Karolien De Clippel / Katharina Van Cauteren

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Karolien De Clippel / Katharina Van Cauteren
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Daniela Hammer-Tugendhat: Rezension von: Karolien De Clippel /
Katharina Van Cauteren / Katlijne Van der Stighelen (eds.): The
Nude and the Norm in the Early Modern Low Countries, Turnhout:
Brepols Publishers NV 2011, in sehepunkte 12 (2012), Nr. 9
[15.09.2012], URL:http://www.sehepunkte.de/2012/09/19851.html
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sehepunkte 12 (2012), Nr. 9
Karolien De Clippel / Katharina Van Cauteren /
Katlijne Van der Stighelen (eds.): The Nude
and the Norm in the Early Modern Low
Countries
In der kurzen Einleitung erläutern die drei Herausgeberinnen den Fokus
des Sammelbandes: Er soll die Ambiguität zwischen
gegenreformatorischen Normen und Moralvorstellungen und der
Häufigkeit von Akt-Darstellungen in der Kunst der Niederlande im 16.
und 17. Jahrhundert klären helfen. Nach den grundlegenden Arbeiten
von David Freedberg und der weiteren breiten Forschungsliteratur zu
diesem Thema, aber auch zu Fragen der Repräsentation und
Konstruktion des Körpers, der unterschiedlichen Semantik von Nacktheit
und Genderfragen durfte man auf eine Konkretisierung dieser
Fragestellungen auf den Zeitraum der Frühen Neuzeit und die
Niederlande gespannt sein. [ 1 ]
Der Band wird prominent eingeleitet durch einen Beitrag von Eric Jan
Sluijter. "The Nude, the Artist and the Model: The Case of Rembrandt" ist
eine kurze Zusammenfassung seiner Thesen aus "Rembrandt and the
Female Nude" (2006). Daran anknüpfend untersucht Erna Kok in "The
Female Nude from Life: On Studio Practice and Beholder Fantasy" das
prekäre Verhältnis von Künstler und Modell in schriftlichen und
bildlichen Quellen, die bis in die Antike zurückreichen. Besonders beliebt
war die Geschichte von Apelles, der sich in die Geliebte Alexanders des
Großen, Campaspe, verliebte, während er sie nackt malte. Diese
Anekdote eignete sich vortrefflich zur Illustration der Phantasie, Kunst
entstehe aus der Inspiration der Liebe; gleichzeitig ermöglichte sie die
Identifikation des Künstlers mit dem größten Maler aller Zeiten und bot
darüber hinaus auch noch Gelegenheit, der Großzügigkeit eines
Herrschers zu schmeicheln. Allerdings wurde diese Geschichte in den
Niederlanden nur selten dargestellt. Es gibt offensichtlich keine
schriftlichen Quellen aus dem 17. Jahrhundert, die das Verhältnis von
Künstler und Modell dort beleuchten. Kok bestätigt die Einschätzungen
von Sluijter und Volker Manuth, dass erst nach 1650 weibliche Modelle
zum Aktstudium herangezogen worden sind. [ 2 ] Allerdings, könnte man
einwenden, hatten Künstler doch reiche Seh-Erfahrung von nackten
Frauenkörpern, seien es nun die ihrer Ehefrauen oder andere. Auch
müsste man die Frage nach dem 'Realismus' differenzierter stellen. Kok
meint, Goltzius' Zeichnung einer nackten schlafenden Frau von 1594, die
von der Forschung oft als erstes Beispiel einer Studie nach dem lebenden
Modell angesehen wird, sei nicht so entstanden, da in verschiedenen
Partien verzeichnet. Es gibt doch ungezählte Beispiele, in denen Künstler
durchaus Naturstudien am menschlichen Körper betrieben haben, aber
dann bewusst oder unbewusst, Körper 'verzeichnet' haben, um
bestimmte ästhetische oder semantische Effekte zu bewirken. Konkretes
Aktstudium muss nicht mit anatomischer Richtigkeit einhergehen;
anatomische Richtigkeit wiederum ist ein verengter Realismusbegriff.
