Vortrag Martin Riesenhuber
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Vortrag Martin Riesenhuber
Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 Martin Riesenhuber Grundlagen sozialpädagogischer Diagnostik bei drogenkonsumierenden Jugendlichen Einleitung In Österreich fallen vor allem Jugendliche, die illegale Drogen konsumieren oft aus den verschiedenen Maßnahmen der Jugendwohlfahrt bzw. Jugendarbeit, obwohl inzwischen unter den ExpertInnen klar ist, dass jugendlicher Suchtmittelkonsum einen Teil der Entwicklungsaufgaben in dieser Lebensphase darstellt. In diesem Sinne liegt die Begleitung dieser Jugendlichen vor allem im Aufgabenbereich der Jugendwohlfahrt bzw. Jugendarbeit und erfahrungsgemäß weniger in dem der Suchthilfe. Jedoch fehlen geeignete Instrumente um normal Drogen gebrauchende Jugendliche von problematisch und riskant konsumierenden zu differenzieren. Die gängigen klinischen Diagnostiken erweisen sich in der Einschätzung von Jugendlichen als wenig tauglich. Vor diesem Hintergrund wird ein Vorschlag zu einem sozialpädagogischen Diagnosekonzept im Rahmen der Suchtgefährdung von Jugendlichen vorgestellt. Dabei werden die wesentlichsten Anforderungen und die wichtigsten Charaktermerkmale dieses sozialpädagogischen Diagnosemodells beleuchtet, das den ProtagonistInnen der Sozialen Arbeit in der Begleitung von Jugendlichen zur Verfügung stehen soll. Ausgangslage In der Auseinandersetzung mit jugendlichem Suchtmittelkonsum stößt man immer wieder auf das Fehlen geeigneter Instrumente zur Differenzierung von nichtgefährdeten und gefährdeten bzw. normal konsumierenden und riskant konsumierenden Jugendlichen (u.a. vgl. Soellner/Kleiber 2005, 124). Die Diskussion um die Entwicklung von Diagnoseinstrumenten in der Sozialen Arbeit ist ob der Bewertungen von der Befürchtung der Stigmatisierung und Etikettierung begleitet. Trotzdem muss auch darauf hingewiesen werden, dass ein geeignetes Instrument genauso einen Schutz für sogenannte normal konsumierende Jugendliche darstellen kann (vgl. Riesenhuber 2013). Die Lebensphase der Adoleszenz im mittleren Jugendalter steht ganz im Zeichen der unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben. Jugendliches Drogenkonsumverhalten wird inzwischen als Teil dieser gesehen. Auch wenn etwa 50 Prozent der 15- bis 25-Jährigen Erfahrungen mit illegalen Drogen, im Wesentlichen mit Cannabisprodukten, machen, entwickeln nur zehn Prozent dieser drogengebrauchenden jungen Menschen problematische bzw. riskante Konsumverhalten (vgl. Silbereisen/Reese 2001, 139). Das bedeutet im Weiteren, dass Jugendliche selten abhängig bzw. süchtig sind. Dennoch finden sich konsumierende Jugendliche oft schnell in „tertiären“ Suchthilfeeinrichtungen wieder. Dieser Umstand beugt eher einer Stigmatisierung und Etikettierung vor, da sie von den Erwachsenen übereilt in die „Suchtecke“ gedrängt und als Drogenabhängige bewertet werden. Ganz im Gegenteil zum Erwünschten kann das einen weiteren Risikofaktor darstellen. So gesehen ist der professionelle Umgang mit konsumierenden Jugendlichen eher im Handlungsfeld der Jugendwohlfahrt und -arbeit zu verorten (vgl. Sting/Blum 2003, 106f; vgl. Schmidt 1998, 118). Dazu muss angemerkt werden, dass in einigen Leistungsbeschreibungen von Jugendwohlfahrtsmaßnahmen des Landes Steiermark die „akute Alkohol- und Drogen- bzw. Medikamentenproblematik …“ (Sozialserver Land Steiermark 2013) als Ausschließungsgrund angeführt ist. Fraglich bleibt, nach welchen Kriterien dies hier passiert. Diese Umstände zeigen schließlich die Notwendigkeit eines entsprechenden Werkzeugs für SozialpädagogInnen auf. Jugendlicher Suchtmittelkonsum Im Rahmen der jugendlichen Entwicklungsaufgaben kann jugendlicher Suchtmittelkonsum verschiedene Funktionen einnehmen. Hier sind v.a. die „Problembewältigung“ im Sinne einer Martin Riesenhuber Seite 