Simone de Beauvoir - UvA-DARE

Transcription

Simone de Beauvoir - UvA-DARE
Simone de Beauvoir;
Der Andere und das Problem der Übersetzung
30.05.2008
Birthe Schieke
Collegenummer; 0040886
Begeleidster; Angela Grooten
Tweede lezer; Beate Roessler
La Palma 13
1505VR Zaandam
[email protected]
telefoonnummer; 0756161629
Masterscriptie aan de Faculteit van der Geesteswetenschappen van de Universiteit van
Amsterdam
Inhaltsangabe
Einleitung…………………………………………………………………………...S.3-6
Kapitel 1
Das andere Geschlecht und sein philosophischer Hintergrund
§1
Einleitung............................................................................................S.7-10
§2
Die französische Philosophie..............................................................S.11-13
§3
Sartre und Hegel im kurzen Vergleich zu de Beauvoir......................S.14-22
§4
Zwischenbilanz …………………………………………………….S.22-23
Kapitel 2
Die Übersetzungen
§1
Einleitung............................................................................................S.23
§2
Nutzen und Problematik von Übersetzungen.....................................S.24-25
§3
Die deutschen Übersetzungen............................................................S.25-26
§4
Vergleich der zwei deutschen Texte...................................................S.26-29
§5
Die Wahl der deutschen Übersetzungen.............................................S.29
§6
Vergleich der deutschen Übersetzung mit der englischen und
niederländischen Übersetzung und dem französischen
Original...............................................................................................S.30-33
§7
Abweichungen oder Fehler?...............................................................S.34-36
1
§8
Zwischenbilanz...................................................................................S.36-37
Kapitel 3
Der Andere und der Zweite
§1
Der Andere..........................................................................................S.37-40
§2
Der Andere im philosophischen Vergleich.........................................S.40-44
§3
Der Zweite..........................................................................................S.45-48
§4
Die Folgen………………………………..........................................S.48-50
§5
Zwischenbilanz...................................................................................S.49-50
§6
Bilanz und Ansätze zur weitern Untersuchung..................................S.50-52
Fazit…………………………………………………………………………………S.53-54
Bibliographie.………………………………………………………………………S.55-57
Appendix…………………………………………………………………………...S.58-59
2
Einleitung
Ich werde mich in dieser Masterarbeit mit dem Werk Das andere Geschlecht von Simone
de Beauvoir befassen. Hauptsächlich geht es hier um die unterschiedlichen Übersetzungen
in verschiedenen Sprachen. In meiner Arbeit gehe ich von der Annahme aus, dass es sich
bei der deutschen Übersetzung um eine unkorrekte Übersetzung aus dem Französischen
handelt. Im Vergleich mit der englischen und der niederländischen Übersetzung des
gleichen Werks werde ich dann untersuchen, wie die Übersetzung zustande gekommen ist
und ob es eventuell Verbesserungsvorschläge gibt.
Auf meiner Suche nach der Übersetzung bin ich auf einen interessanten Fund
gestoßen, es gibt nicht nur eine, sondern zwei deutsche Übersetzungen, des Werkes von
Simone de Beauvoir. Beide tragen denselben Titel: Das andere Geschlecht Sitte und
Sexus der Frau, darüber hinaus sind beide Übersetzungen im gleichen Verlag, nämlich
dem Rohwolt Verlag, erschienen. Allerdings sind sie von verschiedenen Übersetzern aus
dem Französischen übersetzt worden.
Der Rohwolt Verlag war mir bei meiner Suche sehr behilflich, auch wenn es am
Anfang nicht danach aussah, dass ich überhaupt eine Antwort bekommen würde. Nach
mehrmaligem E-Mail- und Briefkontakt kam nach zwei Monaten eine Antwort von dem
damals verantwortlichen Redakteur des Rohwolt Verlages. Herr Heepe ist der einzige
Kontakt, den der Verlag mir mit einem ehemaligen Mitarbeiter vermitteln konnte, der
dem Verlag in der Periode, in der beide Übersetzer diesem verbunden waren, hier
ebenfalls tätig war. Die Antworten die ich von Herrn Heepe bekommen habe, habe ich in
meiner Masterarbeit verarbeitet und darüber hinaus haben sie mir bei manchen
schwierigen Fragen sehr geholfen.
Die Verkaufszahlen die ich netter Weise von Herrn Heepe bekommen habe,
zeigen unumstößlich, wie gering die Rezeption des Buches in der heutigen Zeit ist. Um
dies zu verdeutlichen nehme ich an dieser Stelle ein Zitat aus unserer Korrespondenz auf:
„ Aus dem Verlag höre ich, dass bisher insgesamt in beiden Übersetzungen und allen
Ausgaben (gebunden und als Taschenbuch) in 55 Jahren ca. 530.000 Exemplare von Das
andere Geschlecht verkauft worden sind. Zur Zeit sind es pro Jahr einige Hundert mit
sinkender Tendenz. Die Wende habe auf den Absatz keinen wahrnehmbaren Einfluss
gehabt.“
3
Hier zeigt sich die Tendenz, die auch in dem Buch von Karin Vintges Philosophy
as Passion1 beschrieben wird sehr deutlich.
„However, in spite of enormous sales figures, this book appears to be at the same time one
of the most criticized and one of the least read works in feminism. Feminist have it on their
shelves because it simply has to be there, but few have actually read it.”
Wie wir bei Karen Vintges lesen können, werden die Verkaufszahlen des Buches
Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir von dem Herausgeber Gallimard auf 3-4
Millionen Exemplare geschätzt, schon auf dem Deutschen Markt alleine sind das 530.000
Exemplare. Auf dem amerikanischen Markt wurden bis 1969, 750,000 Ausgaben dieses
Buches verkauft2. Doch mit grade einmal 100 verkaufte Büchern (im Moment in
Deutschland) pro Jahr und einer sinkenden Tendenz, zeigt sich, wie gering die Bedeutung
dieses Buches, welches als „Bibel des Feminismus“ bezeichnet wird, für die breite Masse
ist..
Die ältere, ursprüngliche Version stammt aus dem Jahre 1951 und wurde durch
Eva Rechel-Mertens (erstes Buch) und Fritz Montfort (zweites Buch) aus dem
französischen übertragen und die neuere Version aus dem Jahre 1992 wurde durch Uli
Aumüller (erstes Buch) und Grete Osterwald (zweites Buch) aus dem Französischem
übersetzt. Ich werde mich ausschließlich mit den Übersetzern des ersten Buches befassen,
weil ich mich auf die Einleitung des Buches und auf einige ausgewählte Teile aus dem
Buch von Simone de Beauvoir beschränken werde. Mehr als die Einleitung und einige
Auszüge aus dem Buche, die zur Verdeutlichung beitragen sollen, würden den Rahmen
meiner Masterarbeit bei weitem übersteigen und würden bei dem jetzigen Stand der
Dinge nicht viel zu neuen Erkenntnissen beitragen, da ich im Moment davon ausgehe,
dass die Übersetzung im gleichen Stil weiter geführt wird.
Nach dieser Entdeckung, dass es zwei deutsche Übersetzungen gibt, war mir klar,
dass ich diese beiden deutschen Übersetzungen erst vergleichen musste, bevor ich die
deutsche Version mit irgendeiner anderssprachigen Version vergleichen konnte. Denn
wenn es schon eine „verbesserte“, beziehungsweise eine korrekte Übersetzung gibt, wäre
es überflüssig noch eine Untersuchung danach anzustellen.
Es kann natürlich auch so sein, dass der Rohwolt Verlag beschlossen hatte eine neue
Übersetzung zu verlegen, weil die Sprache der ursprünglichen Version veraltet und nicht
1
Vintges, Karen, Philosophy as passion,1996 Seite 166
4
mehr zeitgemäß war, hier würde sich dann die Frage stellen, ob es drastische
Veränderungen gegeben hat, oder ob die Übersetzung lediglich ein neues Gesicht
bekommen hatte, im Prinzip aber unverändert geblieben ist.
Meine Untersuchungsfrage für diese Arbeit ist: Was für einen Einfluss haben
Übersetzungen auf die Qualität des Werkes und kann eine Übersetzung besser sein als das
Original?
Mein erstes Anliegen ist es, die verschiedenen Übersetzungen des Buches Das andere
Geschlecht von Simone de Beauvoir zu untersuchen und mich hierbei besonders auf die
philosophischen Begriffe zu stützen. Im Laufe meiner Untersuchung aber stellte sich mir
auch noch eine ganz andere Frage, nämlich ob Simone de Beauvoir eine Existentialistin
ist, wie oft angenommen wird, oder ob man sie eher als eine Phänomenologin sehen
sollte. Auf diese beiden Leitfragen werde ich in meiner Arbeit nun ausführlich eingehen.
Das Buch Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir hat mit seinem
Erscheinen für große Aufregung gesorgt, daher ist es sehr schnell in andere Sprachen
übersetzt worden. Die erste Übersetzung ins Deutsche war keine sehr gute und daher
wurde eine zweite Übersetzung gemacht, die einen höheren philosophischen Standard
erfüllen will. Ich werde untersuchen, ob die zweite deutsche Übersetzung besser ist und
ob sie den philosophischen Inhalt, den Simone de Beauvoir beabsichtigt hat, wieder gibt.
Anschließend werde ich mich der Frage nach der Interpretation von Simone de Beauvoirs
Richtung, Existentialismus oder Phänomenologie, widmen.
Im ersten Kapitel werde ich mich mit dem Werk Das andere Geschlecht und der
ihm zugrunde liegenden Philosophie beschäftigen. Ich werde das Buch kurz einleiten und
versuchen die Zeit in der Simone de Beauvoir ihr Werk geschrieben hat zu skizzieren. Um
de Beauvoirs Philosophie besser verstehen zu können, werde ich ihre Ansichten mit denen
von Sartre und Hegel vergleichen um darauf im dritten Kapitel ausführlicher, im Kader
des Anderen und des Zweiten, zurück zu kommen.
Im zweiten Kapitel werde ich die verschiedenen Übersetzungen, nämlich die zwei
deutschen, die englische und die niederländische Übersetzung miteinander und dann mit
dem französischen Original vergleichen. Hierbei werde ich auch weiter auf die beiden
deutschen Übersetzungen eingehen und diese analysieren. Als Abschluss dieses Kapitels
werde ich mich damit befassen, ob Fehler in den Übersetzungen immer als Fehler gesehen
werden müssen, oder ob man diese auch als gerechtfertigte Erweiterungen sehen kann.
2
Idem, Seite 36
5
Im dritten und letzen Kapitel werde ich mich mit der Thematik des Anderen und
des Zweiten in der Philosophie befassen und Simone de Beauvoirs Anderen mit dem
Konzept des Anderen von Merleau-Ponty, Lèvinas und Hegel vergleichen. Wer ist der
Andere in der Philosophie und was hat er für einen Stellenwert für die Phänomenologie
werden Fragen sein, die ich versuche zu beantworten. Zum Abschluss des dritten Kapitels
werde ich eine Bilanz ziehen und weitere Untersuchungsmöglichkeiten anreichen.
In meinem Fazit werde ich abschließend eine kurze Zusammenfassung meiner
Untersuchungsergebnissen geben und auf Möglichkeiten zu weiteren Untersuchungen
hinweisen.
6
Kapitel 1
Das andere Geschlecht und die
Philosophie dahinter
§1
Einleitung
Das Buch Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir ist nicht nur eine
Abhandlung über die Frauen, sondern untersucht die zwischenmenschlichen Beziehungen
von Menschen und insbesondere von Mann und Frau. Die Moral spielt bei de Beauvoir
im Gegensatz zu Sartre eine große Rolle. Bei de Beauvoir sind Moral und Emotionen
nicht nur möglich, sondern diese sind sogar erwünscht.
In ihrem Buch Das andere Geschlecht verwendet de Beauvoir philosophische
Begriffe, die sie den philosophischen Begriffen von Sartre entlehnt. Während Sartre an
„das Nichts“3 glaubt und sich hierdurch von der Welt „des Seienden“ absetzt, umarmt de
Beauvoir in ihrem Buch „das Seiende“ und sieht es nicht als eine „Unaufrichtigkeit“,
wenn der Mensch sich nach dem Sein sehnt.
Das andere Geschlecht, auch „die Bibel des Feminismus“ genannt4, hat(te) einen
großen Einfluss auf den Feminismus in Europa. Obwohl es in erster Instanz als
intellektuelles und theoretisches Werk gedacht war und nicht als Streitschrift, hat es sich
sehr schnell als eine solche entwickelt5.
Die Reaktionen, die dieses Werk besonders in Frankreich hervorrief, waren in der
ersten Zeit sehr negativ. Diese negative Reaktion wird zum Teil auch auf den Zeitpunkt
und die Weise der Herausgabe geschoben, da das Kapitel über die Sexualität „Les Temps
Modernes“ eine kurze Zeit zuvor herausgegeben worden war. Als schließlich „Das
andere Geschlecht“ herausgegeben wurde, rief es Reaktionen wie „vulgär“, und „Sie
haben den französischen Mann lächerlich gemacht“ hervor6.
Das Buch Das andere Geschlecht war in seiner Zeit ein revolutionäres Werk und
wurde auch als ein solches aufgefasst. Von Frankreich aus nahm es seinen Lauf und
wurde sowohl in andere Sprachen übersetzt, als auch in anderen Ländern herausgegeben,
3
Sartre, Jean- Paul, Das Sein und das Nichts , Rowohlt, 1985
Schwarzer, Alice, Gesprekken met Simone de Beauvoir, uit een periode van tien jaar 1972-1982,
Feministische Uitgeverij Sara, Seite 60.
