T-0052 - Die Stellung des Menschen in der Evolution nach Sri

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T-0052 - Die Stellung des Menschen in der Evolution nach Sri
Heinz Kappes
„Die
Stellung des Menschen in der Evolution
nach Sri Aurobindo“
Vortrag am 23.06.1964
Heinz Kappes: „Die Stellung des Menschen in der Evolution nach Sri Aurobindo “
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Die Niederschrift des Vortrags folgt dem gesprochenen Wort. Sämtliche Zitate, soweit als solche
erkennbar, wurden in Anführungszeichen gesetzt und die entsprechende Quellenangabe wenn
möglich als Fußnote hinzugefügt.
Während seiner erzwungenen Emigration hatte Heinz Kappes 1944 das Magnum Opus Sri
Aurobindo ´s, das „Life Divine“ in einem Antiquariat in Jerusalem entdeckt. „Der Weg zu einem
‚göttlichen Leben auf der Erde‛ ‚zum Reich Gottes Jesu‛ wurde hier in einer überwältigenden
Schau und Sprache gewiesen. Seit dieser Zeit mußte ich geistig und praktisch im ‚Integralen Yoga‛
leben.“
Der Text ist für den Einzelnen bestimmt (oder in Kopie zur persönlichen Weitergabe an Interessierte) und darf nicht für kommerzielle Interessen genutzt werden.
„Die Stellung des Menschen in der Evolution nach Sri Aurobindo “
Vortrag am 23.06.1964
T-0052
Über das Leben von Sri Aurobindo Ghose (1872-1950) habe ich am 18.8.1965 im einem Vortrag
anläßlich des Besuches des damaligen Governeurs von Gossel ausführlich berichtet.
Heute lege ich die 1. Nummer der von mir herausgegebenen Vierteljahresschrift „Integraler Yoga“1
vor, die mit einer Autobiographie und einer Selbstdarstellung der Lehre beginnt. Die „Sri Aurobindo
Gesellschaft e.V.“ hat sich die Aufgabe gestellt, wissenschaftlich einwandfreie Übersetzungen
ausschließlich von Texten aus den Schriften von Sri Aurobindo und ´Der Mutter` herauszubringen,
um so einer späteren Ausgabe des Gesamtwerks den Boden zu bereiten. ´Die Mutter` Mme. Mirra
Alfassa, 1978 in Paris geboren, von früh an ihrer geistigen Berufung gewiß, hat seit 1920, nachdem sie bereits 1914 mit dem ihr geistig schon lange vorher bekannten Sri Aurobindo zusammengetroffen war, in Pondicherry den Ashram aufgebaut. Dort leben über 1500 junge und erwachsene
Menschen, die den Integralen Yoga zu verwirklichen streben. In meinem Abschiedsvortrag 1962
vor meiner zweiten, einjährigen Reise zu vertiefenden Studien nach Pondicherry, nannte ich diesen modernsten Ashram Indiens einen „Kernreaktor des menschlichen Bewußtseins“. Von ´Der
Mutter`, deren „geistige Strahlkraft“ (Jean Gebser) aus dem Licht der supramentalen Wahrheit
kommt, sagt Sri Aurobindo, daß sie dasselbe Bewußtsein habe wie er. Nr. 3 der Zeitschrift wird auf
den Mutter-Aspekt in der Divinität eingehen2
Sri Aurobindo, der 1893 nach fast vierzehnjährigem Aufenthalt in England seine Studien der europäischen Kultur als eine der Koryphäen von Cambridge abschloß, „hat die Synthese zwischen dem
Genius des Ostens und dem Genius des Westens am vollkommensten verwirklicht.“ (Romain Rollland). Von seinem monumentalen geistigen Werk sagt Prof. Dr. F.Spiegelberg, Stanford University
/USA: „Wir besitzen Plato, Spinoza, Kant und Hegel; sie haben aber nicht gleiche allumfassende
metaphysische Struktur, sie haben nicht seine weite Schau.“
Rabindranath Tagore stellt ihn unmittelbar an die Seite jener unbekannten Seher-Propheten Indiens, denen die Welt die unvergänglichen Veden, Upanishaden und die Bhagavadgita verdankt,
und sagt zu ihm: „Du hast ′Das Wort, und wir warten darauf, es von dir zu empfangen. Indien wird
durch dich zur Welt sprechen.“
Da Sri Aurobindo es ablehnt, als ein Philosoph, Religionsstifter oder Begründer einer neuen YogaSchule angesehen zu werden, könnte man auf ihn wohl am zutreffendsten Meister Eckeharts Wort
anwenden: „Ein Lebe-Meister frommt mehr denn tausend Lese-Meister.“
Er weiß seit seinem elften Lebensjahr, daß er in der jetzt sich vollziehenden Krise in der Evolution
eine entscheidende Rolle zu spielen hat. „Unser Yoga ist für The Divine (das Höchste Wesen) und
nicht für uns selbst.“ Er will nicht persönliche Seligkeit, sondern das Herniederbringen der Göttli1
.Diese Yoga-Hefte sind vergriffen, da ihre Herausgabe nach Erscheinen der Übersetzungen durch den Verlag Hinder & Deelmann eingestellt wurde.