1 Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 Bewältigungsstrategie, die „Geselligkeit“ im Zusammenhang mit der Gruppenintegration, der „Hedonismus“ als Zeichen eines Lifestyle-Phänomens und der „Protest“ als Form der Selbststilisierung zu nennen (vgl. Laging 2005, 154). Drogengebrauch als Protest gegen das vorherrschende Establishment verliert hingegen an Bedeutung. Ansätze zur Suchtentstehung Zum Thema der (jugendlichen) Suchtentwicklung bestehen unterschiedliche theoretische Ansätze auf interdisziplinärer Ebene. Dementsprechend finden sich soziologische, psychologische und biomedizinische Theorien bzw. Ansätze, wobei jeder Ansatz für sich alleine zu kurz greift. Daher stehen übergreifende bzw. multifaktorielle Ansätze im Vordergrund. Einen solchen bildet die bekannte Ursachentrias, in welcher die drei Variablen Person, Droge und Umwelt innerhalb eines soziokulturellen Kontextes in Wechselwirkung zueinander stehen, wobei die Suchtentwicklung einem fließenden und prozesshaften Geschehen gleichkommt (u.a. vgl. Sting/Blum 2003, 33ff). Ein modernes psychosoziales Verständnis der Suchtentwicklung favorisiert den sozialwissenschaftlichen Zugang mit seinem prozesshaft fließenden Erklärungsmodell, der sich deutlich vom vorherrschenden medizinischen Krankheitsmodell, welches vom Charakter her gegenständlich ist, abgrenzt (vgl. Degkwitz 2007, 60). Ansätze Suchtforschung Generell ist die reflexive Suchtforschung hervorzuheben, welche sich mit folgenden zwei wesentlichen Aufgaben beschäftigt: erstens versucht sie Widersprüche und Ambivalenzen des vorherrschenden medizinisch-psychiatrischen Suchtkonzepts kritisch zu hinterfragen, und zweitens versucht sie zwischen der sich über die Zeit verändernde Haltung im Umgang mit Drogengebrauch und -abhängigkeit aus gesellschaftlich-historischer Sicht und dem gegenwärtig vorzufindenden heterogenen Rahmenbedingungen im Kontext unterschiedlicher Interessen zu vermitteln. Hier sind hinsichtlich psychoaktiven Substanzkonsums mit Kultivierung, Akzeptanz, Pathologisierung und Kriminalisierung vier idealtypische Ansichten auszumachen. Vor diesem Hintergrund ist reflexive Suchtforschung gefordert zugrunde liegende Dynamiken und Mechanismen aufzudecken und wissenschaftlich zu untersuchen (vgl. Dollinger/Schmidt-Semisch 2007, 19ff). In diesem Zusammenhang fordert Stein-Hilbers (vgl. 1985/2007, 41ff) auch einen selbstreflexiven Ansatz ein, welcher mittels (1) Analyse der Selbstbetroffenheit (Phänomen gemeinsamer Betroffenheit), (2) Introspektion (Reflexion auf die eigene Biographie) und (3) Empathie (Einfühlen in die Realität anderer) methodisch umzusetzen ist. Beim salutogenetischen Ansatz (vgl. Antonovsky 1987/1997) untersucht die entsprechende Suchtforschung etwa jenen Umstand, weshalb manche Menschen in vergleichbar schwierigen und problembelasteten Voraussetzungen nicht abhängig und süchtig werden. Diagnostik im Jugendalter Im Rahmen pädagogisch-psychologischer Diagnostik im Jugendalter sind grundlegende Kenntnisse zur Lebensphase der Adoleszenz und ein interdisziplinäres Verständnis notwendig. Das erfordert die Einbeziehung sozialpädagogischer, entwicklungspsychologischer und jugendpsychiatrischer Perspektiven. Dabei bezieht sich der sozialpädagogische Blick auf die dritte Entwicklungsetappe (mittleres Jugendalter) der Sozialpädagogischen Diagnosen (vgl. Uhlendorff 2001, 104f), das Konsumverhalten im mittleren Jugendalter (vgl. Böhnisch 2002, 110ff) und die Lebensweltorientierung mit dem Ziel eines „gelingenderen“ Alltags (Thiersch 1992). Der entwicklungspsychologische Blick hat den Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter im Fokus und zwar nach Hurrelmann (vgl. 2005, 27f und 33f) auf psychologischer wie soziologischer Ebene. Der jugendpsychiatrische Blick widmet sich u.a. der möglichen Komorbidität. Zum Thema des jugendlichen