktion ermöglicht es, das Stadion innerhalb von 90 Sekunden in einen wetterunabhängigen Veranstaltungsort zu verwandeln Veranstaltungen: Gerry Weber Open (ATPRasentennisturnier), Davis-Cup-Heimspiele, Handball-Großereignisse, Eislauf-Shows, deutsches VolleyballPokalfinale, Konzerte www.gerryweber-stadion. de/ lohrheidestadion | bochum 32 sabine braun 33 Laufbahn zwischen Fördertürmen LOHRHEIDESTADION BOCHUM. Weltmeisterin Sabine Braun ist in Deutschlands schönstem Leichtathletikstadion zu Hause. T ief im Westen, mitten im Herzen des Ruhrgebiets, liegt das Lohrheidestadion. In Wattenscheid, genau genommen in BochumWattenscheid, aber dazu später mehr. Verglichen mit dem benachbarten rewirpowerstadion ist es eher ein schmucker Gutshof als ein hochherrschaftliches Schloss. Leichtathleten und Fußballer teilen sich die Anlage, auf der es meist entspannt und familiär zugeht. Für viele untrennbar verbunden mit der Sportstätte ist der Name eines Mannes, der sich Zeit seines Lebens sehr für Wattenscheider Sportler eingesetzt hat: Klaus Steilmann. Der Textilunternehmer mit seiner „Mode für Millionen, nicht für Millionäre“ und Sportmäzen aus Wattenscheid lebt hier auch nach seinem Tod im November 2009 in der Erinnerung vieler weiter. Es hätte nicht viel gefehlt und das Lohrheidestadion wäre jüngst sogar in Klaus-SteilmannStadion umbenannt worden. Die Fußballer der SG Wattenscheid, deren Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender Steilmann viele Jahre war und die er in den 1990ern in die 1. Bundesliga führte, profitierten von seiner Förderung ebenso wie die Leichtathleten des TV Wattenscheid 01, denen er zu internationalen Medaillenrängen verhalf. Die Geschichte des Lohrheidestadions begann 1958. Mit einem Toto-Gewinn. Eine Tipp-Gemeinschaft des Wattenscheider Fußballclubs Rot-Weiß Leithe, so erzählt man sich, hatte ein hübsches Sümmchen gewonnen, das für den Bau eines neuen Sportplatzes ihres Vereins aufgewendet werden sollte. Doch von ihrem Gewinn profitierten dann die Ortsrivalen von Wattenscheid 09, die 1965 jenen Sportplatz in Besitz nahmen. Nach und nach wurde der Platz zu einem richtigen Stadion ausgebaut. 1972 kam die Westtribüne und ein Jahr darauf die erste Flutlicht- anlage, ein weiteres Jahr später entstand eine Tartanbahn. Wattenscheid war zu diesem Zeitpunkt noch eine kreisfreie Stadt. Die Eingemeindung zum 1. Januar 1975 sollte dies ändern: Wattenscheid war fortan nur noch ein Teil der etwas größeren Nachbarstadt Bochum. Eine politische Entscheidung, die viele Wattenscheider schmerzte und die in einem Bürgerbegehren für den Erhalt ihrer Selbstständigkeit mündete. Vergeblich. Zu den Widerständlern zählte auch Klaus Steilmann, der ein Jahr zuvor begonnen hatte, die SG Wattenscheid zu fördern. Sein Engagement für den Fußballverein wurde über die Jahre auch ein Engagement für den Erhalt der Wattenscheider Identität. Als Zeichen seines Protests gegen die Eingemeindung fuhr Steilmann übrigens stets ein Auto mit Essener Kennzeichen. BO kam ihm bis zuletzt nicht an die Stoßstange. Bochum war wie die meisten Städte im Ruhrgebiet lange Zeit vom Bergbau geprägt. Zeugnisse der ehemaligen Zechenstadt sind noch immer weithin sichtbar. Auch im Lohrheidestadion. Eingerahmt von zwei ehemaligen Großzechen liegt die alte Westtribüne mit ihren nostalgischen Holzsitzen. Auf der einen Seite der Förderturm der Zeche „Holland“ in Wattenscheid, auf der anderen Seite die Abraumhalde Rheinelbe in Gelsenkirchen. Die Konstruktion der Tribüne mit ihren geschwungenen Bögen soll bewusst an Seilscheiben erinnern. Fußballfans nennen sie wegen dieser Form auch liebevoll „Steilmanns Fahrradständer“. Gegen ihren geplanten Abriss haben sich die Wattenscheider erfolgreich gewehrt. Nie käme es den 09ern in den Sinn, auf die 900 alten Holzsitze zu verzichten oder die 1 200 Stehplätze mit modernen Plastiksitzschalen auszustatten. Die Erinnerung lebt. Manch einer träumt dabei von alten, goldenen lohrheidestadion | bochum 34 Rund 16 000 Plätze bietet das Wattenscheider Lohrheidestadion, das sich Leichtathleten mit Fußballern teilen. Fußballzeiten und erinnert sich an Fußballgrößen, die hier an der Lohrheide groß geworden sind, so wie etwa Michael Skibbe, Thorsten Fink, Hannes Bongartz oder die Altintop-Zwillinge. Heute gilt das Lohrheidestadion als Top-Adresse in Deutschland für Leichtathletik. Mit dem TV Wattenscheid 01 hat einer der erfolgreichsten Leichtathletikvereine in diesem Stadionrund seine Basis. Nachdem das Stadion für fünf Millionen Euro aufwendig saniert wurde, fanden 2002 erstmals die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Wattenscheid statt. Nie käme es den 09ern in den Sinn, auf die 900 alten Holzsitze zu verzichten. An diesem Morgen drehen vier Mittelstreckenläufer auf der Tartanbahn ihre Runden. Die Nachwuchssportler absolvieren ihr tägliches Training. Mit ihnen kreist auch ein Reinigungsfahrzeug über die Bahn. Dank eines kräftigen Wasserstrahls schwindet das Grau der vergangenen Jahre und gibt den Blick frei auf den ursprünglich orangeroten Kunststoffbelag. Das Lohrheidestadion putzt sich für seine dritten Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften heraus, bei denen die Sportler sich noch für die Europameisterschaften in Helsinki und die Olympischen Sommerspiele in London qualifizieren können. Nach 2002 war die „Lohrheide“ zuletzt 2005 Gastgeber der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften. Bei der Premiere vor zehn Jahren startete die seinerzeit noch dreitägige Veranstaltung gleich am ersten Nachmittag mit 8 000 Besuchern. Für die Organisatoren von damals „eine Bombe“. Mit so viel Interesse auf der Tribüne hatten sie gar nicht gerechnet. Gleichermaßen schätzen Athleten und Zuschauer besonders die Nähe zur Laufbahn und zum Innenraum. Maximal zehn Meter Entfernung sind es von den Rängen. Beste Voraussetzungen für eine tolle Atmosphäre während der Spiele. Für gesellige Stimmung sorgt aber mitunter auch eine Besonderheit, die es nur hier gibt: So steht in Wattenscheid das wohl einzige Leichtathletikstadion mit integriertem Biergarten. Gleich nebenan hat Sabine Braun, die prominenteste Leichtathletin Wattenscheids, ihr Büro. Das Lohrheidestadion war lange Zeit ihr zweites Zuhause – und ist es bis heute geblieben. So wie die zweimalige Siebenkampf-Weltmeisterin und Olympiadritte betreuen am Olympiastützpunkt heute viele ehemalige Spitzensportler den athletischen Nachwuchs. Von 1987 bis 2002 trainierte Sabine Braun hier selbst nahezu täglich mehrere Stunden. Noch gut kann sie sich an die „Lohrheider Spezialität“ erinnern, die allen Läufern bis heute zu schaffen macht: „Egal auf welcher Bahn man gestartet ist, sabine braun 35 wenn man losgelaufen war und Tempo machen wollte, hatte man plötzlich Gegenwind.“ Aber vielleicht sei das auch ein psychologisches Problem, sagt die 47-Jährige und schmunzelt. Der Sommer 2002 war für Leichtathletik-Deutschland und für Sabine Braun ein besonderes Jahr: die Europameisterschaften im eigenen Land, die ersten Deutschen Meisterschaften in ihrem Stadion. Es war das Jahr, als Sabine Braun Abschied vom Leistungssport nahm, nach 20 Jahren Siebenkampf. Bei den Europameisterschaften in München erkämpfte sie sich noch einmal eine Silbermedaille. Ein emotionaler Moment. So wie auch ihr Abschied kurz zuvor in ihrem Heimatstadion, in dem sie unter dem Jubel des heimischen Publikums mit dem RudolfHarbig-Gedächtnispreis ausgezeichnet wurde. „Es war ziemlich voll und es herrschte eine tolle Atmosphäre“, erinnert sie sich gern an diesen Tag zurück. Zehn Jahre später wird die Grande Dame des Siebenkampfs wieder dabei sein. Wenn an der Lohrheide, mitten im Herzen des Ruhrgebiets, Spitzenathleten zu den Deutschen Meisterschaften antreten. Ganz entspannt als Zuschauerin. Fußballfans nennen ihre Westtribüne liebevoll „Steilmanns Fahrradständer“. Die geschwungene Form erinnert an Seilscheiben und setzt Watten- lohrheidestadion bochum Adresse: Lohrheidestraße 82, 44866 Bochum Eröffnet: 1954 Kapazität: 5 033 Sitzplätze (alle überdacht), 11 200 Stehplätze Besonderheiten: Kombiniertes Fußball- und Leichtathletikstadion, 90 qm große Videowand Veranstaltungen: Austragungsort der Deutschen LeichtathletikMeisterschaften 2002, 2005 und 2012 sowie der Deutschen LeichtathletikGala 2006, 2007, 2008, 2009 und 2010, seit der RegionalligaSaison 2008/09 trägt der VfL Bochum II seine Heimspiele in der Lohrheide aus, offizieller Trainingsort während der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011 Seit 1965/66 Spielstätte des Fußballclubs SG Wattenscheid 09 www.sgwattenscheid09. de/lohrheide scheids Bergbau-Vergangenheit ein Denkmal. Sportschule Wedau | duisburg 36 berti vogts 37 Duft aus der Kindheit SPORTSCHULE WEDAU. Berti Vogts hat nie vergessen, dass seine Karriere in Duisburg begann – heute bringt er junge Talente hierher. K aum zu glauben, dass dies Duisburg ist. Von oben betrachtet erscheinen Wanheimerort und Rheinhausen, die Krupp-Werke und die Kühltürme wie industrielle Inseln in einer von Wald geprägten Landschaft. Wir stehen auf dem Dach des markanten sechseckigen Wohnturms der Sportschule Wedau, 15 Stockwerke, 55 Meter über dem gleichnamigen Sportpark. Normalerweise kommt hier niemand hin, aber Robert Baues hat drei schwere Metalltüren aufgeschlossen und erklärt jetzt das Panorama. An diesem klaren, sonnigen Tag kann man bis Düsseldorf sehen. Zurück ins Erdgeschoss des „Bettenturms“. Gebaut im Rahmen einer Erweiterung Anfang der 80er Jahre, befindet sich im heutigen Markenzeichen der Sportschule ein Großteil der 400 Übernachtungsmöglichkeiten für Sportlerinnen und Sportler. Mehr Kapazitäten hat keine Sportschule in Deutschland. Im Herbst 2012 wird der Turm jedoch für ein paar Monate dichtgemacht. „Wir unterliegen einer Brandschutzsanierung, bringen gleichzeitig das Gebäude energetisch auf den neuesten Stand der Technik und gestalten auch die Wohnbereiche völlig neu“, erklärt Robert Baues. Noch lieber schaut der Leiter der Sportschule nach unten, auf das weitläufige Areal, das in direkter Nachbarschaft der MSV-Arena, des Leichtathletik stadions, des Schwimm- und des Eisstadions sowie der Regattabahn liegt. „Eine derartige Dichte von hochklassigen Sportstätten, das ist einzigartig in Deutschland“, meint Baues und ein wenig Lokalpatriotismus prägt seine Sicht. Zur Sportschule, die er seit 1984 leitet, gehören allein sechs Rasenplätze, ein Kunstrasenfeld der neuesten Generation, verschiedene Kleinspielfelder, eine Fußballhalle – und das ist nur die Fußballinfrastruktur. Diverse weitere Hallen und Räume für Sportarten von Judo bis Tanzsport, von Rollhockey über Squash bis Tennis sind auf dem 145 000 Quadratmeter großen Gelände verteilt. Neben dem Fußballverband Niederrhein sind die Geschäftsstellen des Deutschen Behindertensportverbands, des Behinderten-Sportverbands NRW und der Vereinigung der Vertragsspieler in der Sportschule Wedau beherbergt. Insgesamt 20 Landes- und Bundesleistungszentren anderer Sportarten sind hier ansässig. Aus der Höhe sieht man aber heute nur Fußball: Auf vielen der Plätze herrscht reger Betrieb, flinke weiße Punkte leuchten auf dem satten Grün. „Da drüben trainiert gerade die U-17-Juniorinnen-Nationalmannschaft“, zeigt der Hausherr. Insgesamt rund zwölf Millionen Euro werden in den Umbau investiert, allein 8,5 kommen als Förderung vom Land Nordrhein-Westfalen. Eine Investition, die die große Bedeutung der Sportschule unterstreicht – gilt sie doch als größte Talentschmiede des deutschen Fußballs. Und das seit 1929. Entstanden aus einem Naherholungsheim für Kumpel aus dem Ruhrgebiet, ist die Sportschule Wedau zur Keimzelle des Westdeutschen Fußballverbands geworden. Sechsmal im Jahr finden in verschiedenen Altersklassen die DFB-Sichtungsturniere statt, an denen sich alle 21 Fußball-Landesverbände des Deutschen Fußball-Bundes mit ihren talentiertesten Spielerinnen und Spielern eines jeweiligen Jahrgangs beteiligen. Daneben kommen natürlich Nationalmannschaften oder auch Vereinsteams aus aller Welt zu Lehrgängen, ganz zu schweigen von Trainerund Schiedsrichterfortbildungen und Veranstaltungen der Spielergewerkschaft. Viele Profikarrieren begannen auf den Fußballplätzen an der Wedau. „Vermutlich wurden um die 75 Prozent aller deutschen Spieler, die heute in der 1., 2. oder 3. Liga spielen, hier entdeckt“, schätzt Schulleiter Baues. Sportschule Wedau | duisburg 38 Allein unter Fußballplätzen: Auch andere Bodenbeläge Weiter Blick: Die Bar im obersten Stock des Wohnturms bietet eine stehen für sportlichen Ausgleich bereit. spektakuläre Aussicht über Duisburg. So auch der Mann, der nun den Kopf durch die Tür steckt. „Sind wir verabredet?“, fragt Hans Hubert Vogts, allgemein als „Berti“ bekannt, höflich und immer mit ein wenig Niederrhein in der Stimme. Der Ex-Bundestrainer (Europameister), Spieler-Weltmeister von 1974 und fünfmalige Deutsche Meister kommt gerade mit dem Flugzeug aus Salzburg und macht einen Abstecher auf dem Weg ins heimische Kleinenbroich. „Wedau ist für mich ein Zuhause“, sagt Berti. Mit 15 Jahren kam er als Spieler des VfR Büttgen zum ersten Mal hierher, im Rahmen eines normalen Kreislehrgangs. Trainerlegende Dettmar Cramer war zu jener Zeit Cheftrainer in Wedau und berief Vogts in die Jugend-Nationalmannschaft. „Da habe ich an der Seite von Franz Beckenbauer im UEFA-Jugendturnier gespielt“, erinnert sich der heute 65-Jährige. „Und Cramer war es auch, der später Hennes Weisweiler anrief und mich nach Mönchengladbach empfahl.“ So fand der gerade volljährige Berti Vogts, der mit zwölf Jahren seine Eltern verloren hatte, einen Platz in der Bundesliga und entwickelte sich zu einer wichtigen Stütze der Fohlenelf. Noch heute hält er den Rekord der meisten Spiele für die Borussia, 419 Einsätze stehen auf seinem Konto. Fußballexperten von damals erzählen, das Verhältnis des Gladbacher Trainers Weisweiler zu seinem jungen Abwehrspieler sei geradezu väterlich gewesen. Auch mit der Sportschule Wedau verbindet Berti Vogts familiäre Gefühle. „Wir waren immer alle gerne hier. Auch wenn wir zu acht oder zu zehnt in einem Zimmer geschlafen haben und die Ausstattung spartanisch war, wir empfanden das als 5-SterneHotel“, erinnert sich Vogts. Die Stockbetten gibt es heute nicht mehr, wohl aber noch den Parkettboden von 1954 in der Trainingshalle, der immer noch beste Eigenschaften aufweist. Und es gibt einen speziellen Geruch hier, einen Duft aus der Kindheit nach ehrwürdigem Schulgebäude. Bleibt zu hoffen, dass dieses Odeur die Renovierung überlebt, denn es passt zur Tradition und zur Ernsthaftigkeit des Fußballgeschäfts wie der Stollen an den Schuh. „Hier ist schließlich die Wiege des deutschen Fußballs.“ Mit Berti Vogts nach draußen und schon wird klar: Das Gelände kennt er immer noch wie seine Westentasche. Er hält die Türen auf und genießt den Anblick der grünen Plätze, auf denen gerade die Nachwuchstalente arbeiten. „Auf dieser Anlage gibt es mehr gute Fußballplätze als in ganz Aserbaidschan“, sagt Vogts. Und dann erzählt er von seiner derzeitigen Arbeit als Nationaltrainer am Kaspischen Meer. Echte Aufbauarbeit in einem Land, das durchaus Kapital und Talente hat, aber – mit Verlaub – noch nicht viel Ahnung von Fußball. „Die haben sich zum Beispiel für viel Geld eine Fußballakademie gebaut, dabei aber völlig vergessen, sie mit Trainingsplätzen auszustatten“, berichtet der weit gereiste Fußballfachmann. Mit seinem Team musste er erst mal Strukturen schaffen. Mittlerweile gibt es sechs Stützpunkte im Land, eine funktionierende Trainerausbildung. Und berti vogts 39 Trockenen Fußes: Eine Fußgängerbrücke verbindet Sportschule und Verwaltungsgebäude. Vogts schickt seine jungen Nachwuchsspieler nach Wedau, wo sie oftmals Erstaunliches vollbringen. „Das sind Jungs, die haben dort auf der Straße und auf Feldern gekickt, ohne taktische Ausbildung, ohne ausgebildete Kondition.“ So kam seine U-15-Nationalmannschaft für sechs Wochen nach Duisburg, lernte Fußball und bekam nebenbei auch ein wenig Schulunterricht, etwa in Englisch. „Das Gute an ihnen ist, dass sie völlig unvorbelastet und sehr lernwillig sind. Das Team ist offen für jede strategische Anweisung, für jeden Input.“ Da können sechs Wochen Lehrgang schon kleine Wunder bewirken. So schlugen die Aserbaidschaner am Ende sogar Bayer Leverkusen, eines der stärksten Jugendteams in Deutschland, mit 3:1. Das ist auch der Effekt von Wedau, den Berti Vogts so gut kennt und den er weitergeben möchte. „Hier ist schließlich die Wiege des deutschen Fußballs“, sagt er. Ein schönes Schlusswort für das Ende eines Rundgangs, der von vielen Trainingsplätzen aus mit verstohlener Bewunderung beobachtet wurde. Der Mann im Fokus der Aufmerksamkeit fragt nur knapp: „Sind wir durch?“ Ja, sind wir, vielen Dank. Berti Vogts, dessen wahrhaftig bewegtes Fußballer-Leben vor einem halben Jahrhundert hier seinen Anfang nahm, verabschiedet sich mit ernstem Gesicht und geht völlig selbstverständlich durch einen Seitenausgang zum Parkplatz. Zeit, heimzufahren. Nach Wedau wird er noch oft genug kommen. Im Zeichen des Fußballs: Das Sechseck als Sportschule Wedau Adresse: Sportpark Wedau, Friedrich-Alfred-Straße 15, 47055 Duisburg Träger: Fußballverband Niederrhein e. V. Baujahr: 1929 Baujahr Erweiterungsbau: 1954 und 1980 Wohnturm-Sanierung: Ab Herbst 2012 Übernachtungskapazität: 400 Mitarbeiter: ca. 55 Sportstätten: 6 Rasenplätze, 1 Kunstrasenspielfeld, 1 Kunstrasen-Kleinspielfeld, 1 Kunstrasen-Minispielfeld, ca. 10 Hallen von Fußballhalle bis Gymnastik- und Judohalle, 5 Squash-Courts, 3 Indoor-Tennisplätze, 2 Krafträume www.sportschule-wedau. de gestalterisches Element prägt die Architektur in Wedau. REGATTABAHN | DUISBURG 40 Goldsuche in der Kiesgrube REGATTABAHN DUISBURG. Für den Erfolg hat Doppelolympiasieger Thomas Reineck 50 000 Trainingskilometer unters Paddel genommen. W ie üppig der Bau neuer Sportstätten ausfällt, hat viel mit Geld zu tun. Große Mengen davon nennt der Volksmund heute noch mitunter salopp „Kies“. Und davon hatte die Stadt Duisburg zur Blüte der Kaiserzeit reichlich. Als die Anfang des 20. Jahrhunderts aufstrebende Industriemetropole einen neuen Güterbahnhof und Dutzende von Wohnsiedlungen errichten wollte, ließ sie den Baustoff aus den nahen, 200 Hektar großen und bis zu 15 Metern tiefen Kiesvorkommen im Süden der Stadt ausgraben. Das Ergebnis ist – unter anderem – eine der schönsten Wassersportanlagen der Welt. Regattabahn Duisburg Adresse: Kruppstraße 28 a, 47055 Duisburg Eigentümer: Stadt Duisburg Erbaut: 1935 Status: Bundes- und Landesleistungszentrum Kanurennsport Kapazität: 2 468 Sitzplätze, 8 000 Stehplätze Maße: 130 x 2 200 m Besonderheiten: 2 km langer Windschutzdamm entlang der Rennstrecke. Die Regattastrecke ist komplett von einer nachts beleuchteten Laufstrecke umgeben. Veranstaltungen: Kanu-Sprint-Weltcup Mai 2012, Kanu-Weltmeisterschaften 1979, 1987, 1995, 2007, World Games 2005, Ruder-Weltmeisterschaften 1983 und 2001 www.duisburg.de/freizeit/ sport/regattabahn.php 2 180 Meter lang, 130 Meter breit und bis zu 10 Meter tief präsentiert sich heute die Regattabahn Duisburg. Errichtet 1935. Auf einem der bei den Kiesgrubenarbeiten 20 Jahre zuvor entstandenen Baggerseen. Ein 1972 erbauter Windschutzdamm macht die Anlage im internationalen Wasserrennsport zur allerersten Adresse. Warum sonst hätten Ruderer und Kanuten auf dieser Strecke schon sechs Weltmeisterschaften ausgerichtet? Und einer, der hier „den zweiten Abschnitt meiner Jugend verbracht hat“, ist Kanu-Doppelolympiasieger Thomas Reineck (44). Auf dem Flüsschen Schwentine in Holstein mit dem Kanu groß geworden, durfte er 1982 erstmals zu einer Talentsichtung des Verbands. Und dann ging es für den Kajakfahrer Schlag auf Schlag. „Überwältigend“ sei für ihn als 15-Jährigen schon gewesen, die Duisburger Anlage „überhaupt nur zu sehen“. Bis zu zwölf Bahnen, kilometerlang sauber ausballoniert, und mittendrin die Kanu-Heroen seiner Zeit – wie die Hamburger Brüder Oliver und Matthias Seack („meine sportlichen Vorbilder“). Und alle trainierten für Olympia in Los Angeles. Drei bis vier Minuten brauchen die Einer-, Zweier- oder Viererkajaks für die 1 000-Meter-Distanz – je mehr „Mann an Bord“, desto schwerer, aber auch schneller sind die Boote. Etwas langsamer sind die Kanadier, deren Besatzungen mit Stech- statt Doppelpaddel unterwegs sind. „Hier wollte ich hin“, erinnert sich Reineck heute. Und dafür trainierte er – hart und mit Erfolg. 