- Sportland NRW

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- Sportland NRW
Ministerium für Familie, Kinder,
Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen
21 von uns
Stadien und Arenen in Nordrhein-Westfalen
Treffpunkt des internationalen Spitzensports
Sportstars präsentieren ihre Wettkampfplätze
Lebensbildung
www.mfkjks.nrw.de
21 von uns
Steine können nicht erzählen. Beton, Stahl und Plastikschalen kriegen auch kein Wort raus.
Wie also sollen sich die einmaligen Sportstätten Nordrhein-Westfalens einer Weltöffentlichkeit vorstellen? Ganz einfach! Diese großartigen Sportplätze erinnern an fantastische
Sportler, die hier ihre Erfolge errungen und/oder viele Tausend Stunden harte Trainingsarbeit
geleistet haben. 21 von uns eben, 21 Sportlerinnen und Sportler aus Nordrhein-Westfalen.
Und die sollen mal erzählen.
Olympiasiegerinnen und -sieger, Weltmeister, Weltmeister-Trainer, Europameister, Medaillengewinner und Sportlegenden führen nun durch Stadien, Arenen, Wettkampfanlagen und
Sportschulen, die ein Aushängeschild für den Spitzensport in Nordrhein-Westfalen sind.
Und die in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Schauplätze von hochrangigen internationalen Wettkämpfen waren, sind und sein werden.
Ohne Fußball kein Sportland NRW. Und da es weltweit wohl nirgendwo in einer Region eine
solche Dichte von international bedeutenden Fußballstadien gibt wie in Nordrhein-Westfalen, haben wir eine „Elf“ aufgestellt, die in einem „Stadion-Extra“ in der Mitte des Heftes
ihre elf Fußball-Arenen vorstellt, von denen viele schon Schauplätze von Welt- und Europameisterschaften waren. Als Spielführer läuft der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes
auf, gefolgt von Weltmeistern, Europameistern, einem Champions-League-Gewinner und
anderen Meisterkickern.
inhalt
4
einundzwanz
ARENEN, STADIEN, ANLAGEN
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FRAGEBOGEN
6
Hannelore Kraft
Die Ministerpräsidentin
und ihr frühes Ballgefühl
SPORTLAND NRW
8Markenzeichen
Das Logo der Olympia-Bewerbung
wurde zur Klammer des Erfolgs
Lanxess arena | Köln
Handball-Weltmeistertrainer Heiner Brand
über Gänsehaut-Feeling unter dem Stahlbogen
16 Warsteiner Hockeypark | Mönchengladbach
Für Timo und Benjamin Weß war der WM-Titel
der schönste Erfolg in der schönsten Anlage
18 Reitstadion in der Soers | Aachen
Reiterlegende Hans Günter Winkler
führt durch sein „Wohnzimmer“
22 Golf Club Gut Lärchenhof | Pulheim
Profigolfer und Weltreisender Marcel Siem
spielt einmal im Jahr vor seiner Haustür
26 Leichtathletikhalle | Leverkusen
Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel
schwärmt von einmaligen Bedingungen
28 Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen
Unternehmer und Sportmäzen Gerhard Weber
über seine Idee des deutschen Wimbledon
32 Lohrheidestadion | Bochum
Weltmeisterin Sabine Braun ist in Deutschlands
Leichtathletikstadion Nummer eins zu Hause
36 Sportschule Wedau | Duisburg
Die Karriere von Fußball-Weltmeister Berti Vogts
und die Rasenplätze in Duisburg
40 Regattabahn | Duisburg
Die Wedau ist das Lieblingsgewässer von
Doppelolympiasieger Thomas Reineck
66 Stadtbad Schwimmoper | Wuppertal
Wo Simone Osygus schon mit fünf Jahren
ihre ersten Bahnen geschwommen ist
70 Sportschule Hennef
Fußball-Weltmeister Wolfgang Overath
kickt noch heute auf dem grünen Hügel
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ig von uns
STADION-EXTRA
72 Rochusclub | Düsseldorf
Für Eric Jelen ist der feine Club
eine der schönsten Anlagen der Welt
76Deutsches Tischtennis-Zentrum | Düsseldorf
Wo Weltmeister und Bundestrainer Jörg Roßkopf
seinen Starspielern den letzten Schliff beibringt
78Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf
In einer kleinen Dachstube begann die Karriere
von Dressur-Olympiasiegerin Nicole Uphoff-Selke
82 Schießsportanlage | Dortmund
Das Revier des vierfachen Olympiateilnehmers
Maik Eckhardt liegt unter Tage
84ISS Dome | Düsseldorf
Eishockey-Legende Otto Schneitberger verpasst
kein Spiel auf der glatten Fläche der neuen Arena
88 SportCentrum | Kamen-Kaiserau
Der „besondere Geist“ des Trainingsquartiers ist für
Olaf Thon einer der Gründe für den WM-Titel 1990
90 Westfalenhallen | Dortmund
50 Welt- und Europameisterschaften – und die
Winterlaufbahn für Olympiasiegerin Annegret Richter
94 Lipperlandhalle | Lemgo
Mit Volker Zerbe wurde das kleine Städtchen
zum nationalen Zentrum des Handballsports
96 Regattastrecke Fühlinger See | Köln
Ruderweltmeister Stephan Volkert kann auch
nach Karriereende nicht vom See lassen
100Bobbahn | Winterberg
Europameister René Spies freut sich auf die
Weltmeisterschaften in der schönsten Eisröhre
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elf von uns
Ein prominentes Fußballteam stellt die
großen Stadien in Nordrhein-Westfalen vor
44 Signal Iduna Park | Dortmund
Michael Zorc
46 Esprit arena | Düsseldorf
Wolfgang Niersbach
48 Veltins-Arena | Gelsenkirchen
Klaus Fischer
50 Schauinsland-Reisen-Arena | Duisburg
Bernard Dietz
52 Stadion im Borussia-Park | Mönchengladbach
Rainer Bonhof
54 SchücoArena | Bielefeld
Uli Stein
56 RheinEnergieStadion | Köln
Toni Schumacher
58rewirpowerstadion | Bochum
Dariusz Wosz
60Benteler Arena | Paderborn
Roger Schmidt
62BayArena | Leverkusen
Rudi Völler
64Tivoli | Aachen
Willi Landgraf
GESPRÄCH
104Ute Schäfer und Walter Schneeloch
Die Sportministerin und der Sportpräsident
über den Sportstandort Nordrhein-Westfalen
106Impressum
fragebogen
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„Familie mit Sportvirus infiziert“
Sind Sie eigentlich selbst sportbegeistert?
Heute schlägt Ihr Herz für den Fußball: Haben Sie
einen Lieblingsverein?
Ich liebe Sport, und zwar schon von Kindheit an.
Können Sie sich noch an Ihren ersten „Ballkontakt“ erinnern?
Ich bin seit über 30 Jahren Fan von Borussia
Mönchengladbach. Aber ich freue mich auch über
gute Spiele und tolle Erfolge der anderen Fußballvereine aus NRW.
Das war mit meinem Vater, der mich mit zu Fußballspielen von Rot-Weiß Essen genommen hat.
Wie oft schaffen Sie es, ins Stadion zu gehen?
Haben Sie sich in Ihrer Jugendzeit eher für Handball oder für Fußball interessiert?
So oft es der Terminkalender zulässt, bin ich in
Gladbach.
Ich habe selbst Handball gespielt, weil es in Mülheim
an der Ruhr keinen Fußballclub für Mädchen gab.
Sind Sie auch im Urlaub sportlich aktiv oder bevorzugen Sie es, zu relaxen?
Was waren Ihre größten sportlichen Erfolge?
Seit Jahren machen wir regelmäßig Familienfreizeit
im Sauerland mit dem Landessportbund.
Wir sind mit der A-Jugend 1979 Westdeutscher
Handballmeister geworden, später dann Dritte bei
den Deutschen Meisterschaften.
Halten Sie sich eigentlich selbst auch mit Sport fit?
hannelore kraft
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Hannelore Kraft,
Ministerpräsidentin von
Nordrhein-Westfalen
Ich gehe regelmäßig sehr früh am Morgen ins
Fitnessstudio.
Wie sportlich ist Ihre Familie?
Die ganze Familie ist mit dem Sportvirus infiziert.
Unser Sohn Jan spielt Basketball; mein Mann war
früher im Motorsport aktiv. Wir fiebern mit von
Biathlon bis Formel 1.
Welche Bedeutung hat der Olympiaort London für
Sie persönlich?
Während des Wirtschaftsstudiums habe ich auch
einige Semester am King’s College studiert.
Was ist für Sie außer sportlichen Höchstleistungen
noch wichtig bei den Olympischen Spielen?
Die Spiele sind auch toll für solche Sportarten, die
sonst nicht jeden Tag im Rampenlicht stehen.
NRW hat 21 Sportstätten von Weltrang, in denen
internationale Meisterschaften ausgetragen werden. Übernimmt der Sport für ein Land wie Nordrhein-Westfalen auch eine Botschafterfunktion?
Immer! Nicht nur für die Sportstätten, sondern
auch für die Vielfalt und Schönheit Nordrhein-Westfalens. Ein Besuch lohnt sich.
Auf welche sportlichen Großereignisse haben Sie
sich gefreut und für welche wird Nordrhein-Westfalen
in den nächsten Jahren als Gastgeber auftreten?
Mit der Eishockey-WM 2010, der Frauen-Fußball-WM
2011 oder der Tischtennis-Mannschafts-WM 2012
haben wir tolle Sportveranstaltungen erlebt. 2015
können wir uns auf die Reitsport-Europameisterschaft in Aachen und die Bob-Weltmeisterschaft in
Winterberg freuen.
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Die Klammer für den Erfolg
SPORTLAND NRW. Eine Region, die im Sport zusammenhält und
ein toller Gastgeber für internationalen Wettkampfsport in modernsten
Stadien und Arenen ist.
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M
anche Erfolgsgeschichte beginnt mit
einer Niederlage. Gerade im Sport.
Man denke da nur an die Fußball-Weltmeistertitel der deutschen Mannschaften. 1954 verloren die Herberger-Buben im Gruppenspiel sang- und klanglos 3:7 gegen die starken
Ungarn, um schließlich im Finale von Bern denselben Gegner mit 3:2 zu deprimieren. Oder 20 Jahre
später, Hamburg, 0:1 gegen die DDR, ausgerechnet,
das Prestigeduell. Anschließend 2:1 im Finale gegen
Holland. Ausgerechnet.
Blicken wir nach Nordrhein-Westfalen. Auch dort
gibt es solche Sportgeschichten zu erzählen. Dort,
wo der Erfolg im Fußball, in der Leichtathletik, im
Schwimmen, Hockey und Reiten an der Tagesordnung ist. Die Region zwischen Rhein und Weser, so
groß wie der Nachbar Niederlande, stellt regelmäßig ein Viertel des deutschen Olympiateams – im
Sommer zumindest. Olympiasieger und Weltmeister stehen zu ihrer Region, sie engagieren sich, sie
werben für dieses Land.
Sollte da nicht …? Ja. 2001 sammelte sich die Sportkompetenz des Landes hinter einer Idee: Olympische Spiele an Rhein und Ruhr. Echte Spiele aus einer Region sollten es werden – mit Düsseldorf als
Bewerberstadt. Wir alle wissen, die Spiele werden
nun in London ausgetragen. Denn die fantastische
Bewerbung aus NRW schaffte es im deutschen Wettbewerb nur auf Platz 3, hinter Leipzig und Hamburg –
eine politische Entscheidung. Und sicherlich konnte
der eine Oberbürgermeister nicht so wunderbar
Cello spielen wie der andere … Nun, der Ausgang der
Geschichte ist bekannt: Der Musiker gewann den
nationalen Entscheid und war im internationalen
Schaulaufen ohne Noten chancenlos.
Doch die Niederlage in der nationalen Ausscheidung
führte in der Sportpolitik bei Funktionären in Nordrhein-Westfalen zu einer Jetzt-erst-recht-Haltung.
Ähnlich wie Franz Beckenbauer 1974 seine Kameraden nach der desaströsen Niederlage gegen die damalige DDR wieder aufrichtete und zum WM-Titel
führte, standen Sportler und Macher auch in Nordrhein-Westfalen wieder auf.
Von einer erneuten Olympia-Bewerbung mag man
hierzulande zwar nicht sprechen. Aber: Das Sportland Nordrhein-Westfalen stand auf. Eine Einheit, ein
Zusammenhalt, den man so nicht erwartet hätte. Die
Akteure verkrochen sich nicht, sondern machten
weiter, bauten neue Sportstätten und Strukturen auf
und präsentieren sich in dem Jahr von Olympia 2012
so stark wie nie zuvor.
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Und selbstbewusst. Das Logo aus der verlorenen
Olympia-Bewerbung ist sogar geblieben. Ein bunter
Streifen wie ein von Miro angepinselter Barcode verbindet den Sport an Rhein und Ruhr.
Engagement von Privatunternehmern wie Gerhard
Weber. Er entwickelte auf der grünen Wiese am
Rande des Teutoburger Waldes das erste deutsche
Rasenplatzturnier für die internationale Tenniswelt.
Das Logo ist zum Markenzeichen geworden. Ein
Markenzeichen für das erfolgreiche Sportmanagement des Landes und seiner Verbände. Vor allem
der enge Schulterschluss zwischen Politik und dem
Landessportbund überzeugt, eine Kooperation, die
vor wenigen Jahren so noch nicht denkbar war und
möglich erschien.
Wir wollen nun nicht einzelne Menschen herausheben, die am Zustandekommen dieser eindrucksvollen Entwicklung des Sports beteiligt waren. Es haben
viele mitgemacht, eine große Anzahl aktiver und früher aktiver Sportler, Leitfiguren ihrer Vereine und des
Sports in NRW haben sich beteiligt. Unternehmer und
Sponsoren, Vertreter der Medien. Ohne sie und ihre
Bereitschaft zu weiterem Engagement wäre es wohl
nicht möglich gewesen, das Sportland NRW national
und international als herausgehobenen Sportplatz
zu etablieren und zu positionieren.
Aus diesem Wiesenturnier ist eines der weltweit bekannten und besten Turniere auf der ATP Tennis-Tour
der Herren geworden. Das zeigt nicht nur den Mut
von Unternehmern, in den Sport zu investieren.
Auch die Zuschauerbegeisterung in Ostwestfalen
hat dazu beigetragen, dass Weber auf diese Wiese
das Gerry Weber Stadion mit einer Kapazität von
mehr als 11 000 Zuschauern setzen konnte und dem
Sportpalast noch ein bewegliches Dach spendierte.
Damit war nicht nur Tennis auf dem Rasen von Halle
möglich – ab 2014 dann auch noch ein hochkarätiges Damenturnier –, sondern auch Boxen, Handball,
Basketball, Eiskunstlauf. Die Handball-Weltmeisterschaft oder Henry Maskes Box-WM-Kämpfe sind nur
einige Belege für dieses großartige private Engagement für den Sport im Sportland NRW. So wie Weber
vor fast zehn Jahren die Olympia-Bewerbung unterstützte, ist er heute noch immer dabei: als Mitglied
im Kuratorium der Sportstiftung.
Dennoch darf man wohl Doppelolympiasiegerin
Heide Ecker-Rosendahl nennen, die als Vorsitzende
des Bewerbungskomitees bereit war, sich ehrenamtlich weiter zu engagieren für den Sport in NRW. Oder
was wäre der Sport in Nordrhein-Westfalen ohne das
Ein kleiner Rückblick auf die vergangenen Jahre:
2006 die Fußball-Weltmeisterschaft, ein Sommermärchen, das in Köln, Gelsenkirchen und Dortmund
tolle Spiele und fantastische Fans erlebte. Die Gastmannschaften, die an Rhein und Ruhr ihr Trainings-
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camp aufschlugen, wie die Spanier in der Sportschule Kaiserau oder die Italiener in Duisburg,
fühlten sich geherzt von der Gastfreundschaft. Im
selben Jahr noch kamen die besten Hockeyteams
der Welt zur ihren Championships in den Hockeypark von Mönchengladbach. Ein weiteres Sommermärchen mit deutschem Weltmeistertitel. Und die
Aachener Soers sah ebenfalls 2006 tolle Wettkampfwochen bei den Weltreiterspielen. Nur ein
Jahr später war schon die Handball-Weltmeisterschaft in Nordrhein-Westfalen, mit Spielen in der
Westfalenhalle Dortmund, im Gerry Weber Stadion, in der Lipperlandhalle in Lemgo und mit dem
Finale in der Lanxess arena zu Köln. 2011 kamen
die Fußballerinnen nach Nordrhein-Westfalen: Die
FIFA Frauen-Weltmeisterschaft mit den Spielorten
Bochum, Leverkusen und Mönchengladbach zeigte
die besondere Stimmung im Fußballland NordrheinWestfalen. Im Frühjahr 2012 gastierten dann die besten Tischtennisspieler der Welt in der Dortmunder
Westfalenhalle, um in Timo Bolls Heimat die Mannschafts-Weltmeisterschaft auszuspielen.
Und so geht es weiter, die Zukunft verheißt spannenden internationalen Wettkampfsport mit der einen
oder anderen Überraschung: Denn dass NordrheinWestfalen auch eine Wintersportregion ist, weiß
man offensichtlich nicht nur bei den schnee- und
skifahrverrückten Nachbarn aus den Niederlanden,
die im Winter zu Tausenden auf die Pisten des Sauer-
landes abfahren. Auch die Formel 1 des Wintersports
bringt jedes Jahr ihre schnellen Bobs zu WeltcupRennen nach Winterberg. 2015 darf die rasante und
kurvenreiche Eisröhre die Weltmeisterschaften
ausrichten. Im selben Jahr trifft sich die Reiterelite
in der Aachener Soers zu ihrer Europameisterschaft, um erstmals in fünf Disziplinen – Springreiten, Dressur, Reining, Fahren und Voltigieren –
die Champions zu küren.
Die Welt des Sports ist eingeladen. Das Sportland
NRW ist bereit für viele weitere internationale Wettkämpfe.
lanxess arena | köln
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heiner brand
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Wenn nicht hier, wo dann?
LANXESS ARENA. Handball-Weltmeistertrainer Heiner Brand und
das Gänsehaut-Feeling beim Betreten von Deutschlands größter Halle.
M
anchmal ist es erst die Kombination von
Dingen, Begebenheiten oder Eindrücken,
die bei Menschen heftige Emotionen auslöst. Gänsehaut zum Beispiel. Im Normalfall würden die auf dem Kölner Willy-Brandt-Platz
verbauten 120 000 Kubikmeter Beton den ehemaligen
Handballtrainer Heiner Brand völlig kaltlassen. Auch
wenn daraus in 27-monatiger Bauzeit Mitte der 90er
Jahre die größte Veranstaltungshalle Deutschlands
entstanden ist – die Lanxess arena. Nach der O2 Arena in London die zuschauerreichste Arena weltweit.
Doch in seinem persönlichen Reiz-Reaktions-Schema
gibt es eine Kombination, die die Haare auf Brands
Unterarmen nahezu reflexhaft aufrichtet. „Piloerektion“ nennen Mediziner das und sprechen von einem
physiologischen Mechanismus. Bei Heiner Brand, 60,
ist es die Kombination aus Lanxess arena und der
Frage: „Wenn nicht hier, sag mir wo und wann?“
Von 19 000 begeisterten Zuschauern siegestrunken
mitgesungen, wurde das Lied der Kölner Stimmungsmacher „De Höhner“ am 4. Februar 2007 zu einer
Hymne an das Handballspiel. An eine Mannschaft.
Und an einen Mann, den dieser Sport groß gemacht
hat wie keinen anderen in Deutschland. Denn auf dem
Spielfeld der „Kölnarena“, wie sie damals hieß, hatten
Heiner Brand und seine Mannschaft die Frage der
Höhner endgültig beantwortet. Im „Tollhaus am Rhein“ –
so die Tageszeitungen anderntags – wurden sie Weltmeister. Und Heiner Brand war der erste Handballer,
der als Spieler und als Trainer WM-Gold gewonnen hat.
Sukzessive hatte die DHB-Auswahl in den Tagen zuvor
die Fieberkurve in der Halle nach oben getrieben. Mit
Emotion, Leidenschaft und knappen Siegen. Gegen
Titelverteidiger Spanien und den erst nach zweifacher
Verlängerung niedergerungenen Europameister aus
Frankreich. Mit Losglück hatte Deutschland schon
Viertel- und Halbfinale in Köln austragen dürfen.
„Das war Kampf, Herz und sich durchbeißen“,
schnaufte der Mann mit dem Walrossbart hinterher
und räumte ein: „Man kann nicht sagen, dass wir
spielerisch besser waren. Aber die Leidenschaft meiner Jungs auf dem Spielfeld und die Stimmung auf
den Rängen – ich hab das hier und heute genossen.“
Das „hier“ war ihre Halle.
„Henkelmännchen“ nennen Einheimische
die Anlage liebevoll.
Zumindest im Februar 2007. Denn originär ist die
Lanxess arena Heimspielstätte der „Haie“, des traditionsreichen Kölner Eishockey-Clubs KEC. Schon
bei zwei Weltmeisterschaften (2001 und 2010) konnte die Halle zeigen, dass die Gastgeberrolle für hochkarätigen Eishockey-Sport eine ihrer vornehmsten
Aufgaben ist. Und es waren die Kölner Truntschka,
Sikora und de Raaf, die die Halle noch vor der offiziellen Eröffnung einweihen durften – im September
1998, im Bundesligaspiel gegen die Frankfurt Lions.
Mit 6:3 fegten die neuen Hausherren den Gegner
vom Eis – dem 30 x 60 Meter großen Fundament,
auf dem Eishockey in Köln seine fast 70-jährige Tradition seither fortsetzt. Die Erinnerung an Spieler, die
hier zu Ikonen wurden, hält der Club buchstäblich
hoch. Torwart Josef Heiss, die verstorbenen Ralph
Philipp und Robert Müller, aber auch Kölns RekordBundesligaspieler Mirko Lüdemann sind nur einige
der Cracks, deren Trikots seit dem 26. September
2010 vom Ehrenplatz unter dem Hallendach aus daran erinnern, was sie für das Hockey auf Kölner Eis
geleistet haben.
lanxess arena | köln
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Als „Henkelmännchen“ aus 120 000 Kubikmetern Beton, 40 000 Tonnen Stahl und 140 000 Quadratmetern Glas
Die Umkleideräume des Kölner Eishockey-Clubs –
machten die Kölner die Lanxess arena zum lieb gewordenen zweiten Wahrzeichen ihrer Stadt.
der Garderobenplatz des aktuellen Haie-Torhüters
Youri Ziffzer gehörte während der Handball-WM
2007 Bundestrainer Heiner Brand.
Und in deren „Allerheiligstem“ – den Umkleideräumen des KEC – saß am 4. Februar 2007 Heiner
Brand. Wenn man reinkommt unter dem ersten
Kleiderhaken gleich rechts. In der Box, die heute
KEC-Keeper Youri Ziffzer nutzt.
Welche Fragen gehen einem Trainer durch den Kopf,
der nur noch Minuten Zeit hat, um seine Truppe einzustimmen? Auf das Größte, was sie in einer mit
24 Mannschaften besetzten WM erreichen kann. Wenn
nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht hier, sag mir wo
und wann?
Wenn nicht wir, wer sonst? – Zum wievielten Mal eigentlich (?) spielten „De Höhner“ oben in
der Halle den Turnier-Gassenhauer, diesmal aber live
vor erwartungsfrohen Rängen. Nervig? „Nein, genau
das Gegenteil“, versichert Brand. „Denn jede Zeile
dieses Lieds bringt auf den Punkt, welche Chance wir
hier hatten.“ Und in jeder Zeile steckt auch ein wenig
Herzblut von Heiner Brand. Nur auf seine Initiative
und erst in der Aufwärmphase des WM-Turniers ist
das Lied überhaupt entstanden, zu dessen größter
Bühne die Kölner Arena später werden sollte.
Gemeinsam mit De-Höhner-Schlagzeuger Janus
Fröhlich, einem Freund seit mehr als 30 Jahren, entwickelte Heiner Brand drei Tage vor Weihnachten
2006 den Text, „die Geschichte, die wir erzählen wollten“. Im Silvesterurlaub ging die Combo ans Komponieren und nach letzten Textkorrekturen – erst wenige Tage vor dem Eröffnungsspiel – stand die finale
Version. Und im Finale, jetzt, zweieinhalb Wochen
später, ging es gegen Polen. Ausgerechnet.
Zu Polen hat die Lanxess arena eine ganz eigene
Verbindung. Denn dass sich die Multifunktionshalle
im Stadtteil Deutz, also auf der „Scheel Sick“ der
Stadt, dennoch zum zweiten Wahrzeichen Kölns entwickelt hat, ist dem Stahlbogen zu verdanken, der
sich 240 Meter weit über die Halle schwingt. Er trägt
das Arena-Dach mit seiner extremen Neigung und
einem Höhenunterschied von der Nord- zur Südseite
von zwölf Metern und gibt der Halle erst ihr markantes Profil. „Henkelmännchen“ nennen Einheimische
die Anlage liebevoll, auf die sie so stolz sind wie auf
den Dom. Und dieser Bogen wurde aus zehn bis zu
90 Tonnen schweren Einzelteilen in Polen gefertigt
und ist mit einem beleuchteten Innenraum ausgestattet und über eine eingeschweißte Treppe im
Bogenverlauf begehbar.
Nur noch ein Schritt fehlte der DHB-Auswahl, 76 Meter weiter unten am Finaltag 2007, um den Triumph
von 1978 zu wiederholen. Zum ersten und bis dato
einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik
war Deutschland 29 Jahre zuvor Handball-Weltmeister geworden. Mit Heiner Brand am Kreis, in Kopenhagen gegen die Sowjetunion. „Doch diesmal waren
die Russen früh gescheitert“, erinnert sich Brand,
„im Viertelfinale gegen Polen.“
Ausgerechnet. Deren Trainer Bogdan Wenta hatte
selbst 50-mal – und noch bei Olympia in Sydney –
für die deutsche Nationalmannschaft gespielt. Sein
Trainer damals: Heiner Brand. Und Wenta war es,
gegen dessen Team die DHB-Auswahl in diesem
heiner brand
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Durch Teleskoptribünen lässt sich das Fassungsvermögen der Lanxess arena auf bis zu 20 000 Zuschauer erweitern.
Turnier schon in der Vorrunde verloren hatte. Ihre
einzige Niederlage. Und eine, die den deutschen Trainer mächtig wurmte.
Doch das hier war Köln. Im ganzen Turnier hatte Polen
noch nie in dieser Halle gespielt. Vor 19 000. „Mit so
einer Unterstützung im eigenen Land“, hatte Brand
zuvor versprochen, „können wir ganz oben anklopfen.“ Und die Unterstützung auf den bis auf zwei Meter an das Spielfeld herangezogenen Teleskoptribünen
war von der ersten Minute an da. Wenn nicht jetzt,
wann dann? Alles auch eine Frage der Überzeugung.
Doch – kein Zweifel – auch der Gegner glaubte an
sich. „Jeszcze Polska nie zgineła“ („Noch ist Polen
nicht verloren“), hielten Wenta und sein Team vor
dem Anpfiff mit ihrer Nationalhymne den Gastgebern
entgegen. Aber 60 Minuten später hatten die Gäste
das Nachsehen. Mit schnellen Tempogegenstößen
und einstudierten Rückraumkombinationen, genialen
Anspielen auf ihre Kreisläufer und die „Außen“ und
dem kühlen Kopf von Henning Fritz im Tor hatte die
Brand-Truppe auf alles eine Antwort. Wenn nicht wir,
wer dann? Das deutliche 24:20 der DHB-Auswahl
ließ mit dem Abpfiff keine Frage offen.
Und was dann folgte, „waren Emotionen pur“, erinnert sich Brand heute. „Mit dem Schlusspfiff kam alles raus.“ Denn der Erwartungsdruck zuvor war riesig
gewesen. Zwar galten – auch seiner Meinung nach –
„die Dänen und die Kroaten, Spanien und Frankreich
sowieso als Nationen, die aus rein sportlicher Sicht
vor uns lagen“. Doch nach dem Sommermärchen
der Kicker um Jürgen Klinsmann bei der Fußball-WM
ein halbes Jahr zuvor hatte Brand selbst die Vorlage
gegeben: „Wir hoffen auf ein Wintermärchen.“
Lanxess arena
Adresse:
Willy-Brandt-Platz 3,
50679 Köln
Und machte es beim Finale wahr.
Architekt:
Architekturbüro Böhm
Doch dass „dieser ‚Handball-Tempel‘“ in seinem Leben auch heute noch zur Schnittstelle unterschiedlichster Emotionen taugt, hat viel mit Weggefährten
zu tun, die ihn hierher begleitet haben. Mit dem
Schlusspfiff, der den Finalsieg gegen Polen besiegelte,
kam Oleg Velyky von der Bank, verletzt und schwerkrank. Der Rückraumspieler aus der Ukraine, den
Heiner Brand 38-mal ins Nationalteam berief, bevor
der Spieler des Hamburger SV einer Krebserkrankung
erlag. Erinnerungen auch an Joachim Deckarm. Mit
ihm gewann er als Spieler die WM 1978, bevor der
nach einem Sportunfall im ungarischen Tatabánya im
folgenden Jahr nie wieder Handball spielen konnte.
Mit Deckarm war Heiner Brand hier, um sich erstmals gemeinsam die Kölnarena anzuschauen.
Eröffnet: 17. Oktober 1998
Aber auch sonst ergeben sich für den heute als
Manager des Deutschen Handballbundes Tätigen
immer wieder Gelegenheiten, in der Multifunktionsarena vorbeizuschauen. Bei einer der zahlreichen
Konzertveranstaltungen zum Beispiel, wie am
30. April 2012 beim Jubiläumskonzert „40 Jahre
De Höhner“. Brand war natürlich dabei. Und da war
sie wieder – die Gänsehaut.
Kapazität:
Eishockey: 18 650,
Handball: 19 250,
maximal: 20 000
Besonderheiten:
Abdeckbare Eisfläche sowie in der Größe variable
Sitz- und Stehplatztribünen, nach der O2 Arena in
London die zuschauerreichste Arena weltweit
Veranstaltungen:
Eishockey-WM der Herren
2001 und 2010,
European Club Championship 2006 (Handball),
Handball-WM der Herren
2007,
Finale EHF Champions
League 2010 bis 2014
(Handball),
Boxkämpfe der KlitschkoBrüder und von Felix Sturm
1999 bis 2011
Vereine:
Kölner Haie (DEL, seit
1998),
VfL Gummersbach (HBL,
seit 2001),
Köln 99ers (BBL, 2001 bis
2009)
www.lanxess-arena.de
Warsteiner Hockeypark | mönchengladbach
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Ständiges Leuchten
WARSTEINER HOCKEYPARK MÖNCHENGLADBACH. Timo und Benjamin Weß
feierten in der schönsten Anlage Europas große Erfolge.
A
cqua alta in Mönchengladbach? Pure Untertreibung. Die Wahrheit: Es schüttet wie
aus Eimern und der Rundgang über die Anlage des Warsteiner Hockeyparks fällt ins
Wasser. Es bleibt nur die Flucht in die Sportsbar, welche, wie sich bei einer Tasse Tee schnell herausstellt,
eine hervorragende Übersicht über das Hauptfeld
der Open-Air-Arena bietet. Donnerwetter – erst jetzt
fällt auf: Das Stadion ist ja voller Menschen.
Richtiger Eindruck, trotzdem falsch. Es sind leere
Plätze, die eine volle Bude suggerieren. Eine geniale
optische Täuschung, hervorgerufen von mehr als
9 000 bunten Hartschalensitzen. Der aufmerksame
Betrachter kann verschiedene Nuancen von Blau,
Apricot und Gelb ausmachen, aber es wird ihm nicht
gelingen, auch nur eine Stelle zu finden, wo zwei
Stühle neben- oder übereinander haargenau den
gleichen Farbton haben.
Trotz des miesen Wetters – das Stadion leuchtet.
Wenn man es sieht, glaubt man sofort, dass es nichts
Vergleichbares in Europa gibt. Mobile Tribünen an
den Kopfseiten können bei Bedarf die Zahl der Zuschauersitze erheblich erhöhen. Sowohl Haupt- als
auch Nebenplatz verfügen über einen formidablen
Kunstrasen, Flutlichtanlagen und anderen technischen Schnickschnack, den Großveranstaltungen
heute benötigen. Und davon gibt es hier viele. Serienmäßig, wenn man so will. Denn es gibt in Deutschland keine erfolgreichere Ballsportart als Hockey
und die Niederrhein-Metropole mit ihrem Bundesligisten Gladbacher HTC ist ihr Zentrum.
Unweit der Bar residiert der Deutsche Hockeybund
und seit der Eröffnung des Parks 2006 gibt es landesweit kaum ein wirklich wichtiges Ereignis in diesem Sport mehr, das nicht hier ausgetragen wird.
Schon das erste große Turnier beschert den Gladbachern ihre eigene, ganz besondere Version des Sommermärchens. Die erste WM im eigenen Land und
die Gastgeber verteidigen erfolgreich ihren Titel. Im
Finale besiegt die Hockey-Nationalmannschaft der
Herren den Rivalen Australien mit 4:3. Das kann man
mal einen gelungenen Start nennen.
„Ein unvergessliches Erlebnis“, bestätigt Timo Weß,
ein knapp 30-Jähriger, der im Hockey alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt: Der gebürtige
Moerser gilt als einer der besten Abwehrspieler im
internationalen Hockeysport. Er darf sich Welt- und
Europameister nennen, Champions-Trophy-Gewinner und Olympiasieger. Jetzt sitzt Timo Weß mit
seinem drei Jahre jüngeren Bruder Benjamin, wie er
Mitglied im A-Kader der Nationalmannschaft, in
der Sportsbar und schaut in den niederrheinischen
Frühsommerregen. Die Stimmung im Stadion damals sei unbeschreiblich gewesen, sagt Timo. In
zwölf Spieltagen waren 100 000 Zuschauer in den
Sportpark gekommen – eine schwarz-rot-goldene
Masse, Fähnchen schwenkend, euphorisch. Bruder
Benjamin war mit dabei – allerdings lediglich als Fan
auf den Rängen. Fünf Jahre später: Doppel-Europameisterschaft der Damen und der Herren. Da aber
stand der jüngere der Weß-Brüder auf dem Feld.
Und wieder zeigte die Stadt, dass die Eigenwerbung
„Hockey-Hauptstadt Mönchengladbach“ keineswegs eine leichtfertige Übertreibung von MarketingExperten ist: Die deutschen Hockey-Damen unterlagen im Endspiel der niederländischen Auswahl,
die Herren aber bezwangen ihre Kollegen aus dem
Nachbarland in einem grandiosen Endspiel mit 4:2.
Logisch, dass die Brüder mit dem Warsteiner Hockeypark „große sportliche Momente und viele Emotionen“ verbinden. Dass die sympathischen Jungs
diese Erfahrungen nun auch bei den Olympischen
Spielen in London machen – das Turnier beginnt einen Tag nach Benjamins 27. Geburtstag –, sei ihnen
gewünscht. Und dem Sport in Mönchengladbach –
by the way – viel Sonnenschein.