Drogenkonsums entwickelte sich aus der interdisziplinär angelegten RISA-Studie [Ritualdynamik und Salutogenese beim Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver Substanzen] eine spannende mehrdimensionale Typenkonstruktion (vgl. Ullrich-Kleinmanns et al. 2008, 19). Über motivationale Einflussgrößen und spezifische Persönlichkeitsstile kristallisierten sich schließlich acht Idealtypen – subkultureller Typus, interkultureller Typus, Grenzgänger-Typus, Martin Riesenhuber Seite 2 Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 hedonistischer Typus, abstinenter Typus, Probier-Typus, gemeinschaftlicher Typus, problematischer Typus – heraus (vgl. Gingelmaier 2008, 238ff). Diese acht „Typen adoleszenten Umgangs mit psychoaktiven Substanzen“ (Jungaberle 2007, 182) bilden eine gute Grundlage zur Einschätzung. Soziale bzw. sozialpädagogische Diagnosekonzepte Die Betrachtung der unterschiedlichen sozialen bzw. sozialpädagogischen Diagnosemodelle macht grob zwei Charaktere aus. So existieren zum einen statuserhebende Instrumente („Sozialpädagogische Diagnosetabellen“ des Bayrischen Landes-Jugendamtes 2001; „Person-inEnvironment-System – PIE“ von Karls & Wandrei 1994) und zum anderen prozessbegleitende Konzepte („Sozialpädagogische Diagnosen“ von Mollenhauer & Uhlendorff 1992; „PRO-ZIEL Basisdiagnostik“ von Heiner 2004; „Psychosoziales Ressourcenorientiertes Diagnosesystem – PREDI“ von Küfner, Coenen & Indlekofer 2006) (vgl. Heiner 2004; vgl. Riesenhuber et al. 2009). Klinische Diagnosen In der Suchthilfe kommen die beiden klinischen Diagnoseschemata ICD-10 und DSM-IV zum Einsatz. Dabei unterscheidet die ICD-10 (International Classification of Deseases and Health Problems) unter „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit (vgl. Dilling et al. 1993, 87), und das DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) unter „Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen“ zwischen Substanzmissbrauch und Substanzabhängigkeit (vgl. Saß 2001, 223). Laging (vgl. 2005, 177ff) kritisiert zu Recht, dass die beiden Diagnoseschemata an Erwachsene ausgerichtet und somit kaum für Jugendliche geeignet sind. Außerdem spielen die in der Adoleszenz bedeutsamen sozialen Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Dies begründet auch die Forderung nach einem stärkeren Einbezug dieser sozialen Gesichtspunkte. Zu den klinischen Modellen sind auch die verschiedenen Screening-Instrumente zu zählen, die v.a. aus dem angloamerikanischen Raum stammen und der groben Identifikation suchtgefährdeter Jugendlicher dienen. Entwurf eines sozialpädagogischen Diagnosemodells Grundsätzlich muss ein sozialpädagogisches Diagnosemodell in seinen Anforderungen praktikabel in seiner Anwendung, transparent in seinem Verfahren, partizipativ in der Erhebung, ressourcen-, prozess- und handlungsorientiert in der Konzeption, qualitativ ausgerichtet und vorsichtig in Bezug auf Bewertungen sein. In den Konzeptentwurf fließen zum einen die Ursachentrias der Suchtursachen, das ScreeningInstrument RAFFT for substance use und das Diagnosemodell PREDI (die Eckpfeiler), und zum anderen die Sozialpädagogischen Diagnosen (Mollenhauer/Uhlendorff 1992), die Lebensweltorientierung (Thiersch 1992), die Typenkonstruktion der RISA-Studie, die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (Hurrelmann 2005), die Entwicklungsstadien des Substanzgebrauchs (Schmidt 1998), das Bewältigungsmodell (Böhnisch 2006) und der salutogenetische Ansatz (die inhaltliche Ausgestaltung) ein. RAFFT Screen for substance use Die Originalversion des RAFFT (Relax, Alone, Friends, Family, Troubles) von Alario & Riggs (1989) besteht aus fünf dichotomen Fragen, die deutsche Übersetzung aus sechs und ist auf das mittlere Jugendalter ausgerichtet (vgl. Laging 2005, 250). Das Instrument ermöglicht eine Vorabentscheidung hinsichtlich einer