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Thomas Bonhoeffer Pascals "Wette" im Licht der heutigen Mathematik1 I. Biographische Einordnung Pascals Skizze Infini - rien in den Pensées sur la religion, bekannt als "Die Wette"2, ist zunächst ein Stück Biographie Pascals. Der Autor hat die kurze Grundfassung mehrfach erweitert, das ganze aber sichtlich nicht in eine endgültige Form gebracht. Es ist schon in der Urform ein höchst persönliches Konglomerat von eigenen und übernommenen Ideen, großartig und schrecklich, wie der ganze geniale, wohl nicht nur körperlich kranke Autor. Man kann annehmen, daß die Wette erstens in zeitlicher Nähe zu seinen Studien über die Wahrscheinlichkeiten im Würfelspiel, zweitens nach seiner Bekehrung geschrieben ist. Wir kommen damit in das Jahr 1654/55. Pascal ist 31 Jahre alt. Nach dem Tode des Vaters (1651) und einem Zerwürfnis mit der jüngeren Schwester (1652) hatte er sich zusammen mit ein paar jungen Adligen gut zwei Jahre lang weltlichen "Zerstreuungen" hingegeben. Hier spielten auch das Würfelspiel und dessen intrikate Logik eine Rolle. Pascals Règle des partis3 und sein Traité du triangle arithmétique4 mit den Grundideen zur Wahrscheinlichkeitstheorie sind 1654 fertiggestellt. Seine bahnbrechende Integration der Fläche unter einer Sinuskurve aber, deren Studium 1 . Gastvortrag im romanischen Oberseminar über Pascal's Pensées von Prof.Dr. Manfred Tietz am 14. Dez. 1988 in Bochum. 1990 überarbeitet und auf französisch veröffentlicht. 2004 mit deutschen Übersetzungen der französischen Textstücke versehen. 2 . Ich zitiere hier nach PASCAL, Oeuvres complètes, Texte établi et annoté par JACQUES CHEVALIER, Bibliothèque de la Pléiade vol. 34, Paris 1954, S. 1212-1216, fr. 451. (Die Pensées-Ausgabe von FRANCIS KAPLAN, Paris 1982, war mir 1988 noch nicht bekannt.) – Die Ausgaben der Pensées numerieren die Fragmente verschieden. Meist ist jedoch auch die Numerierung der Ausgabe von L.BRUNSCHVICG, Oeuvres de Blaise Pascal. Pensées, I-III, 1904, angegeben. Die "Wette" hat hier die Nummer 233. (Für weitere Ausgaben der Pensées siehe meine „flexible Konkordanz“.) 3 Schwer zu übersetzen; etwa: Regel für die (gerechte) Teilung (der Einsatzsumme bei vorzeitigem Abbruch eines Spiels). 4 Das „arithmetische Dreieck“ (wir nennen es: das Pascal’sche Dreieck.) 2 dann Leibniz zu seiner Ausarbeitung der Differentialrechnung inspirierte, also die Entdeckung des präzisen Umgangs mit unendlich kleinen Zahlen, sollte erst drei Jahre später (1657) folgen. Es handelt sich dabei um den Traité des sinus du quart de cercle5 (in der Sammlung La roulette, deutsch: Die Zykloide6). Hier wird die Infinitesimalzahl definiert als une quantité moindre qu'aucune donnée7. Damit wird die klassischgriechische sog. Exhaustionsmethode verlassen, wo, mit Leibniz zu reden, von einer vorgegebenen Fehlertoleranz ausgehend, dafür gesorgt wird, que l'erreur soit moindre que l'erreur donnée8. II. Wahrscheinlichkeitstheorie Die Datierung unseres Textes zwischen der Konzeption der Wahrscheinlichkeitsrechnung und derjenigen der Infinitesimalzahlen ist für sein Verständnis wesentlich . Man nimmt an, daß Pascal die stolz öffentlich angekündigte9, aber nie erschienene Wahrscheinlichkeitstheorie infolge seiner "Bekehrung" nicht ausgearbeitet hat. Sozusagen statt der Ausarbeitung dieser mathematischen Theorie wäre er in die Problematik einer Anwendung des Wahrscheinlichkeitskalküls auf existientielle Fragen geraten. Das Wahrscheinlichkeitskalkül verleiht Sicherheit in einer begrenzten Sphäre der menschlichen Wirklichkeit, die als Raum möglicher Ereignisse gefaßt werden kann. Pascal und Fermat haben das Wahrscheinlichkeitskalkül auf die Kombinatorik gestellt10: Die maximale Unsicherheit wird als Gleichwahrscheinlichkeit verschiedener möglicher Elementarereignisse gefaßt, deren Wahrscheinlichkeiten kombiniert und miteinander verrechnet werden können. 5 Der Sinus eines Winkel im Viertelskreis. 6 . Nicht etwa : "das Roulett", wie Rowohlts Bildmonographie (ALBERT BÉGUIN, Blaise Pascal, Hamburg 1959; = Pascal par lui-même, 1952) S.24 übersetzt. 7 . “Eine Quantität, die kleiner ist als jede beliebige vorgegebene”, Bei CHEVALIER S. 277. 