Warsteiner
Hockeypark
Adresse:
Am Hockeypark 1,
41179 Mönchengladbach
Baubeginn: August 2004
Eröffnet: 15. April 2006
Kapazität:
Hauptspielfeld: 9 046,
Erweiterung durch mobile
Tribünen auf etwa 12 000,
Nebenspielfeld: 850
Parkplätze: 2 000
Veranstaltungen:
Feldhockey-WM der Herren
2006,
Feldhockey-EM der Damen
und Herren 2011,
32. Champions Trophy der
Herren im Feldhockey 2010,
Junior Bowl 2007 bis 2009
www.warsteiner-hockeypark.de
timo und benjamin weSS
17
reitstadion in der soers | aachen
18
hans günter winkler
19
Höhepunkte und Dramen
REITSTADION IN DER SOERS. Reitsportlegende Hans Günter Winkler ritt
zunächst mit Eisenhower aus und gewann später 40 Turniere in Aachen.
E
r hat alles gewonnen, was man als Reiter gewinnen kann. Deutsche Meisterschaften und
Europameisterschaften, wurde zweimal Weltmeister und holte fünfmal Gold bei Olympischen Spielen. Darunter vier Medaillen mit der Mannschaft. Die beispiellose Karriere des erfolgreichsten
Springreiters der Welt, aber nicht zuletzt auch seine
Lebensjahre machen Hans Günter Winkler gleichsam
zum Doyen des deutschen Reitsports. Von dem er
1986 als aktiver Reiter Abschied nahm. Doch wenn er
heute bedächtigen Schrittes, aber zielstrebig das Reitsportgelände des Aachen-Laurensberger Rennvereins
betritt, fühlt es sich an wie immer. Er fiebert ein wenig.
„Pferde sind ein Virus“, sagt der Mann, dessen Initialen HGW zum Signum für Reitsport auf allerhöchstem
Niveau wurden. In jenem Aachener Stadtteil Soers begann 1948 seine Karriere. („Damals war ich eine Null
und Fritz Thiedemann längst ein großer Reiter.“) Die
Marke HGW hat Konturen bekommen und für nicht wenige seiner insgesamt sechs Olympiateilnahmen hat
Hans Günter Winkler sich in Aachen qualifizieren können. Im heute 40 000 Zuschauer fassenden Springstadion. Beim CHIO, dem Concours Hippique International
Officiel. Laut Reglement der Internationalen Reiterlichen
Vereinigung (FEI) darf jedes Land nur einen CHIO austragen. Und als „Weltfest des Pferdesports“ hält der
CHIO hierzulande seit 88 Jahren immer in Aachen Hof.
Und ist das renommierteste Reitturnier der Welt.
Zur Stadt im Dreiländereck mit Belgien und den Niederlanden gehören Pferde wie der Hafen zu Hamburg
oder der Dom zu Köln. Fast 150 reiterliche Betriebe,
22 Reithallen, Dutzende Vereine und die mehr als
40 Kilometer langen Reitwege der Stadt stehen für
eine breit angelegte, perfekte Infrastruktur des Pferdesports. Und die Soers ist ihr Mekka. Einmal im Jahr
treffen sich dort gut 300 der besten Reitsportler der
Welt, um sich mit mehr als 550 Pferden in fünf Disziplinen zehn Tage lang zu messen.
Trippelbarre, Wassergraben, Oxer. Piaffen, Passagen,
Pirouetten. Querlieger, Prinzensitz, Standspagat.
Beim Springen, bei der Dressur, bei der Vielseitigkeit,
beim Voltigieren und bei den Fahrprüfungen in vierspännigen Kutschen geht es um viel. Um Preisgelder
in Höhe von 1,9 Millionen Euro zum Beispiel. Und –
wie in diesem Jahr – um die Qualifikation für Olympia.
Mit einem Pferderennen begann es am 13. Juli 1924.
Doch die in der Region seit Mitte des 19. Jahrhunderts
gepflegte Tradition der Hürden-, Galopp- und Trabrennen wurde vom „Rennverein“ bald aufgegeben.
Der CHIO war im selben Jahr erstmals zu Gast in der
Soers und in der Turnierserie war der Rennsport keine
Disziplin. „Ein wenig schade“, findet Hans Günter
Winkler das schon. In den 60er und 70er Jahren betrieb er ein Rennpferdegestüt in Irland. Noch heute
ist er regelmäßig zu Gast auf der Rennbahn in KölnWeidenpesch. „Doch schon als junger Mann wurde
mir schnell klar, dass ich als Jockey zu schwer war.“
Ganz aufgeben wollte er den Galopp anfangs nicht.
Neben der Dressur schaffte er es auch in der Vielseitigkeit bis zu Turnieren der anspruchsvollsten Kategorie S. Doch ermuntert von den Besitzern „seiner“
Pferde, konzentrierte sich der junge HGW früh auf
das Springen.
„Über den Graben und weg“, erinnert sich der Sohn
eines Reitlehrers daran, wie er als 18-jähriger Flakhelfer 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft
„abhaute“. Um wenige Tage später denselben Amerikanern seine Dienste anzubieten. Als Stallbursche
und Pferdepfleger. Für die Vollblüter hoher US-Offiziere, die, wie ein gewisser Dwight D. Eisenhower, ihre
reitstadion in der soers | aachen
20
Rennpferde in einem Reitstall in der Nähe von Frankfurt versorgen ließen.
In der ausgebombten Stadt war HGWs Mutter untergekommen. Und Einzelkind Hans musste arbeiten.
Nicht für Geld, aber für Lebensmittel. Der Vater, der
ihn in den Vorkriegsjahren oft zu den großen Turnieren in der Dortmunder Westfalenhalle mitgenommen
hatte, war gefallen.
Den Amerikanern gefiel, wie Winkler mit den 16 Pferden des Generalstabs umging, und einem von ihnen
besonders. Kaum zwei Wochen vergingen, da durfte
HGW erstmals mit Eisenhower gemeinsam ausreiten.
Und fortan 18 Monate lang jeden Tag.
Als sie sich fünf Jahre später im Oval Office des Weißen Hauses in Washington wiedertrafen, hatten beide
längst höhere Aufgaben übernommen. Der Hausherr
war 34. Präsident der USA und HGW ein Sportler, der
als Botschafter unter schwarz-rot-goldener Flagge
jahrzehntelang wie selbstverständlich auch eine zweite
„mission de l’équipe allemande“ übernahm. Die Turnierserie in Harrisburg, Toronto, New York und Washington
war 1951 – so Winkler – „ein Beispiel dafür, dass es
Reiter waren, für die im Ausland nach langer Zeit erstmals wieder die deutsche Hymne gespielt wurde“.
Allein das Springstadion auf dem Gelände des AachenLaurensberger Rennvereins fasst 40 000 Besucher. Mit
mehr als 350 000 Zuschauern vor Ort und bis zu einer
Milliarde Menschen, die die TV-Berichterstattung verfolgen, ist der hier jährlich ausgetragene CHIO das publikumsträchtigste Reitsportspektakel der Welt.
Als Walk of Fame sind in den Vorplatz der Anlage – zu
Ehren berühmter Pferde – Sterne in den Boden eingelassen, die den Namen der vielfachen Champions tragen.
Reitstadion
in der Soers
Adresse:
Albert-Servais-Allee 50,
52070 Aachen
Angelegt: 1924,
Wiederaufbau des Turnierplatzes 1945,
Neubauten der Tribünen
1955, 1999, 2002
Kapazität:
Hauptstadion: 40 000 Zuschauer (gesamt 46 500)
Anlage:
Turnieranlage (2 Stadien,
1 Halle und Außengelände)
für die Disziplinen Springen,
Dressur, Voltigieren, Vielseitigkeit und Vierspännerfahren mit Stallungen für
400 Pferde
Veranstaltungen:
Jährlicher Austragungsort
für das Weltfest des Pferdesports CHIO (Concours
Hippique International
Officiel), einziges deutsches
Turnier, das Nationenpreise ausrichtet,
Austragungsort von fünf
Welt- und sieben Europameisterschaften,
Weltreiterspiele 2006
www.chioaachen.de
Die Leistung der Reiter und ihrer Pferde, die sie – wie
manch einer sagt – „nur in der Soers bringen“, ist es
auch, für die der CHIO in Aachen bislang zehnmal als
„Bestes internationales Freilandturnier“ ausgezeichnet wurde. Mehr geht nicht. Denn der Preis des niederländischen Fachbuchverlags „L’Année Hippique“
wurde erst zehnmal ausgelobt. Für den Erfolg des mit
einem 10-Millionen-Euro-Budget ausgestatteten
Spektakels beschäftigt der Veranstalter mehr als
1 300 freiwillige Helfer – an den Wettkampfstätten
ebenso wie im 22 000 Quadratmeter großen CHIOVillage mit mehr als 190 Ausstellern, über 200 Zelten
und feiner Gastronomie.
Am letzten Mittwoch im Juni dieses Jahres geht Winklers Westfale „Allerdings“ in das Turnier um den
„Preis von Europa“ und muss sich auf dem 124 x 145
Meter großen Parcours vor den aufmerksamen Augen
seines Besitzers und des schwedischen Bundestrainers bewähren. Denn im Sattel von Allerdings sitzt
Henrik von Eckermann, ein Mann aus Nyköping, dessen Olympiateilnahme im blauen Rock für das DreiKronen-Team schon feststeht. Doch mit welchem
Pferd wird der Schwede in London starten? Mit dem
Schimmel „Coupe de Coeur“ oder dem Fuchswallach aus dem Hause HGW? Kein Wunder, dass Hans
Günter Winkler wie immer in der Soers „fiebert“. Zwei
Tage vor Beginn der Olympischen Spiele wird er Geburtstag feiern, seinen 86. Und Allerdings hat noch
die Chance, dabei zu sein.
Aber nicht nur aus diesem Grund ist der Fuchs für
HGW nicht irgendein Pferd. Zwar hat der Wallach erst
hans günter winkler
21
Zu einem großen Tag seiner
Geschichte machte der
Aachen-Laurensberger Rennverein
2011 den 85. Geburtstag von
Hans Günter Winkler.
Die Springsportlegende ist
Ehrenmitglied auf Lebenszeit
des Clubs.
2011 im besten Alter von zwölf Jahren die für Reitsportunternehmer nicht unwichtige Messlatte von
100 000 Euro Preisgeld touchiert. Vor allem ist Allerdings aber ein Pferd, das von der Amerikanerin Debby
Winkler in den Reitsport geführt wurde. Von Hans
Günter Winklers junger Frau, die im Februar vergangenen Jahres wenige Tage nach einem Reitunfall verstarb. „Mein Leben ist ein wenig wie Kino“, sagt er
heute, „und manchmal auch wie eine italienische
Oper – große Höhepunkte und große Dramen.“
Im sportlich größten Drama seiner Laufbahn führte das
Schicksal Regie. Oder war es Halla? Am 17. Juni 1956
trug die Fuchsstute hellwach den nach einem Muskelriss von Ärzten unter Betäubung gestellten Winkler
über den Olympia-Parcours von Stockholm. Die Wunderstute sicherte ihrem Reiter mit dem einzigen fehlerfreien Durchlauf aller Teilnehmer die Goldmedaille
und der deutschen Equipe das Mannschafts-Gold.
Eine Performance, die zur Legende des Sports wurde.
Und die dank der jungen Fernsehübertragungstechnik
noch am selben Tag die Runde um die Welt machte.
„Ich finde keinen Ausdruck, der seiner Leistung gerecht werden könnte“, kommentierte Deutschlands
Reitsport-Moderator Hans-Heinrich Isenbart seinerzeit etwas salbungsvoll und versicherte: „Halla wusste,
was los war. Sie hat Winkler ins Ziel getragen. Dieses
Pferd. Wie kann man solche Treue lohnen?“ – Mit einem auskömmlichen Gnadenbrot zum Beispiel. Und
das sollte sie auch bekommen.
Doch bis dahin (die Stute wurde 34 Jahre alt) feierten
HGW und Halla noch viele weitere Erfolge. Auch in der
Aachener Soers. Dabei war die Stute kein einfaches
Pferd. Doch in Deutschlands Reitsportszene galt
Winkler als „Pferdeflüsterer“, der mit den Tieren auf
Wegen kommunizierte, die anderen Reitern ein lebenslanges Hindernis bleiben.
„Und wie war der erste gemeinsame Auftritt in
Aachen nach dem Olympiaritt von Stockholm?“ –
„Standing Ovations“, erinnert sich HGW kurz, grübelt
einen Moment und stellt fest: „Wie fortan eigentlich
immer, wenn ich irgendwo hinkam.“
Die Verehrung geht weit über die Aachener Soers hinaus und hält bis heute an. Unlängst im Restaurant einer Fast-Food-Kette zum Beispiel, an der Autobahn
auf dem Weg nach Aachen. „Gibt’s da auch was für
mich?“, hat sich HGW skeptisch erkundigt und sich
von seiner Mitarbeiterin überzeugen lassen. Eine Mittsechzigerin im Service traut ihren Augen nicht. „Sind
Sie das wirklich?“ Wohlwollend registriert ihr Kunde
den Respekt und reicht die Rechte über den Tresen zum
Handschlag. Und kaum haben Speisen und Münzen
die Seiten gewechselt, bittet die Angestellte mit Glanz
in den Augen: „Darf ich Sie noch einmal anfassen?“
In Aachen angekommen, hat Winkler die kleine
Episode längst vergessen. Aber seine Umgebung
berichtet gern von „Anerkennung, Freude und
manchmal so etwas wie Stolz, den die Menschen
HGW entgegenbringen“.
Den letzten Auftritt beim diesjährigen CHIO in der
Soers hat – natürlich – der Mann, der auf diesem
Boden im Laufe seiner Karriere 40 Turniere gewinnen
konnte, der weltweit 107 Turniere für Deutschland
ritt und der dabei 92-mal auf dem Siegertreppchen
stand. Neben ihm Romanus, Orient, Trophy oder sehr
oft eben Halla. Am Ende des zehntägigen Turniers
übergibt Hans Günter Winkler denn auch den „HallaEhrenpreis“ für das erfolgreichste Pferd des Turniers.
Natürlich vor Standing Ovations. Wobei – wie in den
letzten Jahren eigentlich immer – wieder nicht klar
wird, wem der Applaus gilt. Dem Pferd, seinem Reiter
oder doch HGW?
GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF | pulheim
22
Höchste Pflegestufe
GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF. Wenn die Top-Golfer auf ihrer Welttour
Station in der Heimat machen, spielt Marcel Siem auf vertrautem Grün.
W
er die Autobahn 57 bei Pulheim verlässt, fährt im Frühsommer mitten hinein in leuchtende Rapsfelder. Bauern
pflegen ihre Früchte auf den Feldern.
Pferde grasen auf der Weide. Das Rheinland zeigt
sich hier von seiner dörflichen Seite. Absolut nichts
deutet darauf hin, dass sich hinter Äckern und Wiesen ein exklusiver Golfclub versteckt. Ein Gelände,
umsäumt von üppigen Bäumen und verschlossen
von einem imposanten schmiedeeisernen Tor. „Privat – Zutritt nur für Mitglieder und für Restaurantbesucher“ steht auf einem Schild neben der Klingel.
Wo früher monotone Maiskulturen die Landschaft
prägten, fliegen seit 15 Jahren kleine, weiße Bälle
durch die mittelrheinische Idylle; wo früher Traktoren über Feldwege zuckelten, gleiten nun lautlos
Elektro-Cars über gepflegtes Grün. Wir wollen nun
nicht darüber philosophieren, was schöner ist oder
war. Immerhin, die Natur hat ihren Platz behalten
auf dem Grün. Wie zum Beleg übertönt das Quaken
der Frösche aus den angelegten Teichen das metallische Klackern der Golfbälle vom Abschlag.
Besuch im Golf Club Gut Lärchenhof – einem exklusiven Platz, angelegt nach höchsten internationalen
Standards. Der Golfplatz zählt zu den „Finest Golf
Clubs of the World“ und ist seit 1998 regelmäßig
Austragungsort bedeutender Turniere der European
Tour. Diese Rundreise-Veranstaltung macht jedes
Jahr auf den schönsten und am schwierigsten zu
spielenden Plätzen Europas Station. Jetzt, im Juni
2012, legen die weltbesten Golfprofis zu den BMW
International Open auch einen Stopp nahe des
Golfstädtchens Pulheim ein.
Zu ihnen zählt Marcel Siem, der neben Top-TenPlayer Martin Kaymer aktuell zu Deutschlands erfolgreichsten Golfern zählt. Marcel Siem lebt mit
seiner Frau und seiner kleinen Tochter in Ratingen.
„Der Golf Club Gut Lärchenhof gehört zu den TopGolfplätzen in Deutschland. Er bietet mit Abstand
die besten Trainingsmöglichkeiten für uns Profis
und ist immer in einem top Pflegezustand“, lobt der
Weltranglistenspieler die Anlage. Ein Turnier vor der
eigenen Haustür ist für den 31-Jährigen auf seiner
Tour, die ihn bereits nach China, Malaysia und Spanien geführt hat, eine nette Abwechslung. „Zudem
liegt Pulheim mitten zwischen unseren beiden
schönsten Städten in NRW, Köln und Düsseldorf“,
legt sich Siem fest. „Da wird unseren Spielerfrauen
einiges geboten und sie reisen dann auch gerne mal
eine Woche mit.“ 50 000 Zuschauer werden zu den
erstmals im Lärchenhof ausgetragenen BMW Open
erwartet. Fernsehanstalten übertragen das Ereignis
mit 1 200 Stunden rund um den Globus.
Die Natur hat ihren Platz behalten
auf dem Grün.
Eine Momentaufnahme, wenn die Pros anrücken,
die unvergessen bleibt. Aber schön ist es auch,
wenn der Golfplatz den Amateuren gehört, wie bei
unserem Rundgang. „Easy Going“ heißt die erste
von insgesamt 18 Spielbahnen und der Name beschreibt die Stimmung an diesem Vormittag recht
gut. Die ersten Golfer ziehen hinaus aufs Grün und
werden, wenn sie alle Bahnen durchspielen, erst vier
bis fünf Stunden später mit dem „Homerun“ zurückkehren. Man grüßt freundlich. Alles easy going.
Gut Lärchenhof hat knapp 700 Mitglieder, die ohne
feste Startzeiten zum Schläger greifen können. Ein
Privatclub mit Privatsphäre. Nach vorheriger Anmeldung und bei entsprechendem Handicap sind gegen
marcel siem
23
GOLF CLUB GUT LÄRCHENHOF | pulheim
24
Wo einst nur Felder waren, erstreckt sich heute eine der schönsten Golfanlagen Europas.
Eine grüne Oase zwischen Köln und Düsseldorf.
Golf Club
Gut Lärchenhof
Adresse:
Am Golfplatz 1, 50259 Pulheim-Freimersdorf
Eröffnung Signature
Course: Mai 1997
Anlage:
Gelände 75 ha,
700 qm Putting Green,
gepflasterte Cartwege,
20 km Drainageleitungen,
40 km Beregnungsleitungen,
1 100 computergesteuerte
Beregner,
über 50 000 Bäume und
Sträucher,
50 000 qm Teichflächen
Veranstaltungen:
Linde German Masters
1998 bis 2005,
Mercedes-Benz Championship 2007 bis 2009,
BMW International Open
2012,
mehr als 600 000 Besucher sahen in der bisherigen Turniergeschichte
Major-Sieger Bernhard
Langer, Martin Kaymer,
Ernie Els oder Vijay Singh
www.gutlaerchenhof.de
Zahlung einer Platzmiete auch Gäste willkommen,
unter ihnen viele Amerikaner und Japaner.
Vor dem Eingang zum Clubhaus, einem schicken
Backsteinbau im Landhausstil, thront ein goldener
Bär im Gras. Mit der begehrten Trophäe der deutschen Filmbranche hat der freilich nichts zu tun,
auch wenn hier schon Oscar-Preisträger zum
Schläger gegriffen haben. Dieser Bär symbolisiert
den amerikanischen Jahrhundertgolfer Jack Nicklaus, der wegen seiner blonden Haare und seiner
muskulösen Statur „Golden Bear“ (Goldener Bär)
genannt wird. Gut Lärchenhof entstand als einzige
deutsche Anlage nach seinen Plänen, am 10. Mai
1997 eröffnete die Golflegende persönlich ihren
„Signature Course“.
Mehr als 750 000 Kubikmeter Erde hatten Bagger
zuvor bewegt, aus Australien angereiste sogenannte
„Shaper“ modellierten Hügel und Bunkerböschungen nach Jacks Vorstellungen und verwandelten
den ehemals ebenerdigen Acker in einen welligen
18-Loch-Golfplatz. In einen Golfplatz, der den Spieler in den Mittelpunkt stellt. „Ein guter Golfschlag
darf nicht bestraft werden“, lautet das Credo von
Jack Nicklaus. Ein signierter Schläger seines ersten
Abschlags samt Handschuhen und Scorecard hängt
seitdem in dem nach ihm benannten Kaminzimmer
des Clubhauses.
„Gut Lärchenhof ist ein Premium-Produkt“, sagt
Josef Spyth bei einer Fahrt über die Anlage. Das beginnt schon bei der überdachten Driving Range.
Automaten, die, wie andernorts üblich, Übungsbälle
ausspucken, wenn man die passenden Münzen einwirft, sucht man vergebens. Stattdessen stehen
Spielbälle zum Abschlag bereit – akkurat zur Pyramide aufgetürmt. 365 Tage im Jahr. Wer nach einem
langen Arbeitstag zu später Stunde noch Bälle über
das Grün treiben will, kann dank einer Flutlichtanlage
selbst im Dunkeln üben. Auch beheizbare Toiletten
und gepflasterte Cartwege auf dem Course gehören
zu den besonderen Annehmlichkeiten. 40 Kilometer
lange unterirdische Wasserleitungen und 1 100 Beregner bewässern alle Spielbahnen.
Grün bis zum Horizont. Eine idyllische Oase mit einer
sanft gewellten Hügellandschaft, die ein anspruchsvolles und abwechslungsreiches Spiel ermöglicht.
14 Greenkeeper sorgen das ganze Jahr dafür, dass
das so bleibt: Sie mähen allmorgendlich allein
10 000 Quadratmeter Grün per Hand und kriechen
marcel siem
25
Im Clubhaus mit seinem stilvollen Empfangsbereich gehen Weltklasse-
Idylle pur. Von diesem Punkt geht der Golferblick über einen See hinaus in die
spieler und Amateurgolfer ein und aus.
Weite. Was liegt näher, als Loch 16 gleich so zu nennen: „Lake View“ – Seeblick.
im Extremfall mit einer Lupe über das Gras. Entdecken sie einen Pilz, schicken sie Proben an drei
unterschiedliche Labore. Höchste Pflegestufe für
den heiligen Rasen.
Auch Hasen, Füchse und Gänse fühlen sich, nicht
immer zur Freude der Greenkeeper, auf dem Gelände wohl. Warum auch nicht? Wenn nicht an diesem Ort, wo dann könnten sich Flora und Fauna
ungestörter vereinen. „Von hier aus sind es nur
20 Minuten bis zur Düsseldorfer Kö und 20 Minuten bis zum Kölner Dom. Und Sie stehen mitten in
der Natur“, schwärmt Josef Spyth, seit bald zehn
Jahren Geschäftsführer des Golfclubs.
Dann stoppt er urplötzlich seine schmückenden
Beschreibungen und verfolgt den Abschlag eines
Spielers. Wenig später klatscht er in die Hände und
ruft anerkennend hinüber: „Ein guter Abschlag, das
beherrschen nicht viele.“ Der Angesprochene grüßt
kurz, lächelt und zieht weiter. „Golfen ist ein täglicher Wettstreit mit der Natur“, sagt Spyth. Selbst
bei einem Handicap zwischen acht und neun. Das
mache für ihn die Faszination dieses Sports aus. Vorbei an Teichen und Sandbunkern steuert er Loch 15
an. Hier am „Peak“, unter dem höchsten Punkt des
Golfplatzes, lägen die Überreste einer römischen
Villa verborgen. Sie seien bei den Bauarbeiten entdeckt, anschließend versiegelt und wieder zugeschüttet worden.
„Gut Lärchenhof ist ein Premium-Produkt.“
Die Fahrt endet, wo sie begonnen hat: am Clubhaus. Nach Wellness und Sauna lassen die Spieler
nach ihrer vier- bis fünfstündigen Runde im Gourmetrestaurant oder auf der Terrasse bei untergehender Sonne den Tag ausklingen. Natürlich auch
hier Bestleistung für höchste Ansprüche. Dafür
garantiert 1-Sterne-Küchenchef Bernd Stollenwerk.
Allein die Weinkarte führt 1 200 Sorten. Nach vorheriger Anmeldung im Gourmettempel öffnet sich das
schmiedeeiserne Tor auch Nichtmitgliedern und
gewährt ihnen bei Foie gras und Gelbschwanzmakrelen einen genussvollen Blick in die grüne Oase.
Ganz ohne Handicap.
Leichtathletikhalle | Leverkusen
26
Architektonisches Juwel
LEICHTATHLETIKHALLE LEVERKUSEN. Hochspringerin Heike Henkel genießt
auch Jahre nach ihren Erfolgen die Atmosphäre in der einmaligen Wettkampfhalle.
W
er angibt, hat’s nötig, heißt es. Wenn
das stimmt, müssten Erfolg und Bescheidenheit ein unzertrennliches Paar
abgeben. Zumindest auf Leverkusen
trifft das zu. So viel Bescheidenheit war selten. Im
Internet präsentiert sich der Ausnahme-Sportverein
TSV Bayer 04 Leverkusen – vorsichtig formuliert –
zurückhaltend. Die Leichtathletik-Abteilung zählt
verglichen mit anderen zur Spitze in Deutschland
und Europa, doch die Vereinshistorie erwähnt das
mit keinem einzigen Wort. Die 2001 fertiggestellte
Trainings- und Wettkampfstätte trägt auch nicht
den Namen des Hauptsponsors Bayer AG. Sie heißt
auch nicht Gerd-Osenberg-Halle nach dem legendären Trainer und auch nicht nach ihren berühmten
Gold-Mädchen Heide Rosendahl etwa oder Ulrike
Meyfarth. Die Halle heißt Leichtathletikhalle.
Schlichter geht’s nicht.
Nicht mal sehen kann man den Bau. Jedenfalls nicht
so ohne Weiteres. Besucher müssen am Tor klingeln,
bevor ein asphaltierter Weg sie hinabführt in die Versenkung. Von außen sieht die Halle denn auch eher
unspektakulär aus. Schönes Dach, das wohl, aber sonst?
Eine normale Sportstätte, die es im Lande häufig gibt.
Denkste! Innen entpuppt sich das Ding als wahre
Wucht: transparent, elegant, stützenfrei und dank
Lichtkuppeln und rundum angeordneter Fenster
obendrein taghell.
Ein architektonisches Juwel, funktional sowieso:
Physiotherapie-Zentrum, Fitnessräume, Sauna, Duschen – alles vorhanden. Das Zentrum aber vereint,
was Athleten im Winter und bei schlechtem Wetter
wirklich glücklich macht: eine 200-Meter-Rundbahn
mit überhöhten Kurven etwa, eine außen liegende
Bahn zum Warmlaufen, eine 60-Meter-Sprintgerade,
zwei „Sandkästen“ zum Weitspringen sowie Anlagen
für den Dreisprung, das Kugelstoßen, das Speerund Diskuswerfen, den Hoch- und Stabhochsprung.
Mittendrin sitzt Heike Henkel auf der Matte und genießt die Atmosphäre. In dieser Stadt ist sie – sportlich – groß geworden. Lange bevor unser „Treffpunkt
Trainingspalast“ hier vor 13 Jahren gebaut wurde. Ihr
letzter Besuch in der Halle liegt schon ein Weilchen
zurück, aber die große Blonde fühlt sich „direkt wieder wohl hier“. Mitte der 80er Jahre war die gebürtige
Kielerin nach Leverkusen und zu seinem Spitzentrainer Osenberg gewechselt. Ein paar Jahre später
gewann die Hochspringerin Henkel sechs internationale Titel und darf sich als bislang Einzige rühmen, in
drei aufeinanderfolgenden Jahren Europameisterin,
Weltmeisterin und Olympiasiegerin geworden zu sein.
Gerade schwingt Töchterchen Marlene, 10, an einem
von der Decke baumelnden Seil, was das Interesse
des früheren Trainers seiner Mutter weckt. Gerd
Osenberg feiert heute seinen 75. Geburtstag, was den
Jubilar aber mitnichten davon abhält, in der Halle mal
wieder nach dem Rechten zu sehen. Während Heike
Henkel erzählt, wie sehr sie Kindern zum Sport rate,
der wie nichts anderes die „Persönlichkeit formt“,
dreht auf der Außenbahn der körperbehinderte
Doppelweltmeister Heinrich Popov dank einer Sportprothese lässig seine Runden, macht sich Deutschlands erfolgreichste Siebenkämpferin Jennifer Oeser
warm, nimmt Stabhochspringerin Silke Spiegelburg
Anlauf. Der Geschäftsführer der Leichtathletik-Abteilung Paul Heinz Wellmann wird auf Nachfrage später
diskret auf weitere junge Damen und Herren zeigen
und dazu halblaut Namen, Titel, Siegesbilanzen murmeln. Hier scheint es – außerhalb unserer Besuchergruppe – kaum eine Seele in der Halle zu geben, die
nicht irgendeinen Rekord vorweisen kann.
Wellmann war früher übrigens ein erfolgreicher Mittel- und Langstreckenläufer und holte Bronze bei
Olympia. Diese Information allerdings verdanken wir
anderen Quellen. Wellmann selbst: viel zu bescheiden. In Leverkusen macht man kein großes Gedöns.
Hier wird trainiert. Erfolgreich.
Leichtathletikhalle
leverkusen
Adresse:
Tannenbergstraße 57,
51373 Leverkusen
Architekten:
Dirk Moors & Partner,
Düsseldorf
Baubeginn: 1999
Eröffnet: August 2001
Kapazität:
Plätze für 1 100 Zuschauer
an der Südseite, an der
Nordseite kann bei Sonderveranstaltungen eine
mobile Tribüne für weitere
1 100 Zuschauer errichtet
werden
http://tsvbayer04-leichtathletik.de
Heike meier-henkel
27
Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen
28
gerhard weber
29
Das Besondere ist die Pflicht
GERRY WEBER STADION. Manche Unternehmer ziehen sich nach dem erfolgreichen
Börsengang ihrer Firma zurück, Gerhard Weber baute eine Sportarena.
D
iesen Termin in Paris wird Ralf Weber nicht
vergessen. Ihm gegenüber sitzt Roger Federer. Der ruhige, gelassene Schweizer, für den
Spontanität etwas Fremdes zu sein scheint.
Es sei denn, er bewegt sich athletisch auf der Grundlinie eines Tennisplatzes und entscheidet innerhalb von
Millisekunden, welche Richtung er der kleinen gelben
Filzkugel geben will. Ohne Vorankündigung, so wie mit
einer schwingenden Ausholbewegung, spielt er nun
einen Ball zurück und fragt sein Gegenüber: „Warum
nur zwei Jahre? Machen wir doch gleich einen Vertrag
für immer. Ich spiele immer bei euch vor Wimbledon,
nirgendwo anders.“ Ralf Weber, Direktor des einzig­
artigen Rasentennisturniers auf der ATP-Tour im ostwestfälischen Halle, nimmt diese Crossvorhand seines
freundlichen Gesprächspartners auf, spielt Longline
zurück und sagt: „Okay, das ist eine gute Idee, das
machen wir.“ Das war im Mai 2010. Herausgekommen
ist ein Lifetime Contract mit Roger Federer. Einzigartig
in der Tenniswelt. Ein Turnier und ein Spieler gehen ein
Bündnis fürs (Tennis-) Leben ein.
Das Besondere ist Pflicht in HalleWestfalen, auch im
Frühsommer 2012. Der Mais steht hoch; sattgrün
leuchten die Felder unter mit Schäfchenwolken getupftem ostwestfälischen Blauhimmel. Hinter roten
Schindeldächern erheben sich dunkelgrüne Stahlrohre und wirken, als seien es besonders dicke Feldpflanzen, die eine weiße Blüte tragen. Sie tragen aber
eine weiße Dachkonstruktion. In dieser ländlichen Region hinterlässt jener Federer in diesem Juni deutliche
Spuren. Der Schweizer, der erstmals 2000 als junges
Talent diesen beschaulichen deutschen Landstrich mit
seinem bescheidenen Auftreten und sensiblen Ballgefühl auf dem Centre-Court verzauberte und inzwischen
sein Konterfei für eine Briefmarke seiner Heimatpost
zur Verfügung stellt, erfüllt diesen Vertrag, spielt sein
bestes Tennis und erreicht erneut das Finale.
Noch was? Klar doch. Wieder das Einmalige: Roger
Federer, der Schweizer mit dem Lebensvertrag für das
Tennisturnier in HalleWestfalen, bekommt dort seine
eigene Straße. Straße? Nein, eine Allee muss es schon
sein. Die Roger-Federer-Allee, die hin zum Gerry
Weber Stadion führt, dorthin, wo er schon fünfmal
den silbernen Siegerpokal in die Hand gedrückt bekam.
Und einen Siegerscheck. Aber diesmal spielt Geld
keine Rolle. Eine Straße kann man sich in Deutschland
nicht kaufen. Die Umbenennung hat der Bau- und
Verkehrsausschuss des 22 000 Einwohner zählenden
Städtchens beschlossen, mit allen Stimmen: SPD,
CDU, Grüne und unabhängige Wähler. Aber natürlich
kam der Vorschlag von den Turniermachern.
Endlich sind wir bei Gerhard Weber. Und beim Geld.
Und wieder beim Besonderen. Das scheint hier wirklich Pflicht zu sein. 71 Jahre ist der Mann, gepflegt, das
erwartet man. Gut gekleidet, erst recht. Und dann das
Einstecktuch, von Etro. Natürlich, italienische Seide.
Das Markenzeichen eines Modemachers, der vor
40 Jahren in einer Garage seiner Geburtsstadt begann, Frauenhosen den Reißverschluss hinten einzunähen. Er startete eine Unternehmerkarriere, die in
diesem Landstrich nichts Besonderes ist. So erfand
hier 1891 ein gewisser Dr. August Oetker in seiner Apotheke das Backpulver, die Mohns bauten das Verlagshaus Bertelsmann auf – Weltkonzerne entstanden in
der Nachbarschaft. Inzwischen gibt Weber weltweit
4 400 Menschen Arbeit mit seiner Art, Damen einzukleiden. Mehr als 800 Millionen Euro setzt er mit dem
Modekonzern um, der aus der Garage erwachsen ist.
Der Gründer und Inhaber leitet seit dem Börsengang
1988 das Unternehmen jetzt als Vorstandsvorsitzender und sitzt immer noch jeden Morgen um 8 Uhr am
Schreibtisch. Zuvor hat er schon eine Runde Golf gespielt, auf dem eigenen Grün. Selbstverständlich.
Da ist er wieder, der Sport. Und das Geld. Mehr als
50 Millionen Euro, heißt es in der Sportveranstaltungsbranche, habe Gerhard Weber in das Tennisstadion, den
Sportpark, das 4-Sterne-Hotel, das Event Center und
den Golfplatz investiert. Er sagt nur: „Bisher haben wir
Gerry Weber Stadion | HalleWestfalen
30
keine öffentlichen Mittel erhalten. Ist alles privat finanziert.“ Das Unternehmen Sport und Event finanziert
sich, ist kein Zuschussgeschäft, keine Liebhaberei.
Webers Sportanlage ist nicht zu vergleichen mit dem
scheinbar grenzenlosen Investment von Automobilkonzernen, die sich Fußballclubs in der Bundesliga leisten.
Nur ein Jahr nach der Eröffnung wurde der Centre-Court 1994 zum
Gerry Weber Stadion mit flexiblem Dach ausgebaut (oben). Schon
ein Jahr zuvor engagierte Gerhard Weber einen englischen Greenkeeper
zur Pflege der Rasenplätze in HalleWestfalen (unten). Turnierdirektor
Ralf Weber verpflichtete 2010 den Schweizer Topspieler Roger Federer
mit einem Lifetime Contract (ganz unten).