5
Idem, Seite 60
6
Idem, Seite 61
4
7
auch wenn dieses nicht in allen Ländern Europas der Fall war. Eines der Länder, in denen
es nicht erschien, war die DDR.
Wie sich bei meiner Untersuchung herausstellte gab es keine großen Unterschiede
in den Verkaufzahlen vor und nach der Wende, obwohl man im ersten Moment annehmen
könnte, dass grade ein Buch wie Das andere Geschlecht doch den Sprung schaffen sollte
von einem nicht gedruckten Buch zu einem Bestseller zu werden. Leider schien das im
vereinten Deutschland nicht der Fall zu sein7.
Aber warum wurde es nicht mit offenen Armen in der ehemaligen DDR
empfangen? Oder konnte es einfach nicht die nötige Aufmerksamkeit erlangen? Irene
Selle gibt zu diesen Fragen die folgenden Antworten;
„Als Das andere Geschlecht (le Deuxiéme sexe, Paris 1949) im Dezember 1989, einen Monat
nach dem Fall der Mauer, endlich auch in de DDR erschien, wurde es inmitten des allgemeinen
Auf- und Umbruchs kaum wahrgenommen.“8
Wie an diesem Zitat zu sehen, ist es weniger die Qualität des Buches, als
vielmehr die Umstände, die dem „wiederaufleben“ Steine in de Weg legen. Auch wenn
das Buch in der DDR nicht offiziell verboten war, so wurde es doch von den Verlägen
nicht verlegt und durch die stürmische Zeit der Wende konnte das Buch sich nicht so
entfalten und verbreiten wie es nötig gewesen wäre, um eine neue Welle der Begeisterung
und der Emanzipation zu entfachen. Durch diese verpasste Chance und die fehlende
Werbung für dieses Buch ist es leider in der ehemaligen DDR nie zu einem Bestseller
geworden, was für eine Neubelebung elementar wichtig gewesen wäre.
Im Großen und Ganzen ist jedoch das Buch gut in Europa aufgenommen worden.
In den meisten Ländern, wie in Deutschland und den Niederlanden, wurde es sehr viel
positiver als in Frankreich empfangen9. Von da an nahm der Triumphzug von Das andere
Geschlecht seinen Lauf.
Simone De Beauvior geht es um die Gleichberechtigung der Frau in der
Gesellschaft und im Leben überhaupt. Hiermit beabsichtigt sie aber nicht, dass sich die
Verhältnisse, die zu Ihrer Zeit bestanden, umdrehen -
also dass der Mann der
7
„ Aus dem Verlag höre ich, dass bisher insgesamt in beiden Übersetzungen und allen Ausgaben (gebunden und als Taschenbuch) in
55 Jahren ca. 530.000 Exemplare von "Das andere Geschlecht" verkauft worden sind. Zur Zeit sind es pro Jahr einige Hundert mit
sinkender Tendenz. Die Wende habe auf den Absatz keinen wahrnehmbaren Einfluss gehabt.“ Aus de E-mail des Herrn Heepe.
8
Zitat aus “Die Philosophin”, Forum für feministische Theorie und Philosophie, 10. Jahrgang, Heft 20,
Oktober 1999, Seite 114
9 Schwarzer, Alice Gespräche mit S. de Beauvoir, Seite 61, 62
8
Unterdrückte wird und die Frau das absolute Subjekt - sondern sie möchte eine Situation
in der beide (Mann und Frau) gleichgestellt sind. Sie möchte Gleichheit in der
Unterschiedlichkeit (Frauen und Männer sind biologisch nun einmal verschieden). Sie
möchte, dass Argumente von Frauen soviel zählen, wie sie inhaltlich Wert sind, und nicht
weniger, weil sie von einer Frau ausgesprochen werden. Sie möchte eine Beziehung
zwischen Mann und Frau, in der es keinen Herrscher und keinen Beherrschten gibt10. Die
Frau muss sich als ein Selbst entwerfen dürfen und nicht nur als ein Anderer dargestellt
werden. Der Mensch ist bei ihr auch nicht nur reines Bewusstsein, wie das bei Sartre der
Fall ist, für de Beauvoirs Argumentation und Sichtweise spielt auch das Körperliche eine
sehr wichtige Rolle. Dieser Aspekt wird sonst oft vergessen oder absichtlicht
weggelassen.
Wie Karin Vintges treffend sagte:
„she wants for both men and women to become a sensitive self“11
Was bedeutet das, das „sensitive self“, das sensitive Selbst12. Was ist nötig um ein
„selbst“ zu entwickeln?
Die Unabhängigkeit der zwei Geschlechter wobei keiner dem anderen überlegen
ist, ist der Kern der ganzen Bemühungen und muss auch als solcher gesehen werden.
Simone de Beauvoir sucht die Gleichheit darin, dass keines der zwei Geschlechter
unterdrückt wird (nirgendwo auf der Welt)13.
Der Kampf für die Gleichheit konnte nur dadurch entstehen, dass es Ungleichheit gegeben
hat (und auch noch immer gibt). Diese Ungleichheit ist im Laufe der Zeit entstanden, weil
der Mann sich als das überlegene Wesen aufschwingen konnte. Er konnte sich im Kampf
mit wilden Tieren und Angreifern profilieren, während sie als Mutter zu Hause saß und
sich um die Kinder und den Haushalt kümmerte.14 Diese Entwicklung war nicht
notwendig, Mann und Frau hätten auch gleichberechtigt bleiben können, was leider nicht
geschah. Die Frau wurde zum Anderen, während der Mann die Welt nach seinen
Vorstellungen schuf. Die Frau wurde auf ihren Körper reduziert und wurde damit
untergeordnet, hierdurch wurde ihr die Freiheit genommen sich selbst als ein `Selbst´ zu
entwerfen. Den Unterschied, den wir hier sehen, können wir nicht biologisch, oder
10
De Beauvior, Simone, Das andere Geschlecht, Rowolt Taschenbuch Verlag, copyright 1951, Seite 900
Vintges, Karen, A feminist thinker for the twenty -first century, Seite 1
12
Übersetzung aus die Philosophin, Seite 99, Fußnote 3
13
de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht, Seite 9
14
Idem, Seite 89-90
11
9
natürlich erklären, denn er ist von Mannes Hand gemacht, er ist kulturell, die Frau würde
zu der Frau gemacht, die wir vor uns sehen15. Einmal in dieser Rolle gefangen war sie zur
Passivität verdammt. Erst heute haben wir die Wahl um Kinder zu bekommen, oder nicht.
Wir können uns als Selbst definieren und uns nicht weiter unterdrücken lassen, weil wir
unser Schicksal selbst in der Hand haben. Um gleichberechtigt werden zu können, müssen
wir unser Selbst akzeptieren und annehmen. Simone de Beauvoir möchte nicht, dass
Frauen Männer werden, oder dass Männer Frauen werden, aber wir müssen beide Seiten
(Körperlichkeit und Bewusstsein), die in uns sind, akzeptieren, sowohl der Mann als die
Frau16. 17
In der Einleitung des Buches Das andere Geschlecht geht es
hauptsächlich um die Beweggründe von Simone de Beauvoir, ein Buch über die Frau zu
schreiben und wie die Situation der Frau in ihrer Zeit aussah. Sie beschreibt deutlich, wie
Männer „der modernen Zeit“ die Frau oder ihre Frau sehen, und wie und warum sich die
Frau in der Situation befindet, in der sie sich jetzt befindet.
Auch hier wird schon ein kurzer Blick auf die geschichtliche Position der
Frau geworfen, wie zum Beispiel der Kommentar von Plato zeigt:
„Unter den Wohltaten, für die Platon den Göttern dankte, war die erste, dass sie ihn frei und nicht
als Sklaven erschaffen hatten, die zweite, dass er ein Mann und keine Frau geworden war.“18
Die philosophische Seite des Werkes wird nicht oft belichtet und dadurch
wird das Werk häufig als rein feministisch gesehen. Das hat jedoch in den meisten Fällen
mit den Übersetzungen zu tun. Philosophische Begriffe werden oftmals zu allgemein
übersetzt, womit sie zwar ein breiteres Publikum ansprechen, hierbei dann aber den
philosophischen Wert des Buches untergraben.
Diese These führt mich zu der Leitfrage dieser Arbeit:
Können wir Simone de Beauvoirs Werk Das andere Geschlecht seinen
philosophischen Wert wiedergeben, wenn die philosophischen Begriffe, die sie benutzt
auch deutlich philosophisch übersetzt werden?
15
de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht, Seite 20
Aufzeichnungen 06.05.04 hoorcollege Politieke en sociale Filosofie
17
Hausarbeit für politieke en sociale politiek, Rawls, Marx en Simone de Beauvoir.
18
Idem, Seite 18
16
10
§2
Die französische Philosophie
Die französische Philosophie begann im allgemeinen mit Descartes. Auch wenn es
unmöglich ist, die französische Philosophie in eine Richtung, beziehungsweise in einer
Schule einzuordnen, kann man sagen, dass sich die gegenwärtige Evolution der
Philosophie in Frankreich in zwei Teile aufteilen lässt. Nach 1945 trifft man die „drei
H`s“ (Hegel, Husserl und Heidegger) an und rund 1960 werden diese drei von den drei
„Masters of suspicion“ (Marx, Nietzsche und Freud) abgelöst. Der Einfluss von Hegel,
Husserl und Heidegger vor 1930 (meist wegen fehlender Übersetzungen) war gering, und
kam erst 1945 auf. Der Einfluss von Husserl und Hegel ging aber auch nach 1960 nicht
komplett verloren, auch wenn die Einflussnahme von Hegel und Husserl nicht mehr so
dominant anwesend war19.
Die zwei Richtungen, die in der französischen Philosophie im Moment am
wichtigsten sind, sind die Phänomenologie und die Existenzphilosophie, beziehungsweise
der Existentialismus die sich aus den Theorien der „drei H’s“ und der drei „Master of
suspicion“ herauskristallisiert haben.
Die Idee, dass die Existenz des Subjekts im Vordergrund steht, ist in der
französischen Philosophie von Sartre in den 40er und 50er Jahren dominant anwesend wie
wir bei Descombe sehen können.
„My existence is certain, yours is much less so“. And more radically, “I am, therefore you are
not.”20
Dadurch, dass die Existenz im Idealismus von mir selbst gegeben ist und ich den Anderen
als ein Objekt betrachte und untersuche, wird meine eigene Existenz verstärkt und die des
Anderen zunichte gemacht. Ich mache den Anderen zum Objekt und hierdurch nehme ich
ihm seine Existenz.
Wenn wir Descartes betrachten, wird auch der Ansatz von Sartre deutlich, denn
„The word „absolute“ destined for a brilliant career in modern philosophy, is the one used
by Descartes in „Regulae ad directionem ingenii.“ Now there can never be several simultaneous
absolutes. A second absolute (an other) is necessarily a rival of the first (myself, ego). In the
19
20
Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite 1-8
Descombe, Vincent,Modern French Philosophie, Seite 20.
11
plural, absolutes are no more than pretenders to the absolute, competitors clawing over one
another for the throne.”21
Während Sartre der selben Meinung wie Descartes ist, dass es niemals mehr als ein
Subjekt, ein Absolutes gibt, besteht diese Möglichkeit bei Simone de Beauvoir sehr wohl.
Gehen wir davon aus, dass es eine Entwicklung wie bei Hegel und dem Absoluten geben
kann, dann können wir Simone de Beauvoir in diesem Punkt verteidigen. Bei Sartre gibt
es nur das eine Absolute, dass den Anderen zum Objekt macht und ihm seine Macht
nimmt. Nur das Subjekt im Hier und Jetzt zählt. Das scheint, wenn wir uns in der
Wirklichkeit umschauen, auch tatsächlich so zu sein. Die Welt wird immer individueller.
Sehen wir das Ganze aber als eine Entwicklung, ist dieser Streit nach Macht nur der
Anfang und haben wir die Möglichkeit uns darüber hinwegzusetzen. Hierfür müssen wir,
nach Simone de Beauvoir, unsere Körperlichkeit akzeptieren. Tun wir das, können wir
dem Anderen näher kommen und zu zwei Absoluten werden, die nebeneinander existieren
können.
Simone de Beauvoir war stark beeinflusst von der französischen Philosophie ihrer
Zeit und natürlich auch von den Ideen von ihrem Lebenspartner Sartre, der wiederum
durch Hegel beeinflusst wurde. Doch setzt sich das Bild der Simone de Beauvoir
hinsichtlich der Körperlichkeit und des Verlangens sehr von dem Bild Sartres ab.
„ We know that in Plato desire is presented as a composite: though Eros is the child of Penia, or
Lack, his father is Poros, the Happy Mean. Eros is thus a lack here engendered by a presence
elsewhere. For Hegel, desire is not like this. The term is used, in Kojèves commentaries, to
translate the word Begierde as it figures in Chapter IV of the Phenomenology. And since chapter
IV is, in Kojève’s view, the key to the whole work, dialectical philosophy can now be defined as
the thinking which identifies desire with pure negativity, and sees in it not only negation, but
negation of the negation. “22
Wie wir sehen werden spielt die Körperlichkeit, die Begierde, von der hier die Rede ist,
bei Simone de Beauvoir eine sehr wichtige Rolle. Sartre hingegen grenzt sich von der
Körperlichkeit ab und schließt sich den Ideen Hegels an. Simone de Beauvoir geht mit
ihrer Philosophie einen Schritt weiter und untersucht den Menschen als Ganzes mit samt
21
22
Descombe, Vincent, Modern French Philosophie, Seite 22
Descombe, Vincent, Modern French Philosophie, Seite 26
12
seiner Körperlichkeit, hierdurch erweitert sie ihre Philosophie nicht nur, sondern setzt sich
damit auch von Sartres Existentialismus ab.