möglichen Suchtgefährdung (vgl. ebd. 270f) und ist folgendermaßen aufgebaut (vgl. ebd. 190ff): (1) Nimmst du manchmal legale/illegale Drogen, weil du dich entspannen oder dich besser fühlen möchtest? (2) Nimmst du manchmal legale/illegale Drogen, weil du dich dazugehörig fühlen möchtest? (3) Nimmst du manchmal legale/illegale Drogen, wenn du alleine bist? (4) Nimmt jemand aus deinem Freundeskreis regelmäßig legale/illegale Drogen? (5) Hat jemand aus deinem nahen Familienkreis ein Problem mit legalen/illegalen Drogen? (6) Hattest du schon einmal ernsthafte Schwierigkeiten wegen deines Konsums legaler/illegaler Drogen? Martin Riesenhuber Seite 3 Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 Psychosoziales Ressourcenorientiertes Diagnosesystem – PREDI Eine kurze Skizzierung des PREDI zeigt mit (1) der Eingangsdiagnostik bzw. Diagnostik beim Erstkontakteinen, (2) der Kurzdiagnostik bzw. Steuerungsdiagnostik und (3) der optionalen Feindiagnostik dreigliedrigen modulartigen Aufbau. Die Eingangsdiagnostik beschäftigt sich mit dem Anlass der Kontaktaufnahme, den Grunddaten des Klienten/der Klientin und den Beobachtungen der Fachkraft. Die Steuerungsdiagnostik erlaubt für neun Lebensbereiche die Problem- und Ressourcenbeurteilung sowie den Veränderungswunsch durch den Klienten/die KlientIn und erhebt die Notwendigkeit einer Feindiagnose, wobei der/die KlientIn stets in den Prozess mit einbezogen wird. Ein Zusatzmodul „Alkohol, Drogen, Medikamente“ steht zur Verfügung. (vgl. Küfner et al. 2006, 49ff). Die PREDI-Version 3.0 ist eine an den Gütekriterien überprüfte Fassung. Konzeptidee – Sozialpädagogisches Diagnosemodell zur Erkennung jugendlicher Suchtgefährdung Die Ursachentrias und die biopsychosoziale Modellvorstellung, sowie der dreistufige Aufbau nach Vorbild des PREDI mit den aus dem RAFFT entwickelten fünf Lebensbereichen bzw. -situationen bilden den Aufbau, wie die folgende Abbildung zeigt (vgl. Riesenhuber 2013, 297): PERSON Trias der Suchtursachen EINGANGSDIAGNOSTIK DROGE Drogenanamnese Sozialanamnese UMWELT Beobachtungen KURZDIAGNOSTIK – HANDLUNGSDIAGNOSTIK Drogenkonsumanamnese KonsumSchwierigFreunde Familie setting keiten Problem- und Ressourcenbeurteilung / Veränderungswunsch Hilfe bzw. Fein- bzw. Prozessdiagnostik erforderlich Entspannung FEINDIAGNOSTIK – PROZESSDIAGNOSTIK Drogensituation AlltagsBeziehungsPeergruppenFamiliale Beschäftigungssituation situation situation Situation situation Deskription / Problemperspektive / Ressourcen / Veränderungsmotivation Selbstbeurteilung Abbildung: Schematischer Aufbau der sozialpädagogischen Diagnose zur Erkennung jugendlicher Suchtgefährdung A) EINGANGSDIAGNOSTIK 1. Sozialanamnese: sozialdemographische Daten, Anlass der Kontaktaufnahme, Erfahrungen bzgl. Hilfen, Auftrag und Erwartungen, soziale Situation (Familie, Wohnen, Finanzen) 2. Drogenanamnese: substanzorientierte Stadieneinteilung, Konsumprävalenzen (Lebenszeit, Monat, Jahr, aktueller Konsum) 3. Beobachtungen: bio-psycho-soziale Merkmale, Konsummerkmale Martin Riesenhuber Seite 4 Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 B) KURZ- BZW. HANDLUNGSDIAGNOSTIK 0. Drogenkonsumanamnese: qualitativ ausgerichtete Stadieneinteilung, Konsum im Zeitschema, Drogenwissen vor dem ersten Konsum 1. Bereich Entspannung – Alltagssituation: Drogenkonsum zur Entspannung oder um sich besser zu fühlen (legale und/oder illegale Drogen); Tagesstruktur (typischer Wochentag, typisches Wochenende), Ziele und Perspektiven („Drei-Wünsche-Frage“) Problembelastung, Ressourcenbeurteilung und subjektiver Veränderungswunsch Fein- bzw. Prozessdiagnostik notwendig? Psychologische und/oder medizinische Diagnostik notwendig? 2. Bereich Konsumsetting – Beziehungssituation: Drogenkonsum um dazuzugehören oder wenn alleine (legale und/oder illegale Drogen); Selbstwert, sozialer Kontext (Gruppendruck, Isolation) Problembelastung, Ressourcenbeurteilung und subjektiver Veränderungswunsch Fein- bzw. Prozessdiagnostik notwendig? 