20 Jahre nun schon Gerry Weber Open, jenes Rasenturnier, das nach Wimbledon weltweit in dieser Rangliste auf Platz 2 geführt wird. Wie alles begann, das
muss man erzählen. Und wer kann das besser als Gerhard Weber? Der Modeunternehmer mit dem Sportsgeist, der 1988 durch den Gang aufs Börsenparkett
viele Millionen einnahm, hätte sich ein schönes Leben
unter Palmen und ohne Arbeit machen können. Aber
er hatte sich in den Kopf gesetzt, den Tennisnachwuchs
in Deutschland zu fördern. Damals wie heute ist er
1. Vorsitzender des Tennisclubs Blau-Weiß Halle, in
dem er diesen Sport betreibt. Der Sport treibt ihn an.
Weber veranstaltet zweimal ein Challenger-Turnier. Das
reicht ihm aber nicht. Als die ATP 1992 für die Zeit kurz
vor Wimbledon weltweit ein neues Turnier ausschreibt,
bewirbt er sich. Es ist die Zeit von Boris Becker, von
Michael Stich, Andre Agassi und Jimmy Connors. Die
Hochzeit des Herrentennis in Deutschland – und des
Damentennis. Steffi Graf, die Weltbeste damals, modelt
schon für Webers Mode. Sohn Ralf, damals noch Student und angehender Diplom-Kaufmann, aber genauso sportbegeistert und kreativ wie sein Vater, kommt
auf die Idee. Gerhard Weber: „Er sagte, wir müssen ein
Rasenturnier veranstalten, vor Wimbledon macht es nur
Sinn, mit Rasen anzutreten, sonst kommt keiner der
Topspieler.“ Wie recht sein Sohn hatte, sieht der Vater
heute. Viele Menschen im bodenständigen Ostwestfalen belächelten damals die Webers mit ihren Visionen und eigenem englischen Greenkeeper – and so on.
And so on? Auf einem stillgelegten Fußball-Schlackeplatz entsteht der Centre-Court. 3 500 Zuschauer sind
zunächst geplant. Noch bevor der erste Ball gespielt
wird, lässt Weber mit Stahlrohrtribünen die Kapazität
erweitern. 9 200 sehen das Finale, 85 000 Tennisfans
pilgern in dieser ersten Tenniswoche auf die grüne
Wiese zum „deutschen Wimbledon“, wie die lokalen
Zeitungen der Veranstaltung huldigen. In jenem Jahr
1993, als der sympathische und unterhaltsame Henri
Leconte die sturen Ostwestfalen verzückt und die Siegerschale in Empfang nimmt, erlebt Weber allerdings
auch einen Trauertag. Am 16. Juni, einem Mittwoch,
regnet es ohne Unterlass. Kein Spiel, keine Fernsehübertragung. „Ich habe dann entschieden, den Menschen am Abend das Eintrittsgeld zurückzugeben.“
So sind sie in Ostwestfalen, ehrlich und menschlich.
Aber auch spontan und kreativ.
„Dieser 16. Juni 1993 war die Geburtsstunde des Daches“, blickt der Unternehmer zurück. Innerhalb eines
Jahres lässt er das Stadion mit wandelbarem Dach
bauen. 12 300 Zuschauer finden nun auf den dunkelgrünen Klappsitzen Platz: die größte Tennisarena in
gerhard weber
31
Stahl, Beton – und Rasen.
Grün ist die dominierende Farbe
des Gerry Weber Stadions
im westfälischen Halle, das
zunächst als Tennisstadion gebaut wurde und heute als Multifunktionsarena genutzt wird.
Deutschland, fast immer ausverkauft. Insgesamt kommen schon zum zweiten Turnier 110 000 Sportfans
nach HalleWestfalen. Deutschland hat einen neuen
Sportplatz. Und Weber ein neues Unternehmen, das
sich mit der Vermarktung von Sportveranstaltungen
finanzieren soll und wird. Denn mit Tennis allein lässt
sich dieses Hallenstadion nicht betreiben. Im selben
Jahr – am 8. Oktober 1994 – boxt Henry Maske in dem
Stadionrund um die Weltmeisterschaft. Basketball,
Eiskunstlauf, Handballspiele der Weltmeisterschaft
2007 folgen. Und natürlich Tennis, Tennis, Tennis.
In den 20 Jahren sehen mehr als zwei Millionen Besucher den weißen Sport auf grünem Rasen. 2012 sind
nahezu 500 Medienvertreter akkreditiert, jeden Tag
werden 1 600 VIP-Gäste beköstigt, unter anderem mit
zwei Tonnen Erdbeeren und 1,4 Tonnen Spargel. Die
Landwirte der Region profitieren vom Tennisboom.
Aber natürlich kredenzen die besten Köche auch Importiertes, fließt prickelnder Champagner – 1 950 Flaschen –, werden 1,68 Tonnen Gambas und 12 000
Portionen Sushi serviert. Das muss schon sein. Die
teuren Gäste lassen sich – einmalig auf der Welt – in
einem festen Event Center bewirten, in einer 3 500
Quadratmeter großen Halle, die durch einen langen
Tunnelgang mit dem Stadion verbunden ist. In Wimbledon oder bei Champions-League-Finalen baut man
für diese Zwecke weiße Zeltstädte auf.
Gerhard Weber führt durch die Arena. Für die Handball-Weltmeisterschaft hat er die Anlage noch einmal
erweitern lassen – mit einem umlaufenden Cateringbereich. Er schaut hinunter auf den Platz. Grün ist er,
grün gestrichen. Der Rasen liegt längst wieder draußen unter freiem Himmel – zur Pflege und Kultivierung. Ein Jahr kümmern sich nun die Greenkeeper,
Engländer natürlich, um die von unzähligen Tritten
malträtierten Pflänzchen. Erst im Mai 2013 kehrt dieser transportable Rasencourt vier Wochen vor dem
ersten Aufschlag in 400 Einzelteilen wieder ins Gerry
Weber Stadion zurück. Bis dahin wird wieder ein
Box-WM-Kampf stattgefunden und Handball-Bundesligist TBV Lemgo seine Topspiele auf einem Hallenboden ausgetragen haben, der 2,40 Meter über der
imaginären Grasnarbe auf Stelzen steht.
20 Jahre gibt es die Open nun schon. 2013 wird dieses
Stadion 20 Jahre alt. Das Gerry Weber Stadion. Das
erste in Deutschland, das einen Firmennamen trägt.
Erst danach kommen all die anderen, die BayArena in
Leverkusen oder die Allianz Arena in München. Was
hat es gebracht? Gerhard Weber weiß es genau: „Als
wir begonnen haben mit dem Tennisturnier, kannten in
Deutschland 15 Prozent meine Modemarke, heute haben wir einen Bekanntheitsgrad von über 75 Prozent.“
60 Prozent Steigerung in 20 Jahren. „Für einen solchen
Quantensprung hätten wir nach geltenden Marketingbudgets 70 bis 80 Millionen Euro ausgeben müssen.
Da haben wir das hier vergleichsweise günstig hinbekommen“, sagt der Unternehmer.
Und, war’s das jetzt? Noch nicht. Turnierdirektor Ralf
Weber plant, ab 2014 die Herrenkonkurrenz mit einem
Damenturnier zu ergänzen. Ob sich das rechnet? „Das
werden wir prüfen“, ist die knappe Antwort. Aber die
Pläne liegen schon fertig in der Schublade. Vier neue
Plätze müssten gebaut werden, mit Zuschauerrängen,
das Sportpark Hotel würde um 30 Zimmer erweitert.
Auch wenn noch gerechnet wird bei den Webers in
Ostwestfalen: Wenn man das so hört, gibt es keine
Zweifel – das Projekt wird realisiert. Es wird sich rechnen. Denn es passt schon in Gerhard Webers Unternehmensstrategie: Zur Internationalisierung der
Damenmodemarke Gerry Weber gehört ein internationales Damentennisturnier. Veranstaltet im Gerry
Weber Stadion an der Roger-Federer-Allee in
HalleWestfalen.
gerry weber stadion
Adresse:
Neulehenstraße 8,
33790 HalleWestfalen
Eröffnet: 1993
Kapazität:
Centre Stage: 13 000,
Front Stage: 9 500
Parkplätze: 3 000
Besonderheit:
In Europa einzigartige
Konstruktion ermöglicht
es, das Stadion innerhalb
von 90 Sekunden in einen
wetterunabhängigen
Veranstaltungsort zu
verwandeln
Veranstaltungen:
Gerry Weber Open (ATPRasentennisturnier),
Davis-Cup-Heimspiele,
Handball-Großereignisse,
Eislauf-Shows,
deutsches VolleyballPokalfinale,
Konzerte
www.gerryweber-stadion.
de/
lohrheidestadion | bochum
32
sabine braun
33
Laufbahn zwischen Fördertürmen
LOHRHEIDESTADION BOCHUM. Weltmeisterin Sabine Braun ist
in Deutschlands schönstem Leichtathletikstadion zu Hause.
T
ief im Westen, mitten im Herzen des Ruhrgebiets, liegt das Lohrheidestadion. In Wattenscheid, genau genommen in BochumWattenscheid, aber dazu später mehr. Verglichen mit dem benachbarten rewirpowerstadion
ist es eher ein schmucker Gutshof als ein hochherrschaftliches Schloss. Leichtathleten und Fußballer
teilen sich die Anlage, auf der es meist entspannt
und familiär zugeht.
Für viele untrennbar verbunden mit der Sportstätte
ist der Name eines Mannes, der sich Zeit seines Lebens sehr für Wattenscheider Sportler eingesetzt
hat: Klaus Steilmann. Der Textilunternehmer mit seiner „Mode für Millionen, nicht für Millionäre“ und
Sportmäzen aus Wattenscheid lebt hier auch nach
seinem Tod im November 2009 in der Erinnerung
vieler weiter. Es hätte nicht viel gefehlt und das Lohrheidestadion wäre jüngst sogar in Klaus-SteilmannStadion umbenannt worden. Die Fußballer der SG
Wattenscheid, deren Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender Steilmann viele Jahre war und die er in den
1990ern in die 1. Bundesliga führte, profitierten von
seiner Förderung ebenso wie die Leichtathleten des
TV Wattenscheid 01, denen er zu internationalen
Medaillenrängen verhalf.
Die Geschichte des Lohrheidestadions begann 1958.
Mit einem Toto-Gewinn. Eine Tipp-Gemeinschaft
des Wattenscheider Fußballclubs Rot-Weiß Leithe,
so erzählt man sich, hatte ein hübsches Sümmchen
gewonnen, das für den Bau eines neuen Sportplatzes ihres Vereins aufgewendet werden sollte. Doch
von ihrem Gewinn profitierten dann die Ortsrivalen
von Wattenscheid 09, die 1965 jenen Sportplatz in
Besitz nahmen. Nach und nach wurde der Platz zu
einem richtigen Stadion ausgebaut. 1972 kam die
Westtribüne und ein Jahr darauf die erste Flutlicht-
anlage, ein weiteres Jahr später entstand eine Tartanbahn.
Wattenscheid war zu diesem Zeitpunkt noch eine
kreisfreie Stadt. Die Eingemeindung zum 1. Januar
1975 sollte dies ändern: Wattenscheid war fortan
nur noch ein Teil der etwas größeren Nachbarstadt
Bochum. Eine politische Entscheidung, die viele
Wattenscheider schmerzte und die in einem Bürgerbegehren für den Erhalt ihrer Selbstständigkeit
mündete. Vergeblich. Zu den Widerständlern zählte
auch Klaus Steilmann, der ein Jahr zuvor begonnen
hatte, die SG Wattenscheid zu fördern. Sein Engagement für den Fußballverein wurde über die Jahre
auch ein Engagement für den Erhalt der Wattenscheider Identität. Als Zeichen seines Protests gegen
die Eingemeindung fuhr Steilmann übrigens stets
ein Auto mit Essener Kennzeichen. BO kam ihm bis
zuletzt nicht an die Stoßstange.
Bochum war wie die meisten Städte im Ruhrgebiet
lange Zeit vom Bergbau geprägt. Zeugnisse der ehemaligen Zechenstadt sind noch immer weithin sichtbar. Auch im Lohrheidestadion. Eingerahmt von zwei
ehemaligen Großzechen liegt die alte Westtribüne
mit ihren nostalgischen Holzsitzen. Auf der einen
Seite der Förderturm der Zeche „Holland“ in Wattenscheid, auf der anderen Seite die Abraumhalde Rheinelbe in Gelsenkirchen. Die Konstruktion der Tribüne
mit ihren geschwungenen Bögen soll bewusst an
Seilscheiben erinnern. Fußballfans nennen sie wegen dieser Form auch liebevoll „Steilmanns Fahrradständer“. Gegen ihren geplanten Abriss haben sich
die Wattenscheider erfolgreich gewehrt. Nie käme es
den 09ern in den Sinn, auf die 900 alten Holzsitze
zu verzichten oder die 1 200 Stehplätze mit modernen Plastiksitzschalen auszustatten. Die Erinnerung
lebt. Manch einer träumt dabei von alten, goldenen
lohrheidestadion | bochum
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Rund 16 000 Plätze bietet das Wattenscheider Lohrheidestadion, das sich Leichtathleten mit Fußballern teilen.
Fußballzeiten und erinnert sich an Fußballgrößen,
die hier an der Lohrheide groß geworden sind, so wie
etwa Michael Skibbe, Thorsten Fink, Hannes Bongartz oder die Altintop-Zwillinge.
Heute gilt das Lohrheidestadion als Top-Adresse in
Deutschland für Leichtathletik. Mit dem TV Wattenscheid 01 hat einer der erfolgreichsten Leichtathletikvereine in diesem Stadionrund seine Basis. Nachdem das Stadion für fünf Millionen Euro aufwendig
saniert wurde, fanden 2002 erstmals die Deutschen
Leichtathletik-Meisterschaften in Wattenscheid statt.
Nie käme es den 09ern in den Sinn, auf
die 900 alten Holzsitze zu verzichten.
An diesem Morgen drehen vier Mittelstreckenläufer
auf der Tartanbahn ihre Runden. Die Nachwuchssportler absolvieren ihr tägliches Training. Mit ihnen
kreist auch ein Reinigungsfahrzeug über die Bahn.
Dank eines kräftigen Wasserstrahls schwindet das
Grau der vergangenen Jahre und gibt den Blick frei
auf den ursprünglich orangeroten Kunststoffbelag.
Das Lohrheidestadion putzt sich für seine dritten
Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften heraus,
bei denen die Sportler sich noch für die Europameisterschaften in Helsinki und die Olympischen
Sommerspiele in London qualifizieren können.
Nach 2002 war die „Lohrheide“ zuletzt 2005 Gastgeber der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften.
Bei der Premiere vor zehn Jahren startete die seinerzeit noch dreitägige Veranstaltung gleich am ersten
Nachmittag mit 8 000 Besuchern. Für die Organisatoren von damals „eine Bombe“. Mit so viel Interesse auf der Tribüne hatten sie gar nicht gerechnet.
Gleichermaßen schätzen Athleten und Zuschauer
besonders die Nähe zur Laufbahn und zum Innenraum. Maximal zehn Meter Entfernung sind es von
den Rängen. Beste Voraussetzungen für eine tolle
Atmosphäre während der Spiele. Für gesellige
Stimmung sorgt aber mitunter auch eine Besonderheit, die es nur hier gibt: So steht in Wattenscheid das wohl einzige Leichtathletikstadion mit
integriertem Biergarten.
Gleich nebenan hat Sabine Braun, die prominenteste Leichtathletin Wattenscheids, ihr Büro. Das
Lohrheidestadion war lange Zeit ihr zweites Zuhause – und ist es bis heute geblieben. So wie die zweimalige Siebenkampf-Weltmeisterin und Olympiadritte betreuen am Olympiastützpunkt heute viele
ehemalige Spitzensportler den athletischen Nachwuchs. Von 1987 bis 2002 trainierte Sabine Braun
hier selbst nahezu täglich mehrere Stunden. Noch
gut kann sie sich an die „Lohrheider Spezialität“
erinnern, die allen Läufern bis heute zu schaffen
macht: „Egal auf welcher Bahn man gestartet ist,
sabine braun
35
wenn man losgelaufen war und Tempo machen
wollte, hatte man plötzlich Gegenwind.“ Aber vielleicht sei das auch ein psychologisches Problem,
sagt die 47-Jährige und schmunzelt.
Der Sommer 2002 war für Leichtathletik-Deutschland und für Sabine Braun ein besonderes Jahr: die
Europameisterschaften im eigenen Land, die ersten
Deutschen Meisterschaften in ihrem Stadion. Es
war das Jahr, als Sabine Braun Abschied vom Leistungssport nahm, nach 20 Jahren Siebenkampf. Bei
den Europameisterschaften in München erkämpfte
sie sich noch einmal eine Silbermedaille. Ein emotionaler Moment. So wie auch ihr Abschied kurz zuvor in ihrem Heimatstadion, in dem sie unter dem
Jubel des heimischen Publikums mit dem RudolfHarbig-Gedächtnispreis ausgezeichnet wurde. „Es
war ziemlich voll und es herrschte eine tolle Atmosphäre“, erinnert sie sich gern an diesen Tag zurück.
Zehn Jahre später wird die Grande Dame des Siebenkampfs wieder dabei sein. Wenn an der Lohrheide,
mitten im Herzen des Ruhrgebiets, Spitzenathleten
zu den Deutschen Meisterschaften antreten. Ganz
entspannt als Zuschauerin.
Fußballfans nennen ihre Westtribüne liebevoll
„Steilmanns Fahrradständer“. Die geschwungene
Form erinnert an Seilscheiben und setzt Watten-
lohrheidestadion
bochum
Adresse:
Lohrheidestraße 82,
44866 Bochum
Eröffnet: 1954
Kapazität: 5 033 Sitzplätze
(alle überdacht),
11 200 Stehplätze
Besonderheiten:
Kombiniertes Fußball- und
Leichtathletikstadion,
90 qm große Videowand
Veranstaltungen:
Austragungsort der
Deutschen LeichtathletikMeisterschaften 2002,
2005 und 2012 sowie der
Deutschen LeichtathletikGala 2006, 2007, 2008,
2009 und 2010,
seit der RegionalligaSaison 2008/09 trägt der
VfL Bochum II seine Heimspiele in der Lohrheide
aus,
offizieller Trainingsort während der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011
Seit 1965/66 Spielstätte
des Fußballclubs SG Wattenscheid 09
www.sgwattenscheid09.
de/lohrheide
scheids Bergbau-Vergangenheit ein Denkmal.
Sportschule Wedau | duisburg
36
berti vogts
37
Duft aus der Kindheit
SPORTSCHULE WEDAU. Berti Vogts hat nie vergessen, dass seine
Karriere in Duisburg begann – heute bringt er junge Talente hierher.
K
aum zu glauben, dass dies Duisburg ist.
Von oben betrachtet erscheinen Wanheimerort und Rheinhausen, die Krupp-Werke und
die Kühltürme wie industrielle Inseln in einer von Wald geprägten Landschaft. Wir stehen auf
dem Dach des markanten sechseckigen Wohnturms
der Sportschule Wedau, 15 Stockwerke, 55 Meter
über dem gleichnamigen Sportpark. Normalerweise
kommt hier niemand hin, aber Robert Baues hat drei
schwere Metalltüren aufgeschlossen und erklärt
jetzt das Panorama. An diesem klaren, sonnigen Tag
kann man bis Düsseldorf sehen.
Zurück ins Erdgeschoss des „Bettenturms“. Gebaut im Rahmen einer Erweiterung Anfang der
80er Jahre, befindet sich im heutigen Markenzeichen der Sportschule ein Großteil der 400 Übernachtungsmöglichkeiten für Sportlerinnen und
Sportler. Mehr Kapazitäten hat keine Sportschule
in Deutschland. Im Herbst 2012 wird der Turm jedoch für ein paar Monate dichtgemacht. „Wir unterliegen einer Brandschutzsanierung, bringen gleichzeitig das Gebäude energetisch auf den neuesten
Stand der Technik und gestalten auch die Wohnbereiche völlig neu“, erklärt Robert Baues.
Noch lieber schaut der Leiter der Sportschule nach
unten, auf das weitläufige Areal, das in direkter
Nachbarschaft der MSV-Arena, des Leichtathletik­
stadions, des Schwimm- und des Eisstadions sowie
der Regattabahn liegt. „Eine derartige Dichte von
hochklassigen Sportstätten, das ist einzigartig in
Deutschland“, meint Baues und ein wenig Lokalpatriotismus prägt seine Sicht. Zur Sportschule, die er
seit 1984 leitet, gehören allein sechs Rasenplätze,
ein Kunstrasenfeld der neuesten Generation, verschiedene Kleinspielfelder, eine Fußballhalle – und
das ist nur die Fußballinfrastruktur. Diverse weitere
Hallen und Räume für Sportarten von Judo bis Tanzsport, von Rollhockey über Squash bis Tennis sind
auf dem 145 000 Quadratmeter großen Gelände
verteilt. Neben dem Fußballverband Niederrhein
sind die Geschäftsstellen des Deutschen Behindertensportverbands, des Behinderten-Sportverbands
NRW und der Vereinigung der Vertragsspieler in der
Sportschule Wedau beherbergt. Insgesamt 20 Landes- und Bundesleistungszentren anderer Sportarten sind hier ansässig. Aus der Höhe sieht man aber
heute nur Fußball: Auf vielen der Plätze herrscht reger
Betrieb, flinke weiße Punkte leuchten auf dem satten
Grün. „Da drüben trainiert gerade die U-17-Juniorinnen-Nationalmannschaft“, zeigt der Hausherr.
Insgesamt rund zwölf Millionen Euro werden in den
Umbau investiert, allein 8,5 kommen als Förderung
vom Land Nordrhein-Westfalen. Eine Investition,
die die große Bedeutung der Sportschule unterstreicht – gilt sie doch als größte Talentschmiede
des deutschen Fußballs. Und das seit 1929. Entstanden aus einem Naherholungsheim für Kumpel
aus dem Ruhrgebiet, ist die Sportschule Wedau zur
Keimzelle des Westdeutschen Fußballverbands geworden. Sechsmal im Jahr finden in verschiedenen
Altersklassen die DFB-Sichtungsturniere statt, an
denen sich alle 21 Fußball-Landesverbände des
Deutschen Fußball-Bundes mit ihren talentiertesten
Spielerinnen und Spielern eines jeweiligen Jahrgangs beteiligen. Daneben kommen natürlich Nationalmannschaften oder auch Vereinsteams aus aller
Welt zu Lehrgängen, ganz zu schweigen von Trainerund Schiedsrichterfortbildungen und Veranstaltungen der Spielergewerkschaft. Viele Profikarrieren
begannen auf den Fußballplätzen an der Wedau.
„Vermutlich wurden um die 75 Prozent aller deutschen Spieler, die heute in der 1., 2. oder 3. Liga
spielen, hier entdeckt“, schätzt Schulleiter Baues.
Sportschule Wedau | duisburg
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Allein unter Fußballplätzen: Auch andere Bodenbeläge
Weiter Blick: Die Bar im obersten Stock des Wohnturms bietet eine
stehen für sportlichen Ausgleich bereit.
spektakuläre Aussicht über Duisburg.
So auch der Mann, der nun den Kopf durch die Tür
steckt. „Sind wir verabredet?“, fragt Hans Hubert
Vogts, allgemein als „Berti“ bekannt, höflich und
immer mit ein wenig Niederrhein in der Stimme.
Der Ex-Bundestrainer (Europameister), Spieler-Weltmeister von 1974 und fünfmalige Deutsche Meister
kommt gerade mit dem Flugzeug aus Salzburg und
macht einen Abstecher auf dem Weg ins heimische
Kleinenbroich. „Wedau ist für mich ein Zuhause“,
sagt Berti. Mit 15 Jahren kam er als Spieler des VfR
Büttgen zum ersten Mal hierher, im Rahmen eines
normalen Kreislehrgangs. Trainerlegende Dettmar
Cramer war zu jener Zeit Cheftrainer in Wedau und
berief Vogts in die Jugend-Nationalmannschaft.
„Da habe ich an der Seite von Franz Beckenbauer
im UEFA-Jugendturnier gespielt“, erinnert sich der
heute 65-Jährige. „Und Cramer war es auch, der
später Hennes Weisweiler anrief und mich nach
Mönchengladbach empfahl.“ So fand der gerade
volljährige Berti Vogts, der mit zwölf Jahren seine
Eltern verloren hatte, einen Platz in der Bundesliga
und entwickelte sich zu einer wichtigen Stütze
der Fohlenelf. Noch heute hält er den Rekord der
meisten Spiele für die Borussia, 419 Einsätze stehen auf seinem Konto.
Fußballexperten von damals erzählen, das Verhältnis
des Gladbacher Trainers Weisweiler zu seinem jungen Abwehrspieler sei geradezu väterlich gewesen.
Auch mit der Sportschule Wedau verbindet Berti
Vogts familiäre Gefühle. „Wir waren immer alle gerne
hier. Auch wenn wir zu acht oder zu zehnt in einem
Zimmer geschlafen haben und die Ausstattung
spartanisch war, wir empfanden das als 5-SterneHotel“, erinnert sich Vogts. Die Stockbetten gibt es
heute nicht mehr, wohl aber noch den Parkettboden
von 1954 in der Trainingshalle, der immer noch beste
Eigenschaften aufweist. Und es gibt einen speziellen
Geruch hier, einen Duft aus der Kindheit nach ehrwürdigem Schulgebäude. Bleibt zu hoffen, dass dieses Odeur die Renovierung überlebt, denn es passt
zur Tradition und zur Ernsthaftigkeit des Fußballgeschäfts wie der Stollen an den Schuh.
„Hier ist schließlich die Wiege
des deutschen Fußballs.“
Mit Berti Vogts nach draußen und schon wird klar:
Das Gelände kennt er immer noch wie seine Westentasche. Er hält die Türen auf und genießt den Anblick
der grünen Plätze, auf denen gerade die Nachwuchstalente arbeiten. „Auf dieser Anlage gibt es mehr
gute Fußballplätze als in ganz Aserbaidschan“, sagt
Vogts. Und dann erzählt er von seiner derzeitigen Arbeit als Nationaltrainer am Kaspischen Meer. Echte
Aufbauarbeit in einem Land, das durchaus Kapital
und Talente hat, aber – mit Verlaub – noch nicht viel
Ahnung von Fußball. „Die haben sich zum Beispiel für
viel Geld eine Fußballakademie gebaut, dabei aber
völlig vergessen, sie mit Trainingsplätzen auszustatten“, berichtet der weit gereiste Fußballfachmann.
Mit seinem Team musste er erst mal Strukturen
schaffen. Mittlerweile gibt es sechs Stützpunkte im
Land, eine funktionierende Trainerausbildung. Und
berti vogts
39
Trockenen Fußes: Eine Fußgängerbrücke verbindet Sportschule
und Verwaltungsgebäude.
Vogts schickt seine jungen Nachwuchsspieler nach
Wedau, wo sie oftmals Erstaunliches vollbringen.
„Das sind Jungs, die haben dort auf der Straße und
auf Feldern gekickt, ohne taktische Ausbildung, ohne
ausgebildete Kondition.“
So kam seine U-15-Nationalmannschaft für sechs
Wochen nach Duisburg, lernte Fußball und bekam
nebenbei auch ein wenig Schulunterricht, etwa in
Englisch. „Das Gute an ihnen ist, dass sie völlig unvorbelastet und sehr lernwillig sind. Das Team ist
offen für jede strategische Anweisung, für jeden
Input.“ Da können sechs Wochen Lehrgang schon
kleine Wunder bewirken. So schlugen die Aserbaidschaner am Ende sogar Bayer Leverkusen, eines
der stärksten Jugendteams in Deutschland, mit
3:1. Das ist auch der Effekt von Wedau, den Berti
Vogts so gut kennt und den er weitergeben möchte.
„Hier ist schließlich die Wiege des deutschen Fußballs“, sagt er.
Ein schönes Schlusswort für das Ende eines Rundgangs, der von vielen Trainingsplätzen aus mit verstohlener Bewunderung beobachtet wurde. Der Mann
im Fokus der Aufmerksamkeit fragt nur knapp: „Sind
wir durch?“ Ja, sind wir, vielen Dank. Berti Vogts, dessen wahrhaftig bewegtes Fußballer-Leben vor einem
halben Jahrhundert hier seinen Anfang nahm, verabschiedet sich mit ernstem Gesicht und geht völlig
selbstverständlich durch einen Seitenausgang zum
Parkplatz. Zeit, heimzufahren. Nach Wedau wird er
noch oft genug kommen.
Im Zeichen des Fußballs: Das Sechseck als
Sportschule Wedau
Adresse:
Sportpark Wedau,
Friedrich-Alfred-Straße 15,
47055 Duisburg
Träger: Fußballverband
Niederrhein e. V.
Baujahr: 1929
Baujahr Erweiterungsbau:
1954 und 1980
Wohnturm-Sanierung:
Ab Herbst 2012
Übernachtungskapazität:
400
Mitarbeiter: ca. 55
Sportstätten:
6 Rasenplätze,
1 Kunstrasenspielfeld,
1 Kunstrasen-Kleinspielfeld,
1 Kunstrasen-Minispielfeld,
ca. 10 Hallen von Fußballhalle bis Gymnastik- und
Judohalle,
5 Squash-Courts,
3 Indoor-Tennisplätze,
2 Krafträume
www.sportschule-wedau.
de
gestalterisches Element prägt die Architektur in Wedau.
REGATTABAHN | DUISBURG
40
Goldsuche in der Kiesgrube
REGATTABAHN DUISBURG. Für den Erfolg hat Doppelolympiasieger
Thomas Reineck 50 000 Trainingskilometer unters Paddel genommen.
W
ie üppig der Bau neuer Sportstätten ausfällt, hat viel mit Geld zu tun. Große Mengen davon nennt der Volksmund heute
noch mitunter salopp „Kies“. Und davon
hatte die Stadt Duisburg zur Blüte der Kaiserzeit reichlich. Als die Anfang des 20. Jahrhunderts aufstrebende
Industriemetropole einen neuen Güterbahnhof und
Dutzende von Wohnsiedlungen errichten wollte, ließ sie
den Baustoff aus den nahen, 200 Hektar großen und
bis zu 15 Metern tiefen Kiesvorkommen im Süden der
Stadt ausgraben. Das Ergebnis ist – unter anderem –
eine der schönsten Wassersportanlagen der Welt.
Regattabahn
Duisburg
Adresse: Kruppstraße 28 a,
47055 Duisburg
Eigentümer:
Stadt Duisburg
Erbaut: 1935
Status: Bundes- und
Landesleistungszentrum
Kanurennsport
Kapazität: 2 468 Sitzplätze,
8 000 Stehplätze
Maße: 130 x 2 200 m
Besonderheiten:
2 km langer Windschutzdamm entlang der Rennstrecke. Die Regattastrecke ist komplett von
einer nachts beleuchteten
Laufstrecke umgeben.
Veranstaltungen:
Kanu-Sprint-Weltcup
Mai 2012,
Kanu-Weltmeisterschaften
1979, 1987, 1995, 2007,
World Games 2005,
Ruder-Weltmeisterschaften 1983 und 2001
www.duisburg.de/freizeit/
sport/regattabahn.php
2 180 Meter lang, 130 Meter breit und bis zu 10 Meter
tief präsentiert sich heute die Regattabahn Duisburg.
Errichtet 1935. Auf einem der bei den Kiesgrubenarbeiten 20 Jahre zuvor entstandenen Baggerseen. Ein
1972 erbauter Windschutzdamm macht die Anlage
im internationalen Wasserrennsport zur allerersten
Adresse. Warum sonst hätten Ruderer und Kanuten
auf dieser Strecke schon sechs Weltmeisterschaften
ausgerichtet? Und einer, der hier „den zweiten Abschnitt meiner Jugend verbracht hat“, ist Kanu-Doppelolympiasieger Thomas Reineck (44).
Auf dem Flüsschen Schwentine in Holstein mit dem
Kanu groß geworden, durfte er 1982 erstmals zu einer Talentsichtung des Verbands. Und dann ging es
für den Kajakfahrer Schlag auf Schlag.
„Überwältigend“ sei für ihn als 15-Jährigen schon
gewesen, die Duisburger Anlage „überhaupt nur zu
sehen“. Bis zu zwölf Bahnen, kilometerlang sauber
ausballoniert, und mittendrin die Kanu-Heroen seiner
Zeit – wie die Hamburger Brüder Oliver und Matthias
Seack („meine sportlichen Vorbilder“). Und alle trainierten für Olympia in Los Angeles. Drei bis vier Minuten brauchen die Einer-, Zweier- oder Viererkajaks für
die 1 000-Meter-Distanz – je mehr „Mann an Bord“,
desto schwerer, aber auch schneller sind die Boote.
Etwas langsamer sind die Kanadier, deren Besatzungen mit Stech- statt Doppelpaddel unterwegs sind.
„Hier wollte ich hin“, erinnert sich Reineck heute. Und
dafür trainierte er – hart und mit Erfolg. 1984 wurde
er in die Nationalmannschaft berufen und gewann im
Jahr darauf Bronze bei der Junioren-WM. Drei Jahre
und drei WM-Medaillen später nominierte ihn Bundestrainer Josef Capoušek für die Olympischen Spiele.
Der gebürtige Prager, eine Legende im deutschen
Kanusport, führte seine Athleten zu 17 olympischen
Siegen. Und den Grundstein für Gold legten nahezu
alle in der alten Duisburger Grube. Dann Seoul 1988.
Mit Reineck im Viererkajak sprang ein sechster Platz
heraus. Immerhin.
„Kanuten werden im Winter gemacht“, heißt es. Das
kam Reineck entgegen. Während der kalten Saison
konnte er so neben der Arbeit als angehender Maschinenschlosser in Berlin Ausdauer und Kraft trainieren.
Doch zur Vorbereitung auf Olympia ging es von Februar bis August ins Leistungszentrum nach Duisburg.
Geschätzt 50 000 Trainingskilometer hat Reineck in
den zwölf Jahren, die er zum Nationalteam zählte, zurückgelegt – viele davon auf dieser Anlage. Um dichter
am Bundes- und Landesleistungszentrum des Kanurennsports in Duisburg zu sein, wechselte er nach zwei
Semestern Maschinenbaustudium 1992 von Berlin zur
FH Bochum. Und schon im selben Jahr in Barcelona und
noch einmal 1996 in Atlanta führte er als Nummer eins
im Boot den deutschen Vierer zu olympischem Gold.
Und was kam im Anschluss an die Kajak-Karriere?
„Kanuten müssen hart arbeiten – auch nach dem
Sport“, grinst Reineck. „Und das lernt man am besten
in der ‚Kiesgrube‘ in Duisburg.“ Der Diplom-Ingenieur
Thomas Reineck tut das bei den Stadtwerken in Essen
und seit 2007 auch in der Funktion des Präsidenten
des Kanu-Verbands Nordrhein-Westfalen.
Thomas reineck
41
elf fuSSballstadien | nordrhein-westfalen
42
stadion-extra
elf von uns
Die
gelbe
Wand
(und viele andere Besonderheiten in
Nordrhein-Westfalens Fußball-Arenen)
Otto Schneitberger
stadion-extra
43
Signal Iduna Park | dortmund
44
Verein,
Fans,
Stadt,
Stadion.
Alles
eins!
Glücklicher BVB-Sportdirektor vor mitgenommenem Rasen:
Michael Zorc in der gigantischen Arena des Deutschen Meisters und Pokalsiegers 2012.