8 . “... daß der Fehler kleiner wird als jeder beliebige vorgegebene”. Mit Fundstelle zitiert bei ABRAHAM ROBINSON, The Metaphysics of the Calculus (1967), in: Selected Papers II, 1978, S.542. 9 . CHEVALIER S. 74. 10 . CHEVALIER S. 79. 3 Die heutige Grundlegung der Wahrscheinlichkeitstheorie stammt von Kolmogoroff, der sie in fünf Axiome faßte11. Sie muß natürlich mathematisch erheblich komplizierteren Fragestellungen genügen als den in unserm Pascal-Text gegebenen. Ich will deshalb hier nur Weniges davon sagen. Die in Frage kommenden Ereignisse werden als Teilmengen einer Ereignis-Gesamtmenge gefaßt, auf welcher Negation, Vereinigung und Durchschnitt definiert sind. Diese Gesamtmenge ist das sog. "sichere Ereignis", dem als sein Wahrscheinlichkeitsmaß die Zahl 1 entspricht. Zwei gleich wahrscheinliche komplementäre Ereignisse haben das Wahrscheinlichkeitsmaß 0.5. III. Das Streben nach Gewissheit Größenverhältnisse von Wahrscheinlichkeiten im vordefinierten Ereignisraum können in Zahlen angegeben werden; diese Wahrscheinlichkeiten aber betreffen die Seele nicht im ganzen, sondern nur soweit sie in diesen Raum eingelassen ist. Notre âme est jetée dans le corps, où elle trouve nombre etc.12 Pascal aber geht aufs Ganze. Er sucht die schlechthinige Sicherheit. Er kommt zu dem Schluß, sie hienieden direkt nicht erreichen zu können. Er findet sie als prekäre Geborgenheit in einem personalen Unendlichen. In dieser gilt es sich zu halten, indem man davor zu nichts wird. Das Dokument seiner Bekehrung, das Mémorial13 vom 23. November 1654, jubelt: Certitude, certitude, sentiment, joie, paix. Dieu de Jésus Christ14 und schließt mit soumission totale, worunter er Selbstverleugnung15 verstand. Das zu verleugnende Selbst ist desintegriert und heißt deshalb pluralisch passions16. Es findet seine Einheit nur in der Unterwerfung unter den Glauben. 11 . ANDREJ N. KOLMOGOROFF, Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Berlin 1933, S. 2. 12 . „Unsere Seele ist in den Körper geworfen, wo sie Zahl, Zeit und Ausdehnung findet.“ CHEVALIER S. 1212. 13 . Mémorial, CHEVALIER S. 553f., bei ihm nicht in den Pensées, bei BRUNSCHVICG (ohne Nummer) den Pensées vorangestellt, bei LAFUMA Fr. 913. 14 15 Gewißheit, Gewißheit, Gefühl, Freude, Friede. Gott Jesu Christi. . Soumission totale à Jésus Christ et à mon directeur = Totale Unterwerfung unter Jesus Christus und unter meinen Seelsorger. Chevalier S. 554. (Vgl. auch das: "Cela vous abêtira" = das wird Sie dumm machen, 1216.) Zu dem Nachtrag auf dem Pergament, aus dem diese Zeile stammt, siehe HENRI GOUHIER, Blaise Pascal. Commentaires, 1971, p. 22: "... les deux lignes non calligraphiées et difficiles à déchiffrer furent griffonnées plus 4 Wenn Pascal sich 1657 "inopinément"17 doch wieder an die Mathematik gemacht hat, so mag in diesem ganzen Ablauf mehr Konsequenz liegen, als die Legende sagt. Im Brief an die Pariser Akademie von 1654 hatte Pascal verheißen: „anceps fortuna aequitate rationis reprimitur... Ambiguae sortis eventus ... tanta securitate in artem per geometriam reduximus, ut certitudinis eius particeps facta"... „matheseos demonstrationes cum aleae incertitudine jungendo"18. Das Problem der certitudo19 gegenüber der fortuna20 war der Motor des Interesses. IV. Fortuna als Gottheit Die kirchliche Lehre beherrschte zwar die öffentliche Meinung, hatte aber ihre Bedeutung als Medium des persönlichen Selbstverständnisses für viele verloren. Religiöse Heuchelei, essentielle Sprachlosigkeit21 und Selbstverlust waren die Folge. Es gilt, was bei Kant22 die "Sicherheitsmaxime in Glaubenssachen (argumentum a tuto)" genannt ist. tard, sans doute au moment où Pascal se décide à solliciter le directeur le plus sévère..." (= ... die beiden nicht kalligraphierten und kaum zu entziffernden Zeilen wurden später gekritzelt, zweifellos in dem augenblick wo Pascal sich entschloß, den strengsten Seelsorger anzufordern), das ist, wie ein Brief Jacquelines vom 8. Dez. vermuten läßt, M. Singlin (ebd.). Selbst wenn die Kopisten, auf die wir angewiesen sind, falsch entziffert haben sollten, bleibt festzuhalten, daß die Aussage correspond exactement aux préccupations de Pascal après sa conversion (= entspricht genau den vordringlichen Anliegen Pascals nach seiner Bekehrung, ebd. 374). 