Das wichtige bei der ganzheitlichen Untersuchung von Simone de Beauvoir ist,
dass die Position der Frau anders untersucht wird, als erst getan wurde. Dadurch, dass die
Position der Frau nicht eine natürliche Position, sondern eine künstliche, vom Mann
geschaffene ist, kann sich die Frau aus dieser Position befreien, was bei Objekten in der
Welt nicht möglich ist. Obwohl man auch den Mann als eine Art Konstruktion sehen
kann, so hat er sich doch selbst entworfen beziehungsweise konstruiert und so nimmt er
eine andere Position als die Frau ein.
“Natural being is defined by identity (in the ordinary an non-dialectical sense of the term). The
thing in nature-dog, stone- is what it is and nothing other than what its nature (its identity)
prescribes.”23
Kojève von dem diese Idee stammt, geht von einer dualistischen Ontologie aus bei der
sich der Mensch (auf englisch man, was also Mensch, oder Mann heißen kann)
beziehungsweise das Sein des Menschen unterscheidet von dem Sein des Gegenstandes,
wie zum Beispiel ein Stein. Der Stein kann nichts anderes sein, oder werden als ein Stein,
der Mensch hingegen kann sich verändern und wird durch seine Geschichte dialektisch.
Natur hat keine Geschichte, nichts wird kreiert ( die natürlichen Vorgänge, wie zum
Beispiel das schlüpfen des Kückens aus dem Ei, das dann wieder ein neues Ei legt). Die
Natur besteht um zu Sein und so zu bleiben, der Mensch besteht um zu sein und sich zu
verändern.24
Da sich also die Position der Frau von der eines Steines unterscheidet, ist es der
Frau möglich, sich aus ihrer Situation zu befreien, da sie, obwohl ihre Identität durch den
Mann kreiert wurde, eine Identität hat.
„Hence, for a thing in nature, „to be“ and „to be itself“ are equivalent.”25
Ein Ding kann sich also nicht verändern, es hat kein Bewusstsein. Erst durch ein
Bewusstsein ist es dem Menschen möglich zu reflektieren und sich bewusst zu verändern.
23
Descombe, Modern French Philosophie, Seite 34
Idem, Seite 34,35
25
Idem, Seite 37
24
13
§3
Sartre und Hegel im kurzen Vergleich zu Simone de Beauvoir
Um Simone de Beauvoirs Werk auf eine philosophische Art und Weise
lesen zu können, muss man den Hintergrund ihrer Ansichten verstehen. Sartre, ihr
Lebensgefährte, und Hegel spielen hierbei eine große Rolle. Der Existentialismus, der
durch Sartre und Camus in den 1930er Jahren begründet wurde, hat auch auf Simone de
Beauvoir einen starken Einfluss ausgeübt.
Es geht Sartre um das Sein und wie wir uns dem „Anderen“ gegenüber
verhalten, genau wie man es bei Simone de Beauvoir wiederfinden kann. Auch der
Einfluss von Heidegger ist bei Simone de Beauvoir deutlich anwesend. Es geht bei
Heidegger um das Zwischenspiel zwischen dem Mann und der Welt um ihn herum. Der
phänomenologische Aspekt den Heidegger mit Pre- Reflektion beschreibt sehen wir auch
bei de Beauvoir in ihren Untersuchungen über das alltägliche Leben zurück.
Sartre macht in seinem Buch Das Sein und das Nichts einen Unterschied
zwischen dem Sein der körperlichen Dinge (Être en soi) und dem Bewusstsein (Être pour
soi). Der Mensch kennt ein Verlangen, nämlich um zu sein. Sobald er dieses Gefühl
zulässt, entwickelt sich ein „Ich“, woraus er sich selbst erlebt und entwirft. Hierdurch
wird er zu dem körperlichen Sein (Être en soi). Wenn er ausschließlich so, in seiner
Körperlichkeit lebt, ist er sich selbst und der menschlichen Existenz nicht treu, sondern
„in böser Absicht“ beziehungsweise „ unaufrichtig“ (te kwader trouw). Erst im Angesicht
des Anderen wird sich das Bewusstsein (Être pour soi) entfalten und als eine Entität und
als ein Nichts bestehen können26.
Der Mitmensch ist für uns immer ein Objekt, da wir ihn im Sinne von
Sartre niemals als ein Subjekt wahrnehmen können, weil wir ihn durch die Betrachtung zu
einem Objekt machen und auch keine Möglichkeit haben, ihn als ein Subjekt
wahrzunehmen. Wenn wir von diesem Standpunkt ausgehen, wird die Verantwortung,
den Mann zum Objekt zu machen und sich selbst zum Subjekt empor zu schwingen, auch
auf die Frau übertragen, da der Mann gar keine Möglichkeit hat sie als ein Subjekt
wahrzunehmen, wie Simone de Beauvoir das gerne gehabt hätte. Es ist nämlich nicht so,
dass man erst ist/besteht und dann danach probiert den Anderen zu einem Objekt zu
machen, sondern das „zum Objekt machen“ des Anderen ist bei Sartre eine Basis unseres
Bestehens und hiermit konstitutiv für das Subjekt.
26
Vintges, Karen, Filosofie als Passie, Seite 38
14
Der Andere verliert in diesem Prozess nicht nur seine Subjektivität vor
mir, sondern er verliert seine Subjektivität auch vor sich selbst, da er sich darüber bewusst
wird, dass er (auch) ein körperliches Ding ist. Wir werden uns in diesem Prozess bewusst,
dass wir eine „Außenseite“ haben. Wir fühlen, wie wir zum Objekt werden27. Der Blick
des Subjekts macht mich zum Objekt und werde ich mir dessen bewusst.
Wenn man Sartre in diesem Model weiter folgt, kommt man zu zwei
Möglichkeiten, mit denen man sehr schön die Parallelen mit Simone de Beauvoir sehen
kann. Die erste Möglichkeit ist, dass man sich als Objekt dem Anderen unterwirft (das
was Frauen in den Augen von Simone de Beauvoir gemacht haben und immer noch
machen, was aber, wie man im dritten Kapitel sehen wird, auch viel mit der Erziehung zu
tun hat). Oder man handelt, und man macht als zweite Möglichkeit den Anderen zum
Objekt und sich selbst hierdurch wieder zum Subjekt. Der Kontakt zwischen den
Menschen kann nach Sartre nur einer sein, der von der Subjekt-Objekt Beziehung geprägt
ist, wobei es die ganze Zeit um die Frage geht, wer grade in diesem Kontakt das Subjekt,
und wer das Objekt ist.
Bei Simone de Beauvoir ist die Subjekt-Objekt Beziehung eindeutig. Ein
gute Bespiel hierfür ist der Kontakt zwischen Frauen und Männern; da die Frau hier
immer das Objekt ist und es auch bleibt, da sie in ihrer Situation dieses Verhältnis nicht
umzudrehen vermag. Und genau das ist es, was die Frau eigentlich machen müsste: Sie
müsste sich als ein Subjekt definieren und den Anderen (welchen Anderen auch immer)
zum Objekt machen um danach den nächsten notwendigen Schritt zu gehen. Simone de
Beauvoir möchte soziale Veränderungen wobei das Verhältnis zwischen Mann und Frau
nicht auf Feindschaft basiert ist. Die Frau sollte sich befreien können aus der familiären
Umgebung und sich durch ihre Arbeit und ihre sozialen Aktivitäten definieren zu können.
Um dieses zu erreichen muss aber die ganze soziale Struktur verändert werden und die
Frau sollte sich dagegen wehren als der Andere, als das Objekt betrachtet zu werden. Nur
dann kann ein ebenbürtiges Verhältnis zwischen Mann und Frau entstehen28.
Der große Unterschied, den man bei Simone de Beauvoir und bei JeanPaul Sartre finden kann, ist, dass bei Sartre nahezu keine Rede von Moral ist, während
diese bei Beauvoir nahezu immer anwesend ist. Bei Sartre sind wir frei, dafür aber
verdammt unser Leben in Einsamkeit zu führen, wenn wir nicht in “Unaufrichtigkeit“
27
28
Vintges, Karen, Filosofie als Passie, Seite 39-40
Vintges, Karen, Philosophie as Passion, Seite 144, 145
15
(kwader Trouw) leben wollen29. Bei Simone de Beauvoir sind wir nicht frei, wir sind
körperlich, aber hierdurch können wir uns dem Anderen annähern.
Das Werk Das andere Geschlecht ist wie Das Sein und das Nichts ein
phänomenologisches Werk. Beauvoirs Werk richtet sich aber auch auf die Ethik und
versucht die ethischen Einstellungen der Menschen zu verändern30, was bei Sartre nicht
der Fall ist. Simone de Beauvoirs Philosophie und ihre Gedanken basieren sich zum
größten Teil auf Sachverhalte und Situationen die in der Wirklichkeit zu finden sind,
während Sartres Philosophie abstrakter ist und sich mehr im Metaphysischen abspielt.
Der Unterschied zwischen der Theorie von Sartre, und der von Simone
de Beauvoir ist die philosophische Grundeinstellung. Sartre, der deutlich ein Existentialist
ist (obwohl er seinem Buch Das Sein und das Nichts den Untertitel Versuch einer
phänomenologischen Ontologie gibt), untersucht den Begriff des menschlichen
Existierens. Die Existenzphilosophie war besonders in den 40er Jahren in Frankreich
wiederzufinden. Dieser Existentialismus findet seinen Ursprung jedoch in Deutschland,
wo er Ende der 1920er Jahre entstand.
Der Existentialismus befasst sich mit existentiellen Erlebnissen, wie zum
Beispiel Angst, Sorgen, Geworfenheit, Tod, Scheitern, Ekel, Nichts und der Absurdität
der Welt. Im Gegensatz zur Metaphysik geht es hier um die Sinnfindung in konkreten
Existenzvollzügen in der Existenz und nicht hinter ihr.31
Jean-Paul Sartre beschäftigte sich in erster Linie mit dem atheistischen Existentialismus,
das heißt,
„wenn Gott nicht existiert, es mindestens ein Wesen gibt, bei dem die Existenz der Essenz
vorausgeht, ein Wesen, das existiert, bevor es durch irgendeinen Begriff definiert werden kann,
und dass dieses Wesen der Mensch, oder wie Heidegger sagt, die menschliche Wirklichkeit ist. ...
Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich
danach definiert.“32
Bei Sartre schafft der Mensch sich in diesem Sinne selbst, er entwirft
sich, er ist also nur das, wozu er sich selber macht und hierdurch wird er selbst
verantwortlich für das, was er ist. Diesen Punkt finden wir auch bei Simone de Beauvoir
wieder, obwohl wir hier beachten müssen, dass die Frau nicht die Möglichkeit hatte, um
29
Artikel van Vintges, Karen, Simone de Beauvoir: A feminist Thinker for the Twenty-first Century Seite 2
(Auf Nachfrage bei der Autorin zu erhalten)
30
Idem, Seite 5
31
32
http://lexikon.meyers.de/meyers/Existenzphilosophie
http://www.gak-speyer.de/archive/religion/materialien/exista2.htm
16
sich selbst zu schaffen, sondern vom Mann geschaffen wurde und somit in einer anderen
Situation endet. Der Mann hat sich im Laufe der Entwicklung zum dominanten Subjekt
hervorgehoben und kommt hierdurch in die Situation um die Identität der Frau zu
entwerfen, diese jedoch hat nicht die Möglichkeit den Mann nach ihren Maßstäben zu
kreieren, weil sie sich nicht durch den Kampf emporgeschwungen hat. Auf diesen Punkt
werde ich im Laufe meiner Arbeit noch weiter eingehen.
Wenn wir uns selbst schaffen, so sind wir für das Endprodukt
verantwortlich, da wir durch diese Kreation, das was wir geschaffen haben, bejahen und
alles andere verneinen.
Aber durch diese spezielle Situation, die der Mensch einnimmt, tragen
wir auch eine Bürde, denn dadurch, dass wir uns selbst entwerfen können, ist
„Der Mensch [ist] verurteilt frei zu sein.“33
Er ist verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, aber doch frei, da er - einmal in
die Welt geworfen - für alles verantwortlich ist, was er tut.
Ein anderer bedeutender Punkt, der den Existentialismus von der Theorie
von Simone de Beauvoir unterscheidet ist die Leidenschaft. Für den Existentialisten ist
Leidenschaft eine unkontrollierbare Macht, die Menschen zu gewissen Taten verleitet und
in der Menschen Leidenschaft, seinen Trieb, die Aggression und das Tierische wie wir es
bei Freud sehen als Entschuldigung für seine Taten missbrauchen. Diese Triebe kann man
als anti-Ratio beschreiben, für Sartre ist die Ratio das, wonach wir streben sollten.
Die existentiale Ontologie von Sartre hat ihren Schwerpunkt in Begriffen
wie
Bewusstsein,
Intentionalität
und
Freiheit.
Auch
können
wir
Züge
von
phänomenologischen Beschreibungen bei Sartre finden, im Allgemeinen können wir
Sartre in der existentiellen, ontologischen Philosophie wiederfinden34.