Name: Signal Iduna Park
Adresse: Strobelallee 50, 44139 Dortmund
Eröffnet: 1974; erweitert und modernisiert 1998 und 2006
1. Spiel: 2. April 1974, BVB 09 gegen Schalke 04 (0:3)
Internationale Großereignisse:
Fußball-Weltmeisterschaften 1974 und 2006,
Finale des UEFA Cups 2003, UEFA Champions League,
UEFA Europa League
Kapazität: 80 720, bei internationalen Spielen: 65 718
Spielstätte von BV Borussia 09 Dortmund,
Deutscher Meister 2012 und Deutscher Pokalsieger 2012
Parkplätze: über 10 000
www.signal-iduna-park.de
michael zorc
45
Glückliche Dortmunder. Alle Sieger. Die Fußballbegeisterung der Stadt, so heißt es, habe beinahe religiöse Züge. Ein Leben ohne BVB? Für einen Dortmunder unvorstellbar. Als sie voriges Jahr Meister wurden,
feierten 400 000 Menschen auf der gesperrten B 1.
Im „Meisterschaftsgottesdienst“ sprach der katholische Pfarrer von einem „Steilpass in den Himmel“.
„Echte Liebe“ – das steht neben dem Logo des BVB
in der Geschäftsstelle unweit des Stadions. Echte
Liebe beruht auf Gegenseitigkeit: Die Dortmunder
lieben ihren BVB und beim BVB liebt man „die besten
Fans der Republik“. Verein, Fans, Stadt – alles eins.
Mittelfeldspieler Kevin Großkreutz zeigt auf seiner
rechten Wade, was er unter echter Liebe versteht.
Die Wade ist mit der Skyline der Stadt tätowiert:
Reinoldi-Kirche, Zeche Germania, Florianturm, Oper,
BVB-Stadion.
Das Stadion. Osttribüne. Warten auf BVB-Sportdirektor Michael Zorc, der noch telefonieren muss. Triumphe sind herrlich, aber anstrengend. Immer will irgendwer irgendwas. Andere dagegen haben nun
schön Zeit, den Signal Iduna Park auf sich wirken
zu lassen. Das Resultat? Ähnlich wie beim SpaceNight-Gucken. Das gigantische, gerade vollkommen
leere Stadion bringt seinen Betrachter in einen Modus, wie ihn sonst wohl nur Zen-Meister kennen. Entspannung total. Eurokrise, mieses Wetter, Halsschmerzen – alles egal, es gibt Dinge, die größer sind.
„Mit 80 720 Plätzen größer als das Olympiastadion in
Berlin“, sagt plötzlich mit einem Lächeln ein ausgesprochen attraktiver und sympathisch wirkender
Mann: Michael Zorc. In Dortmund geboren und aufgewachsen, hat Zorc als Aktiver auf dem Platz 463
Bundesligaspiele für den Verein gemacht. 34 Jahre
BVB – da darf man mit seinem Stadion schon ein
bisschen angeben. Und überhaupt: Hat nicht die
ehrwürdige London Times den Dortmunder Fußballtempel zur Nummer eins der ganzen Welt gekürt?
Vor Mailand und Liverpool? Eben. „Gewaltige Ränge“,
so hieß es in der Begründung, würden die Geräusche
mit „ohrenbetäubender Intensität auf den Rasen
zurückwerfen“. Die Atmosphäre – phänomenal.
Kann es einen besseren Platz für Fußball und seine
Fans geben?
Gemeinsamer Blick zur legendären Südtribüne, dem
Epizentrum Dortmunder Fußballleidenschaft und
nebenbei Europas größtem Stehareal: 100 Meter
breit, 53 Meter tief, 40 Meter hoch. Wer auf den Oberrängen steht, muss garantiert schwindelfrei sein. Der
Neigungswinkel beträgt atemberaubende 37 Grad.
Die Südkurve, jetzt zeigt sie sich betongrau, aber
wenn der BVB spielt, stehen da 24.454 Anhänger in
Trikots und materialisieren sich zur Gelben Wand.
Diese Wand ist immer da, bei jedem Wetter, in guten
wie in schlechten Zeiten. Nicht zu übersehen, nie zu
überhören. Den Gegner bedrückt, die eigene Mannschaft beflügelt sie.
Das hätte man den Dortmundern vor 40 Jahren mal
erzählen sollen: 80 000 Zuschauer bei jedem Match,
eine Spielstätte mit Glasfassade, Rasenheizung und
acht leuchtend gelben, das Dach stützenden Stahlpylonen, welche mit je 62 Metern Höhe genauso hoch
in den Himmel ragen wie die kleinste Pyramide von
Gizeh. Dass dieser „Gigant“ dem Verein „beinahe finanziell das Genick gebrochen“ hätte, vermerkt die
BVB-Chronik ungeniert – Schnee von gestern.
Und sonst so? Jürgen Klopp schon im Urlaub? „Nein,
treff ich gleich“, berichtet Zorc und gerät ins Schwärmen. Dass „Kloppo“ ein super Trainer ist, muss er
nicht mehr erwähnen, dass der Mann weitere Talente
hat, etwa ein begnadeter Entertainer ist, ist bekannt.
Würde Thomas Gottschalk mal krank, sagt Zorc, empfehle er dem Fernsehen, Klopp um Hilfe zu bitten.
Selbst eine wichtige TV-Show moderiere der aus dem
Stand. Einfach so.
Gigantisches Stadion. Grandioser Verein. Genialer
Trainer. Eine große Mannschaft.
stadion-extra
E
ine große Mannschaft.“ Mit den drei knappen
Worten von Oliver Kahn ist bereits viel gesagt.
Deutscher Meister und Pokalsieger – die Borussia hat in der nationalen Saison 2012 alles
gegeben, in Deutschland alles gewonnen und damit
die deutsche Fußball-Tektonik gehörig aus den Angeln
gehoben. Die Konkurrenz aus München musste sich
mit zweiten Plätzen zufriedengeben.
esprit arena | düsseldorf
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Name:
Esprit arena
Adresse: Arena-Str. 1,
40474 Düsseldorf
Eröffnet:
18. Januar 2005
1. Spiel:
10. September 2004,
Fortuna Düsseldorf –
Union Berlin (2:0)
Kapazität:
54 600 national
(44 683 Sitzplätze,
9 917 Stehplätze)
Parkplätze:
Ca. 22 000 (aufgrund
der Nähe zur Messe)
Internationale
Großereignisse:
Fußball-Länderspiel
Deutschland – Argentinien am 9. Februar
2005 (2:2),
Fußball-Länderspiel
Deutschland –
Schweiz am 7. Februar
2007 (3:1),
Fußball-Länderspiel
Deutschland – Norwegen am 11. Februar
2009 (0:1)
Spielstätte von
Fortuna Düsseldorf
www.espritarena.de
Herr Niersbach, gestatten Sie eine kleine Rückblende: Wissen Sie noch, wie es sich anfühlt, samstags
als Reporter im Rheinstadion zu sitzen, den Telefonhörer am Ohr zu haben, live über Fortuna zu berichten und sich dann sonntagabends im Benrather Hof
mit den anderen Düsseldorfer Sportjournalisten die
wahren – nicht geschriebenen – Geschichten und
Hintergründe zu erzählen? Nur zu Ihrer Erinnerung,
das war 1976/77!
wolfgang niersbach: Das weiß ich noch sehr genau. Es hat sich gut angefühlt. Ich habe das unheimlich
gerne und leidenschaftlich gemacht. Und mir würden
noch einige Geschichten einfallen, die spannend waren, aber nie geschrieben wurden.
Haben Sie Ihre damalige Leidenschaft für Fortuna –
auch als Autor im Stadionmagazin – behalten?
niersbach: Ich habe damals eine tolle Zeit mit der
Fortuna erlebt und ich gebe offen zu, dass mir der Verein immer noch besonders am Herzen liegt. Die Liebe
zu einem Verein legt man nicht einfach ab.
Dürfen Sie als DFB-Präsident noch Fan eines Clubs
sein oder sieht die Pflicht eine übergeordnete Distanz
mit Leidenschaft für den deutschen Fußball vor?
niersbach: Das eine schließt das andere doch gar
nicht aus. Man kann auch Fan eines Vereins sein und
sich leidenschaftlich für den gesamten Fußball engagieren. Wenn Bayern München in der Champions
League gegen Chelsea um den Titel spielt, bin ich natürlich auch Bayern-Fan. In erster Linie bin ich aber
Fußballfan.
auch 1977 der Weltcup der Leichtathleten – eine tolle
Veranstaltung in einer ganz besonderen Atmosphäre.
… an Siegen?
niersbach: Da fällt mir spontan der 15. November
1972 ein, als Deutschland 5:1 gegen die Schweiz gewonnen hat. Gerd Müller hat damals den Ball für Günter Netzer mit der Hacke aufgelegt. Es war das Tor des
Jahres.
… und natürlich an Niederlagen?
niersbach: Da denke ich an ein Spiel im September
1982, es war ein kühler, ungemütlicher Tag. Am Ende
stand ein 0:6 gegen den Hamburger SV vor gerade mal
13 000 Zuschauern.
Gehörte der Niedergang der Fortuna und damit ein
verwaistes Rheinstadion dazu?
niersbach: Es war schon ein Dilemma. Auf der einen
Seite hatte man dieses große Stadion, auf der anderen
Seite lag der Zuschauerschnitt vielleicht bei 15 000,
18 000 Fans. Wenn so viele Plätze leer bleiben, ist die
Stimmung natürlich entsprechend und kann ein Nachteil sein.
Lassen Sie uns über das alte Rheinstadion sprechen.
Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben …
… an Kuriosem?
niersbach: Ich erinnere mich, dass im Sommer in
der einen Ecke des Stadions bei schönem Wetter mehrere Hundert Zuschauer in Badehose an einem Zaun
standen und das Spiel schauten. Nebenan war ein
Schwimmbad. Die Sicht war von dort sicher nicht optimal, aber dafür war der Eintrittspreis günstiger als
im Stadion.
Eine gewaltige Kraftanstrengung der Düsseldorfer
Stadtväter mit dem Neubau einer Fußball-Arena
reichte allerdings nicht dafür, dass Sie als führender
Funktionär Ihre Heimatstadt 2006 zum WM-Spielort
machten. Warum eigentlich nicht? Hier und jetzt
können Sie es ja mal sagen!
niersbach: Mir hat die Entscheidung damals persönlich wehgetan. Für das Turnier waren nur zwölf
Spielorte zugelassen, obwohl wir uns noch bemüht
hatten, Düsseldorf als 13. reinzunehmen. Dortmund
und Schalke waren aufgrund ihrer Größe gesetzt,
Köln war bereits fertig und 1974 nicht berücksichtigt
worden. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass
Düsseldorf nicht genommen wurde, obwohl die Bewerbung exzellent war. Umso höher ist es der Stadt
anzurechnen, dass dieses Stadionprojekt umgesetzt
und damit die Basis für den stetigen Aufstieg der Fortuna geschaffen wurde.
… an sportlichen Höhepunkten?
niersbach: Natürlich die WM 1974 mit den Spielen
gegen Jugoslawien und Schweden oder die Europapokal-Spiele von Borussia Mönchengladbach. Aber
Was gefällt Ihnen besonders am neuen Rheinstadion,
pardon, an der Esprit arena?
niersbach: Ich finde, die Stimmung ist dort sogar
noch besser als damals im Eisstadion an der Brehm-
Bessere Stimmung als
wolfgang niersbach
47
Dort, wo alles begann – das Rheinstadion. 1976 saß der junge Sportjournalist
Wolfgang Niersbach im Düsseldorfer Fußballstadion und berichtete live für den
Sportinformationsdienst (Schwarzweißfotos unten rechts) über die großen Spiele
der Düsseldorfer Fortuna. Seit 2012 führt er als Präsident mit dem Deutschen
Fußball-Bund (oben) die größte Sportorganisation der Welt und ist als Ehrengast
straße, wo sich ja nach eigenem Bekunden die besten
Fans der Welt trafen. Die Arena ist modern, kompakt,
funktional. Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass
Fußballstadien keine Luxustempel sein müssen, sondern diese Kriterien erfüllen sollten.
Und was können Sie als oberster deutscher Fußballchef den Düsseldorfern und ihrem schmucken Stadion
versprechen, vielleicht eine Europameisterschaft?
niersbach: Wir können dankbar sein, dass wir mit
2006 und 2011 zwei tolle Heimturniere austragen
konnten. Ein weiteres Turnier kann ich nicht versprechen, aber die Düsseldorfer können sich ja jetzt erst
mal auf die Bundesligasaison freuen.
Wie fühlt sich das für Sie an, wenn Sie dort oben
sitzen und Spielzüge, Fouls und Tore analysieren?
Möchten Sie noch gelegentlich zum Telefonhörer
greifen und berichten, wie Klaus Allofs …
niersbach: Ich war mit Leib und Seele Journalist und
bin es auch ein Stück weit immer geblieben. Manchmal
juckt es schon in den Fingern, aber in meiner neuen
Funktion fühle ich mich auf der Tribüne auch sehr wohl.
in der Brehmstraße
stadion-extra
oft in der neuen Esprit arena (rechts).
veltins-arena | gelsenkirchen
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Name: Veltins-Arena (bis 2005 Arena AufSchalke)
Adresse: Arenaring 1, 45891 Gelsenkirchen
Eröffnet: 13. August 2001
1. Spiel: 18. August 2001,
FC Schalke 04 gegen Bayer 04 Leverkusen (3:3)
Kapazität: Bei Fußballspielen auf nationaler Ebene 61 673,
bei internationalen Spielen 54 142 (nur Sitzplätze),
bei Konzerten 78 996 Plätze
Parkplätze: 14 000
Internationale Großereignisse:
Fußball-Weltmeisterschaft 2006, Finale UEFA Champions
League 2004, Länderspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft
Spielstätte des FC Schalke 04
www.veltins-arena.de
stadion-extra
D
ass ein echter Fußballfan seinen Lieblingsverein in guten wie in schlechten Zeiten gegen jegliche Kritik vehement verteidigt, erfährt die nicht gerade regelmäßige
Besucherin solcher Ballspiele bei jeder ihrer Visiten
in Stadien des Ruhrgebiets. In Gelsenkirchen wird
diese bedingungslose Treue noch extremer ausgelebt
und mit „Liebe“ beschrieben. Oder gar damit verwechselt? Begonnen hatte die intensive Zuneigung im
Stadtteil Schalke, auf der Glückauf-Kampfbahn. Dort
stand einst die Wiege jener Leidenschaft. Vor einigen
Jahrzehnten zog die blau-weiße Gemeinde einfach
wenige Kilometer weiter nordwärts in die Kurt-Schumacher-Straße, um der Liebe auch noch den wahren
Segen zu verpassen: zunächst ins Parkstadion, jetzt
spielt man in der vor zehn Jahren daneben errichteten
Veltins-Arena – mit angeschlossener Kapelle.
Hier oben auf dem Hügel der Arena geht es tatsächlich auch abseits des grünen Rasens um die wahre
Liebe. Dann nämlich, wenn – wie Ende April 2012 –
eine Frau mit dem Familiennamen Schalke ihrem
Auserwählten in der Spielstätte des FC Schalke den
Ehering überstreift. Der heißt nun so wie sein fußballerischer Lieblingsclub – Schalke. Das war wohl keine
Frage. Blau und Weiß, wie lieb ich dich …
„Wer diesen Verein einmal kennengelernt hat, kommt
von ihm einfach nicht mehr los“, sagt Klaus Fischer.
In den 70er Jahren wurde er mit dem FC Schalke 04
Vizemeister und Pokalsieger. Seine 268 Bundesligatreffer machen ihn heute zum zweitbesten aller Torjäger – direkt hinter kleines dickes Gerd Müller. Legendäre Tore haben beide geschossen, im Gedächtnis
geblieben ist der artistische Fallrückzieher von Klaus
Fischer im WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich.
Noch heute fühlt sich der 62-Jährige mit Schalke
„verheiratet“. Seit 42 Jahren wohnt der in Bayern
geborene und aufgewachsene Kicker im Ruhrgebiet,
in Gelsenkirchen. Klaus Fischer spielt in der Schalker
Traditionsmannschaft und verpasst kein Heimspiel
der Bundesligamannschaft. „Da muss schon etwas
ganz Wichtiges passieren, dass ich nicht komme.“
Die Plätze im Stadion sind für ihn reserviert: Haupttribüne, Block 4, Reihe 2, Platz 11 und 12. Hier ist
Klaus Fischer zu Hause, hier hat er zahlreiche herausragende Fußballmomente erlebt: etwa das Pokalspiel 2002, das erste Spiel des FC Bayern in der
neuen Arena, die damals noch AufSchalke hieß. 5:1
hieß es zum Schluss – für Schalke. Oder im April
2011, das Halbfinale in der Champions League gegen
Manchester United. 0:2 verloren die Schalker gegen
die Engländer, doch „ich habe nie einen Torwart gesehen, der so gut hält wie Manuel Neuer, das war für
mich unvergesslich“. Schalke verlor dann auch noch
Neuer – an Bayern München.
Dort holt dieser Ausnahmetorwart nach seinem
Wechsel keine Titel, er hat auch kein verschließbares
Dach über dem Kopf oder ein herausfahrbares Rasenfeld unter den Füßen. In München lässt sich auch
die Südtribüne nicht verschieben und ein Videowürfel hängt auch nicht über dem Anstoßkreis. Diese
Besonderheiten zeichnen eben die Verwandlungskünstlerin Veltins-Arena als 5-Sterne-Stadion aus.
Luxus, von dem Klaus Fischer einst im Parkstadion
nur träumen konnte. „Dazwischen liegen Welten“,
klaus fischer
49
Mit seinem legendären Fallrückzieher im WM-Halbfinale 1982 gegen
Frankreich schrieb Klaus Fischer Fußballgeschichte. In den 70ern wurde
er mit dem FC Schalke 04 Vizemeister und Pokalsieger. Auch heute verpasst der zweitbeste Torjäger aller Zeiten kein Spiel seines Vereins in
der Gelsenkirchener Veltins-Arena.
räumt er ein. „Heute ist Fußball ein Event. Viele Frauen und Familien gehen mit zu den Spielen. Damals
haben wir selbst auf gefrorenem Boden gespielt, es
war kalt, es hat geregnet, es war windig. Aber man
war leidenschaftlicher Fußballer und hatte sein Hobby
zum Beruf gemacht.“
Die Veltins-Arena ist für Klaus Fischer „das schönste Stadion in Deutschland. Das sagen sogar BayernFans.“ Ihm gefällt die luftige und transparente Konstruktion, kein störender Beton wie andernorts. Und
vor allem die einmalige Atmosphäre: „Wenn die
Nord- die Südkurve ruft und zurück. Das müssen Sie
einfach erleben. Die Begeisterung der Fans hier ist
einzigartig.“
Nur wenigen von ihnen gelingt es, die Arena von unten zu sehen. In der direkten Nachbarschaft zu den
Umkleidekabinen der Spieler treffen sie sich dann
für einen der schöneren Augenblicke ihres Lebens.
Unter dem heiligen Rasen, in der Schalke-Kapelle,
geloben sich viele Paare ewige Treue. Der Stadionpfarrer kann noch andere Glücksmomente bieten.
So wartet auf neugeborene Schalke-Fans blau-weißes Taufgewässer. Und wenn das junge Glück oder
die frisch Getauften diesen schlicht gehaltenen Ort
nach Gottes Segen verlassen, wandert der Blick wie
magnetisch hinein in den Spielertunnel. Der Schriftzug an den Wänden ist für viele ein Lebensmotto:
„Blau und Weiß ein Leben lang …“.
Blau und
Weiß ein
Leben lang
schauinsland-reisen-Arena | duisburg
50
D
er Reviermensch soll ein ungemein patenter,
rauer, aber gutmütiger Typ sein, bei dem
das Herz auf dem rechten Fleck sitzt. Einerseits fleißig, andererseits gemütlich, gerne
ironisch, immer lässig.
ist lange her, zum Standard in modernen Wohlfühlzeiten gehört Rundum-Betreuung mit Obst-Buffet
und immer verfügbaren Getränken. Neidisch auf die
Kollegen? „Nein“, sagt Dietz, „das ist schon alles
richtig so.“
In der Eingangshalle der Schauinsland-Reisen-Arena,
der Heimat des Zweitligisten MSV Duisburg, wartet
ein Mann, von dem man hört, er werde im Ruhrgebiet
„geliebt“. Bernard Dietz war in den 70er Jahren beinharter, aber nie vom Platz gestellter Verteidiger des
Vereins. Bis heute ist „Ennatz“, wie sie ihn im Pott
zärtlich nennen, zweitbester Bundesliga-Torschütze
des MSV. Ennatz hat auch für die deutsche Nationalmannschaft gekickt. Er war ihr Kapitän, als sie 1980
die Europameisterschaft in Italien gewann.
Warum das Stadion wegen seiner guten Akustik immer gelobt wird, versteht man auf dem Weg nach
draußen. Ziemlicher Radau lässt eine Großveranstaltung erwarten, aber es sind nur ein paar Dutzend
Grundschüler, die hier heute einen „Marathon“ veranstalten dürfen. Eine Überraschung auch: Das Stadion, so unwahrscheinlich es klingen mag, wirkt regelrecht heimelig. Ein Ort auch für Familien. Die Zahl der
Plätze ist mit 31 500 vergleichsweise überschaubar,
die Entfernung von der Tribüne zum Spielfeld mit nur
sieben Metern ideal. Außerdem gibt es für böse Jungs
ein richtiges Gefängnis, sogar mit Verhörräumen, aber
die werden selten gebraucht.
stadion-extra
Erfolg mag anderswo ausreichen, um ein Idol zu sein,
im Ruhrgebiet muss eine zweite Komponente unbedingt hinzukommen: Bodenständigkeit. Graues Haar,
neue Jeans, lässiger Pulli, rote Brille – Dietz sieht nicht
gerade aus, wie man sich Duisburgs Liebling vorstellt,
sondern eher wie ein Redakteur vom Kultur-Fernsehen. Allerdings freut er sich sichtbar über den Besuch,
dem er jetzt „sein Wohnzimmer“ zeigen soll.
Der Rundgang startet in der Mixed-Zone, jenem Bereich, in dem die Fußballer vor einem Hintergrund mit
den Logos von Sponsoren und Werbepartnern nach
dem Spiel Reportern möglichst gefühlig antworten
sollen. Dietz grinst und eilt allen voran zur Mannschaftskabine. Blauer Noppenboden, weiße Kassettendecke, Holzbänke und Garderoben, an denen
Kleiderbügel hängen. Im Moment sind sie ohne Aufgabe, die Saison ist vorbei. Vor den Spielen, erzählt
Dietz, finde hier jeder an seinem mit Namen gekennzeichneten Platz ein frisches Trikot. Rascher Blick in
den Physiotherapieraum, in dem die Spieler vor dem
Anpfiff nacheinander auf zwei Liegen massiert werden, und auf einen Bereich mit Becken, in dem nach
einem gewonnenen Match womöglich beim Erholungsbad auch mal was getrunken wird. Dietz zeigt
auf zwei kleine Tresore in der Wand, in denen die Fußballer ihre Uhren einschließen, und auf eine Magnettafel, die der Trainer braucht, um vor dem Anpfiff oder
in der Pause eine neue Taktik zu erklären.
Die meisten Anhänger des MSV scheinen ausgesprochen wohlerzogen zu sein. Beim Abschreiten der sogenannten Legendenwand in der Nordkurve, welche
die Ganzkörperbilder von Dietz und anderen verdienten MSV-Helden zieren, fällt auf: null Schmierereien,
keine einzige Unterschrift, nicht mal ein kleiner Fleck.
In Duisburg werden Legenden nicht beschmiert, man
ehrt sie, indem man sie so lässt, wie sie sind.
Beim langen Gang durch und um das Stadion bleibt
„Ennatz“ Dietz gleichbleibend zugewandt und auskunftsfreudig. Gerade berichtet er vom Umbau des
Stadions, der bei laufendem Spielbetrieb stattfand.
Nach und nach wurde das frühere Wedaustadion
komplett erneuert. Im Juli 2003 begann es mit dem
Abriss der Nordkurve und der Ostgeraden und endete mit der Platzerweiterung in den Oberrängen der
Haupttribüne zu Beginn der Saison 2005/06. Immer
wieder wird Dietz kurz unterbrochen. Auch ein Security-Mann mit gelber Jacke schüttelt ihm die Hand:
„Tach Bernard.“ Dietz redet ein paar Takte, nickt,
verabschiedet sich freundlich. Gefragt, ob er die vielen Menschen, mit denen er kurz plaudert, wirklich
alle kennt, lacht Dietz. „Nein“, sagt er. „Die Leute sind
hier so.“
Die Kabine – eigentlich ein nüchterner Ort. Dietz
aber spricht von „Luxus“. Früher etwa habe sich ein
Fußballer sein Trikot noch mitgebracht. Früher, das
Hauch von Luxus
bernard dietz
51
Name: Schauinsland-Reisen-Arena
Adresse: Margaretenstr. 5 - 9, 47055 Duisburg
Eröffnet: 8. November 2004
1. Spiel: 8. November 2004,
MSV Duisburg gegen Alemannia Aachen (1:0)
Kapazität: 31 500
Logen: 42 mit 420 Sitzplätzen
Internationale Großereignisse:
Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft
der Menschen mit Behinderung 2006,
Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Dänemark am 28. März 2007,
Türkischer Supercup 2008, Rückspiel im UEFA
Women’s Cup des FCR 2001 Duisburg gegen
Swesda 2005 Perm am 22. Mai 2009,
Freundschaftsspiel der deutschen FrauenNationalmannschaft gegen Nordkorea am
17. Februar 2010
Spielstätte des MSV Duisburg
www.schauinslandreisenarena.de
Liebenswert wie das Ruhrgebiet: MSV-Legende Bernard Dietz (großes Bild) in seinem Wohnzimmer. Das Foto unten zeigt ihn 1977 im erfolgreichen Zweikampf mit Karl-Heinz
Rummenigge. Dietz köpft hier gerade zum 1:0 ein. Bei Spiel-Ende freuten sich die Duisburger über ein fantastisches 6:3 gegen Bayern München. Das frühere Wedaustadion wurde
2003 bei laufendem Spielbetrieb komplett erneuert. Heute kickt Zweitligist MSV Duisburg in einer modernen, familienfreundlichen Arena mit glänzender Akustik.
Stadion im Borussia-Park | Mönchengladbach
52
Damals und heute. Als Nachfolger des legendären Stadions am Bökelberg (Foto unten) tritt der Borussia-Park (2. Foto von unten) an, in der kommenden Saison zur festen Adresse im europäischen Fußballkalender zu werden. Sehr zur Freude von ClubVizepräsident und Ex-Nationalspieler Rainer Bonhof. Der gebürtige Niederländer, hier
im Zweikampf mit dem Kölner Wolfgang Weber 1973 (Foto rechts), hofft auf die erfolgreiche Qualifikation der Borussia zur UEFA Champions League.
Name: Stadion im Borussia-Park
Adresse: Hennes-Weisweiler-Allee 1,
41179 Mönchengladbach
Eröffnet: 30. Juli 2004
1. Spiel: 14. August 2004,
Borussia Mönchengladbach gegen
Borussia Dortmund (2:3)
Kapazität: 54 047 national,
46 287 international
Parkplätze: 9 200
Internationale Großereignisse:
3 Spiele der Frauen-Fußball-WM 2011,
4 Länderspiele der Nationalmannschaft der Männer
Spielstätte von
Borussia Mönchengladbach
www.borussia.de/de/verein-stadion/
stadion/fakten
Rainer Bonhof
53
Kathedrale
und
Kultstätte
Wer das sagt, muss es wissen: Rainer Bonhof, in den
70er Jahren defensiver Mittelfeldmann der heimischen
Borussia, dessen geniale Freistöße ins Tor der Gegner
von „Gladbachern“ wie Segnungen angenommen wurden. Dass die Borussia damals fünfmal Deutscher
Meister wurde und die Siegerschale immer nur vor­
übergehend für einen – immer denselben – Club aus
Süddeutschland rausrückte, ist zwar Fußballgeschichte, die andernorts geschrieben wurde, nämlich
im 2006 abgerissenen Stadion auf dem Bökelberg der
Stadt. Doch heute ist Rainer Bonhof (60) Vize-Präsident des VfL Borussia, als solcher bei jedem Heimspiel
dabei und kann beurteilen, was auch im neuen Stadion „abgeht“.
Wenn „Die Elf vom Niederrhein“ über den auf 111 x 72
Metern ausgelegten Naturrasen einläuft und „Die
Seele brennt“, sind das hymnische Erlebnisse, die
auch dem Fußball-Senior „noch jedes Mal unter die
Haut gehen“. Und dieser Gänsehaut-Faktor – „das ist
schon beinah gruselig, wie der funktioniert“ – ist aus
Bonhofs Sicht das, „was auch für viele Fans das Einmalige an diesem Stadion ausmacht“. Es ist heimelig
und großzügig zugleich. Steile Ränge und keine Laufbahn, die den Zauber des Spiels bremsen könnte.
Mannschaft und Fans sind eine Einheit, das dokumentierte das junge Borussen-Team zum Ende der Saison
2012. „Mit euch durch Europa – danke Fans!“ stand
auf dem Transparent, das die Mannschaft nach dem
Heimspiel am letzten Aprilwochenende über den grünen Rasen trug.
Sie sind zurück in Europa: Die Champions-LeagueQualifikanten wollen den Borussia-Park zur festen
Adresse im internationalen Sportkalender machen.
Die technischen Voraussetzungen dafür sind hervorragend: Insgesamt 209 000 Quadratmeter umfasst
das Gelände, 45 Geschäftslogen mit 684 Plätzen und
1 758 weitere Business-Seats. Ausreichend Parkplätze,
eine eigene Autobahnabfahrt und mehrere Trainingsplätze. Schon viermal war die deutsche Männer-Nationalmannschaft zu Besuch, für drei Spiele der FrauenWM 2011 war das Stadion Gastgeber.
„Das Stadion nimmt jeden gefangen“, hat Rainer Bonhof eine Erklärung, „für Fußballfreunde ist es eine
Kultstätte, sie beten sie quasi an.“ Was hat dieses Stadion, in dem selbst Borussias U-17-Trainer Thomas
Flath – freimütig, nicht reumütig – zugibt: „Eigentlich
wollte ich ja Pfarrer werden. Aber dann hab ich mich
dazu entschieden, mit Fußball an der Seele des Menschen zu arbeiten.“
Sicher ist: Für Borussen-Fans ist schon der Weg ins
Stadion ein Glaubensbekenntnis. Denn er führt über
die Hennes-Weisweiler-Allee. Benannt nach der Trainerlegende, die den Club viermal zu den höchsten
Weihen im deutschen Fußball führte. Weisweiler war
es auch, der Rainer Bonhof als 17-jährigen Stürmer
vom Kleinstadtverein in Emmerich zum Deutschen
Meister holte. Und mit dafür sorgte, dass der Niederländer nach seiner Einbürgerung 53 Länderspiele für
Deutschland bestritt. „Die Figur von Hennes Weisweiler“ ist für Bonhof „definitiv Teil des Mythos, der
sich auch im neuen Stadion um unsere Borussia
rankt. So etwas“, grinst er, „gedeiht auf Kultstätten
besonders gut.“
stadion-extra
S
t. Anna, St. Joseph, St. Mariae Himmelfahrt –
und natürlich das romanische Münster auf
dem Abteiberg: Mönchengladbach hat viele
wunderschöne Kirchen, die teils seit über
1 000 Jahren das Bild der Stadt prägen. Eine der modernsten Kathedralen des deutschen Fußballs liegt
abseits des Zentrums, errichtet auf der grünen Wiese
im Westen der Stadt: das Stadion im Borussia-Park.
Hierher pilgern an jedem zweiten Bundesliga-Spieltag
bis zu 54 000 „Jünger“, die „eines tief verinnerlicht
haben: dass hier junge Männer Fußball spielen, die
ihren Glauben an sich selbst niemals verlieren“.
schücoarena | bielefeld
54
Viehweide, Alm, Arena
W
stadion-extra
arum kann sich ein Fußballer auch nach
20 Jahren an einen bestimmten Treffer
ins gegnerische Tor erinnern? Ganz einfach: weil es sein einziger war. Und dann
noch gegen Oliver Kahn. 1992 im Pokalspiel Karlsruher SC gegen Eintracht Frankfurt. Gästetorwart Uli
Stein verwandelte einen „11er“ gegen den Mann, der
später länger als ein Jahrzehnt das Tor des großen FC
Bayern hüten sollte.
Das hätten sie auf der Bielefelder Alm bestimmt auch
gern gesehen. Am Fuße des Teutoburger Waldes, wo
Uli Stein fußballerisch groß wurde und wo der Fußball
seit jeher keine zwei Meter von den Zuschauern entfernt rollt. „So etwas gab’s außer in England nur noch
in Dortmund“, erinnert sich Stein an die Zeiten, als
er während des Spiels „mit den Jungs in der ersten
Reihe ein Pläuschchen halten konnte“. Und wo Tore
gegen den FC Bayern – in 17 Bundesliga-Heimspielen
immerhin 19 – in der Seele eines Arminen-Fans schon
immer doppelt zählten.
1976 vom niedersächsischen Provinzfußball (aus
Wunstorf) nach Bielefeld gewechselt, war er schon
bald einer jener Arminen, die diese Alm zum Beben
brachten. Mit ihr Rekorde schrieben. Und sie zum
Schauplatz von Legenden machten. Gleich in seiner
ersten Saison erreichte Uli Stein mit Arminia den Relegationsplatz um den Aufstieg in die 1. Liga. Im Hinspiel gegen 1860 fegte Arminia die Gäste aus München mit 4:0 aus dem Stadion. Mehr als 30 000
Ostwestfalen waren verzückt.
34 882 Zuschauer beim Heimspiel der Saison 1978/79
gegen Schalke 04 sind die größte – offiziell bestätigte – Zuschauerzahl der Vereinsgeschichte. Sie waren zum Teil „untergebracht“ auf einer provisorischen
Stehplatztribüne aus Stahlrohrgerüsten. Noch mehr –
unerlaubterweise deutlich über 35 000 – sollen es nur
Wochen darauf gegen den 1. FC Kaiserslautern gewesen sein.
Jahre später sollte Uli Stein mit dem HSV zweimal
Deutscher Meister werden, den Europapokal der Landesmeister gewinnen und – ebenso wie auch mit
Frankfurt – auch noch den Deutschen Pokal. Und obwohl er am Ende seiner Karriere für beide Clubs öfter
das Tor gehütet hatte (Hamburger SV 228 Bundesligaspiele, Eintracht Frankfurt 224) als für die Bielefelder Arminia (193), blieb der legendäre Torhüter doch
immer ein Junge von der Alm. Und die hatte schwierige Zeiten zu überstehen.
Nach der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion
machte der Deutsche Fußball-Bund 1985 kurzen Prozess und verschärfte die Sicherheitsbestimmungen in
deutschen Fußballstadien rigoros. Auf der Alm mussten alle Stehplatztribünen aus Stahlrohr abgerissen
werden. Mit der Folge, dass die Kapazität des Stadions
auf 15 000 Zuschauer sank. Aktuell wäre das fast ausreichend, weil die Arminia derzeit in Liga 3 kickt. Aber
damals? Das Entsetzen war groß.
Aus den Niederungen der 3. Liga, in deren Abschlusstabelle 2011/12 die Bielefelder hinter den Rivalen der
Region – aus Münster und Osnabrück – rangierten,
will die Arminia langfristig wieder nach oben.
