Schwert - Kampfkunst, Hermann G. Bohn

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Schwert - Kampfkunst, Hermann G. Bohn
Dr. Hermann G. Bohn
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Chinesische Schwertkunst, Teil 2
華夏劍術 (二)
III
Verbreitung und Rollen des Schwertes
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Chinesische Schwert schon immer in den zwei großen
Bereichen des Physischen, Xing er xia 形而下, und des Metaphysischen, Xing er shang 形而上,
wichtige Rollen gespielt hat und häufig zum Einsatz gekommen ist. Was den materielleren Bereich des menschlichen Lebens betrifft, so wurde das Schwert wie erwähnt in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung in militärischen Kreisen allmählich vom schwereren Säbel, für
berittene Soldaten entscheidend verlängert, verdrängt. Dadurch bedingt verkürzten sich die
Klingenlängen der Schwerter etwas, und vor allen Dingen fand das Schwert nun in zahlreichen
nicht-militärischen Bereichen, den Kreisen der Kampfkunst-Schulen, mehr und mehr Verwendung. Für berittene Soldaten waren nämlich die zweischneidigen, langen und in der Herstellung
aufwendigen Klingen nur bedingt voll verwendbar gewesen (gerades Stechen musste immer in
Bögen übergeleitet werden, die Klingen waren für entstehende Kräfte aus Pferdbewegung und
Kriegeraktion zu schwach, brachen häufig), so dass es zur enormen Entwicklung des vom Pferd
herab ausschließlich rund zu führenden, schneller herstellbaren, stabileren und einschneidigen
Säbels gekommen war. Bereits im 5. und 4. Jh. vor Chr. war das Schwert folglich innerhalb
nicht-militärischer Kreise recht weit verbreitet, wie uns eine Stelle im Werk <Meister Mo>1,
Mozi 墨子 (ca. 480 – ca. 390 v. Chr.) wissen lässt, wo es heißt, dass schon in der Frühzeit die
Menschen täglich ihr Schwert bei sich trugen. In der Führungsschicht jedoch wurde die zweischneidige Klinge, mit allmählich immer besserer Qualität des Materials und weiter verfeinerter
Techniken, wie oben angedeutet und auf den Abbildungen 16, 17 und 18 zu sehen ist, mehr und
mehr ein Symbol für Autorität2 und gesellschaftlichen Rang, mit dem der Kaiser seinen Vasallen
1
Siehe <The Works of Motze>, Taibei, 1980; <Economy of Expenditures II> (Sparsamer Gebrauch II), Jieyong
zhong 節用中, S. 243.
2
Eine Beschreibung des ersten Kaisers von China, Qinshi huang 秦始皇, angetan mit einem Rang anzeigenden
26
und Lehnsherren das Recht über Ländereien sowie Leben und Tod zugestanden hat.3 Mit der
zweischneidigen Klinge wurden damit auch Aufgaben in nicht-materiellen Bereichen, staatlichen
Riten und Zeremonien sowie religiösen, oft obskuren Praktiken ausgeführt. Bei offiziellen
Staatsriten zeigte es häufig auch gesellschaftliche Stellung, Namen, Alter und hierarchische Position seines Trägers auf, die darüber hinaus jeweils durch weitere Verzierungen aus Gold, Jade
und andere Edelsteine ihren Ausdruck fanden. Das Schwert wurde aber auch schon früh zum
Vermitteln von Moral in Fabeln eingesetzt, wie etwa bei <Liezi>4 列子 (umstrittene Lebensdaten, 6. Jh. v. Chr.; Buchkompilation wahrscheinlich erst im 3. Jh. n. Chr.), wo wir nachlesen
können, dass die besten Schwerter nicht einfach töten, sondern eben moralische Lehren erteilen,
die der betroffene nicht mehr vergisst.
Mit der weiterhin großen Beliebtheit des Schwertes am Hof, vom Kaiser bis hin zu den 100
Ämtern mit ihrer Beamtenschaft, nahm natürlich die Verbreitung außerhalb militärischer Kreise
weiter zu. Es entstanden zahlreiche Schulen und Theorien, die Schwertkunst erreichte eine bis
dahin nicht da gewesene Reife. Nunmehr wurde das Schwert auch immer häufiger in metaphysischen Bereichen daoistischer, buddhistischer und schamanistischer Künste zu zahlreichen obskuren Praktiken, etwa zum Vertreiben von Gespenstern, Exorzieren von Dämonen, zum Unsichtbarmachen und zur Tötung auf große Distanz eingesetzt.5 Und selbst in literarischen Zirkeln
sollte das Schwert zunehmend an Bedeutung gewinnen, das dann bereits stark künstlerischen
Charakter trug, mit feinen Gravuren versehen war, an der Parierstange kunstvolles Geschmeide
aufzeigte und dessen Scheide manchmal gar mit Haifischhaut überzogen war (siehe Abb. 27 und
28). Zwar wurde mit diesen Kunstgegenständen praktisch nie gekämpft, aber trotzdem zeigten
sie die Noblesse seines Trägers nur allzu deutlich auf, und so verwundert es nicht, dass das Wesen und die Essenz des Schwertes mehr und mehr mystifiziert wurden, wodurch im Laufe der
Meisterschwert und einem Spitzenpferd, findet sich in: <Aufzeichnungen der Historiker>, Shiji 史記, <Die Biographie des Li Si, 27>, Li Si liezhuan 李斯列傳第二十七, Kapitel 87 卷 85, Druckblock 4, S. 1028. Dass in der
Han-Zeit für alle Staatsdiener zur Uniform auch ein Schwert vorgeschrieben war, wird uns in der <Geschichte der
Jin>, Jinshu 晉書, den <Aufzeichnungen zu Sänften und Kleidungen, 15>, Yufuzhi 輿服志 15, Kapitel 25, juan
卷 25, Druckblock 25, S. 365 beschrieben.
3
Wer nun ein Schwert tragen durfte, war im antiken China ziemlich genau geregelt, wie eine Quelle aus der
Tang-Zeit deutlich beweißt. In den <Aufzeichnungen über die Anfangsgründe des Lernens>, Chuxue ji 初學記, von
Xu Jian (659 – 727 n. Chr., 徐堅), Kapitel 22, Abteilung Kampf, 2. Schwert, 22 卷 22, Wubu 武部, Jian di’er 劍
第二, S. 525 – 529, Reprint Taibei, 1972, heißt es etwa, dass der Himmelssohn (der Kaiser) mit 20 Jahren, die Minister mit 30 Jahren, die Edlen mit 40 Jahren, freie Bürger nur zu gewissen Zwecken ein Schwert tragen duften, und
zwar an der linken Seite, während ein Säbel rechts zu führen war. Leibeigene durften überhaupt kein Schwert tragen.
4
Siehe <Gesammelte Erklärungen zu Liezi>, Liezi jish 列子集釋, Taibei, 1971, Kapitel 5, <Die Fragen des Tang>,
Tangwen 湯問, S. 116 – 117. Auch eine deutsche Übersetzung von Richard Wilhelm liegt vor, siehe <Liä Dsi – Das
wahre Buch vom quellenden Urgrund>, Kapitel 5, <Die Fragen des Tang>, <Die drei kostbaren Schwerter 17>, S.
116 – 118. Dieser Text scheint tatsächlich erst im 3. Jh. n. Chr. kompiliert worden zu sein, wird aber traditionell auf
eine gleichnamige Persönlichkeit zurückgeführt, deren Lebensdaten von einigen Sinologen gar bereits auf das 6. Jh.
v. Chr. datiert werden.
5
Siehe dazu die unter Fußnoten 4 und 7 genannten Quellen sowie die Ausführungen auf Seite 16. Unter dem Liang-Kaiser Wudi 梁武帝 (reg. 502 – 549 n. Chr.) soll es demnach 13 Geistschwerter mit magischen Gravuren gegeben haben, und auf diese daoistischen Traditionen wird auch die Schwertschule aus dem Wudang-武當-Gebirge
zurückgeführt.
27
Zeit jene obskuren und mystischen Tradierungen und Geschichten zu ganz bestimmten Klingen
mit eigenen Namen entstanden.