Jede Darstellung eines Körpers ist immer eine Konstruktion, auch wenn
Modellstudium die Grundlage bildete.
Der Beitrag von Veerle De Laet "An Analysis of Nude Representations in
the Brussels Domestic Setting" ist durchaus charakteristisch für den
Sammelband: eine sorgfältige, sicherlich sehr arbeitsintensive
Durchforstung von 200 Brüsseler und Antwerpener Nachlass-Inventaren,
die zwecks Erbschaftsverteilung von Notaren verfasst wurden. Die
Autorin versucht, aufgrund dieser Dokumente den Prozentsatz von
Bildern mit nackten Figuren zu eruieren. Sie kommt auf einen sehr
geringen Anteil von nur 2-3 Prozent. Abgesehen von der Schwierigkeit,
sich nach notariellen Aufzählungen ein adäquates Bild machen zu
können, scheint es fraglich, ob die gestellte Frage nach dem Umgang mit
der Repräsentation von Nacktheit im privaten Bereich des Brüsseler
Bürgertums auf diese Weise gelöst werden kann.
Ebenso bezeichnend für den Band ist der Aufsatz von Fiona Healy, "Male
Nudity in Netherlandish Painting of the Sixteenth- and Early
Seventeenth-Centuries". Zu Recht stellt sie fest, dass es in der
niederländischen Malerei im Vergleich zu weiblichen Akten kaum
männliche gibt und wenn, dann fast immer mit verhülltem Geschlecht.
Die Kriterien der durchaus sorgfältigen und materialreichen
Untersuchung sind nun aber motivisch ikonografische; Healy
thematisiert zwar die jeweiligen inhaltlichen Kontexte (biblisch/
mythologisch, negative/positive Konnotationen), aber die spezifisch
ästhetische Gestaltung des nackten Körpers wird kaum berücksichtigt.
Die Frage ist nicht lediglich, ob und bis zu welchem Grade Männer auch
nackt dargestellt wurden, sondern wie Nacktheit ästhetisch inszeniert
ist, wie der nackte Körper semantisiert wird und in welchem Verhältnis
die Repräsentation des männlichen zum weiblichen Körper steht. Wie ist
es möglich, dass der 1956 von Kenneth Clark publizierte, vollkommen
überholte und mehrfach kritisierte Band "The Nude" als groundbreaking
(132) angesehen wird? [ 3 ] Wie ist es weiter möglich, dass nicht einmal
Margret Walters Band zum männlichen Akt (1978) erwähnt wird, dass die
Forschung der letzten vier Jahrzehnte über Gender-Studies,
Köperkonstruktionen und Men's Studies ignoriert werden? [ 4 ]
Die Schlussfolgerungen von Geraerts zu "Rubens's 'Feast of Venus'
Reconsidered. The Turning of Hearts to or from Love? Sensuality or
Virtue?" sind durchaus einleuchtend, aber eigentlich nicht neu: Rubens
zeigt ein Loblied auf die Liebe in allen erdenklichen Facetten, von der
reinen, bräutlichen über die eheliche und mütterliche bis zur sinnlichen
und ekstatischen. Aber auch bei Geraerts irritiert der methodische
Zugang: Die Frage ist doch nicht, "which particular Venus is depicted,
based upon classical literature" (160). Das ist ein verengtes Verständnis,
das davon ausgeht, dass die Gemälde von Rubens aus dem 17.
Jahrhundert eine wortgetreue Illustration antiker Texte wären. Was
Rubens darstellt, ist seine durchaus aktuelle Auffassung von den
vielfältigen Möglichkeiten der Liebe; um das für seine Zeitgenossen
intelligibel zu machen und diesem Konzept eine Tiefendimension zu
geben, greift er auf die mythologischen Geschichten Ovids zurück.