Die Ontologie befasst sich wie die Phänomenologie mit dem Sein, aber auf eine andere
Art und Weise. Während die Phänomenologie mit den Phänomenen, den Erscheinungen
in der Welt beschäftigt, so ist die Ontologie in der Richtung von Metaphysik zu finden.
Man versucht nicht nur das was man Wahrnimmt zu beschreiben, sondern darüber hinaus
33
34
http://www.gak-speyer.de/archive/religion/materialien/exista2.htm
Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, Existenzphilosophie Seite 850-851
17
den Kern der Sache zu begreifen, man möchte nicht nur das Phänomen Baum
untersuchen, sondern den Baum schlechthin erkennen und den Sinn dessen begreifen.35
Der Mensch als Dasein, als das Sein, an dem sich alles andere Dasein
spiegelt ist ein wichtiger Punkt in der Existenzphilosophie.36 Hierbei ist der Mensch in
erster Instanz das Subjekt und ist alles andere ein Objekt. Später werden dann auch die
anderen Menschen zum Objekt (gemacht).
Simone de Beauvoir hingegen ist eine Phänomenologin. Phänomenologie
bedeutet übersetzt „Erscheinungslehre“. Die Phänomenologie befasst sich genauso wie
der Existentialismus mit der Existenz und den empirischen Erscheinungen. Hierbei ist
aber zu beachten, dass sich die Phänomenologie von dem Existentialismus insofern
unterscheidet, als
dass in der Phänomenologie das Subjekt in erster Linie nicht
interessant ist.
„Die Existenz der Gegenstände erfährt es durch „intentionale Erlebnisse“ anschauend, dunkel
vorstellend, denkend, wertend, praktisch strebend usw.; der Anteil des Subjektes an diesen
Bewusstseinsvorgängen interessiert die Phänomenologie zunächst nicht.“37
Phänomenologie ist nach Hegel ein Versuch alle Gegebenheiten und
Tatbestände aufzunehmen. Bei Sartres Phänomenologie sehen wir den Versuch ein
transphänomenales Sein anzuzeigen.
Merleau-Ponty zeigt die Lebenswelt als
Wahrnehmungswelt indem das Dasein als Zur-Welt-Sein aufgedeckt wird38. Durch
unseren Körper sehen wir die Welt, hierdurch kann man eine deutliche Verbindung mit
Simone de Beauvoir erkennen, denn im Gegensatz zu Sartre muss man den Körper bei
Simone de Beauvoir akzeptieren und seine Körperlichkeit benutzen um dem Anderen
näher zu kommen und im Endeffekt durch die Körperlichkeit eins zu werden.
Die Körperlichkeit bei Merleau-Ponty beziehungsweise ist die Art und
Weise unseres „Seins zur Welt“, wobei zu beachten ist, dass dieser Bereich die Sprache,
die Wahrnehmung, die Weltorientierung und die Handlung zu finden ist. Das besondere
an dem Leib ist, dass dieser auf der einen Seite materiell ist (man kann ihn zum Beispiel
untersuchen), aber er ist auf der anderen Seite auch etwas besonderes, weil mit Hilfe
unseres Körpers fühlen.39 Darum spricht Merleau-Ponty in seinem Buch Phänomenologie
35
Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 6, Ontologie Seite 1195
Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, Existensphilosophie Seite 863
37
Georgi Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, Seite 555
38
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Phänomenologie Seite 486ff
39
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 5, Leib, Körper Seite 179, 180
36
18
der Wahrnehmung auch von der besonderen Situation, wenn man sich selber anfasst, denn
dann werden beide Aspekte miteinander verbunden, man fühlt, wird gefühlt und man
untersucht den Leib im gleichen Moment.
„... beide Hände in der Funktion der „berührten“ oder „berührenden“ zu alternieren vermögen.
Was die Rede von den „doppelten Empfindungen“ sagen wollte, war dies, dass im Übergang von
einer Funktion zur anderen die jetzt berührte Hand sich als dieselbe gibt, die gleich darauf die
berührende sie kann: dass ich also in diesem Bündel von Knochen und Muskeln, das jetzt für
meine linke Hand die rechte ist, für einen Augenblick die Hülle und Verkörperung jener lebendiggewandten andere Rechten ahne, die ich den Gegenständen entgegenwerfe, um sie zu erkunden.“40
Philosophiegeschichtlich gesehen kann man Simone de Beauvoir als die
erste feministische Phänomenologin betrachten, obwohl ihr Werk Das andere Geschlecht
oft als existentialistisch interpretiert wurde. Sie stand lange im Schatten von Sartre und
wurde deswegen auch als existentialistische Philosophin betrachtet und untersucht. Oft
wird der Einfluss, den Merleau-Ponty auf Simone de Beauvoir hatte, vergessen. Ich werde
im dritten Kapitel dieser Arbeit ausführlicher auf diesen Einfluss eingehen.
„Ihre Körpertheorie, die eine biologistische Interpretation des Geschlechts zu widerlegen versucht,
wird von phänomenologischen Erkenntnissen gestützt.“41
Simone de Beauvoir macht sich die phänomenologische Tradition
zunutze, um zentrale Fragen im Kontext der feministischen Theorie zu untersuchen.
Bei Sartre gibt es die Freiheit, welche die Quelle ist, woraus alles
entspringt. Wir sind als Mensch frei, man muss sich aber auch frei wollen. Emotionen
sind für Sartre Selbstbetrug, aber bei de Beauvoir ist die Emotion vor allem das Medium,
das die Grenze zwischen mir und dem Anderen auflöst. Emotionen zuzulassen ist eine
Wahl. Hiermit widerspricht de Beauvoir Sartre, denn für sie sind Emotionen keine
Unaufrichtigkeit, sondern das genaue Gegenteil davon. Durch Emotionen können wir frei
sein und den Anderen nicht mehr als Objekt sehen. Durch Emotionen und unsere
Körperlichkeit werden wir eins mit dem Anderen. Durch Emotionen wird es uns erst
ermöglicht, den Anderen zu begegnen. Emotionen sind körperlich, sie zeigen oft auch von
40
41
Merleau-Ponty, Maurice, Phänomenologie der Wahrnemung, Seite 118
http://sammelpunkt.philo.at:8080/712/1/stoller.html, Feministische Phänomenologie von
Silva Stoller, Absatz 44
19
außen, also dem Betrachter, wie wir uns fühlen, (zum Beispiel: sind wir verlegen, werden
wir rot). Emotionen sind leibliche Erfahrungen die uns mit der Außenwelt verbinden.
Bei de Beauvoir ist es essentiell, dass, wenn wir uns selbst frei wollen,
wir den Anderen auch frei wollen. Das ist bei Sartre nicht möglich. Sobald ich in einer
Beziehung zu einem anderen Menschen stehe, mache ich ihn nach Sartre immer zum
Objekt. Wenn wir, im Sinne von Sartre, den Anderen frei und als Subjekt wünschen
würden, würden wir unsere eigene Subjektivität aufgeben.
Bei Hegel kann diese Feindschaft zwischen Objekt und Subjekt wirklich
besiegt werden, genau wie das theoretisch bei Simone de Beauvoir der Fall ist. Bei Sartre
ist die Aufhebung der Feindschaft jedoch nicht möglich, da sich der Streit bei ihm nur
umkehren kann, sich aber die Positionen des Subjekts und des Objekts nie auflösen
können. Wir haben es hier mit einer dialektischen Opposition zu tun, mit
Machtverhältnissen. Gibt es keine Sublimation, so kann es auch keine Aufhebung geben
und somit keine Synthese.
Daneben kann bei Hegel die Überwindung der Feindschaft in einer
bestimmten Phase der Geschichte eintreten, nämlich wenn jeder selbst erkennt, dass er ein
Teil der universellen Menschheit ist. Bei Simone de Beauvoir sind wir davon noch sehr
weit entfernt, da wir uns als Frauen erst als ein Subjekt entwerfen müssen, bevor wir uns
in den Streit und hiernach in eine neutrale Position begeben können. Der Mann jedoch
kann sich selbst niemals als ein Objekt entwerfen, da er sich nicht als ein Objekt sehen
kann, er kann wohl zu einem Objekt gemacht werden, durch die Frau, hierdurch würde
sich die Situation aber nur umkehren, nicht aber verändern. Wir müssen uns zuerst aus
dem einseitigen „Herren-Sklaven-Verhältnis“ lösen, was bei Hegel immer und von Natur
aus schon umkehrbar ist. Obwohl der Sklave bei Hegel ein Objekt ist, ist er doch auch
Selbstbewusstsein. Das Verhältnis der beiden Selbstbewusstsein ist jedoch, dass sie sich
selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren42. Der Herr wird zum
Herrn, dadurch dass er sein Leben aufs Spiel setzt und gewinnt.
„Only the fable of the Master and Slave could provide for this association of the two forms of
action. The slave is primarily a warrior who has been defeated in a “fight for recognition”. He is a
secondarily worker serving a Master who has spared his life, and has reserved all enjoyment for
himself. This union none the less remains a juxtaposition, unable to found a genuine concept.”43
42
43
Hegel, G.W.F. Phänomenologie des Geistes, Seite 130.
Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite 33.
20
In Simone de Beauvoirs Theorie über das Verhältnis von Frau und Mann
gibt es diesen Kampf nicht. Die Frau hat nie ihr Leben aufs Spiel setzen können. Sie ist
die, die Leben schenkt (also Kinder bekommt), aber nicht die, die ihr Leben aufs Spiel
setzt (wilde Tiere jagt). Hierdurch befindet die Frau sich in einer anderen Situation als der
Sklave. Denn der Sklave hatte in erster Instanz die Möglichkeit sich zum Herrn
emporzuschwingen, im Gegensatz zur Frau, die ihr Leben in gewissem Sinne während der
Geburt aufs Spiel setzt, aber in dieser Situation keinen Gegner hat und sich hierdurch
auch nicht als Gewinnerin profilieren kann.
Das Leben der Frau wird nicht wie im Falle des Sklaven verschont,
sondern sie wird von Geburt an in die Rolle des Anderen gebracht und identifiziert sich
mit dieser Rolle. Sie hat keinen Grund dem Mann (dem Herren) dankbar zu sein, da sie
nie ein Kämpfer war, der das Leben des Mannes in Gefahr gebracht hat und dem der
Mann das Leben nach dem Kampf geschenkt hat. Die Frau lebt in dieser Situation te
kwader trouw, da sie ihre Situation nicht reflektiert und sich ihrer hingibt. Obwohl man
die Situation der Frau auch als eine (passive) Wahl sehen kann, so wird es ihr durch die
Umstände schwer gemacht sich von ihren Fesseln zu befreien.
In Gegenüberstellung zu Sartre tritt bei Hegel das Andere (der Sklave)
als ein Selbstbewusstsein, also als Individuum, einem anderen Individuum (dem Herrn)
gegenüber44. Hierdurch wird es bei Hegel überhaupt möglich das Herr-Sklave-Verhältnis
umzukehren. Denn wenn der Herr sich in seiner Begierde verliert und der Sklave sich in
seiner Arbeit weiterbildet, können sich die Verhältnisse umkehren, denn der Sklave wird
zum arbeitenden Bewusstsein und wird zum selbstständigen Sein45, und wird durch die
Zerstörung der Angst vor dem Herrn ein für sich Seiendes.
Der Andere wird nach Hegel als natürlicher Reflex gebildet, es reicht für
den Menschen, dass sich drei Reisende in einem Zugabteil treffen, dann werden die
Unbekannten zu Verbündeten gegen „die Anderen“, die nicht im gleichen Abteil sitzen.
Erst später können sich verschiedene Hierarchien formen, die den Einen zum Herrn und
den Anderen zum Sklaven machen.
Für Simone de Beauvoir könnte das Gleichnis vom Herrn und Sklaven
auch auf Mann und Frau angewandt werden, obwohl es wie schon erwähnt, große
Unterschiede gibt. Die Frau erkennt die Werte, die von den Männern konkret erreicht
werden, an. Die Frauen haben den männlichen Werten nie weibliche Werte
44
45
Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite 130
Idem, Seite 135
21
entgegengesetzt. Der einzige Grund für die Männer eine weibliche Domäne zu schaffen,
ist, um die Frau darin einzusperren. Der Sklave erkennt oft die Werte des Herrn nicht an,
und setzt ihm eigene Werte gegenüber, da er andere Überzeugungen hat als der Herr.
Durch die eigenen Werte setzt der Sklave sich vom Herrn ab und kann dadurch seine
eigene Würde behalten. Nimmt der Sklave jedoch die gleichen Werte wie der Herr, der
ihn besiegt hat, an, so kommt er in eine ähnliche Situation wie die Frau zurecht, da er sich
dann aus falschem Bewusstsein nicht mehr versucht zu befreien. Auch für den Sklaven
wäre in dieser Situation eine Veränderung der Grundsituation nötig um sich aus seiner
Position zu befreien, da er sich, im Sinne von Sartre, nicht frei will.
Für Simone de Beauvoir ist ein weiterer Grund für die Zweitrangigkeit der Frau
der, dass die Frau durch die Mutterschaft an ihren Körper gefesselt ist wie ein Tier46, und
sie dadurch nicht die Chance bekommt, ihr Leben im Kampf gegen Feinde, oder wilde
Tiere aufs Spiel zu setzen und sich so als Subjekt zu manifestieren. Oft ist ihr auch der
Status der Arbeit und hiermit die Möglichkeit zum arbeitenden Bewusstsein und zum
selbstständigen Sein zu werden genommen worden, hierdurch wird es ihr unmöglich
gemacht eigene Werte zu entwerfen und diesem dem Mann gegenüber zu stellen.