Abb. 27: Kult-Schwert aus der Ming-Dynastie (14.- 17. Jh.), Schlangen-Totenkopf-Motiv
Realistische Grundlagen für diese Entwicklungen waren zweifelsohne die relative Leichtigkeit
und die damit verbundene bequeme Transportierbarkeit sowie die extreme Schnelligkeit im Einsatz, dann natürlich aber und vor allem die fast göttliche Verehrung durch bekannte Meister der
Schwertführung. In den feudalistischen Zeiten Chinas haben sowohl Herrscher und Untertanen,
claneigene Gelehrte der Literatur und Meister des Kampfes als auch Geschäftsleute und die gewöhnliche Bevölkerung das Tragen eines Schwertes als extrem verehrungswürdig und erstrebenswert gehalten. Schwert und Kunst waren seit der Antike also eng miteinander verbunden.
Geschichten um beide durchdrangen die Schlachtfelder, und es entstand eine eigenständige Gesellschaftsschicht von freien Kämpfern, den Vorfahren der japanischen Samurai, ähnlich dem
mittelalterlichen europäischen Ritter, die aber weder Land noch Herrn dienten, nur ihrer
Schwertkunst lebten und sich zu jeder Zeit mit anderen Vertretern ihrer Zunft zu messen bereit
waren. Mit dem Schwert wurden also Persönlichkeiten gemacht und Dynastien gegründet,
Menschlichkeit gepflegt und Gerechtigkeit6 durchgesetzt, und somit wird verständlich, warum
6
Siehe dazu beispielsweise die zahlreichen Kriminalgeschichten um den Richter Di Renje 狄仁杰 (630 – 700 n.
Chr.), der mit Hilfe seines Wunderschwertes Regendrachen, Yulongjian 雨龍劍, so manchen Fall gelöst haben soll.
Zahlreiche fiktive Romane dazu hat Robert van Gulik (1910-1967), der holländische China-Experte, mit historischem Hintergrund verfasst.
28
seine Tradition bzw. sein Gebrauch bis in die Gegenwart ununterbrochen weitergegeben worden
ist. Noch heute wird es von vielen asiatischen Menschen respektiert, gar verehrt und innig geliebt, und entsprechende Sammler, in deren Herzen ein berühmtes Schwert die höchste Stellung
einnimmt, halten es für den Stolz einer zeitlichen Ära, so dass die bis heute noch erhaltene Tradierung des Umgangs mit dem Schwert, sowie das Schwert als Kunstgegenstand in bestimmten
Varianten auch in Zukunft gesichert erscheinen.
Abb. 28: Schwert aus der Qing-Dynastie (17.- 20. Jh. n. Chr.) mit nachgewiesenen mehreren hundert Faltungen des Klingenstahls, Scheide mit Haifischhaut überzogen
29
IV
Die Entwicklung von Schwerttechniken für
den realistischen Zweikampf
Die für den realistischen, wirklich kriegerischen Einsatz gedachten Schwerter waren wohl schon
lange vor unserer Zeitrechnung als Kampfschwerter, Wujian武劍, oder auch als männliche
Schwerter, Xiongjian 雄劍, bezeichnet worden, in Längen von ca. 112 bis 124 cm verbreitet
gewesen und haben in etwa 2 kg gewogen. Daneben haben außerdem sicher auch schon Kulturschwerter, Wenjian 文劍, in kürzeren, dafür eventuell elaborierteren Versionen existiert. Über
die tatsächlichen Techniken und den realistischen Einsatz von solchen Schwertern im Krieg und
Zweikampf auf Leben und Tod vor der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 1150 – 781 v. Chr.) liegen
uns nur wenige Hinweise in entsprechenden Aufzeichnungen vor, so dass darüber kaum verbindliche Aussagen gemacht werden können. Bekannt ist nur, dass schon der Dynastienbegründer der
Zhou-Zeit, König Wen 文王 (reg. ca. 1150 – 1121 v. Chr.), besondere Fertigkeiten im Umgang
mit dem Schwert gehabt haben soll und dass einer der drei Soldaten auf den damals üblichen,
militärischen Streitwagen, links neben dem Wagenführer, mit Langwaffen stechende Attacken,
Jici 擊刺, ausführen sollte, die sicher auch auf den Schwertkampf übertragbar sind, wie auf
Grund einer Quelle aus der Mitte des 4. Jh. v. Chr. belegt ist.7 Wir können aber anhand der vorliegenden Schwertfunde und weniger, ausführlicherer Berichte über Kämpfe mit Schwertern logische Schlüsse ziehen, wie solche Techniken damals ausgesehen haben mögen. Dazu müssen
wir zunächst einige klassische Quellen einsehen. So lesen wir beispielsweise im bereits angeführten Werk <Guanzi>:
„Der König von Wu hielt sich viele Schwertkämpfer, und in der Bevölkerung gab es viele
Leute mit Schwert-Verwundungen“8
Wie dieses Durchsetzen der eigenen Absichten durch hemmungslosen Einsatz von Machtpolitik
in Form von solchen antiken Schlägertrupps von zeitgenössischen Philosophen beurteilt worden
war, ist eindeutig im Buch <Hanfeizi>9 韓非子 (gest. 233 v. Chr.) nachzulesen, kann aber nicht
Diskussionspunkt in dieser Arbeit sein. Für die martialische Seite von Belang erscheint aber fol7
Siehe dazu die <Überlieferungen des Zuo>, Zuozhuan 左傳, Xianggong 襄公, 23. Jahr, S. 0603, wo die Verwendung des Schwertes erstmals speziell auf den Nahkampf mit Tötungsabsicht definiert und wo auf die Ähnlichkeit
der Techniken aller Stech- und Schneidwaffen verwiesen wird.
8
Vergleiche <Guanzi jijiao > 管子集斠, in dem innerhalb des Primärtextes dieses Zitat bei einer oberflächlichen
Einsichtnahme nicht identifiziert werden konnte. Zitiert wurde hier demnach nach Kang Gewu 康戈武, Beijing,
1990, S. 233. Eindeutig belegbar ist diese gleiche Textstelle aber in den <(Späteren) Annalen der Han-Dynastie>,
Hou Hanshu 後漢書, <Biographie des Ma Yuan, mit Biographie des Ma Liao>, Ma Yuan zhuan fu Ma Liao zhuan
馬援傳附馬廖傳.
9
Siehe <The Works of Han Fei Tzu>, Kapitel <Eight Villainies>, Taibei, 1984, S. 34 (engl. Übersetzung), S. 35
(chin. Original), wo die Fragwürdigkeit eines Einsatzes von leibeigenen Schwertkämpfertrupps durch einzelne
Machthaber zur Realisierung persönlicher Ziele klar und wohl auch zu Recht verurteil wird.
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gendes Zitat aus dem historischen Werk <Frühlings- und Herbstannalen des Herrn Lü>:
„Ein scharfes Schwert und nicht ausreichende Schwertkünste, das kann nicht sein. Vortreffliche Schwertkünste und ein stumpfes Schwert, das geht (ebenfalls) nicht.“10
Ein Beispiel eines Schwertkämpfers, dem unzureichende Technikbeherrschung schließlich das
Leben kostete, finden wir dann in den <Aufzeichnungen eines Historiker>, im Kapitel <Biographien von Attentätern>:
„Jing Ke 荊軻 liebte das Studium von Büchern und den Schwertkampf; als er aber mit Wei
Yuanjun 衛元君 über Techniken sprach, machte Wei Yuanjun (davon) keinerlei Gebrauch
(und schonte ihn)“.11
Im Anschluss an dieses Zitat findet sich, in umfangreichen historischen Gegebenheiten verwoben,
eine ziemlich genaue Beschreibung des Attentats durch Jing Ke auf den König von Qin 秦, wobei Jing Ke schließlich selbst durch das Schwert gerichtet werden sollte.12 Im Verlauf des Anschlags wurde der Attentäter mehrmals in seinem Mordversuch durch Gegenaktionen des Königs
gekontert, geblockt und überwunden. Zunächst ließ sich Jing von der königlichen Fähigkeit, seine starrenden Augen als Waffe zu gebrauchen, überraschen. Dann konzentrierte sich dieser
Kämpfer nur auf die Arme, nicht aber auf den Rumpf des Königs, der erneut entkam. Schließlich
suchte dieser Zuflucht hinter einer Säule, startete einen Handangriff auf den Mörder aus dem
Verborgenen heraus, konnte dann endlich sein eigenes Schwert ziehen, zerschmetterte des Eindringlings linke Hüfte, und als dieser mit einem verzweifelten Dolchangriff an der Jadepanzerung des Königs scheiterte, wurde er durch acht Schwertstiche letztlich selbst vom König getötet.