1984 wurde er in die Nationalmannschaft berufen und gewann im Jahr darauf Bronze bei der Junioren-WM. Drei Jahre und drei WM-Medaillen später nominierte ihn Bundestrainer Josef Capoušek für die Olympischen Spiele. Der gebürtige Prager, eine Legende im deutschen Kanusport, führte seine Athleten zu 17 olympischen Siegen. Und den Grundstein für Gold legten nahezu alle in der alten Duisburger Grube. Dann Seoul 1988. Mit Reineck im Viererkajak sprang ein sechster Platz heraus. Immerhin. „Kanuten werden im Winter gemacht“, heißt es. Das kam Reineck entgegen. Während der kalten Saison konnte er so neben der Arbeit als angehender Maschinenschlosser in Berlin Ausdauer und Kraft trainieren. Doch zur Vorbereitung auf Olympia ging es von Februar bis August ins Leistungszentrum nach Duisburg. Geschätzt 50 000 Trainingskilometer hat Reineck in den zwölf Jahren, die er zum Nationalteam zählte, zurückgelegt – viele davon auf dieser Anlage. Um dichter am Bundes- und Landesleistungszentrum des Kanurennsports in Duisburg zu sein, wechselte er nach zwei Semestern Maschinenbaustudium 1992 von Berlin zur FH Bochum. Und schon im selben Jahr in Barcelona und noch einmal 1996 in Atlanta führte er als Nummer eins im Boot den deutschen Vierer zu olympischem Gold. Und was kam im Anschluss an die Kajak-Karriere? „Kanuten müssen hart arbeiten – auch nach dem Sport“, grinst Reineck. „Und das lernt man am besten in der ‚Kiesgrube‘ in Duisburg.“ Der Diplom-Ingenieur Thomas Reineck tut das bei den Stadtwerken in Essen und seit 2007 auch in der Funktion des Präsidenten des Kanu-Verbands Nordrhein-Westfalen. Thomas reineck 41 elf fuSSballstadien | nordrhein-westfalen 42 stadion-extra elf von uns Die gelbe Wand (und viele andere Besonderheiten in Nordrhein-Westfalens Fußball-Arenen) Otto Schneitberger stadion-extra 43 Signal Iduna Park | dortmund 44 Verein, Fans, Stadt, Stadion. Alles eins! Glücklicher BVB-Sportdirektor vor mitgenommenem Rasen: Michael Zorc in der gigantischen Arena des Deutschen Meisters und Pokalsiegers 2012. Name: Signal Iduna Park Adresse: Strobelallee 50, 44139 Dortmund Eröffnet: 1974; erweitert und modernisiert 1998 und 2006 1. Spiel: 2. April 1974, BVB 09 gegen Schalke 04 (0:3) Internationale Großereignisse: Fußball-Weltmeisterschaften 1974 und 2006, Finale des UEFA Cups 2003, UEFA Champions League, UEFA Europa League Kapazität: 80 720, bei internationalen Spielen: 65 718 Spielstätte von BV Borussia 09 Dortmund, Deutscher Meister 2012 und Deutscher Pokalsieger 2012 Parkplätze: über 10 000 www.signal-iduna-park.de michael zorc 45 Glückliche Dortmunder. Alle Sieger. Die Fußballbegeisterung der Stadt, so heißt es, habe beinahe religiöse Züge. Ein Leben ohne BVB? Für einen Dortmunder unvorstellbar. Als sie voriges Jahr Meister wurden, feierten 400 000 Menschen auf der gesperrten B 1. Im „Meisterschaftsgottesdienst“ sprach der katholische Pfarrer von einem „Steilpass in den Himmel“. „Echte Liebe“ – das steht neben dem Logo des BVB in der Geschäftsstelle unweit des Stadions. Echte Liebe beruht auf Gegenseitigkeit: Die Dortmunder lieben ihren BVB und beim BVB liebt man „die besten Fans der Republik“. Verein, Fans, Stadt – alles eins. Mittelfeldspieler Kevin Großkreutz zeigt auf seiner rechten Wade, was er unter echter Liebe versteht. Die Wade ist mit der Skyline der Stadt tätowiert: Reinoldi-Kirche, Zeche Germania, Florianturm, Oper, BVB-Stadion. Das Stadion. Osttribüne. Warten auf BVB-Sportdirektor Michael Zorc, der noch telefonieren muss. Triumphe sind herrlich, aber anstrengend. Immer will irgendwer irgendwas. Andere dagegen haben nun schön Zeit, den Signal Iduna Park auf sich wirken zu lassen. Das Resultat? Ähnlich wie beim SpaceNight-Gucken. Das gigantische, gerade vollkommen leere Stadion bringt seinen Betrachter in einen Modus, wie ihn sonst wohl nur Zen-Meister kennen. Entspannung total. Eurokrise, mieses Wetter, Halsschmerzen – alles egal, es gibt Dinge, die größer sind. „Mit 80 720 Plätzen größer als das Olympiastadion in Berlin“, sagt plötzlich mit einem Lächeln ein ausgesprochen attraktiver und sympathisch wirkender Mann: Michael Zorc. In Dortmund geboren und aufgewachsen, hat Zorc als Aktiver auf dem Platz 463 Bundesligaspiele für den Verein gemacht. 34 Jahre BVB – da darf man mit seinem Stadion schon ein bisschen angeben. Und überhaupt: Hat nicht die ehrwürdige London Times den Dortmunder Fußballtempel zur Nummer eins der ganzen Welt gekürt? Vor Mailand und Liverpool? Eben. „Gewaltige Ränge“, so hieß es in der Begründung, würden die Geräusche mit „ohrenbetäubender Intensität auf den Rasen zurückwerfen“. Die Atmosphäre – phänomenal. Kann es einen besseren Platz für Fußball und seine Fans geben? Gemeinsamer Blick zur legendären Südtribüne, dem Epizentrum Dortmunder Fußballleidenschaft und nebenbei Europas größtem Stehareal: 100 Meter breit, 53 Meter tief, 40 Meter hoch. Wer auf den Oberrängen steht, muss garantiert schwindelfrei sein. Der Neigungswinkel beträgt atemberaubende 37 Grad. Die Südkurve, jetzt zeigt sie sich betongrau, aber wenn der BVB spielt, stehen da 24.454 Anhänger in Trikots und materialisieren sich zur Gelben Wand. Diese Wand ist immer da, bei jedem Wetter, in guten wie in schlechten Zeiten. Nicht zu übersehen, nie zu überhören. Den Gegner bedrückt, die eigene Mannschaft beflügelt sie. Das hätte man den Dortmundern vor 40 Jahren mal erzählen sollen: 80 000 Zuschauer bei jedem Match, eine Spielstätte mit Glasfassade, Rasenheizung und acht leuchtend gelben, das Dach stützenden Stahlpylonen, welche mit je 62 Metern Höhe genauso hoch in den Himmel ragen wie die kleinste Pyramide von Gizeh. Dass dieser „Gigant“ dem Verein „beinahe finanziell das Genick gebrochen“ hätte, vermerkt die BVB-Chronik ungeniert – Schnee von gestern. Und sonst so? Jürgen Klopp schon im Urlaub? „Nein, treff ich gleich“, berichtet Zorc und gerät ins Schwärmen. Dass „Kloppo“ ein super Trainer ist, muss er nicht mehr erwähnen, dass der Mann weitere Talente hat, etwa ein begnadeter Entertainer ist, ist bekannt. Würde Thomas Gottschalk mal krank, sagt Zorc, empfehle er dem Fernsehen, Klopp um Hilfe zu bitten. Selbst eine wichtige TV-Show moderiere der aus dem Stand. Einfach so. Gigantisches Stadion. Grandioser Verein. Genialer Trainer. Eine große Mannschaft. stadion-extra E ine große Mannschaft.“ Mit den drei knappen Worten von Oliver Kahn ist bereits viel gesagt. Deutscher Meister und Pokalsieger – die Borussia hat in der nationalen Saison 2012 alles gegeben, in Deutschland alles gewonnen und damit die deutsche Fußball-Tektonik gehörig aus den Angeln gehoben. Die Konkurrenz aus München musste sich mit zweiten Plätzen zufriedengeben. esprit arena | düsseldorf 46 Name: Esprit arena Adresse: Arena-Str. 1, 40474 Düsseldorf Eröffnet: 18. Januar 2005 1. Spiel: 10. September 2004, Fortuna Düsseldorf – Union Berlin (2:0) Kapazität: 54 600 national (44 683 Sitzplätze, 9 917 Stehplätze) Parkplätze: Ca. 22 000 (aufgrund der Nähe zur Messe) Internationale Großereignisse: Fußball-Länderspiel Deutschland – Argentinien am 9. Februar 2005 (2:2), Fußball-Länderspiel Deutschland – Schweiz am 7. Februar 2007 (3:1), Fußball-Länderspiel Deutschland – Norwegen am 11. Februar 2009 (0:1) Spielstätte von Fortuna Düsseldorf www.espritarena.de Herr Niersbach, gestatten Sie eine kleine Rückblende: Wissen Sie noch, wie es sich anfühlt, samstags als Reporter im Rheinstadion zu sitzen, den Telefonhörer am Ohr zu haben, live über Fortuna zu berichten und sich dann sonntagabends im Benrather Hof mit den anderen Düsseldorfer Sportjournalisten die wahren – nicht geschriebenen – Geschichten und Hintergründe zu erzählen? Nur zu Ihrer Erinnerung, das war 1976/77! wolfgang niersbach: Das weiß ich noch sehr genau. Es hat sich gut angefühlt. Ich habe das unheimlich gerne und leidenschaftlich gemacht. Und mir würden noch einige Geschichten einfallen, die spannend waren, aber nie geschrieben wurden. Haben Sie Ihre damalige Leidenschaft für Fortuna – auch als Autor im Stadionmagazin – behalten? niersbach: Ich habe damals eine tolle Zeit mit der Fortuna erlebt und ich gebe offen zu, dass mir der Verein immer noch besonders am Herzen liegt. Die Liebe zu einem Verein legt man nicht einfach ab. Dürfen Sie als DFB-Präsident noch Fan eines Clubs sein oder sieht die Pflicht eine übergeordnete Distanz mit Leidenschaft für den deutschen Fußball vor? niersbach: Das eine schließt das andere doch gar nicht aus. Man kann auch Fan eines Vereins sein und sich leidenschaftlich für den gesamten Fußball engagieren. Wenn Bayern München in der Champions League gegen Chelsea um den Titel spielt, bin ich natürlich auch Bayern-Fan. In erster Linie bin ich aber Fußballfan. auch 1977 der Weltcup der Leichtathleten – eine tolle Veranstaltung in einer ganz besonderen Atmosphäre. … an Siegen? niersbach: Da fällt mir spontan der 15. November 1972 ein, als Deutschland 5:1 gegen die Schweiz gewonnen hat. Gerd Müller hat damals den Ball für Günter Netzer mit der Hacke aufgelegt. Es war das Tor des Jahres. … und natürlich an Niederlagen? niersbach: Da denke ich an ein Spiel im September 1982, es war ein kühler, ungemütlicher Tag. Am Ende stand ein 0:6 gegen den Hamburger SV vor gerade mal 13 000 Zuschauern. Gehörte der Niedergang der Fortuna und damit ein verwaistes Rheinstadion dazu? niersbach: Es war schon ein Dilemma. Auf der einen Seite hatte man dieses große Stadion, auf der anderen Seite lag der Zuschauerschnitt vielleicht bei 15 000, 18 000 Fans. Wenn so viele Plätze leer bleiben, ist die Stimmung natürlich entsprechend und kann ein Nachteil sein. Lassen Sie uns über das alte Rheinstadion sprechen. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben … … an Kuriosem? niersbach: Ich erinnere mich, dass im Sommer in der einen Ecke des Stadions bei schönem Wetter mehrere Hundert Zuschauer in Badehose an einem Zaun standen und das Spiel schauten. Nebenan war ein Schwimmbad. Die Sicht war von dort sicher nicht optimal, aber dafür war der Eintrittspreis günstiger als im Stadion. Eine gewaltige Kraftanstrengung der Düsseldorfer Stadtväter mit dem Neubau einer Fußball-Arena reichte allerdings nicht dafür, dass Sie als führender Funktionär Ihre Heimatstadt 2006 zum WM-Spielort machten. Warum eigentlich nicht? Hier und jetzt können Sie es ja mal sagen! niersbach: Mir hat die Entscheidung damals persönlich wehgetan. Für das Turnier waren nur zwölf Spielorte zugelassen, obwohl wir uns noch bemüht hatten, Düsseldorf als 13. reinzunehmen. Dortmund und Schalke waren aufgrund ihrer Größe gesetzt, Köln war bereits fertig und 1974 nicht berücksichtigt worden. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass Düsseldorf nicht genommen wurde, obwohl die Bewerbung exzellent war. Umso höher ist es der Stadt anzurechnen, dass dieses Stadionprojekt umgesetzt und damit die Basis für den stetigen Aufstieg der Fortuna geschaffen wurde. … an sportlichen Höhepunkten? niersbach: Natürlich die WM 1974 mit den Spielen gegen Jugoslawien und Schweden oder die Europapokal-Spiele von Borussia Mönchengladbach. Aber Was gefällt Ihnen besonders am neuen Rheinstadion, pardon, an der Esprit arena? niersbach: Ich finde, die Stimmung ist dort sogar noch besser als damals im Eisstadion an der Brehm- Bessere Stimmung als wolfgang niersbach 47 Dort, wo alles begann – das Rheinstadion. 1976 saß der junge Sportjournalist Wolfgang Niersbach im Düsseldorfer Fußballstadion und berichtete live für den Sportinformationsdienst (Schwarzweißfotos unten rechts) über die großen Spiele der Düsseldorfer Fortuna. Seit 2012 führt er als Präsident mit dem Deutschen Fußball-Bund (oben) die größte Sportorganisation der Welt und ist als Ehrengast straße, wo sich ja nach eigenem Bekunden die besten Fans der Welt trafen. Die Arena ist modern, kompakt, funktional. Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass Fußballstadien keine Luxustempel sein müssen, sondern diese Kriterien erfüllen sollten. Und was können Sie als oberster deutscher Fußballchef den Düsseldorfern und ihrem schmucken Stadion versprechen, vielleicht eine Europameisterschaft? niersbach: Wir können dankbar sein, dass wir mit 2006 und 2011 zwei tolle Heimturniere austragen konnten. Ein weiteres Turnier kann ich nicht versprechen, aber die Düsseldorfer können sich ja jetzt erst mal auf die Bundesligasaison freuen. Wie fühlt sich das für Sie an, wenn Sie dort oben sitzen und Spielzüge, Fouls und Tore analysieren? Möchten Sie noch gelegentlich zum Telefonhörer greifen und berichten, wie Klaus Allofs … niersbach: Ich war mit Leib und Seele Journalist und bin es auch ein Stück weit immer geblieben. Manchmal juckt es schon in den Fingern, aber in meiner neuen Funktion fühle ich mich auf der Tribüne auch sehr wohl. in der Brehmstraße stadion-extra oft in der neuen Esprit arena (rechts). veltins-arena | gelsenkirchen 48 Name: Veltins-Arena (bis 2005 Arena AufSchalke) Adresse: Arenaring 1, 45891 Gelsenkirchen Eröffnet: 13. August 2001 1. Spiel: 18. August 2001, FC Schalke 04 gegen Bayer 04 Leverkusen (3:3) Kapazität: Bei Fußballspielen auf nationaler Ebene 61 673, bei internationalen Spielen 54 142 (nur Sitzplätze), bei Konzerten 78 996 Plätze Parkplätze: 14 000 Internationale Großereignisse: Fußball-Weltmeisterschaft 2006, Finale UEFA Champions League 2004, Länderspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Spielstätte des FC Schalke 04 www.veltins-arena.de stadion-extra D ass ein echter Fußballfan seinen Lieblingsverein in guten wie in schlechten Zeiten gegen jegliche Kritik vehement verteidigt, erfährt die nicht gerade regelmäßige Besucherin solcher Ballspiele bei jeder ihrer Visiten in Stadien des Ruhrgebiets. In Gelsenkirchen wird diese bedingungslose Treue noch extremer ausgelebt und mit „Liebe“ beschrieben. Oder gar damit verwechselt? Begonnen hatte die intensive Zuneigung im Stadtteil Schalke, auf der Glückauf-Kampfbahn. Dort stand einst die Wiege jener Leidenschaft. Vor einigen Jahrzehnten zog die blau-weiße Gemeinde einfach wenige Kilometer weiter nordwärts in die Kurt-Schumacher-Straße, um der Liebe auch noch den wahren Segen zu verpassen: zunächst ins Parkstadion, jetzt spielt man in der vor zehn Jahren daneben errichteten Veltins-Arena – mit angeschlossener Kapelle. Hier oben auf dem Hügel der Arena geht es tatsächlich auch abseits des grünen Rasens um die wahre Liebe. Dann nämlich, wenn – wie Ende April 2012 – eine Frau mit dem Familiennamen Schalke ihrem Auserwählten in der Spielstätte des FC Schalke den Ehering überstreift. Der heißt nun so wie sein fußballerischer Lieblingsclub – Schalke. Das war wohl keine Frage. Blau und Weiß, wie lieb ich dich … „Wer diesen Verein einmal kennengelernt hat, kommt von ihm einfach nicht mehr los“, sagt Klaus Fischer. In den 70er Jahren wurde er mit dem FC Schalke 04 Vizemeister und Pokalsieger. Seine 268 Bundesligatreffer machen ihn heute zum zweitbesten aller Torjäger – direkt hinter kleines dickes Gerd Müller. Legendäre Tore haben beide geschossen, im Gedächtnis geblieben ist der artistische Fallrückzieher von Klaus Fischer im WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich. Noch heute fühlt sich der 62-Jährige mit Schalke „verheiratet“. Seit 42 Jahren wohnt der in Bayern geborene und aufgewachsene Kicker im Ruhrgebiet, in Gelsenkirchen. Klaus Fischer spielt in der Schalker Traditionsmannschaft und verpasst kein Heimspiel der Bundesligamannschaft. „Da muss schon etwas ganz Wichtiges passieren, dass ich nicht komme.“ Die Plätze im Stadion sind für ihn reserviert: Haupttribüne, Block 4, Reihe 2, Platz 11 und 12. Hier ist Klaus Fischer zu Hause, hier hat er zahlreiche herausragende Fußballmomente erlebt: etwa das Pokalspiel 2002, das erste Spiel des FC Bayern in der neuen Arena, die damals noch AufSchalke hieß. 5:1 hieß es zum Schluss – für Schalke. Oder im April 2011, das Halbfinale in der Champions League gegen Manchester United. 0:2 verloren die Schalker gegen die Engländer, doch „ich habe nie einen Torwart gesehen, der so gut hält wie Manuel Neuer, das war für mich unvergesslich“. Schalke verlor dann auch noch Neuer – an Bayern München. Dort holt dieser Ausnahmetorwart nach seinem Wechsel keine Titel, er hat auch kein verschließbares Dach über dem Kopf oder ein herausfahrbares Rasenfeld unter den Füßen. In München lässt sich auch die Südtribüne nicht verschieben und ein Videowürfel hängt auch nicht über dem Anstoßkreis. Diese Besonderheiten zeichnen eben die Verwandlungskünstlerin Veltins-Arena als 5-Sterne-Stadion aus. Luxus, von dem Klaus Fischer einst im Parkstadion nur träumen konnte. „Dazwischen liegen Welten“, klaus fischer 49 Mit seinem legendären Fallrückzieher im WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich schrieb Klaus Fischer Fußballgeschichte. In den 70ern wurde er mit dem FC Schalke 04 Vizemeister und Pokalsieger. Auch heute verpasst der zweitbeste Torjäger aller Zeiten kein Spiel seines Vereins in der Gelsenkirchener Veltins-Arena. räumt er ein. „Heute ist Fußball ein Event. Viele Frauen und Familien gehen mit zu den Spielen. Damals haben wir selbst auf gefrorenem Boden gespielt, es war kalt, es hat geregnet, es war windig. Aber man war leidenschaftlicher Fußballer und hatte sein Hobby zum Beruf gemacht.“ Die Veltins-Arena ist für Klaus Fischer „das schönste Stadion in Deutschland. Das sagen sogar BayernFans.“ Ihm gefällt die luftige und transparente Konstruktion, kein störender Beton wie andernorts. Und vor allem die einmalige Atmosphäre: „Wenn die Nord- die Südkurve ruft und zurück. Das müssen Sie einfach erleben. Die Begeisterung der Fans hier ist einzigartig.“ Nur wenigen von ihnen gelingt es, die Arena von unten zu sehen. In der direkten Nachbarschaft zu den Umkleidekabinen der Spieler treffen sie sich dann für einen der schöneren Augenblicke ihres Lebens. Unter dem heiligen Rasen, in der Schalke-Kapelle, geloben sich viele Paare ewige Treue. Der Stadionpfarrer kann noch andere Glücksmomente bieten. So wartet auf neugeborene Schalke-Fans blau-weißes Taufgewässer. Und wenn das junge Glück oder die frisch Getauften diesen schlicht gehaltenen Ort nach Gottes Segen verlassen, wandert der Blick wie magnetisch hinein in den Spielertunnel. Der Schriftzug an den Wänden ist für viele ein Lebensmotto: „Blau und Weiß ein Leben lang …“. Blau und Weiß ein Leben lang schauinsland-reisen-Arena | duisburg 50 D er Reviermensch soll ein ungemein patenter, rauer, aber gutmütiger Typ sein, bei dem das Herz auf dem rechten Fleck sitzt. Einerseits fleißig, andererseits gemütlich, gerne ironisch, immer lässig. ist lange her, zum Standard in modernen Wohlfühlzeiten gehört Rundum-Betreuung mit Obst-Buffet und immer verfügbaren Getränken. Neidisch auf die Kollegen? „Nein“, sagt Dietz, „das ist schon alles richtig so.“ In der Eingangshalle der Schauinsland-Reisen-Arena, der Heimat des Zweitligisten MSV Duisburg, wartet ein Mann, von dem man hört, er werde im Ruhrgebiet „geliebt“. Bernard Dietz war in den 70er Jahren beinharter, aber nie vom Platz gestellter Verteidiger des Vereins. Bis heute ist „Ennatz“, wie sie ihn im Pott zärtlich nennen, zweitbester Bundesliga-Torschütze des MSV. Ennatz hat auch für die deutsche Nationalmannschaft gekickt. Er war ihr Kapitän, als sie 1980 die Europameisterschaft in Italien gewann. Warum das Stadion wegen seiner guten Akustik immer gelobt wird, versteht man auf dem Weg nach draußen. Ziemlicher Radau lässt eine Großveranstaltung erwarten, aber es sind nur ein paar Dutzend Grundschüler, die hier heute einen „Marathon“ veranstalten dürfen. Eine Überraschung auch: Das Stadion, so unwahrscheinlich es klingen mag, wirkt regelrecht heimelig. Ein Ort auch für Familien. Die Zahl der Plätze ist mit 31 500 vergleichsweise überschaubar, die Entfernung von der Tribüne zum Spielfeld mit nur sieben Metern ideal. Außerdem gibt es für böse Jungs ein richtiges Gefängnis, sogar mit Verhörräumen, aber die werden selten gebraucht. stadion-extra Erfolg mag anderswo ausreichen, um ein Idol zu sein, im Ruhrgebiet muss eine zweite Komponente unbedingt hinzukommen: Bodenständigkeit. Graues Haar, neue Jeans, lässiger Pulli, rote Brille – Dietz sieht nicht gerade aus, wie man sich Duisburgs Liebling vorstellt, sondern eher wie ein Redakteur vom Kultur-Fernsehen. Allerdings freut er sich sichtbar über den Besuch, dem er jetzt „sein Wohnzimmer“ zeigen soll. Der Rundgang startet in der Mixed-Zone, jenem Bereich, in dem die Fußballer vor einem Hintergrund mit den Logos von Sponsoren und Werbepartnern nach dem Spiel Reportern möglichst gefühlig antworten sollen. Dietz grinst und eilt allen voran zur Mannschaftskabine. Blauer Noppenboden, weiße Kassettendecke, Holzbänke und Garderoben, an denen Kleiderbügel hängen. Im Moment sind sie ohne Aufgabe, die Saison ist vorbei. Vor den Spielen, erzählt Dietz, finde hier jeder an seinem mit Namen gekennzeichneten Platz ein frisches Trikot. Rascher Blick in den Physiotherapieraum, in dem die Spieler vor dem Anpfiff nacheinander auf zwei Liegen massiert werden, und auf einen Bereich mit Becken, in dem nach einem gewonnenen Match womöglich beim Erholungsbad auch mal was getrunken wird. Dietz zeigt auf zwei kleine Tresore in der Wand, in denen die Fußballer ihre Uhren einschließen, und auf eine Magnettafel, die der Trainer braucht, um vor dem Anpfiff oder in der Pause eine neue Taktik zu erklären. Die meisten Anhänger des MSV scheinen ausgesprochen wohlerzogen zu sein. Beim Abschreiten der sogenannten Legendenwand in der Nordkurve, welche die Ganzkörperbilder von Dietz und anderen verdienten MSV-Helden zieren, fällt auf: null Schmierereien, keine einzige Unterschrift, nicht mal ein kleiner Fleck. In Duisburg werden Legenden nicht beschmiert, man ehrt sie, indem man sie so lässt, wie sie sind. Beim langen Gang durch und um das Stadion bleibt „Ennatz“ Dietz gleichbleibend zugewandt und auskunftsfreudig. Gerade berichtet er vom Umbau des Stadions, der bei laufendem Spielbetrieb stattfand. Nach und nach wurde das frühere Wedaustadion komplett erneuert. Im Juli 2003 begann es mit dem Abriss der Nordkurve und der Ostgeraden und endete mit der Platzerweiterung in den Oberrängen der Haupttribüne zu Beginn der Saison 2005/06. Immer wieder wird Dietz kurz unterbrochen. Auch ein Security-Mann mit gelber Jacke schüttelt ihm die Hand: „Tach Bernard.