In dem sorgfältig recherchierten Beitrag von van Cauteren "L'Honneur
Animant la Beauté: Hendrick De Clerck's Diana Paintings for the
Archdukes Albert and Isabella" versucht die Autorin anhand von DianaBildern des Künstlers von um 1610-15 nachzuweisen, dass trotz der
lasziven Thematik die Bilder als keusche Imaginationen eines friedlichen
Goldenen Zeitalters im Sinne der Herzöge gelesen werden sollen. Das
Herzogsehepaar sei auf moralischen Umgang erpicht gewesen und
Isabella mit der keuschen Göttin Diana gleichgesetzt worden. Wie in den
meisten Beiträgen des Bandes wird auch hier Kunst mit der Intention der
Auftraggeber beziehungsweise den Normen der Gegenreformation
gleichgesetzt.
Karolien De Clippel schließt ihren Aufsatz ("Altering, Hiding and
Resisting. The Rubensian Nude in the Face of Censorship") und damit
den Band mit den Worten: "And what do we do with his [i.e. Rubens']
countless depictions of nudity in profane, but also in religious works behind closed doors, but also in public spaces? Food for thought." (218) [
5]
Das Buch hätte dazu beitragen können, diese Fragen zu klären.
Allerdings nicht mit dieser engen Herangehensweise, in der nicht einmal
die Unterschiede zwischen dem katholischen Flandern und den
überwiegend calvinistischen Nördlichen Provinzen diskutiert werden, die
Kunst weitgehend durch die Intentionen der Auftraggeber
beziehungsweise die Moralvorstellungen der Gegenreformation
interpretiert wird, das gesamte Wissen und die Erfahrungen der Zeit auf
eben diese normativen Konzepte und den Rückgriff auf die Antike
reduziert werden, Kunst als Illustration von Texten begriffen, die Kunst
selbst aber in ihrer semantischen Kraft kaum analysiert und die gesamte
theoretische Diskussion der letzten Jahrzehnte zu den einschlägigen
Fragen von Repräsentation, Körper-Konstruktionen, Gender und Men's
Studies ausgeklammert wird.
Die Lektüre hat mich nachdenklich gestimmt. Der Band scheint einem
allgemeineren Trend zu entsprechen: Themen, die von den
Kulturwissenschaften und insbesondere einer feministisch orientieren
Forschung aufgeworfen worden sind, werden angeeignet, ohne dass
deren theoretische und kritische Fragestellungen reflektiert würden.
Anmerkungen :
[ 1 ] David Freedberg: The Power of Images, Chicago 1991; ders.:
Johannes Molanus on Provocative Paintings. De historia sanctarum
imaginum et picturarum II/42, in: Journal of the Warburg and Courtauld
Institutes XXXIV (1971), 229-245.
[ 2 ] Volker Manuth: 'As stark naked as one could possibly be painted... '
The Reputation of the Nude Female Model in the Age of Rembrandt, in:
Rembrandt's Women (Ausst. Kat. Edinburgh / London), München et al.
2001, 48-53.
[ 3 ] Vgl. Lynda Nead: The Female Nude. Art, Obscenity and Sexuality,
London / New York 1992, 2, 5-6, 12-22, 48, 59.
[ 4 ] Die Forschungsliteratur füllt mittlerweile Bibliotheken, beispielhaft
hier nur, jeweils mit weiterführender Literatur: Christina von Braun /
Inge Stephan (Hgg.): Gender@Wissen. Handbuch der Gender-Theorien,
Köln 2005; Martin Dinges (Hg.): Männer-Macht-Körper. Hegemoniale
Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt a.M. 2005; Sigrid
Schade / Silke Wenk: Inszenierungen des Sehens. Kunst, Geschichte und
Geschlechterdifferenz, in: Genus, hg. von Hadumod Bussmann / Renate
Hof, Stuttgart 1997, 340-407; Anja Zimmermann (Hg.): Kunstgeschichte
und Gender. Eine Einführung, Berlin 2006; Daniela Hammer-Tugendhat:
Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17.
Jahrhunderts, Köln et al. 2009.
[ 5 ] Auf den hier angesprochenen Widerspruch hat bereits Mittig
aufmerksam gemacht. Hans-Ernst Mittig: Erotik bei Rubens, in: Der
Garten der Lüste. Zur Deutung des Erotischen und Sexuellen bei
Künstlern und ihren Interpreten, hg. von Renate Berger / Daniela
Hammer-Tugendhat, Köln 1985, 48-88.