Wir werden bereits hier auf mögliche Schwächen bei einem Schwertkämpfer hingewiesen, die
für ihn bei Auseinandersetzung mit einem geschulten Gegner tödlich sein können. Aus den gemachten Angaben, den für die eingesetzten Schwerttechniken verwendeten Chinesischen
Schriftzeichen und den Kenntnissen über die äußere Form des Schwertes jener Frühzeit lassen
sich nun folgende Überlegungen zu den Techniken dieser Frühzeit anstellen: Wegen der noch
relativ schlechten Metallqualität und mangelnder Verarbeitungstechniken waren die Schwerter
dünner, leichter zerbrechlich, aber etwas kürzer als die längeren, massiveren, militärischen Waffen auf den Streitwägen, und trotzdem noch dicker und breiter, insgesamt sicher viel schwerer als
spätere Waffen. Eine erste heftige Attacke startete demnach in der Kurzdistanz und führte sofort
zu direktem Kontakt mit dem Gegner, womit Rumpftechniken trotz Bewaffnung sehr wichtig
10
Siehe <Lüshi chunqiu> 呂氏春秋, <Abhandlung über die Einschüchterung>, Lunwei 論威, hier zitiert nach Yu
Zhijun 于志鈞, in: Li yü mei 力與美, Vol. 127, S. 44, Taibei, Nov. 2000). Siehe dazu auch die deutsche Übersetzung von Richard Wilhelm, Düsseldorf, 1971, Buch VIII, Kap. 2, S. 94 – 97, wo der christlich-missionarische Ansatz des weltbekannten Sinologen erneut recht deutlich wird.
11
Siehe <Shiji> 史記, <Cike liezhuan 26> 刺客列傳 26, Kapitel 86 卷 86, Druckblock 9, S. 1020.
12
Siehe ebenda, Druckblock 10, 16, 17, S. 1020, 1023, 1024.
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gewesen sein dürften. Der Klingenquerschnitt war nachweislich größer als der des recht dünnen
Griffes, und es gab auch noch keinen Handschutz, so dass wohl überwiegend gerade Stechaktionen, Zhici 直刺, verwendet worden waren, wonach die Klinge auch noch mit den Händen am
Ende des stumpfen Klingenteils vorwärts geschoben werden konnte, was in Han-zeitlichen
Schriften erwähnt worden ist13. Eine andere Technik war der vertikale Hieb, Congkan 從砍, den
man auf Reliefs auf frühzeitlichen Wassergefäßen abgebildet gefunden hat. In zeitlich entsprechenden Schriften, wie den schon zitierten <Aufzeichnungen eines Historikers>14, finden sich
eindeutig Hinweise, dass das Schwert Mann gegen Mann eingesetzt wurde, und weil die Techniken auch oft durch das Synonym vertikale und horizontale Kunst beschrieben worden waren, ist
klar, dass horizontales Spalten oder Durchtrennen, Hengpi 橫劈, ebenfalls zum Einsatz gekommen war. Wegen der relativen Kürze musste man wie erwähnt recht nahe an den Gegner
heran, um auf diesen einzustechen, und es war eine weitere Technik, mit der eigenen Klinge die
des Gegners zu zerbrechen, Pangji 旁擊15, also die flachen Seiten der gegnerischen Klinge mit
der eigenen flachen Klinge schlagend zu attackieren. Aber auch die Techniken Kreisen, Liao撩,
Fegen, Sao 掃, Hängen, Gua 掛, und Köpfen, Zhan 斬, waren wohl schon bekannt. All diese
Nahkampftechniken zeichneten sich dabei sicherlich mehr durch Kraft, denn durch Kunstfertigkeit aus, und viele heutige kunstvolle Grundtechniken wie das Schwert anheben und den Kopf
schützen, Ti jian hu tou 提劍護頭, mit einem abwärts geführten Schwert gegen Stechen verteidigen, Gua jian fang ci 掛劍防刺, oder Niedergrätschen und die Oberschenkel attackieren, Xiafu kan tui 下伏砍腿, waren mit diesen kurzen Schwertern kaum möglich.
Auseinandersetzungen auf Leben und Tod mit dem Schwert bzw. darin verwendete Techniken sollten sich mit der Entwicklung der Materialqualität und der äußeren Form des Schwertes
bis zur Zeit der Streitenden (481 – 221 v. Chr.) wesentlich verändern, obgleich uns auch dazu nur
relativ wenige schriftliche, kaum auf Technikbeschreibung spezialisierte Quellen erhalten geblieben sind.16 Wesentlich komplexere Fertigkeiten mit dem Schwert, auf größere Distanzen hin
und innerhalb größerer Räume, sind auf Grund folgender Faktoren als natürliche Entwicklung
der nun seit der Han-Zeit weiter im Volk verbreiteten Schwertkunst zu sehen: Klingenlängen von
ca. 1 Meter (auch länger), wesentlich schärfere Schneiden und Spitzen, stumpfe Block- und Abwehrbereiche in Länge von ca. 12 cm und der nun eingeführte Handschutz.
13
Siehe dazu das Werk <Handbuch zur Überprüfung von Schwert und Säbel>, Xiang jiandaoce 相劍刀冊 aus der
westlichen Han-Zeit; dieses Werk konnte in keiner der gängigen Bibliotheken und auch nicht über die modernen
Medien (z.B. Internet-Suchmaschine google.com) identifiziert werden; zitiert wurde hier folglich Yu Zhijun 于志鈞,
in: Li yü mei 力與美, Vol. 127, Taibei, 200, S. 46.
14
Siehe <Shiji> 史記, <Xiang Yü benji> 項羽本紀, Kapitel 7 卷 7, Druckblock 1 - 34, S. 143 -159.
15
Siehe dazu eine entsprechende frühzeitliche Erwähnung in <The Works of Motze>, Mozi 墨子, Taibei, 1980,
Buch VI, Kapitel <Sparsamkeit im Ausgeben II>, Jieyong zhong 節用中, Kap. 21. S. 243.
16
Ein auf Schwertkampfkunst spezialisiertes Werk aus der früheren Han-Zeit (3. Jh. – 1. Jh. v. Chr.) mit 38 Kapiteln
ist uns durch eine Erwähnung in der <Geschichte der (früheren) Han-Dynastie>, (Qian) Hanshu (前)漢書, <Monographie über Literatur>, Yiwenzhi 藝文志, verfasst von Ban Gu 班固 (32 – 92 n. Chr.), zwar in seiner ursprünglichen Existenz bekannt, leider aber längst verloren gegangen. Die entsprechende Stelle findet sich in <Die 25 Dynastie-Geschichten>, Ershiwu shi 二十五史, Vol. 3, Kapitel 30 卷 30, Druckblock 14, S. 695.
32
In <Zhuangzi> (莊子, ca. 365 – 290 v. Chr.), Kapitel <Erklärungen zum Schwert>, einem
aber ziemlich sicher erst in der Han-Zeit zugefügten Textteil, steht:
„König Wen liebte das Schwert, Schwertkämpfer und Krieger gab es über 3000 an seinem
Hof. Tag und Nacht kämpften sie vor ihm.“
An einer weiteren Stelle dort heißt es:
„Wer meisterlich mit dem Schwert umgehen kann, der zeigt dies durch Bescheidenheit
(Leere), setzt dieses Können vorteilhaft ein, zieht sein Schwert später, erreicht damit dennoch früher.“17
Auch der in China noch heute verbreitete Ausdruck kein (überlegener) Gegner im gesamten
Reich, Tianxia wudi 天下無敵, stammt aus diesem Kapitel, wo sich außerdem die Einzelteile
Spitze, Schneide, Grat, Knauf und Scheide des Schwertes erstmals metaphorisch definiert finden.