Geblieben ist in Bielefeld ein Stadion, das sich nach
nahezu permanenten Umbau- und Erweiterungsarbeiten von der Viehweide aus den 20er Jahren, unweit
der Bielefelder Innenstadt, heute zu einem formidablen Schmuckkästchen des deutschen Fußballs entwickelt hat: die SchücoArena. Mit VIP-Logen und
Business-Seats, genauso wie alle großen Arenen sie
vorweisen. Und mit einem soliden Fassungsvermögen
von 27 300 Fans. „Irgendwann kommen die auch wieder zur Arminia“, ist Uli Stein sicher. Und bis dahin –
zumindest bis auf Weiteres – bleibt er Partner von
Berti Vogts als Co- und Torwarttrainer der Nationalmannschaft von Aserbaidschan.
uli stein
55
Name: SchücoArena
Adresse:
Melanchthonstraße 31a, 33615 Bielefeld
Eröffnet: 1. Mai 1926
1. Spiel: 1. Mai 1926,
Arminia Bielefeld gegen SC Victoria
Hamburg (1:5)
Umbau: 1954, 1967, 1970, 1978, 1985,
1996, 2007
Kapazität: 27 300 Zuschauer,
17 VIP-Boxen, 600 Business-Seats
Besondere Merkmale:
Frei schwebende Dachkonstruktion mit
2 600 qm Bürofläche, die als „Sky Offices“
langzeitvermietet sind
Internationale Großereignisse:
Finale FIFA U-20-Weltmeisterschaft der
Frauen 2010
Spielstätte des
DSC Arminia Bielefeld
www.arminia-bielefeld.de/stadion/
schuecoarena
Der Legende nach auf einer Kuhwiese am Rande der Bielefelder Innenstadt angelegt, war die „Alm“
seit jeher ein reines Fußballstadion. Bis heute gilt sie als fußballerische Heimat von Ex-Nationaltorwart Uli Stein, der später mit dem Hamburger SV die Deutsche Meisterschaft, den Europapokal und
den Deutschen Pokal (Foto: 1987 in Berlin) gewann. In den vergangenen Jahrzehnten mutierte der
Bielefelder Fußballplatz zur SchücoArena – einem Paradebeispiel modernster Arena-Bauweise.
Rheinenergiestadion | köln
stadion-extra
56
So eine Stadt,
solche Fans,
so ein Stadion
D
ie letzte Begegnung liegt ein Jahrzehnt zurück. Tokio, Fußballschule für japanische
Jugendliche, ehrenamtlich und umsonst.
Organisiert von Calli Calmund im Auftrag des
Landes Nordrhein-Westfalen. Dazwischen gab es nur
Erinnerung, keinen Fußball. Und nun?
Nun Köln. Da schlendert der Mann im leichten Sommeranzug mit offenem Jackett und blütenweißem
Hemd das steingraue Betonband entlang, als sei es
das Normalste von der Welt. Mit keinem Schritt berührt er jenes satte Grün, das wenige Zentimeter neben seinen Füßen sprießt. Hat der Respekt vor der
Pflanze vielleicht mit dem grimmigen Greenkeeper der
Stadt Köln zu tun, der an diesem sonnigen Vormittag
die kurz geschnittenen Halme auf das richtige Maß
stutzt? „Champions-League-Qualität“, knurrt unser
Gesprächspartner und gibt eine kurze Anweisung:
„Bitte nicht betreten!“ Verstanden! Er nicht, wir nicht.
Wir sowieso nicht, aber er? Der Mann, der an diesem
Ort so oft wie kein anderer über den Rasen hechtete und
früher auch schon mal im Matsch landete? „25 Jahre lang wollte man mich hier nicht sehen, der Innenraum war für mich tabu.“ Sagt Harald, genannt „Toni“,
Schumacher. Seit 1987 war er nicht mehr in Müngersdorf unten auf dem Rasen.
Und jetzt ist er hier, ziemlich genau dort, wo rechts von
ihm eine weiße Linie das Rasenfeld in zwei Hälften teilt
und links ein paar Betonstufen hinab in die Katakomben
mit den Spielerkabinen führen. Dort unten hat er sich
nie umgezogen und vorbereitet. Seine aktiven 15 Jahre verbrachte der Torwart der Nation vor und nach dem
Spiel „dort hinter der Nordtribüne“. Erst am 23. April
2012 haben die Mitglieder des 1. FC Köln dem einstmals besten Torhüter der Welt den Weg zurück in
diese Arena geebnet und ihn zu ihrem Vize-Präsidenten gemacht – zwei Spiele vor dem Abstieg in Liga 2.
toni schumacher
57
entstehen. Dessen großer Hans Schäfer zauberte auf
dem linken Flügel, wurde Weltmeister, holte Meistertitel an den Rhein. 1962 und 1964. 1963, im ersten
Jahr der Bundesliga, wurde man nur Vize. Nur Zweiter.
Und jetzt 2. Liga. Vom Double – Schale und Pokal –,
das Toni Schumacher 1978 erlebte, scheint man Jahrzehnte entfernt.
An der Eckfahne, bevor es durch einen Tunnel hinausgeht auf die das Stadion umgebende Flaniermeile, hält
der Torwart inne. Blickt hoch zu den Logen, wo Kölns
Mittelständler und Konzerne sich einmieten, um „mit
ihrem Geld den Fans auf der Stehtribüne Fußball zu
vertretbaren Preisen zu ermöglichen“, und spricht
über die Zukunft. Toni Schumacher ballt beide Fäuste,
streckt sie nach vorne, öffnet die eine Hand und tippt
mit dem Zeigefinger auf die andere: „Hier, jeder Finger
gebrochen, totaler Einsatz. Das erwarte ich auch von
unseren Spielern, von jedem Einzelnen, der hier aufläuft mit dem FC-Trikot. Die müssen wissen, dass sie
für eine Stadt spielen, dass dieses Stadion mit 50 000
voll ist, ob 1. oder 2. Liga.“ Leidenschaft. Toni Schumacher lebt und fordert Leidenschaft von seinem Team
in diesem Stadion.
Harald „Toni“ Schumacher im Museum des Kölner
RheinEnergieStadions (links). Der heutige Vizepräsident
des 1. FC Köln spielte 15 Jahre als Torwart für den Club
und gewann 1983 den DFB-Pokal im Finale gegen Lokalmatador Fortuna – natürlich im alten Müngersdorfer
Stadion.
Name:
RheinEnergieStadion
Adresse:
Aachener Straße 999,
50933 Köln
Eröffnet:
31. Januar 2004
Kapazität: 50 000,
international 46 000
Internationale
Großereignisse:
Fußball-WM 2006
(4 Vorrundenspiele,
1 Achtelfinale),
DFB-Pokal-Endspiele
der Frauen (seit 2009)
Spielstätte des
1. FC Köln
www.fc-koeln.de/
stadion/rheinenergiestadion/
„Champions League, davon können wir nicht einmal
mehr träumen“, klagt der 58-jährige Rückkehrer.
„Fünfmal Abstieg in zehn Jahren. Und das in so einer
Stadt, bei so einem Verein! In so einem Stadion, mit
diesen Fans!“ Jedes einzelne Wort schmerzt und belegt das Entsetzen des Mannes, der einst mit seinem
Club in Europacup-Finalen gegen Real Madrid stand,
Meisterschale und Pokalsiege errang. Er blickt die leeren Ränge hoch, die roten Sitzschalen leuchten in der
Sonne. Im Augenblick überwiegen die Schattenseiten.
Dabei war einmal alles anders in Köln. Mit Konrad Adenauer, mit wem sonst, begann der Aufstieg des Fußballs und des Sports. Als der spätere erste Kanzler der
Republik die Stadt regierte, ließ er das Stadion in den
späten 20er Jahren bauen. Und das gleich ganz groß.
80 000 Zuschauer fanden Platz darin – das größte
Stadion seinerzeit in Deutschland. Erst 20 Jahre später sollte aus einer Fusion zweier Clubs der 1. FC Köln
Schumacher hat alle Stadien an diesem Platz in Müngersdorf erlebt: das Adenauer-Rund, dann die moderne Version mit der Laufbahn drum herum, die – aus
Geldmangel – erst ein Jahr nach der WM 1974 fertig
wurde. Und die reine Fußball-Arena, 2006 Schauplatz
von fünf Spielen der Weltmeisterschaft – das aber nur
noch als Zuschauer. Doch diese Atmosphäre hätte er
gern als Keeper erlebt. Allein das Früher, „wenn die
Fans acht, zehn Meter hinter einem stehen und Toni,
Toni rufen, das treibt die Gänsehaut über den Rücken.
Wir haben uns immer nach einem solchen Stadion wie
diesem hier gesehnt, wie in England.“
200 Meter entfernt der Fanshop. Lukas Podolski hängt
noch im Schaufenster, als Poster. Der Abschied, der
Wechsel nach London, wird unter den Tribünen noch
nicht realisiert. Dann noch ein Blick ins Museum gleich
gegenüber, eigentlich ein Ort mit wenig Glanz. Das
spürt auch der Vize-Präsident bei seinem Besuch in
dem dunklen Raum und hat sogleich Ideen für mehr
Glamour. Er strebt in eine Ecke, die mit den Porträts
vieler Spieler und Trainer dekoriert ist. Schnellinger,
Overath, Hornig, Thielen, Flohe, Cullmann, Weisweiler,
Daum. Hinter jedem Kopf geht eine Klappe auf. Auch
hinter dem von Torwart Toni Schumacher. Er weiß
nicht, was ihn erwartet – ein ehemaliges Trikot, dunkelrot. Und sein Buch „Anpfiff“, weltweit 1,3 Millionen
Mal verkauft, in 15 Sprachen übersetzt. Toni Schumacher setzt seine Brille auf und liest die Stationen seiner
Karriere. Ganz in Ruhe. Ruhe, die er wohl braucht.
Irgendwie ist er wieder heimisch. Anpfiff für eine neue
Zeit. Mit Toni Schumacher und dem 1. FC Köln – auf
einem außergewöhnlichen Fußballplatz.
rewirpowerstadion | bochum
58
Seit 1911 –
immer
an der
Castroper
M
it wem soll man beginnen? Mit Matthias
Hartmann, dem Theaterintendanten, der
in Bochum bekannt wurde? Seinen Kollegen Peter Zadek oder Claus Peymann,
die hier in den 70er Jahren Regie führten? Oder mit
der Currywurst von Dönninghaus im Bermudadreieck? Okay, wir nehmen Herbert. Herbert Grönemeyer, Sohn eines Bergwerkdirektors und noch (etwas)
bekannter als die anderen, weil er die großen Bühnen
für die breite Bevölkerung bespielte. Obwohl gebürtiger Niedersachse, wurde er hier zum Sohn einer
Stadt. Herbert Grönemeyer ist Bochum, er ist auch
Blau-Weiß VfL.
„Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser,
viel besser, als man glaubt …“ Grönemeyers Hymne
ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Heimat, sie
ist festes Ritual vor jedem Anpfiff des VfL. Dieser halb
geschriene Sprechgesang des Barden rührt auch
Dariusz Wosz. Im rewirpowerSTADION, wie das Ruhrstadion seit 2006 offiziell heißt, hat der Mittelfeldstratege fast seine gesamte Fußballerkarriere verbracht,
ist mit dem Kult-Club abgestiegen, aufgestiegen, abgestiegen, wieder aufgestiegen … Nun spielen die
einst Unabsteigbaren schon im dritten Jahr in Liga 2.
Dariusz Wosz wohnt seit vielen Jahren in Bochum.
„Hier gibt es sehr, sehr schöne Ecken und das Stadion
ist ganz wichtig für Bochum und die Leute in der
Region.“ Ein Stadion, in dem der „Zaubermaus“ genannte ehemalige Mannschaftskapitän große Erfolge
feierte. „Unser Trainer Klaus Toppmöller hat es damals
geschafft, dass wir als Mannschaft funktionieren. Wir
waren ein Team.“
dariusz wosz
59
Anfang der 90er Jahre kam der gebürtige Pole aus
der ehemaligen DDR ins Ruhrgebiet und eroberte die
Herzen der fußballvernarrten Bochumer. Es waren
die Jahre, die durch die Abstiege und direkten Wiederaufstiege als „Fahrstuhlzeit“ in die VfL-Memoiren
eingegangen sind. Als er 2007 seine Karriere als Profi­
fußballer im Alter von 37 Jahren beendete, organisierte der Verein für seinen „Bochumer Jungen“ erstmalig in der VfL-Geschichte ein offizielles
Abschiedsspiel: das Uefa-Cup-Allstar-Team spielte
gegen alte Kollegen und Freunde von Dariusz Wosz.
„Das war ein geiles Gefühl.“
Auf ihre 100 Jahre alte Fußballgeschichte sind die
Bochumer stolz. Während die Revierkonkurrenz im
Laufe der Zeit ihre ursprünglichen Spielstätten verließ und an anderer Stelle Sportarenen errichtete,
wird in Bochum seit 1911 „anne Castroper“ (an der
Castroper Straße) gekickt. Damals noch vor den Toren der Stadt, fand auf der Wiese eines Bauern das
erste Spiel statt. Nach dem Ersten Weltkrieg wich
der Bretterzaunplatz einem Stadion, seinerzeit eine
der modernsten und größten Arenen Deutschlands.
Seit 1970 wurde das Stadion Stück für Stück und
Tribüne für Tribüne in das Ruhrstadion erweitert –
Endausbaustufe 2006.
Es ist ein reines Fußballstadion und liegt heute mitten in der Stadt – wie in England, wo die Fans auch
an Tagen, an denen nicht gespielt wird, die Spielstätten ihrer Fußballheiligen ganz nah haben. In Bochum
sind sie auch ganz nah dran am Spielgeschehen.
„Hier bekommt man als Zuschauer jede Aktion der
Spieler mit. Wenn sie rumschreien, wenn sie gefoult
werden oder wenn sie Schwalben machen“,
schwärmt Dariusz Wosz, der jetzt auch Zuschauer
ist und die U-19-Junioren des VfL trainiert. „Die Nähe
zwischen Spieler und Fan ist richtig schön.“ Noch
schöner wäre es für den 43-Jährigen allerdings, wenn
die Bochumer hautnah miterleben könnten, wie ihr
Verein mal wieder aufsteigt. „In die 1. Liga gehören
wir, da kommen wir auch wieder hin.“
„Zaubermaus“ Dariusz Wosz (2. von links) hat mit dem VfL Bochum
zahlreiche unvergessliche Fußballmomente erlebt: Einer davon war
1988 das Erstrundenspiel im UEFA Cup.
Das Stadion liegt mitten in der Stadt und mittendrin sind auch die
Fans: Kein Platz ist weiter als 30 Meter vom Spielfeld entfernt.
Name: rewirpowerSTADION
Adresse: Castroper Straße 145, 44791 Bochum
Eröffnet: 21. Juli 1979
1. Spiel: 8. November 1911,
SuS Bochum gegen VfB Hamm
1. Spiel nach dem letzten Umbau: 21. Juli 1979,
VfL Bochum gegen Wattenscheid 09 (3:0)
Kapazität: 29 299 Plätze, davon 16 174 Sitzund 13 125 Stehplätze, international 23 500
Internationale Großereignisse:
Fußball-Länderspiele 1981, 1986, 1993,
U-21-Fußball-Europameisterschaft 2004,
U-20-Fußball-WM der Frauen 2010,
FIFA Frauen-WM Deutschland 2011
Spielstätte des VfL Bochum
www.vfl-bochum.de/site/_rewirpowerstadion/_
rewirpowerstadion/rewirpowerstadionp.htm
stadion-extra
Unvergessliche Momente in seinem Heimatstadion
hat er viele erlebt, Momente wie beim Bundesligaspiel 1997 gegen St. Pauli, das mit einem Eigentor der
Hamburger in der 90. Minute 6:0 für den VfL endete.
„Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich heute
noch eine Gänsehaut.“ Auch das erste Uefa-PokalSpiel in der Vereinsgeschichte wenige Monate später
fällt in diese Kategorie: ein Fußballkrimi erster Güte,
bei dem der VfL im ausverkauften Ruhrstadion gegen
den türkischen Gegner Trabzon mit 5:3 erfolgreich
den Platz verließ. Fans kürten das Spiel zu einem von
fünf Jahrhundertspielen in der Geschichte des VfL.
Benteler arena | paderborn
60
Mit Cheftrainer Roger Schmidt, der
im Frühsommer dieses Jahres zu
Red Bull Salzburg wechselte, spielte
der Zweitligist SC Paderborn im
2008 eröffneten Stadion die erfolgreichste Saison seiner noch jungen
Geschichte. Unter den bis zu
15 000 Zuschauern genießt SCPMaskottchen „Holli“ einen besonderen Nimbus. Es gewann die 2009
erstmals vom Fußballmagazin
„11 Freunde“ ausgeschriebene
Deutsche Meisterschaft der Fußballmaskottchen.
Name: Benteler Arena (bis Juni 2012 Energieteam Arena)
Fahrrad-Parkplätze: 2 000
Adresse: Paderborner Straße 89, 33104 Paderborn
Internationale Großereignisse:
U-21-Länderspiel Deutschland gegen Weißrussland
März 2009 (1:1),
U-19-Länderspiel Deutschland gegen Schottland
November 2009 (0:0)
Eröffnet: 20. Juli 2008
1. Spiel: SC Paderborn 07 gegen Galatasaray Istanbul (1:1),
offiziell: SC Paderborn 07 gegen Borussia Dortmund (1:2)
Kapazität: 15 000 (5 800 Sitzplätze, 9 200 Stehplätze),
730 VIP-Plätze
Parkplätze: 2 842
Spielstätte des SC Paderborn 07
www.scpaderborn07.de/4-Verein/
28-ARENA.html
roger schmidt
61
Zweckbau,
Hexenkessel,
Exportartikel
Wenn der Zweckbau eines Fußballstadions – wie in
diesem Fall die jüngst nach dem Paderborner Traditionsunternehmen benannte Benteler Arena Paderborn – in
solchen Tönen gelobt wird, drängt sich die Vermutung
auf: Dem Trio der Befragten verklärt die Nähe zum
„Hausherrn“, dem zuletzt mitreißenden Zweit­
ligafußball spielenden SC Paderborn 07, den Blick.
Falscher Verdacht. Alle drei wissen, wovon sie reden.
Denn Josef Ellebracht ist nicht nur Club-Vize des SCP,
sondern zufällig auch Architekt der Paderborner Arena.
Karl Rocker von den „Pader Patrioten“ ist auch nicht
irgendein Supporter, sondern war fünf Jahre lang der
„Capo“ auf dem Zaun – der Mann mit dem Megafon,
der zumeist stehend für Stimmung auf den Blöcken
sorgt. Und Trainer Roger Schmidt kennt neben vielen
anderen Fußballstadien auch noch den Vorgänger der
Arena, die alte Hermann-Löns-Kampfbahn im Stadtteil Schloss Neuhaus, in der er selbst als Mittelfeldmann mit der 10 auf dem Rücken einst Tore für den
SCP schoss.
„Wir sind ja kein Traditionsverein, der begeisterungsmäßig aus den Vollen einer legendenreichen Geschichte schöpft“, erklärt er, warum es „schon bemerkenswert ist, wie in unserer neuen Arena die Fankultur
explodiert ist“. In der Rekordzeit von elf Monaten aus
1 200 Betonfertigteilen gebaut, ist die Anlage seit
2008 Heimspielstätte des SC Paderborn 07. Der wurde erst 1985 aus der Fusion zweier Clubs gegründet
und spielte 2011/12 die erfolgreichste Saison seiner
jungen Vita: bis zum letzten Spieltag um Tabellenplatz 3, der zur Relegationsteilnahme um den Aufstieg
in Deutschlands Fußball-Oberhaus berechtigt.
Im Schnitt mehr als 10 000 Zuschauer „sind schon
eine Hausnummer, die unsere Erwartungen sprengte“,
so Roger Schmidt im Rückblick. „Dazu diese komplett
andere Atmosphäre – mit der erreicht die Stimmung
eine völlig neue Drehzahl.“ Damit kennt Schmidt sich
aus. Von Haus aus ist er Maschinenbauingenieur und
hat in diesem Beruf vor seiner Profitrainerzeit acht
Jahre gearbeitet. Und die Stimmung in „seiner“ Arena
begeisterte auch schon Nationalspieler wie Jerome
Boateng, Marcel Schmelzer und Alexander Baum­
johann, die hier mit der U-21-Auswahl des DFB 2009
vor 13 000 Zuschauern ein Gastspiel gaben.
Tatsächlich sind es das Stadiondach in 23 Metern
Höhe und steil ansteigende Tribünen, die in Kombination mit rundum geschlossenen Außenwänden die
Benteler Arena bei Heimspielen des SCP zu einem
Fußballkessel machen. Das Spielfeldniveau vier Meter
unter den vorderen Sitzplatzreihen und die optionale Ausbaustufe auf 20 000 Zuschauer (darum die
hohe, zweischalige Trapezdach-Konstruktion) lassen
ahnen, dass stimmt, was der Vize-Präsident gesagt
hat: „Einzigartig.“
Das Schmuckstück an der Paderborner Straße ist auf
gutem Wege, zu einem Exportartikel zu werden. Auf
der internationalen Fachtagung der European Stadium
& Safety Management Association (ESSMA) in Marseille präsentierten Ellebracht und seine Architektenkollegen unlängst Konzeption und Bau der Benteler
Arena. Unter den aufmerksamen Zuhörern waren, wie
die Zeitschrift „Stadionwelt“ registrierte, „Vertreter
von Arsenal London, dem FC Porto, Shachtar Donetsk
und dem FC Grenoble“. Nicht zu vergessen Repräsentanten des Organisationskomitees der UEFA Euro
2016 in Frankreich. Der Auftrag für einen ersten Zwilling der Benteler Arena ist tatsächlich schon geschrieben: für den Stadionneubau im polnischen
Gliwice (Gleiwitz).
stadion-extra
D
er Vize-Präsident sagt: „Die Bauweise dieses
Stadions ist für deutsche Fußball-Arenen
einzigartig.“ Der Fan sagt: „Dieses Dach ermöglicht uns einen fantastischen Support
für die Spieler.“ Der Trainer sagt: „Dass wir es schaffen,
dieses Stadion regelmäßig vollzuspielen, hat nicht
nur mit unserer Mannschaft zu tun, sondern viel mit
der Spielstätte selbst.“
bayarena | leverkusen
62
Die beste
Idee
war die
Erfindung
„Werkself“
R
udi Völler steht für Bayer Leverkusen. Warum
eigentlich? Wieso ist gerade dieser Mittelstürmer für den Verein zur Identifikationsfigur geworden? Der doch in Rom und Marseille, in Bremen und Offenbach kickte? Und – zum Schluss seiner
Karriere – zwei Jahre in Leverkusen! „Und in München,
bei 1860“, ergänzt er, „das vergessen die meisten.“
Genau! Und nun Leverkusen? „Bayer ist meine sportliche
Heimat geworden, ganz klar“, lässt der 52-Jährige keine
Zweifel aufkommen. Rudi Völler lehnt in einem schwarz
gepolsterten Bürostuhl an einem langen schwarzen Besprechungstisch. Schwarzer Teppichboden. Zwei Reihen
schwarzer Klappstühle hinter einer gänzlich verglasten
Wand gewähren den Blick in ein Fußballstadion, in die
BayArena. Rudi Völlers Zuhause. In der Loge eines großen
Sponsors hängen Plexiglasvitrinen an der Fototapete,
bestückt mit gelben Fußballschuhen, die das Autogramm
von Bernd Schneider tragen. Daneben die Handschuhe
des aktuellen Torwarts Bernd Leno. In einem anderen
dieser durchsichtigen Kästen wird das signierte Trikot
von Simon Rolfes aufbewahrt. Ein Ball mit den Unterschriften aller Spieler dieses Fußballclubs gehört natürlich auch in die Devotionaliensammlung des Unternehmens, das seinen Namen auf der Brust von Bayer
Leverkusen gegen die Zahlung einiger Millionen Euro
platziert hat. Leverkusens Brust ist nicht billig, auch wenn
der Verein in der Bundesliga gern als Vizekusen verspottet wird. Dreimal Zweiter in einem Jahr – das war bisher
einmalig. Der Rekord wird in der Saison 2011/12 eingestellt – von Bayern München.
Im Fußball spottet man gern. Oder – ganz übel – manchmal auch mehr. Diese eine Begegnung mit einem gewissen Herrn Rijkaard in Mailand bleibt mit dem Namen Rudi
Völler verbunden, auch wenn dieser sie wohl gern vergessen würde. Sommer 1990, zehn Tage später nur noch
Siegestaumel. Die Hand am Weltpokal, Rudi Völler Welt-
Fußball-Globetrotter Rudi Völler
hat in Leverkusen seine sportliche Heimat gefunden. Die An-
meister und Kaiser Beckenbauer schreitet – im dunkelbraunen Sakko – stolz, gerührt und gesenkten Hauptes
über den WM-Rasen des Olympiastadions von Rom.
Der Rasen in Rom, fünf Jahre hat der Mann, den sie zu
seiner aktiven Zeit wegen der blond gelockten Haare
„Tante Käthe“ riefen, dort gekickt. Beim AS Rom. Rudi
Völler kennt dieses Terrain wie kein anderer deutscher
Fußballprofi. 142 Mal trägt er das dunkelrote Trikot mit
der gelben Borte am Kragen und schießt 45 Tore für die
Roma. Dann zwei Jahre Marseille und der Gewinn der
Champions League. Da gibt es keine Steigerung mehr,
alles erreicht im Fußball. Außer: zum Abschluss der
Karriere noch einmal Bundesliga. Leverkusen, bis 1996,
26 Tore. Dann, nach 20 Jahren Profifußball, will er mit
der Familie zurück nach Rom.
Doch Rudi Völler bleibt in Leverkusen. Dort kennt er
15 Jahre später den Rasen, jeden Winkel im Stadion. Und
er erinnert sich an seinen größten sportlichen Moment
auf diesem Platz: „Das war 1996, das letzte Spiel, das Tor
zum 1:1 von Markus Münch gegen Kaiserslautern. Damit
waren wir gerettet vor dem Abstieg.“ Ein Mann wie Rudi
Völler, der 90 Länderspiele bestritt und als Teamchef mit
der Nationalmannschaft 2002 Vize-Weltmeister wurde,
bezeichnet den Nichtabstieg als größten Erfolg in Leverkusen, seiner neuen Fußball-Heimat? „Wenn wir damals
abgestiegen wären, dann wäre es vorbei gewesen mit
dem Spitzenfußball in Leverkusen“, ist Rudi Völler sicher.
Der Absturz findet nicht statt, es ist anders gekommen.
Die Fußballabteilung des Vereins Bayer 04 hat sich stabilisiert, die Teilnahme am internationalen Fußball ist in
Leverkusen Anspruch und Pflicht zugleich. Der Traum
eines jeden Managers, die Meisterschaft, ist präsent,
doch der Sportdirektor Rudi Völler weiß, wo er seit 2005
arbeitet: „Im Normalfall kommt man an Bayern München
nicht vorbei, da ist so viel Qualität, so viel Potenzial, das
fänge des Profifußballs im uralten Ulrich-Haberland-Stadion
(ganz unten) erlebte er nie, doch
als Sportdirektor sorgt er seit
vielen Jahren dafür, dass eine
Spitzenmannschaft in der
modernen BayArena internationalen Fußball bietet. Für die
Werkself schnürte er zuletzt
(unten) die Fußballschuhe.
rudi völler
ist unvergleichbar in Deutschland.“ Auch wenn Dortmund
aktuell zeige, dass man den Weltclub aus dem Süden
Deutschlands auch mal hinter sich lassen kann. Punkt.
Rudi Völler ist abgeklärt und Realist. 25 Millionen Euro
überweist der Namensgeber, der Pharma- und Chemieriese, den Profifußballern im Jahr. Das Gros des Etats
wird jedoch durch Sponsoren, Fernsehgelder und Zuschauer beigesteuert. Rudi Völler, der Verantwortliche
für die Zusammenstellung des Spielerkaders, muss
haushalten. Bayers außergewöhnliches Scouting in Südamerika ist fast schon legendär zu nennen: Zé Roberto,
Lucio und Jorginho starteten unter dem Bayer-Kreuz
ihre internationale Weltkarriere. Für die aktuelle Saison
hat der Chefeinkäufer erneut einen Spieler in Brasilien
aufgetrieben – Carlinhos, den er für ein Jahr von Desportivo Brasil São Paulo ausgeliehen hat. Doch es ist
schwieriger geworden. „Die Informationsquellen über
Talente kann im Internetzeitalter jeder nutzen, da haben
wir fast keine Vorteile mehr“, so Völler.
Zurück zur Arena, die als erstes Stadion Europas vor vielen Jahren mit einem integrierten Hotel und einem außergewöhnlichen Logen- und VIP-Bereich Maßstäbe
setzte. Sogar die verantwortlichen Planer der riesigen
Allianz Arena in München ließen sich 2004 in Leverkusen
Name: BayArena
Adresse: Bismarckstraße 122, 51373 Leverkusen
Eröffnet: 2. August 1958
1. Spiel: Spielvereinigung Bayer 04 gegen
Fortuna Düsseldorf (0:3)
1. Spiel nach dem letztem Umbau 2009:
15. August 2009, Bayer 04 Leverkusen gegen
1899 Hoffenheim (1:0)
inspirieren. Vor drei Jahren vergrößerte Bayer sein kleines
Schmuckkästchen durch einen Oberrang auf eine Kapazität von 30 000 Zuschauern. Die gesamte Arena wurde
mit einem kühnen Flachdach überspannt, dessen Material der eigene Konzern entwickelt hat. „Das ist genau die
Größe, die wir hier brauchen, wir sind meistens ausverkauft und haben eine tolle Stimmung und Fankultur“, sagt
Rudi Völler, der in seinem Fußballer-Leben in den größten
Stadien der Welt seine Tore erzielte. Aber er mag diese
Wohnzimmer-Atmosphäre, das Familiäre. Und auch das
Professionelle des Clubs, der mit der Erweiterung seines
Stadions fantastische Möglichkeiten im Business-Bereich
und den Spielern großartige Einrichtungen im medizinischen und Physio-Bereich geschaffen hat.
Noch was? Klar. Rudi Völler erinnert sich kurz an früher:
„Manche Spieler sind doch mit dem Bayer-Emblem auf
der Jacke verschämt durch den Düsseldorfer Flughafen
gelaufen und hätten das Logo am liebsten abgedeckt.“
Heute sei das anders. „Die beste Idee unserer Marketingleute war die Idee Werkself, das ist unser Markenzeichen geworden.“ Der Schriftzug ist seit einigen Jahren
hinten am Halsausschnitt der Trikots eingestickt. „Jetzt
sind die Spieler stolz darauf, im Team der Werkself zu
spielen.“ Und man hat das Gefühl, der Weltfußballer Rudi
Völler ist es auch.
Kapazität: 30 210 national (21 000 Sitzplätze,
9 210 Stehplätze), 22 500 international
Parkplätze: 800 bis 1 000 am Stadion
Internationale Großereignisse: Ligapokalendspiele 1997 bis 2000, Finale der Fußball-WM der
Menschen mit Behinderung 2006, FIFA FrauenWM 2011 (3 Vorrundenspiele und 1 Viertelfinale)
Spielstätte von Bayer 04 Leverkusen
www.bayarena.de
stadion-extra
63
tivoli | aachen
stadion-extra
64
Tivoli
bleibt
Tivoli
D
er Mann, den sie früher „das Kampfschwein“
nannten, setzt sein schönstes Lächeln auf.
Willi Landgraf wirkt tiefenentspannt und
gleichzeitig voller Energie. Ja, so einem traut
man zu, dass er nicht lockerlässt, wenn es um den Ball
geht. Bis in die Saison 2012 hält der 44-jährige Landgraf
den Rekord für die meisten Spiele in der 2. Bundesliga:
Ganze 508 Mal stand er als Abwehrspieler auf dem
Platz. Den wichtigsten Teil seiner Karriere verbrachte
der gebürtige Bottroper bei Alemannia Aachen.
Ist Aachen eigentlich eine Fußballstadt? „Das wissen
vielleicht nicht viele, aber Fußball ist in Aachen ebenso
eine Religion wie auf Schalke oder in Dortmund“, sagt
Landgraf. Für viele „Öcher“, wie die Aachener sich
selbst nennen, ist der Gang zur Alemannia eine Pflichtveranstaltung – und der Tivoli war fast ein heiliges Symbol. „Das war ein tolles Stadion“, schwärmt Landgraf.
„Nicht, weil es so komfortabel gewesen wäre. Im Ge-
genteil. Als wir einmal im Pokal die Bayern zu Gast hatten, haben die sich geweigert, nach dem Spiel in unserem Stadion zu duschen, und sind lieber ins Hotel
gefahren“, lacht er. „Aber es hatte eine unvergleichliche
Atmosphäre.“
Steil, eng und unheimlich laut. So manche gegnerische
Mannschaft wäre wohl am liebsten noch im Spielertunnel umgedreht angesichts der stets ausverkauften
schwarz-gelben Wand vis-à-vis. Hier liebten sie Landgraf und er tat sein Bestes für Fans und Mannschaft.
Sein Abschiedsspiel, das er im Oktober 2006 gemeinsam mit Stürmerkollege Erik Meijer gab und das damit
endete, dass die beiden Väter der Sportler ihre Söhne
vom Spielfeld riefen, darf wohl als einer der emotionalsten Momente der Aachener Sportgeschichte gelten.
Der alte Tivoli überlebte den Abschied von Landgraf
nicht lange, das Stadion war zu sehr in die Jahre ge-
willi landgraf
65
Name: Tivoli
Adresse: Krefelder Str. 187, 52070 Aachen
Tradition trifft Emotion: Die Wurzeln des
Aachener Tivoli reichen weit zurück, eine
historische Postkarte (links unten) zeigt
ihn um das Jahr 1925. Seitdem lieben die
„Öcher“ ihr Stadion und ihre Spieler.
Besonders, wenn sie gewinnen: Etwa als
die Alemannia am 18. März 2004 ins DFBPokalfinale und damit in den Europa-Cup
einzieht. Erik Meijer und Willi Landgraf
(Mitte) können ihr Glück kaum fassen.
Eröffnet: 12. August 2009
1. Spiel: 12. August 2009,
Alemannia Aachen gegen Lierse SK (2:2)
Kapazität: 32 960 (11 681 Stehplätze,
19 345 Sitzplätze), international 27 250
Logen: 28 à 12 Plätze
Business-Seats: 1 348
Kioske: 16 (davon 6 nur für Getränke)
Parkplätze: 1 200
Internationale Großereignisse:
Fußball-Länderspiel Deutschland – Malta
am 13. Mai 2010
Spielstätte von Alemannia Aachen
www.alemannia-aachen.de/tivoli/
kommen. Zum letzten Mal wurde hier im Mai 2009 gespielt. Doch die Öcher kämpften dafür, dass ihr in direkter Nachbarschaft gebautes neues Stadion dem
alten nicht nur äußerlich ähnlich sieht. Es darf sogar
weiterhin „Tivoli“ heißen. Dafür bezahlten die Fans bereitwillig den Tivoli-Groschen, einen Ticket-Aufschlag,
für den der Verein im Gegenzug auf den Verkauf der
Namensrechte an einen Sponsor verzichtete.
Wohl einmalig im deutschen Sportstättenbau: Fans und
Fangruppen arbeiteten in der Planungsphase für den
Bau Positionspapiere aus und machten Vorschläge, die
von den beauftragten Architekten auch weitgehend
berücksichtigt wurden. Das beginnt bei einer für moderne Stadien ungewöhnlich hohen Stehplatzquote –
mehr als ein Drittel der fast 33 000 Besucherplätze.