16 . Herkömmlich übersetzt mit „Leidenschaften“ Der Begriff aus der platonischen Tradition ist aber breiter zu verstehen als: unvernünftige Widerfahrnisse der Seele. Chevalier S. 1215f. 17 . = unversehens ; Chevalier S. 173. 18 . = Der gefährliche Zufall wird durch die Billigkeit der Vernunft beschwichtigt ... Das Ergebnis des ungewissen Loses ... haben wir mit solcher Sicherheit durch Geometrie der Kunst unterworfen, daß es deren Gewißheit teihaftig geworden ist... Wir haben mit der Ungewißheit des Würfels mathematische Beweise verknüpft. (Chevalier S. 74) 19 . = Gewißheit, Sicherheit. Dieses Stichwort verbindet die platonisch-aristotelische epistéme (= Wissen) mit Luthers Rechtfertigungsproblem und Descartes' Grundlegung des Wissens. 20 = Glück, Zufall, Schicksal. 21 . Diese verträgt sich bestens mit blühender Rhetorik. 22 . Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 2. Aufl. 1794, S 292f. 5 Sie ist dort folgendermaßen formuliert: "Ist das wahr, was ich von Gott bekenne, so habe ich's getroffen. Ist es nicht wahr, übrigens auch nichts an sich Unerlaubtes, so habe ich es bloß überflüssig geglaubt, was zwar nicht nötig war, mir aber nur etwa eine Beschwerde, die doch kein Verbrechen ist, aufgeladen." Für Kant handelt es sich bei dieser (unter Friedrich Wilhelm II. in Preußen wieder aktuellen) Einstellung um eine eigentlich typisch katholische Einstellung. Aber schon Pascal hatte den Probabilismus in den Lettres Provinciales23 angegriffen, gegen den Kant im gleichen Paragraphen wenige Seiten vorher24 sich ausdrücklich ausspricht. Pascal wie Kant kämpfen für unbestechliche Gewissenhaftigkeit und Anerkennung des "radikalen Bösen" im Menschen. Mit D. Winnicott wäre bezüglich ihrer Umwelt von einer Kultur des "falschem Selbst"25 zu reden. Das wahre Selbst fand sich auf einen winzigen persönlichen Symbolraum zurückgedrängt und verschanzte sich hier nötigenfalls durch Wahnbildung. Pascal geht nun, "von einer tiefen Weltverachtung und einem nahezu unerträglichen Ekel vor allen Menschen, die in ihr leben"26 überwunden, mit einem in der Apologetik völlig neuartigen Ansatz an die Gottesfrage heran: mit der Perspektive des modern-skeptischen Weltmenschen, des Libertin, des Spielers, dessen Gott die blinde Fortuna ist. Occam hatte mit dem Konzept der Potentia Dei absoluta und Descartes27 mit dem des Deus malignus allerdings vorgearbeitet. Pascal aber will diese Ideen, die für philosophische Bearbeitung das nackte Grauen repräsentieren, real verhaltensrelevant machen: Fortuna spielt, für menschliche raison (Vernunft) und connaissance (Erkenntnis) unabschätzbar28, mit der Möglichkeit ewiger Vergeltung für totale Unterwerfung unter die Verhaltensregeln der Kirche29. Hier sich Entscheiden ist Wetten. Man staunt, daß Pascals Adressat, der 23 . 5. Brief, Chevalier S. 706. 24 . Viertes Stück, 2. Teil, § 4: Vom Leitfaden des Gewissens in Glaubenssachen, S. 288. 25 . Etwa in Playing and Reality, 1971, dt. Vom Spiel zur Kreativität, 1973, passim. 26 . Seine jüngere Schwester Jacqueline an seine ältere Schwester Gilberte, verh. Périer, am 8. Dez. 1654, Béguin 159. 27 . Meditationen, lateinisch 1641 publiziert. 28 . Chevalier S. 1214. 29 . Chevalier S. 1215f. 6 zunächst antwortet: Le juste est de ne point parier30, auf die nackte Behauptung hin, er müsse wetten, bewundernd umfällt31. Dem Grundlebensgefühl entspricht die Göttin Fortuna. Gott ist offenbar nach allgemein herrschendem Gefühl ein Wesen, dessen Natur wir höchstens in der himmlischen Herrlichkeit kennen werden32, das die Kirche aber schon soweit möglich artikuliert hat, von dem allerdings fraglich ist, ob es nur eine Wahnidee33 sei, oder auch wirklich existiere. Bei dem Gott dieser Menschen sind Essenz und Existenz problemlos zu trennen, weil diese Menschen "fast die Sprache in der Fremde verloren" haben, - wie HÖLDERLIN einmal formulierte34. Dieser Gott ist ein stummer Schizophrener in der Hand einer blinden Fortuna. Die menschliche Reaktion auf diesen Unmenschen ist Flucht in panische Selbstverleugnung. Eben darauf zielt Pascal auch ab. Um den