Die im gesamten Kapitel deutlich werdenden Anwendungen und Techniken, wie das Öffnen und
Schließen, Kaihe 開合, die Leere und Fülle, Xushi 虛實, und das später Ziehen (des Schwertes)
und den Gegner durchbohren, Houfa ci ren 後發刺人, machen weitaus komplexere Bewegungsabläufe deutlich, die zu Lebzeiten des Zhuangzi noch nicht in Gebrauch sein, erst mit
leichteren, längeren und schärferen, Han-zeitlichen Schwertern ausgeführt werden konnten. Dazu gehören auch Strategien wie z.B. etwas durch Leere anbieten, Shi zhi yi xu 示之以虛, womit
ein rationales Konzept umschrieben wird, in dem man sich zum eigenen Vorteil öffnet, Kai zhi yi
li 開之以利, also eine vorgespielte Schwachstelle den Gegner erkennen lässt. Dieses fintenhafte
Vorgehen, auch als Öffnen von Tür und Tor, Changkai menhu 敞開門戶, bezeichnet, verführt
den Gegner zum Vordringen und lässt ihn in eine gestellte Falle tappen. Während westliche und
Japanische Schwertkampfarten in der Auseinandersetzung die Waffen meist vor dem Rumpf positionieren, sich damit nach Chinesischer Auffassung sehr unflexibel verteidigen, sich selbst abschließen und den gegnerischen Angriff immer mit der Waffe blocken, so dass entsprechende
Geräusche hörbar werden, gilt im Chinesischen Waffengang das Gerät nur als eine Verlängerung
des Körpers, womit die grundlegenden Körperfertigkeiten weiterhin enorm wichtig sind. Äußerliche Schnelligkeit mit dem Schwert allein wird folglich für unzureichend gehalten. Ein späteres
Ziehen und früheres Erreichen, Houfa xianzhi 後發先至, beruht nämlich nicht auf Geschwindigkeit der Schwertaktionen, sondern vielmehr auf der Vorstellungskraft an erster Stelle, Yinian
wei xian 意念為先. Diese von westlichen und japanischen Schwertkämpfern oft in Frage gestellte Vorgehensweise von Kämpfern chinesischer Systeme mit scheinbar unmotiviert abgesenktem, fast nach unten hängendem Schwert erreicht ihre Effektivität durch ein Anheften der
17
Siehe <Gesammelte Erklärungen des Zhuangzi >, Zhuangzi jishi 莊子集釋, Abschnitt <Vermischte Kapitel>,
Zapian 雜篇, Kapitel 30, <Shuojian> 說劍, S. 1016 + 1019; das gesamtes Kapitel umfasst die Seiten 1016 - 1023
(Reprint, Taibei, 1974).
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eigenen Vorstellungskraft an den Gegner, so dass ein Antizipieren der gegnerischen Aktionen,
wie in vielen waffenlosen Handformen auch, eine Kontrolle der gegnerischen Aktionsentwicklung gestattet.
Diese für viele chinesische Kampfkünste ganz charakteristischen mentalen Konzepte stammen also tatsächlich aus der alten Han-Zeit und erstrecken sich auf zahlreiche Aspekte der entsprechenden Künste. Bezüglich der angeführten Textstelle aus <Zhuangzi> soll aber nicht verschwiegen werden, dass mit dort beschriebenen Schwerttechniken des Herrschers, der Minister
und der freien Untertanen sicherlich auch oder gar vor allem nicht-martialische, also rein philosophische Inhalte transportiert werden sollten. Zhuangzi’s Ausführungen sollten nämlich nachträglich den den Schwertkampf liebenden König Wen von Zhao, Zhao Wen wang 趙文王 (ca. 4.
Jh. v. Chr., König eines kleinen Teilstaats im Nordosten Chinas), und folgende Herrscher davon
überzeugen, dass die sorgsame Regierung eines Territoriums wichtiger sei, als dem Schwertkampf mit unnötigen Opfern zu frönen. Angesichts einer solchen Verbreitung des Schwertkampfes verwundert es auch nicht, dass bereits seit der Zeit des Huainan-淮南-Königs Liu An 劉安
(175 – 122 v. Chr.) nachweislich viele gegenseitige Herausforderungen nicht ohne Verletzungen
abgelaufen sind. Trotz dieser blutigen Auseinandersetzungen und den Warnungen des Philosophen Zhuangzi sollte die Popularität des Schwertes aber weiter zunehmen, und schon in der
westlichen Han-Zeit, unter Kaiser Wudi 武帝 (reg. 140 – 87 v. Chr.), scheinen einige Gelehrte
die Essenzen der Schwertkampfkunst schriftlich niedergelegt zu haben, da uns der schon erwähnte Buchtitel <37 Kapitel des Schwert-Weges>, Jiandao sanshiqi pian 劍道三十七篇, aus
der wichtigsten Bibliographie18 der Han-Zeit bekannt ist, wenn gleich der Text selbst leider nicht
mehr erhalten ist. Sima Qian (司馬遷, ca. 145 – 90 v. Chr.), der Verfasser der <Aufzeichnungen
eines Historikers>, machte in seinem Werk außerdem ganz klar, dass Schwertmeister seiner Zeit
bereits voll professionell arbeiteten und ihre Künste gegen die Gunst von höher Gestellten und
deren Geld weitergaben und veräußerten.19
Eine weitere klassische Quelle findet sich im <Garten der Überredung> von Liu Xiang 流
向 (77 – 6 v. Chr.), im Kapitel 15 <Hinweise auf Kampf(kunst)>, wo wir folgendes lesen können:
„Unterdrückung führt zu Reaktion, Wahrnehmung lässt einem das Schwert ergreifen. Verwirrend und (doch) majestätisch ohne Ende, Veränderungen ohne Form und Anzeichen.
Wiederholt ganz nachgebend, immer aber nachfolgend, wie ein Schatten, wie der Schall.“20
18
Aufgelistet in <Monographie über Literatur>, Yiwenzhi 藝文誌, in: <Geschichte der (früheren) Han-Dynastie>
Qianhan- shu 前漢書, Kapitel 30 卷 30, Druckblock 14, S. 695, verfasst von Ban Gu班固 (32 – 92 n. Chr.).
19
Siehe Sima Qian, <Shiji>, 史記, <Taishigong zixu> 太史公自序, hier zitiert nach Lin Boyuan 林柏原, Taibei,
1996, S. 65.
20
Siehe <Garten der Überredung>, Shuiyuan 說苑, von Liu Xiang 流向 (77 – 6 v. Chr.), Kapitel 15 <Hinweise auf
Kampf(kunst)>, Zhi wu 指武, hier zitiert nach Yu Zhijun 于志鈞, in: Li yü mei 力與美, Vol. 128, Taibei, 2000, S.
58.
34
Hier werden die Konzepte des Wahrnehmens und Reagierens, Ganying 感應, sowie der Formlosigkeit und Anzeichenlosigkeit, Wuxing wuxiang 無形無象, und des Wie der Schatten, wie der
Schall, Ru ying ru xiang 如影如響, beschrieben, was ebenfalls auf bereits fortgeschrittene Niveaus in der Schwertkampfkunst verweist. Schon in der Han-Zeit wurde also das Schwert in Aktion mit einem Schatten verglichen, der dem Gegner ununterbrochen nachfolgt, oder wie der
Schall beschrieben, der gewöhnlich in alle Ecken und Ritzen des Raumes eindringt. Interessanterweise finden sich außerdem die später im Taijiquan 太極拳 der Inneren Schule, Neijia 內家,
so wichtig werdenden Strategien des Mit Weichem Hartes überwinden, Yi rou ke gang 以柔克剛,
und Sich selbst hintanstellen und dem Gegner nachfolgen, She ji cong ren 捨己從人, wenn auch
etwas verkürzt, in dieser über 2000 Jahre alten Quelle doch bereits eindeutig identifizierbar.
Auch die <Frühlings- und Herbstannalen von Wu und Yue>, die angeblich in der zweiten
Hälfte des 1. Jh. v. Chr. von Zhao Ye (趙曄) verfasst und erst 1306 n. Chr. wieder neu aufgelegt
worden sind, beinhalten im Kapitel 9 ausführliches Material zum Umgang mit dem Schwert, abgegeben von einer Frau aus dem Reich Yue (越女, Yue Nü, unbestimmte Lebensdaten, siehe
Abb. 29):
„Dieser Weg (der Schwertkampfkunst) ist sehr obskur und mysteriös, seine Bedeutungen
sind verborgen und tiefgründig. Der Weg kennt Tür und Tor, weil es Yin und Yang gibt. Das
Öffnen einer Tür, das Schließen eines Tors, das Vergehen von Yin, das Aufblühen von Yang.