“ Dietz redet ein paar Takte, nickt, verabschiedet sich freundlich. Gefragt, ob er die vielen Menschen, mit denen er kurz plaudert, wirklich alle kennt, lacht Dietz. „Nein“, sagt er. „Die Leute sind hier so.“ Die Kabine – eigentlich ein nüchterner Ort. Dietz aber spricht von „Luxus“. Früher etwa habe sich ein Fußballer sein Trikot noch mitgebracht. Früher, das Hauch von Luxus bernard dietz 51 Name: Schauinsland-Reisen-Arena Adresse: Margaretenstr. 5 - 9, 47055 Duisburg Eröffnet: 8. November 2004 1. Spiel: 8. November 2004, MSV Duisburg gegen Alemannia Aachen (1:0) Kapazität: 31 500 Logen: 42 mit 420 Sitzplätzen Internationale Großereignisse: Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft der Menschen mit Behinderung 2006, Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Dänemark am 28. März 2007, Türkischer Supercup 2008, Rückspiel im UEFA Women’s Cup des FCR 2001 Duisburg gegen Swesda 2005 Perm am 22. Mai 2009, Freundschaftsspiel der deutschen FrauenNationalmannschaft gegen Nordkorea am 17. Februar 2010 Spielstätte des MSV Duisburg www.schauinslandreisenarena.de Liebenswert wie das Ruhrgebiet: MSV-Legende Bernard Dietz (großes Bild) in seinem Wohnzimmer. Das Foto unten zeigt ihn 1977 im erfolgreichen Zweikampf mit Karl-Heinz Rummenigge. Dietz köpft hier gerade zum 1:0 ein. Bei Spiel-Ende freuten sich die Duisburger über ein fantastisches 6:3 gegen Bayern München. Das frühere Wedaustadion wurde 2003 bei laufendem Spielbetrieb komplett erneuert. Heute kickt Zweitligist MSV Duisburg in einer modernen, familienfreundlichen Arena mit glänzender Akustik. Stadion im Borussia-Park | Mönchengladbach 52 Damals und heute. Als Nachfolger des legendären Stadions am Bökelberg (Foto unten) tritt der Borussia-Park (2. Foto von unten) an, in der kommenden Saison zur festen Adresse im europäischen Fußballkalender zu werden. Sehr zur Freude von ClubVizepräsident und Ex-Nationalspieler Rainer Bonhof. Der gebürtige Niederländer, hier im Zweikampf mit dem Kölner Wolfgang Weber 1973 (Foto rechts), hofft auf die erfolgreiche Qualifikation der Borussia zur UEFA Champions League. Name: Stadion im Borussia-Park Adresse: Hennes-Weisweiler-Allee 1, 41179 Mönchengladbach Eröffnet: 30. Juli 2004 1. Spiel: 14. August 2004, Borussia Mönchengladbach gegen Borussia Dortmund (2:3) Kapazität: 54 047 national, 46 287 international Parkplätze: 9 200 Internationale Großereignisse: 3 Spiele der Frauen-Fußball-WM 2011, 4 Länderspiele der Nationalmannschaft der Männer Spielstätte von Borussia Mönchengladbach www.borussia.de/de/verein-stadion/ stadion/fakten Rainer Bonhof 53 Kathedrale und Kultstätte Wer das sagt, muss es wissen: Rainer Bonhof, in den 70er Jahren defensiver Mittelfeldmann der heimischen Borussia, dessen geniale Freistöße ins Tor der Gegner von „Gladbachern“ wie Segnungen angenommen wurden. Dass die Borussia damals fünfmal Deutscher Meister wurde und die Siegerschale immer nur vor übergehend für einen – immer denselben – Club aus Süddeutschland rausrückte, ist zwar Fußballgeschichte, die andernorts geschrieben wurde, nämlich im 2006 abgerissenen Stadion auf dem Bökelberg der Stadt. Doch heute ist Rainer Bonhof (60) Vize-Präsident des VfL Borussia, als solcher bei jedem Heimspiel dabei und kann beurteilen, was auch im neuen Stadion „abgeht“. Wenn „Die Elf vom Niederrhein“ über den auf 111 x 72 Metern ausgelegten Naturrasen einläuft und „Die Seele brennt“, sind das hymnische Erlebnisse, die auch dem Fußball-Senior „noch jedes Mal unter die Haut gehen“. Und dieser Gänsehaut-Faktor – „das ist schon beinah gruselig, wie der funktioniert“ – ist aus Bonhofs Sicht das, „was auch für viele Fans das Einmalige an diesem Stadion ausmacht“. Es ist heimelig und großzügig zugleich. Steile Ränge und keine Laufbahn, die den Zauber des Spiels bremsen könnte. Mannschaft und Fans sind eine Einheit, das dokumentierte das junge Borussen-Team zum Ende der Saison 2012. „Mit euch durch Europa – danke Fans!“ stand auf dem Transparent, das die Mannschaft nach dem Heimspiel am letzten Aprilwochenende über den grünen Rasen trug. Sie sind zurück in Europa: Die Champions-LeagueQualifikanten wollen den Borussia-Park zur festen Adresse im internationalen Sportkalender machen. Die technischen Voraussetzungen dafür sind hervorragend: Insgesamt 209 000 Quadratmeter umfasst das Gelände, 45 Geschäftslogen mit 684 Plätzen und 1 758 weitere Business-Seats. Ausreichend Parkplätze, eine eigene Autobahnabfahrt und mehrere Trainingsplätze. Schon viermal war die deutsche Männer-Nationalmannschaft zu Besuch, für drei Spiele der FrauenWM 2011 war das Stadion Gastgeber. „Das Stadion nimmt jeden gefangen“, hat Rainer Bonhof eine Erklärung, „für Fußballfreunde ist es eine Kultstätte, sie beten sie quasi an.“ Was hat dieses Stadion, in dem selbst Borussias U-17-Trainer Thomas Flath – freimütig, nicht reumütig – zugibt: „Eigentlich wollte ich ja Pfarrer werden. Aber dann hab ich mich dazu entschieden, mit Fußball an der Seele des Menschen zu arbeiten.“ Sicher ist: Für Borussen-Fans ist schon der Weg ins Stadion ein Glaubensbekenntnis. Denn er führt über die Hennes-Weisweiler-Allee. Benannt nach der Trainerlegende, die den Club viermal zu den höchsten Weihen im deutschen Fußball führte. Weisweiler war es auch, der Rainer Bonhof als 17-jährigen Stürmer vom Kleinstadtverein in Emmerich zum Deutschen Meister holte. Und mit dafür sorgte, dass der Niederländer nach seiner Einbürgerung 53 Länderspiele für Deutschland bestritt. „Die Figur von Hennes Weisweiler“ ist für Bonhof „definitiv Teil des Mythos, der sich auch im neuen Stadion um unsere Borussia rankt. So etwas“, grinst er, „gedeiht auf Kultstätten besonders gut.“ stadion-extra S t. Anna, St. Joseph, St. Mariae Himmelfahrt – und natürlich das romanische Münster auf dem Abteiberg: Mönchengladbach hat viele wunderschöne Kirchen, die teils seit über 1 000 Jahren das Bild der Stadt prägen. Eine der modernsten Kathedralen des deutschen Fußballs liegt abseits des Zentrums, errichtet auf der grünen Wiese im Westen der Stadt: das Stadion im Borussia-Park. Hierher pilgern an jedem zweiten Bundesliga-Spieltag bis zu 54 000 „Jünger“, die „eines tief verinnerlicht haben: dass hier junge Männer Fußball spielen, die ihren Glauben an sich selbst niemals verlieren“. schücoarena | bielefeld 54 Viehweide, Alm, Arena W stadion-extra arum kann sich ein Fußballer auch nach 20 Jahren an einen bestimmten Treffer ins gegnerische Tor erinnern? Ganz einfach: weil es sein einziger war. Und dann noch gegen Oliver Kahn. 1992 im Pokalspiel Karlsruher SC gegen Eintracht Frankfurt. Gästetorwart Uli Stein verwandelte einen „11er“ gegen den Mann, der später länger als ein Jahrzehnt das Tor des großen FC Bayern hüten sollte. Das hätten sie auf der Bielefelder Alm bestimmt auch gern gesehen. Am Fuße des Teutoburger Waldes, wo Uli Stein fußballerisch groß wurde und wo der Fußball seit jeher keine zwei Meter von den Zuschauern entfernt rollt. „So etwas gab’s außer in England nur noch in Dortmund“, erinnert sich Stein an die Zeiten, als er während des Spiels „mit den Jungs in der ersten Reihe ein Pläuschchen halten konnte“. Und wo Tore gegen den FC Bayern – in 17 Bundesliga-Heimspielen immerhin 19 – in der Seele eines Arminen-Fans schon immer doppelt zählten. 1976 vom niedersächsischen Provinzfußball (aus Wunstorf) nach Bielefeld gewechselt, war er schon bald einer jener Arminen, die diese Alm zum Beben brachten. Mit ihr Rekorde schrieben. Und sie zum Schauplatz von Legenden machten. Gleich in seiner ersten Saison erreichte Uli Stein mit Arminia den Relegationsplatz um den Aufstieg in die 1. Liga. Im Hinspiel gegen 1860 fegte Arminia die Gäste aus München mit 4:0 aus dem Stadion. Mehr als 30 000 Ostwestfalen waren verzückt. 34 882 Zuschauer beim Heimspiel der Saison 1978/79 gegen Schalke 04 sind die größte – offiziell bestätigte – Zuschauerzahl der Vereinsgeschichte. Sie waren zum Teil „untergebracht“ auf einer provisorischen Stehplatztribüne aus Stahlrohrgerüsten. Noch mehr – unerlaubterweise deutlich über 35 000 – sollen es nur Wochen darauf gegen den 1. FC Kaiserslautern gewesen sein. Jahre später sollte Uli Stein mit dem HSV zweimal Deutscher Meister werden, den Europapokal der Landesmeister gewinnen und – ebenso wie auch mit Frankfurt – auch noch den Deutschen Pokal. Und obwohl er am Ende seiner Karriere für beide Clubs öfter das Tor gehütet hatte (Hamburger SV 228 Bundesligaspiele, Eintracht Frankfurt 224) als für die Bielefelder Arminia (193), blieb der legendäre Torhüter doch immer ein Junge von der Alm. Und die hatte schwierige Zeiten zu überstehen. Nach der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion machte der Deutsche Fußball-Bund 1985 kurzen Prozess und verschärfte die Sicherheitsbestimmungen in deutschen Fußballstadien rigoros. Auf der Alm mussten alle Stehplatztribünen aus Stahlrohr abgerissen werden. Mit der Folge, dass die Kapazität des Stadions auf 15 000 Zuschauer sank. Aktuell wäre das fast ausreichend, weil die Arminia derzeit in Liga 3 kickt. Aber damals? Das Entsetzen war groß. Aus den Niederungen der 3. Liga, in deren Abschlusstabelle 2011/12 die Bielefelder hinter den Rivalen der Region – aus Münster und Osnabrück – rangierten, will die Arminia langfristig wieder nach oben. Geblieben ist in Bielefeld ein Stadion, das sich nach nahezu permanenten Umbau- und Erweiterungsarbeiten von der Viehweide aus den 20er Jahren, unweit der Bielefelder Innenstadt, heute zu einem formidablen Schmuckkästchen des deutschen Fußballs entwickelt hat: die SchücoArena. Mit VIP-Logen und Business-Seats, genauso wie alle großen Arenen sie vorweisen. Und mit einem soliden Fassungsvermögen von 27 300 Fans. „Irgendwann kommen die auch wieder zur Arminia“, ist Uli Stein sicher. Und bis dahin – zumindest bis auf Weiteres – bleibt er Partner von Berti Vogts als Co- und Torwarttrainer der Nationalmannschaft von Aserbaidschan. uli stein 55 Name: SchücoArena Adresse: Melanchthonstraße 31a, 33615 Bielefeld Eröffnet: 1. Mai 1926 1. Spiel: 1. Mai 1926, Arminia Bielefeld gegen SC Victoria Hamburg (1:5) Umbau: 1954, 1967, 1970, 1978, 1985, 1996, 2007 Kapazität: 27 300 Zuschauer, 17 VIP-Boxen, 600 Business-Seats Besondere Merkmale: Frei schwebende Dachkonstruktion mit 2 600 qm Bürofläche, die als „Sky Offices“ langzeitvermietet sind Internationale Großereignisse: Finale FIFA U-20-Weltmeisterschaft der Frauen 2010 Spielstätte des DSC Arminia Bielefeld www.arminia-bielefeld.de/stadion/ schuecoarena Der Legende nach auf einer Kuhwiese am Rande der Bielefelder Innenstadt angelegt, war die „Alm“ seit jeher ein reines Fußballstadion. Bis heute gilt sie als fußballerische Heimat von Ex-Nationaltorwart Uli Stein, der später mit dem Hamburger SV die Deutsche Meisterschaft, den Europapokal und den Deutschen Pokal (Foto: 1987 in Berlin) gewann. In den vergangenen Jahrzehnten mutierte der Bielefelder Fußballplatz zur SchücoArena – einem Paradebeispiel modernster Arena-Bauweise. Rheinenergiestadion | köln stadion-extra 56 So eine Stadt, solche Fans, so ein Stadion D ie letzte Begegnung liegt ein Jahrzehnt zurück. Tokio, Fußballschule für japanische Jugendliche, ehrenamtlich und umsonst. Organisiert von Calli Calmund im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen. Dazwischen gab es nur Erinnerung, keinen Fußball. Und nun? Nun Köln. Da schlendert der Mann im leichten Sommeranzug mit offenem Jackett und blütenweißem Hemd das steingraue Betonband entlang, als sei es das Normalste von der Welt. Mit keinem Schritt berührt er jenes satte Grün, das wenige Zentimeter neben seinen Füßen sprießt. Hat der Respekt vor der Pflanze vielleicht mit dem grimmigen Greenkeeper der Stadt Köln zu tun, der an diesem sonnigen Vormittag die kurz geschnittenen Halme auf das richtige Maß stutzt? „Champions-League-Qualität“, knurrt unser Gesprächspartner und gibt eine kurze Anweisung: „Bitte nicht betreten!“ Verstanden! Er nicht, wir nicht. Wir sowieso nicht, aber er? Der Mann, der an diesem Ort so oft wie kein anderer über den Rasen hechtete und früher auch schon mal im Matsch landete? „25 Jahre lang wollte man mich hier nicht sehen, der Innenraum war für mich tabu.“ Sagt Harald, genannt „Toni“, Schumacher. Seit 1987 war er nicht mehr in Müngersdorf unten auf dem Rasen. Und jetzt ist er hier, ziemlich genau dort, wo rechts von ihm eine weiße Linie das Rasenfeld in zwei Hälften teilt und links ein paar Betonstufen hinab in die Katakomben mit den Spielerkabinen führen. Dort unten hat er sich nie umgezogen und vorbereitet. Seine aktiven 15 Jahre verbrachte der Torwart der Nation vor und nach dem Spiel „dort hinter der Nordtribüne“. Erst am 23. April 2012 haben die Mitglieder des 1. FC Köln dem einstmals besten Torhüter der Welt den Weg zurück in diese Arena geebnet und ihn zu ihrem Vize-Präsidenten gemacht – zwei Spiele vor dem Abstieg in Liga 2. toni schumacher 57 entstehen. Dessen großer Hans Schäfer zauberte auf dem linken Flügel, wurde Weltmeister, holte Meistertitel an den Rhein. 1962 und 1964. 1963, im ersten Jahr der Bundesliga, wurde man nur Vize. Nur Zweiter. Und jetzt 2. Liga. Vom Double – Schale und Pokal –, das Toni Schumacher 1978 erlebte, scheint man Jahrzehnte entfernt. An der Eckfahne, bevor es durch einen Tunnel hinausgeht auf die das Stadion umgebende Flaniermeile, hält der Torwart inne. Blickt hoch zu den Logen, wo Kölns Mittelständler und Konzerne sich einmieten, um „mit ihrem Geld den Fans auf der Stehtribüne Fußball zu vertretbaren Preisen zu ermöglichen“, und spricht über die Zukunft. Toni Schumacher ballt beide Fäuste, streckt sie nach vorne, öffnet die eine Hand und tippt mit dem Zeigefinger auf die andere: „Hier, jeder Finger gebrochen, totaler Einsatz. Das erwarte ich auch von unseren Spielern, von jedem Einzelnen, der hier aufläuft mit dem FC-Trikot. Die müssen wissen, dass sie für eine Stadt spielen, dass dieses Stadion mit 50 000 voll ist, ob 1. oder 2. Liga.“ Leidenschaft. Toni Schumacher lebt und fordert Leidenschaft von seinem Team in diesem Stadion. Harald „Toni“ Schumacher im Museum des Kölner RheinEnergieStadions (links). Der heutige Vizepräsident des 1. FC Köln spielte 15 Jahre als Torwart für den Club und gewann 1983 den DFB-Pokal im Finale gegen Lokalmatador Fortuna – natürlich im alten Müngersdorfer Stadion. Name: RheinEnergieStadion Adresse: Aachener Straße 999, 50933 Köln Eröffnet: 31. Januar 2004 Kapazität: 50 000, international 46 000 Internationale Großereignisse: Fußball-WM 2006 (4 Vorrundenspiele, 1 Achtelfinale), DFB-Pokal-Endspiele der Frauen (seit 2009) Spielstätte des 1. FC Köln www.fc-koeln.de/ stadion/rheinenergiestadion/ „Champions League, davon können wir nicht einmal mehr träumen“, klagt der 58-jährige Rückkehrer. „Fünfmal Abstieg in zehn Jahren. Und das in so einer Stadt, bei so einem Verein! In so einem Stadion, mit diesen Fans!“ Jedes einzelne Wort schmerzt und belegt das Entsetzen des Mannes, der einst mit seinem Club in Europacup-Finalen gegen Real Madrid stand, Meisterschale und Pokalsiege errang. Er blickt die leeren Ränge hoch, die roten Sitzschalen leuchten in der Sonne. Im Augenblick überwiegen die Schattenseiten. Dabei war einmal alles anders in Köln. Mit Konrad Adenauer, mit wem sonst, begann der Aufstieg des Fußballs und des Sports. Als der spätere erste Kanzler der Republik die Stadt regierte, ließ er das Stadion in den späten 20er Jahren bauen. Und das gleich ganz groß. 80 000 Zuschauer fanden Platz darin – das größte Stadion seinerzeit in Deutschland. Erst 20 Jahre später sollte aus einer Fusion zweier Clubs der 1. FC Köln Schumacher hat alle Stadien an diesem Platz in Müngersdorf erlebt: das Adenauer-Rund, dann die moderne Version mit der Laufbahn drum herum, die – aus Geldmangel – erst ein Jahr nach der WM 1974 fertig wurde. Und die reine Fußball-Arena, 2006 Schauplatz von fünf Spielen der Weltmeisterschaft – das aber nur noch als Zuschauer. Doch diese Atmosphäre hätte er gern als Keeper erlebt. Allein das Früher, „wenn die Fans acht, zehn Meter hinter einem stehen und Toni, Toni rufen, das treibt die Gänsehaut über den Rücken. Wir haben uns immer nach einem solchen Stadion wie diesem hier gesehnt, wie in England.“ 200 Meter entfernt der Fanshop. Lukas Podolski hängt noch im Schaufenster, als Poster. Der Abschied, der Wechsel nach London, wird unter den Tribünen noch nicht realisiert. Dann noch ein Blick ins Museum gleich gegenüber, eigentlich ein Ort mit wenig Glanz. Das spürt auch der Vize-Präsident bei seinem Besuch in dem dunklen Raum und hat sogleich Ideen für mehr Glamour. Er strebt in eine Ecke, die mit den Porträts vieler Spieler und Trainer dekoriert ist. Schnellinger, Overath, Hornig, Thielen, Flohe, Cullmann, Weisweiler, Daum. Hinter jedem Kopf geht eine Klappe auf. Auch hinter dem von Torwart Toni Schumacher. Er weiß nicht, was ihn erwartet – ein ehemaliges Trikot, dunkelrot. Und sein Buch „Anpfiff“, weltweit 1,3 Millionen Mal verkauft, in 15 Sprachen übersetzt. Toni Schumacher setzt seine Brille auf und liest die Stationen seiner Karriere. Ganz in Ruhe. Ruhe, die er wohl braucht. Irgendwie ist er wieder heimisch. Anpfiff für eine neue Zeit. Mit Toni Schumacher und dem 1. FC Köln – auf einem außergewöhnlichen Fußballplatz. rewirpowerstadion | bochum 58 Seit 1911 – immer an der Castroper M it wem soll man beginnen? Mit Matthias Hartmann, dem Theaterintendanten, der in Bochum bekannt wurde? Seinen Kollegen Peter Zadek oder Claus Peymann, die hier in den 70er Jahren Regie führten? Oder mit der Currywurst von Dönninghaus im Bermudadreieck? Okay, wir nehmen Herbert. Herbert Grönemeyer, Sohn eines Bergwerkdirektors und noch (etwas) bekannter als die anderen, weil er die großen Bühnen für die breite Bevölkerung bespielte. Obwohl gebürtiger Niedersachse, wurde er hier zum Sohn einer Stadt. Herbert Grönemeyer ist Bochum, er ist auch Blau-Weiß VfL. „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt …“ Grönemeyers Hymne ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Heimat, sie ist festes Ritual vor jedem Anpfiff des VfL. Dieser halb geschriene Sprechgesang des Barden rührt auch Dariusz Wosz. Im rewirpowerSTADION, wie das Ruhrstadion seit 2006 offiziell heißt, hat der Mittelfeldstratege fast seine gesamte Fußballerkarriere verbracht, ist mit dem Kult-Club abgestiegen, aufgestiegen, abgestiegen, wieder aufgestiegen … Nun spielen die einst Unabsteigbaren schon im dritten Jahr in Liga 2. Dariusz Wosz wohnt seit vielen Jahren in Bochum. „Hier gibt es sehr, sehr schöne Ecken und das Stadion ist ganz wichtig für Bochum und die Leute in der Region.“ Ein Stadion, in dem der „Zaubermaus“ genannte ehemalige Mannschaftskapitän große Erfolge feierte. „Unser Trainer Klaus Toppmöller hat es damals geschafft, dass wir als Mannschaft funktionieren. Wir waren ein Team.“ dariusz wosz 59 Anfang der 90er Jahre kam der gebürtige Pole aus der ehemaligen DDR ins Ruhrgebiet und eroberte die Herzen der fußballvernarrten Bochumer. Es waren die Jahre, die durch die Abstiege und direkten Wiederaufstiege als „Fahrstuhlzeit“ in die VfL-Memoiren eingegangen sind. Als er 2007 seine Karriere als Profi fußballer im Alter von 37 Jahren beendete, organisierte der Verein für seinen „Bochumer Jungen“ erstmalig in der VfL-Geschichte ein offizielles Abschiedsspiel: das Uefa-Cup-Allstar-Team spielte gegen alte Kollegen und Freunde von Dariusz Wosz. „Das war ein geiles Gefühl.“ Auf ihre 100 Jahre alte Fußballgeschichte sind die Bochumer stolz. Während die Revierkonkurrenz im Laufe der Zeit ihre ursprünglichen Spielstätten verließ und an anderer Stelle Sportarenen errichtete, wird in Bochum seit 1911 „anne Castroper“ (an der Castroper Straße) gekickt. Damals noch vor den Toren der Stadt, fand auf der Wiese eines Bauern das erste Spiel statt. Nach dem Ersten Weltkrieg wich der Bretterzaunplatz einem Stadion, seinerzeit eine der modernsten und größten Arenen Deutschlands. Seit 1970 wurde das Stadion Stück für Stück und Tribüne für Tribüne in das Ruhrstadion erweitert – Endausbaustufe 2006. Es ist ein reines Fußballstadion und liegt heute mitten in der Stadt – wie in England, wo die Fans auch an Tagen, an denen nicht gespielt wird, die Spielstätten ihrer Fußballheiligen ganz nah haben. In Bochum sind sie auch ganz nah dran am Spielgeschehen. „Hier bekommt man als Zuschauer jede Aktion der Spieler mit. Wenn sie rumschreien, wenn sie gefoult werden oder wenn sie Schwalben machen“, schwärmt Dariusz Wosz, der jetzt auch Zuschauer ist und die U-19-Junioren des VfL trainiert. „Die Nähe zwischen Spieler und Fan ist richtig schön.