Kulturpalast aus Oberflächlichkeit und Heuchelei zum Einsturz zu bringen, muß das Fundament sich höllisch bemerkbar machen. Fortuna hat uns mit diesem Gott aufs Spiel gesetzt. Wir müssen um das eigene Leben wetten35, entscheiden ohne zureichende Entscheidungsunterlagen. Wir sind "geworfen36". HEIDEGGER hat das in Sein und Zeit aufgenommen. Pascal aber konstruiert hier eine Entscheidungssituation ohne die geschichtliche Verwurzelung der Existenz in der Tradition unsrer Sprache. Ohne brauchbare Sprachtradition, allein mit der natürlichen Vernunft, steht man jedoch verloren vor der Frage, ob es Gott gibt. Pascal antwortet hier: Das weiß nur der Glaube37, – "... die fides daemonum!", wäre zu präzisieren; denn die Bibel (Jak. 219) sagt: "Die Teufel glauben's auch und zittern." Der wesentliche Schritt ist ihm derjenige zum - wie auch immer 30 = Das Richtige ist, gar nicht zu wetten. 31 . Chevalier S. 1213f. 32 . "...nous connaîtrons" = wir werden erkenenen, Chevalier S. 1213. 33 . Vgl. Chevalier S.1134, Brunschvicg 414: Les hommes sont si nécessairement fous,que ce serait être fou par un autra tour de folie de n'être pas fou. (= Die Menschen sind so notwendig verrückt, daß Nicht-verrückt-Sein nur hieße, verrückt sein nach einer andern Art von Verrücktheit.) 34 . Mnemosyne. 35 . Chevalier S. 1213. 36 . Notre âme est jetée dans le corps ... ( = Unsere Seele ist in den Körper geworfen ...“, begann unser Text. 37 . "Par la foi nous connaissons son existence." Chevalier S. 1213. 7 ungläubig motivierten - Verhalten "als ob"38 man an die Existenz des Kirchengottes39 glaubte. Der Glaube ist, gut scholastisch-aristotelisch, eine Tugend, ein Habitus, eine zur zweiten Natur gewordene Gewohnheit40. Efficimur iusti iusta operando, wie LUTHER41 es für die Lehre vom rechtfertigenden Glauben als Irrlehre bekämpft hat. Die iustitia ist dann allerdings, auch nach Pascals, des jansenistischen Augustinisten, Meinung, Glaube an die alleinwirkende Gnade. Der Glaube aber ist Folge der guten Werke. Aus dem Wahn wird vermittels der guten Werke allmählich Glaube hervorgehen. Die herrschende naive Heuchelei und Oberflächlichkeit wird faute de mieux zuerst durch (in echter Demut offen als solche erklärte) Heuchelei42 bekämpft. Im Grunde geht es hier um einen aktivistischen Versuch persönlicher Aneignung einer fremden Sprache, des Aufbaus einer eigenen Sprache durch Wurzelfassen in der überlieferten Sprache. Erfolge bei diesem Versuch verheißt die fin de ce discours43. Die von Kant gegeißelte "Verletzung des Gewissens" begeht Pascal nicht. Er empfiehlt nicht, "lieber zu viel als zu wenig zu glauben", sondern zu handeln, "als ob" man das glaubte, was man zugegebenermaßen nicht glaubt, aber glauben möchte. - Eine andere Frage ist freilich, ob der von Pascal empfohlene Weg zum Ziel führen kann. V. Spieltheorie Sehen wir das Kalkül des vernünftigen Spielers näher an, wie Pascal es artikuliert! Zunächst muß der Spieler, gerade wegen seiner Ignoranz, sowohl mit höllischen Verlust 38 . "... en faisant tout comme s'il croyaient..", Chevalier S. 1215. 39 . Chevalier S. 1215. 40 . Pascal selbst notiert in einer Notiz, die auch unser Sicherstes, das naturwissenschaftliche Realitätsverständnis als Gewohnheitsprodukt relativieren will, nebenbei: Qui s'accoutume à la foi la croit, et ne peut plus ne pas craindre l'enfer. (Br. ). 41 . Disputatio contra scholasticam theologiam. Th. 40, WA 1, 226. - ARISTOTELES hatte an der klassischen Bezugsstelle (Nikomachische Ethik B 1) über 'Vortrefflichkeiten', die der Mensch "wie andere Fertigkeiten" durch Übung erwirbt, natürlich nicht die sog. theologischen Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung) vor Augen gehabt, auf welche die Scholastik sie anwandte, – worauf Luther (der als Magister artium übrigens Vorlesungen über die Nikomachische Ethik gehalten hat) auch immer wieder hinweist. 42 . In ähnlichem Sinne beim zunächst äußerlichen Gehorsam aus vertrauensvoller Unterwerfung unter den directeur. 43 . = der Schluß dieser Abhandlung, Chevalier S. 1216. 