Hierdurch entzieht sich ihr die Möglichkeit zum Individuum zu werden.
§4
Zwischenbilanz
Das Werk Das andere Geschlecht wurde in Europa allgemein gut und oft sogar besser als
in Frankreich aufgenommen. Obwohl das Interesse für das Werk in den letzten Jahren
immer weniger geworden ist und der Umsatz des Buches drastisch abgenommen hat, stellt
sich einem die Frage, ob wir dem Werk durch eine neue Übersetzung einen
philosophischen Werkt wieder geben können.
Simone de Beauvoir war stark von der französischen Philosophie in ihrer Zeit
beeinflusst, obwohl wir gesehen haben, dass sie sich von den Ideen von Sartre absetzt, ins
Besondere was die Körperlichkeit angeht. Sie stützt sich mehr auf die Werke und Ideen
von Hegel (Herr-Sklave-Verhältnis) und Merleau-Ponty (Körperlichkeit).
Die Rolle der Frau ist bei Simone de Beauvoir deutlich die des Unterdrückten, was
sich ändern muss, da die Frau jetzt (durch die Pille und Arbeit) in der Position ist, über
sich selbst zu bestimmen und die Möglichkeit hat sich als ein Selbst zu entwerfen. Im
46
de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht (1992), Seite 91
22
nächsten Kapitel werde ich mich mit den Übersetzungen in verschiedene Sprachen
beschäftigen und diese mit dem französischen Original vergleichen.
Kapitel 2
Die Übersetzungen
§1
Einleitung
Da das Werk Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir eine Übersetzung aus dem
Französischen ist und wortwörtlich das zweite Geschlecht heißen müsste, habe ich mich
entschieden um die Übersetzung von Simone de Beauvoirs Werk zu untersuchen und zu
schauen, ob es noch andere sprachliche oder selbst philosophische Abweichungen gibt
und wie diese zu erklären sind. Sind diese möglichen Abweichungen des weiteren
gerechtfertigt und sprachlich oder philosophisch fundiert? Es existieren zwei
Übersetzungen des Werks ins Deutsche, die zum Thema der folgenden Untersuchung
werden.
In meiner Untersuchung nach den zwei unterschiedlichen deutschen Übersetzungen des
Buches Das andere Geschlecht habe ich herausgefunden, dass die zwei Übersetzungen
sich im Wesen sehr unterscheiden und, dass es gute Gründe für den Auftrag einer zweiten
Übersetzung gab
Bei meiner Recherche nach den Gründen der neuen Übersetzung war Georg
Heepe, der ehemalige Cheflektor des Rohwohlt Verlages mir sehr behilflich. Er hat mich
mit interessanten Informationen über die Übersetzer und zu den Gründen der
Neuübersetzung versorgt.
In diesem Kapitel werde ich mich erst den zwei deutschen Übersetzungen
widmen, um am Ende des Kapitels eine der zwei deutschen Übersetzungen mit
Übersetzungen in anderen Sprachen, wie Niederländisch und Englisch und dem
französischen Original zu vergleichen.
Ich werde hier darüberhinaus die Gründe für eine Neuübersetzung darlegen und
erläutern warum ich die eine der anderen Übersetzung vorziehe.
23
§2
Nutzen und Problematik von Übersetzungen
Sich mit Übersetzungen zu beschäftigen ist immer schwierig. Nicht nur wegen der
mühsamen Arbeit, die meistens schlecht bezahlt wird, sondern auch, weil es in jeder
Sprache Worte gibt, die es einem beinahe unmöglich macht, den Sinn des Satzes zu
begreifen und demnach gut zu übersetzen. Die Individualität jeder Sprache macht es nicht
nur spannend, andere Sprachen zu lernen, sondern es wird einem teilweise unmöglich
gemacht, Worte kurz und bündig zu übersetzen, da es Worte in der einen Sprache gibt, die
es in anderen Sprachen nicht gibt, oder weil die Nuancen verschiedener Worte so groß
sind, zum Beispiel durch den kulturellen Hintergrund, dass ein Nicht-Muttersprachler
diese nicht, oder erst nach Erklärungen verstehen kann. Aber auch verschiedene
Sprachfamilien
bedeuten
grammatikalischen
verschiedne
Übersetzungsprobleme,
denn
auch
die
Strukturen verschiedener Sprachen können teilweise nur schwer
übersetzt werden. Deshalb spricht Annette Kopetzki auch vom „Unübersetzbaren“47.
„Weil das Denken nur durch die Sprache zu einem bestimmten Denken wird48“,
wird das Geschriebene durch das Selbst- und Weltverständnis des Schreibers geformt und
bringt diese zum Ausdruck. Liest man also einen Text in einer anderen Sprache, ist man
nicht nur mit der anderen Sprache, sondern auch mit dem anderen Weltbild des
Schriftstellers konfrontiert. Die Ideologie des Übersetzers ist oft in seinem Sprach- und
Übersetzungsstil wieder zu finden.
„Kommen nun solche Ausdrücke vor, denen in einer anderen Sprache keiner entspricht, welche
genau denselben Wert hätten, so ist auch zwischen beiden eine unaustilgbare Differenz im Denken
gesetzt.“49
Diese Differenz ist das Problem, dem sich jeder Übersetzer sicherlich der
Philosophie stellen muss. Ist diese Differenz am Anfang zu groß, kann es möglich sein,
dass zu einem späteren Zeitpunkt der Text erneut übersetzt werden muss, da sich manche
Worte, die es in erster Instanz in der einen Sprache nicht gegeben hat, doch geformt und
entwickelt haben.
47
Kopetzki, Annette, Beim Wort nehmen, Seite 245
Idem, Seite 245
49
Schleiermacher, F.D.E. Hermeneutik und Kritik, Seite 422.
48
24
Als Übersetzer eines (philosophischen) Textes stößt man auf verschiedene
Probleme, denn bei jeder Übersetzung fällt die Virtuosität und die Mehrdeutigkeit des
Schriftstellers weg. Dennoch sind Übersetzungen notwendig, da einem nur so Werke aus
Sprachen, die man nicht beherrscht, zugänglich werden.
§3
Die deutschen Übersetzungen
Die erste Übersetzung war in der Tat, wie ich zuvor angenommen hatte, veraltet
und die alte Übersetzung erwies sich als immer unbefriedigender, obwohl Le Deuxième
Sexe von einer der berühmtesten deutschen Übersetzerinnen (Französisch-Deutsch)
übersetzt wurde. Eva Rechel-Mertens ist noch heute bekannt als die „ProustÜbersetzerin“.
Einer der Hauptgründe, warum die Übersetzung am Ende nicht mehr zufriedenstellend war, lag sicher nicht an der Qualität Frau Rechel-Mertens als Übersetzerin,
sondern daran, dass es im Jahre 1951, aus welchem die Übersetzung stammt, noch keine
überzeugende, geschweige denn verbindliche, Übertragung der philosophischen
Fachausdrücke des französischen Existentialismus ins Deutsche gab. Da nämlich Sartres
L'être et le néant (1943), im Deutschen Das Sein und das Nichts, welches den
Grundschlag der Fachtermini des französischen Existentialismus bedeutete, zu dieser Zeit
noch nicht übersetzt war und erst nach dem Erscheinen der Übersetzung von Simone de
Beauvoirs Das andere Geschlecht (1951) - nämlich im darauf folgendem Jahr 1952 – auf
den deutschen Markt kam. Hierdurch war es Frau Rechel-Mertens nicht möglich den
philosophischen Jargon zu nutzten, der grundlegend für sowohl Sartres als auch de
Beauvoirs Werk ist. Probleme, die sich hier ergeben haben, haben wahrscheinlich auch
damit zu tun, dass Rechel-Mertens normalerweise fast ausschließlich literarische Werke
übersetzt hat. Hierdurch fehlte ihr der philosophische Hintergrund und konnte sie die
philosophischen Ausdrücke auch im weitesten Sinne nicht adäquat übersetzen.
Wie bei vielen neuen Richtungen, nicht nur in der Philosophie, sondern auch in
anderen Fachgebieten, gibt es ein Übersetzungsproblem. Oft werden neue Fachwörter
erfunden, die es in einer anderen Sprache dann verständlicherweise noch nicht gibt. Diese
müssen erst kreiert und dann auf die richtige Weise erläutert werden. Übersetzt man also
ein Buch, das sozusagen revolutionär ist, wird sich erst mit der Zeit herausstellen, ob die
erste Übersetzung auch die richtige ist. Ist das nicht der Fall, wie bei dem Buch Das
25
andere Geschlecht von Simone de Beauvoir, muss es zu einem späteren Zeitpunkt neu
übersetzt werden. Oftmals werden die neuen Begriffe sinngemäß umschrieben wobei es
zu Missverständnissen kommen kann.
Besonders in der Philosophie tun sich Probleme auf, die in diesem Maße in
anderen Wissenschaften nicht vorkommen. In den meisten Fällen ist es nämlich nicht
damit getan, Begriffe einfach zu übersetzen, sondern diese müssen danach geklärt und
erläutert werden, so dass eine andere Interpretation nicht mehr möglich ist50.
Auch die Frauenbewegung wies auf die Unzulänglichkeiten des Textes hin. Die
neue Übersetzung wurde, wie schon in der Einleitung erwähnt, durch Uli Aumüller
verfasst. Sie war zu diesem Zeitpunkt eine junge Übersetzerin, die für die neue deutsche
Fassung gute Rezensionen bekam.
Die erste Übersetzerin Rechel-Mertenz starb im Jahre 1981. Ihr Nachlass liegt im
Deutschen Literaturarchiv in Marbach51. Hierdurch ist es mir nicht möglich noch weitere
Informationen von ihr zu bekommen, was aber für meine Zwecke auch nicht notwendig
ist, da ich mich im weiteren Vergleich der Übersetzungen ins Niederländische und
Englische in Bezug auf das französische Original auf die neuere Übersetzung von Uli
Aumüller beziehen werde.
Nachdem ich die Informationen von Herrn Heepe bekommen habe begann ich
selbst eine kleine Untersuchung nach dem Unterschied dieser zwei Übersetzungen.
Hierbei möchte ich aber anmerken, dass ich keine Germanistin bin, sondern Philosophie
studiert habe, daher werden meine Untersuchungen sich auf die Unterschiede im
Allgemeinen aber insbesondere auf die philosophischen Begriffe richten.
§4
Vergleich der zwei deutschen Texte
Neben den sehr auffälligen Unterschieden im Schreib- und Übersetzungsstil52 gibt
es hier auch verborgene Unterschiede, die man nur mit einem etymologischen
50
Die Philosophin, Seite 121; …Klärte Begriffe “Mythos”…
Diese Informationen bekam ich von Herrn Heepe, ehemaliger Cheflektor de Rohwolt Verlages.
52
Zum Beispiel Seite 14 neu; “Oft entsteht dieses Vorrecht aufgrund einer zahlenmäßigen Ungleichheit”
und alt Seite 12; “ Oft hat numerische Ungleichheit dies Übergewicht begünstigt.” Der Sinn ist gleich, doch
die Wortwahl und der Übersetzungsstiel unterscheiden sich sehr. Siehe Appendix Nummer 7 für den
französischen Satz
53
Alle verweise nach Bedeutungen der verschiedenen Übersetzungen stammen aus ;Kluge, Etymologisches
Wörterbuch der Deutschen Sprache, 24. Auflage, durchgesehen und erweitert, bearbeitet von Elmar
Seebold, Walter de Gruyter, Berlin/New York, 2002
51
26
Wörterbuch53 herausfinden kann. Diese Unterschiede scheinen auf den ersten Blick sehr
banal zu sein, wenn man jedoch genauer hinsieht, kann man ein allgemeine Tendenz
beziehungsweise Schema erkennen.
Eva Rechel Mertens benutzt in ihrer Übersetzung sehr häufig Worte, die aus dem
Mittelhochdeutschen stammen und hierdurch oftmals eine andere Wertigkeit des Wortes
bedeuten und darüberhinaus eine Interpretation zulassen. Demgegenüber übersetzt Uli
Aumüller strenger entlang Entlehnungen aus dem Französischen. Ein Beispiel hierfür ist
das von Mertens gebrauchte Wort „Streit“ auf Seite 8 ihrer Übersetzungen. An
dergleichen Stelle, Seite 9,
in Aumüllers Übersetzung wird der Begriff „Debatte“
54
verwendet .
„Streit“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet „schreiten, streiten,
spreizen“. Dem gegenüber steht das Wort „Debatte“, welches soviel heißt wie
„Diskussion, Auseinandersetzung“. Dieser Unterschied gibt dem Text eine andere
emotionale Wertigkeit und der Sinn des Textes wird im Wesen leicht verändert. Dieses
und andere Beispiele ziehen sich durch die ganze Einleitung und lassen die Annahme zu,
dass sich diese Tendenz in dem ersten Teil des Buches fortsetzt, da dieser durch dieselbe
Übersetzerin übersetzt wurde. Weitere Beispiele sind zu finden auf Seite 8 der
Übersetzung von Mertens „Stellung“ (mhd55. Standort) und auf Seite 9 der zweiten
Übersetzung „Platz“ (frz. Breite Straße, Weg)56. Dieser Unterschied impliziert auf der
einen Seite (Mertens), dass etwas fest steht und nicht mehr zu bewegen ist. Ein Standort
ist da oder nicht. Er hat keine Dynamik. Auf der anderen Seite steht Aumüllers „Platz“,
der auf den ersten Blick ebenso statisch zu sein scheint. Wenn man aber die Etymologie
des Wortes näher betrachtet, fällt auf, dass „Platz“ einen engen Zusammenhang mit
„Straße, Weg“ aufweist, wodurch dem Begriff ein gewisses Maß an Bewegung verliehen
wird. „Wir sind noch nicht angekommen, sind aber auf dem Weg zum Ziel“ könnte man
hier hineinlesen.