Alle (korrekten) Wege des (Schwert)-Zweikampfes sind innerlich erfüllt von körperlich-geistigem Elan, äußerlich zeigen sie ruhiges Kalkül. Sie sehen sich wie eine vortreffliche Frau an, im Kampf aber werden sie wie ein wilder Tiger. Gekleidet in (äußere) Formen,
auf die (günstige) Gelegenheit (zum Einsetzen der aufgespeicherten Techniken) wartend, in
Abfolge mit der (vorhergehenden) Imagination. (In den Schritten vor und zurück) strahlend
wie die Sonne, geschwind (nach links und rechts) fliegend wie ein springender Hase. (Mit
dem Schwert) in den Figuren dem eigenen Schatten folgend, ähnlich dem strahlenden Glanz.
Die Atmung kommt und geht, ohne Eile, Regel oder Verbot. Vertikal und horizontal (im
Rechteck), nachfolgend und entgegen (im Kreis) verlaufend, vordringend, zurückziehend
und ohne Geruch (Gewohnheit). Wer diese Kunst beherrscht, steht als einzelner für 100, als
100 für 10000.“21
Obwohl der in diesem Werk beschriebene Zeitraum noch in die Streitenden Reiche fällt, erscheint es doch klar, das auch hier Han-zeitliche Kampfkunstmethoden beschrieben wurden; wir
entdecken darin z.B. die Yijing-易經-Lehre mit ihrer Theorie vom Taiji und Yinyang, Taiji Yinyangshuo 太極陰陽說 (erst in der Han-Zeit richtig ausformuliert), aber auch Hinweise zum ge21
Siehe <Frühlings- und Herbst-Annalen der Reiche Wu und Yue>, Wuyue chuqiu 吳越春秋, Kapitel 9 <Äußere
Tradierung des Königs Gou Jian von Yue>, Gou Jian yinmou waizhuan 勾踐陰謀外傳, S. 306, kommentierter Reprint Taibei, 1996. Eine entsprechende deutsche Übersetzung von Werner Eichhorn, Wiesbaden, 1969, konnte wie
erwähnt vor Ort in Taiwan leider nicht eingesehen werden.
35
Abb. 29: Yue Nü zeigt ihre Schwertkunst, Steinabreibung, ca. 2000 Jahre alt (Han-Zeit)
räusch- und gestenlosen Einsatz des Schwertes finden sich (man denke an die schreienden Japaner!), und vor allem erkennen wir wieder das Charakteristikum Innerer Chinesischer Kampfkünste, nämlich die frühzeitige, antizipierende und immer agile Vorstellungskraft. Weitere Angaben zu Techniken und Methoden aus der Schwertkunst beschreiben Verfahrensweisen mit den
offensichtlichen Widersprüchen von Fülle und Leere, Zuerst und Später, Innen und Außen,
Weichheit und Härte. Außerdem sind damit auch Anforderungen an Bewegungsgeschwindigkeit,
Bewegungslinie des Schwertes sowie nach einer natürlichen Atmung gegeben, die zu jener Zeit
wegen der zahlreichen Atemregelungen und diesbezüglicher Vorschriften und Verbote der Qi-氣
-Experten nicht selbstverständlich gewesen war. So manche der angedeuteten, über 2000 Jahre
alten Techniken werden daher dem modernen Schwertübenden nicht unbekannt sein und u. U.
sehr viel sagend klingen. Das Können und Wissen dieser Frau aus Yue zum Schwertkampf findet
sich im Buch <Abwägung der Lehrmeinungen> von Wang Chong (王充, 27 – ca. 100 n. Chr.),
Kapitel <Weitere Durchdringungen>22 eindeutig bestätigt, denn dieser Autor wird in Sinologenkreisen als absolut verlässlich angesehen, womit die Existenz fortgeschrittener Schwerttechniken
kurz vor Christi Geburt in China als belegt gelten muss.
Zur Zeit der östlichen Han-Dynastie (Donghan 東漢, 25 – 220 n. Chr.) hatten nun längere
Eisen- und Stahlschwerter (siehe Abb. 30) Bronzeausführungen längst ersetzt, größere Härte und
Schärfe waren damit einhergegangen, ebenso wie weitere Entwicklungen an der Parierstange
(auch Handschutz genannt), am Griff und am Knauf, wodurch viele der angesprochenen Techni-
22
Siehe Wang Chong, <Lunheng> 論衡, Kapitel <Bietong> 別通, vollständig übersetzt von Alfred Forke, 2 Bde.,
London, 1907 – 1911. Es existieren zahlreiche Chinesische Ausgaben, z.B. in <Neu-Edition der Sammlungen aller
Meister>, Xinbian zhuzi jicheng 新編諸子集成 Vol. 7, Taibei, 1977. Hier zitiert nach Fan Zhengzhi 樊正治, in: Li
yü mei 力與美, Vol. 111, Taibei 1999, S. 53.
36
Abb. 30: Steinrelief aus der Han-Dynastie mit ca. 1 m langen Eisen- bzw. Stahlschwertern
(3. Jh. v. Chr. – 3. Jh. n. Chr.)
ken erst möglich geworden waren. Aus dem 2. Jh. n. Chr. stammt dann folglich auch die erste
schriftliche Definition des Schwertes als extrem wirksame Waffe mit Einzelheiten zu den genannten Teilen des Han-zeitlichen Schwertes.23 Obwohl das Militär bereits den Säbel eingeführt
hatte, so galt das Üben der Schwertkunst unter vielen freien Meistern im Mondschein oder bei
Tagesgrauen als Ausdruck besonderer Fertigkeiten im Umgang mit dieser Waffe.
Aber auch die Machthaber jener Zeit, wie etwa der Begründer24 der Wei-魏-Dynastie (220 –
264 n. Chr.) in der Epoche der Drei Reiche, Sanguo 三國 (221 – 264 n. Chr.), haben noch eigenhändig mit dem Schwert Politik gemacht, so dass es nicht verwundert, wenn von solchen
23
Siehe dazu <Erklärungen von Namen>, Shiming 釋名, <Erklärungen von Kriegern>, Shibing 釋兵, von Liu Xi
劉熙 (2. Jh. n. Chr.), hier zitiert nach der Internet-Quelle http://www.knight.tku.edu.tw/knight/fight/ftp5.htm. Dieses 136 Seiten umfassende Werk findet sich ansonsten auch in der Sammlung <Sibu congkan>, Chubu, 13 四部叢
刊, 初部, 13.
24
Siehe dazu <Wudiji> 武帝紀, in: <Sanguozhii> 三國志, <Weishu> 魏書, Kapitel 1 卷 1, Druckblock 4, S. 10.
37
Persönlichkeiten gar Interesse an bestimmten Schwertschulen oder Schwerttechniken überliefert
ist. Als der Nachfolger Kaiser Wen 文帝 (auch Cao Pi 曹丕 genannt, Regierungszeit 220 –
227 n. Chr.) der Wei-Dynastie einmal mit einem mächtigen General bei einem Festgelage beisammen saß, soll Cao Pi des Generals Fertigkeit mit leeren Händen gegen blanke Klingen
(kämpfen), Kongshou ru bairen 空手入白刃, getestet haben. Er hatte als Schwertersatz eine
Zuckerrohrstange verwendet und den General, der es gewöhnlich mit fünf Gegnern gleichzeitig
aufnehmen konnte, dreimal an den Armen getroffen und zu guter Letzt gar die Stirn des Generals
erfolgreich attackiert. Natürlich durfte der wohl bessere (Schwert)-Kämpfer, der General gar
nicht gegen seinen Kaiser gewinnen, aber trotzdem werden in der Aufzeichnung die Techniken
des Spaltens, Pi 劈, des Nach-oben-Kreisen, Liao 撩, des Aufwühlens, Tiao 挑, des Schlitzens,
Jie 截, des Hauens, Kan 砍, und des Hackens, Duo 剁25 erwähnt, die sich in späteren Zeiten
und diversen Stilen des Schwertkampfes immer wieder finden. Die beschriebene humorvolle
Auseinandersetzung26 zeigt uns erneut, wie weit die Technikausreifung bereits gediegen war, und
manche interpretieren diese Aufzeichnung gar dahingehend, dass der Kaiser wirklich über eine
vortreffliche Schwerttechnik verfügt hätte, weil er vor seiner Thronbesteigung angeblich bei
zahlreichen Schwertmeistern nah und fern gelernt hätte. Häufige Herausforderungen, Zweikämpfe und Wettkämpfe mit dem Schwert waren demnach in allen Gesellschaftsschichten an der
Tagesordnung.