8 als auch mit unendlichem Gewinn rechnen. Endliche Werte wiederum können vernachlässigt werden wegen der doch vorgegebenen Minimalinformation über Gottes Natur, daß er nämlich unendlich sei und also maßlos reagieren kann; gerade das Risiko unendlichen Schadens aber gilt es zu vermeiden, zumal wenn eben mit dieser Vermeidung zugleich auch die Chance unendlichen Gewinns gewählt wird. Ohne die Wahl des Gegners - nämlich: "Gott ist" oder: "Gott ist nicht" - zu kennen, muß der Mensch, bevor er glaubt, eine Spielstrategie gegen die fortuna entwickeln, durch die er sein Risiko minimiert und möglichst seine Gewinnchancen maximiert. Mit einem Minimum von Information sollen rationale Entscheidungen gefällt werden. Pascal betritt hier den Boden einer mathematischen Theorie, die erst in unserm Jahrhundert von JOHN VON NEUMANN 44 entwickelt worden ist, der Spieltheorie. Für unsern Fall gehen in die Rechnung ein: Zunächst die Zahl der Spiele, nämlich eins; die Zahl der Spieler, nämlich 2; und die Zahl der den Spielern zu Verfügung stehenden Optionen: für Fortuna 2, nämlich: "Gott ist", und "Gott ist nicht", und für den Menschen 2, nämlich auch: "Gott ist", und "Gott ist nicht"; ferner der Informationsstand bezüglich der Züge des andern, nämlich keine Information. Sodann bestimmt den Wert einer Strategie die Matrix der Auszahlungen, d.h. der Differenzen von Gewinn und Verlust bei den verschiedenen Koinzidenzen (wir brauchen nur die Auszahlungswerte für den Menschen). Es sind in unserm Fall die folgenden 2 mal 2: Existiert Gott, und der Mensch hat auch so gewettet, so hat seine Auszahlung den Wert ewigen Lebens abzüglich des (Gott zum Opfer gebrachten) Erdenlebens, also "∞-1", – da Pascal vorher gesagt hatte : le fini s'anéantit en présence de l'infini45, praktisch unendlich. Existiert Gott, und der Mensch hat das Gegenteil gewettet, so beträgt die Auszahlung "1∞", nach Pascal also: " – ∞". Existiert Gott nicht, der Mensch aber hatte gewettet, daß er existiere, so beträgt seine Auszahlung "minus eins", denn er hat sein Leben im Dienst eines Gottes vertan, den es nicht gibt. Existiert Gott nicht, und der Mensch hat auch gewettet, daß er nicht sei, so beträgt seine Auszahlung „plus eins“, denn hat sein Leben für sich benutzt. Auch hier wieder korrigiert Pascal die endlichen Werte ±1 in "null": In der 44 . JOHN VON NEUMANN & OSKAR MORGENSTERN, Theory of Games and Econmic Behavior, 1944. 45 . = Das Endliche wird vor dem Unendlichen zu Nichts, Chevalier S. 1212. 9 ältesten Fassung heißt es: En prenant croix, que Dieu est, ... si vous perdez, vous ne perdez rien46, und in der Ausarbeitung noch einmal: le gain infini aussi prêt à arriver que la perte du néant.47 Endlich gehen in das Kalkül als Faktoren ein die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Züge des Gegners. Pascal hatte totale Unkenntnis unsrerseits vorausgesetzt; entsprechend hat er hier für die beiden möglichen Züge der Fortuna gleiche Werte angesetzt. Dies ist wichtig, da seine Bewertung der hier diskutierten Strategien die Klippe einer praktisch strittigen Voraussetzung umschiffen muß. Er selbst präzisiert umsichtig: Partout où est l'infini et où il n'y a pas infinité de hasards de perte contre celui de gain, ... il faut tout donner.48 Infinité de hasards de perte contre celui de gain meint, daß daß die Verhältniszahl zwischen Verlustchance und Gewinnchance unendlich groß ist. Normieren wir auf 1 für Sicherheit und nennen die Verlustchance V und die komplementäre Gewinnchance 1V, so geht es um den Fall, daß V/(1-V) = ∞ ist. Dies ist gegeben, wenn V =1 ist. Verlust tritt ein, wenn man auf Gott wettet und er existiert nicht. Konkret wird hier also gesagt: Wenn die Wahrscheinlichkeit für die Existenz des Gottes = null ist, muß man natürlich nicht alles daran setzen, hier die Unendlichkeit zu gewinnen! Pascal geht darauf aber nicht ein. Sachlich steht die Bedeutung der allein die Existenz Gottes bezeugenden Kirchensprache in Frage. Gewiß, so lange ihr nur weltliche Oberflächlichkeit gegenübersteht, bleibt die wahnhafte Gottesfrage, wie lächerlich auch immer, dem Libertin mit Naturnotwendigkeit unheimlich, weil unentscheidbar. Das Urteil schwankt, je nach Lebenslage, haltlos zwischen den Extremen hin und her. Die Chancen sind unquantifizierbar, also im vordefinierten Raum zweier möglicher Ereignisse: 50 zu 50. Über die Wahrscheinlichkeit der Existenz dieses Wahngottes könnte erst durch ein persönliches Zur-Sprache-Kommen Gottes etwas Substantielles gesagt werden. 