Aber dieses sind nicht die einzigen Auffälligkeiten. Viele Worte sind zwar
miteinander zu vergleichen, haben aber eine andere Bedeutung, wie zum Beispiel auf
Seite 12 der neueren Übersetzung „Behinderung, als Gefängnis“ und auf Seite 10 der
älteren
Übersetzung
„Hindernis,
eine
Fessel“57,
oder
ein
anderes
Beispiel
54
Für die ganzen Sätze in der neuen Fassung der deutschen Übersetzung, auf die ich mich später
ausschließlich beziehen werde und die französischen Sätze siehe Apendix. Nummer 1
55
Mhd. Bedeutet Mittelhochdeutsch, frz. Entlehnt aus dem Französischen
56
Siehe Appendix für; ganze Sätze der neueren deutschen Übersetzung und französische Sätze, Nummer 2
57
Siehe Appendix für; ganze Sätze der neueren deutschen Übersetzung und französische Sätze, Nummer 3
27
ist„Ursprünglich“ (neu58, Seite zwölf) und „alt“ (alt) auf Seite 10. Die erste Übersetzung
impliziert mit dem Wort „ursprünglich“, dass etwas lange existiert ist, aber nicht, dass es
unbedingt schlecht oder zu erneuern ist. Demgegenüber ist das Wort „alt“ sehr wohl
negativ besetzt. Wenn etwas „alt“ ist, verliert es an Wert. Aber wenn etwas
„ursprünglich“ ist, hat es einen Wert in und an sich. Möchte man einen Wert implizieren,
könnte man eventuell das Wort „antik“ anstelle von „alt“ in Erwägung ziehen, was bei
Mertens aber nicht der Fall ist.
Ein ähnlich gravierender, wenn nicht bedeutenderer, Unterschied zeigt sich auf
Seite 19 (neu) und auf Seite 16 (alt). Hier steht in der einen Übersetzung das Wort
„Vorkämpfer“ dem Wort „Anwalt“ in der anderen gegenüber59. Ein Unterschied, der
mehr als nur in einer Nuance oder der Konnotation liegt. Wenn eine Person „Anwalt“ ist,
dann verteidigt er den Angeklagten. Er muss aber nicht notwendigerweise derselben
Meinung oder Überzeugung seines Mandanten sein, den er nach außenhin verteidigt.
Sicherlich bei der Strafverteidigung kommt dies häufig vor, der „Anwalt“ weiß, dass der
Mandant einen Mord begangen hat, aber er plädiert auf Freispruch, weil er dafür
angestellt wurde, auch wenn er selbst den Mandanten lieber im Gefängnis sehen würde.
Wenn aber eine Person ein „Vorkämpfer“ ist, so ist es deutlich, dass diese Person
der gleichen Ideologie bzw. Idee wie die Gruppe anhängt. Nach außenhin gibt der
„Vorkämpfer“ sich selbst als erster als der Ideologie bzw. Idee Anhängender zu erkennen
und ebnet der Gruppe Gleichgesinnter so den Weg um in einer Umgebung
Andersgesinnter für ihre Ideologie bzw. Idee einzustehen.
Weitere Beispiele sind „Gleichgültigkeit“ (neu, Seite 21) und „Langeweile“ 60(alt,
Seite 18), „Vorteil“ (neu, Seite 21) und „Wohltat“ (alt, Seite17)61. „Gleichgültigkeit“ kann
eine bewusste Wahl sein wohingegen „Langeweile“ ein nicht freiwilliger Zustand ist.
Hier wird wieder deutlich, dass die Männer sich in dieser Position, die sie eingenommen
haben wohlfühlen und sich mit „höflicher Gleichgültigkeit“ erhaben fühlen. Bei dem
Wort „Langeweile“ gibt es nichts erhabenes.
Auch bei dem zweiten Beispiel in dieser Reihe wird die Passivität der alten
Übersetzung deutlich. Eine „Wohltat“ kommt von außen und wird einem sozusagen
gegönnt, einen „Vorteil“ aber kann man sich selbst verschaffen. Es hat einen viel
57
mit (neu) bezeichne ich jeweils die neuere Übersetzung von Uli Aumüller und mit (alt), die Übersetzung
von Eva Rechels Mertens
59
Siehe Appendix für; ganze Sätze der neueren deutschen Übersetzung und französische Sätze, Nummer 4
Siehe Appendix für; ganze Sätze der neueren deutschen Übersetzung und französische Sätze,, Nummer 5
61
Siehe Appendix für; ganze Sätze der neueren deutschen Übersetzung und französische Sätze, Nummer 6
60
28
aggressiveren Klang, der in meinem Empfinden hier besser passt, denn wenn sich sogar
der Niedrigste in der Hierarchie der Männer über die Frauen erhaben fühlt, dann hat das
nichts mit Passivität sondern mit aggressiver Arroganz und Übermut zu tun.
Hierdurch bekommt man, im Vergleich mit der ersten Übersetzung das Gefühl,
dass die Übersetzung von Uli Aumüller dem französischen Originaltext näher steht.
Leider wird man im zweiten Teil dieser Arbeit sehen, dass auch die zweite, verbesserte
Übersetzung, Lücken und Fehler aufweist. Diesen Lücken und Fehlern werde ich im
weiteren Verlauf dieses Kapitels versuchen auf den Grund gehen.
Der Grund für die verschiedenen Seitenzahlen hat keine große Bedeutung, weil
dieser nicht oder nur geringfügig durch die verschiedenen Übersetzungen, sondern mehr
durch die verschiedenen Schriftarten und Zeilenabständen, zustande kommt.
§5
Die Wahl der deutschen Übersetzung
Die neuere Übersetzung ist nicht nur ansprechender, weil ein moderner Wortklang
gewählt wurde, sondern auch aufgrund der Wahl des übersetzten Fachjargons. Es gibt
darüberhinaus aber auch noch andere Gründe, die für eine Bevorzugung der jüngeren
Übersetzung sprechen:
Erstens weist die sie, im Vergleich zu den anderssprachigen Übersetzungen,
weniger Unterschiede auf, und zweitens hält sich die neue Übersetzung, wie schon oben
angedeutet, stärker an den französischen Originaltext. Desweiteren wird in der neueren
Übersetzung in machen Fällen schon die richtige Übersetzung für die in dieser Richtung
der Philosophie entstandenen Worte gefunden und verwendet, da sich im Laufe der Zeit
allgemein
akzeptierte
Übersetzungen
und
Erläuterungen
fachlicher
Termini
herauskristallisiert haben. Ob das aber bei allen ursprünglich philosophischen Termen der
Fall ist, werde ich im Laufe dieses Kapitels noch weitergehend beurteilen.
Ich werde mich desweiteren also auf die neuere Übersetzung aus dem Jahre 1991
von Uli Aumüller richten, da ich durch beschriebene Untersuchungen und durch die
positiven Rezensionen der Fachpresse in der Zeit ihres Erscheinens davon überzeugt bin,
dass die neuere auch zugleich die bessere Übersetzung ist.
29
§6
Vergleich der deutschen Übersetzung mit der
englischen und niederländischen Übersetzung und dem französischen
Original
Nachdem ich die deutsche Übersetzungen untersucht habe, interessierte mich nicht nur
diese, sondern auch die Übersetzungen in andere Sprachen. Nach einigen Forschungen in
diese Richtung wurde ich durch Karen Vintges auf zwei Texte, die sich genau mit diesem
Thema befassen, aufmerksam gemacht. Der erste Text steht in der Doktorarbeit Filosofie
als passie von Karen Vintges62 und befasst sich dort im Appendix mit der Übersetzung der
französischen Worte ins Niederländische. Als zweites wurde mir der Artikel von
Margaret Simmons63 empfohlen, mit dem ich mich im Laufe dieses Kapitels noch
ausführlich befassen werde.
Warum ist dieser Vergleich nun eigentlich so wichtig? Warum sollte man diese
Übersetzung mit Übersetzungen in andere Sprachen vergleichen? Ist das überhaupt ein
sinnvolles Streben?
Es ist sogar von essentiellem Wert diesen Vergleich anzustellen. Stelle man sich
einmal die Situation vor, dass Generationen von Menschen eine nicht wahrheitsgetreue
Fassung des Buches gelesen haben. Jedes Mal, wenn in internationalen Kreisen von
diesem Buch gesprochen wird, versteht eine Gruppe diese Diskussion nicht richtig, weil
sie nicht die gleiche Voraussetzung und Grundwissen hat, wie die anderen Gruppen. Noch
schwieriger wird es natürlich, wenn alle Übersetzungen Fehler und manche sogar große
Lücken aufweisen. Ein Vergleich der verschiedenen Übersetzungen kann für eine
philosophische Diskussion im internationalen Kreise also von großem Wert sein.
Es fiel als erstes auf, dass die neue deutsche Übersetzung der niederländischen viel
ähnlicher war, demnach viel weniger Reibungspunkte aufwies als die neue Deutsche
Übersetzung mit der ursprünglichen deutschen Übersetzung.
Man sieht desweiteren, dass die englische Übersetzung nicht viel zu der
Untersuchung beigetragen hat, da viele Passagen hier komplett weg gelassen wurden,
worauf ich im Verlauf dieses Kapitels noch weiter eingehen werde. Das Vorwort des
englischen Übersetzers gab mir jedoch einen guten Ansatz in der Beantwortung der
62
Vintges, Karen, filosofie als passie, Seite 241-242
Simons, Margaret (1983), The silencing of Simone de Beauvoir guess what is missing from “the scond
sex”, women studies International Forum, 6,5, 559-64
63
30
Fragen, warum die Übersetzer sich dafür entschieden haben einige Passagen abweichend
zu übersetzen oder sogar ganze Passagen wegzulassen.
Wie schon erwähnt gibt es viele Stellen in den Übersetzungen, die sehr identisch
übersetzt werden, und natürlich interessierten mich die philosophischen Stellen am
meisten. Wie wird „te kwader trouw“ (franz. mauvaise foi) übersetzt und wie würde ich
es selber übersetzen? Was hat es mit dem en-soi auf sich und warum gibt es nicht immer
alle Sätze in den Übersetzungen?
In der niederländischen Übersetzung werden, wie man im Appendix von Karen
Vintges sehen kann, viele philosophische Begriffe einfach ins Holländische übersetzt,
wobei sie vielfach den philosophischen Wert verlieren.64 Das philosophische Äquivalent
gab es zur Zeit der ersten deutschen Übersetzung, wie erwähnt, noch nicht. Bei der
niederländischen Übersetzung aus dem Jahre 1978 war die Übersetzung der Fachtermini
aus der Existenzphilosophie schon lange ein Fakt. Die niederländische Übersetzung ist an
vielen Stellen inkonsequent, da Jan Harenberg manchmal die französischen Worte
unübersetzt stehen lässt, sie bisweilen philosophisch übersetzt, und ab und zu in normale
Begriffe zwingt65. Eine ähnlich willkürliche Vorgehensweise konnte ich bei der deutschen
Übersetzung nicht feststellen, da es im Deutschen unüblich ist, Worte unübersetzt zu
lassen. Deshalb werde ich mich ausschließlich auf die Übersetzung der philosophischen
Worte stützen.
Ein problematischer Begriff im Vergleich der niederländischen und deutschen
Übersetzung ist „Te kwader trouw“, denn in der deutschen Fassung wird es mit
„Unaufrichtigkeit“ übersetzt, was nicht unbedingt der Bedeutung an allen Stellen gerecht
wird. Auch im Englischen lautet die Übersetzung ähnlich dem Niederländischen „bad
faith“, „böse Absicht“. Auf holländisch ist „kwade trouw“ „valsheid“ und „te kwade
trouw“ hat die feststehende Definition; „vals, niet oprecht, zich bewust van onrecht“66.
Wenn man nun ein Wörterbuch zu Rate zieht, verschwindet das anfängliche Problem,
denn man kann sowohl den niederländische als auch den englischen Terminus ebenfalls
als „unaufrichtig, unehrlich“ übersetzten, was die deutsche Übersetzerin demzufolge
getan hat. „Unaufrichtigkeit“ ist die Übersetzung, die sie gewählt hat und welche nach
64
Zitat aus Vintges, filosofie als passie Seite 241: “Zo worden `transcendance`en `immanence`steeds
vertaald als transcendentie en immanentie. Maar `pour-soi` wordt meermalen in zijn geheel onvertaald
gelaten, en dan weer ineens vertaald als `terwillen van zichzelf` “
65
Vintges, Karen, filosofie als passie, Seite 241-242
66 Van Dalen, Groot woordenboek, etymologisch woordenboek, 12e druk, 1992 (Band J-R), woord; „te kwade trouw“
31
einiger Überlegung akzeptabel ist, wenn man sich nur auf die Verständlichkeit des Textes
beruft, denn einer „Unaufrichtigkeit“ liegt normalerweise eine böse Absicht zu Grunde.