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chen Seligkeit auf die Erde, Christi Reich Gottes, das Zeitalter der Wahrheit. Ein indischer Christ,
Prof. Chenchriah, Madras-Universität, bezeichnet Sri Aurobindo, den „Hindu“, als den ersten genuinen Interpreten seit Paulus und Johannes, von Jesu Verkündigung vom Reich Gottes, von der
Wiedergeburt des Menschen aus dem Geist, und von der totalen geistigen Transformation in einem „neuen Himmel und eine neue Erde“. Die Evolution drängt nach einem höheren Menschentyp,
der sich der dem Menschen heute und in Zukunft gestellten Aufgabe gewachsen zeigt, nach dem
„Übermenschen“.
Seine Formel heißt: „Superman is Supermind“. Daß wir über den gegenwärtigen mentalen Menschen hinauskommen müssen zu einem „Wandel des menschlichen Bewußtseins, das ein vierdimensionales Koordinatensystem aufweisen muß (Jean Gebser), zu einem „Trans-Humanismus“
(Julian Huxley), zu einem Wesen „Ultra-Humanes“ (Teilhard de Chardin) ist allen Wissenden gewiß. Wer kann aber mit Gewißheit einen allgemein gültigen Weg zeigen, der einer experimentellen
Nachprüfung zugänglich ist?
Seit Jahrtausenden hat der Osten eine Wissenschaft vom „Menschen, dem unbekannten Wesen“
(Alexis Carrell) entwickelt, die auf streng experimentellem Wege, Erfahrungen mit dem gesamten
physischen, vitalen, mentalen und geistigen Wesen des Menschen und dessen Stellung im Kosmos sammelt. Der heute berühmt gewordene japanische „Zen“ ist ein Zweig dieses Bemühens
(Dhyana-Yoga). Auch der Westen hatte in den gnostischen Bewegungen und in der von Platin
beeinflußten christlichen Mystik seinen „Yoga“. Im Unterschied von den meisten Aussagen westlicher Philosophie über Sein und Werden, handelt es sich hier nicht um Spekulationen mentaler
Konstruktion, sondern um die Darstellung von experimentell gewonnener, nachprüfbarer, objektiver Realität aufgrund der subjektiven Erfahrung. Damit die gesamte „Apparatur“ des mit höchsten
Geist-Energien experimentierenden Menschen dieser Frequenz auch gewachsen ist, sind die Voraussetzungen zu erfüllen, die in verschiedenen Yoga-Systemen niedergelegt sind.