46 Werfen wir eine Münze; Kreuz-Seite oben bedeute: Gott existiert. ... Wenn Sie darauf wetten und verlieren, verlieren Sie nichts. 47 . Der unendliche Gewinn trifft ebenso leicht ein wie der Verlust unseres Nichts. (Beide Zitate Chevalier S. 1214.) 48 . Überall, wo das Unendliche ist und wo nicht unendliche Möglichkeiten des Verlustes gegen die des Gewinnes stehen, ... muß man alles geben. (Chevalier S. 1214.) 10 Wie sah es bei Pascal selbst aus? Ist der hier vorgesehene Weg zum Glauben äußerliche Kirchlichkeit aufgrund eines verzweifelten Entschlusses - derjenige von Pascal selbst gewesen, wie ihn das Mémorial beleuchtet? In dessen kurzem Text ist zwar die Betonung des Weges durch das zweimalige «... que par les voies enseignées dans l'Évangile»49 (besonders in Verbindung mit dem Gelübde der totalen Unterwerfung unter den Seelsorger) auffällig. Im Grunde aber geht es dort in der Tat um ein persönliches Gotteserlebnis, das auch noch zweifach persönlich vermittelt ist, nämlich real durch den Seelsorger, sodann imaginiert durch die biblischen Männer Abraham, Isaak, Jakob, Jesus50. Im gleichen Sinn gibt Pascal ja auch am Schluß der "Wette" dem durch seine Argumentation Überzeugten die Versicherung seiner persönlichen Fürbitte mit auf den Weg. Der Weg der Unterwerfung ist im Falle Pascals der Weg des Wachstums einer sehr narzißtischen51 Persönlichkeit in einer beständig sich vertiefenden persönlichen Beziehung, in der Gott in zwar traditioneller, aber persönlicher Weise zur Sprache kommt. Auf diese Weise verblaßt die Preisfrage der "Wette", ob Gott existiere oder nicht, hinter dem Zur-Sprache-Kommen Gottes. Damit wird die Wahrscheinlichkeit des Wahngottes nicht gleich null. Seine Möglichkeit ist nicht auszuschließen, aber seine Wahrscheinlichkeit geht gegen null. Sie wird infinitesimal, wo Gott zur Sprache kommt; denn Sprache löst den Wahn auf. Aber das kann Pascal noch nicht sagen. Die absoluten Auszahlungswerte der Wette betragen nach Pascal: Unendlich und Nichts. Was gewinnt Pascal mit der Korrektur der endlichen absoluten Werte "±1" in "0"? Pascal hält die Eins additiv gegen das Unendliche52, übergeht jedoch die Frage nach Multiplikation und Division. Es handelt sich aber um eine endliche Auszahlung ja nicht für das unendliche Subjekt Gott, sondern für ein menschliches Subjekt. Ob dieses eine endliche, sterbliche oder eine unsterbliche, also unendliche Seele hat, ist ja aber strittig. Im ersten Fall wäre der endliche Auszahlungswert einem endlichen Divisor zuzuteilen. Der 49 Allein auf den Wegen, die das Evangelium lehrt. 50 . Man beachte auch das ton - mon und das meum - vestrum in den Bibelzitaten. 51 . Jacqueline, die ihn am besten kennt, schreibt ihm am 19. Jan. 1655: Je loue l'impatience que vous avez eue d'abandonner tout ce qui a encore quelque apparence de grandeur. (Bei Gouhier p. 33.) Vgl. auch das überraschende: Grandeur de l'âme humaine im Mémorial. 52 . Chevalier S. 1212. 11 Nutzen wäre also durch einen Quotienten mit endlichem Wert ungleich null zu beziffern. Coram Deo, gemessen am unendlichen Gott, würde es sich nach heutiger Begrifflichkeit um eine infinitesimale Auszahlung für ein infinitesimales Subjekt, also, analog zum Differentialquotienten, auch um einen endlichen Quotienten handeln. Nur im zweiten, dem Fall der Unsterblichkeit der Seele, wäre auch der Divisor unendlich, der endliche Auszahlungswert wäre also praktisch auf null herunterzudividieren, wie Pascal es tut. Mit der Unendlichkeit der Seele aber hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit der Existenz Gottes. Kommt die Seele zur Sprache, so verblaßt die Vexierfrage nach der entkörperten oder doch von ihrer Fleischlichkeit zu läuternden ewigen armen Seele. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz wird infinitesimal, denn alles, was wir uns über das Leben nach dem Tode vorstellen können, ist Narretei53. Entsprechend gewinnt die Frage nach dem Leben in seiner Endlichkeit an Ernst und Tiefe. Mit seiner voreiligen Korrektur von "eins" in "nichts" blieb Pascal dem menschlichen Gefühl von der Größe seiner Seele treu und nahm Abstand von dem demütigenden Gedanken ihrer Sterblichkeit. VI. Infinitesimalrechnung Das unendlich Große war Pascal von seinen mathematischen Anfängen an, wo er, sechzehnjährig, die "unendlich entfernte Linie"54 zu konzipieren wagte, vertraut. Aber erst 1657, drei Jahre nach der "Wette", ist ein Begriff vom unendlich Kleinen entstanden der, genau zusammengedacht mit dem unendlich Großen, konstruktiv und mit Sicherheit zu endlichen Ergebnissen führt, - die Grundlegung der Infinitesimalrechnung. In der Integralrechnung geht es um die Summation einer unendlichen Menge unendlich schmaler Streifen zum Kontinuum einer endlichen Fläche. In der Differentialrechnung 53 . Paulus 1. Kor. 1536. 54 . HERBERT MESCHKOWSKI, Problemgeschichte der Mathematik II, Zürich 1981, S. 53. - GEORGE ADAMS, Strahlende Weltgestaltung, Dornach 1965, S.69, zufolge hat Abraham Bosse, "der Graveur, durch dessen Vermittlung ein bedeutender Teil der Desargues`schen Arbeiten der Nachwelt erhalten blieb" (ebd. 419), erzählt, Pascals mathematischer Lehrer Girard Desargues habe einmal an Pascal geschrieben, que les parallèles sont toutes semblables à celles qui aboutissent à un point. 12 ging es in ihrer Entstehungszeit (und geht es auch nach der neuesten Theorie55 wieder) um den endlichen Wert des Quotienten zweier unendlich kleiner Differenzwerte. Hier liegt im Übergang von Differenzenquotienten zu Differentialquotienten zugrunde das KontinuumsProblem eines Übergangs von Strecken zu Punkten . Zur Zeit der Skizzierung der "Wette" jedoch, 1654, stehen diese exakten Modelle eines Zusammenhangs zwischen Endlichem und Unendlichem Pascal noch nicht zur Verfügung. Pascal hat im täglichen Leben nach seiner Bekehrung von 1654 und erst nach Abfassung der "Wette" allmählich existentielle Einsicht in die Verknüpfung des unendlich Kleinen mit dem unendlich Großen zu endlichem Ergebnis erworben. Sie ist 1657 in der Integralrechnung fruchtbar geworden. Sein früher Tod mit 39 Jahren, 1662, ist der Integration der Grundeinsicht in seine Philosophie zuvorgekommen. Pascal hat sich im praktischen Denken und Handeln im Sinne einer begründeten Freude am Endlichen fortbewegt. Seine Organisation des ersten Pariser Omnibusbetriebs zu gemeinnützigen Zwecken56 liegt auf dieser Linie. Seine Theorie aber, im Grunde nun Theologie, blieb in selbstzerstörerischen Antithesen befangen. (Hierzu ist immerhin zu erinnern, daß ein Evangelium von einem freiwillig Gekreuzigten das Problem der Selbstzerstörung unausweichlich mit sich bringt.) Vor der Unendlichkeit wird, laut Pascals "Wette", die Eins zu nichts. Die neueste Mathematik hat hier nun im Gefolge des späteren Pascal ein Präzisierungsangebot bereit: Sie unterscheidet zwischen der Null und dem infinitesimalen Wert. Der Begriff des Infinitesimalen bedeutet eine Erweiterung des Zahlenbereichs, die strukturell auf eigentümlich schwankendem Boden steht. Die heute noch als klassisch geltende Analysis folgt der Schule von Karl Weierstraß57, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter Rückgriff auf den Begriff der "beliebig kleinen" endlichen Zahl die Infinitesimalzahlen eliminierte. Dieser ist in unsern 55 . Die von ABRAHAM ROBINSON konzipierte, 1966 in Buchform veröffentlichte Nonstandard Analysis. 56 . BÉGUIN dt., 26, 160. 57 . "Der Meister gab die Anregungen, die Ausführungen besorgten seine Schüler." Namentlich ist hier auf EDUARD HEINE, Die Elemente der Funktionenlehre, 1872, zu verweisen. (H. MESCHKOWSKI, Problemgeschichte der neueren Mathematik, 1978, S.112.) 