Aus der Jin-晉-Dynastie (265 – 419 n. Chr.) ist uns das Werk <Abhandlung zu Kurzwaffen>,
Duanbingpian 短兵篇27 überliefert, in dem die Überlegenheit des Schwertes gegenüber anderen
Kurzwaffen beschrieben ist. Diese und andere Stellen im klassischen Schrifttum Chinas28 lassen
jedenfalls deutlich werden, dass im geteilten Reich der Mitte um das 3. Jh. n. Chr. herum in privaten und nicht-militärischen Kreisen die Schwertkunst nicht nur zur Körperertüchtigung, sondern weiterhin als Kampfkunst gepflegt worden war. In den entsprechenden Geschichtsaufzeichnungen finden sich zahlreiche Passagen zu Würdenträgern, die sich viele Schwertkämpfer
wie Angestellte auf dem eigenen Anwesen hielten und oft über ihre Neigung zur Schwertkampfkunst ganz ihre eigentlichen Pflichten vernachlässigten.
Aus der Süd-Nord-Dynastie (Nanbeichao 南北朝, 420 – 589 n. Chr.) wissen wir um die
Schmiedung von 13 schon erwähnten Wunderschwertern29, Shenjian 神劍, mit entsprechend
mystischen Klingengravuren durch Xie Ping 謝平 u.a., wobei die allgemein eher okkulten
25
Siehe Kaiser Wen (Regierungszeit 220 – 227 n. Chr.), <Abhandlung der Zeremonien> Dianlun 典論, <Eigenes
Vor- wort>, Zixu自序, hier zitiert nach Kang Gewu 康戈武, Beijing, 1990, S. 233 und Yu Zhijun 于志鈞, in: Li yü
mei 力與美, Vol. 128, Taibei, 2000, S. 59/60. Das Original dazu findet sich in: <Sanguozhii> 三國志, <Weishu>
魏書, Kapitel 2 卷 2, <Wendi (Pi)>, 文帝(丕), Druckblock 1 - 28, S. 35 - 48.
26
Eine ansprechende Übersetzung dieser Geschichte findet sich in: Barbara Davis, Berkeley, 2000, S. 11 und Anmerkungen 23, 24 (S.86 – 88).
27
Hier zitiert nach Zhang Chunben 張純本 und Cui Lequan 崔樂泉, S. 153, Taibei, 1993.
28
Siehe dazu Chen Tianyang 陳天陽, Taibei 1998, S. 156 ff., wo einige solche Werke aus der Zeit der Drei Reiche
bzw. Geschichtswerke über diesen Zeitraum aufgelistet werden.
29
Hier zitiert nach Zhang Chunben 張純本 und Cui Lequan 崔樂泉, S. 153, Taibei, 1993; auch zu finden in Chen
Tianyang 陳天陽, Taibei 1998, S. 157.
38
Strömungen der damals aktiven synkretischen Anhänger einer verschmolzenen Lehre des Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus dem Schwert eine entsprechende Rolle als Ritualobjekt
haben zukommen lassen. Die allmählich abnehmende realistische Verwendung des Schwertes als
Waffe im militärischen Kampf lässt sich auch anhand der seit der Jin-Zeit populärer werdenden
Holzschwerter30 (vor allem das Holz des Pfirsich-Baumes wurde dazu verwendet) belegen, die
aber weiterhin mit Jade und Halb- und Ganzedelsteinen verziert worden waren und unter Umständen ebenso schwer verletzen konnten. Neben den stechenden Nachkampf-Attacken, Ciji 刺
擊, waren nunmehr auch aus der Distanz vorgetragene Angriffsvarianten bekannt, Yaoji 遙擊.
Weitere Fortschritte in den Techniken der Schwertführung lassen sich im Folgenden mit einer schriftlichen Quelle des 6. Jh. n. Chr. gut belegen, weil in dem Werk <Auslese aus der Literatur>31 von Xiao Tong 蕭統 (501 – 531 n.Chr.), dem ältesten Sohn des Liang-梁-Kaisers Wudi
(Regierungszeit 502 – 549), die Technik des auf eine Verbindung reagieren und eindringen, Ying
jie ru 應節入, erstmals auftaucht. Diese Technik sollte später als das Position zerschlagen, Powei 拍位 oder Kampf mit Wissen um die Zerschlagung des Gegners Position, Zhipo renjunmen
知拍任君門, bekannt werden, und für alle Schwertübenden deutlich und klar ersichtlich handelt
es sich hier darum, die Verbindungsstellen in den gegnerischen Aktionen zwischen Angriff und
Abwehr zu erkennen, wo man durch fortwährendes Nachfolgen dann blitzartig und sehr erfolgversprechend eindringen kann.
In den folgenden Dynastien der Sui (隋, 581 – 518 n. Chr.) und Tang (唐, 618 – 907 n. Chr.)
gewährten weitere Fortschritte in der Schmiedekunst und der Schwertführung dieser Waffe eine
weite Verbreitung in ganz unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft und in zahlreichen Varianten, vor allem weil das Militär für die Mehrzahl der Soldaten bereits verbindlich den Säbel
vorgeschrieben hatte. Es wird ersichtlich, dass nunmehr entsprechende Techniken und Kunstfertigkeiten im Umgang mit dem Schwert in bestimmten, meist nicht-militärischen Kreisen als kultureller Ausdruck verstanden, kontrovers diskutiert und die Schwerter selbst als Kunstobjekte
betrachtet wurden. Auf zahlreich erhaltenen Steinabreibungen dieser Zeitepochen lassen sich
daher entsprechende Schwerter in kurzen und langen Ausführungen, mit und ohne Handschutz
für den einhändigen und auch zweihändigen Gebrauch erkennen, die den heutigen Schwertformen doch schon erstaunlich ähnlich sehen (vergleiche Abb. 16, 17, 18; siehe Abb. 31 u. 32).
Während die langen, noch zweischneidigen und geraden Doppelhandschwerter später in Japan ebenfalls auf die weitere Entwicklung der berühmten Katana Einfluss nehmen sollten, wurde der
seit der Tang-Zeit bekannte Gebrauch dieser Formvarianten in China zu Gunsten des mittellangen,
einhändig zu führenden und am Gürtel getragenen Schwertes in privaten Kreisen später fast gänz-
30
Siehe dazu <Geschichte der Jin>, Jinshu 晉書, den <Aufzeichnungen zu Sänften und Kleidungen, 15>, Yufuzhi
輿服志 15, Kapitel 25, juan 卷 25, Druckblock 25, S. 365 und <Geschichte der Song>, Songshu 宋書, den <Aufzeichnungen zu Riten, 5>, Lizhu wu 禮志五, Kapitel 18, juan 卷 18, Druckblock 14, S. 254.
31
Siehe Xiao Tong, <Wenxuan> 文選, Kapitel <Zuosi> 左思, <Rhapsodie über die Hauptstadt Wu>, Wudu fu吳都
賦, hier zitiert nach Yu Zhijun 于志鈞, in: Li yü mei 力與美, Taibei, 2000, Vol. 128, S. 60.
39
lich32 aufgegeben, wohl weil dieses leichter und zu Selbstverteidigungszwecken auch agiler einzusetzen war.
Abb. 31: Mit Langschwertern bewaffneten Lanzenträger, Steinabreibung, 643 n. Chr.
Abb. 32: Truppenkommandant mit Kurzschwert, Steinabreibung, 711 n. Chr.
Interessanterweise nahm im Chinesischen Schrifttum aus jener Zeit die Anzahl eigenartiger
Geschichten zu wundersamen Schwertmeistern und ihren so besonderen Schwertern enorm zu;
im Gegensatz zu früheren Zeiten (z.B. der Han-Dynastie) lassen sich aber nur ganz wenige, aussagekräftigen Quellen direkt zu Schwerttechniken bzw. Neuerungen oder Ergänzungen dazu finden. Eine dieser in entsprechenden Quellen mit einem neuen Terminus bezeichneten Techniken,
nämlich das Hochschleudern oder Hochwerfen des Schwertes, Zhijian 擲劍, kann bereits in
32
Eine Wiederbelebung dieser Tradition in rein militärischen Kreisen dürften die Techniken des zweihändig geführten Säbels (nunmehr einschneidig und gekrümmt) darstellen, die vor allem unter dem General Qi Jiguang (戚繼光
1528 – 1582 n. Chr.) in China wieder weit verbreitet waren. Da es sich dabei aber eben um einschneidige gekrümmte Waffen handelte, die unter die Bezeichnung Säbel fallen, wird hier nicht näher darauf eingegangen. Der große
Unterschied wird durch eine fehlende obere Schneide klar ersichtlich, die den Einsatz des zweischneidigen Schwertes so enorm flexibel gestaltet.