„Yoga“, engl. Yoke, deutsch Joch, bedeutet die „Anjochung des menschlichen an das Göttliche
Wesen“. Der bei uns am allgemeinsten bekannte Hatha-Yoga sucht durch die berühmten 84 Körperhaltungen, eine vollkommene Beherrschung des physisch-vitalen Apparats zu erlangen. Viel
schwerer ist es, den “mind“, das Mentale zu beherrschen. Mind ist in Sri Aurobindo ´s Terminologie
unübersetzbar, da dieser Begriff all das umfaßt, was den Menschen vom Tier unterscheidet (mind,
mens, Mensch, manas, Manu). Das „Ich“, das unsere mental-vital-physischen Funktionen in einem
prekären Gleichgewicht (ziemlich erfolglos) zu halten sucht, muß erst in allen seinen Äußerungen
still gelegt werden, damit man zur Realisation des „Selbst“ gelangt, der eigentlich dirigierenden
Mitte unserer Funktionen und unseres Schicksals. Dieses Selbst ist „das selbe“ in seinem Wesen,
wie die Divinität in allen ihren Aspekten, es ist „Kind“ des „Vaters im Himmel“. Alle Arten der Kontemplation, Meditation und geistigen (spirituellen, nicht intellektuellen) Konzentration dienen dieser
Selbst-Realisierung. Dhyana-, Raja-, Kriya-, etc. Yoga heißen diese Wege. Sri Aurobindo hat 1908
nach einer nur dreitägigen Meditation mit einem Yogi, die transzendente Gottheit so real erfahren,
daß ihm die äußere Welt zu entschwinden drohte. Das ist die Gefahr, welcher die meisten YogaArten im Osten erlegen sind; sie suchten die Flucht ins „Nirvana“. Aber Sri Aurobindo, der ja damals mitten im politischen Freiheitskampf stand, hatte wenige Tage danach eine große politische
Rede über die „Gegenwärtige Situation“ zu halten (s. I.Y. Heft 1, Seite 31)3. Von da ab konnte er
gleichzeitig mit seinem Selbst in Gott sein, und aus dem Frieden Gottes, „der höher ist als alle
Vernunft“, und unter der direkten Lenkung von innen her intensivste äußere Arbeit leisten. Er war
ein Jahr lang eingekerkert. Dort „legte Gott Krishna ihm die Bhagavadgita in die Hände“, und er
praktizierte die große Synthese des dortigen Yoga. Außer dem Dhyana-Yoga wird dem Arjuna, der
eine kritische Menschheitssituation durch eine Schlacht entscheiden muß, der Karma-Yoga empfohlen: „Gib die Frucht deines Wirkens ganz an Gott hin; erfahre als Instrument Gottes, daß Er
allein der Wirkende ist“.
Dort ist auch der Sinn dessen gedeutet, daß Gott sich immer inkarnieren muß, um an entscheidenden Punkten eine neue Offenbarung des göttlichen Rechts, der Liebe, der Wahrheit, der Kraft
hernieder zu bringen, und durch die dauernde geistige Präsenz der begreifbar gewordenen Divinität, die Evolution der Menschheit weiter empor zu ihrem Ursprung zu führen. Zentral ist aber für Sri
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Aurobindo der Bhakti-Yoga: die absolute Hingabe (surrender), die Konzentration auf die Gottesund Menschenliebe, die Erfassung Gottes im Aspekt des Seins (Vater) und des Werdens (Mutter),
die Verwirklichung der höheren ′Natur als Wahrheit, Schöpferkraft, Schönheit, Liebe und Präzision
im Detail, im individuellen und im kollektiven Leben. So kamen auch die dynamischen Elemente
des Tantrischen Yoga in seiner “Synthesis of Yoga“, einem monumentalen Werk, in welchem er
die Erfahrungen seiner vierjährigen strengen Ausübung aller Yoga-Disziplinen (1910-1914, nachdem er der Verfolgung durch die Übersiedlung von Kalkutta in französisches Gebiet nach Pondicherry entgangen war) in psychologischen Begriffen kondensiert.
Im “Life Divine“ seinem magnum opus, (das ich vor 20 Jahren in Jerusalem fand), ist das Gebäude
mit dem Material der philosophischen Sprache konstruiert. Seit er sich 1926 aus dem direkten
Kontakt mit den Menschen zurückgezogen hatte, arbeitete er (neben vielen anderen Veröffentlichungen) an „Savitri“. In 24 000 englischen „blanc verses“ hat Sri Aurobindo in sublimster, dichterischer Sprache eine geistige „Biographie“ von sich und ´Der Mutter` geschrieben, die alle Erfahrungen enthält, die ein zur höchsten Realisation gelangter Mensch auf allen Gebieten, von dem niedersten Bereich des Lebens bis zu den höchsten geistigen Höhen, machen kann, damit er dann
das große Opfer bringt, auf der Erde unter den Menschen, einsam und unverstanden das „Kreuz“
zu tragen und durch die Liebe zu erlösen.