Über 10 000 davon bilden den „Wall“, die neue Heimat
der schwarz-gelben Fans. Die steilen Tribünen rücken
so nah wie nach geltenden UEFA-Regularien möglich
an den Spielfeldrand. Die erste Zuschauerreihe liegt nur
80 Zentimeter über Spielfeldniveau, der Abstand zur
Auslinie beträgt an den Seiten 6 Meter und hinter den
Toren 7,5 Meter. So ist der „12. Mann“ ganz dicht dran
an den Spielern.
Und auch das Dach wurde zur Förderung der Atmosphäre optimiert – damit es möglichst laut wird. So
legt sich das markante gelbe Metalldach nicht wie
üblich oben auf die Tragkonstruktion, sondern hängt
stattdessen darunter. Die Akustik bei vollen Rängen
ist damit heute genau wie früher: unvergleichlich. Willi
Landgraf, der nun bei Schalke 04 als Jugendtrainer
den Nachwuchs das Kicken lehrt, nimmt diese Atmosphäre gefangen. Deshalb besucht er nach wie vor
gern den Tivoli. Und ist dort gern gesehen.
SCHWIMMOPER | WUPPERTAL
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Simone Osygus
67
Vom Gefühl her eine Kathedrale
SCHWIMMOPER WUPPERTAL. Olympiaschwimmerin Simone Osygus zog
schon mit fünf Jahren ihre ersten Bahnen in dem wundervollen Sportbecken.
W
as fällt uns zu Wuppertal ein? Die
Schwebebahn? Das Tanztheater Pina
Bausch? Der Philosoph und Politiker
Friedrich Engels – der wohlbekannte
Sohn der Stadt? Alles richtig. Aber es gibt noch etwas, was die 350 000 Einwohner zählende Metropole im Bergischen Land zu etwas Besonderem
macht: die frisch modernisierte Schwimmoper.
Ein Bad mit einem solchen Namen macht neugierig.
Außerdem verleitet es Ortsfremde zu Spekulationen.
Ist es möglich, dass in der Schwimmoper Badende
zu den Klängen von Puccini, Mozart oder Wagner
ihre Bahnen ziehen? Oder verdankt die Sportstätte
ihre ungewöhnliche Bezeichnung dem wilhelminischen Prachtbau nebenan? Die pompöse Stadthalle
dient als Veranstaltungsort für klassische Konzerte,
ist also ein ausgewiesener Ort der Hochkultur.
Vielleicht muss man das Prädikat „Schwimmoper“
schlicht und ergreifend als Reminiszenz auf die noble
Nachbarschaft verstehen, respektive als ironische
Antwort darauf.
Eine andere Erklärung könnte sein, dass Besucher
der Stadt überwältigt sind von der Schönheit der
Halle: avantgardistisch, kühn, transparent und leicht,
trotz ihrer offensichtlichen Größe. In den riesigen
Glasfronten spiegelt sich die Stadt. Die außen angebrachten schlanken Tütenlampen erfreuen jeden
Menschen mit Sinn fürs Detail, während das elegant geschwungene Dach die Sportstätte zu einem
unübersehbaren Augenschmaus macht. Andernorts mag man schöne Opernhäuser bauen. In Wuppertal adelt grandiose Schwimmbad-Architektur
das Stadtbild.
Friedrich Hetzelt heißt der Baukünstler, dem dieser
Geniestreich Mitte der 50er Jahre gelang. Er entwarf
ein Hallenbad, das sich mit 25-Meter-Kurzbahnen,
einem Wasserballfeld nach internationalem Standard und Tribünen für 2 000 Zuschauer schnell zu
einem Zentrum des Schwimmsports entwickelte.
Damals – in den 50ern – nutzten es die Bürger in
den wettkampflosen und trainingsfreien Zeiten nicht
nur der körperlichen Ertüchtigung willen, sondern
auch zur Körperpflege. Damals gab es bei Weitem
nicht in jeder Wohnung den Luxus einer Nasszelle,
weshalb für viele Wuppertaler die Möglichkeit, ein
Wannenbad in der Schwimmoper zu nehmen, einer
Stippvisite im Paradies gleichkam.
In Wuppertal adelt grandiose
Schwimmbad-Architektur die Stadt.
Im sogenannten Bewegungsbecken des Bades
lernte 1973 die damals 5-jährige Simone Osygus
das Schwimmen. Mittlerweile ist das frühe Talent
Organisationschefin des Schwimmvereins Bayer
e. V. und betritt gerade die Eingangshalle. Semmelblonder Kurzhaarschnitt, sympathisches, ungeschminktes Gesicht, Jeans und flache Schuhe.
Simone Osygus fügt bei einem Latte macchiato in
der Cafeteria dem Rätsel um den Namen Schwimmoper prompt ein weiteres hinzu. Beim Gespräch
über die Anfänge ihrer sportlichen Karriere sagt sie:
„In der Brust hatte ich eine Schere.“ Wie bitte? Den
erschreckten Blick ihres Gegenübers quittiert Osygus
mit einem Lachen. Eine Schere in der Brust, erklärt
sie, bedeute im Fachjargon des Schwimmsports,
dass der Beinschlag beim Brustschwimmen nicht
synchron erfolgt. Die anfängliche Macke haben ihr
die Trainer in der Schwimmoper gründlich ausgetrieben. Die Wuppertalerin Osygus ist mehrfache
Sprintweltmeisterin, mehrfache Europameisterin
und zweifache Weltcup-Siegerin. Bei Olympischen
Spielen gewann sie zweimal Bronze.
SCHWIMMOPER | WUPPERTAL
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Der richtige Ort, um die Kunst des
Schwimmens zu zelebrieren: der
lichtdurchflutete Innenraum mit
wettkampftauglichem Sportbecken.
Charme der 50er: die Zeit grandioser, ausdrucksstarker Architektur und Autobaukunst.
Stadtbad
Schwimmoper
Adresse: Südstraße 29,
42109 Wuppertal
Baujahr: 1953 – 1956
Architekt:
Hochbauamt Wuppertal,
Friedrich Hetzelt
Nach Passieren der Umkleidekabinen – Simone
Osygus schlüpft in weiße Badelatschen, der Gast
bekommt dunkelblaue Schuhüberzieher – nähern
wir uns dem Allerheiligsten, dem riesigen, lichtdurchfluteten Innenraum mit dem Sportbecken. Meist
ältere Damen und Herren – es ist noch früh und es
sind Schulferien – durchschneiden darin lautlos und
geschmeidig das Wasser. Kein Lärm (auch keine
Musik!), keine quietschgelben Rutschen, kein langes
Palaver am Beckenrand. Die Schwimmoper gleicht
vielmehr einer Kathedrale, in der Menschen einen
Raum finden, das Schwimmen zu zelebrieren.
„Auch die Athleten lieben dieses Bad“, schwärmt
Osygus von dem Flair der Wettkampfstätte, dem nur
wenige Meter entfernten Hotel und der großzügigen
Entscheidung, den Aktiven bei Wettkämpfen die
Hälfte der Tribünenplätze zu überlassen. So können
die Sportler die Wettkämpfe verfolgen, wenn sie
selbst gerade nicht an der Reihe sind. In anderen
Hallen dagegen hockten die Schwimmer in der Umkleidekabine und kriegten von der Atmosphäre
nichts mit, erklärt sie.
Warten auf Michael Borbecker. Der Hausherr ist mal
wieder unterwegs in seinem Reich. Wen man auch
anspricht auf den Chef, man erntet spöttisches Grinsen: „Den Herrn Borbecker wollen Sie sprechen?
Na, dann viel Erfolg auch.“ Die Technik und die Verwaltung im Keller, die Treppenhäuser, die verschiedenen Becken auf mehreren Ebenen, der Sauna- und
Fitnessbereich, die Duschen und Umkleiden! In den
unzähligen Räumen, Nischen, Ecken und Winkeln
der Schwimmoper kann man sich mühelos verlaufen.
Das schafft der Boss natürlich nicht, aber er irrlichtert tagaus, tagein treppauf, treppab, weil es immer
so viel zu erledigen gibt. Ein schönes Bad gleicht einer
Diva. Immer muss man sich kümmern.
Endlich kommt der Boss, hockt sich auf die Tribüne
und erzählt: von schrulligen Stammgästen, die irritiert reagieren, wenn ein anderer „ihre“ Kabine belegt, von der 65 Meter weit gespannten Dachkonstruktion, die in der Mitte nur 4,8 Zentimeter dünn ist,
von der aufregenden Zeit der großen Renovierung.
Der Einbau elektronischer Anschlagmatten in den
70ern hatte die Bahnlängen unzulässig verkürzt und
eine Nutzung für Wettkämpfe unmöglich gemacht.
Baudenkmal:
Seit September 1995
Renovierung: 2007 – 2010
Architekten:
pbr Planungsbüro Rohling
AG, Osnabrück
Kapazität: Tribüne für
1 550 Zuschauer
Besonderheiten:
Das Dach besteht aus einer einseitig gekrümmten
Betonschale, deren Zugkräfte über je zehn Betonbinder abgespannt werden. Die Abspannungen
führen unter dem
Schwimmbecken entlang
und erzeugen so ein statisches Gleichgewicht.
Die Ausrichtung des
Schwimmbeckens wurde
im Zuge der Modernisierung um 90 Grad gedreht.
Veranstaltungen:
Austragungsort der Deutschen Kurzbahnmeisterschaften im Schwimmen
2010 und 2011
http://schwimmverband.
wtal.de/schwimmbaeder/
schwimmoper.html
Simone Osygus
69
Wuppertal leuchtet: Das architektonische Juwel der Stadt bei Nacht strahlt so schön wie eine Kathedrale.
Mit der Zeit waren die Fenster blind geworden und
die Stahlseile, die den Zehnmeterturm festhielten,
rosteten bedrohlich. Mannigfaltige Bauschäden
machten Ärger, Asbestprobleme sowieso. Das Bad
war reif für einen Großeinsatz der Handwerker.
Ein schönes Bad gleicht einer Diva.
Immer muss man sich kümmern.
Im Jahr 2007 sperrte Borbecker zu, damit drei lange
Jahre entkernt, repariert und modernisiert werden
konnte. Die beengte Eingangshalle? Abgebrochen.
Die Fassade? Nach heutigen Anforderungen saniert.
Die blinden Fenster? Erneuert. Die Wannenbäder
und der marode Sprungturm flogen raus, dafür zogen eine großzügige Saunalandschaft, Fitnessbereich
und Gastronomie ein. Das zentrale Sportbecken
bekam seine Wettkampftauglichkeit zurück und
konnte um 90 Grad parallel zum Tribünenbereich
gedreht werden. Eigentlich wurde alles neu gemacht.
Fast alles, denn der Denkmalschutz wachte mit der
gebotenen Strenge darüber, dass der Charme der
Schwimmoper bei der Renovierung nicht unterging.
Pastellfarbene, filigrane Geländer, weitgehend erhaltene Originalmosaikfliesen und alte, mittlerweile
funktionslose Rippenheizungen im Treppenhaus
dürften die Herzen von Location-Scouts schneller
schlagen lassen. Filme, die in den 50er Jahren spielen, kann ein Regisseur nirgendwo authentischer
drehen als hier.
Michael Borbecker verabschiedet sich, um seine
Streifzüge durch die Schwimmoper fortzusetzen,
während Simone Osygus am Beckenrand grinsend
auf eine Schwimmerin mit Schere in der Brust deutet, bevor auch sie freundlich grüßend davoneilt.
Bleibt das Rätsel vom Beginn. Warum heißt das
Wuppertaler Stadtbad Schwimmoper? Nach dem
Krieg hatte die Stadt die Qual der Wahl: entweder
Wiedererrichtung der zerstörten Oper oder Bau
eines Schwimmbads. Die Wuppertaler entschieden
sich für die Sporthalle und bekamen sie: schön wie
eine Oper.
Sportschule hennef
70
Fritz, Wolfgang, Stefan
SPORTSCHULE HENNEF. Die schöne Fußballschule in grüner Idylle,
ein Ort für Kicker wie Weltmeister Wolfgang Overath.
A
uf den „Alten“ ist eben immer Verlass:
Jeden Gast der Sportschule Hennef grüßt
im Foyer auch heute noch Sepp Herberger –
lächelnd von der Leinwand in Schwarzweiß.
Wer weiß, ob ohne die Sportschule in der Idylle zwischen Bergischem Land und Westerwald das Wunder
von Bern je möglich gewesen wäre. Hier hat Herberger 1954 die Jungs um Fritz Walter auf das entscheidende Qualifikationsspiel vorbereitet. Und war zu
seiner Zeit ein gern gesehener Dauergast.
Das ist Wolfgang Overath noch heute. Gut aufgelegt
lehnt der Weltmeister von 1974 am Empfangstresen,
der eher an eine moderne Hotellobby als an eine
Sportschule erinnert. Mit Freunden ist er in der Halle
zum Fußballspielen verabredet. Wie jede Woche seit
über 30 Jahren.
Die Schule kennt er, seit er ein kleiner Junge war.
Jede Woche fuhr er aus dem benachbarten Siegburg
mit dem Fahrrad oder Bus den steilen Berg hinauf,
um hier zu trainieren. Zunächst mit der Jugendauswahlmannschaft, später als Profi mit dem 1. FC Köln.
Was Sportschulen-Leiter Andreas Eichwede seither
aus der Einrichtung „gemacht hat, ist schon toll. Als
Bundesligatrainer würde ich nur hierhin gehen. Hier
hat man seine Ruhe und Zeit zum Abschalten.“
Dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hier
Quartier bezogen hat, ist allerdings schon länger her.
Dabei war „Hennef“ noch für die Bundestrainer Franz
Beckenbauer und später Berti Vogts bis Mitte der 90er
Jahre erste Anlaufadresse, wenn es in die Vorbereitung
zu wichtigen Spielen oder gar ganzen Turnieren ging.
Künftige Bundesligatrainer – wie möglicherweise
Stefan Effenberg, Christian Wörns oder Mehmet
Scholl – kennen sich jedenfalls schon bestens aus
auf dem grünen Hügel. Die Ex-Nationalspieler zählten 2011 zum Abschlussjahrgang der Hennes-Weis-
weiler-Akademie, an der alle Chefs der Seitenlinie
ihre Lizenz zum Coachen erwerben müssen, und damit zum ersten Jahrgang, nachdem die Akademie
von Köln ins Bergische übergesiedelt war.
„Aus gutem Grund“, wie Andreas Eichwede – von
Haus aus Sportwissenschaftler – erklärt. „Solche
optimalen Trainingsbedingungen gleich vor der Tür
kann kein Hotel bieten.“ Für 6,8 Millionen Euro wurde die Sportschule zur WM 2006 umfangreich saniert. „20 Doppelzimmer der 240-Betten-Anlage
verströmen 4-Sterne-Niveau“, berichtet Eichwede.
Mit Klimaanlage, Flatscreen, WLAN, Minibar und
Balkon. Komfort, von dem Wolfgang Overath seinerzeit nur träumen konnte. „Unsere Zimmer waren
unterm Dach und feucht. Wir schliefen mit vier bis
sechs Mann in einem Raum“, erinnert er sich. Aber
der Koch Hansi Weckauff sei legendär gewesen, bei
dem habe es immer extra dicke Schnitzel und Spielermotivation gratis dazu gegeben.
Am Rande des Platzes führt eine geschwungene
Holzbrücke in den Wald zum Seilgarten. Hier dreht
sich zwar vieles um Fußball, aber auch nicht alles.
Zahlreiche Tagungs- und Seminargäste aus ganz
anderen Sportfeldern begegnen sich bei ihren Meetings in der ehrwürdigen Fußballschule. Ob nun ein
Trainerlehrgang auf Einladung des Auswärtigen
Amtes und des DFB für Wissbegierige aus Butan,
Nepal und Brasilien oder ein internationales Trainingscamp für Faustkämpfer – sie alle finden ideale
Bedingungen vor. Auch deshalb haben in der Nachbarschaft zu den Hennefer Fußballfeldern Boxer,
Ringer, Judoka und Gewichtheber ihre Bundes- und
Landesleistungszentren angesiedelt.
Doch die Zeit drängt, Wolfgang Overath muss langsam weiter. Zu seinem Sporttermin mit den Freunden.
„Aber“, lacht er, „ich komme ja garantiert nächste
Woche schon wieder.“
sportschule hennef
Adresse: Sövener Straße
60, 53773 Hennef
Träger: Fußball-Verband
Mittelrhein e. V.
Status: Bundes- und Landesleistungszentrum für
Boxen, Ringen und Judo,
Landesleistungszentrum
für Gewichtheben
Baujahr: 1950
Gesamtfläche: 60 ha
Kapazität: 232 Betten
Gäste pro Jahr: Ca. 45 000
Mitarbeiter: 47
Sportstätten:
3 Naturrasenplätze, 3 Kunstrasenplätze, 1 Kunstrasenhalle, Freibad (50 m), Hallenbad (25 m), Seilgarten,
Beach-Sportanlage, Hallenkomplex (Dreifach- und
Einfachhalle, Kraftraum,
Wellnessbereich, Spezialhallen für Boxen, Ringen,
Judo, Gewichtheben)
Tagungsräume:
10 Tagungsräume
(bis 50 Personen),
Aula (bis 250),
Dreifachhalle (bis 400)
Besonderheiten:
1957 erhielt die Sportschule
Europas ersten Kunstrasen.
Seit Juni 2011 Sitz der
Hennes-Weisweiler-Akademie, der zentralen Ausbildungsstätte des DFB zum
Erwerb der Lizenz als Fußballlehrer
www.sportschule-hennef.
de
wolfgang overath
71
Rochusclub | düsseldorf
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eric jelen
73
Wie auf Manns Zauberberg
ROCHUSCLUB DÜSSELDORF. An wenigen Orten kann die Welt so gepflegt
Tennis spielen wie im Grafenberger Wald – Eric Jelen ist hier zu Hause.
F
alls es jemand nicht weiß: „Rochus“ ist nicht
nur ein Synonym für die Wörter „Wut“ oder
„Ärger“. „Rochus“ kann auch ein männlicher
Vorname sein. In Düsseldorf, so wird manchmal behauptet, habe man einen Rochus auf die
Nachbarstadt Köln. Eine alberne Unterstellung
selbstverständlich, aber eine Kirche und ein Platz,
die so heißen, existieren wirklich. Außerdem gibt
es in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt noch den berühmten Rochusclub. Er verdankt
seinen Namen der Tatsache, dass er vor mehr als
hundert Jahren unweit des gleichnamigen Gotteshauses lag.
Seit 1929 liegt der Club am Rande des Grafenberger Waldes, einer ohne Übertreibung zauberhaften
Gegend. Im deutschen Tennissport zählt der Verein
zu den ersten Adressen. Der steile Weg, der hinaufführt zum Ziel, der Hausnummer 15, ist für jene Autofahrer, die sich beim Anfahren am Berg gleich sportlich herausgefordert fühlen, allerdings erst mal ein
Albtraum. Versierte, aber ortsfremde Lenker, die
gelassen ihrer Neugierde frönen können, wundern
sich dagegen: Schmucke Mehrfamilienhäuser links,
herrliche Villen rechts – inmitten dieser Wohnidylle
soll ein Tennisclub liegen, der jedes Jahr im Mai einen internationalen Wettbewerb veranstaltet?
Zwischen 40 000 und 75 000 Zuschauer sowie die
Fernsehübertragungswagen sorgen eine Woche
lang für Rushhour. Die Nachbarn dürften einen ganz
schönen Rochus haben. Durchaus vorstellbar, dass
sie besänftigt werden – etwa mit Tickets für die
Tennis-Mannschafts-WM.
Keine Turnierzeit. Heute regiert die Ruhe am Rolander Weg. An diesem sonnigen, aber eiskalten Tag
erinnert die Anlage an eine friedliche Oase. Tipptopp
gepflegtes Grün, ein herrliches Clubhaus im maurischen Stil, energisches Vogelgezwitscher, das die
Stille eher noch verstärkt. Wir treffen den früheren
Tennisprofi und zweifachen Davis-Cup-Gewinner
Eric Jelen. Fünf Turniere hat der Mann hier gespielt.
1989 gehörte er mit Boris Becker, Carl-Uwe Steeb
und Patrick Kühnen zur ersten deutschen Siegermannschaft. Seit vielen Jahren ist Eric Jelen Mitglied im Club.
„Ich fühle mich hier immer wie im Urlaub“,
sagt Eric Jelen.
Gemeinsames Schlendern über die Anlage, von
der Jelen behauptet, sie gehöre zu den schönsten
Deutschlands, wenn nicht gar der ganzen Welt:
gewaltige Bäume, breite Promenaden, zwölf Ascheplätze plus ein in die Tiefe gesenkter Centre-Court –
M-Platz (Meisterschaftsplatz) genannt –, der bis
zu 3 500 Zuschauern eine Bühne für großes Tennis
bietet. Außerdem: im Westen eine Halle mit drei
Plätzen für den Sport im Winter, im Süden ein Badehaus samt großzügigem Swimmingpool für eine
Abkühlung im Sommer. Ein Ballhaus, eine Werkstatt, ein Lager, ein kleiner Spielplatz, eine Tenniswand, ein Basketballfeld. Alles scheint wie frisch
gewaschen und gestärkt. Kein Papierchen fliegt
herum, keine Schubkarre steht im Weg, kein Grashalm wagt, aus der Reihe zu tanzen. Die Welt, im
Rochusclub ist sie noch in allerschönster Ordnung.
„Ich fühle mich hier immer wie im Urlaub“, sagt
Eric Jelen und steuert auf das auf einer kleinen Anhöhe gelegene Clubhaus zu, von dem aus die Gäste
einen fantastischen Überblick haben. Rein topografisch gesehen – gut 150 Meter über dem Rhein.
Rochusclub | düsseldorf
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Mittelpunkt geselligen Sportlebens: das Clubhaus im maurischen Stil
am Rolander Weg in Düsseldorf.
Auf der überdachten Veranda sitzen ein paar Damen in dunkelblaue Decken gehüllt und plaudern.
Gedämpftes Gelächter weht herüber. Zugegeben:
Davos in der Schweiz liegt zehnmal so hoch. Aber
ob Thomas Mann seinen Zauberberg noch in den
Alpen hätte spielen lassen, wenn er seine Frau zur
Erholung hierher geschickt hätte? Eine gediegene
Atmosphäre, viel Natur und außergewöhnliche
Persönlichkeiten jedenfalls hätte ihm auch der
Rochusclub bieten können.
Idyllische Bühne für Ausnahmetennis: Auf dem Centre-Court spielen zu
dürfen, gilt als Ehre, nicht nur zu Turnierzeiten.
Charmante Gräfinnen, vermögende Industrielle,
kernige Wirtschaftsmanager, Ärzte, Rechtsanwälte,
Lebenskünstler – die Chronik des Clubs liest sich
wie ein Düsseldorfer „Who’s who“. Gegründet
wurde der Verein 1898 zum Zwecke des Tennisspiels, aber von Anfang an waren sportliche Ambitionen das eine, illustre Geselligkeit das andere.
Manche kamen in den Club, um ein paar Bälle zu
schlagen, viele, um ernsthaft zu trainieren, eher
selten aber zog es jemand nach dem Spiel direkt
nach Hause. Man speiste gemeinsam, spielte Bridge,
feierte vom Vergnügungsausschuss organisierte
kleine und große Feste und amüsierte sich nicht zu
knapp. Ausdrücklich untersagt waren den Aktiven
allerdings das Rauchen während des Spiels, hohe
Absätze auf dem Platz sowie ein unangemessener
Sportdress.
Tempi passati? Keineswegs. Noch immer etwa, so
berichtet Eric Jelen, lege man im Rochusclub großen Wert darauf, dass die Tennisspieler nicht durch
exaltierte Kostümierungen irritieren. Allein die Ten-
eric jelen
75
Seit 1929 liegt der Club am Rande des Grafenberger
Waldes, einer ohne Übertreibung zauberhaften Gegend.
Traditionsverein mit gehobenen
Ansprüchen: Der Rochusclub
ist seit Jahrzehnten Ausrichter
internationaler Turniere.
nisprofis bei Turnieren dürfen zweifelhaften Entwicklungen nachlaufen und papageienbunt auf dem
Platz stehen. Die jugendlichen Mitglieder aber, die
gerade am Clubhaus vorbei zum Training in die Halle
schlendern, sind unter den dunkelblauen Blousons
angezogen, wie es sich gehört: strahlend weiß.
Seit geraumer Zeit allerdings grassiert unter einem
Teil der Mitglieder die beklagenswerte Mode, sich
am Clubleben weniger intensiv zu beteiligen, als
die Verantwortlichen sich das wünschen. Der Verein nimmt’s sportlich und kontert mit „familiengerechten Angeboten“, zu denen Yoga, Stretching
und Boule gehören. Das gediegene Clubrestaurant
hat sowieso immer geöffnet. Und die Kids? Werden
mit Pool-Partys und Schnitzeljagden bei Laune gehalten, sind zu Karnevals- und Halloween-Feiern
geladen und können überdies jederzeit auch Tischtennis oder Fußball spielen. Der Nachwuchs darf
selbstverständlich auch mal ungestört abhängen –
er hat im Clubhaus eine eigene Chill-out-Area,
Jugendraum genannt.
Nicht nur der Form halber sei darauf hingewiesen,
dass man im Rochusclub auch fantastisches Tennis
spielt. Die erste Herrenmannschaft etwa, betreut
vom ehemaligen Davis-Cup-Trainer Detlev Irmler,
schlägt seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen in
der 1. Bundesliga auf. Die Damen sind in der zweithöchsten Spielklasse vertreten. Die große Turnier­
tradition des Rochusclubs garantiert zudem immer
wieder Wettkämpfe der absoluten Spitzenklasse.
Ivan Lendl, Jimmy Conners, Björn Borg, Stefan Ed-
berg, John McEnroe und natürlich Boris Becker –
alles Tennislegenden, die sich einen Auftritt im Rochusclub nicht haben entgehen lassen.
Vollendete Manieren zeigt unser Clubexperte Eric
Jelen. Damen lässt er den Vortritt, an geschlossenen Türen klopft er höflich, Fragen werden geduldig
und freundlich beantwortet. Der einstige Serveand-Volley-Spezialist, dem sein außergewöhnliches
Ballgefühl den Beinamen „Mann mit dem goldenen
Arm“ einbrachte, arbeitet heute als Verbandstrainer im TVN Leistungszentrum in Essen. Bei den
WTC-Turnieren im Rochusclub hilft er bei der Organisation. „Ich helfe mehr als gern“, sagt Jelen,
„dem Tennis habe ich viel zu verdanken. Es ist ein
großartiger Sport.“
rochusclub
düsseldorf
Adresse: Rolander Weg 15,
40629 Düsseldorf
Gründungsjahr: 1898
Umzug an den
Grafenberger Wald: 1929
Zerstörung der Anlage:
1943/44
Wiederherstellung: 1948
Mitglieder: 1 423
Kapazität:
Centre-Court 3 800 Plätze,
Court I 700 Plätze,
Court II 1 000 Plätze
Veranstaltungen:
Davis Cup Deutschland
gegen UdSSR 1964 (4:1),
seit 1978 Gastgeber der
offiziellen ATP-MannschaftsWeltmeisterschaften im
Tennis
Nach einer Pause von
34 Jahren wurde 2006
wieder ein Davis-CupSpiel – Deutschland gegen
Thailand – im Rochusclub
ausgetragen.
www.rochusclub.de
Deutsches Tischtennis-zentrum | Düsseldorf
76
jörg roSSkopf
77
Timo Boll gibt’s gratis
DEUTSCHES TISCHTENNIS-ZENTRUM. Bundestrainer Jörg Roßkopf führt
durch die Kaderschmiede mit angeschlossenem Hotel „Klick-Klack“.
G
eheimtipp: Düsseldorf. Messe. Kein Hotel.
Was tun? Im Deutschen Tischtennis-Zentrum (DTTZ) an der Ernst-Poensgen-Allee
58 übernachten. Nicht auf einer Platte, versteht sich, sondern komfortabel in einem der 31 Doppelzimmer mit Bad, Fernseher und Internetanschluss.
Die Rezeption ist Tag und Nacht besetzt. Eine Kantine gibt’s auch. Schön wär’s. Die vornehme Herberge
öffnet nicht für jedermann die Türen. Einen Tischtennisschläger muss man schon halten können, und
zwar sehr gut. Denn das Sporthotel wird vorwiegend
als Internat für den Nachwuchs genutzt.
Deutsches
tischtennis-zentrum
düsseldorf
Adresse:
Ernst-Poensgen-Allee 58,
40629 Düsseldorf
Eröffnet:
20. Oktober 2006
Ausstattung:
2 Hallen mit rotem, linienfreiem Spezialboden,
Physio- und Fitnessraum,
Sauna
Nutzung:
DTTB-Internatsgruppe,
Bundesstützpunkt Damen,
Bundesstützpunkt Herren,
WTTV-Teilzeitinternat,
WTTV-Landesleistungszentrum,
DTTB-Lehrgänge,
DTTB-Trainingsmaßnahmen,
internationale und nationale Trainingspartner
Besonderheit:
Internat mit 16 Vollzeitund 25 Teilzeitplätzen
(7 Doppel-, 4 Einzelapartments, dazu Gruppen- und
Ruheräume sowie Büros)
www.tischtennis.de/dttz/
Mit ein bisschen Glück läuft einem sogar Timo Boll
direkt in die Arme. Uns schüttelt der erfolgreichste
deutsche Tischtennisspieler aller Zeiten die Hand,
bevor er entschwindet. Boll will für irgendein Turnier
am Wochenende trainieren und in ein paar Wochen
beginnen die Olympischen Spiele in London, da muss
er jetzt Gas geben, ist ja klar.
Jörg Roßkopf hat im Moment auch wenig Zeit. Der
Bundestrainer jagt von Termin zu Termin und nutzt
einen kleinen Slot, um sich fotografieren zu lassen.
Zum Glück, denn keiner verkörpert den Sport besser
als „Mister Tischtennis“ persönlich. In seiner 24 Jahre
währenden aktiven Karriere hat er viel gewonnen,
aber am 8. April 1989 hat Roßkopf zusammen mit
Steffen Fetzner Tischtennisgeschichte geschrieben.
Die beiden gewannen vor 15 000 frenetisch jubelnden
Zuschauern in einem packenden Finale überraschend
die Weltmeisterschaft im Doppel. Zwei Tage später
meldeten landauf, landab Mütter ihre Kinder im
Tischtennisverein an.
Goldene Zeiten. Tischtennis hat es nach einem kurzen
Boom mittlerweile wieder etwas schwerer im Land.
Zwar steht nach wie vor in jeder dritten Garage eine
Platte, Schläger und Pingpongbälle finden sich fast in
jedem Haushalt, aber zum TV-präsenten Massensport wie Fußball, Boxen oder Formel 1 hat sich Tisch-
tennis, anders als in anderen Ländern, bei uns noch
nicht entwickelt.
Unaufgeregt. Professionell. Verlässlich. Die Bedingungen im DTTZ in Düsseldorf sind für die Athleten ideal.
Im Umkreis wohnt der komplette Kader des Deutschen Tischtennisbundes, anspruchsvolle Trainingspartner sind immer verfügbar. Jo Pörsch, in Personalunion Betriebsführer des Bundesstützpunktes sowie
Geschäftsführer des vor Ort beheimateten Bundesligisten Borussia Düsseldorf, lädt zum Rundgang.
Bei harten Topspins 180 Stundenkilometer schnell –
in den zwei großen Trainings- und Wettkampfhallen
wechseln die Zelluloid-Bälle in atemberaubender
Geschwindigkeit die Tischseiten. Sich diesem Tempo
über ein ausgesprochenes „Klick-Klack“ auch nur
phonetisch anzunähern, dauert schon länger, als
den Spielern an Reaktionszeit bleibt. „Mitunter nur
0,3 Sekunden“, erklärt Pörsch, beobachtet zwei
Spieler, die bei jedem Schlag stöhnen, als gäben sie
ihr Letztes, und schließt zufrieden lächelnd behutsam die Tür. Weiter geht’s: Sauna, Physiotherapieund Fitnessraum, Ruhezone. Für professionelle ärztliche und physiotherapeutische Betreuung steht
Fachpersonal bereit.
Vorbei an Cafeteria und Seminarräumen hoch zum
Internat, wo Nachwuchstalente aus der ganzen Republik trainieren, lernen und leben. Bis zu 16 Kinder und
Jugendliche können in den sechs Doppel- und vier
Einzelapartments im DTTZ wohnen. Ein vielleicht
11-jähriges Mädchen öffnet mit mürrischem Gesicht
auf unser Klingeln. „Mitleid“ sei nicht angebracht, beruhigt Pörsch, die Kinder seien meist ausgesprochen
gut drauf. Im riesigen Wohnzimmer stehen mehrere
kuschelige Sofas, auf denen allerdings gerade niemand rumlümmelt. Es ist Nachmittag, die Kinder
machen Hausaufgaben oder trainieren. Nur unsere
Türöffnerin hat Küchendienst, deshalb die schlechte
Laune. Alles in bester Ordnung also.
Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf
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Wo Rembrandt kein Maler ist
Bundesleistungszentrum Reiten. Vielseitigkeit, Springen oder
Dressur – Nicole Uphoff-Selke stellt Westfalens Goldschmiede vor.
W
estfalen gelten als leistungsstark und
einsatzbereit, als gutwillig, jedoch nicht
ohne Temperament. Und chic sind sie
obendrein. Die Rede ist hier allerdings
nicht von den Menschen, die jene Region zwischen
niederländischer Grenze, sauerländischen Gebirgskämmen und Weserbergland bevölkern, sondern
von Pferden. Die Fahrt ins münsterländische Warendorf führt vorbei an grünen Wiesen, weitläufigen
Koppeln und ausgedehnten Reitwegen. Die 38 000
Einwohner zählende Kreisstadt an der Ems ist die
Bundeshauptstadt für Pferde und ihre Reiterinnen
und Reiter. Mit dem nordrhein-westfälischen Landgestüt und seinen edlen Hengsten, der Deutschen
Reiterlichen Vereinigung (FN), dem Deutschen
Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) und dem
Bundesleistungszentrum liegt an diesem Ort quasi
die Hauptschlagader der deutschen Reiterei.
„Ich kenne keine Reitanlage mit
solch optimalen Bedingungen.“
„Mein Herz macht jedes Mal einen Sprung, wenn
ich nach Warendorf komme“, sagt Nicole UphoffSelke. Wir sind mit der ehemaligen Dressurreiterin
aus Duisburg im Bundesleistungszentrum verabredet. Sie hat ihre beiden Hunde dabei, einer von ihnen
trägt ein gelb-schwarzes Halstuch. Nicole UphoffSelke ist bekennender BVB-Fan. „Die Dauerkarte
war im Paket mit drin“, sagt sie im Rückblick auf
ihre Hochzeit 2007.
Egal ob Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren
oder Voltigieren, fast alle, die heute bei Olympischen
Spielen oder Welt- und Europameisterschaften im
Rampenlicht stehen, haben zuvor in Warendorf trainiert: Otto Becker, Ludger Beerbaum, Bettina Hoy,
Thies Kaspareit, Helen Langehanenberg, Lars Nieberg, Franke Sloothaak. Und auch Nicole UphoffSelke war in der Erfolgsschmiede des deutschen
Reitsports eine Zeit lang Dauergast. Hier hat sie
sich auf die Olympischen Spiele 1988 in Seoul und
1992 in Barcelona vorbereitet. Der Rest ist Geschichte: Sowohl im Einzelwettbewerb als auch mit der
deutschen Mannschaft gewann sie mit ihrem berühmten Westfalenwallach Rembrandt insgesamt
vier Goldmedaillen in der Dressur.