40
ganz frühen Quellen33 nachgewiesen und muss wegen des entsprechenden Zusammenhangs eher
als akrobatische Fertigkeit gesehen werden, die daher im Bereich der tänzerischen Schwertvorführungen einer Soloform, also ohne Partner oder Gegner, anzusiedeln ist. Zum Teil könnte damit aber auch das Werfen von längeren Dolchen (Kurzschwerter von ca. 15 cm Länge) aus den
Gewandärmeln heraus gemeint gewesen sein, was dann durchaus auch als ernsthafte Technik im
Zweikampf zu sehen wäre. Jedenfalls scheint aufgrund in der Literatur fehlender Belege zu weiteren, einschneidenden Fortschritten in den realistischen Technikausübungen des Schwertkampfs
die Ausreifung im Umgang mit dem einhändig geführten, längeren Schwert wirklich schon im
6./7. Jahrhundert größtenteils abgeschlossen gewesen zu sein. Natürlich hat es unter bestimmten
Vertretern und auch innerhalb gesonderter Schulen und Stile lange Zeit, vielleicht gar bis in die
Gegenwart hinein, weitere Veränderungen und zahlreiche Abwandlungen von Basistechniken im
Umgang mit dem Schwert im Zweikampf gegeben. Diese müssen aber als stilspezifisch und
nicht bahnbrechend oder grundlegend neu eingestuft werden, und entsprechende Quellen sind
daher auch als solche Stil- und Schulschriften zu identifizieren. Zu einem Stillstand in der Entwicklung von völlig neuartigen Schwerttechniken mag aber auch die Tatsache beigetragen haben,
dass in den folgenden Epochen zahlreiche andere, traditionell Chinesische Waffenarten eine
weitere Verbreitung in Militär- und Zivilkreisen gefunden haben, so dass intensive Auseinandersetzungen mit Schwerttechniken nicht mehr stilübergreifend auf Effektivität hin entwickelt, sondern vor allem schulspezifisch und auch hinsichtlich ästhetischer Aspekte im Schwerttanz betrieben worden waren. Interessanterweise wird nämlich bereits in den Schriften der
Ming-Dynastie der schon angesprochene Verlust echter Schwertkampfkunst beklagt, und eine
Suche nach echten Schwertgeheimnissen lässt sich für den entsprechenden Zeitraum eindeutig
feststellen.
Weitere Angaben zu oben schon erwähnten, grundlegenden und dann auch speziellen Techniken34 im realistischen Einsatz finden sich fortwährend in der Chinesischen Geschichte, bis hinein in populäre Kampfkunst-Literatur der Moderne. Meist aber sind diese Werke eben bereits auf
Stile und Schulen bezogen oder beinhalten Auflistungen solcher. Die wichtigsten, nunmehr eng
auf Schulen und Stile bezogenen Werke, die Schwerter beschreiben und/oder Schwertformen
(insgesamt sechs wichtige Schulen des Schwertkampfes finden sich darin) beinhalten, sollen der
Vollständigkeit halber hier aber trotzdem angeführt werden. Da es sich jeweils um schon ganz
spezifische Varianten der Schwertführung handelt, können jeweilige Techniken, die im einen Stil
betont, im anderen verpönt waren, wegen des enormen Umfangs jedoch leider nicht näher dargestellt werden.
Im Zeitraum von 1522 bis 1566 n. Chr. (möglicher Publikationsperiode) schrieb Tang
Shunzhi (唐順之, 1507 – 1560 n. Chr.) in seinem Werk <Kampf(kunst)kompilation>, Wubian
武編 unter einem Kapitel zu zahlreichen Waffen auch eingehend zum Schwert. Darin werden
33
Siehe folgendes Kapitel <Der Schwerttanz als Soloform> der vorliegenden Arbeit.
Zur in der Ming-Zeit stattfindenden Spezialisierung in allen Bereichen Chinesischer Kampfkünste im Allgemeinen siehe in Boyuan 林伯原, Taibei 1996, S.293 - 299.
34
41
aber nur die bekannten allgemeingültigen Aussagen zum Schwert in einem <Geheim(lied) vom
Schwert>, Jianjue 劍訣, zusammenfassend wiederholt, dann aber überwiegend differenzierte
Stile, Schulrichtungen und deren Spezialtechniken vorgestellt und keineswegs allgemein gültige
Technikneuerungen besprochen.35 Ähnlich verhält es sich mit vielen im Folgenden erwähnten
Schriften: 1565 n. Chr. beschrieb Yu Dayou (俞大猷, 1504 – 1580 n. Chr.) in seinem Werk
<Sammlung der Halle des korrekten Qi>, Zhengqitang ji 正氣堂集, unter dem Titel <Schwertklassiker>, Jianjing 劍經, die Anwendung bestimmter Techniken einer Schule für eine Langschwert-Version im Lanzen- und Stockkampf und hat als großer Schwertmeister selbst scheinbar
starken Einfluss auf die Schwertkünste des Shaolin-Tempels (Shaolinsi 少林寺) gehabt.36 1591
n. Chr. folgte das Werk <Schlacht-Aufzeichnungen>, Zhenji 陣記 von He Liangchen (何良臣,
Ende 16., Anfang 17. Jh. n. Chr.) mit weiteren Stil-Beschreibungen, auch bezüglich des Schwertes (fünf wichtige Schwert-Schulen werden erwähnt) und anderer Waffen, eines der wenigen
Kampfkunst-Bücher, das in die Sammlung <Sämtlichen Schriften in Vier Abteilungen>37, Siku
quanshu 四庫全書, Eingang finden sollte. Neben einer ganzen Reihe unterschiedlichster Werke
zu verschiedensten Waffen (vor allem Lanzen- und Stocktechniken, nach Song-Begründer Taizu
[太祖, reg. 960 – 976 n. Chr.] und aus dem Shaolin-Tempel [Shaolinsi 少林寺])38 aus jenen Tagen sticht dann das 1621 n. Chr. veröffentlichte Werk <Waffen-Gazetten>, Wubeizhi 武備誌,
von Mao Yuanyi 茅元儀 (schrieb an dem Werk von 1621 bis 1637 n. Chr.) bezüglich des
Schwertes hervor. Diese Schrift ist als ein eigenständiges Kampfkunst-Buch entstand, in dem
sich zwei ganze Kapitel speziell und ausschließlich zum Aufbau des und zum Umgang mit dem
Schwert finden. Es gilt bis heute als umfassendstes Werk zum traditionellen Chinesischen
Schwert, auch wenn ganz klar ersichtlich eine mit beiden Händen zu führende Langschwertform
im Mittelpunkt steht. Mit dem <Geheimlied vom Schwert>, Jianjuege 劍訣歌, nach Tang
Shunzhi und den 38 Techniken des Chaoxian-朝鮮-Stils aus dem alten Korea gilt es als sehr detailliert und ausführlich. Darin finden sich außerdem drei neue Techniken mit den Termini Bedecken (Gai 蓋), Wischen (Mo 抹) und Rotieren (Gun滾) erwähnt, im Zusammenhang mit einer
beschriebenen Form des Doppelschwertes. Des weiteren finden sich die noch heute bekannten
Techniken des Säuberns (Xi 洗) und Widerstehens (Ge 格) angeführt. Trotz des Versuches, die
realistischen Anwendungen dieser Techniken zu erfassen und zu beschreiben, merkte aber Mao
in seinem Werk ganz bewusst an, dass das Schwert bereits zu seiner Zeit schon lange keine Ver35
In den <Gesammelten Schriften des Herrn Tang Shuzhi>, Tang Shunizhi xiansheng zhi weniji 唐順之先生文集,
des selben Autors aus dem Jahr 1549 wird interessanterweise auch ein <Lied vom Japanischen Säbel>, Reben Daoge
日本刀歌 geführt, in dem die von japanischen Piraten verwendeten einschneidigen Katana beschrieben werden. Da
die hier gewählte Definition einschneidige Waffen mit gekrümmten Klingen als Säbel kategorisiert, wird auf solche
Waffen in dieser Arbeit nicht eingegangen.