Die großen Werke über Politik und über praktische Wege zur Sicherung des Friedens durch eine
wahre Völker-Vereinigung - Zeichen, daß der Freiheitskämpfer Indiens, der Gandhi und Nehru den
Weg bereitete, auch Wegweiser der Menschheit in ihre politische und wirtschaftliche Zukunft ist.
Aus seiner Zurückgezogenheit hat er durch die spirituelle Yoga-Kraft öfters an entscheidenden
Punkten in den Katastrophen dieses halben Jahrhunderts eingegriffen.
Jedem höheren Bewußtsein entsprechen die Kräfte, die auf dieser Ebene den Menschen mental,
vital und physisch transformieren. Auf der Stufe des „hgher mnd“ wird das Bewußtsein von der
Einheit realisiert, die allen Gegensätzen zugrunde liegt, und diese in Polaritäten einer Dynamik
entfaltet, damit eine höhere Einheit erzielt wird. Im „ilumined mnd“ wird die transformierende Macht
des spirituellen Lichtes real erfahren. Es strahlt ein im spirituellen Herzen, und wirkt umgestaltend
in allen bekannten sieben Yoga-Zentren der inneren Persönlichkeit, um das höhere harmonische
„Leben“, das Wissen um die Unsterblichkeit, zu bilden. Nun tritt die Seele, die ihrem Wesen nach
der geistige (spirituelle) innere Mensch ist, immer mehr in den Vordergrund und entfaltet ihre
unendlichen Kräfte, die sie aus dem Göttlichen Geist empfängt. Im „ituitive mnd“ wird die Identität
mit der universalen Wahrheit erfahrbar: in die Vernunft (vernehmen) strahlen die Real-Ideen ein;
die Intuition erfaßt die Wirklichkeit der äußeren Welt aus ihrem Wesensgrund in der sie tragenden
Wahrheit. Weiter gehören zur untersten Hemisphäre alle Gebiete des „over-mind“, in dessen Bereich die höchsten Werke menschlicher Genialität bisher geschaffen wurden: die Einung des Bewußtseins in der kosmischen und universalen Ebene.
Aber nun, an dieser Grenze brach in datierbaren Ereignissen bei Sri Aurobindo und bei ´Der Mutter`, das auf dem ganzen bisherigen Weg geahnte „Neue Licht“ durch, für das er die Bezeichnung
Supermind wählte. Dieser Durchbruch eines bisher der Menschheit noch nicht geoffenbarten
Lichts des Geistes der Divinität wird nun die weitere Evolution beherrschen. Der Integrale Yoga Sri
Sri Aurobindo ´s zeigt den Weg, wie sich ein Mensch, der die „challenge“ (Toynbee) dieser Evolutionsstufe realisiert, zum Transmitter dieses Lichts machen kann.
Nach Sri Aurobindo hat sich das Sein in die Schöpfung involviert, und ist darum im Werde-Prozeß
in der Materie schon in aller latenten Vollkommenheit gegenwärtig. Das erklärt den „Druck“, unter
dem die Materie nach dem Leben, und das Leben nach dem “mind“ streben. In seiner „Aspiration“
öffnet sich der Mensch der „Inspiration“, der mit neuen Offenbarungen hernieder kommenden
„Gnade“ (Nahe-sein, präsentia Dei). Der „Glaube“ (sich zum Werkzeug Gottes geloben) bewirkt die
Aufhebung der „Absonderung vom Ursprung“ (Sünde). Die Botschaft ´Der Mutter` für das Werk
unserer Zeitschrift heißt: „Das Licht der Wahrheit schwebt über der Welt, um ihre Zukunft zu
durchdringen und zu gestalten.“ Die Wirkung dieses supramentalen Lichts muß sich auch physisch
individuell und kollektiv auswirken. „Der Sieg ist gesichert“, weil alle Finsternisse dieser Zeit unbewußte und unterbewußte Mächte sind, die durch das Licht der Wahrheit herausgetrieben werden,
um überwunden zu werden. – Jean Gebser hat unsere Zeit mit der Zeitenwende um Jesu Geburt
Heinz Kappes: „Die Stellung des Menschen in der Evolution nach Sri Aurobindo “
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verglichen. Wieder kommt zu uns die alte, neue Botschaft: „Das Reich Gottes ist real da - wenn ihr
es realisieren wollt!“
© Else Lehle und Heinz Kappes Freundeskreis
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