Demnach verschwindet hier im ersten Anschein das Problem von selbst. Wenn man diese
Übersetzung aber philosophisch betrachtet, ist diese Übersetzung leider nicht ausreichend.
Schlägt man in verschiedenen philosophischen Wörterbüchern nach, so findet man einen
bedeutenden Unterschied zwischen der Wortwahl: „böse Absicht“, Verrat oder aber
„Unaufrichtigkeit“.
„Unaufrichtigkeit“
hat
keinerlei
philosophische
Ausrichtung
wohingegen das Wort „Böse“ einen grundlegend philosophischen Charakter hat; aus
Philosophielexikon von Anton Hügli/ Poul Lübcke;
Böse, das (engl. Evil, badness, harm; franz. Mal; griech. Kakon; lat. Malum).
Sammelbezeichnung für alles Schlechte und Schreckliche, das im Gegensatz zum Guten
steht. Böse kann es allerdings in verschiedenen Hinsichten und in verschiedenen
Bereichen geben. ... Bei den Sophisten sowie später bei Hume, Nietzsche und einer
Vielzahl von Philosophen des 20sten. Jh. (z.B. den logischen Positivisten und zum Teil im
Existentialismus) werden Gut und Böse nicht als metaphysische Prinzipien betrachtet,
sondern als menschliche Deutung der oder der Reaktionen auf die Wirklichkeit...
Ursprünglich hieß der Gegensatz nicht gut-böse, sondern gut-schlecht; dabei bezeichnet
„schlecht“ das „Niedere, Geringere, Ehrlose“; „gut“ dagegen das „Vortreffliche“. ...67
Aus diesem Zitat wird deutlich, dass diese Beschreibung der Absicht Simone de
Beauvoirs und ihrer Beschreibung der Frau (als das böse, schlechte, niedere) und des
Mannes (das Gute, Vortreffliche) viel näher kommt. Der Term Böse passt in diesem Sinne
also viel besser als Übersetzung, als erst angenommen. Dies auch, da er durch die
Existentialisten, die sich an Sartre orientierten, sozusagen neu definiert wurden. Meine
bevorzugte Übersetzung wäre also „in böser Absicht“, obwohl ich mich damit auch gegen
die allgemein akzeptierte Übersetzung von Sartres Das Sein und das Nichts von Hans
Schöneberg und Traugott König, beides bekannte Übersetzer, die viele philosophische
Bücher vom Französischen ins Deutsche übersetzt haben, wende. Denn auch hier wird
mauvaise foi mit „Unaufrichtigkeit“ übersetzt. Obwohl man es hier auch als Verrat gegen
den Freund, oder Verrat, beziehungsweise Versagen gegen die Pflicht zur Freiheit
interpretieren kann.
67
Philosophielexikon, Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der Antik bis zur
Gegenwart, Anton Hügli und Poul Lübecke, Rohwolt Verlag, vierte Auflage, November 2001, vollständig
überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Dänische Original Ausgabe erschien 1983 unter dem Titel;
“Politikens filosofi leksikon”
32
Das en-soi, ist mit „an sich“ befriedigend übersetzt, da es im Kader von Simone de
Beauvoir und Sartre zu finden ist, wie man auch im Philosophischen Wörterbuch
nachlesen kann68. Hierdurch wird deutlich, dass die Wahl der Fachausdrücke in einigen
Fällen sicher gut gewählt sind, auch wenn sie natürlich, wie bei den meisten
Übersetzungen noch die Möglichkeit einer anderen Übersetzung offen lassen. Aber auch
hier taucht bei einer weiteren Untersuchung dasselbe Problem auf, das Karen Vintges im
Appendix ihres Buches anspricht. Denn dadurch, dass der Bindestrich weggelassen wird,
wird auch hier der philosophische Terminus unsichtbar gemacht. Es müsste bei einer
korrekten Übersetzung also „an-sich“, so wie es in der Übersetzung von Sartre Werk der
Fall ist, sein, und nicht einfach „an sich“.
Durch die ursprünglichen französischen philosophischen Termini in Klammern
hinter die Übersetzung zu schreiben, ist eine Verwechslung und Fehlinterpretation
ausgeschlossen. Dieses wurde im Deutschen bei Simone de Beauvoirs Werk nicht getan,
wodurch Verwechselungen nicht ausgeschlossen sind.
Als erstes fällt an den verschiedenen Übersetzungen auf, dass die Titel der Bücher
nicht übereinstimmen. In der deutschen Version heißt es Das andere Geschlecht
wohingegen es in der niederländischen Version „De tweede sexe“ - also übersetzt „das
zweite Geschlecht“ heißt. Auch in der englischen Version heißt es „the second Sex“, was
deutlich auch das „zweite“ und nicht das „andere Geschlecht“ bedeutet. Im französischen
Original lautet der Titel „le Deuxieme Sexe“, also auch das „zweite Geschlecht“ und nicht
„das Andere“. Der „Andere“ ist ein grundlegendes Thema in der philosophischen
Literatur und bei Simone de Beauvoir im besonderen, zu dessen Erklärungsversuch ich im
nächsten Kapitel dieser Arbeit kommen werde.
Dieser, aus meiner Sicht, Fehler scheint der gröbste zu sein, den man in den
Übersetzungen wiederfindet. Dieser Fehler wurde auch bei der Neuübersetzung nicht
korrigiert, im nächsten Teil werde ich analysieren, ob der Gebrauch des eigentlich falsch
übersetzen Begriffes eine Absicht der Übersetzerin sein könnte.
Es gibt bei den Übersetzungen natürlich viele Unterschiede. Manche basieren auf
persönlichen Vorzügen. Darum möchte ich mich weiter auf diesen speziellen Unterschied
der Titelwahl im nächsten Kapitel konzentrieren und diesen ins Auge springende
Unterschiede untersuchen.
68
Ansichsein, … Im Existentialismus Sartres ist Ansichsein ( être en soi) das Kennzeichen des Sein selbst.
..., Philosophisches Wörterbuch herausgegeben von Georgi Schischkoff, Alfred Körner Verlag Stuttgart, 22
Aufl. 1991
33
§7
Abweichungen oder Fehler?
Man hat verschiedene Unterschiede in den Übersetzungen gesehen, aber kann man
daraus schließen das diese Übersetzungen auch wirklich fehlerhaft sind? Wann ist eine
Übersetzung schlecht oder falsch? Und kann eine wortwörtliche Übersetzung nicht viel
schlechter sein als eine sinngemäße?
Wie man im Vorwort der englischen Übersetzung sehen kann, erklärt der
Übersetzer verschiedene Abweichungen der englischen Übersetzung
mit dem
französischen Original. Hier wird deutlich, dass der Übersetzer in erster Linie eine
komplette und gut zu verstehende Übersetzung anfertigen möchte, wobei es natürlich
wichtig ist, den Text wahrheitsgetreu wiederzugeben, wo aber möglicher Weise das
Hinzufügen oder Weglassen von bestimmten Worten der Verständlichkeit zuträglich sein
kann.69.
Dieses Hinzufügen oder Weglassen bezieht sich aber nicht nur auf Worte, sondern
auch auf ganze Sätze und manchmal sogar auf ganze Abschnitte. Manche dieser
Weglassungen, die auch in der deutschen Fassung auftreten, werden hier noch als Fußnote
genannt, andere verschwinden unzitiert. Das sind zum Beispiel Sätze, die sich nicht von
alleine erklären, weil sie nicht im deutschen oder englischen Kontext zu verstehen sind,
sondern nur aus dem französischem Kontext hervorgehen. Bevor man umständlich
„unwichtige“ Sätze mühsam erklärt, ist es manchmal sinnvoller diese ganz wegzulassen,
um Verwirrung zu vermeiden.
Ob die Absicht der besseren Verständlichkeit des Übersetzers dann immer auch
erreicht wird, bleibt allerdings die Frage. In der englischen Übersetzung gibt es viele
Probleme, wie man deutlich in der Untersuchung von Margaret Simons sehen kann. Denn
viele philosophische Ausdrücke sind falsch oder gar nicht übersetzt, wie zum Beispiel
„in-itself“ müsste „for-itself“ sein70. Auch lässt der Übersetzter hier viele wichtige Stellen
weg, welche die Geschichte der Frau verdeutlichen, was die Unterbauung der
philosophischen Begriffe und die Reihenfolge der Untersuchung von Simone de Beauvoir
in bestimmten Abschnitten sehr mager erscheinen lässt. Auch werden in der englischen
Übersetzung Verweise im Text beibehalten, die sich auf Textstellen beziehen, die in der
69
de Beauvoir, Simone, The second Sex, Seite 11
Simons, Margaret, The silencing of Simone de Beauvoir guess what is missing from The second sex, Seite
559
70
34
englischen Übersetzung weggelassen wurden. Hierdurch wirkt das Buch in der
Übersetzung sehr unstrukturiert und in manchen Fällen geradezu verwirrend71.
Auch in diesem Fall findet man viele Inkonsequenzen. Dasselbe Wort, zum
Beispiel „mystification“, aus dem Marxistischen Konzept, wird sowohl als „hoax“,
„mockery“ und auch als „mystification“ übersetzt72. Eine solche Inkonsequenz stiftet
Verwirrung.
Es kommt dem Leseverstehen vieler Texte zugute, wenn diese von einem gutem
Übersetzer73 übersetzt und interpretiert werden, da jede Übersetzung die getätigt wird,
auch zugleich eine Interpretation dessen ist, was übersetzt wird. Wenn ein Übersetzer
qualitativ schlecht übersetzt oder bei philosophischen Texten nicht philosophisch geschult
ist, kann es sein, dass der gesamte Inhalt des Buches, beziehungsweise des Textes so
verfälscht wird, dass der Autor nicht zu seinem Recht kommt, und selbst in einem
anderssprachliche Diskurs missverstanden wird.
Die Wichtigkeit eines in einer anderen Sprache publizierten Buches steht und fällt
mit der Übersetzung. Deshalb ist es notwendig den Übersetzern auch ein gewisses Maß
an künstlerischer Freiheit zuzugestehen, um dem zu übersetzenden Buch auch gerecht
werden zu können. Nur durch eine gute Interpretation und einen mit dem Autor
vergleichbaren Schreibstil des Übersetzers kann eine Übersetzung überhaupt denselben
oder wohlmöglich einen größeren Erfolg als der Originaltext erlangen. Nimmt sich der
Übersetzer aber zu viele Freiheiten heraus - wie das im Falle der englischen Übersetzung
der Fall ist, da der Übersetzer wahrscheinlich kein Interesse an der Geschichte der Frau,
sowie Simone de Beauvoir sie beschrieben hat, hatte- kann man guten Gewissens
behaupten, dass die Wahl des Übersetzers für dieses Buch nicht die richtige war.
Die „Fehler“, die sich aus der zweiten deutschen Übersetzung herauskristallisiert
haben, sind in meinen Augen doch bedeutende Fehler. Auch wenn auf den ersten Blick
wohldurchdachte Änderungen zu sein scheinen. So wird doch in vielen Fällen der
philosophische Inhalt des Originals komplett zunichte gemacht.
Die Beweggründe der Übersetzer, die deutlich philosophische Terminologie in
eine populärere Sprache zu übersetzen, haben wahrscheinlich Grund, das Werk Simone de
Beauvoirs für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Dadurch jedoch verliert es an
71
, Margaret, The silencing of Simone de Beauvoir guess what is missing from The second sex, Seite 562
72
Simons, Margaret The silencing of Simone de Beauvoir guess what is missing from The second sex, Seite 563
73
In meiner Masterarbeit benutze ich oft die maskuline Form, wie auch hier “Übersetzer”, dieses ist aber
nicht sexistisch gemeint, sonder hiermit schließe ich auch weibliche Übersetzerinnen nicht aus. Es hilft der
Leserlichkeit des Textes wenn die Autoren Abstand von der überkorrekten Version “Übersetzer(in)”, oder
“Übersetzer/Übersetzerin” nehmen.
35
Qualität, was dem Werk im Nachhinein mehr schadet als hilft. Dieses Phänomen sehen
wir nicht nur bei Simone de Beauvoir, sondern auch bei der Übersetzung von Freud aus
dem Deutschen ins Englische und Französische aus dem Jahre 1950 ist es wiederzufinden.
Auch hier entschieden die Übersetzer sich für eine freiere, modernere Interpretation und
Übersetzung anstelle einer Übersetzung im wissenschaftlichen Kader.
Was den Titel des Buches betrifft, möchte ich hier nur kurz anmerken, dass in der
Einleitung in dem Original von „dem Anderen“ gesprochen wird, und nur in dem Vorwort
der englischen Übersetzung „die Zweitrangigkeit“ zur Sprache kommt (Secondary place,
Seite 9). Aus diesem Grund ist durchaus nachvollziehbar, dass die deutsche Version den
Titel Das andere Geschlecht trägt und nicht „Das zweite Geschlecht“. Diesen Punkt
werde ich aber ausführlich im nächsten Kapitel „der Andere und der Zweite“ bearbeiten
und einen Erklärungsversuch wagen.
§8
Zwischenbilanz
Wie man sieht, ist es wichtig, nicht alle „Fehler“ als Fehler zu bewerten. Oft sind
sinngemäße Übersetzungen besser als die wortwörtlichen, weil man manche Worte
einfach nicht gut übersetzen kann oder die wortwörtliche Übersetzung im Endeffekt dem
Geschriebenen einen anderen Sinn verleiht, was nicht im Sinne der Autorin bzw. Autors
sein kann. Doch gerade bei philosophischen Büchern, wie man hier gesehen hat, besteht
auch immer die Gefahr, dass durch eine nicht philosophische Übersetzung der Wert des
Werkes leidet, oder sogar verloren geht.