“ Noch schöner wäre es für den 43-Jährigen allerdings, wenn die Bochumer hautnah miterleben könnten, wie ihr Verein mal wieder aufsteigt. „In die 1. Liga gehören wir, da kommen wir auch wieder hin.“ „Zaubermaus“ Dariusz Wosz (2. von links) hat mit dem VfL Bochum zahlreiche unvergessliche Fußballmomente erlebt: Einer davon war 1988 das Erstrundenspiel im UEFA Cup. Das Stadion liegt mitten in der Stadt und mittendrin sind auch die Fans: Kein Platz ist weiter als 30 Meter vom Spielfeld entfernt. Name: rewirpowerSTADION Adresse: Castroper Straße 145, 44791 Bochum Eröffnet: 21. Juli 1979 1. Spiel: 8. November 1911, SuS Bochum gegen VfB Hamm 1. Spiel nach dem letzten Umbau: 21. Juli 1979, VfL Bochum gegen Wattenscheid 09 (3:0) Kapazität: 29 299 Plätze, davon 16 174 Sitzund 13 125 Stehplätze, international 23 500 Internationale Großereignisse: Fußball-Länderspiele 1981, 1986, 1993, U-21-Fußball-Europameisterschaft 2004, U-20-Fußball-WM der Frauen 2010, FIFA Frauen-WM Deutschland 2011 Spielstätte des VfL Bochum www.vfl-bochum.de/site/_rewirpowerstadion/_ rewirpowerstadion/rewirpowerstadionp.htm stadion-extra Unvergessliche Momente in seinem Heimatstadion hat er viele erlebt, Momente wie beim Bundesligaspiel 1997 gegen St. Pauli, das mit einem Eigentor der Hamburger in der 90. Minute 6:0 für den VfL endete. „Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich heute noch eine Gänsehaut.“ Auch das erste Uefa-PokalSpiel in der Vereinsgeschichte wenige Monate später fällt in diese Kategorie: ein Fußballkrimi erster Güte, bei dem der VfL im ausverkauften Ruhrstadion gegen den türkischen Gegner Trabzon mit 5:3 erfolgreich den Platz verließ. Fans kürten das Spiel zu einem von fünf Jahrhundertspielen in der Geschichte des VfL. Benteler arena | paderborn 60 Mit Cheftrainer Roger Schmidt, der im Frühsommer dieses Jahres zu Red Bull Salzburg wechselte, spielte der Zweitligist SC Paderborn im 2008 eröffneten Stadion die erfolgreichste Saison seiner noch jungen Geschichte. Unter den bis zu 15 000 Zuschauern genießt SCPMaskottchen „Holli“ einen besonderen Nimbus. Es gewann die 2009 erstmals vom Fußballmagazin „11 Freunde“ ausgeschriebene Deutsche Meisterschaft der Fußballmaskottchen. Name: Benteler Arena (bis Juni 2012 Energieteam Arena) Fahrrad-Parkplätze: 2 000 Adresse: Paderborner Straße 89, 33104 Paderborn Internationale Großereignisse: U-21-Länderspiel Deutschland gegen Weißrussland März 2009 (1:1), U-19-Länderspiel Deutschland gegen Schottland November 2009 (0:0) Eröffnet: 20. Juli 2008 1. Spiel: SC Paderborn 07 gegen Galatasaray Istanbul (1:1), offiziell: SC Paderborn 07 gegen Borussia Dortmund (1:2) Kapazität: 15 000 (5 800 Sitzplätze, 9 200 Stehplätze), 730 VIP-Plätze Parkplätze: 2 842 Spielstätte des SC Paderborn 07 www.scpaderborn07.de/4-Verein/ 28-ARENA.html roger schmidt 61 Zweckbau, Hexenkessel, Exportartikel Wenn der Zweckbau eines Fußballstadions – wie in diesem Fall die jüngst nach dem Paderborner Traditionsunternehmen benannte Benteler Arena Paderborn – in solchen Tönen gelobt wird, drängt sich die Vermutung auf: Dem Trio der Befragten verklärt die Nähe zum „Hausherrn“, dem zuletzt mitreißenden Zweit ligafußball spielenden SC Paderborn 07, den Blick. Falscher Verdacht. Alle drei wissen, wovon sie reden. Denn Josef Ellebracht ist nicht nur Club-Vize des SCP, sondern zufällig auch Architekt der Paderborner Arena. Karl Rocker von den „Pader Patrioten“ ist auch nicht irgendein Supporter, sondern war fünf Jahre lang der „Capo“ auf dem Zaun – der Mann mit dem Megafon, der zumeist stehend für Stimmung auf den Blöcken sorgt. Und Trainer Roger Schmidt kennt neben vielen anderen Fußballstadien auch noch den Vorgänger der Arena, die alte Hermann-Löns-Kampfbahn im Stadtteil Schloss Neuhaus, in der er selbst als Mittelfeldmann mit der 10 auf dem Rücken einst Tore für den SCP schoss. „Wir sind ja kein Traditionsverein, der begeisterungsmäßig aus den Vollen einer legendenreichen Geschichte schöpft“, erklärt er, warum es „schon bemerkenswert ist, wie in unserer neuen Arena die Fankultur explodiert ist“. In der Rekordzeit von elf Monaten aus 1 200 Betonfertigteilen gebaut, ist die Anlage seit 2008 Heimspielstätte des SC Paderborn 07. Der wurde erst 1985 aus der Fusion zweier Clubs gegründet und spielte 2011/12 die erfolgreichste Saison seiner jungen Vita: bis zum letzten Spieltag um Tabellenplatz 3, der zur Relegationsteilnahme um den Aufstieg in Deutschlands Fußball-Oberhaus berechtigt. Im Schnitt mehr als 10 000 Zuschauer „sind schon eine Hausnummer, die unsere Erwartungen sprengte“, so Roger Schmidt im Rückblick. „Dazu diese komplett andere Atmosphäre – mit der erreicht die Stimmung eine völlig neue Drehzahl.“ Damit kennt Schmidt sich aus. Von Haus aus ist er Maschinenbauingenieur und hat in diesem Beruf vor seiner Profitrainerzeit acht Jahre gearbeitet. Und die Stimmung in „seiner“ Arena begeisterte auch schon Nationalspieler wie Jerome Boateng, Marcel Schmelzer und Alexander Baum johann, die hier mit der U-21-Auswahl des DFB 2009 vor 13 000 Zuschauern ein Gastspiel gaben. Tatsächlich sind es das Stadiondach in 23 Metern Höhe und steil ansteigende Tribünen, die in Kombination mit rundum geschlossenen Außenwänden die Benteler Arena bei Heimspielen des SCP zu einem Fußballkessel machen. Das Spielfeldniveau vier Meter unter den vorderen Sitzplatzreihen und die optionale Ausbaustufe auf 20 000 Zuschauer (darum die hohe, zweischalige Trapezdach-Konstruktion) lassen ahnen, dass stimmt, was der Vize-Präsident gesagt hat: „Einzigartig.“ Das Schmuckstück an der Paderborner Straße ist auf gutem Wege, zu einem Exportartikel zu werden. Auf der internationalen Fachtagung der European Stadium & Safety Management Association (ESSMA) in Marseille präsentierten Ellebracht und seine Architektenkollegen unlängst Konzeption und Bau der Benteler Arena. Unter den aufmerksamen Zuhörern waren, wie die Zeitschrift „Stadionwelt“ registrierte, „Vertreter von Arsenal London, dem FC Porto, Shachtar Donetsk und dem FC Grenoble“. Nicht zu vergessen Repräsentanten des Organisationskomitees der UEFA Euro 2016 in Frankreich. Der Auftrag für einen ersten Zwilling der Benteler Arena ist tatsächlich schon geschrieben: für den Stadionneubau im polnischen Gliwice (Gleiwitz). stadion-extra D er Vize-Präsident sagt: „Die Bauweise dieses Stadions ist für deutsche Fußball-Arenen einzigartig.“ Der Fan sagt: „Dieses Dach ermöglicht uns einen fantastischen Support für die Spieler.“ Der Trainer sagt: „Dass wir es schaffen, dieses Stadion regelmäßig vollzuspielen, hat nicht nur mit unserer Mannschaft zu tun, sondern viel mit der Spielstätte selbst.“ bayarena | leverkusen 62 Die beste Idee war die Erfindung „Werkself“ R udi Völler steht für Bayer Leverkusen. Warum eigentlich? Wieso ist gerade dieser Mittelstürmer für den Verein zur Identifikationsfigur geworden? Der doch in Rom und Marseille, in Bremen und Offenbach kickte? Und – zum Schluss seiner Karriere – zwei Jahre in Leverkusen! „Und in München, bei 1860“, ergänzt er, „das vergessen die meisten.“ Genau! Und nun Leverkusen? „Bayer ist meine sportliche Heimat geworden, ganz klar“, lässt der 52-Jährige keine Zweifel aufkommen. Rudi Völler lehnt in einem schwarz gepolsterten Bürostuhl an einem langen schwarzen Besprechungstisch. Schwarzer Teppichboden. Zwei Reihen schwarzer Klappstühle hinter einer gänzlich verglasten Wand gewähren den Blick in ein Fußballstadion, in die BayArena. Rudi Völlers Zuhause. In der Loge eines großen Sponsors hängen Plexiglasvitrinen an der Fototapete, bestückt mit gelben Fußballschuhen, die das Autogramm von Bernd Schneider tragen. Daneben die Handschuhe des aktuellen Torwarts Bernd Leno. In einem anderen dieser durchsichtigen Kästen wird das signierte Trikot von Simon Rolfes aufbewahrt. Ein Ball mit den Unterschriften aller Spieler dieses Fußballclubs gehört natürlich auch in die Devotionaliensammlung des Unternehmens, das seinen Namen auf der Brust von Bayer Leverkusen gegen die Zahlung einiger Millionen Euro platziert hat. Leverkusens Brust ist nicht billig, auch wenn der Verein in der Bundesliga gern als Vizekusen verspottet wird. Dreimal Zweiter in einem Jahr – das war bisher einmalig. Der Rekord wird in der Saison 2011/12 eingestellt – von Bayern München. Im Fußball spottet man gern. Oder – ganz übel – manchmal auch mehr. Diese eine Begegnung mit einem gewissen Herrn Rijkaard in Mailand bleibt mit dem Namen Rudi Völler verbunden, auch wenn dieser sie wohl gern vergessen würde. Sommer 1990, zehn Tage später nur noch Siegestaumel. Die Hand am Weltpokal, Rudi Völler Welt- Fußball-Globetrotter Rudi Völler hat in Leverkusen seine sportliche Heimat gefunden. Die An- meister und Kaiser Beckenbauer schreitet – im dunkelbraunen Sakko – stolz, gerührt und gesenkten Hauptes über den WM-Rasen des Olympiastadions von Rom. Der Rasen in Rom, fünf Jahre hat der Mann, den sie zu seiner aktiven Zeit wegen der blond gelockten Haare „Tante Käthe“ riefen, dort gekickt. Beim AS Rom. Rudi Völler kennt dieses Terrain wie kein anderer deutscher Fußballprofi. 142 Mal trägt er das dunkelrote Trikot mit der gelben Borte am Kragen und schießt 45 Tore für die Roma. Dann zwei Jahre Marseille und der Gewinn der Champions League. Da gibt es keine Steigerung mehr, alles erreicht im Fußball. Außer: zum Abschluss der Karriere noch einmal Bundesliga. Leverkusen, bis 1996, 26 Tore. Dann, nach 20 Jahren Profifußball, will er mit der Familie zurück nach Rom. Doch Rudi Völler bleibt in Leverkusen. Dort kennt er 15 Jahre später den Rasen, jeden Winkel im Stadion. Und er erinnert sich an seinen größten sportlichen Moment auf diesem Platz: „Das war 1996, das letzte Spiel, das Tor zum 1:1 von Markus Münch gegen Kaiserslautern. Damit waren wir gerettet vor dem Abstieg.“ Ein Mann wie Rudi Völler, der 90 Länderspiele bestritt und als Teamchef mit der Nationalmannschaft 2002 Vize-Weltmeister wurde, bezeichnet den Nichtabstieg als größten Erfolg in Leverkusen, seiner neuen Fußball-Heimat? „Wenn wir damals abgestiegen wären, dann wäre es vorbei gewesen mit dem Spitzenfußball in Leverkusen“, ist Rudi Völler sicher. Der Absturz findet nicht statt, es ist anders gekommen. Die Fußballabteilung des Vereins Bayer 04 hat sich stabilisiert, die Teilnahme am internationalen Fußball ist in Leverkusen Anspruch und Pflicht zugleich. Der Traum eines jeden Managers, die Meisterschaft, ist präsent, doch der Sportdirektor Rudi Völler weiß, wo er seit 2005 arbeitet: „Im Normalfall kommt man an Bayern München nicht vorbei, da ist so viel Qualität, so viel Potenzial, das fänge des Profifußballs im uralten Ulrich-Haberland-Stadion (ganz unten) erlebte er nie, doch als Sportdirektor sorgt er seit vielen Jahren dafür, dass eine Spitzenmannschaft in der modernen BayArena internationalen Fußball bietet. Für die Werkself schnürte er zuletzt (unten) die Fußballschuhe. rudi völler ist unvergleichbar in Deutschland.“ Auch wenn Dortmund aktuell zeige, dass man den Weltclub aus dem Süden Deutschlands auch mal hinter sich lassen kann. Punkt. Rudi Völler ist abgeklärt und Realist. 25 Millionen Euro überweist der Namensgeber, der Pharma- und Chemieriese, den Profifußballern im Jahr. Das Gros des Etats wird jedoch durch Sponsoren, Fernsehgelder und Zuschauer beigesteuert. Rudi Völler, der Verantwortliche für die Zusammenstellung des Spielerkaders, muss haushalten. Bayers außergewöhnliches Scouting in Südamerika ist fast schon legendär zu nennen: Zé Roberto, Lucio und Jorginho starteten unter dem Bayer-Kreuz ihre internationale Weltkarriere. Für die aktuelle Saison hat der Chefeinkäufer erneut einen Spieler in Brasilien aufgetrieben – Carlinhos, den er für ein Jahr von Desportivo Brasil São Paulo ausgeliehen hat. Doch es ist schwieriger geworden. „Die Informationsquellen über Talente kann im Internetzeitalter jeder nutzen, da haben wir fast keine Vorteile mehr“, so Völler. Zurück zur Arena, die als erstes Stadion Europas vor vielen Jahren mit einem integrierten Hotel und einem außergewöhnlichen Logen- und VIP-Bereich Maßstäbe setzte. Sogar die verantwortlichen Planer der riesigen Allianz Arena in München ließen sich 2004 in Leverkusen Name: BayArena Adresse: Bismarckstraße 122, 51373 Leverkusen Eröffnet: 2. August 1958 1. Spiel: Spielvereinigung Bayer 04 gegen Fortuna Düsseldorf (0:3) 1. Spiel nach dem letztem Umbau 2009: 15. August 2009, Bayer 04 Leverkusen gegen 1899 Hoffenheim (1:0) inspirieren. Vor drei Jahren vergrößerte Bayer sein kleines Schmuckkästchen durch einen Oberrang auf eine Kapazität von 30 000 Zuschauern. Die gesamte Arena wurde mit einem kühnen Flachdach überspannt, dessen Material der eigene Konzern entwickelt hat. „Das ist genau die Größe, die wir hier brauchen, wir sind meistens ausverkauft und haben eine tolle Stimmung und Fankultur“, sagt Rudi Völler, der in seinem Fußballer-Leben in den größten Stadien der Welt seine Tore erzielte. Aber er mag diese Wohnzimmer-Atmosphäre, das Familiäre. Und auch das Professionelle des Clubs, der mit der Erweiterung seines Stadions fantastische Möglichkeiten im Business-Bereich und den Spielern großartige Einrichtungen im medizinischen und Physio-Bereich geschaffen hat. Noch was? Klar. Rudi Völler erinnert sich kurz an früher: „Manche Spieler sind doch mit dem Bayer-Emblem auf der Jacke verschämt durch den Düsseldorfer Flughafen gelaufen und hätten das Logo am liebsten abgedeckt.“ Heute sei das anders. „Die beste Idee unserer Marketingleute war die Idee Werkself, das ist unser Markenzeichen geworden.“ Der Schriftzug ist seit einigen Jahren hinten am Halsausschnitt der Trikots eingestickt. „Jetzt sind die Spieler stolz darauf, im Team der Werkself zu spielen.“ Und man hat das Gefühl, der Weltfußballer Rudi Völler ist es auch. Kapazität: 30 210 national (21 000 Sitzplätze, 9 210 Stehplätze), 22 500 international Parkplätze: 800 bis 1 000 am Stadion Internationale Großereignisse: Ligapokalendspiele 1997 bis 2000, Finale der Fußball-WM der Menschen mit Behinderung 2006, FIFA FrauenWM 2011 (3 Vorrundenspiele und 1 Viertelfinale) Spielstätte von Bayer 04 Leverkusen www.bayarena.de stadion-extra 63 tivoli | aachen stadion-extra 64 Tivoli bleibt Tivoli D er Mann, den sie früher „das Kampfschwein“ nannten, setzt sein schönstes Lächeln auf. Willi Landgraf wirkt tiefenentspannt und gleichzeitig voller Energie. Ja, so einem traut man zu, dass er nicht lockerlässt, wenn es um den Ball geht. Bis in die Saison 2012 hält der 44-jährige Landgraf den Rekord für die meisten Spiele in der 2. Bundesliga: Ganze 508 Mal stand er als Abwehrspieler auf dem Platz. Den wichtigsten Teil seiner Karriere verbrachte der gebürtige Bottroper bei Alemannia Aachen. Ist Aachen eigentlich eine Fußballstadt? „Das wissen vielleicht nicht viele, aber Fußball ist in Aachen ebenso eine Religion wie auf Schalke oder in Dortmund“, sagt Landgraf. Für viele „Öcher“, wie die Aachener sich selbst nennen, ist der Gang zur Alemannia eine Pflichtveranstaltung – und der Tivoli war fast ein heiliges Symbol. „Das war ein tolles Stadion“, schwärmt Landgraf. „Nicht, weil es so komfortabel gewesen wäre. Im Ge- genteil. Als wir einmal im Pokal die Bayern zu Gast hatten, haben die sich geweigert, nach dem Spiel in unserem Stadion zu duschen, und sind lieber ins Hotel gefahren“, lacht er. „Aber es hatte eine unvergleichliche Atmosphäre.“ Steil, eng und unheimlich laut. So manche gegnerische Mannschaft wäre wohl am liebsten noch im Spielertunnel umgedreht angesichts der stets ausverkauften schwarz-gelben Wand vis-à-vis. Hier liebten sie Landgraf und er tat sein Bestes für Fans und Mannschaft. Sein Abschiedsspiel, das er im Oktober 2006 gemeinsam mit Stürmerkollege Erik Meijer gab und das damit endete, dass die beiden Väter der Sportler ihre Söhne vom Spielfeld riefen, darf wohl als einer der emotionalsten Momente der Aachener Sportgeschichte gelten. Der alte Tivoli überlebte den Abschied von Landgraf nicht lange, das Stadion war zu sehr in die Jahre ge- willi landgraf 65 Name: Tivoli Adresse: Krefelder Str. 187, 52070 Aachen Tradition trifft Emotion: Die Wurzeln des Aachener Tivoli reichen weit zurück, eine historische Postkarte (links unten) zeigt ihn um das Jahr 1925. Seitdem lieben die „Öcher“ ihr Stadion und ihre Spieler. Besonders, wenn sie gewinnen: Etwa als die Alemannia am 18. März 2004 ins DFBPokalfinale und damit in den Europa-Cup einzieht. Erik Meijer und Willi Landgraf (Mitte) können ihr Glück kaum fassen. Eröffnet: 12. August 2009 1. Spiel: 12. August 2009, Alemannia Aachen gegen Lierse SK (2:2) Kapazität: 32 960 (11 681 Stehplätze, 19 345 Sitzplätze), international 27 250 Logen: 28 à 12 Plätze Business-Seats: 1 348 Kioske: 16 (davon 6 nur für Getränke) Parkplätze: 1 200 Internationale Großereignisse: Fußball-Länderspiel Deutschland – Malta am 13. Mai 2010 Spielstätte von Alemannia Aachen www.alemannia-aachen.de/tivoli/ kommen. Zum letzten Mal wurde hier im Mai 2009 gespielt. Doch die Öcher kämpften dafür, dass ihr in direkter Nachbarschaft gebautes neues Stadion dem alten nicht nur äußerlich ähnlich sieht. Es darf sogar weiterhin „Tivoli“ heißen. Dafür bezahlten die Fans bereitwillig den Tivoli-Groschen, einen Ticket-Aufschlag, für den der Verein im Gegenzug auf den Verkauf der Namensrechte an einen Sponsor verzichtete. Wohl einmalig im deutschen Sportstättenbau: Fans und Fangruppen arbeiteten in der Planungsphase für den Bau Positionspapiere aus und machten Vorschläge, die von den beauftragten Architekten auch weitgehend berücksichtigt wurden. Das beginnt bei einer für moderne Stadien ungewöhnlich hohen Stehplatzquote – mehr als ein Drittel der fast 33 000 Besucherplätze. Über 10 000 davon bilden den „Wall“, die neue Heimat der schwarz-gelben Fans. Die steilen Tribünen rücken so nah wie nach geltenden UEFA-Regularien möglich an den Spielfeldrand. Die erste Zuschauerreihe liegt nur 80 Zentimeter über Spielfeldniveau, der Abstand zur Auslinie beträgt an den Seiten 6 Meter und hinter den Toren 7,5 Meter. So ist der „12. Mann“ ganz dicht dran an den Spielern. Und auch das Dach wurde zur Förderung der Atmosphäre optimiert – damit es möglichst laut wird. So legt sich das markante gelbe Metalldach nicht wie üblich oben auf die Tragkonstruktion, sondern hängt stattdessen darunter. Die Akustik bei vollen Rängen ist damit heute genau wie früher: unvergleichlich. Willi Landgraf, der nun bei Schalke 04 als Jugendtrainer den Nachwuchs das Kicken lehrt, nimmt diese Atmosphäre gefangen. Deshalb besucht er nach wie vor gern den Tivoli. Und ist dort gern gesehen. SCHWIMMOPER | WUPPERTAL 66 Simone Osygus 67 Vom Gefühl her eine Kathedrale SCHWIMMOPER WUPPERTAL. Olympiaschwimmerin Simone Osygus zog schon mit fünf Jahren ihre ersten Bahnen in dem wundervollen Sportbecken. W as fällt uns zu Wuppertal ein? Die Schwebebahn? Das Tanztheater Pina Bausch? Der Philosoph und Politiker Friedrich Engels – der wohlbekannte Sohn der Stadt? Alles richtig. Aber es gibt noch etwas, was die 350 000 Einwohner zählende Metropole im Bergischen Land zu etwas Besonderem macht: die frisch modernisierte Schwimmoper. Ein Bad mit einem solchen Namen macht neugierig. Außerdem verleitet es Ortsfremde zu Spekulationen. Ist es möglich, dass in der Schwimmoper Badende zu den Klängen von Puccini, Mozart oder Wagner ihre Bahnen ziehen? Oder verdankt die Sportstätte ihre ungewöhnliche Bezeichnung dem wilhelminischen Prachtbau nebenan? Die pompöse Stadthalle dient als Veranstaltungsort für klassische Konzerte, ist also ein ausgewiesener Ort der Hochkultur. Vielleicht muss man das Prädikat „Schwimmoper“ schlicht und ergreifend als Reminiszenz auf die noble Nachbarschaft verstehen, respektive als ironische Antwort darauf. Eine andere Erklärung könnte sein, dass Besucher der Stadt überwältigt sind von der Schönheit der Halle: avantgardistisch, kühn, transparent und leicht, trotz ihrer offensichtlichen Größe. In den riesigen Glasfronten spiegelt sich die Stadt. Die außen angebrachten schlanken Tütenlampen erfreuen jeden Menschen mit Sinn fürs Detail, während das elegant geschwungene Dach die Sportstätte zu einem unübersehbaren Augenschmaus macht. Andernorts mag man schöne Opernhäuser bauen. In Wuppertal adelt grandiose Schwimmbad-Architektur das Stadtbild. Friedrich Hetzelt heißt der Baukünstler, dem dieser Geniestreich Mitte der 50er Jahre gelang. Er entwarf ein Hallenbad, das sich mit 25-Meter-Kurzbahnen, einem Wasserballfeld nach internationalem Standard und Tribünen für 2 000 Zuschauer schnell zu einem Zentrum des Schwimmsports entwickelte. Damals – in den 50ern – nutzten es die Bürger in den wettkampflosen und trainingsfreien Zeiten nicht nur der körperlichen Ertüchtigung willen, sondern auch zur Körperpflege. Damals gab es bei Weitem nicht in jeder Wohnung den Luxus einer Nasszelle, weshalb für viele Wuppertaler die Möglichkeit, ein Wannenbad in der Schwimmoper zu nehmen, einer Stippvisite im Paradies gleichkam. In Wuppertal adelt grandiose Schwimmbad-Architektur die Stadt. Im sogenannten Bewegungsbecken des Bades lernte 1973 die damals 5-jährige Simone Osygus das Schwimmen. Mittlerweile ist das frühe Talent Organisationschefin des Schwimmvereins Bayer e. V. und betritt gerade die Eingangshalle. Semmelblonder Kurzhaarschnitt, sympathisches, ungeschminktes Gesicht, Jeans und flache Schuhe. Simone Osygus fügt bei einem Latte macchiato in der Cafeteria dem Rätsel um den Namen Schwimmoper prompt ein weiteres hinzu. Beim Gespräch über die Anfänge ihrer sportlichen Karriere sagt sie: „In der Brust hatte ich eine Schere.