„Ich habe hier die schönsten Jahre meiner Trainingszeit verbracht“, erzählt die Erfolgreiche und
blickt sich um. Anfangs wohnte sie sogar auf dem
großzügigen Gelände in der Nähe der Ställe, Tür an
Tür mit ihren Pferden. Sie fand das herrlich, war
gerade Anfang 20, das erste Mal weg vom beschützenden Elternhaus, und verspürte dieses Gefühl von
Freiheit. Kein eigenes Zimmer mehr – das machte
gar nichts. „Sehen Sie, da oben links habe ich gewohnt“, erzählt Nicole Uphoff-Selke und zeigt auf
ein kleines Fenster in der ersten Etage des Wohnheims, in dem auch heute noch Nachwuchsreiter
ihr Quartier aufschlagen. „Es war einfach eine tolle
Zeit, wir waren alle wie eine große Familie.“ Gemütlich und persönlich sei es zugegangen, auch in
Warendorf selbst, wo es damals gerade einmal drei
Restaurants gab. „Da kannte jeder jeden.“ Das habe
sie sehr gemocht.
Auch das Bundesleistungszentrum, das der Mannschafts-Olympiasieger und -Weltmeister im Vielseitigkeitsreiten Frank Ostholt seit 2004 leitet, hat
sich vergrößert. Auf dem 20 Hektar großen Gelände
verteilen sich drei Reithallen, eine Mehrzweck- und
nicole Uphoff-selke
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Bundesleistungszentrum Reiten | Warendorf
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Die großzügige Anlage des Bundesleistungszentrums Warendorf bietet Nachwuchsreitern und Profis optimale
Trainingsbedingungen, auf dem Außenplatz ebenso wie in der Halle.
Nicole Uphoff-Selke und ihr Jahrhundertpferd
Rembrandt haben in Warendorf ihre schönsten
Trainingsjahre verbracht.
In Warendorf liegt quasi die Hauptschlagader
der deutschen Reiterei.
eine Longierhalle, vier Dressurplätze, vier Springplätze auf Sand- sowie einer auf Grasboden, ein
Fahr- und ein Vielseitigkeitsplatz auf Gras mit Hindernissen sowie mehrere Stalltrakte mit insgesamt
110 Boxen. „Ich kenne keine Reitanlage mit solch
optimalen Bedingungen.“
Auf einem Nebenplatz trainiert Springreiter Toni
Haßmann gerade seine Pferde. Sie gehören zu den
80 bis 90 Tieren, die dauerhaft hier wohnen, die
übrigen Boxen stehen Übernachtungsgästen zur
Verfügung. Pferdesauna und -solarium inklusive.
„Weitergaloppieren, nicht so am äußeren Zügel
festhalten, Sandra“, ruft Dressurreiterin Carola
Koppelmann vom Platz gegenüber. Gemeint ist
Sandra Auffarth, die im vergangenen Jahr in der
Einzelwertung Vize-Europameisterin im Vielseitigkeitsreiten wurde und sich vor ihrem nächsten
wichtigen Turnier konzentriert vorbereitet.
Während ihrer Trainingsaufenthalte zog es Nicole
Uphoff-Selke vom Training auf dem Dressurplatz
immer wieder ins Grüne. Das habe sie oft gemacht,
sie sei einfach losgeritten in den Wald, der gleich vor
der Stalltür beginnt. „Harry Boldt hat mir nie reingeredet, er war der perfekte Trainer für mich, weil
er nicht versucht hat, meine Reitweise zu ändern.“
Mit dem Gelände verbindet die Olympiasiegerin jedoch auch eine düstere Zeit. Rembrandt – das auf
internationalen Turnieren weltweit erfolgreichste
Dressurpferd – verletzte sich bei der Siegerehrung
der Deutschen Meisterschaft 1993 schwer. Ein ausschlagendes Pferd traf ihn unterhalb des Knies und
brach ihm das Hinterbein. „Ich bin ihn hier im Gelände ein halbes Jahr lang nur Schritt geritten, immer geradeaus. Aber Remmi war eine Kämpfernatur,
der wollte noch. Ruhe war nichts für ihn.“ Dass er
auch konnte, stellte Rembrandt nach einem knappen Jahr Pause unter Beweis.
nicole Uphoff-selke
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Wer die Olympischen Spiele im Blick hat, muss zunächst in Warendorf – etwa beim „Preis der Besten“, einem der bedeutendsten
Nachwuchsturniere in Deutschland – seine Reitkunst beweisen.
Bundesleistungszentrum Reiten
warendorf
Adresse:
Freiherr-von-Langen-Str. 13,
48231 Warendorf
Baujahr: 1970
Als das Siegerpferd 1996 seine Profikarriere beendete, ging die Reiterin auf Abschiedstournee
durchs Land. Rembrandt war der Star und hatte
zahlreiche Fans. Und als solcher erhielt er auch
Fanpost. Adressiert an „Rembrandt, Warendorf“
kamen Päckchen mit Möhren und Leckerlis im
Bundesleistungszentrum an. Sogar eine Straße,
die zu dem Gelände führt, ist nach ihm benannt.
„Hier weiß wenigstens jeder, dass damit nicht der
Maler gemeint ist“, sagt Nicole Uphoff-Selke und
lacht. Und er ist fast so berühmt wie das einstmals
weltbeste Springpferd Halla. Jene Traumstute, die
Hans Günter Winkler zu Goldmedaillen trug und
die nun in Bronze gegossen den Pferdefreunden
den Weg zu den Westfalen zeigt.
Anlage:
3 Reithallen, 1 Mehrzweckund 1 Longierhalle, 4 Dressurplätze, 2 Mehrzweckplätze, 4 Springplätze auf
Sandboden und 1 Springplatz auf Grasboden,
1 Fahr- und Vielseitigkeitsplatz auf Grasboden mit
verschiedenen Naturhindernissen, mehrere Stalltrakte mit insgesamt 110
Pferdeboxen
Besonderheit:
Sitz der Geschäftsstelle
des Deutschen OlympiadeKomitees für Reiterei
(DOKR)
Veranstaltungen:
Austragungsort von
Nachwuchsprüfungen
„Preis der Besten“,
Nachwuchschampionat
Vielseitigkeit,
Bundeschampionat, bei
dem sich die besten jungen
Pferde und Ponys aus der
deutschen Zucht präsentieren
www.pferd-aktuell.de/
bundesleistungszentrum/
blz
SchieSSsportanlage | Dortmund
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Pistolen statt Petunien
SCHIESSSPORTANLAGE DORTMUND. Nirgendwo kann der vierfache
Olympiateilnehmer Maik Eckhardt so gut trainieren wie unter Tage im Revier.
M
itunter führen Schlagzeilen auf falsche
Fährten. Zugegeben – das Viertel war
verrufen. Augenscheinlich finstere Gestalten fielen im Dortmunder Norden
damals kaum auf. Auch nicht die fünf Männer, die
Mitte September 1976 bei ihrem Treffen vor dem leer
stehenden 50er-Jahre-Bau gedecktes Tuch trugen,
so dunkel wie die Limousinen, in denen sie chauffiert
wurden. Anderntags titelte die Lokalzeitung: „Auf
Blüten folgen Kugeln.“ Klingt nach Revierkampf konkurrierender Falschmünzer, war aber eher genau
das Gegenteil. Und das stimmt den Dortmunder
Markus Bartsch im Nachhinein sehr glücklich.
Denn was die Reporter vor 36 Jahren beobachteten,
war quasi die Grundsteinlegung für Bartsch’s heutigen Arbeitsplatz. Und dort, in der Eberstraße 30,
laufen Schießereien nur in geordneten Bahnen ab.
Auf 146, um genau zu sein. Denn hier residiert das
LLZ, das Landesleistungszentrum der nordrheinwestfälischen Sportschützen.
Markus Bartsch ist Geschäftsführer des Westfälischen Schützenbundes, damit so etwas wie Hausherr der Anlage und als solcher durchaus „ein wenig
stolz“. Nicht nur auf den kontinentalen Superlativ
„größte Indoor-Schießanlage Europas“. Sondern
auch auf deren unterirdisch anmutende Bedingungen. – Wie bitte?
Der Weg zu einem besseren Verständnis führt aus
Bartsch’s Büro die Treppe runter. Mit seiner Zugangsberechtigung geht’s – zweimal abbiegen – den weiß
getünchten Gang entlang. Von dessen Wänden wird
jeder Besucher sofort ins Visier genommen. Liegend, stehend, kniend. Sonja Pfeilschifter und Karl
Wenk, Jessica Mager und Christian Reitz – hier
hängt das Who’s who des deutschen Schießsports.
Dessen Herzkammer am Ende der Galerie ist ein
einziger fensterloser Raum. 2 600 Quadratmeter,
ohne Tageslicht und frei von störendem Wind.
Hier werden Weltmeister gemacht. Nationale Champions. Und Olympioniken.
Einen der erfolgreichsten treffen wir an Schießbahn
eins. Maik Eckhardt ist 20-facher Deutscher Meister
sowie WM-Silbermedaillengewinner mit der Mannschaft und schoss sich am letzten Mai-Wochenende
zu seiner fünften Olympiateilnahme.
Unter anderem für den Londoner Dreistellungskampf, bei dem 3 x 40 Schuss in 200 Minuten über
Gold, Silber und Bronze entscheiden, trainiert der
42-jährige Unternehmer nahezu täglich. „Hier im
LLZ sind die Bedingungen fantastisch“, lobt der
Athlet und hat wie aus der Pistole geschossen Details bereit: „108 Bahnen à 10 Meter für Luftdruck,
28 Bahnen Kleinkaliber 50-Meter-Schießen und
zehn Bahnen für das 25-Meter-Schießen mit der
Kleinkaliber-Pistole.“
Anfang der 80er Jahre mit einer Europameisterschaft eröffnet, wurde die Anlage 2003 komplett
modernisiert. Mit Schieß- und Beleuchtungstechnik
auf den neuesten Stand gebracht. OP-taugliche Lichtverhältnisse wie in der Klinik zählen ebenso dazu wie
ein IT-Netzwerk, das 450 Schießplätze, Zielscheiben
und Kampfrichterstellen miteinander verbindet.
„Von all dem war 1976 natürlich nichts zu sehen,
aber die räumlichen Voraussetzungen“, vermutet
Maik Eckhardt, „haben die ‚fünf Herren‘ offenbar
damals sofort begeistert.“ Zu denen zählten der
damalige NRW-Kultusminister Jürgen Girgensohn
sowie der langjährige Innenminister und damalige
DSB-Präsident Willi Weyer. Mit Vertretern der Stadt
Dortmund suchten sie ein Trainingsgelände für die
besten Sportschützen des Landes. Und wurden in
einem alten Blumengroßmarkt fündig. Wo jetzt
Pistolen statt Petunien das Bild beherrschen. Wie
gesagt: „Auf Blüten folgen Kugeln.“
Landesleistungszentrum, LLZ Dortmund
Adresse:
Eberstraße 30,
44145 Dortmund
Baujahr: 1950
Umbau: 1980/81
Bauherr: Westfälischer
Schützenbund
Architekt:
Marek & Schreiter, Lünen
Besonderheit:
Vormals als BlumenMarkthalle genutzt, hat
Europas größte überdachte Schießsportanlage
weder Fenster noch Lichtschächte. Ohne die üblichen Störfaktoren in Outdoor-Anlagen wie unterschiedliche Sonneneinstrahlung und wechselnde
Windverhältnisse finden
die Sportschützen hier
auf 2 600 qm einmalige
Trainingsbedingungen.
Veranstaltungen:
Internationaler Saisonauftakt der Sportschützen
ISAS alljährlich im März,
2012 ausgetragen als
7-tägiger Wettbewerb
mit 600 Sportlern aus
30 Nationen;
Europameisterschaften
der Luftdruckschützen
1982,
5-mal Austragungsort der
Europameisterschaften
der Bogenschützen
maik eckhardt
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iss dome | düsseldorf
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Otto Schneitberger
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Alles vom Feinsten
ISS DOME DÜSSELDORF. Otto Schneitberger war die Eishockey-Legende
an der Brehmstraße, heute verpasst er kein Spiel in der neuen Arena.
E
ines vorweg: Eishockey ist nichts für zarte
Seelen. Harte Checks, schnelle Sprints,
scharfe Schüsse – so funktioniert Eishockey. Bei Männern wie bei Frauen. Wer diesen Sport zu seinem Beruf machen will, sollte hart
im Nehmen sein. Und Kondition mitbringen.
Die gewaltigen, weil gut verpackten Spieler der ProfiLiga DEL sind bei ihren Einsätzen pausenlos in
Bewegung. Mit bis zu 65 Kilometern pro Stunde
fliegen sie übers Eis. Gleichwohl wird ihre Rasanz
noch locker übertroffen: vom Puck nämlich, dem
die Männer mit ihren Schlägern ordentlich Speed
geben. Die Hartgummischeibe erreicht Spitzengeschwindigkeiten von 160 Stundenkilometern. Naiv,
wer da einen zimperlichen Umgang mit dem Gegner erwartet. Kleine Platzwunden registrieren die
Spieler eh kaum, Risswunden werden vom Arzt oftmals gleich noch auf der Spielerbank versorgt.
Keine Verletzten weit und breit. Alles friedlich heute.
Die DEG, einer der ruhm- und traditionsreichsten
Clubs der Republik, ist aus den Playoffs der Saison
früh ausgeschieden.
Die Heimspielstätte der Düsseldorfer Eislaufgemeinschaft wird von Kennern gern als architektonisches Highlight bezeichnet. Das Gebäude steht frei
auf einem 43 000 Quadratmeter großen Grundstück. Drinnen werden wir Otto Schneitberger, den
ehemaligen Titan der DEG und viel gerühmte Eishockey-Legende, treffen, aber zunächst einmal empfängt uns Lucie Papez. Ihre Visitenkarte weist sie
als Projektleiterin des ISS Dome aus, aber so eine
himmelschreiende Untertreibung war selten: Frau
Papez, schmal, patent und zum großen Glück alles
andere als mundfaul, gleicht einer Mutter, die stolz
ihr „Baby“ präsentiert.
Die Heimspielstätte der DEG wird als
architektonisches Highlight bezeichnet.
70 Millionen Euro hat diese Düsseldorfer Multifunktionshalle gekostet, in nur 17 Monaten wurde
sie im nördlich gelegenen Stadtteil Rath errichtet,
13 400 Zuschauern bietet sie Platz. Rote Bestuhlung wie im Theater, ein bei Bedarf sichtbar werdender Video­würfel samt Anzeigentafel in der Mitte,
Technik vom Feinsten auch hinter den Kulissen. Der
ISS Dome bietet den perfekten Rahmen für Veranstaltungen jeglicher Art. Sport, Konzerte, Jahreshauptversammlungen – nichts ist unmöglich. In
nur wenigen Stunden lässt sich die Halle auf die
Bedürfnisse des nächsten Kunden umrüsten. Bei
Events mit weniger Publikum kann der Oberrang
komplett hinter einem Vorhang verschwinden, was
den Innenraum optisch verkleinert. Den Wünschen
des Hauptmieters, der DEG, entsprechend, lassen
sich gar die Unterrang-Sitzplätze an der Nord,- Ostund Westseite obendrein zu insgesamt 4 000 Stehplätzen umbauen. Eine Karte in diesem Bereich
kostet den Eishockey-Begeisterten faire 15 Euro.
Mancherorts muss man das bereits für eine Kinokarte hinlegen. Für betuchtere, wichtige Gäste und
solche, die sich dafür halten, existiert ein Bereich
mit eigenem Eingang. 32 Einzel- und drei Doppel­
iss dome | düsseldorf
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Eishockey-Tempel: Die zweitgrößte Multifunktionshalle Düsseldorfs ist neue Heimspielstätte der traditionsreichen DEG.
„Otto, bau den Puck ins Tor, halleluja“,
jubelten die DEG-Anhänger.
(Aufforderung der Fans an DEG-Verteidiger Otto Schneitberger,
einen studierten Architekten)
Ihnen zu Füßen 900 Quadratmeter überzogen mit
einer 3,8 Zentimeter dicken Eisschicht. Sie herzustellen, sei „eine Kunst“, erklärt Frau Papez, für die
man zwei Wochen Zeit brauche.
haben sie Sportgeschichte geschrieben. Franz,
die Fußball-Lichtgestalt. Otto, der Eishockey-Gott.
Giganten des Sports. Letzterer packt tatkräftig mit
an und jongliert leichtfüßig wie ein junger Gamsbock einen schweren Scheinwerfer nach unten auf
den tatsächlich eisfreien, aber trotzdem weiß strahlenden Betonboden.
Ob die DEG gewinnt oder verliert, ein Herr mit grauen
Schläfen ist immer mit von der Partie. Nicht mehr
auf dem Eis natürlich, der Mann ist 72, sondern als
Zuschauer auf der Tribüne. Ganz oben kann man
Höhenangst kriegen, wenn man runterguckt oder
gar die Treppen abwärtsstiefelt. Unbeeindruckt balanciert gerade der Fotograf auf den Rängen, ebenso sein legendäres Motiv: Otto Schneitberger. Eishockey-Novizen muss man womöglich erklären, wer
das ist. Am schnellsten geht es so: Franz Beckenbauer und Otto Schneitberger sind nicht nur befreundet und spielen ab und zu eine Runde Golf zusammen, beide sind sie gebürtige Bayern und beide
119 Nationalspiele, dreimal Olympia, dreimal Deutscher Meister mit der DEG. Schneitberger war ein
Held, der vom Publikum verehrt und geliebt wurde.
Der studierte Architekt glänzte auf dem Eis als beinharter Verteidiger, was die Fans zu euphorischen
Schlachtgesängen veranlasste: „Alles schläft. Otto
wacht.“ Auch schön: „Marmor, Stein und Eisen
bricht, aber unser Ohottoo nicht.“ Nicht selten
schoss „Atom-Otto“ gar noch mehr Tore als die
Kollegen vom Sturm. „Otto, bau den Puck ins Tor,
halleluja“, jubelten die DEG-Anhänger und besangen
und feierten ihr Idol, selbst wenn es mal nicht ganz
so gut lief.
logen mit je 34 bis 75 Quadratmetern stehen den
VIPs zur Verfügung.
Otto Schneitberger
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Kampf um den Puck – noch ohne Helm:
Groß, modern, technisch raffiniert: Der ISS Dome strahlt innen in Rot-Weiß.
Otto Schneitberger von der DEG (rechts) im
Zweikampf mit Albert Loibl vom EC Bad Tölz.
ISS Dome
Adresse:
Theodorstraße 281,
40472 Düsseldorf
Eröffnet:
2. September 2006
Architekten (Entwurf):
RKW – Rohde, Kellermann,
Wawrowsky
Goldene Zeiten. Die Halle in der Brehmstraße, die
alte, kalte, aber heiß geliebte Spielstätte der DEG –
immer ausverkauft. Die Begeisterung unbeschreiblich. Trommeln, Wunderkerzen – eine Stimmung,
besser als beim Karneval.
Eishockey, wir erwähnten es bereits, ist ein Sport
für Menschen, die was aushalten können. Das gilt
auch für die Fans. Nach jedem Tief aber kommt
irgendwann auch wieder ein Hoch, so lautet immerhin ein Naturgesetz. Larmoyanz beschleunigt es
nicht. Otto Schneitberger, der in der Brehmstraße
frenetisch gefeiert wurde und gleich nebenan heute
noch wohnt, kommt gern in den ISS Dome. Die
Halle sei klasse, die Jungs von der DEG meist auch.
Und wenn’s einmal nicht so läuft? „Ich bin da“,
sagt Schneitberger.
Kapazität:
12 500 Personen,
13 400 Personen bei
Eishockeyspielen,
32 Einzel- und 3 Doppellogen,
624 Business-Seats
Parkplätze:
1 500 Stellplätze im Parkhaus plus VIP-Tiefgarage
mit 400 Stellplätzen
Veranstaltungen:
Eishockey DEG Metro
Stars (DEL),
Konzerte (z. B. Die Toten
Hosen, AC/DC, Rammstein, Elton John)
Besonderheiten:
Teleskoptribünen mit
4 000 Stehplätzen.
In der Regel liegt bei Veranstaltungen die Temperatur bei ungefähr 23 °C
(auch beim Eishockey).
Spielstätte der DEG Metro
Stars (DEL, seit 2006)
www.issdome.de
SPORTCENTRUM | kamen-KAISERAU
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Olaf thon
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Kultstätte am Kamener Kreuz
SPORTCENTRUM KAMEN-KAISERAU. Olaf Thon erinnert sich an den
besonderen Geist der Sportschule für das WM-Team von 1990.
F
ußball ist eine Glaubenssache. Nicht nur,
wenn es um die Frage nach der Vereinszugehörigkeit, sondern auch, wenn es ums
Gewinnen geht. Fast jeder Spieler hat sein
persönliches Ritual, fast jedes Team eine spirituelle
Gemeinsamkeit. Fußballschulen haben ein eigenes
Flair. Häufig entwickelt sich dort ein besonderes
Zusammengehörigkeitsgefühl, ein besonderer Geist.
Dort wird eine Mannschaft zusammengeschweißt
und gewinnt einen wichtigen Titel. Die Einrichtung
wird zur Kultstätte und ihr „Geist“ zum Aushängeschild. Wie der von Kaiserau.
SportCentrum
kamen-Kaiserau
Adresse:
Jakob-Koenen-Straße 2,
59174 Kamen
Einweihung der Sportschule: 10. Februar 1952
Baujahr Athletenhaus:
2006
Übernachtungskapazität
Sportschule:
42 Einzelzimmer,
62 Doppelzimmer
Übernachtungskapazität
Athletenhaus:
48 Einzelzimmer
Kapazität CongressCenter:
Rotunde für 250 Personen,
diverse Seminarräume
Sportstätten:
Sporthallen
- Fußballhalle
- Basketballhalle
- Freizeit- und
Breitensporthalle
- Gymnastikhalle
- Leichtathletikhalle
Freiland- und
Kunstrasenflächen
- 3 Fußballplätze
- 2 Kunstrasenplätze
- Laufbahn
www.sportcentrumkamenkaiserau.de
Das SportCentrum Kamen-Kaiserau liegt im beschaulichen Methler, einem Ortsteil von Kamen,
nicht einmal zehn Minuten vom national bekannten
Autobahnkreuz entfernt. Die Suche nach dem Geist
von Kaiserau führt mitten in ein Wohngebiet. Auf der
einen Straßenseite Trainingsplatz, auf der anderen
Reihenhaussiedlung. Alteingesessene Kamener
haben sie schon alle hier gesehen: Beckenbauer,
Matthäus, Littbarski, ganz zu schweigen von den Nationalteams anderer Länder, von Brasilien über die
Elfenbeinküste bis Angola und Spanien. Und sie können an diesem Tag einen echten Weltmeister sehen.
Olaf Thon ist mal wieder da. Carsten Jaksch-Nink,
seit 2003 Direktor des Fußball- und LeichtathletikVerbands Westfalen, erwartet einen guten Bekannten. „2004 habe ich in Kaiserau meine B-Lizenz als
Trainer gemacht“, erzählt Thon, „ich fühle mich dem
Haus schon seit Langem eng verbunden.“ Als Jugendlicher kam er zum ersten Mal – er war Spieler
des STV Horst-Emscher – aus Gelsenkirchen. „Damals hat mich mein Vater immer mit dem Auto hergebracht und die halbe Stunde Fahrt kam mir ewig
vor.“ Ab 1980 spielte Thon für Schalke 04 und obwohl Kamen geografisch eher dem Dortmunder
Territorium zuzurechnen ist, kam er auch mit der
Jugendmannschaft der Knappen nach Kaiserau.
Der Hausherr achtet durchaus auf Neutralität.
„Wir haben eine neue Laufbahn auf unserer Leichtathletikanlage, die der des Berliner Olympiastadions
gleicht – und zwar in Königsblau“, lacht Carsten
Jaksch-Nink. Und ist damit bei einem der vielen Vorzüge des SportCentrums: „Als Sitz des Fußball- und
Leichtathletik-Verbands Westfalen verbinden wir die
Kompetenzen aus beiden Sportarten.“ Wenn ein
Trainer seinen Fußballern einen korrekten und runden Laufstil beibringen will, ist er hier richtig. Aber
auch die Leichtathleten der kanadischen Olympiamannschaft haben sich Kaiserau als Europa-Stützpunkt ausgesucht. Denn die Athleten beider Sportarten überzeugt die Anlage. Drei Rasen- und zwei
Kunstrasenplätze, die erwähnte Laufbahn und eine
Vielzahl notwendiger Annehmlichkeiten – vom Hallenbad bis zum Beach-Soccer-Feld – liegen dicht
beieinander. 2006 kamen ein Kongresszentrum sowie ein Athletenhaus mit 48 Einzelzimmern hinzu.
Prominente „Erstbezieher“ im Eröffnungsjahr zur
Fußball-WM in Deutschland: die spanische FußballNationalmannschaft.
Derart komfortabel war die Unterbringung in der
Vorbereitungsphase auf die WM in Italien 1990
noch nicht. Aber „vermisst“ hat Olaf Thon seinerzeit trotzdem nichts. „Wir waren auf engem Raum
zusammen, waren gut versorgt und konnten uns
auf das Wesentliche konzentrieren. Der Geist von
Kaiserau hat uns getragen“, erinnert sich der Weltmeister. Auch die deutsche Handball-Nationalmannschaft setzte auf jenen ominösen Geist und
wählte das SportCentrum als Basisstation vor und
während der WM im Jahr 2007. Ein Aufenthalt, der
laut Carsten Jaksch-Nink nicht unerheblichen Anteil am folgenden Handball-Sommermärchen mit
dem Gewinn des Weltmeistertitels hatte.
Westfalenhallen | Dortmund
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Annegret Richter
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Unter Denkmalschutz
WESTFALENHALLEN DORTMUND. Wo die Karriere von SprintDoppelolympiasiegerin Annegret Richter mit Wintertraining begann.
D
ie Dortmunder Westfalenhalle 1 hat die
Pforte geöffnet und es riecht nach Hund.
Dabei wollen wir doch Sportboden besichtigen und Sportlerschweiß atmen. Der traditionsreiche „Sportpalast der Republik“ an der
Bundesstraße 1 hat sich an diesem Tag verwandelt:
Aus dem riesigen Rund, einst gebaut für den Sport
und Schauplatz zahlreicher Weltmeisterschaften,
ist auch – vor allem in Gemeinschaft mit den weiteren acht Westfalenhallen – ein prosperierender
Messeplatz geworden.
An diesem Mai-Wochenende machen sich „Hund
und Heimtier“ breit, Ausstellungsmitarbeiter rollen
Teppiche aus und errichten einen Parcours für die
bisweilen knurrenden und kläffenden Begleiter des
Menschen. Doch an einer anderen Stelle geht es
auch um Sport: Bühnentechniker errichten eine Riesenleinwand für das Public Viewing des Deutschen
Pokalfinales – BVB gegen Bayern München. Dortmund, die mit nahezu 600 000 Einwohnern größte
Stadt des Ruhrgebiets, beweist einmal mehr ihre
tiefe Beziehung zum Fußball und die Große Westfalenhalle ihre Qualitäten als Verwandlungskünstlerin.
Seit ihrer Eröffnung 1952 sind unter dem gewaltigen Dach mehr als 30 Welt- und 50 Europameisterschaften ausgetragen worden. Eine Sportlegende
aus Stein, Stahl und Beton. Vor 20 Jahren boxte
Henry Maske hier viermal um den Weltmeistergürtel.
Dortmund erlebte in der Westfalenhalle 1 mit dem
VfL Gummersbach und Heiner Brand die große Zeit
des Handballs und 2007 die Handball-WM. Zuletzt
erreichten die deutschen Tischtennisherren um ihren Star Timo Boll Ende März 2012 das Finale der
Mannschafts-Weltmeisterschaft. Es war die insge-
samt schon dritte Tischtennis-WM in Dortmund
nach 1959 und 1989, von denen besonders Letztere
durch den legendären Sieg von Jörg Roßkopf und
Steffen Fetzner in Erinnerung geblieben ist.
Dem Radsport hat die Große Westfalenhalle
ihre ovale Form zu verdanken.
Zugegeben, unten im Innenraum fühlt man sich
ziemlich klein. Rang um Rang erheben sich rote
Sitzreihen in der Form eines Ovals 23 Meter hinauf
bis zur Decke. Das frei schwebende Kuppeldach gilt
als architektonisches Highlight dieses Hallenbaus,
das ohne störende Stützpfeiler den heute maximal
15 400 Zuschauern von allen Plätzen freie Sicht ermöglicht. Vor allem wegen dieser gewagten und kühnen Dachkonstruktion erhielt die Westfalenhalle 1
im Jahr 1993 das Prädikat „Denkmal“ und wurde
damit zu einem Bau für die Ewigkeit.
Oben dieses fantastische Dach, aber wie sieht es
denn unten aus? Also runter in die Katakomben.
Der Weg durch das labyrinthähnliche Kellergewölbe
führt vorbei an Veranstaltungspostern und Künstlerplakaten: Abba, Rolling Stones, Tina Turner, Luciano
Pavarotti und Placido Domingo. Pink Floyd ließen
„The Wall“ auf ihrer legendären Tour neben Los Angeles, New York und London am 16. Februar 1981 nur
noch in Dortmund einstürzen. Welch ein Erlebnis für
diejenigen, die unter den mehr als 20 000 dabei sein
konnten – Ticketpreis damals: 22 D-Mark.
Der Blick in die Künstlergarderoben: Keine Schampus-Kühler, Kronleuchter oder Samtvorhänge, die
Westfalenhallen | Dortmund
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Manfred Schmadtke ist stolz auf sein kleines Museum:
1952 wurde die neue Westfalenhalle eröffnet, nachdem die Ursprungshalle den Krieg
Die weltweit einzigen Steher-Maschinen werden im Untergrund
nur als Schuttruine überlebt hatte.
der Großen Westfalenhalle gepflegt.
Die Dortmunder Sechstagerennen waren
jahrzehntelang ein Publikumsmagnet.
Stars müssen mit Schminktisch und einer Sitzecke
auskommen. So hausen also die Bühnenartisten?
Viele, so erfahren wir, reisen mittlerweile mit ihren
eigenen vier Wänden an und parken den Trailer gleich
auf dem Wirtschaftshof oder lassen sich die Garderobe von ihrem persönlichen Designberater individuell herrichten. Nichts anderes hatten wir erwartet.
Und damit gelangen wir auch schon zu dem Mann,
der im Untergrund ein kleines Heiligtum pflegt.
Manfred Schmadtke erwartet uns bereits. In seiner
kleinen Werkstatt sind die letzten Steher-Maschinen aufgebockt, die es weltweit noch gibt. Baujahr
1920. Ohne Bremse, ohne Schaltung. Ausgestattet
mit einem 1 000-Kubikzentimeter-Motor, waren sie
bei den legendären Steherrennen in der Westfalenhalle 1 die größte Attraktion. Denn dem Radsport,
vielmehr seiner Rennbahn, hat die Westfalenhalle
ihre ovale Form zu verdanken. „Alles Handarbeit.
Die können Sie durchtreten und immer noch losfahren“, erzählt der 76-jährige Dortmunder.
Wieder oben im Tageslicht. Wir sind mit der Doppelolympiasiegerin und echten Dortmunderin Annegret
Richter verabredet. Auf zwei Beinen, nicht auf dem
Rad, hat die ehemalige Sprinterin in den Westfalen-
hallen ebenfalls Höchstleistungen erzielt. Zu Beginn
ihrer Karriere sei sie auf dem Gelände „ein- und ausgegangen“, erzählt die 61-Jährige. In Halle 4 erhielten die Leichtathleten vor 50 Jahren die Möglichkeit, im Winter durchgehend zu trainieren. „Das war
für die damalige Zeit etwas Besonderes“, sagt sie
und hat Erinnerungsfotos mitgebracht – schwarzweiß natürlich. Sie zeigen eine junge, gertenschlanke
Athletin auf der Tartanbahn beim Zieleinlauf. In
Dortmund, vor ihrer Haustür, holte sie bei den Westfälischen Meisterschaften ihren ersten bedeutenden Titel. „Der gab mir den Anreiz, mehr zu trainieren und mehr zu machen.“ Denn so richtig fleißig
sei sie zu Beginn ihrer Karriere nicht gewesen, gesteht sie bei dem Blick zurück. Und auch, dass sie
zwar immer noch sehr sportinteressiert sei, dies
aber vor allem passiv. „Ich gehe zwar regelmäßig ins
Fitnessstudio und laufe noch, aber Letzteres nicht
so gerne“, sagt sie. Eine Sprinterin und Dauerlauf –
das passt eben nicht zusammen. Den Westfalenhallen ist sie bis heute verbunden geblieben, hier sah
sie zuletzt in Halle 1 Udo Jürgens live. „Die Westfalenhallen sind ein großer Anziehungspunkt für Dortmund. Es hat mich immer stolz gemacht, zu sehen,
wer hier alles hingekommen ist und wen man alles
hier gesehen hat.“
Annegret Richter
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Das frei schwebende Kuppeldach ist das architektonische Highlight der Halle. Die kühne Dachkonstruktion wurde
1993 unter Denkmalschutz gestellt.
westfalenhallen
Dortmund
Der Weg zum wahren Domizil der Leichtathleten
führt Annegret Richter und ihre Nachfolger nur einen
kleinen Fußweg herum um die Große Westfalenhalle
und schon gelangen sie zur Helmut-Körnig-Halle.
Eiskunstläuferinnen wie die WM-Dritte Dagmar
Lurz trainierten in der Eislaufhalle, die gleich neben
dem Haupteingang von Halle 1 liegt. Für Europaund Weltmeisterschaften machten die Dortmunder
allerdings blankes Eis im großen Rund.
Traditionell zu Jahresbeginn knattern und fliegen
beim ADAC Supercross in der Großen Westfalenhalle
Motorräder über eigens aufgetürmte Lehmhügel.
Die braucht es auch für einen Trendsport, der 2012
hier Weltpremiere feierte: Beim ersten Ecco Indoor
Trail verwandelte sich die Halle im Februar in eine
Landschaft aus Lehm, Geröll und Baumstämmen.
Statt in der Natur über Stock und Stein rannten
die Läufer durch den präparierten Innenraum, über
die Tribünen bis in die Katakomben hinunter und
nach draußen. Verrückte neue Sportlerwelt. Neues
kommt, manches bleibt. Seit Beginn dabei und mit
der Halle fest verbunden ist das internationale Hallenreitturnier und damit bleibende Erinnerungen an
Wettkämpfe von Alwin Schockemöhle mit Nelson
Pesoa und Hartwig Steenken. Und der Geruch nach
Pferd beim Öffnen der Pforte.
Adresse:
Rheinlanddamm 200,
44139 Dortmund
Eröffnet:
28. November 1925 als
Holzkonstruktion
Neueröffnung:
2. Februar 1952
Architekt: Walter Höltje
Die Westfalenhallen Dortmund sind ein Messe-,
Kongress- und Veranstaltungszentrum, die Große
Westfalenhalle oder Halle 1
ist das Herzstück der insgesamt neun Hallen mit
einer Gesamtfläche von
60 000 qm.
Besonderheit:
Die Westfalenhalle 1 ist
als Baudenkmal in die
Denkmalliste der Stadt
Dortmund eingetragen.
Kapazität Halle 1:
15 400 Personen
Veranstaltungen Halle 1:
ADAC Supercross,
Holiday on Ice,
Internationales Reitund Springturnier
SIGNAL IDUNA CUP,
30 Weltmeisterschaften,
50 Europameisterschaften
www.westfalenhallen.de
Lipperlandhalle | lemgo
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volker zerbe
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Wohnzimmer im „Lüttfeld“
LIPPERLANDHALLE. Einer der einstmals weltbesten Rückraumspieler,
Volker Zerbe, prägte den Aufstieg Lemgos zur Hochburg des Handballsports.