36
Siehe dazu die Angaben bei Zhang Chunben 張純本 und Cui Lequan 崔樂泉, Taibei, 1993, S. 268.
37
Diese fast 80000 Werke umfassende kaiserlichen Buch-Sammlung wurde von 360 Gelehrten in den Jahren 1772 –
1782 n. Chr. erstellt und beinhaltet praktisch alle zugänglichen Bücher und unveröffentlichten Manuskripte der entsprechenden Zeit. Noch heute gilt es in diversen Reproduktionen als die wichtigste Quelle für alle am Chinesischen
Schrifttum interessierten Sinologen.
38
Man bedenke, dass das Schwert in jener Zeit gegenüber dem Säbel, der Lanze und dem Stock schon viel an Popularität verloren hatte.
42
wendung mehr auf dem Schlachtfeld gefunden hatte.
Ebenfalls ein <Geheim(lied) vom Schwert>, Jianjue 劍訣, und auch noch ein <hinteres
Geheim(lied) vom Schwert>, Hou jianjue 後劍訣, enthält das 1662 veröffentlichte Buch <Aufzeichnungen zu Hand und Arm>, Shoubilu 手臂錄, das Wu Shu (吳殳﹐1611 – 1695 n. Chr.)
verfasste39, dessen Schwerpunkt aber eigentlich wieder bei anderen Waffen lag. In den wenigen
Seiten zum Schwert wird jedenfalls eine Einhandführung eines kürzeren Schwertes nach einem
alten Herrn aus Yuyang, 漁陽老人 beschrieben, erneut mit dem Hinweis, dass echte Meister
der Kunst nicht mehr zu finden seien. In diese Zeit fällt des weiteren die Entstehung einer ersten
Quelle namens <Rhapsodie zum Schwerttanz>, Wujianfu 舞劍賦, in der Song Cunbiao 宋存標
(1625 – 1666 n. Chr.) von den gesundheitsförderlichen Aspekten des Schwertkampfs berichtete.40 Eine Form des Doppelschwerts, Shuangjian 雙劍, findet sich im <Buch des Kampfes und
der Techniken des Chang-Clans>, Changshi wujishu 萇氏武技書, geschrieben von Chang
Naizhou (萇乃周, 1724 – ca. 1783 n. Chr.). Ein 1725 n. Chr, nach 19 Jahren der Kompilation
entstandenes, weiteres Sammelwerk Chinesischer Literatur, die <Vollständige Sammlung von
Illustrationen und Schriften aus alter und neuer Zeit>, Gujin tushu jicheng古今圖書集成, von
Chen Menglei (陳夢雷, ca. 1680 – ca. 1730 n. Chr.), enthält unter den entsprechenden Rubriken
zahlreiche Abbildungen zu den gängigen Waffen, also auch zum Schwert, aber keinerlei Technik-Beschreibungen. Und auch ein im heutigen Korea bereits 1598 n. Chr. erstmals publiziertes,
auf Chinesischen Quellen basierendes Buch, die <Durchgängigen Aufzeichnungen zu graphischen Kampfkunst-Darstellungen>, Wuyi tupu tongzhi 武藝圖譜通誌, beinhaltet vor allem in
den Neuauflagen von 1759 n. Chr. und 1790 n. Chr. Abbildungen und Beschreibungen von
Schwert- und Doppelschwertformen auf dem Pferderücken41 und anderes interessantes Bildmaterial. Für die Qing-Dynastie wäre dann noch das Buch <Wahre Tradierung der Schwertmethodik>, Jianfa zhen zhuan 劍法真傳, von Song Gengping 宋賡平 (Ende 19./Anfang 20. Jh.), zu
nennen42, während der General Li Jinglin 李景林 (1885 - 1931 n. Chr.) am Anfang der Republik als Meister in der Wudang-Schwert-Methodik, Wudang jianfa 武當劍法, galt und diese
1928 auf Einladung der Zhirou-Kampfkunstvereinigung, Zhirou quanshe 致柔拳社, auch öffentlich vorgeführt hat. Seine Kalligraphie mit dem Titel <Der Glanz des Schwertes erreicht die
Wolken>, Jianguan ling yun 劍光凌雲, ist uns in Chen Weiming’s <Taiji Sword and other wri-
39
Siehe Wu Shu 吳殳, Reprint Taibei 1996, S. 161/2. In diesem neu aufgelegten, Chinesischen Werk findet sich auf
S. 165 auch ein <Nachtrag zum (Geheim)lied vom Schwert> und zahlreiche andere, für Waffentechniken sehr ergiebige Schriften sowie Zeichnungen zu Säbel- und Lanzentechniken.
40
Siehe dazu die Angaben bei Zhang Chunben 張純本 und Cui Lequan 崔樂泉, Taibei, 1993, S. 269.
41
Die meisten Ausführungen dieses Abschnitts sind entnommen aus Songtian Longzhi 松田隆智, Kapitel 1 <Antike Schriften Chinesischer Kampfkünste>, Zhongguo wushu guji 中國武術古籍, S. 1 – 49, Taibei, 1986.
42
Dieses Buch wurde 1983 unter dem Titel <Graphische Erklärungen zur Schwert-Methodik>, Jianfa tushou 劍法
圖說, in Taibei neu aufgelegt und publiziert. Es enthält spezielle Neigong-內功-Übungen für die Schwertkunst,
Schwertformen mit 7, 13, 24, 44, 108 und 152 Figuren sowie zahlreiche kurze Aufsätze zum Doppelschwert, zur
Bein- und Handarbeit im Schwertkampf, zu Partnerübungen mit Schwertern und Anweisungen zum Schmieden von
Klingen und erstellen von Holzschwertern.
43
tings>43 überliefert (siehe Abb. 33). Diese Form wird noch heute so von Guo Qifeng 郭岐風
(auch häufig mit der Baguazhang-八卦掌-Schule in Verbindung gebracht, war vor allem in den
Abb. 33: Kalligraphie von Li Jinglin (1885 – 1931 n. Chr.)
50er bis 80er Jahren als Lehrer aktiv) und seinen Schülern tradiert und weitergegeben.44 Grundsätzlich aber muss angemerkt werden, dass in der oben genannten, ansonsten so umfassenden
Büchersammlung <Sämtliche Schriften in Vier Abteilung>, wo gewöhnlich zu allen Künsten und
Kunstfertigkeiten entsprechende Werke Eingang gefunden haben, nicht viele Hinweise auf die
Schwertkunst zu finden sind.45 Modernere Bücher über die Schwertkunst verschiedener Schulen
und Stile dagegen sind in Chinesischer, inzwischen aber auch in westlichen Sprachen sehr zahlreich erschienen, auch wenn deren Gehalt den Informierten gelegentlich sehr erstaunen lässt.
43
Dieses Taiji-Buch von einem der wichtigsten Schüler von Yang Chengfu (楊澄甫 (1883 – 1936 n. Chr.), Chen
Weiming 陳微明 (1881 – 1958 n. Chr.), liegt bereits in englischer Übersetzung von Barbara Davis vor (Berkeley,
2000).
44
Entsprechende Angaben sind entnommen aus dem Magazin <Chinese Martial Arts Research>, Guoshu yanjiu 國
術研究, Vol. VI (1994/12), S. 93 und Lin Boyuan 林伯原, Taibei, 1996, S. 439 – 440.
45
Diese Aussage hat einer der letzten großen Taiji-Meister dieses Jahrhunderts, Wu Tunan 吳圖南 (1885 – 1989 n.
Chr.), der sowohl bei dem Wu-Stil-Großmeister Wu Jianquan 吳鑑泉 (1870 – 1942 n. Chr.) als auch bei dem Yang-Stil-Großmeister Yang Shaohou 楊少候 (1839 – 1917 n.Chr.) gelernt hatte, in seinem Buch <Taiji-Schwert>,
Taijijian, 太極劍 von 1935 getroffen und dürfte die geringe Zahl der heute erhaltenen, alten Schriften mit ausschließlicher Ausrichtung auf die Schwertkampfkunst verdeutlichen.
44

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