“ Wie bitte? Den erschreckten Blick ihres Gegenübers quittiert Osygus mit einem Lachen. Eine Schere in der Brust, erklärt sie, bedeute im Fachjargon des Schwimmsports, dass der Beinschlag beim Brustschwimmen nicht synchron erfolgt. Die anfängliche Macke haben ihr die Trainer in der Schwimmoper gründlich ausgetrieben. Die Wuppertalerin Osygus ist mehrfache Sprintweltmeisterin, mehrfache Europameisterin und zweifache Weltcup-Siegerin. Bei Olympischen Spielen gewann sie zweimal Bronze. SCHWIMMOPER | WUPPERTAL 68 Der richtige Ort, um die Kunst des Schwimmens zu zelebrieren: der lichtdurchflutete Innenraum mit wettkampftauglichem Sportbecken. Charme der 50er: die Zeit grandioser, ausdrucksstarker Architektur und Autobaukunst. Stadtbad Schwimmoper Adresse: Südstraße 29, 42109 Wuppertal Baujahr: 1953 – 1956 Architekt: Hochbauamt Wuppertal, Friedrich Hetzelt Nach Passieren der Umkleidekabinen – Simone Osygus schlüpft in weiße Badelatschen, der Gast bekommt dunkelblaue Schuhüberzieher – nähern wir uns dem Allerheiligsten, dem riesigen, lichtdurchfluteten Innenraum mit dem Sportbecken. Meist ältere Damen und Herren – es ist noch früh und es sind Schulferien – durchschneiden darin lautlos und geschmeidig das Wasser. Kein Lärm (auch keine Musik!), keine quietschgelben Rutschen, kein langes Palaver am Beckenrand. Die Schwimmoper gleicht vielmehr einer Kathedrale, in der Menschen einen Raum finden, das Schwimmen zu zelebrieren. „Auch die Athleten lieben dieses Bad“, schwärmt Osygus von dem Flair der Wettkampfstätte, dem nur wenige Meter entfernten Hotel und der großzügigen Entscheidung, den Aktiven bei Wettkämpfen die Hälfte der Tribünenplätze zu überlassen. So können die Sportler die Wettkämpfe verfolgen, wenn sie selbst gerade nicht an der Reihe sind. In anderen Hallen dagegen hockten die Schwimmer in der Umkleidekabine und kriegten von der Atmosphäre nichts mit, erklärt sie. Warten auf Michael Borbecker. Der Hausherr ist mal wieder unterwegs in seinem Reich. Wen man auch anspricht auf den Chef, man erntet spöttisches Grinsen: „Den Herrn Borbecker wollen Sie sprechen? Na, dann viel Erfolg auch.“ Die Technik und die Verwaltung im Keller, die Treppenhäuser, die verschiedenen Becken auf mehreren Ebenen, der Sauna- und Fitnessbereich, die Duschen und Umkleiden! In den unzähligen Räumen, Nischen, Ecken und Winkeln der Schwimmoper kann man sich mühelos verlaufen. Das schafft der Boss natürlich nicht, aber er irrlichtert tagaus, tagein treppauf, treppab, weil es immer so viel zu erledigen gibt. Ein schönes Bad gleicht einer Diva. Immer muss man sich kümmern. Endlich kommt der Boss, hockt sich auf die Tribüne und erzählt: von schrulligen Stammgästen, die irritiert reagieren, wenn ein anderer „ihre“ Kabine belegt, von der 65 Meter weit gespannten Dachkonstruktion, die in der Mitte nur 4,8 Zentimeter dünn ist, von der aufregenden Zeit der großen Renovierung. Der Einbau elektronischer Anschlagmatten in den 70ern hatte die Bahnlängen unzulässig verkürzt und eine Nutzung für Wettkämpfe unmöglich gemacht. Baudenkmal: Seit September 1995 Renovierung: 2007 – 2010 Architekten: pbr Planungsbüro Rohling AG, Osnabrück Kapazität: Tribüne für 1 550 Zuschauer Besonderheiten: Das Dach besteht aus einer einseitig gekrümmten Betonschale, deren Zugkräfte über je zehn Betonbinder abgespannt werden. Die Abspannungen führen unter dem Schwimmbecken entlang und erzeugen so ein statisches Gleichgewicht. Die Ausrichtung des Schwimmbeckens wurde im Zuge der Modernisierung um 90 Grad gedreht. Veranstaltungen: Austragungsort der Deutschen Kurzbahnmeisterschaften im Schwimmen 2010 und 2011 http://schwimmverband. wtal.de/schwimmbaeder/ schwimmoper.html Simone Osygus 69 Wuppertal leuchtet: Das architektonische Juwel der Stadt bei Nacht strahlt so schön wie eine Kathedrale. Mit der Zeit waren die Fenster blind geworden und die Stahlseile, die den Zehnmeterturm festhielten, rosteten bedrohlich. Mannigfaltige Bauschäden machten Ärger, Asbestprobleme sowieso. Das Bad war reif für einen Großeinsatz der Handwerker. Ein schönes Bad gleicht einer Diva. Immer muss man sich kümmern. Im Jahr 2007 sperrte Borbecker zu, damit drei lange Jahre entkernt, repariert und modernisiert werden konnte. Die beengte Eingangshalle? Abgebrochen. Die Fassade? Nach heutigen Anforderungen saniert. Die blinden Fenster? Erneuert. Die Wannenbäder und der marode Sprungturm flogen raus, dafür zogen eine großzügige Saunalandschaft, Fitnessbereich und Gastronomie ein. Das zentrale Sportbecken bekam seine Wettkampftauglichkeit zurück und konnte um 90 Grad parallel zum Tribünenbereich gedreht werden. Eigentlich wurde alles neu gemacht. Fast alles, denn der Denkmalschutz wachte mit der gebotenen Strenge darüber, dass der Charme der Schwimmoper bei der Renovierung nicht unterging. Pastellfarbene, filigrane Geländer, weitgehend erhaltene Originalmosaikfliesen und alte, mittlerweile funktionslose Rippenheizungen im Treppenhaus dürften die Herzen von Location-Scouts schneller schlagen lassen. Filme, die in den 50er Jahren spielen, kann ein Regisseur nirgendwo authentischer drehen als hier. Michael Borbecker verabschiedet sich, um seine Streifzüge durch die Schwimmoper fortzusetzen, während Simone Osygus am Beckenrand grinsend auf eine Schwimmerin mit Schere in der Brust deutet, bevor auch sie freundlich grüßend davoneilt. Bleibt das Rätsel vom Beginn. Warum heißt das Wuppertaler Stadtbad Schwimmoper? Nach dem Krieg hatte die Stadt die Qual der Wahl: entweder Wiedererrichtung der zerstörten Oper oder Bau eines Schwimmbads. Die Wuppertaler entschieden sich für die Sporthalle und bekamen sie: schön wie eine Oper. Sportschule hennef 70 Fritz, Wolfgang, Stefan SPORTSCHULE HENNEF. Die schöne Fußballschule in grüner Idylle, ein Ort für Kicker wie Weltmeister Wolfgang Overath. A uf den „Alten“ ist eben immer Verlass: Jeden Gast der Sportschule Hennef grüßt im Foyer auch heute noch Sepp Herberger – lächelnd von der Leinwand in Schwarzweiß. Wer weiß, ob ohne die Sportschule in der Idylle zwischen Bergischem Land und Westerwald das Wunder von Bern je möglich gewesen wäre. Hier hat Herberger 1954 die Jungs um Fritz Walter auf das entscheidende Qualifikationsspiel vorbereitet. Und war zu seiner Zeit ein gern gesehener Dauergast. Das ist Wolfgang Overath noch heute. Gut aufgelegt lehnt der Weltmeister von 1974 am Empfangstresen, der eher an eine moderne Hotellobby als an eine Sportschule erinnert. Mit Freunden ist er in der Halle zum Fußballspielen verabredet. Wie jede Woche seit über 30 Jahren. Die Schule kennt er, seit er ein kleiner Junge war. Jede Woche fuhr er aus dem benachbarten Siegburg mit dem Fahrrad oder Bus den steilen Berg hinauf, um hier zu trainieren. Zunächst mit der Jugendauswahlmannschaft, später als Profi mit dem 1. FC Köln. Was Sportschulen-Leiter Andreas Eichwede seither aus der Einrichtung „gemacht hat, ist schon toll. Als Bundesligatrainer würde ich nur hierhin gehen. Hier hat man seine Ruhe und Zeit zum Abschalten.“ Dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hier Quartier bezogen hat, ist allerdings schon länger her. Dabei war „Hennef“ noch für die Bundestrainer Franz Beckenbauer und später Berti Vogts bis Mitte der 90er Jahre erste Anlaufadresse, wenn es in die Vorbereitung zu wichtigen Spielen oder gar ganzen Turnieren ging. Künftige Bundesligatrainer – wie möglicherweise Stefan Effenberg, Christian Wörns oder Mehmet Scholl – kennen sich jedenfalls schon bestens aus auf dem grünen Hügel. Die Ex-Nationalspieler zählten 2011 zum Abschlussjahrgang der Hennes-Weis- weiler-Akademie, an der alle Chefs der Seitenlinie ihre Lizenz zum Coachen erwerben müssen, und damit zum ersten Jahrgang, nachdem die Akademie von Köln ins Bergische übergesiedelt war. „Aus gutem Grund“, wie Andreas Eichwede – von Haus aus Sportwissenschaftler – erklärt. „Solche optimalen Trainingsbedingungen gleich vor der Tür kann kein Hotel bieten.“ Für 6,8 Millionen Euro wurde die Sportschule zur WM 2006 umfangreich saniert. „20 Doppelzimmer der 240-Betten-Anlage verströmen 4-Sterne-Niveau“, berichtet Eichwede. Mit Klimaanlage, Flatscreen, WLAN, Minibar und Balkon. Komfort, von dem Wolfgang Overath seinerzeit nur träumen konnte. „Unsere Zimmer waren unterm Dach und feucht. Wir schliefen mit vier bis sechs Mann in einem Raum“, erinnert er sich. Aber der Koch Hansi Weckauff sei legendär gewesen, bei dem habe es immer extra dicke Schnitzel und Spielermotivation gratis dazu gegeben. Am Rande des Platzes führt eine geschwungene Holzbrücke in den Wald zum Seilgarten. Hier dreht sich zwar vieles um Fußball, aber auch nicht alles. Zahlreiche Tagungs- und Seminargäste aus ganz anderen Sportfeldern begegnen sich bei ihren Meetings in der ehrwürdigen Fußballschule. Ob nun ein Trainerlehrgang auf Einladung des Auswärtigen Amtes und des DFB für Wissbegierige aus Butan, Nepal und Brasilien oder ein internationales Trainingscamp für Faustkämpfer – sie alle finden ideale Bedingungen vor. Auch deshalb haben in der Nachbarschaft zu den Hennefer Fußballfeldern Boxer, Ringer, Judoka und Gewichtheber ihre Bundes- und Landesleistungszentren angesiedelt. Doch die Zeit drängt, Wolfgang Overath muss langsam weiter. Zu seinem Sporttermin mit den Freunden. „Aber“, lacht er, „ich komme ja garantiert nächste Woche schon wieder.“ sportschule hennef Adresse: Sövener Straße 60, 53773 Hennef Träger: Fußball-Verband Mittelrhein e. V. Status: Bundes- und Landesleistungszentrum für Boxen, Ringen und Judo, Landesleistungszentrum für Gewichtheben Baujahr: 1950 Gesamtfläche: 60 ha Kapazität: 232 Betten Gäste pro Jahr: Ca. 45 000 Mitarbeiter: 47 Sportstätten: 3 Naturrasenplätze, 3 Kunstrasenplätze, 1 Kunstrasenhalle, Freibad (50 m), Hallenbad (25 m), Seilgarten, Beach-Sportanlage, Hallenkomplex (Dreifach- und Einfachhalle, Kraftraum, Wellnessbereich, Spezialhallen für Boxen, Ringen, Judo, Gewichtheben) Tagungsräume: 10 Tagungsräume (bis 50 Personen), Aula (bis 250), Dreifachhalle (bis 400) Besonderheiten: 1957 erhielt die Sportschule Europas ersten Kunstrasen. Seit Juni 2011 Sitz der Hennes-Weisweiler-Akademie, der zentralen Ausbildungsstätte des DFB zum Erwerb der Lizenz als Fußballlehrer www.sportschule-hennef. de wolfgang overath 71 Rochusclub | düsseldorf 72 eric jelen 73 Wie auf Manns Zauberberg ROCHUSCLUB DÜSSELDORF. An wenigen Orten kann die Welt so gepflegt Tennis spielen wie im Grafenberger Wald – Eric Jelen ist hier zu Hause. F alls es jemand nicht weiß: „Rochus“ ist nicht nur ein Synonym für die Wörter „Wut“ oder „Ärger“. „Rochus“ kann auch ein männlicher Vorname sein. In Düsseldorf, so wird manchmal behauptet, habe man einen Rochus auf die Nachbarstadt Köln. Eine alberne Unterstellung selbstverständlich, aber eine Kirche und ein Platz, die so heißen, existieren wirklich. Außerdem gibt es in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt noch den berühmten Rochusclub. Er verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er vor mehr als hundert Jahren unweit des gleichnamigen Gotteshauses lag. Seit 1929 liegt der Club am Rande des Grafenberger Waldes, einer ohne Übertreibung zauberhaften Gegend. Im deutschen Tennissport zählt der Verein zu den ersten Adressen. Der steile Weg, der hinaufführt zum Ziel, der Hausnummer 15, ist für jene Autofahrer, die sich beim Anfahren am Berg gleich sportlich herausgefordert fühlen, allerdings erst mal ein Albtraum. Versierte, aber ortsfremde Lenker, die gelassen ihrer Neugierde frönen können, wundern sich dagegen: Schmucke Mehrfamilienhäuser links, herrliche Villen rechts – inmitten dieser Wohnidylle soll ein Tennisclub liegen, der jedes Jahr im Mai einen internationalen Wettbewerb veranstaltet? Zwischen 40 000 und 75 000 Zuschauer sowie die Fernsehübertragungswagen sorgen eine Woche lang für Rushhour. Die Nachbarn dürften einen ganz schönen Rochus haben. Durchaus vorstellbar, dass sie besänftigt werden – etwa mit Tickets für die Tennis-Mannschafts-WM. Keine Turnierzeit. Heute regiert die Ruhe am Rolander Weg. An diesem sonnigen, aber eiskalten Tag erinnert die Anlage an eine friedliche Oase. Tipptopp gepflegtes Grün, ein herrliches Clubhaus im maurischen Stil, energisches Vogelgezwitscher, das die Stille eher noch verstärkt. Wir treffen den früheren Tennisprofi und zweifachen Davis-Cup-Gewinner Eric Jelen. Fünf Turniere hat der Mann hier gespielt. 1989 gehörte er mit Boris Becker, Carl-Uwe Steeb und Patrick Kühnen zur ersten deutschen Siegermannschaft. Seit vielen Jahren ist Eric Jelen Mitglied im Club. „Ich fühle mich hier immer wie im Urlaub“, sagt Eric Jelen. Gemeinsames Schlendern über die Anlage, von der Jelen behauptet, sie gehöre zu den schönsten Deutschlands, wenn nicht gar der ganzen Welt: gewaltige Bäume, breite Promenaden, zwölf Ascheplätze plus ein in die Tiefe gesenkter Centre-Court – M-Platz (Meisterschaftsplatz) genannt –, der bis zu 3 500 Zuschauern eine Bühne für großes Tennis bietet. Außerdem: im Westen eine Halle mit drei Plätzen für den Sport im Winter, im Süden ein Badehaus samt großzügigem Swimmingpool für eine Abkühlung im Sommer. Ein Ballhaus, eine Werkstatt, ein Lager, ein kleiner Spielplatz, eine Tenniswand, ein Basketballfeld. Alles scheint wie frisch gewaschen und gestärkt. Kein Papierchen fliegt herum, keine Schubkarre steht im Weg, kein Grashalm wagt, aus der Reihe zu tanzen. Die Welt, im Rochusclub ist sie noch in allerschönster Ordnung. „Ich fühle mich hier immer wie im Urlaub“, sagt Eric Jelen und steuert auf das auf einer kleinen Anhöhe gelegene Clubhaus zu, von dem aus die Gäste einen fantastischen Überblick haben. Rein topografisch gesehen – gut 150 Meter über dem Rhein. Rochusclub | düsseldorf 74 Mittelpunkt geselligen Sportlebens: das Clubhaus im maurischen Stil am Rolander Weg in Düsseldorf. Auf der überdachten Veranda sitzen ein paar Damen in dunkelblaue Decken gehüllt und plaudern. Gedämpftes Gelächter weht herüber. Zugegeben: Davos in der Schweiz liegt zehnmal so hoch. Aber ob Thomas Mann seinen Zauberberg noch in den Alpen hätte spielen lassen, wenn er seine Frau zur Erholung hierher geschickt hätte? Eine gediegene Atmosphäre, viel Natur und außergewöhnliche Persönlichkeiten jedenfalls hätte ihm auch der Rochusclub bieten können. Idyllische Bühne für Ausnahmetennis: Auf dem Centre-Court spielen zu dürfen, gilt als Ehre, nicht nur zu Turnierzeiten. Charmante Gräfinnen, vermögende Industrielle, kernige Wirtschaftsmanager, Ärzte, Rechtsanwälte, Lebenskünstler – die Chronik des Clubs liest sich wie ein Düsseldorfer „Who’s who“. Gegründet wurde der Verein 1898 zum Zwecke des Tennisspiels, aber von Anfang an waren sportliche Ambitionen das eine, illustre Geselligkeit das andere. Manche kamen in den Club, um ein paar Bälle zu schlagen, viele, um ernsthaft zu trainieren, eher selten aber zog es jemand nach dem Spiel direkt nach Hause. Man speiste gemeinsam, spielte Bridge, feierte vom Vergnügungsausschuss organisierte kleine und große Feste und amüsierte sich nicht zu knapp. Ausdrücklich untersagt waren den Aktiven allerdings das Rauchen während des Spiels, hohe Absätze auf dem Platz sowie ein unangemessener Sportdress. Tempi passati? Keineswegs. Noch immer etwa, so berichtet Eric Jelen, lege man im Rochusclub großen Wert darauf, dass die Tennisspieler nicht durch exaltierte Kostümierungen irritieren. Allein die Ten- eric jelen 75 Seit 1929 liegt der Club am Rande des Grafenberger Waldes, einer ohne Übertreibung zauberhaften Gegend. Traditionsverein mit gehobenen Ansprüchen: Der Rochusclub ist seit Jahrzehnten Ausrichter internationaler Turniere. nisprofis bei Turnieren dürfen zweifelhaften Entwicklungen nachlaufen und papageienbunt auf dem Platz stehen. Die jugendlichen Mitglieder aber, die gerade am Clubhaus vorbei zum Training in die Halle schlendern, sind unter den dunkelblauen Blousons angezogen, wie es sich gehört: strahlend weiß. Seit geraumer Zeit allerdings grassiert unter einem Teil der Mitglieder die beklagenswerte Mode, sich am Clubleben weniger intensiv zu beteiligen, als die Verantwortlichen sich das wünschen. Der Verein nimmt’s sportlich und kontert mit „familiengerechten Angeboten“, zu denen Yoga, Stretching und Boule gehören. Das gediegene Clubrestaurant hat sowieso immer geöffnet. Und die Kids? Werden mit Pool-Partys und Schnitzeljagden bei Laune gehalten, sind zu Karnevals- und Halloween-Feiern geladen und können überdies jederzeit auch Tischtennis oder Fußball spielen. Der Nachwuchs darf selbstverständlich auch mal ungestört abhängen – er hat im Clubhaus eine eigene Chill-out-Area, Jugendraum genannt. Nicht nur der Form halber sei darauf hingewiesen, dass man im Rochusclub auch fantastisches Tennis spielt. Die erste Herrenmannschaft etwa, betreut vom ehemaligen Davis-Cup-Trainer Detlev Irmler, schlägt seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen in der 1. Bundesliga auf. Die Damen sind in der zweithöchsten Spielklasse vertreten. Die große Turnier tradition des Rochusclubs garantiert zudem immer wieder Wettkämpfe der absoluten Spitzenklasse. Ivan Lendl, Jimmy Conners, Björn Borg, Stefan Ed- berg, John McEnroe und natürlich Boris Becker – alles Tennislegenden, die sich einen Auftritt im Rochusclub nicht haben entgehen lassen. Vollendete Manieren zeigt unser Clubexperte Eric Jelen. Damen lässt er den Vortritt, an geschlossenen Türen klopft er höflich, Fragen werden geduldig und freundlich beantwortet. Der einstige Serveand-Volley-Spezialist, dem sein außergewöhnliches Ballgefühl den Beinamen „Mann mit dem goldenen Arm“ einbrachte, arbeitet heute als Verbandstrainer im TVN Leistungszentrum in Essen. Bei den WTC-Turnieren im Rochusclub hilft er bei der Organisation. „Ich helfe mehr als gern“, sagt Jelen, „dem Tennis habe ich viel zu verdanken. Es ist ein großartiger Sport.“ rochusclub düsseldorf Adresse: Rolander Weg 15, 40629 Düsseldorf Gründungsjahr: 1898 Umzug an den Grafenberger Wald: 1929 Zerstörung der Anlage: 1943/44 Wiederherstellung: 1948 Mitglieder: 1 423 Kapazität: Centre-Court 3 800 Plätze, Court I 700 Plätze, Court II 1 000 Plätze Veranstaltungen: Davis Cup Deutschland gegen UdSSR 1964 (4:1), seit 1978 Gastgeber der offiziellen ATP-MannschaftsWeltmeisterschaften im Tennis Nach einer Pause von 34 Jahren wurde 2006 wieder ein Davis-CupSpiel – Deutschland gegen Thailand – im Rochusclub ausgetragen. www.rochusclub.de Deutsches Tischtennis-zentrum | Düsseldorf 76 jörg roSSkopf 77 Timo Boll gibt’s gratis DEUTSCHES TISCHTENNIS-ZENTRUM. Bundestrainer Jörg Roßkopf führt durch die Kaderschmiede mit angeschlossenem Hotel „Klick-Klack“. G eheimtipp: Düsseldorf. Messe. Kein Hotel. Was tun? Im Deutschen Tischtennis-Zentrum (DTTZ) an der Ernst-Poensgen-Allee 58 übernachten. Nicht auf einer Platte, versteht sich, sondern komfortabel in einem der 31 Doppelzimmer mit Bad, Fernseher und Internetanschluss. Die Rezeption ist Tag und Nacht besetzt. Eine Kantine gibt’s auch. Schön wär’s. Die vornehme Herberge öffnet nicht für jedermann die Türen. Einen Tischtennisschläger muss man schon halten können, und zwar sehr gut. Denn das Sporthotel wird vorwiegend als Internat für den Nachwuchs genutzt. Deutsches tischtennis-zentrum düsseldorf Adresse: Ernst-Poensgen-Allee 58, 40629 Düsseldorf Eröffnet: 20. Oktober 2006 Ausstattung: 2 Hallen mit rotem, linienfreiem Spezialboden, Physio- und Fitnessraum, Sauna Nutzung: DTTB-Internatsgruppe, Bundesstützpunkt Damen, Bundesstützpunkt Herren, WTTV-Teilzeitinternat, WTTV-Landesleistungszentrum, DTTB-Lehrgänge, DTTB-Trainingsmaßnahmen, internationale und nationale Trainingspartner Besonderheit: Internat mit 16 Vollzeitund 25 Teilzeitplätzen (7 Doppel-, 4 Einzelapartments, dazu Gruppen- und Ruheräume sowie Büros) www.tischtennis.de/dttz/ Mit ein bisschen Glück läuft einem sogar Timo Boll direkt in die Arme. Uns schüttelt der erfolgreichste deutsche Tischtennisspieler aller Zeiten die Hand, bevor er entschwindet. Boll will für irgendein Turnier am Wochenende trainieren und in ein paar Wochen beginnen die Olympischen Spiele in London, da muss er jetzt Gas geben, ist ja klar. Jörg Roßkopf hat im Moment auch wenig Zeit. Der Bundestrainer jagt von Termin zu Termin und nutzt einen kleinen Slot, um sich fotografieren zu lassen. Zum Glück, denn keiner verkörpert den Sport besser als „Mister Tischtennis“ persönlich. In seiner 24 Jahre währenden aktiven Karriere hat er viel gewonnen, aber am 8. April 1989 hat Roßkopf zusammen mit Steffen Fetzner Tischtennisgeschichte geschrieben. Die beiden gewannen vor 15 000 frenetisch jubelnden Zuschauern in einem packenden Finale überraschend die Weltmeisterschaft im Doppel. Zwei Tage später meldeten landauf, landab Mütter ihre Kinder im Tischtennisverein an. Goldene Zeiten. Tischtennis hat es nach einem kurzen Boom mittlerweile wieder etwas schwerer im Land. Zwar steht nach wie vor in jeder dritten Garage eine Platte, Schläger und Pingpongbälle finden sich fast in jedem Haushalt, aber zum TV-präsenten Massensport wie Fußball, Boxen oder Formel 1 hat sich Tisch- tennis, anders als in anderen Ländern, bei uns noch nicht entwickelt. Unaufgeregt. Professionell. Verlässlich. Die Bedingungen im DTTZ in Düsseldorf sind für die Athleten ideal. Im Umkreis wohnt der komplette Kader des Deutschen Tischtennisbundes, anspruchsvolle Trainingspartner sind immer verfügbar. Jo Pörsch, in Personalunion Betriebsführer des Bundesstützpunktes sowie Geschäftsführer des vor Ort beheimateten Bundesligisten Borussia Düsseldorf, lädt zum Rundgang. Bei harten Topspins 180 Stundenkilometer schnell – in den zwei großen Trainings- und Wettkampfhallen wechseln die Zelluloid-Bälle in atemberaubender Geschwindigkeit die Tischseiten. Sich diesem Tempo über ein ausgesprochenes „Klick-Klack“ auch nur phonetisch anzunähern, dauert schon länger, als den Spielern an Reaktionszeit bleibt. „Mitunter nur 0,3 Sekunden“, erklärt Pörsch, beobachtet zwei Spieler, die bei jedem Schlag stöhnen, als gäben sie ihr Letztes, und schließt zufrieden lächelnd behutsam die Tür. Weiter geht’s: Sauna, Physiotherapieund Fitnessraum, Ruhezone. Für professionelle ärztliche und physiotherapeutische Betreuung steht Fachpersonal bereit. Vorbei an Cafeteria und Seminarräumen hoch zum Internat, wo Nachwuchstalente aus der ganzen Republik trainieren, lernen und leben. Bis zu 16 Kinder und Jugendliche können in den sechs Doppel- und vier Einzelapartments im DTTZ wohnen. Ein vielleicht 11-jähriges Mädchen öffnet mit mürrischem Gesicht auf unser Klingeln. „Mitleid“ sei nicht angebracht, beruhigt Pörsch, die Kinder seien meist ausgesprochen gut drauf. Im riesigen Wohnzimmer stehen mehrere kuschelige Sofas, auf denen allerdings gerade niemand rumlümmelt. Es ist Nachmittag, die Kinder machen Hausaufgaben oder trainieren. Nur unsere Türöffnerin hat Küchendienst, deshalb die schlechte Laune. Alles in bester Ordnung also. Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf 78 Wo Rembrandt kein Maler ist Bundesleistungszentrum Reiten. Vielseitigkeit, Springen oder Dressur – Nicole Uphoff-Selke stellt Westfalens Goldschmiede vor. W estfalen gelten als leistungsstark und einsatzbereit, als gutwillig, jedoch nicht ohne Temperament. Und chic sind sie obendrein. Die Rede ist hier allerdings nicht von den Menschen, die jene Region zwischen niederländischer Grenze, sauerländischen Gebirgskämmen und Weserbergland bevölkern, sondern von Pferden. Die Fahrt ins münsterländische Warendorf führt vorbei an grünen Wiesen, weitläufigen Koppeln und ausgedehnten Reitwegen. Die 38 000 Einwohner zählende Kreisstadt an der Ems ist die Bundeshauptstadt für Pferde und ihre Reiterinnen und Reiter. Mit dem nordrhein-westfälischen Landgestüt und seinen edlen Hengsten, der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), dem Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) und dem Bundesleistungszentrum liegt an diesem Ort quasi die Hauptschlagader der deutschen Reiterei. „Ich kenne keine Reitanlage mit solch optimalen Bedingungen.“ „Mein Herz macht jedes Mal einen Sprung, wenn ich nach Warendorf komme“, sagt Nicole UphoffSelke. Wir sind mit der ehemaligen Dressurreiterin aus Duisburg im Bundesleistungszentrum verabredet. Sie hat ihre beiden Hunde dabei, einer von ihnen trägt ein gelb-schwarzes Halstuch. Nicole UphoffSelke ist bekennender BVB-Fan. „Die Dauerkarte war im Paket mit drin“, sagt sie im Rückblick auf ihre Hochzeit 2007. Egal ob Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren oder Voltigieren, fast alle, die heute bei Olympischen Spielen oder Welt- und Europameisterschaften im Rampenlicht stehen, haben zuvor in Warendorf trainiert: Otto Becker, Ludger Beerbaum, Bettina Hoy, Thies Kaspareit, Helen Langehanenberg, Lars Nieberg, Franke Sloothaak. Und auch Nicole UphoffSelke war in der Erfolgsschmiede des deutschen Reitsports eine Zeit lang Dauergast. Hier hat sie sich auf die Olympischen Spiele 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona vorbereitet. Der Rest ist Geschichte: Sowohl im Einzelwettbewerb als auch mit der deutschen Mannschaft gewann sie mit ihrem berühmten Westfalenwallach Rembrandt insgesamt vier Goldmedaillen in der Dressur. „Ich habe hier die schönsten Jahre meiner Trainingszeit verbracht“, erzählt die Erfolgreiche und blickt sich um. Anfangs wohnte sie sogar auf dem großzügigen Gelände in der Nähe der Ställe, Tür an Tür mit ihren Pferden. Sie fand das herrlich, war gerade Anfang 20, das erste Mal weg vom beschützenden Elternhaus, und verspürte dieses Gefühl von Freiheit. Kein eigenes Zimmer mehr – das machte gar nichts. „Sehen Sie, da oben links habe ich gewohnt“, erzählt Nicole Uphoff-Selke und zeigt auf ein kleines Fenster in der ersten Etage des Wohnheims, in dem auch heute noch Nachwuchsreiter ihr Quartier aufschlagen. „Es war einfach eine tolle Zeit, wir waren alle wie eine große Familie.“ Gemütlich und persönlich sei es zugegangen, auch in Warendorf selbst, wo es damals gerade einmal drei Restaurants gab. „Da kannte jeder jeden.“ Das habe sie sehr gemocht. Auch das Bundesleistungszentrum, das der Mannschafts-Olympiasieger und -Weltmeister im Vielseitigkeitsreiten Frank Ostholt seit 2004 leitet, hat sich vergrößert. Auf dem 20 Hektar großen Gelände verteilen sich drei Reithallen, eine Mehrzweck- und nicole Uphoff-selke 79 Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf 80 Die großzügige Anlage des Bundesleistungszentrums Warendorf bietet Nachwuchsreitern und Profis optimale Trainingsbedingungen, auf dem Außenplatz ebenso wie in der Halle. Nicole Uphoff-Selke und ihr Jahrhundertpferd Rembrandt haben in Warendorf ihre schönsten Trainingsjahre verbracht. In Warendorf liegt quasi die Hauptschlagader der deutschen Reiterei. eine Longierhalle, vier Dressurplätze, vier Springplätze auf Sand- sowie einer auf Grasboden, ein Fahr- und ein Vielseitigkeitsplatz auf Gras mit Hindernissen sowie mehrere Stalltrakte mit insgesamt 110 Boxen. „Ich kenne keine Reitanlage mit solch optimalen Bedingungen.“ Auf einem Nebenplatz trainiert Springreiter Toni Haßmann gerade seine Pferde. Sie gehören zu den 80 bis 90 Tieren, die dauerhaft hier wohnen, die übrigen Boxen stehen Übernachtungsgästen zur Verfügung. Pferdesauna und -solarium inklusive. „Weitergaloppieren, nicht so am äußeren Zügel festhalten, Sandra“, ruft Dressurreiterin Carola Koppelmann vom Platz gegenüber. Gemeint ist Sandra Auffarth, die im vergangenen Jahr in der Einzelwertung Vize-Europameisterin im Vielseitigkeitsreiten wurde und sich vor ihrem nächsten wichtigen Turnier konzentriert vorbereitet. Während ihrer Trainingsaufenthalte zog es Nicole Uphoff-Selke vom Training auf dem Dressurplatz immer wieder ins Grüne. Das habe sie oft gemacht, sie sei einfach losgeritten in den Wald, der gleich vor der Stalltür beginnt. „Harry Boldt hat mir nie reingeredet, er war der perfekte Trainer für mich, weil er nicht versucht hat, meine Reitweise zu ändern.“ Mit dem Gelände verbindet die Olympiasiegerin jedoch auch eine düstere Zeit. Rembrandt – das auf internationalen Turnieren weltweit erfolgreichste Dressurpferd – verletzte sich bei der Siegerehrung der Deutschen Meisterschaft 1993 schwer. Ein ausschlagendes Pferd traf ihn unterhalb des Knies und brach ihm das Hinterbein. „Ich bin ihn hier im Gelände ein halbes Jahr lang nur Schritt geritten, immer geradeaus. Aber Remmi war eine Kämpfernatur, der wollte noch. Ruhe war nichts für ihn.“ Dass er auch konnte, stellte Rembrandt nach einem knappen Jahr Pause unter Beweis. nicole Uphoff-selke 81 Wer die Olympischen Spiele im Blick hat, muss zunächst in Warendorf – etwa beim „Preis der Besten“, einem der bedeutendsten Nachwuchsturniere in Deutschland – seine Reitkunst beweisen. Bundesleistungszentrum Reiten warendorf Adresse: Freiherr-von-Langen-Str. 13, 48231 Warendorf Baujahr: 1970 Als das Siegerpferd 1996 seine Profikarriere beendete, ging die Reiterin auf Abschiedstournee durchs Land. Rembrandt war der Star und hatte zahlreiche Fans. Und als solcher erhielt er auch Fanpost. Adressiert an „Rembrandt, Warendorf“ kamen Päckchen mit Möhren und Leckerlis im Bundesleistungszentrum an. Sogar eine Straße, die zu dem Gelände führt, ist nach ihm benannt. „Hier weiß wenigstens jeder, dass damit nicht der Maler gemeint ist“, sagt Nicole Uphoff-Selke und lacht. Und er ist fast so berühmt wie das einstmals weltbeste Springpferd Halla. Jene Traumstute, die Hans Günter Winkler zu Goldmedaillen trug und die nun in Bronze gegossen den Pferdefreunden den Weg zu den Westfalen zeigt. Anlage: 3 Reithallen, 1 Mehrzweckund 1 Longierhalle, 4 Dressurplätze, 2 Mehrzweckplätze, 4 Springplätze auf Sandboden und 1 Springplatz auf Grasboden, 1 Fahr- und Vielseitigkeitsplatz auf Grasboden mit verschiedenen Naturhindernissen, mehrere Stalltrakte mit insgesamt 110 Pferdeboxen Besonderheit: Sitz der Geschäftsstelle des Deutschen OlympiadeKomitees für Reiterei (DOKR) Veranstaltungen: Austragungsort von Nachwuchsprüfungen „Preis der Besten“, Nachwuchschampionat Vielseitigkeit, Bundeschampionat, bei dem sich die besten jungen Pferde und Ponys aus der deutschen Zucht präsentieren www.pferd-aktuell.de/ bundesleistungszentrum/ blz SchieSSsportanlage | Dortmund 82 Pistolen statt Petunien SCHIESSSPORTANLAGE DORTMUND. Nirgendwo kann der vierfache Olympiateilnehmer Maik Eckhardt so gut trainieren wie unter Tage im Revier. M itunter führen Schlagzeilen auf falsche Fährten. Zugegeben – das Viertel war verrufen. Augenscheinlich finstere Gestalten fielen im Dortmunder Norden damals kaum auf. Auch nicht die fünf Männer, die Mitte September 1976 bei ihrem Treffen vor dem leer stehenden 50er-Jahre-Bau gedecktes Tuch trugen, so dunkel wie die Limousinen, in denen sie chauffiert wurden. Anderntags titelte die Lokalzeitung: „Auf Blüten folgen Kugeln.“ Klingt nach Revierkampf konkurrierender Falschmünzer, war aber eher genau das Gegenteil. Und das stimmt den Dortmunder Markus Bartsch im Nachhinein sehr glücklich. Denn was die Reporter vor 36 Jahren beobachteten, war quasi die Grundsteinlegung für Bartsch’s heutigen Arbeitsplatz. Und dort, in der Eberstraße 30, laufen Schießereien nur in geordneten Bahnen ab. Auf 146, um genau zu sein. Denn hier residiert das LLZ, das Landesleistungszentrum der nordrheinwestfälischen Sportschützen. Markus Bartsch ist Geschäftsführer des Westfälischen Schützenbundes, damit so etwas wie Hausherr der Anlage und als solcher durchaus „ein wenig stolz“. Nicht nur auf den kontinentalen Superlativ „größte Indoor-Schießanlage Europas“. Sondern auch auf deren unterirdisch anmutende Bedingungen. – Wie bitte? Der Weg zu einem besseren Verständnis führt aus Bartsch’s Büro die Treppe runter. Mit seiner Zugangsberechtigung geht’s – zweimal abbiegen – den weiß getünchten Gang entlang. Von dessen Wänden wird jeder Besucher sofort ins Visier genommen. Liegend, stehend, kniend. Sonja Pfeilschifter und Karl Wenk, Jessica Mager und Christian Reitz – hier hängt das Who’s who des deutschen Schießsports. Dessen Herzkammer am Ende der Galerie ist ein einziger fensterloser Raum. 2 600 Quadratmeter, ohne Tageslicht und frei von störendem Wind. Hier werden Weltmeister gemacht. Nationale Champions. Und Olympioniken. Einen der erfolgreichsten treffen wir an Schießbahn eins. Maik Eckhardt ist 20-facher Deutscher Meister sowie WM-Silbermedaillengewinner mit der Mannschaft und schoss sich am letzten Mai-Wochenende zu seiner fünften Olympiateilnahme. Unter anderem für den Londoner Dreistellungskampf, bei dem 3 x 40 Schuss in 200 Minuten über Gold, Silber und Bronze entscheiden, trainiert der 42-jährige Unternehmer nahezu täglich. „Hier im LLZ sind die Bedingungen fantastisch“, lobt der Athlet und hat wie aus der Pistole geschossen Details bereit: „108 Bahnen à 10 Meter für Luftdruck, 28 Bahnen Kleinkaliber 50-Meter-Schießen und zehn Bahnen für das 25-Meter-Schießen mit der Kleinkaliber-Pistole.“ Anfang der 80er Jahre mit einer Europameisterschaft eröffnet, wurde die Anlage 2003 komplett modernisiert. Mit Schieß- und Beleuchtungstechnik auf den neuesten Stand gebracht. OP-taugliche Lichtverhältnisse wie in der Klinik zählen ebenso dazu wie ein IT-Netzwerk, das 450 Schießplätze, Zielscheiben und Kampfrichterstellen miteinander verbindet. „Von all dem war 1976 natürlich nichts zu sehen, aber die räumlichen Voraussetzungen“, vermutet Maik Eckhardt, „haben die ‚fünf Herren‘ offenbar damals sofort begeistert.“ Zu denen zählten der damalige NRW-Kultusminister Jürgen Girgensohn sowie der langjährige Innenminister und damalige DSB-Präsident Willi Weyer. Mit Vertretern der Stadt Dortmund suchten sie ein Trainingsgelände für die besten Sportschützen des Landes. Und wurden in einem alten Blumengroßmarkt fündig. Wo jetzt Pistolen statt Petunien das Bild beherrschen. Wie gesagt: „Auf Blüten folgen Kugeln.“ Landesleistungszentrum, LLZ Dortmund Adresse: Eberstraße 30, 44145 Dortmund Baujahr: 1950 Umbau: 1980/81 Bauherr: Westfälischer Schützenbund Architekt: Marek & Schreiter, Lünen Besonderheit: Vormals als BlumenMarkthalle genutzt, hat Europas größte überdachte Schießsportanlage weder Fenster noch Lichtschächte. Ohne die üblichen Störfaktoren in Outdoor-Anlagen wie unterschiedliche Sonneneinstrahlung und wechselnde Windverhältnisse finden die Sportschützen hier auf 2 600 qm einmalige Trainingsbedingungen. Veranstaltungen: Internationaler Saisonauftakt der Sportschützen ISAS alljährlich im März, 2012 ausgetragen als 7-tägiger Wettbewerb mit 600 Sportlern aus 30 Nationen; Europameisterschaften der Luftdruckschützen 1982, 5-mal Austragungsort der Europameisterschaften der Bogenschützen maik eckhardt 83 iss dome | düsseldorf 84 Otto Schneitberger 85 Alles vom Feinsten ISS DOME DÜSSELDORF. Otto Schneitberger war die Eishockey-Legende an der Brehmstraße, heute verpasst er kein Spiel in der neuen Arena. E ines vorweg: Eishockey ist nichts für zarte Seelen. Harte Checks, schnelle Sprints, scharfe Schüsse – so funktioniert Eishockey. Bei Männern wie bei Frauen. Wer diesen Sport zu seinem Beruf machen will, sollte hart im Nehmen sein. Und Kondition mitbringen. Die gewaltigen, weil gut verpackten Spieler der ProfiLiga DEL sind bei ihren Einsätzen pausenlos in Bewegung. Mit bis zu 65 Kilometern pro Stunde fliegen sie übers Eis. Gleichwohl wird ihre Rasanz noch locker übertroffen: vom Puck nämlich, dem die Männer mit ihren Schlägern ordentlich Speed geben. Die Hartgummischeibe erreicht Spitzengeschwindigkeiten von 160 Stundenkilometern. Naiv, wer da einen zimperlichen Umgang mit dem Gegner erwartet. Kleine Platzwunden registrieren die Spieler eh kaum, Risswunden werden vom Arzt oftmals gleich noch auf der Spielerbank versorgt. Keine Verletzten weit und breit. Alles friedlich heute. Die DEG, einer der ruhm- und traditionsreichsten Clubs der Republik, ist aus den Playoffs der Saison früh ausgeschieden. Die Heimspielstätte der Düsseldorfer Eislaufgemeinschaft wird von Kennern gern als architektonisches Highlight bezeichnet. Das Gebäude steht frei auf einem 43 000 Quadratmeter großen Grundstück. Drinnen werden wir Otto Schneitberger, den ehemaligen Titan der DEG und viel gerühmte Eishockey-Legende, treffen, aber zunächst einmal empfängt uns Lucie Papez. Ihre Visitenkarte weist sie als Projektleiterin des ISS Dome aus, aber so eine himmelschreiende Untertreibung war selten: Frau Papez, schmal, patent und zum großen Glück alles andere als mundfaul, gleicht einer Mutter, die stolz ihr „Baby“ präsentiert. Die Heimspielstätte der DEG wird als architektonisches Highlight bezeichnet. 70 Millionen Euro hat diese Düsseldorfer Multifunktionshalle gekostet, in nur 17 Monaten wurde sie im nördlich gelegenen Stadtteil Rath errichtet, 13 400 Zuschauern bietet sie Platz. Rote Bestuhlung wie im Theater, ein bei Bedarf sichtbar werdender Videowürfel samt Anzeigentafel in der Mitte, Technik vom Feinsten auch hinter den Kulissen. Der ISS Dome bietet den perfekten Rahmen für Veranstaltungen jeglicher Art. Sport, Konzerte, Jahreshauptversammlungen – nichts ist unmöglich. In nur wenigen Stunden lässt sich die Halle auf die Bedürfnisse des nächsten Kunden umrüsten. Bei Events mit weniger Publikum kann der Oberrang komplett hinter einem Vorhang verschwinden, was den Innenraum optisch verkleinert. Den Wünschen des Hauptmieters, der DEG, entsprechend, lassen sich gar die Unterrang-Sitzplätze an der Nord,- Ostund Westseite obendrein zu insgesamt 4 000 Stehplätzen umbauen. Eine Karte in diesem Bereich kostet den Eishockey-Begeisterten faire 15 Euro. Mancherorts muss man das bereits für eine Kinokarte hinlegen. Für betuchtere, wichtige Gäste und solche, die sich dafür halten, existiert ein Bereich mit eigenem Eingang. 32 Einzel- und drei Doppel iss dome | düsseldorf 86 Eishockey-Tempel: Die zweitgrößte Multifunktionshalle Düsseldorfs ist neue Heimspielstätte der traditionsreichen DEG. „Otto, bau den Puck ins Tor, halleluja“, jubelten die DEG-Anhänger. (Aufforderung der Fans an DEG-Verteidiger Otto Schneitberger, einen studierten Architekten) Ihnen zu Füßen 900 Quadratmeter überzogen mit einer 3,8 Zentimeter dicken Eisschicht. Sie herzustellen, sei „eine Kunst“, erklärt Frau Papez, für die man zwei Wochen Zeit brauche. haben sie Sportgeschichte geschrieben. Franz, die Fußball-Lichtgestalt. Otto, der Eishockey-Gott. Giganten des Sports. Letzterer packt tatkräftig mit an und jongliert leichtfüßig wie ein junger Gamsbock einen schweren Scheinwerfer nach unten auf den tatsächlich eisfreien, aber trotzdem weiß strahlenden Betonboden. Ob die DEG gewinnt oder verliert, ein Herr mit grauen Schläfen ist immer mit von der Partie. Nicht mehr auf dem Eis natürlich, der Mann ist 72, sondern als Zuschauer auf der Tribüne. Ganz oben kann man Höhenangst kriegen, wenn man runterguckt oder gar die Treppen abwärtsstiefelt. Unbeeindruckt balanciert gerade der Fotograf auf den Rängen, ebenso sein legendäres Motiv: Otto Schneitberger. Eishockey-Novizen muss man womöglich erklären, wer das ist. Am schnellsten geht es so: Franz Beckenbauer und Otto Schneitberger sind nicht nur befreundet und spielen ab und zu eine Runde Golf zusammen, beide sind sie gebürtige Bayern und beide 119 Nationalspiele, dreimal Olympia, dreimal Deutscher Meister mit der DEG. Schneitberger war ein Held, der vom Publikum verehrt und geliebt wurde. Der studierte Architekt glänzte auf dem Eis als beinharter Verteidiger, was die Fans zu euphorischen Schlachtgesängen veranlasste: „Alles schläft. Otto wacht.“ Auch schön: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unser Ohottoo nicht.