E
s gibt wenige Sportler, zu denen Volker Zerbe
aufschauen müsste. Kein Wunder bei einer
Größe von 2,11 Metern. „Für solche Gottesgaben kann ja keiner was“, versucht der ExHandballer des TBV Lemgo runterzuspielen, was
„die Natur einem mitgegeben hat“. Aber dafür, was
einer daraus macht: unfassbare 20 Jahre lang im
Schnitt jede Saison fast 100 Bundesligatore zu werfen beispielsweise. Exakt: 1 977. Grob die Hälfte davon in der Lipperlandhalle in Lemgo.
Den Wandel der Mehrzweckhalle im „Lüttfeld“ der
alten Hansestadt zur Hochburg des deutschen
Handballsports hat der heute 44-Jährige wie wenige
andere mit geprägt. Der Mann im rechten Rückraum
galt als weltbester Abwehrspieler seiner Zeit. Mit
ihm wurde die Nationalmannschaft Europameister,
stand im Finale der Weltmeisterschaft 2003 und gewann die Silbermedaille bei Olympia 2004 in Athen.
Mit seinen Mannschaftskameraden Schwarzer,
Stephan, Baur, Kehrmann und Ramota bildete Zerbe
den „Lemgoer Block“, das Rückgrat der deutschen
Nationalmannschaft.
Dreimal gewann der TBV in dieser Zeit das Final Four
um den Deutschen Pokal – immer in Hamburg. Doch
seine schönsten Erfolge feierte Volker Zerbe „hier, in
meinem Wohnzimmer“. Keine 200 Meter entfernt
von der Halle steht sein Elternhaus. Von Kindheit an
hat er immer nur hier Handball gespielt – erst für
den TV Lemgo, im Alter von 16 Jahren dann für den
aufstrebenden Ortsrivalen TBV. Und es sind vor allem Heimspiele, die sich unter Zerbes rotblondem
Schopf festgesetzt haben. „Erst am letzten Spieltag
meiner ersten Profisaison schafften wir den Klassenerhalt – zu Hause gegen die Reinickendorfer
Füchse.“ Die entscheidenden Punkte für zwei Deutsche Meisterschaften und die Europapokal-Siege –
gegen Santander 1996 und gegen Göppingen zehn
Jahre später – wurden „zu Hause klargemacht“.
Und dann die legendären Spiele gegen den ostwestfälischen Rivalen TuS Nettelstedt. Beispiel 1997.
„Gerade war unser Trainer Lajos Mocsai zum TuS
gewechselt. Und wir hatten Großes vor. Die Halle
ausgebaut und in Lipperlandhalle umbenannt. Wir
wussten, wir waren stark und hatten die Chance, ganz
oben in der Liga mitzuspielen. Die Wirtschaft stand
hinter uns – und die Fans. Uns war klar: Diese Stadt
liebt den Handball. Es war ein absolutes Prestigeduell.“ Und zur Halbzeit lag Lemgo 6:15 zurück.
Sechs Tore in 30 Minuten – im Profihandball eine
Kapitulationserklärung. „In der Pause weißt du gar
nicht, was passiert ist. Dir dämmert dumpf, hier läuft
gerade was ganz Schlimmes ab, aber du kriegst es
nicht in deinen Kopf.“ Aber genau da, so Zerbe heute,
„werden solche Spiele gedreht“. Und in der Kabine.
Zurück auf dem blauen Hallenboden starteten die
Gastgeber, angeführt von ihrem Kapitän, eine Aufholjagd, drehten das Spiel und entschieden die Partie noch mit 36:30 für sich. Und wurden am Ende
der Saison erstmals Deutscher Meister.
Geschichten wie diese kann nur einer erzählen, der
in der Lipperlandhalle 20 Jahre Handball gespielt
hat. Darunter die vom bundesligaweit gefürchteten
„Lüttfeld-Rooaar!“ der – seit der letzten Ausbaustufe – 5 000 Fans auf der Tribüne. Wie sie diese
Mannschaft lieben, ihre Halle und „ihren“ Sport. Und
einen ihrer Helden ganz besonders.
Der ist heute Geschäftsführer des TBV und bekam
sogar ein „eigenes“ Abschiedsspiel. Einmalig in der
101-jährigen Club-Geschichte. In Rekordzeit ausverkauft. Bei der Erinnerung daran läuft es Volker Zerbe
„heute noch eiskalt den Rücken runter“.
lipperlandhalle
Adresse:
Bunsenstraße 39,
32657 Lemgo
Eigentümer: Kreis Lippe
Architekten: HSS Detmold
(Heinemann, Schreiber,
Schlauch)
Eröffnet: 1977
Kapazität:
5 000 Zuschauer,
17 VIP-Boxen,
600 Business-Seats
Besonderheiten:
Als Schulsporthalle für
3 500 Studenten und
Schüler der Hochschule
Ostwestfalen-Lippe sowie
einer Berufsschule konzipiert, wird die Anlage
heute noch als Mehrzweckhalle genutzt.
Besonders stabiler Bodenbelag, der Sportarten wie
Kunstradfahren oder
Inlineskaten erlaubt, die in
anderen Hallen verboten
sind
Veranstaltungen:
Austragungsort der Handball-Weltmeisterschaft
Bundesliga-Heimspielstätte des TBV Lemgo
www.lipperlandhalle.de
Regattastrecke Fühlinger see | köln
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Riesenwels neben dem Boot
REGATTASTRECKE FÜHLINGER SEE. Ruderweltmeister Stephan Volkert ist
fast täglich am See – früher zum Trainieren, heute mit seinen fünf Kindern.
K
ölns größte Badewanne liegt im Stadtbezirk Chorweiler, im linksrheinischen Norden
der Stadt. Der Fühlinger See gilt als künstlich angelegtes Gewässer, was streng genommen nicht ganz korrekt ist. Zumindest steckte
ursprünglich kein Plan dahinter. Als nach dem Ersten
Weltkrieg Kies benötigt wurde für den Bau der Bahnstrecken nach Aachen und Krefeld, begann man, in
der Fühlinger Heide zu baggern. 30 Millionen Kubikmeter holten Arbeiter aus bis zu 14 Metern Tiefe
heraus. Schnell füllten sich die großen Löcher mit
Grund- und Rheinwasser, auch weil unterirdische Arme
des Stroms unter dem Gelände hinwegfließen. Eine
Katastrophe? Keineswegs. „Et kütt wie et kütt“, sagt
man in der Domstadt. Bereits in den 1930er Jahren
pilgerten die Kölner nach Fühlingen zum Baden.
Lutz Gümpel schwimmt nicht, er arbeitet. Als angestellter „Vorarbeiter“ des Sportamts Köln fungiert er
als eine Art Erster Platzwart am See, dessen Herzstück, eine Trainings- und Wettkampfstätte auf dem
Wasser, mit dem Wort „Platz“ allerdings nicht ge­
rade treffend beschrieben wäre. Die Regattabahn ist
Mittelpunkt des Naherholungsgebiets Fühlinger See
und Gümpel – schwarzes T-Shirt, graue Haare, gebräuntes Gesicht – eilt der Ruf voraus, vor Ort „der
Mann für alle Fälle“ zu sein. Ende der 60er Jahre
wurden am Fühlinger See mehrere Inseln und Halbinseln angelegt mit dem Ziel, den gestressten Stadtmenschen möglichst große Uferflächen zu bieten.
Später entstand die Regattabahn. Heute finden auf
der Anlage jedes Jahr zahlreiche Events auch auf
dem Land statt. Konzerte, Festivals, Mittelalterspektakel, Laufsportveranstaltungen – Gümpel und
seine Mitarbeiter sind ständig gefordert.
Gerade sitzt Gümpel am Steuerrad eines Motorboots und rauscht mit dem Besuch übers Wasser.
Blauer Himmel, Sonnenschein, erfrischender Fahrtwind – das Leben kann herrlich sein. Auch Kapitän
Gümpel strahlt, während er die wichtigsten Fakten
herüberschreit: Straßen, Parkplätze, Bootshäuser,
Zielturm, Tribünen, Rasen – die gesamte Fläche der
Sport- und Erholungsanlage: 200 Hektar, davon
100 Hektar Wasserfläche. Sieben Teilseen sind mit
der Regattabahn – 130 Meter breit, 2 300 Meter
lang – verbunden. Sechs Bahnen mit je einer Länge
von 2 000 Metern, eine siebte Bahn dient der Zufahrt zum Startbereich.
Auf dem Fühlinger See trainieren Ruderer und Kanuten aus der Region, aber hier kann jeder ein Boot
mieten, angeln, tauchen oder surfen. Inlineskaten
und Reiten sind auch möglich, allerdings – klaro –
nicht auf dem See, sondern auf den 19 Kilometern
Wander-, Rad- und Reitwegen drum herum. Sogar
einen Ökopfad gibt es. Südsee-Feeling bietet das
Naturfreibad „Blackfoot-Beach“: aufgeschütteter
weißer Sand, Palmen, Strandbar, Sonneninsel, Bogensport, Hochseilgarten, Wassersportcenter,
Stand-up-Paddling, also Paddelsurfen im Stehen,
und vieles mehr. Der See, ein Paradies mit Angeboten, vielfältiger als im Cluburlaub. Da wundert es
nicht, dass an heißen Sommertagen täglich bis zu
100 000 Menschen in Fühlingen entspannen.
Ein Mann, der die Anlage seit seiner Kindheit besucht, sitzt mit im Boot. Stephan Volkert heißt der
zwei Meter große Hüne, der bei jedem Wetter nahezu täglich zum See fährt, auch weil er da mittlerweile
seine fünf Kinder so gut laufen lassen kann, wie er
lachend gesteht. Früher kam Volkert zum Trainieren
stephan volkert
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Regattastrecke Fühlinger see | köln
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Abendstimmung am Fühlinger See: die Pressetribüne am Zieleinlauf der Regattastrecke.
Regattabahn
Fühlinger See
Adresse:
Oranjehofstraße 105,
50769 Köln
Einweihung:
1978 bei den NRW-Landesmeisterschaften
Ausstattung der Regattabahn:
Länge: 2 300 m, Breite:
130 m mit 6 Bahnen à
13,5 m, Mindesttiefe: 6 m,
Albano-System zur Bahnmarkierung,
Ampelstartanlage,
computergestützte Zeitmesseinrichtung,
250 m Zwischenzeitmessung,
MacFinish-Zielkamera,
drahtlose Starthelfersprechanlage,
9 Bootshallen mit Werkstatt,
Umkleide- und Sanitätsräume,
Massage- und Aufwärmräume,
Anlegestege an den Bootshallen (je 45 x 3 m),
Plattform für Siegerehrungen,
Anlegesteg im Zielbereich
(65 x 3 m)
Tribünenplätze: 350
Parkplätze: 8 mit insgesamt 3 500 Plätzen
Veranstaltungen:
Ruderweltmeisterschaft
1998
www.koelner-regattaverband.de
her. Einmal, da war er schon richtig gut und richtig
bekannt, ruderte er wieder mal seine üblichen 20 Kilometer, als plötzlich „aus dem Nichts ein Fisch von
monströser Erscheinung und Größe“ neben dem
Boot auftauchte: lang gestreckter Körper, großer,
breiter Kopf, glatte, schleimige, schuppenlose Haut,
ungefähr so groß wie ein kleiner Hai. Der 100-KiloKerl erschrak bis ins Mark und brach das Training ab.
„Ich habe echt Schiss gehabt“, erinnert sich Volkert,
der erst im Nachhinein erfuhr, dass im Fühlinger See
ein mächtiger, aber harmloser Wels lebt.
dem schwimmenden Eisenweg wankt keinen Millimeter. Das richtige Anlernen der Neulinge sei enorm
wichtig, erklärt er geduldig, „damit sich Fehler gar
nicht erst einschleichen“.
Ansonsten hat Volkert nur gute Gefühle für den See,
dem er auch seinen „schönsten Moment“ verdankt.
Sicher, jeder Sieg fühlt sich toll an, die zwei Olympiasiege sowieso, aber Weltmeister werden im Doppelzweier auf heimatlicher Strecke, das ist dann doch
noch mal was ganz Besonderes. National startete
Volkert übrigens für den RTHC Bayer Leverkusen, für
den er nach Feierabend noch heute als Übungsleiter
zur Verfügung steht – für die Anfänger …
Kleiner Exkurs für ebenfalls Ahnungslose: 1830
kommt ein neuer Sport über den Ärmelkanal nach
Deutschland: Rudern. Britische Kaufleute gründen
in Hamburg einen Club und nach und nach lassen
sich die Hanseaten von dem Treiben dort anstecken.
1883 gründet sich der Deutsche Ruderverband, der
heute zu einer der bundesweit erfolgreichsten
Sportorganisationen zählt. Man denke bloß an den
Deutschland-Achter – eine Ikone des nationalen
Sports! Richtig, Rudern muss man lange lernen, es
ist anspruchsvoll, eine Kunst geradezu, für die Kraft
und Ausdauer bei Weitem nicht das Wichtigste sind.
Entscheidender ist die Technik, seine Power ins
Wasser zu bringen. Ying und Yang, Spannung und
Entspannung, Energie und Ruhe, vor und zurück –
so ungefähr funktioniert das Rudern.
Der Verein leistet sich einen Ausnahmeruderer, um
Anfänger zu trainieren? Mittlerweile am Startsteg
ausgestiegen, schauen Gümpel und seine Passagiere in Richtung Ziel. Die Frage entlarvt die umwerfende Unkenntnis der Fragenden, aber Volkert auf
Und ausgesprochen gesund ist es auch. Das Training: eine Wohltat für Herz und Kreislauf. An der frischen Luft wird obendrein nahezu jeder Muskel trainiert. Und all dies bei geringem Verletzungsrisiko.
Man kann bis ins hohe Alter rudern, allein, zu zweit
stephan volkert
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Rudersport hinter den Kulissen: Blick in Werkstatt und Bootsschuppen.
Stand: 05/2011
oder mit einer ganzen Mannschaft. Es muss ja nicht
immer der schnelle Kick sein. Jemand auf der Suche
nach einer tollen Sportart für die Kinder? Versucht’s
mal mit Rudern. Später wird Volkert erwähnen, er
habe ADHS, das Zappelphilippsyndrom, von dem
bei Kindern heute so viel die Rede ist. Vielleicht hat
ihm das Rudern geholfen, im Leben so gut zurechtzukommen. Möglich auch, dass es an der Zeit ist,
ADHS nicht bloß als Plage, sondern auch als Chance
zu begreifen. Wer ständig in Bewegung sein muss,
wird tägliches körperliches Leistungstraining jedenfalls selten als Schinderei empfinden. Aber das
nur nebenbei.
Selbstverständlich verfügt die Regattabahn am
Fühlinger See auch über weiteres standesgemäßes
Wettkampf-Equipment: eine Ampelstartanlage etwa,
die neben dem optischen auch ein akustisches
Startsignal erzeugt. Zuschauer können dank einer
speziellen Lichttechnik das Startkommando selbst
vom Zielbereich aus gut erkennen. Moderne Zwischenzeit-Messgeräte entlang der Strecke informieren während des Rennens über den aktuellen
Stand. Und am Schluss gibt eine moderne Fotofinish-Kamera, die selbst kleinste zeitliche Abstände
beim Zieleinlauf erfasst, zweifelsfrei Auskunft über
das Ergebnis.
Rudern. Ob man es selbst auch mal probieren
könnte? Boote und Top-Trainer sind praktischerweise greifbar, da wäre doch jetzt der ideale Moment.
„Vergessen Sie’s“, lacht Volkert. Wer nicht sofort ins
Wasser kippen wolle, sei gut beraten, erst mal auf
dem Land zu üben. Bevor sich ein Neuling halbwegs
entspannt im Boot halten kann, braucht er drei Trainingseinheiten im Trockenboot.
Zurück mit dem Boot zum Ausgangspunkt. Olympiasieger Volkert hilft – Ehrensache! – dem Fotografen
beim Schleppen der Ausrüstung, Gümpel macht
auf Wunsch noch einen kleinen Rundgang, gewährt
Einblick in Fitness- und Krafträume, Büros, Bootshäuser, Schuppen und Werkstätten. Im mittlerweile
sanften Abendlicht hoppeln Kaninchen über die
Wege. Gümpels großes Reich – ein geradezu verwunschener Ort. Man möchte glatt bleiben. Manchmal ist Arbeit schöner als Ferien. „Zumindest habe
ich“, sagt Gümpel beim Abschied vom Fühlinger See,
„den schönsten Job von ganz Köln.“
Erneuter Blick aufs Wasser, auf dem fröhlich gelbe
Ballone schwimmen. Gümpel erzählt, wie er im
Frühjahr mit den mehr als 2 000 Bojen die Bahnen
exakt markiert. Zwei bis drei Tage dauert das.
Bobbahn | Winterberg
100
rené spies
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Würstchenduft unter dem Helm
BOB- UND RODELBAHN WINTERBERG. Europameister René Spies freut sich
auf die Weltmeisterschaften 2015 in Deutschlands schnellster Eisröhre.
M
anchmal hilft einfach ein Eimer weißer
Farbe, um den gewünschten Effekt zu
erzielen. Nicht, dass wir … Nein, hier
geht alles mit rechten Dingen zu, hier
wird nicht gefälscht. Nur, es ist schon Frühling in
Winterberg und eigentlich bräuchten wir Winter. Das
macht aber weder René Spies noch unserem Fotografen etwas aus. Der erfolgreichste Bobpilot in der
Geschichte des Bob- und Schlittensportclubs Sauerland Winterberg steht nicht im Eiskanal, sondern in
einer eben weiß getünchten Betonrinne – ohne Eis.
Längst sind die Kältemaschinen ausgeschaltet, nach
fünf Monaten Dauerbetrieb ist die Saison beendet.
Also Frühling in Winterberg. Ein Tag im April. Hier
oben auf der Kappe in fast 800 Metern Höhe bei
knapp null Grad Celsius fegt der Wind ziemlich frisch
um die Haarspitzen und die meiste Zeit schüttet
es auch noch wie aus Eimern. René Spies, blonde
Haare, Dreitagebart, nimmt’s gelassen. Der ehemalige
Europameister und zweifache Olympiateilnehmer
agiert als inoffizieller Botschafter für den Winterberger Bobsport und für Winterberg selbst.
Nur einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt sein Elternhaus in der Winterberger Ortschaft Lenneplätze.
Auf der Kunsteisbahn hat er sich im Alter von
16 Jahren zum ersten Mal in einen Bob gesetzt, hier
wurde er 2003 Europameister im Zweierbob. Nach
mehr als 15 Jahren Leistungssport und einer nicht
verheilenden Oberschenkelverletzung beendete
Spies 2007 seine aktive Karriere. Mittlerweile arbeitet er als verantwortlicher Bundestrainer für den
Stützpunkt Winterberg und wohnt mit seiner Familie gleich nebenan, in seiner Heimatstadt.
Wir sind mit dem 39-Jährigen auf dem Hügelzug
verabredet, genau dort, wo der Bobsport in Winter-
berg 1910 mit dem Bau einer Natureisbahn begann.
Hier standen das erste Starthäuschen und das Clubhaus. Zutritt hatten zu jener Zeit nur Mitglieder und
aktive Sportler. Der Bobsport war in seinen Anfängen, so erfahren wir, wohl eine recht elitäre Veranstaltung. Heute ist das „Bobhaus“ ein Restaurant
und beliebtes Ausflugsziel für die vielen SauerlandTouristen. René Spies verfügt natürlich über den
Schlüssel, genauer gesagt eine Chipkarte, die nach
anfänglichem Zicken das Eisentor zur Bobsportanlage öffnet.
Der Bobsport war in seinen Anfängen
wohl eine recht elitäre Veranstaltung.
Rund 1,6 Kilometer schlängelt sich die Bahn mit ihren
15 Kurven hinunter ins Tal. Vor uns liegt der Startbereich, ein luftiges und transparentes Gebäude mit
mintfarbenen Fensterrahmen und Türen, das sich
kufenförmig an den Hang anzuschmiegen scheint.
3,3 Millionen Euro wurden 2005 und 2006 in die
Modernisierung investiert. Seitdem starten die Bobs
auf der Talseite mit der Folge, dass auch die Startkurve eine neue, anspruchsvolle Linienführung bekam. Die sogenannte Kurve 0 sei durch einen kleinen
Knick fahrtechnisch recht schwierig geworden, berichtet Experte Spies. Mit der Überdachung der Abstellflächen und Starttrassen für Bobs und Skeletons
können die Athleten nun ihre Kufen im Trocknen
montieren, egal ob’s regnet oder schneit. Die Rennrodel-Herren-Einsitzer starten vom Startturm oben,
die Damen-Rodler eine Etage tiefer. Der Rodel-Doppelsitzer startet erst in Kurve 4. Viele Informationen
für jemanden, der froh ist, nach dem Einführungsseminar mit René Spies zwischen Rodel, Bob und
Skeleton unterscheiden zu können.
Bobbahn | Winterberg
102
Nun aber zum Besonderen: Experten wissen es natürlich, die Bahn im Hochsauerland ist die schnellste
in ganz Deutschland. Tschüss Altenberg, Königssee.
Und dann der Abschnitt zwischen Kurve 6 und 7.
Nirgendwo anders als in Winterberg weht der Duft
von frischen Grillwürstchen unter die Helme der mit
Spitzengeschwindigkeiten vorbeirasenden Piloten.
Die Schlitten erreichen an dieser Stelle Spitzengeschwindigkeiten von 130 bis 135 Kilometern in
der Stunde. In den Steilkurven wirken Kräfte bis zur
fünffachen Erdbeschleunigung auf die Fahrer. Achterbahnfahren ist dagegen eine Spazierfahrt. Wenige
hundertstel, ja manchmal sogar nur tausendstel
Sekunden entscheiden, wer nach zwei oder vier
Wertungen einen Lauf der Formel 1 des Wintersports
gewonnen hat. Oft wird das Rennen schon beim
Start entschieden – deshalb sitzen heute kräftige
und sprintstarke Athleten auf den Plätzen hinter
den Piloten. In Winterberg erleben die Zuschauer
seit dem Umbau des Startbereichs die Kufenstars
in ihren knatschengen Anzügen hautnah, sie sind
nah dran. „Wenn die Anspannung unmittelbar vor
dem Start in lautstarke Emotionen umschlägt, ist
das selbst für Insider immer wieder ein tolles Gefühl“, sagt René Spies.
Seit dem Umbau des Startbereichs sind die Zuschauer ganz nah dran an den Sportlern
und erleben deren Emotionen unmittelbar vor dem Start.
Die Bahn im Hochsauerland ist die
schnellste in ganz Deutschland.
20 Jahre nach der letzten Herrenbob-WM in Winterberg fahren die Kufenstars im Jahr 2015 ihre Bobund Skeleton-Weltmeisterschaft wieder in Winterberg aus. Für diese Großveranstaltung soll zusätzlich auch der Zielbereich erweitert werden, um das
Publikum näher an die Sportler heranzurücken,
sagt Alois Schnorbus, erster Vorsitzender des BSC
Winterberg und natürlich ehemaliger Bobpilot. Aber
er ist viel mehr: Schnorbus war der erste nordrheinwestfälische Sportler, der bei Olympia in einem
deutschen Bob Platz nehmen durfte.
Nun geht’s noch eine Etage höher, ins Obergeschoss
des Starterhauses, in den sogenannten Panorama-
rené spies
103
In den Anfängen stürzten sich die Bobfahrer noch ohne schützende Verkleidung
Die ersten Bobrennen in Winterberg fanden seit 1910 auf einer Natureisbahn statt –
den Hang hinunter und lenkten das luftige Gefährt mit einem Rad, nicht an Seilen
wenn die Witterung es zuließ.
wie heute.
raum. Bei schönem Wetter lässt sich weit über die
Gipfel der Sauerländer Berge blicken. Ein Ort, an
dem René Spies mal ganz locker erzählen kann,
dass er die erfolgreiche Sportkarriere seinem Bruder Sven zu verdanken hat. Der stürzte sich bereits
vor ihm mit dem Bob die Kurven hinunter und hat
ihn mal mitgenommen zur Bahn. „Da wollte ich ihm
zeigen, dass ich das besser kann als er“, erzählt
René Spies. Mehr nicht. Er sei in den Bob gestiegen
und einfach losgefahren, meisterte sowohl die für
Anfänger schwierige Kurve 9, in der es oft zu Stürzen kommt, als auch das Labyrinth auf Anhieb.
Spies kann sich noch genau an das Gefühl erinnern.
„Danach war ich erst mal erleichtert, dass es vorbei
war. Erst nach sieben bis acht Läufen fing es an,
Spaß zu machen.“
Der Spaß an der Geschwindigkeit, der Reiz, die
Kurve richtig zu erwischen und die Bahn zu „lesen“,
ließen ihn fortan nicht mehr los. Statt für Langlauf,
Biathlon und Fußball trainierte er an seiner Bobathleten-Figur. „Die Rasanz und die Geschwindigkeit, mit der man mit den Bobs die Bahn runterfährt,
aber auch das Zusammenspiel einzelner Mannschaftsmitglieder und die Teamharmonie haben mich
begeistert. Alles zusammen mit dem fahrerischen
Können des Piloten und der Materialkomponente
ergibt für mich die Faszination dieses Sports.“
Und was macht der Bobpilot und Winterberg-Lobbyist im Sommer? Er zeigt den Berg hinunter: Mehrere
Bagger wühlen das Erdreich auf. Der angrenzende
Bikepark rüstet zum Saisonstart: Europas größtes
Mountainbike-Festival steht auf dem Programm. Im
Juni treiben die Zweiradartisten ihre Sportgeräte
durch die Bob- und Rodelbahn. Bei der „Bobbahn
Challenge“ entscheiden auch Bruchteile von Sekunden. Allerdings geht’s dann die Rinne rauf, nicht
runter. Wenn Sommer ist in Winterberg.
bobbahn winterberg
Adresse:
Kapperundweg,
59955 Winterberg
Eröffnet:
1910 als Natureisbahn,
10. Dezember 1977 als
Kunsteisbahn für Bob und
Rodel
Umbauten:
1986 und 2005
Gesamtlänge der Bahn:
1 609 m
Kurvenzahl:
15 (Bob, Rodel Herren und
Damen, Skeleton),
11 (Rodel Doppelsitzer)
Gefälle:
9,8 Prozent Durchschnittsgefälle,
15 Prozent Maximalgefälle
Höhenunterschiede:
Bob, Rodel Herren und
Damen 110 m,
Rodel Doppelsitzer 90 m
Besonderheiten:
Über 100-jähriges, geschichtsträchtiges Bestehen, „Taxibob“ (Besucher
dürfen in einem Viererbob
mitfahren)
Veranstaltungen:
Erste Bob-Europameisterschaft 1914,
nationale und regionale
Bobrennen von 1920 bis
1965,
Weltcup-Rennen der
Rennrodel sowie Bob- und
Skeletonschlitten,
Weltmeisterschaft im Bob
2015
www.bobbahn.de
gespräch
104
Nordrhein-Westfalens Sportministerin Ute Schäfer und der
Präsident des Landessportbundes (LSB) Walter Schneeloch
im Gespräch über die Bedeutung des Sportlandes NRW, den
nationalen Vergleich und die internationale Positionierung.
„Ganz vorn dabei“
Frau Ministerin, Herr Präsident, Nordrhein-West­
falen stellt fast 30 Prozent des deutschen Teams
bei den Olympischen Sommerspielen in London.
Entspricht das Ihren Zielen und Erwartungen?
Ute Schäfer: Ich bin sehr zufrieden. Wir fahren
mit einem starken Team von 113 Sportlerinnen und
Sportlern nach London. Ob Badminton, Fechten,
Tischtennis, Reiten, Hockey oder Rudern und natürlich die Leichtathletik – wir sind fast überall und
ganz vorn dabei. Ich finde es natürlich schade, dass
unsere Mannschaften aus Fußball, Handball und
Basketball sich nicht qualifizieren konnten. Dann
wären es sogar noch mehr als die 113 Sportlerinnen
und Sportler aus NRW gewesen.
Walter Schneeloch: Unser Team dokumentiert
die große Breite des Spitzensports in NordrheinWestfalen. Wir können in der Spitze nur gut sein,
wenn wir in der Breite die Grundlage schaffen. Dort
sind wir gut aufgestellt mit fünf Millionen Mitgliedern
in 20 000 Vereinen. Wir sind in London genauso
stark wie in Peking, dort haben wir ein Drittel der
deutschen Medaillen geholt. Das ist doch ein Ziel,
das unsere Sportler wieder anstreben sollten.
Wie wichtig sind denn Medaillen für Sie als Verantwortliche des Breiten- und Spitzensports im Land?
Ute Schäfer: Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich
freue mich und bin auch ein wenig stolz, wenn unsere
Athletinnen und Athleten siegreich aus London zurückkehren. Weil wir dadurch natürlich das Ansehen
unseres Landes erhöhen. Und weil deutlich wird, dass
wir mit unserem Sportland NRW und mit unserer
Sportförderung den richtigen Weg gehen. So werden
viele neu für den Sport begeistert.
Walter Schneeloch: Medaillengewinne bei Olympischen Spielen waren und sind wichtig. Sie drücken
nicht nur die Leistungsstärke eines Teams aus, sondern spornen auch den Nachwuchs an. In anderen
Ländern werden Sportler immer mehr und intensiver
gefördert, weil der Erfolg auch auf das gesamte Land
abstrahlt. Diese Beobachtung mache ich nicht nur in
China, sondern in vielen anderen Staaten.
Was bedeutet das für die Sportpolitik des Landes?
Ute Schäfer: Wir haben mit dem LSB, der Sportstiftung und den Olympiastützpunkten das lang­
fristige Programm „Leistungssport 2020“. In der
Umsetzung haben wir in den letzten Jahren die Förderung von Spitzensportlerinnen und -sportlern
ausgebaut – durch Trainerstellen und neue Wege der
Förderung der dualen Karriere in Schule und Hochschule. Wir haben das Ziel, bis 2017 18 NRW-Sportschulen zu entwickeln.
Ute schäfer | walter schneeloch
105
Walter Schneeloch: Gerade um diese Ergeb­
nisse zu erreichen, unternehmen wir große Anstrengungen in NRW. Der LSB fördert unsere Eliten.
Zudem stattet die NRW-Sportstiftung unsere Medaillenkandidaten finanziell gut aus, Edelmetall wird
zudem noch extra prämiert. Ein toller Ansporn für
Spitzenleistungen. Das belegt die gute Zusammenarbeit aller Institutionen, die sich für den Sport in
NRW engagieren.
Hört sich so an, als wären Sie wunschlos glücklich
mit der Situation in NRW.
Walter Schneeloch: Wir sind in Nordrhein-Westfalen auf einem sehr guten Weg in der Förderung des
Spitzensports, das ist richtig. Aber wir könnten natürlich noch viel mehr Unterstützung gebrauchen,
vor allem von Unternehmen des Landes. Wir sind
froh, dass sich in Nordrhein-Westfalen Unternehmen
wie Bayer Leverkusen oder ARAG so für die Förderung des Spitzensports einsetzen. Aber wir brauchen mehr Unterstützer, um langfristig den Sport
und die Athleten auf höchstem Niveau zu halten.
Ute Schäfer: Obwohl das Land viel tut, sind manche Aktivitäten und Veranstaltungen nur mit Unterstützung der Wirtschaft möglich. Ich denke an das
vollständig privat finanzierte Gerry Weber Stadion
mit dem ATP-Turnier in Halle oder an die hochklassi-
gen Sportanlagen in Leverkusen. Mehr Unterstützung aus der Privatwirtschaft für die Förderung des
Sports sehen wir in der Politik natürlich gern, insbesondere wenn jungen Menschen Ausbildung und
Leistungssportkarriere gleichzeitig ermöglicht wird.
Oder wenn mehr Vereine durch neue Sponsoren
ganz oben mitmischen können.
Eine solch große Dichte von internationalen Wettkampfstätten wie in Nordrhein-Westfalen findet
man selten in Europa.
Ute Schäfer: Ja, das ist wirklich herausragend.
Und ich freue mich, dass wir unsere Sportstätten
für internationale Wettkämpfe und Meisterschaften
in London – im Deutschen Haus – präsentieren werden. Das Sportland NRW ist ein Markenzeichen. Es
steht für Spitzenleistung und für Spitzeninfrastruktur, für intensive Talentförderung und für attraktiven
Breitensport.
Walter Schneeloch: Beachten Sie nur die großartige Stadionlandschaft im Fußball. Das ist weltweit
einmalig. Nordrhein-Westfalen könnte mit seinen
Arenen allein eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten. Und dass wie in der Saison 2012/13 gleich
drei Mannschaften aus einer Region in der Champions League antreten, hat es auch noch nicht gegeben. Das ist einzigartig.
impressum
106
Herausgeber
Ministerium für Familie, Kinder,
Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen
Haroldstraße 4, 40213 Düsseldorf
Telefon: +49 211 837-02
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Gesamtverantwortung
Werner Stürmann
Projektleitung
Nils Klagge, Harald Pfenner
Chefredaktion
Karl-Heinz Steinkühler (V.i.S.d.P.)
Art-Direktion
Beate Korenjak
Chef vom Dienst
Gabriela Schöne
Autoren
Jens Frantzen, Claudia Jacobs, Kristina Klusen,
Karl-Heinz Steinkühler, Thomas van Zütphen
Fotos
Oliver Krato (74)
Lektorat
Susanne Creutz
Videos
http://21vonuns-blog.de/
Matthias Schwarzer
Druck
Druckstudio GmbH, Düsseldorf
Konzeption und Produktion
steinkuehler-com.de
Bildnachweise
©
dpa-Report, Bernd Tissen S. 10 | ©dpa, Jochen Lübke S. 10 | picture alliance, Sven Simon (4) S. 10 + 11 |
Arena Management GmbH S. 14 | Mit freundlicher
Genehmigung des FNverlags, Warendorf, entnommen aus: „Halla, meine Pferde und ich“ von Hans
Günter Winkler, FNverlag, Warendorf, 2007 S. 21 |
GWW (3) S. 30 | picture alliance, augenklick/firo
Sportphoto S. 43 | ©epa, Arne Dedert S. 47 | Pressebilderdienst Horst Müller S. 47 | ©dpa, Elmar Hartmann S. 47 | picture alliance/akg-images, Archiv
Mehrl S. 48 | Schalke 04 S. 49 | Pressebilderdienst
Horst Müller S. 51 | Ovelgoenne GbR (Anke Hesse &
Jan Ovelgoenne) S. 52 | picture alliance, Sven Simon
S. 52 | Holger Klaes S. 52 | Stadtarchiv MG S. 52 |
DSC Arminia S. 55 | ©picture alliance/dpa S. 55 |
©
dpa, Hertmut Reeh S. 57 | Kölner Sportstätten
GmbH S. 57 | ©firo sportphoto S. 59 | KS Verlag (3)
S. 62 | Bayer 04 Leverkusen S. 62 + 63 | FC Schalke
04, Karsten Rabas S. 64 | Archiv Alemannia Aachen
S. 65 | Alemannia Aachen (3) S. 65 | ©dpa, Rolf
Vennenbernd S. 65 | Stadtarchiv Wuppertal S. 68 |
Rochusclub S. 75 | Werner Ernst S. 80 | Otto Schneitberger S. 87 | Archiv Westfalenhallen S. 92 | Wueelle:
BSC Winterberg S. 103 | LUMU S. 103
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Auflage
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Redaktionsschluss
30. Juni 2012
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