13 Tagen von Hintikka58 spieltheoretisch, d.h. konkreter: im Dialog, fundiert worden. Eine "überabzählbar59 unendliche Menge" von Punkten füllt nach heute klassischer Lehre jedes Stück des Kontinuums, und das Kontinuum ist eineindeutig auf die Menge der reellen Zahlen abzubilden. Der non-standard analysis hingegen, die dem Pascal'schen Denken näher steht, ist die Infinitesimalzahl eine rekursiv abgründige Konzeption:."Das Kontinuum wird nicht erschöpft. Es ist das durch keine Punktmenge ausgefüllte Medium freien Werdens"60. Dieses "Werden" entspricht Pascals existentiellem rekursiven Zunichtewerden vor Gott. Das religiöse infini - rien hat seine mathematische Entsprechung im Problem des Verhältnisses des Kontinuums61 zum Punkt. Für alle mathematischen Zwecke kommt man im Kontinuum mit der überabzählbar unendlichen Menge der Punkte aus, die die endlichen reellen Zahlen repräsentieren. Sowohl das ontologische Problem der generischen Verschiedenheit zwischen Kontinuum und Punktmenge wie das des faktischen Vorgehens der mathematischen Intuition62 bleibt jedoch bestehen. Das Konzept einer infinitesimalen Ausdehnung des Punktes auf der reellen Zahlengerade soll hier vermitteln. Jede reelle Zahl ist von einer sog. Monade aus unendlich vielen hyperreellen Zahlen umgeben. Analog zur Zusammensetzung der komplexen Zahlen aus Real- und Imaginäranteil, sind die hyperrellen Zahlen aus Standard- und Infinitesimalanteil zusammengesetzt. Der Punkt auf der reellen Zahlengeraden wird durch den Realanteil angegeben und seine infinitesimale Ausdehnung ist die Monade. Die Infinitesimalen sind, wie man sagt, "nichtarchimedisch", das heißt: Sie können durch keine endliche Vervielfachung die Größe einer reellen Zahl erreichen, sie stehen in keinem endlichen Größenverhältnis zu reellen Zahlen. 58 . K.JAAKKO HINTIKKA & J. KULAS, The Game of Language, Dordrecht 1983, S. 1. 59 . Begriff von Georg Cantor. Jede beliebig vorgegebene rationale Zahl ist durch ein bestimmtes (eben Cantors) Verfahren in endlich vielen Schritten erreichbar. Für die reellen Zahlen gibt es kein solches Verfahren. 60 . DETLEF LAUGWITZ, Infinitesimalkalkül, 1978, S.17.f 61 . Das in der Fachsprache sog. Kontinuumsproblem ist etwas anderes: Es ist die offene Frage, ob es eine Mächtigkeit von Zahlenmengen zwischen derjenigen der rationalen und derjenigen der reellen Zahlen gibt. 62 . Vgl. Dazu ROBINSON, Metaphysics. 14 Festzuhalten bleibt, daß in beiden mathematischen Denkmodellen man die Füllung auch des kleinsten Kontinuums durch Punkte sich als einen unendlichen Prozeß vorstellen muß. Ich vermute, daß das Kategorienpaar "Punkt und Kontinuum" unsres geometrischen Verstandes begründet ist in dem Kategorienpaar "Subjekt und Prädikat"63, das als universale Sprachform für "Ding" und "Aktion"64 manifest wird. Ein Punkt bewegt sich, das Bestimmte im Unbestimmten. Ein Ding, das sich bewegt, allerdings enthält im Normalfall ein Kontinuum, und eine Bewegung ist im Normalfall begrenzt. Das Phänomen wird durch Subjekt und Prädikat zerlegt in zwei Aspekte. Und Subjekt und Prädikat sind im Normalfall unterschieden durch die verschiedene Präponderanz65 von einerseits diskret-invariantem und anderseits variabel-stetigem Aspekt66. Pascals infini rien ist also zwar ein atypisches Beispiel, aber man kann sagen: Sein infinitesimales rien entspricht dem Subjekt und sein infini, als Zunichtewerden (aktiv: mortificatio67), dem Prädikat. VII. Ergebnis Die ganze Rechnung der "Wette" hängt nach alledem sozusagen im luftleeren Raum, insofern einerseits der endliche Wert des Lebens für den Menschen zum Nichts erklärt wird, weil der endliche Mensch vor dem unendlichen Gott zu nichts werde, anderseits für Gottes Sein eine Ereignismenge von zwei Elementen gleich unbekannter Wahrscheinlichkeit angesetzt wird, so daß man um ihn spielen muß. Aber semper aliquid haeret: Die aufmerksame Lektüre der Pascal'schen Skizze hat uns auf die bleibenden 63 . Wir sind damit bei dem Kernproblem der Eleatischen Philosophie. Einerseits ist an das unbewegliche Sein des Parmenides, anderseits an das Paradox des Zeno vom ruhenden Pfeil zu erinnern. 64 . Man denke an die Äquivalenz von 'kínesis' und 'ahóriston' in der Platonischen Prinzipienlehre. Vgl etwa SIMPLIKIOS, In Arist. Phys. III 2, p.201 b 16sqq. Dazu KONRAD GAISER, Platons ungeschriebene Lehre, 1963, bes. SS. 189ff. 65 . Vgl. hierzu den zweiten Teil der Dialektik Schleiermachers. 66 . Vgl. ROBINSON, Metaphysics, S. 541 über den Marquis de l'Hospital und SS. 544547 über Augustin Cauchy, dem die Variable "a mathematical entity sui generis" (S. 546) gewesen sei. 67 . Vgl. GOUHIER p.22: les mortifications. 15 mindestens infinitesimalen Reste wahnhaften Denkens im Glauben, und nicht nur im Glauben, aufmerksam gemacht.