“ Nicht selten schoss „Atom-Otto“ gar noch mehr Tore als die Kollegen vom Sturm. „Otto, bau den Puck ins Tor, halleluja“, jubelten die DEG-Anhänger und besangen und feierten ihr Idol, selbst wenn es mal nicht ganz so gut lief. logen mit je 34 bis 75 Quadratmetern stehen den VIPs zur Verfügung. Otto Schneitberger 87 Kampf um den Puck – noch ohne Helm: Groß, modern, technisch raffiniert: Der ISS Dome strahlt innen in Rot-Weiß. Otto Schneitberger von der DEG (rechts) im Zweikampf mit Albert Loibl vom EC Bad Tölz. ISS Dome Adresse: Theodorstraße 281, 40472 Düsseldorf Eröffnet: 2. September 2006 Architekten (Entwurf): RKW – Rohde, Kellermann, Wawrowsky Goldene Zeiten. Die Halle in der Brehmstraße, die alte, kalte, aber heiß geliebte Spielstätte der DEG – immer ausverkauft. Die Begeisterung unbeschreiblich. Trommeln, Wunderkerzen – eine Stimmung, besser als beim Karneval. Eishockey, wir erwähnten es bereits, ist ein Sport für Menschen, die was aushalten können. Das gilt auch für die Fans. Nach jedem Tief aber kommt irgendwann auch wieder ein Hoch, so lautet immerhin ein Naturgesetz. Larmoyanz beschleunigt es nicht. Otto Schneitberger, der in der Brehmstraße frenetisch gefeiert wurde und gleich nebenan heute noch wohnt, kommt gern in den ISS Dome. Die Halle sei klasse, die Jungs von der DEG meist auch. Und wenn’s einmal nicht so läuft? „Ich bin da“, sagt Schneitberger. Kapazität: 12 500 Personen, 13 400 Personen bei Eishockeyspielen, 32 Einzel- und 3 Doppellogen, 624 Business-Seats Parkplätze: 1 500 Stellplätze im Parkhaus plus VIP-Tiefgarage mit 400 Stellplätzen Veranstaltungen: Eishockey DEG Metro Stars (DEL), Konzerte (z. B. Die Toten Hosen, AC/DC, Rammstein, Elton John) Besonderheiten: Teleskoptribünen mit 4 000 Stehplätzen. In der Regel liegt bei Veranstaltungen die Temperatur bei ungefähr 23 °C (auch beim Eishockey). Spielstätte der DEG Metro Stars (DEL, seit 2006) www.issdome.de SPORTCENTRUM | kamen-KAISERAU 88 Olaf thon 89 Kultstätte am Kamener Kreuz SPORTCENTRUM KAMEN-KAISERAU. Olaf Thon erinnert sich an den besonderen Geist der Sportschule für das WM-Team von 1990. F ußball ist eine Glaubenssache. Nicht nur, wenn es um die Frage nach der Vereinszugehörigkeit, sondern auch, wenn es ums Gewinnen geht. Fast jeder Spieler hat sein persönliches Ritual, fast jedes Team eine spirituelle Gemeinsamkeit. Fußballschulen haben ein eigenes Flair. Häufig entwickelt sich dort ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, ein besonderer Geist. Dort wird eine Mannschaft zusammengeschweißt und gewinnt einen wichtigen Titel. Die Einrichtung wird zur Kultstätte und ihr „Geist“ zum Aushängeschild. Wie der von Kaiserau. SportCentrum kamen-Kaiserau Adresse: Jakob-Koenen-Straße 2, 59174 Kamen Einweihung der Sportschule: 10. Februar 1952 Baujahr Athletenhaus: 2006 Übernachtungskapazität Sportschule: 42 Einzelzimmer, 62 Doppelzimmer Übernachtungskapazität Athletenhaus: 48 Einzelzimmer Kapazität CongressCenter: Rotunde für 250 Personen, diverse Seminarräume Sportstätten: Sporthallen - Fußballhalle - Basketballhalle - Freizeit- und Breitensporthalle - Gymnastikhalle - Leichtathletikhalle Freiland- und Kunstrasenflächen - 3 Fußballplätze - 2 Kunstrasenplätze - Laufbahn www.sportcentrumkamenkaiserau.de Das SportCentrum Kamen-Kaiserau liegt im beschaulichen Methler, einem Ortsteil von Kamen, nicht einmal zehn Minuten vom national bekannten Autobahnkreuz entfernt. Die Suche nach dem Geist von Kaiserau führt mitten in ein Wohngebiet. Auf der einen Straßenseite Trainingsplatz, auf der anderen Reihenhaussiedlung. Alteingesessene Kamener haben sie schon alle hier gesehen: Beckenbauer, Matthäus, Littbarski, ganz zu schweigen von den Nationalteams anderer Länder, von Brasilien über die Elfenbeinküste bis Angola und Spanien. Und sie können an diesem Tag einen echten Weltmeister sehen. Olaf Thon ist mal wieder da. Carsten Jaksch-Nink, seit 2003 Direktor des Fußball- und LeichtathletikVerbands Westfalen, erwartet einen guten Bekannten. „2004 habe ich in Kaiserau meine B-Lizenz als Trainer gemacht“, erzählt Thon, „ich fühle mich dem Haus schon seit Langem eng verbunden.“ Als Jugendlicher kam er zum ersten Mal – er war Spieler des STV Horst-Emscher – aus Gelsenkirchen. „Damals hat mich mein Vater immer mit dem Auto hergebracht und die halbe Stunde Fahrt kam mir ewig vor.“ Ab 1980 spielte Thon für Schalke 04 und obwohl Kamen geografisch eher dem Dortmunder Territorium zuzurechnen ist, kam er auch mit der Jugendmannschaft der Knappen nach Kaiserau. Der Hausherr achtet durchaus auf Neutralität. „Wir haben eine neue Laufbahn auf unserer Leichtathletikanlage, die der des Berliner Olympiastadions gleicht – und zwar in Königsblau“, lacht Carsten Jaksch-Nink. Und ist damit bei einem der vielen Vorzüge des SportCentrums: „Als Sitz des Fußball- und Leichtathletik-Verbands Westfalen verbinden wir die Kompetenzen aus beiden Sportarten.“ Wenn ein Trainer seinen Fußballern einen korrekten und runden Laufstil beibringen will, ist er hier richtig. Aber auch die Leichtathleten der kanadischen Olympiamannschaft haben sich Kaiserau als Europa-Stützpunkt ausgesucht. Denn die Athleten beider Sportarten überzeugt die Anlage. Drei Rasen- und zwei Kunstrasenplätze, die erwähnte Laufbahn und eine Vielzahl notwendiger Annehmlichkeiten – vom Hallenbad bis zum Beach-Soccer-Feld – liegen dicht beieinander. 2006 kamen ein Kongresszentrum sowie ein Athletenhaus mit 48 Einzelzimmern hinzu. Prominente „Erstbezieher“ im Eröffnungsjahr zur Fußball-WM in Deutschland: die spanische FußballNationalmannschaft. Derart komfortabel war die Unterbringung in der Vorbereitungsphase auf die WM in Italien 1990 noch nicht. Aber „vermisst“ hat Olaf Thon seinerzeit trotzdem nichts. „Wir waren auf engem Raum zusammen, waren gut versorgt und konnten uns auf das Wesentliche konzentrieren. Der Geist von Kaiserau hat uns getragen“, erinnert sich der Weltmeister. Auch die deutsche Handball-Nationalmannschaft setzte auf jenen ominösen Geist und wählte das SportCentrum als Basisstation vor und während der WM im Jahr 2007. Ein Aufenthalt, der laut Carsten Jaksch-Nink nicht unerheblichen Anteil am folgenden Handball-Sommermärchen mit dem Gewinn des Weltmeistertitels hatte. Westfalenhallen | Dortmund 90 Annegret Richter 91 Unter Denkmalschutz WESTFALENHALLEN DORTMUND. Wo die Karriere von SprintDoppelolympiasiegerin Annegret Richter mit Wintertraining begann. D ie Dortmunder Westfalenhalle 1 hat die Pforte geöffnet und es riecht nach Hund. Dabei wollen wir doch Sportboden besichtigen und Sportlerschweiß atmen. Der traditionsreiche „Sportpalast der Republik“ an der Bundesstraße 1 hat sich an diesem Tag verwandelt: Aus dem riesigen Rund, einst gebaut für den Sport und Schauplatz zahlreicher Weltmeisterschaften, ist auch – vor allem in Gemeinschaft mit den weiteren acht Westfalenhallen – ein prosperierender Messeplatz geworden. An diesem Mai-Wochenende machen sich „Hund und Heimtier“ breit, Ausstellungsmitarbeiter rollen Teppiche aus und errichten einen Parcours für die bisweilen knurrenden und kläffenden Begleiter des Menschen. Doch an einer anderen Stelle geht es auch um Sport: Bühnentechniker errichten eine Riesenleinwand für das Public Viewing des Deutschen Pokalfinales – BVB gegen Bayern München. Dortmund, die mit nahezu 600 000 Einwohnern größte Stadt des Ruhrgebiets, beweist einmal mehr ihre tiefe Beziehung zum Fußball und die Große Westfalenhalle ihre Qualitäten als Verwandlungskünstlerin. Seit ihrer Eröffnung 1952 sind unter dem gewaltigen Dach mehr als 30 Welt- und 50 Europameisterschaften ausgetragen worden. Eine Sportlegende aus Stein, Stahl und Beton. Vor 20 Jahren boxte Henry Maske hier viermal um den Weltmeistergürtel. Dortmund erlebte in der Westfalenhalle 1 mit dem VfL Gummersbach und Heiner Brand die große Zeit des Handballs und 2007 die Handball-WM. Zuletzt erreichten die deutschen Tischtennisherren um ihren Star Timo Boll Ende März 2012 das Finale der Mannschafts-Weltmeisterschaft. Es war die insge- samt schon dritte Tischtennis-WM in Dortmund nach 1959 und 1989, von denen besonders Letztere durch den legendären Sieg von Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner in Erinnerung geblieben ist. Dem Radsport hat die Große Westfalenhalle ihre ovale Form zu verdanken. Zugegeben, unten im Innenraum fühlt man sich ziemlich klein. Rang um Rang erheben sich rote Sitzreihen in der Form eines Ovals 23 Meter hinauf bis zur Decke. Das frei schwebende Kuppeldach gilt als architektonisches Highlight dieses Hallenbaus, das ohne störende Stützpfeiler den heute maximal 15 400 Zuschauern von allen Plätzen freie Sicht ermöglicht. Vor allem wegen dieser gewagten und kühnen Dachkonstruktion erhielt die Westfalenhalle 1 im Jahr 1993 das Prädikat „Denkmal“ und wurde damit zu einem Bau für die Ewigkeit. Oben dieses fantastische Dach, aber wie sieht es denn unten aus? Also runter in die Katakomben. Der Weg durch das labyrinthähnliche Kellergewölbe führt vorbei an Veranstaltungspostern und Künstlerplakaten: Abba, Rolling Stones, Tina Turner, Luciano Pavarotti und Placido Domingo. Pink Floyd ließen „The Wall“ auf ihrer legendären Tour neben Los Angeles, New York und London am 16. Februar 1981 nur noch in Dortmund einstürzen. Welch ein Erlebnis für diejenigen, die unter den mehr als 20 000 dabei sein konnten – Ticketpreis damals: 22 D-Mark. Der Blick in die Künstlergarderoben: Keine Schampus-Kühler, Kronleuchter oder Samtvorhänge, die Westfalenhallen | Dortmund 92 Manfred Schmadtke ist stolz auf sein kleines Museum: 1952 wurde die neue Westfalenhalle eröffnet, nachdem die Ursprungshalle den Krieg Die weltweit einzigen Steher-Maschinen werden im Untergrund nur als Schuttruine überlebt hatte. der Großen Westfalenhalle gepflegt. Die Dortmunder Sechstagerennen waren jahrzehntelang ein Publikumsmagnet. Stars müssen mit Schminktisch und einer Sitzecke auskommen. So hausen also die Bühnenartisten? Viele, so erfahren wir, reisen mittlerweile mit ihren eigenen vier Wänden an und parken den Trailer gleich auf dem Wirtschaftshof oder lassen sich die Garderobe von ihrem persönlichen Designberater individuell herrichten. Nichts anderes hatten wir erwartet. Und damit gelangen wir auch schon zu dem Mann, der im Untergrund ein kleines Heiligtum pflegt. Manfred Schmadtke erwartet uns bereits. In seiner kleinen Werkstatt sind die letzten Steher-Maschinen aufgebockt, die es weltweit noch gibt. Baujahr 1920. Ohne Bremse, ohne Schaltung. Ausgestattet mit einem 1 000-Kubikzentimeter-Motor, waren sie bei den legendären Steherrennen in der Westfalenhalle 1 die größte Attraktion. Denn dem Radsport, vielmehr seiner Rennbahn, hat die Westfalenhalle ihre ovale Form zu verdanken. „Alles Handarbeit. Die können Sie durchtreten und immer noch losfahren“, erzählt der 76-jährige Dortmunder. Wieder oben im Tageslicht. Wir sind mit der Doppelolympiasiegerin und echten Dortmunderin Annegret Richter verabredet. Auf zwei Beinen, nicht auf dem Rad, hat die ehemalige Sprinterin in den Westfalen- hallen ebenfalls Höchstleistungen erzielt. Zu Beginn ihrer Karriere sei sie auf dem Gelände „ein- und ausgegangen“, erzählt die 61-Jährige. In Halle 4 erhielten die Leichtathleten vor 50 Jahren die Möglichkeit, im Winter durchgehend zu trainieren. „Das war für die damalige Zeit etwas Besonderes“, sagt sie und hat Erinnerungsfotos mitgebracht – schwarzweiß natürlich. Sie zeigen eine junge, gertenschlanke Athletin auf der Tartanbahn beim Zieleinlauf. In Dortmund, vor ihrer Haustür, holte sie bei den Westfälischen Meisterschaften ihren ersten bedeutenden Titel. „Der gab mir den Anreiz, mehr zu trainieren und mehr zu machen.“ Denn so richtig fleißig sei sie zu Beginn ihrer Karriere nicht gewesen, gesteht sie bei dem Blick zurück. Und auch, dass sie zwar immer noch sehr sportinteressiert sei, dies aber vor allem passiv. „Ich gehe zwar regelmäßig ins Fitnessstudio und laufe noch, aber Letzteres nicht so gerne“, sagt sie. Eine Sprinterin und Dauerlauf – das passt eben nicht zusammen. Den Westfalenhallen ist sie bis heute verbunden geblieben, hier sah sie zuletzt in Halle 1 Udo Jürgens live. „Die Westfalenhallen sind ein großer Anziehungspunkt für Dortmund. Es hat mich immer stolz gemacht, zu sehen, wer hier alles hingekommen ist und wen man alles hier gesehen hat.“ Annegret Richter 93 Das frei schwebende Kuppeldach ist das architektonische Highlight der Halle. Die kühne Dachkonstruktion wurde 1993 unter Denkmalschutz gestellt. westfalenhallen Dortmund Der Weg zum wahren Domizil der Leichtathleten führt Annegret Richter und ihre Nachfolger nur einen kleinen Fußweg herum um die Große Westfalenhalle und schon gelangen sie zur Helmut-Körnig-Halle. Eiskunstläuferinnen wie die WM-Dritte Dagmar Lurz trainierten in der Eislaufhalle, die gleich neben dem Haupteingang von Halle 1 liegt. Für Europaund Weltmeisterschaften machten die Dortmunder allerdings blankes Eis im großen Rund. Traditionell zu Jahresbeginn knattern und fliegen beim ADAC Supercross in der Großen Westfalenhalle Motorräder über eigens aufgetürmte Lehmhügel. Die braucht es auch für einen Trendsport, der 2012 hier Weltpremiere feierte: Beim ersten Ecco Indoor Trail verwandelte sich die Halle im Februar in eine Landschaft aus Lehm, Geröll und Baumstämmen. Statt in der Natur über Stock und Stein rannten die Läufer durch den präparierten Innenraum, über die Tribünen bis in die Katakomben hinunter und nach draußen. Verrückte neue Sportlerwelt. Neues kommt, manches bleibt. Seit Beginn dabei und mit der Halle fest verbunden ist das internationale Hallenreitturnier und damit bleibende Erinnerungen an Wettkämpfe von Alwin Schockemöhle mit Nelson Pesoa und Hartwig Steenken. Und der Geruch nach Pferd beim Öffnen der Pforte. Adresse: Rheinlanddamm 200, 44139 Dortmund Eröffnet: 28. November 1925 als Holzkonstruktion Neueröffnung: 2. Februar 1952 Architekt: Walter Höltje Die Westfalenhallen Dortmund sind ein Messe-, Kongress- und Veranstaltungszentrum, die Große Westfalenhalle oder Halle 1 ist das Herzstück der insgesamt neun Hallen mit einer Gesamtfläche von 60 000 qm. Besonderheit: Die Westfalenhalle 1 ist als Baudenkmal in die Denkmalliste der Stadt Dortmund eingetragen. Kapazität Halle 1: 15 400 Personen Veranstaltungen Halle 1: ADAC Supercross, Holiday on Ice, Internationales Reitund Springturnier SIGNAL IDUNA CUP, 30 Weltmeisterschaften, 50 Europameisterschaften www.westfalenhallen.de Lipperlandhalle | lemgo 94 volker zerbe 95 Wohnzimmer im „Lüttfeld“ LIPPERLANDHALLE. Einer der einstmals weltbesten Rückraumspieler, Volker Zerbe, prägte den Aufstieg Lemgos zur Hochburg des Handballsports. E s gibt wenige Sportler, zu denen Volker Zerbe aufschauen müsste. Kein Wunder bei einer Größe von 2,11 Metern. „Für solche Gottesgaben kann ja keiner was“, versucht der ExHandballer des TBV Lemgo runterzuspielen, was „die Natur einem mitgegeben hat“. Aber dafür, was einer daraus macht: unfassbare 20 Jahre lang im Schnitt jede Saison fast 100 Bundesligatore zu werfen beispielsweise. Exakt: 1 977. Grob die Hälfte davon in der Lipperlandhalle in Lemgo. Den Wandel der Mehrzweckhalle im „Lüttfeld“ der alten Hansestadt zur Hochburg des deutschen Handballsports hat der heute 44-Jährige wie wenige andere mit geprägt. Der Mann im rechten Rückraum galt als weltbester Abwehrspieler seiner Zeit. Mit ihm wurde die Nationalmannschaft Europameister, stand im Finale der Weltmeisterschaft 2003 und gewann die Silbermedaille bei Olympia 2004 in Athen. Mit seinen Mannschaftskameraden Schwarzer, Stephan, Baur, Kehrmann und Ramota bildete Zerbe den „Lemgoer Block“, das Rückgrat der deutschen Nationalmannschaft. Dreimal gewann der TBV in dieser Zeit das Final Four um den Deutschen Pokal – immer in Hamburg. Doch seine schönsten Erfolge feierte Volker Zerbe „hier, in meinem Wohnzimmer“. Keine 200 Meter entfernt von der Halle steht sein Elternhaus. Von Kindheit an hat er immer nur hier Handball gespielt – erst für den TV Lemgo, im Alter von 16 Jahren dann für den aufstrebenden Ortsrivalen TBV. Und es sind vor allem Heimspiele, die sich unter Zerbes rotblondem Schopf festgesetzt haben. „Erst am letzten Spieltag meiner ersten Profisaison schafften wir den Klassenerhalt – zu Hause gegen die Reinickendorfer Füchse.“ Die entscheidenden Punkte für zwei Deutsche Meisterschaften und die Europapokal-Siege – gegen Santander 1996 und gegen Göppingen zehn Jahre später – wurden „zu Hause klargemacht“. Und dann die legendären Spiele gegen den ostwestfälischen Rivalen TuS Nettelstedt. Beispiel 1997. „Gerade war unser Trainer Lajos Mocsai zum TuS gewechselt. Und wir hatten Großes vor. Die Halle ausgebaut und in Lipperlandhalle umbenannt. Wir wussten, wir waren stark und hatten die Chance, ganz oben in der Liga mitzuspielen. Die Wirtschaft stand hinter uns – und die Fans. Uns war klar: Diese Stadt liebt den Handball. Es war ein absolutes Prestigeduell.“ Und zur Halbzeit lag Lemgo 6:15 zurück. Sechs Tore in 30 Minuten – im Profihandball eine Kapitulationserklärung. „In der Pause weißt du gar nicht, was passiert ist. Dir dämmert dumpf, hier läuft gerade was ganz Schlimmes ab, aber du kriegst es nicht in deinen Kopf.“ Aber genau da, so Zerbe heute, „werden solche Spiele gedreht“. Und in der Kabine. Zurück auf dem blauen Hallenboden starteten die Gastgeber, angeführt von ihrem Kapitän, eine Aufholjagd, drehten das Spiel und entschieden die Partie noch mit 36:30 für sich. Und wurden am Ende der Saison erstmals Deutscher Meister. Geschichten wie diese kann nur einer erzählen, der in der Lipperlandhalle 20 Jahre Handball gespielt hat. Darunter die vom bundesligaweit gefürchteten „Lüttfeld-Rooaar!“ der – seit der letzten Ausbaustufe – 5 000 Fans auf der Tribüne. Wie sie diese Mannschaft lieben, ihre Halle und „ihren“ Sport. Und einen ihrer Helden ganz besonders. Der ist heute Geschäftsführer des TBV und bekam sogar ein „eigenes“ Abschiedsspiel. Einmalig in der 101-jährigen Club-Geschichte. In Rekordzeit ausverkauft. Bei der Erinnerung daran läuft es Volker Zerbe „heute noch eiskalt den Rücken runter“. lipperlandhalle Adresse: Bunsenstraße 39, 32657 Lemgo Eigentümer: Kreis Lippe Architekten: HSS Detmold (Heinemann, Schreiber, Schlauch) Eröffnet: 1977 Kapazität: 5 000 Zuschauer, 17 VIP-Boxen, 600 Business-Seats Besonderheiten: Als Schulsporthalle für 3 500 Studenten und Schüler der Hochschule Ostwestfalen-Lippe sowie einer Berufsschule konzipiert, wird die Anlage heute noch als Mehrzweckhalle genutzt. Besonders stabiler Bodenbelag, der Sportarten wie Kunstradfahren oder Inlineskaten erlaubt, die in anderen Hallen verboten sind Veranstaltungen: Austragungsort der Handball-Weltmeisterschaft Bundesliga-Heimspielstätte des TBV Lemgo www.lipperlandhalle.de Regattastrecke Fühlinger see | köln 96 Riesenwels neben dem Boot REGATTASTRECKE FÜHLINGER SEE. Ruderweltmeister Stephan Volkert ist fast täglich am See – früher zum Trainieren, heute mit seinen fünf Kindern. K ölns größte Badewanne liegt im Stadtbezirk Chorweiler, im linksrheinischen Norden der Stadt. Der Fühlinger See gilt als künstlich angelegtes Gewässer, was streng genommen nicht ganz korrekt ist. Zumindest steckte ursprünglich kein Plan dahinter. Als nach dem Ersten Weltkrieg Kies benötigt wurde für den Bau der Bahnstrecken nach Aachen und Krefeld, begann man, in der Fühlinger Heide zu baggern. 30 Millionen Kubikmeter holten Arbeiter aus bis zu 14 Metern Tiefe heraus. Schnell füllten sich die großen Löcher mit Grund- und Rheinwasser, auch weil unterirdische Arme des Stroms unter dem Gelände hinwegfließen. Eine Katastrophe? Keineswegs. „Et kütt wie et kütt“, sagt man in der Domstadt. Bereits in den 1930er Jahren pilgerten die Kölner nach Fühlingen zum Baden. Lutz Gümpel schwimmt nicht, er arbeitet. Als angestellter „Vorarbeiter“ des Sportamts Köln fungiert er als eine Art Erster Platzwart am See, dessen Herzstück, eine Trainings- und Wettkampfstätte auf dem Wasser, mit dem Wort „Platz“ allerdings nicht ge rade treffend beschrieben wäre. Die Regattabahn ist Mittelpunkt des Naherholungsgebiets Fühlinger See und Gümpel – schwarzes T-Shirt, graue Haare, gebräuntes Gesicht – eilt der Ruf voraus, vor Ort „der Mann für alle Fälle“ zu sein. Ende der 60er Jahre wurden am Fühlinger See mehrere Inseln und Halbinseln angelegt mit dem Ziel, den gestressten Stadtmenschen möglichst große Uferflächen zu bieten. Später entstand die Regattabahn. Heute finden auf der Anlage jedes Jahr zahlreiche Events auch auf dem Land statt. Konzerte, Festivals, Mittelalterspektakel, Laufsportveranstaltungen – Gümpel und seine Mitarbeiter sind ständig gefordert. Gerade sitzt Gümpel am Steuerrad eines Motorboots und rauscht mit dem Besuch übers Wasser. Blauer Himmel, Sonnenschein, erfrischender Fahrtwind – das Leben kann herrlich sein. Auch Kapitän Gümpel strahlt, während er die wichtigsten Fakten herüberschreit: Straßen, Parkplätze, Bootshäuser, Zielturm, Tribünen, Rasen – die gesamte Fläche der Sport- und Erholungsanlage: 200 Hektar, davon 100 Hektar Wasserfläche. Sieben Teilseen sind mit der Regattabahn – 130 Meter breit, 2 300 Meter lang – verbunden. Sechs Bahnen mit je einer Länge von 2 000 Metern, eine siebte Bahn dient der Zufahrt zum Startbereich. Auf dem Fühlinger See trainieren Ruderer und Kanuten aus der Region, aber hier kann jeder ein Boot mieten, angeln, tauchen oder surfen. Inlineskaten und Reiten sind auch möglich, allerdings – klaro – nicht auf dem See, sondern auf den 19 Kilometern Wander-, Rad- und Reitwegen drum herum. Sogar einen Ökopfad gibt es. Südsee-Feeling bietet das Naturfreibad „Blackfoot-Beach“: aufgeschütteter weißer Sand, Palmen, Strandbar, Sonneninsel, Bogensport, Hochseilgarten, Wassersportcenter, Stand-up-Paddling, also Paddelsurfen im Stehen, und vieles mehr. Der See, ein Paradies mit Angeboten, vielfältiger als im Cluburlaub. Da wundert es nicht, dass an heißen Sommertagen täglich bis zu 100 000 Menschen in Fühlingen entspannen. Ein Mann, der die Anlage seit seiner Kindheit besucht, sitzt mit im Boot. Stephan Volkert heißt der zwei Meter große Hüne, der bei jedem Wetter nahezu täglich zum See fährt, auch weil er da mittlerweile seine fünf Kinder so gut laufen lassen kann, wie er lachend gesteht. Früher kam Volkert zum Trainieren stephan volkert 97 Regattastrecke Fühlinger see | köln 98 Abendstimmung am Fühlinger See: die Pressetribüne am Zieleinlauf der Regattastrecke. Regattabahn Fühlinger See Adresse: Oranjehofstraße 105, 50769 Köln Einweihung: 1978 bei den NRW-Landesmeisterschaften Ausstattung der Regattabahn: Länge: 2 300 m, Breite: 130 m mit 6 Bahnen à 13,5 m, Mindesttiefe: 6 m, Albano-System zur Bahnmarkierung, Ampelstartanlage, computergestützte Zeitmesseinrichtung, 250 m Zwischenzeitmessung, MacFinish-Zielkamera, drahtlose Starthelfersprechanlage, 9 Bootshallen mit Werkstatt, Umkleide- und Sanitätsräume, Massage- und Aufwärmräume, Anlegestege an den Bootshallen (je 45 x 3 m), Plattform für Siegerehrungen, Anlegesteg im Zielbereich (65 x 3 m) Tribünenplätze: 350 Parkplätze: 8 mit insgesamt 3 500 Plätzen Veranstaltungen: Ruderweltmeisterschaft 1998 www.koelner-regattaverband.de her. Einmal, da war er schon richtig gut und richtig bekannt, ruderte er wieder mal seine üblichen 20 Kilometer, als plötzlich „aus dem Nichts ein Fisch von monströser Erscheinung und Größe“ neben dem Boot auftauchte: lang gestreckter Körper, großer, breiter Kopf, glatte, schleimige, schuppenlose Haut, ungefähr so groß wie ein kleiner Hai. Der 100-KiloKerl erschrak bis ins Mark und brach das Training ab. „Ich habe echt Schiss gehabt“, erinnert sich Volkert, der erst im Nachhinein erfuhr, dass im Fühlinger See ein mächtiger, aber harmloser Wels lebt. dem schwimmenden Eisenweg wankt keinen Millimeter. Das richtige Anlernen der Neulinge sei enorm wichtig, erklärt er geduldig, „damit sich Fehler gar nicht erst einschleichen“. Ansonsten hat Volkert nur gute Gefühle für den See, dem er auch seinen „schönsten Moment“ verdankt. Sicher, jeder Sieg fühlt sich toll an, die zwei Olympiasiege sowieso, aber Weltmeister werden im Doppelzweier auf heimatlicher Strecke, das ist dann doch noch mal was ganz Besonderes. National startete Volkert übrigens für den RTHC Bayer Leverkusen, für den er nach Feierabend noch heute als Übungsleiter zur Verfügung steht – für die Anfänger … Kleiner Exkurs für ebenfalls Ahnungslose: 1830 kommt ein neuer Sport über den Ärmelkanal nach Deutschland: Rudern. Britische Kaufleute gründen in Hamburg einen Club und nach und nach lassen sich die Hanseaten von dem Treiben dort anstecken. 