3. Bereich Freunde – soziale Situation: regelmäßiger Drogenkonsum im Freundeskreis (legale und/oder illegale Drogen); Beschaffenheit des sozialen Netzwerks Problembelastung, Ressourcenbeurteilung und subjektiver Veränderungswunsch Fein- bzw. Prozessdiagnostik notwendig? 4. Bereich Familie – Familiensituation: Drogenkonsum in der Familie (legale und/oder illegale Drogen); Milieubedingungen Problembelastung, Ressourcenbeurteilung und subjektiver Veränderungswunsch Fein- bzw. Prozessdiagnostik notwendig? 5. Bereich Schwierigkeiten – Beschäftigungssituation: Schwierigkeiten aufgrund des Drogenkonsums (legale und/oder illegale Drogen); gesellschaftliche, rechtliche und/oder materielle Situation Problembelastung, Ressourcenbeurteilung und subjektiver Veränderungswunsch Fein- bzw. Prozessdiagnostik notwendig? C) FEIN- BZW. PROZESSDIAGNOSTIK 1. Alltagssituation: Belastungen auf bio-psycho-sozialer Ebene, Tages- und Wochenstruktur (altersadäquate Verantwortungsübernahme; Freizeitverhalten und Hobbys), Grundbedürfnisse, Ziele und Perspektiven, Bewältigungsverhalten, Drogenkonsumverhalten (qualitativ funktional) 2. Beziehungssituation: Beziehung zu sich selbst, Kontakt bzw. Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen, co-abhängiges Verhalten, partnerschaftliche Beziehungen, soziales Netzwerk, Drogenkonsumverhalten (qualitativ funktional) 3. Soziale Situation (Freundeskreis, Peergroup): Freundeskreis bzw. Cliquen, Struktur des Freundeskreises bzw. der Freundeskreise, Beziehungsgestaltung zu Gleichaltrigen, Drogenkonsumverhalten der Peergruppe/n, Drogenkonsumverhalten (qualitativ funktional) 4. Familiensituation: Familien- und Wohnbedingungen (Milieubedingungen), Familienstruktur (Rollen), Konfliktlösungsstrategien in der Familie, Drogenkonsumverhalten (qualitativ funktional) 5. Beschäftigungssituation (Schwierigkeiten): Beschäftigung bzw. Beschäftigungslosigkeit, Schwierigkeiten während bzw. nach dem Substanzkonsum, Schwierigkeiten durch Substanzkonsumverhalten, Probleme in der Schule bzw. am Arbeitsplatz, Drogenkonsumverhalten (qualitativ funktional) (vgl. Riesenhuber 2013, 296ff) Martin Riesenhuber Seite 5 Jugendtagung „Alles noch im grünen Bereich?“ 19 03 2013 Fazit Die Auseinandersetzung mit sozialen bzw. sozialpädagogischen Diagnosen macht klar, dass es sich im Rahmen Sozialer Arbeit (Sozialarbeit und Sozialpädagogik) vom Charakter her nur um hermeneutisch orientierte, ressourcen- und prozessorientierte sowie verlaufs- und handlungsorientierte Diagnosekonzepte handeln kann. Die Sozialpädagogik kann ihre Wissenschaft und Forschung nicht nach anderen Disziplinen bemessen und ausrichten, das es hier um eine „real-life-Forschung“ geht und nicht um Experimente in einer Laborsituation. Die Sozialpädagogik ist immer mit dem ganzen Menschen und dem ganzen Leben konfrontiert, daher gelten für sie eigene wissenschaftliche Kriterien und Gesetzmäßigkeiten. Ein eigenes Diagnoseinstrument zur Differenzierung suchtmittelkonsumierender Jugendlicher würde die Sozialpädagogik und die Sozialarbeit dementsprechend in der notwendigen multiprofessionellen Zusammenarbeit mit der Psychologie und Medizin um ein Stück aufwerten. Die Ausformulierung und -gestaltung und Beschreibung dieses sozialpädagogischen Instruments sowie der probeweise Einsatz im Handlungsfeld der Jugendwohlfahrt und Jugendarbeit sind die bevorstehenden Schritte. Literatur Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche erweiterte Herausgabe von A. Franke. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie. Böhnisch, L. (2006): Abweichendes Verhalten. Eine pädagogisch-soziologische Einführung (3. Auflage). Weinheim, München: Juventa. Böhnisch, L. 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