1883 gründet sich der Deutsche Ruderverband, der heute zu einer der bundesweit erfolgreichsten Sportorganisationen zählt. Man denke bloß an den Deutschland-Achter – eine Ikone des nationalen Sports! Richtig, Rudern muss man lange lernen, es ist anspruchsvoll, eine Kunst geradezu, für die Kraft und Ausdauer bei Weitem nicht das Wichtigste sind. Entscheidender ist die Technik, seine Power ins Wasser zu bringen. Ying und Yang, Spannung und Entspannung, Energie und Ruhe, vor und zurück – so ungefähr funktioniert das Rudern. Der Verein leistet sich einen Ausnahmeruderer, um Anfänger zu trainieren? Mittlerweile am Startsteg ausgestiegen, schauen Gümpel und seine Passagiere in Richtung Ziel. Die Frage entlarvt die umwerfende Unkenntnis der Fragenden, aber Volkert auf Und ausgesprochen gesund ist es auch. Das Training: eine Wohltat für Herz und Kreislauf. An der frischen Luft wird obendrein nahezu jeder Muskel trainiert. Und all dies bei geringem Verletzungsrisiko. Man kann bis ins hohe Alter rudern, allein, zu zweit stephan volkert 99 Rudersport hinter den Kulissen: Blick in Werkstatt und Bootsschuppen. Stand: 05/2011 oder mit einer ganzen Mannschaft. Es muss ja nicht immer der schnelle Kick sein. Jemand auf der Suche nach einer tollen Sportart für die Kinder? Versucht’s mal mit Rudern. Später wird Volkert erwähnen, er habe ADHS, das Zappelphilippsyndrom, von dem bei Kindern heute so viel die Rede ist. Vielleicht hat ihm das Rudern geholfen, im Leben so gut zurechtzukommen. Möglich auch, dass es an der Zeit ist, ADHS nicht bloß als Plage, sondern auch als Chance zu begreifen. Wer ständig in Bewegung sein muss, wird tägliches körperliches Leistungstraining jedenfalls selten als Schinderei empfinden. Aber das nur nebenbei. Selbstverständlich verfügt die Regattabahn am Fühlinger See auch über weiteres standesgemäßes Wettkampf-Equipment: eine Ampelstartanlage etwa, die neben dem optischen auch ein akustisches Startsignal erzeugt. Zuschauer können dank einer speziellen Lichttechnik das Startkommando selbst vom Zielbereich aus gut erkennen. Moderne Zwischenzeit-Messgeräte entlang der Strecke informieren während des Rennens über den aktuellen Stand. Und am Schluss gibt eine moderne Fotofinish-Kamera, die selbst kleinste zeitliche Abstände beim Zieleinlauf erfasst, zweifelsfrei Auskunft über das Ergebnis. Rudern. Ob man es selbst auch mal probieren könnte? Boote und Top-Trainer sind praktischerweise greifbar, da wäre doch jetzt der ideale Moment. „Vergessen Sie’s“, lacht Volkert. Wer nicht sofort ins Wasser kippen wolle, sei gut beraten, erst mal auf dem Land zu üben. Bevor sich ein Neuling halbwegs entspannt im Boot halten kann, braucht er drei Trainingseinheiten im Trockenboot. Zurück mit dem Boot zum Ausgangspunkt. Olympiasieger Volkert hilft – Ehrensache! – dem Fotografen beim Schleppen der Ausrüstung, Gümpel macht auf Wunsch noch einen kleinen Rundgang, gewährt Einblick in Fitness- und Krafträume, Büros, Bootshäuser, Schuppen und Werkstätten. Im mittlerweile sanften Abendlicht hoppeln Kaninchen über die Wege. Gümpels großes Reich – ein geradezu verwunschener Ort. Man möchte glatt bleiben. Manchmal ist Arbeit schöner als Ferien. „Zumindest habe ich“, sagt Gümpel beim Abschied vom Fühlinger See, „den schönsten Job von ganz Köln.“ Erneuter Blick aufs Wasser, auf dem fröhlich gelbe Ballone schwimmen. Gümpel erzählt, wie er im Frühjahr mit den mehr als 2 000 Bojen die Bahnen exakt markiert. Zwei bis drei Tage dauert das. Bobbahn | Winterberg 100 rené spies 101 Würstchenduft unter dem Helm BOB- UND RODELBAHN WINTERBERG. Europameister René Spies freut sich auf die Weltmeisterschaften 2015 in Deutschlands schnellster Eisröhre. M anchmal hilft einfach ein Eimer weißer Farbe, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Nicht, dass wir … Nein, hier geht alles mit rechten Dingen zu, hier wird nicht gefälscht. Nur, es ist schon Frühling in Winterberg und eigentlich bräuchten wir Winter. Das macht aber weder René Spies noch unserem Fotografen etwas aus. Der erfolgreichste Bobpilot in der Geschichte des Bob- und Schlittensportclubs Sauerland Winterberg steht nicht im Eiskanal, sondern in einer eben weiß getünchten Betonrinne – ohne Eis. Längst sind die Kältemaschinen ausgeschaltet, nach fünf Monaten Dauerbetrieb ist die Saison beendet. Also Frühling in Winterberg. Ein Tag im April. Hier oben auf der Kappe in fast 800 Metern Höhe bei knapp null Grad Celsius fegt der Wind ziemlich frisch um die Haarspitzen und die meiste Zeit schüttet es auch noch wie aus Eimern. René Spies, blonde Haare, Dreitagebart, nimmt’s gelassen. Der ehemalige Europameister und zweifache Olympiateilnehmer agiert als inoffizieller Botschafter für den Winterberger Bobsport und für Winterberg selbst. Nur einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt sein Elternhaus in der Winterberger Ortschaft Lenneplätze. Auf der Kunsteisbahn hat er sich im Alter von 16 Jahren zum ersten Mal in einen Bob gesetzt, hier wurde er 2003 Europameister im Zweierbob. Nach mehr als 15 Jahren Leistungssport und einer nicht verheilenden Oberschenkelverletzung beendete Spies 2007 seine aktive Karriere. Mittlerweile arbeitet er als verantwortlicher Bundestrainer für den Stützpunkt Winterberg und wohnt mit seiner Familie gleich nebenan, in seiner Heimatstadt. Wir sind mit dem 39-Jährigen auf dem Hügelzug verabredet, genau dort, wo der Bobsport in Winter- berg 1910 mit dem Bau einer Natureisbahn begann. Hier standen das erste Starthäuschen und das Clubhaus. Zutritt hatten zu jener Zeit nur Mitglieder und aktive Sportler. Der Bobsport war in seinen Anfängen, so erfahren wir, wohl eine recht elitäre Veranstaltung. Heute ist das „Bobhaus“ ein Restaurant und beliebtes Ausflugsziel für die vielen SauerlandTouristen. René Spies verfügt natürlich über den Schlüssel, genauer gesagt eine Chipkarte, die nach anfänglichem Zicken das Eisentor zur Bobsportanlage öffnet. Der Bobsport war in seinen Anfängen wohl eine recht elitäre Veranstaltung. Rund 1,6 Kilometer schlängelt sich die Bahn mit ihren 15 Kurven hinunter ins Tal. Vor uns liegt der Startbereich, ein luftiges und transparentes Gebäude mit mintfarbenen Fensterrahmen und Türen, das sich kufenförmig an den Hang anzuschmiegen scheint. 3,3 Millionen Euro wurden 2005 und 2006 in die Modernisierung investiert. Seitdem starten die Bobs auf der Talseite mit der Folge, dass auch die Startkurve eine neue, anspruchsvolle Linienführung bekam. Die sogenannte Kurve 0 sei durch einen kleinen Knick fahrtechnisch recht schwierig geworden, berichtet Experte Spies. Mit der Überdachung der Abstellflächen und Starttrassen für Bobs und Skeletons können die Athleten nun ihre Kufen im Trocknen montieren, egal ob’s regnet oder schneit. Die Rennrodel-Herren-Einsitzer starten vom Startturm oben, die Damen-Rodler eine Etage tiefer. Der Rodel-Doppelsitzer startet erst in Kurve 4. Viele Informationen für jemanden, der froh ist, nach dem Einführungsseminar mit René Spies zwischen Rodel, Bob und Skeleton unterscheiden zu können. Bobbahn | Winterberg 102 Nun aber zum Besonderen: Experten wissen es natürlich, die Bahn im Hochsauerland ist die schnellste in ganz Deutschland. Tschüss Altenberg, Königssee. Und dann der Abschnitt zwischen Kurve 6 und 7. Nirgendwo anders als in Winterberg weht der Duft von frischen Grillwürstchen unter die Helme der mit Spitzengeschwindigkeiten vorbeirasenden Piloten. Die Schlitten erreichen an dieser Stelle Spitzengeschwindigkeiten von 130 bis 135 Kilometern in der Stunde. In den Steilkurven wirken Kräfte bis zur fünffachen Erdbeschleunigung auf die Fahrer. Achterbahnfahren ist dagegen eine Spazierfahrt. Wenige hundertstel, ja manchmal sogar nur tausendstel Sekunden entscheiden, wer nach zwei oder vier Wertungen einen Lauf der Formel 1 des Wintersports gewonnen hat. Oft wird das Rennen schon beim Start entschieden – deshalb sitzen heute kräftige und sprintstarke Athleten auf den Plätzen hinter den Piloten. In Winterberg erleben die Zuschauer seit dem Umbau des Startbereichs die Kufenstars in ihren knatschengen Anzügen hautnah, sie sind nah dran. „Wenn die Anspannung unmittelbar vor dem Start in lautstarke Emotionen umschlägt, ist das selbst für Insider immer wieder ein tolles Gefühl“, sagt René Spies. Seit dem Umbau des Startbereichs sind die Zuschauer ganz nah dran an den Sportlern und erleben deren Emotionen unmittelbar vor dem Start. Die Bahn im Hochsauerland ist die schnellste in ganz Deutschland. 20 Jahre nach der letzten Herrenbob-WM in Winterberg fahren die Kufenstars im Jahr 2015 ihre Bobund Skeleton-Weltmeisterschaft wieder in Winterberg aus. Für diese Großveranstaltung soll zusätzlich auch der Zielbereich erweitert werden, um das Publikum näher an die Sportler heranzurücken, sagt Alois Schnorbus, erster Vorsitzender des BSC Winterberg und natürlich ehemaliger Bobpilot. Aber er ist viel mehr: Schnorbus war der erste nordrheinwestfälische Sportler, der bei Olympia in einem deutschen Bob Platz nehmen durfte. Nun geht’s noch eine Etage höher, ins Obergeschoss des Starterhauses, in den sogenannten Panorama- rené spies 103 In den Anfängen stürzten sich die Bobfahrer noch ohne schützende Verkleidung Die ersten Bobrennen in Winterberg fanden seit 1910 auf einer Natureisbahn statt – den Hang hinunter und lenkten das luftige Gefährt mit einem Rad, nicht an Seilen wenn die Witterung es zuließ. wie heute. raum. Bei schönem Wetter lässt sich weit über die Gipfel der Sauerländer Berge blicken. Ein Ort, an dem René Spies mal ganz locker erzählen kann, dass er die erfolgreiche Sportkarriere seinem Bruder Sven zu verdanken hat. Der stürzte sich bereits vor ihm mit dem Bob die Kurven hinunter und hat ihn mal mitgenommen zur Bahn. „Da wollte ich ihm zeigen, dass ich das besser kann als er“, erzählt René Spies. Mehr nicht. Er sei in den Bob gestiegen und einfach losgefahren, meisterte sowohl die für Anfänger schwierige Kurve 9, in der es oft zu Stürzen kommt, als auch das Labyrinth auf Anhieb. Spies kann sich noch genau an das Gefühl erinnern. „Danach war ich erst mal erleichtert, dass es vorbei war. Erst nach sieben bis acht Läufen fing es an, Spaß zu machen.“ Der Spaß an der Geschwindigkeit, der Reiz, die Kurve richtig zu erwischen und die Bahn zu „lesen“, ließen ihn fortan nicht mehr los. Statt für Langlauf, Biathlon und Fußball trainierte er an seiner Bobathleten-Figur. „Die Rasanz und die Geschwindigkeit, mit der man mit den Bobs die Bahn runterfährt, aber auch das Zusammenspiel einzelner Mannschaftsmitglieder und die Teamharmonie haben mich begeistert. Alles zusammen mit dem fahrerischen Können des Piloten und der Materialkomponente ergibt für mich die Faszination dieses Sports.“ Und was macht der Bobpilot und Winterberg-Lobbyist im Sommer? Er zeigt den Berg hinunter: Mehrere Bagger wühlen das Erdreich auf. Der angrenzende Bikepark rüstet zum Saisonstart: Europas größtes Mountainbike-Festival steht auf dem Programm. Im Juni treiben die Zweiradartisten ihre Sportgeräte durch die Bob- und Rodelbahn. Bei der „Bobbahn Challenge“ entscheiden auch Bruchteile von Sekunden. Allerdings geht’s dann die Rinne rauf, nicht runter. Wenn Sommer ist in Winterberg. bobbahn winterberg Adresse: Kapperundweg, 59955 Winterberg Eröffnet: 1910 als Natureisbahn, 10. Dezember 1977 als Kunsteisbahn für Bob und Rodel Umbauten: 1986 und 2005 Gesamtlänge der Bahn: 1 609 m Kurvenzahl: 15 (Bob, Rodel Herren und Damen, Skeleton), 11 (Rodel Doppelsitzer) Gefälle: 9,8 Prozent Durchschnittsgefälle, 15 Prozent Maximalgefälle Höhenunterschiede: Bob, Rodel Herren und Damen 110 m, Rodel Doppelsitzer 90 m Besonderheiten: Über 100-jähriges, geschichtsträchtiges Bestehen, „Taxibob“ (Besucher dürfen in einem Viererbob mitfahren) Veranstaltungen: Erste Bob-Europameisterschaft 1914, nationale und regionale Bobrennen von 1920 bis 1965, Weltcup-Rennen der Rennrodel sowie Bob- und Skeletonschlitten, Weltmeisterschaft im Bob 2015 www.bobbahn.de gespräch 104 Nordrhein-Westfalens Sportministerin Ute Schäfer und der Präsident des Landessportbundes (LSB) Walter Schneeloch im Gespräch über die Bedeutung des Sportlandes NRW, den nationalen Vergleich und die internationale Positionierung. „Ganz vorn dabei“ Frau Ministerin, Herr Präsident, Nordrhein-West falen stellt fast 30 Prozent des deutschen Teams bei den Olympischen Sommerspielen in London. Entspricht das Ihren Zielen und Erwartungen? Ute Schäfer: Ich bin sehr zufrieden. Wir fahren mit einem starken Team von 113 Sportlerinnen und Sportlern nach London. Ob Badminton, Fechten, Tischtennis, Reiten, Hockey oder Rudern und natürlich die Leichtathletik – wir sind fast überall und ganz vorn dabei. Ich finde es natürlich schade, dass unsere Mannschaften aus Fußball, Handball und Basketball sich nicht qualifizieren konnten. Dann wären es sogar noch mehr als die 113 Sportlerinnen und Sportler aus NRW gewesen. Walter Schneeloch: Unser Team dokumentiert die große Breite des Spitzensports in NordrheinWestfalen. Wir können in der Spitze nur gut sein, wenn wir in der Breite die Grundlage schaffen. Dort sind wir gut aufgestellt mit fünf Millionen Mitgliedern in 20 000 Vereinen. Wir sind in London genauso stark wie in Peking, dort haben wir ein Drittel der deutschen Medaillen geholt. Das ist doch ein Ziel, das unsere Sportler wieder anstreben sollten. Wie wichtig sind denn Medaillen für Sie als Verantwortliche des Breiten- und Spitzensports im Land? Ute Schäfer: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich freue mich und bin auch ein wenig stolz, wenn unsere Athletinnen und Athleten siegreich aus London zurückkehren. Weil wir dadurch natürlich das Ansehen unseres Landes erhöhen. Und weil deutlich wird, dass wir mit unserem Sportland NRW und mit unserer Sportförderung den richtigen Weg gehen. So werden viele neu für den Sport begeistert. Walter Schneeloch: Medaillengewinne bei Olympischen Spielen waren und sind wichtig. Sie drücken nicht nur die Leistungsstärke eines Teams aus, sondern spornen auch den Nachwuchs an. In anderen Ländern werden Sportler immer mehr und intensiver gefördert, weil der Erfolg auch auf das gesamte Land abstrahlt. Diese Beobachtung mache ich nicht nur in China, sondern in vielen anderen Staaten. Was bedeutet das für die Sportpolitik des Landes? Ute Schäfer: Wir haben mit dem LSB, der Sportstiftung und den Olympiastützpunkten das lang fristige Programm „Leistungssport 2020“. In der Umsetzung haben wir in den letzten Jahren die Förderung von Spitzensportlerinnen und -sportlern ausgebaut – durch Trainerstellen und neue Wege der Förderung der dualen Karriere in Schule und Hochschule. Wir haben das Ziel, bis 2017 18 NRW-Sportschulen zu entwickeln. Ute schäfer | walter schneeloch 105 Walter Schneeloch: Gerade um diese Ergeb nisse zu erreichen, unternehmen wir große Anstrengungen in NRW. Der LSB fördert unsere Eliten. Zudem stattet die NRW-Sportstiftung unsere Medaillenkandidaten finanziell gut aus, Edelmetall wird zudem noch extra prämiert. Ein toller Ansporn für Spitzenleistungen. Das belegt die gute Zusammenarbeit aller Institutionen, die sich für den Sport in NRW engagieren. Hört sich so an, als wären Sie wunschlos glücklich mit der Situation in NRW. Walter Schneeloch: Wir sind in Nordrhein-Westfalen auf einem sehr guten Weg in der Förderung des Spitzensports, das ist richtig. Aber wir könnten natürlich noch viel mehr Unterstützung gebrauchen, vor allem von Unternehmen des Landes. Wir sind froh, dass sich in Nordrhein-Westfalen Unternehmen wie Bayer Leverkusen oder ARAG so für die Förderung des Spitzensports einsetzen. Aber wir brauchen mehr Unterstützer, um langfristig den Sport und die Athleten auf höchstem Niveau zu halten. Ute Schäfer: Obwohl das Land viel tut, sind manche Aktivitäten und Veranstaltungen nur mit Unterstützung der Wirtschaft möglich. Ich denke an das vollständig privat finanzierte Gerry Weber Stadion mit dem ATP-Turnier in Halle oder an die hochklassi- gen Sportanlagen in Leverkusen. Mehr Unterstützung aus der Privatwirtschaft für die Förderung des Sports sehen wir in der Politik natürlich gern, insbesondere wenn jungen Menschen Ausbildung und Leistungssportkarriere gleichzeitig ermöglicht wird. Oder wenn mehr Vereine durch neue Sponsoren ganz oben mitmischen können. Eine solch große Dichte von internationalen Wettkampfstätten wie in Nordrhein-Westfalen findet man selten in Europa. Ute Schäfer: Ja, das ist wirklich herausragend. Und ich freue mich, dass wir unsere Sportstätten für internationale Wettkämpfe und Meisterschaften in London – im Deutschen Haus – präsentieren werden. Das Sportland NRW ist ein Markenzeichen. Es steht für Spitzenleistung und für Spitzeninfrastruktur, für intensive Talentförderung und für attraktiven Breitensport. Walter Schneeloch: Beachten Sie nur die großartige Stadionlandschaft im Fußball. Das ist weltweit einmalig. Nordrhein-Westfalen könnte mit seinen Arenen allein eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten. Und dass wie in der Saison 2012/13 gleich drei Mannschaften aus einer Region in der Champions League antreten, hat es auch noch nicht gegeben. Das ist einzigartig. impressum 106 Herausgeber Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 4, 40213 Düsseldorf Telefon: +49 211 837-02 [email protected] www.mfkjks.nrw.de Gesamtverantwortung Werner Stürmann Projektleitung Nils Klagge, Harald Pfenner Chefredaktion Karl-Heinz Steinkühler (V.i.S.d.P.) Art-Direktion Beate Korenjak Chef vom Dienst Gabriela Schöne Autoren Jens Frantzen, Claudia Jacobs, Kristina Klusen, Karl-Heinz Steinkühler, Thomas van Zütphen Fotos Oliver Krato (74) Lektorat Susanne Creutz Videos http://21vonuns-blog.de/ Matthias Schwarzer Druck Druckstudio GmbH, Düsseldorf Konzeption und Produktion steinkuehler-com.de Bildnachweise © dpa-Report, Bernd Tissen S. 10 | ©dpa, Jochen Lübke S. 10 | picture alliance, Sven Simon (4) S. 10 + 11 | Arena Management GmbH S. 14 | Mit freundlicher Genehmigung des FNverlags, Warendorf, entnommen aus: „Halla, meine Pferde und ich“ von Hans Günter Winkler, FNverlag, Warendorf, 2007 S. 21 | GWW (3) S. 30 | picture alliance, augenklick/firo Sportphoto S. 43 | ©epa, Arne Dedert S. 47 | Pressebilderdienst Horst Müller S. 47 | ©dpa, Elmar Hartmann S. 47 | picture alliance/akg-images, Archiv Mehrl S. 48 | Schalke 04 S. 49 | Pressebilderdienst Horst Müller S. 51 | Ovelgoenne GbR (Anke Hesse & Jan Ovelgoenne) S. 52 | picture alliance, Sven Simon S. 52 | Holger Klaes S. 52 | Stadtarchiv MG S. 52 | DSC Arminia S. 55 | ©picture alliance/dpa S. 55 | © dpa, Hertmut Reeh S. 57 | Kölner Sportstätten GmbH S. 57 | ©firo sportphoto S. 59 | KS Verlag (3) S. 62 | Bayer 04 Leverkusen S. 62 + 63 | FC Schalke 04, Karsten Rabas S. 64 | Archiv Alemannia Aachen S. 65 | Alemannia Aachen (3) S. 65 | ©dpa, Rolf Vennenbernd S. 65 | Stadtarchiv Wuppertal S. 68 | Rochusclub S. 75 | Werner Ernst S. 80 | Otto Schneitberger S. 87 | Archiv Westfalenhallen S. 92 | Wueelle: BSC Winterberg S. 103 | LUMU S. 103 hinweis Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen herausgegeben. 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Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Auflage 10 000 Exemplare, davon 3 000 in Englisch Redaktionsschluss 30. Juni 2012 natureOffice.com | Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 4, 40213 Düsseldorf Telefon: +49 211 837-02 [email protected] www.mfkjks.nrw.de www.sportland.nrw.de