Es war eine gute Entscheidung die deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1951
nicht so stehen zu lassen, sondern eine neue anfertigen zu lassen. Manche „Fehler“, die in
der neuen Übersetzung aus dem Jahre 1992 gemacht wurden, sind zu verzeihen, vielleicht
sogar lobend hervorzuheben, da die Übersetzung den Sinn des Buches gut wiedergibt.
Leider schafft auch die neue Übersetzung es nicht, dem Werk seinen philosophischen
Wert vollständig wiederzugeben, den es im Prozess des Übersetzens verloren hat.
Hierdurch wird das Buch Das andere Geschlecht zu einer reinen Streitschrift, die im
Jahre 2007 nicht mehr viel eigenen Wert zu besitzen scheint. Oft fällt die Wahl des
Herausgebers darauf, gemachte Fehler stillschweigend im nächsten Druck zu korrigieren.
Auch das wäre hier eine Möglichkeit, wovon aber bisher kein Gebrauch gemacht wurde,
da dieses Werk im Allgemeinen als nicht philosophisch beurteilt wird.
36
Im Großen und Ganzen treten die größten Abweichungen zwischen den zwei
deutschen Texten auf und nicht im Vergleich von den anderssprachigen Übersetzungen
und dem Original mit der jüngeren deutschen Übersetzung. Würde man die deutsche
Version auf philosophische Manier übertragen, würde ich vorschlagen dies auch mit den
anderssprachigen Versionen zu tun um dem Werk letztendlich gerecht zu werden.
Auch wenn eine Neuübersetzung für notwendig gehalten wird, werden hierzu
wahrscheinlich die Mittel und die Nachfrage fehlen, da die Verkaufszahlen immer mehr
zurückgehen und sich der Trend auch in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht
verbessern wird. Hierdurch wird es für den Verleger unattraktiv, das Buch nochmals zu
übersetzen oder überarbeiten zu lassen.
Ein Grund, den Titel nicht zu verändern, ist, dass das Buch Das andere Geschlecht
unter diesem Titel bekannt wurde und es der Bekanntheit des Buches sicher schaden
würde, den Titel im Nachhinein noch zu ändern. Man hätte eine große Kampagne starten
müssen, das Buch mit dem neuen Titel wieder in das Bewusstsein der Menschen zu
bringen. Hierfür gab es wahrscheinlich nicht die Mittel. Andere Gründe, den Titel nicht
zu ändern, werde ich im nächsten Kapitel erläutern.
Kapitel 3
„der Andere und der Zweite“
§1
Der Andere
Die Andersheit, oder das Anderssein, ist ein altes philosophisches Konzept, das
wir schon bei Plato finden. Dieses Anderssein bezieht sich in erster Linie auf alle
Seienden, da sie sich voneinander unterscheiden. Denn was das Seiende ausmacht, sind
nicht nur die anwesenden Merkmale, sondern auch all das, was dem Objekt oder dem
Subjekt nicht eigen ist.
Erst durch Hegel gewinnen die Begriffe Andersheit und Anderssein in der Neuzeit
eine entscheidende Prägung. Jedes Dasein ist in seiner Existenz einem anderen
gegenübergestellt und kann somit nie alleine existieren. Jedes existierende Ding ist
sowohl ein Etwassein, als auch ein Anderssein, auch wenn es selbst das Subjekt ist.
37
Später entwickelt sich aus diesem Anderssein das Du. Die Negation des Anderen
kann bei Hegel und Simone de Beauvoir aufgehoben werden und kann zu einer Einheit
von Ich und Du werden, bei Feuerbach ist das Gott.74
Die Übersetzung des Titels Das andere Geschlecht ist die größte und auffälligste
Abweichung der deutschen Übersetzung mit dem Original le Deuxiéme sexe, aber auch
mit den anderen Übersetzungen, im Niederländisch de tweede sexe und im Englischen the
second sex. Ich habe mir die Frage gestellt, warum der Titel in einer anderen Art und
Weise übersetzt wurde. Das zweite Geschlecht scheint auf den ersten Blick ebenso
sinnvoll zu sein wie Das andere Geschlecht. Es scheint selbst sinnvoller zu sein. Warum
sollte man dann von dem Original abweichen und einen eigenen Weg gehen?
Meiner Meinung nach ist dies geschehen, weil das Andere und das Zweite andere
Interpretationen zulassen und das Zweite nicht mit dem übereinstimmen würde, was
Simone de Beauvoir in der Einleitung des hier genannten Buches beschreibt, zumindest
was den deutschen Kontext betrifft. Was sie schreibt und mich zu diesem Schluss
kommen lässt ist folgendes:
„Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere“.75
Das heißt, dass sie - die Frau - alles das ist, was er - der Mann - nicht ist und
anders herum. Der Andere muss sich immer am Absoluten messen und wird auch aus
dieser Position heraus beurteilt. Durch das Absolute wird die Position des Anderen so
endgültig, dass die Frau in diesem Kontext keine Möglichkeit zu haben scheint sich aus
ihrer Lage zu befreien. Wenn es schon ein Absolutes gibt, wird es schwierig ein Selbst zu
entwickeln, da man nicht auch gleichzeitig das Absolute sein kann. Hierdurch wird es der
Frau noch schwerer gemacht sich als Subjekt zu sehen und zu entwickeln.
Die Frau hat sich nie als Subjekt hervorgehoben, wie man auch bei Karen Vintges
lesen kann;
“In history, women never raised herself up as a subject, turning the man into the Other;
her position was always that of the absolute Other.”76
74
Ritter, das historische Wörterbuch der Philosophie, Volumen 1, Lemma Andersheit und der Andere Seite
298-300
75
de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht, Seite 12
76
Vintges, Karen, Philosophy as passion, Seite 25
38
Sobald sich eine Person, oder ein Geschlecht als Subjekt emporschwingt, wird es
dem Anderen unmöglich gemacht, sich auch als ein Subjekt zu manifestieren, weil der
Andere erst durch das Subjekt einen Wert zugesprochen bekommt.
“„My existence is certain, yours is much less so”. And, more radically, “I am, therefore
you are not”.”77
Wie wir hier sehen ist nur die Existenz des Subjekts, des Ichs, auch wirklich
sicher, die Existenz des Anderen wird, wenn überhaupt, nur von dem Subjekt bestimmt.
Erst durch ihn kann der Andere eine Wertung bekommen. Aber erst dadurch, dass
derjenige, der zum Objekt gemacht wird, diese Position akzeptiert, kann sich die Position
des Subjekts stärken.
Die Frau wurde und wird immer noch zum Anderen gemacht, aber sie ist auch
nicht ganz unschuldig an ihrer Position, da sie sich nie zum Subjekt emporgeschwungen
hat. Ihre Position, die sie im Laufe der Zeit eingenommen hat, anfänglich war ihr diese
auferlegt worden durch verschieden Faktoren, zum Teil unabänderliche Faktoren, wie
dem Kinderkriegen etc., siehe Buch 1 von Das andere Geschlecht, hat sie nie ernsthaft
versucht zu ändern, da die Freiheit, für welche sie streben sollte zu angsteinjagend war
und sie hier in gewissem Sinne ihr Leben aufs Spiel setzen müsste, so wie der Sklave, der
sich zum Herrn emporschwingen möchte.
Die Frau hat das Potential, um sich als Subjekt zu behaupten, aber bleibt dennoch
in ihrer Situation gefangen, da es nicht ausschließlich Nachteile hat, in dieser Position zu
verweilen. Es wird für einen gesorgt, man wird respektiert, zumindest solang man sich
nicht aufbäumt und etwas an der Situation ändern möchte (siehe „Der Zweite“), und man
braucht sich nicht ständig zu beweisen.
Wenn man sich aber als Subjekt sieht, ist es eine natürliche Neigung sich von
etwas oder Jemandem absetzen zu wollen, da sich die eigene Position als Individuum
verstärkt und festigt; das machen Männer schon seit Jahrhunderten. Wenn es nicht die
Frau ist, die der Andere ist, so ist es jemand anders, jemand mit einer anderen Hautfarbe,
einer anderen Nationalität, Religion, Kultur hat oder nur jemand, der nicht in demselben
Zugabteil sitzt: Es genügt, dass drei Reisende zufällig in demselben Zugabteil sitzen, um
alle übrigen Reisenden feindliche „Andere“ werden zu lassen78.
77
Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite 20
de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht, Seite 13
79 de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht , Seite 12
78
39
Aber die Frau bleibt das absolute Andere! Denn der Mann denkt sich ohne die
Frau, die Frau denkt sich aber nie ohne den Mann. Und die Frau ist nur das, was der Mann
ihr zugesteht und das, was er bestimmt zu sein. Die Frau hat erst dann eine Bedeutung,
sobald der Mann ihr eine zuspricht.
„ „...Der Mann denkt sich ohne die Frau. Sie denkt sich nicht ohne den Mann.“ Und sie
ist nichts anderes als das, was der Mann bestimmt.“79
§2
Der Andere in der Philosophie, insbesondere bei Merleau-Ponty, Lèvinas und
Hegel
Aber nicht nur bei Simone de Beauvoir spielt der Andere eine große Rolle. Wie
wir uns zum Anderen verhalten, spielt schon seit jeher eine große Rolle in der
Philosophie. An dieser Stelle wird vorallem dei Bedeutung Merleau-Pontys, Lèvinas‘ und
Hegels im Zusammenhang mit dem Anderen untersucht werden.
Viele Wissenschafter sehen Simone de Beauvoir immer noch als eine Philosophin,
die im Schatten Sartres steht. Wenn man aber die Standpunkte von Simone de Beauvoir,
Sartre und Merleau-Ponty vergleicht, muss man erkennen, dass de Beauvoir viel mehr
Übereinkünfte Merlau-Ponty und seiner Phänomenologie aufweist, als landläufig
angenommen, denn auch bei ihm ist Intersubjektivität möglich und erwünscht, genau wie
esbei de Beauvoir der Fall ist.
Wenn wir Simone de Beauvoir im Sinne der Phänomenologie von Merleau-Ponty
lesen und nicht im Sinne des Existentialismus von Sartre, wird einiges deutlicher, denn
erst wenn wir uns selbst einen Sinn zusprechen, können wir ganz zum Subjekt werden.
Wir können in diesem Sinne ein Subjekt ohne Objekt haben, was bei Sartre nicht möglich
ist.
„Now Merleau-Ponty evidently opts for the second path, at least in the Phenomenology of
Perception. The hypothesis which supports the entire edifice is that “being” means “being for
myself”. As studied by the phenomenologist, the phenomenon is the “being for myself”, the
appearance before myself.”80
79 de Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht , Seite 12
80 Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite
66
40
Die Phänomenologie der Wahrnehmung81 von Merleau-Ponty beschäftigt sich mit
dem Bewusstsein der körperlichen Sinne und den Erfahrungen von den Erscheinungen die
sich in der Welt manifestieren und sich mir auf eine bestimmte Art und Weise zeigen.
Erst müssen wir uns selbst entwerfen und betrachten, unsere eigenen Identität für
uns bestimmen, und erst dann kann sich die Frau als Subjekt entwerfen, denn dann hat sie
den Mann, auch als ihren Gegensatz, nicht mehr nötig.
“Merleau-Ponty’s emphasis on our prereflective and embodied subjectivity becomes
significant because of the embodied intersubjectivity that it entails. For him, “transcendental
subjectivity is a revealed subjectivity, revealed to itself and to others, and is for that reason an
intersubjectivity” (pp, 361). 82
Intersubjektivität ist für Sartre nicht möglich, da wir den Anderen immer direkt
zum Objekt machen und ihn nicht als ein anderes Subjekt sehen können. Dieses ist bei
Merlau-Ponty und de Beauvoir sehr wohl möglich. Denn wenn wir den Anderen als
Subjekt sehen, können wir die Barriere, die wir in den Jahrhunderten zwischen Mann und
Frau aufgebaut haben, überwinden. Die Idee, dass die Frau schlecht und der Mann gut ist,
findet sich schon bei Pythagoras:
„However that may be, Aristotle reports that some Pythagoreans set out their
fundamental ideas in parallel columns of opposites, beginning with ‘limited/unlimited’
and moving downwards through ‘odd/even’, ‘one/many’, ‘right/left’, ‘male/female’,
‘resting/moving’, ‘straight/crooked’, ‘light/dark’, ‘good/bad’ to ‘square/oblong’.83
Wie wir erkennen können, geht die negative Wertung der Frau sehr weit in der
Zeit zurück, sie steht in derselben Reihe negativer Assotiationen wie dunkel, schief und
böse, und ist hierdurch sehr schwer zu durchbrechen.
Wie wir gesehen haben, hat Sartre eine sehr ausgeprägte Meinung über den
Anderen, nämlich, dass man den Anderen immer nur als Objekt und nie als Subjekt
erfahren kann. Merleau-Ponty hingegen sieht das anders. Bei ihm ist es möglich, sich
auch mit dem Anderen auseinander zusetzen, mit ihm zu kommunizieren. Hierdurch kann
81
Original; Merleau-Ponty, Maurice, Phénoménologie de la perception, 1945, Paris
Reinolds, Merlau-Ponty and Derrida, Ohio University Press, Athens, 2004, Seite 106
83
Hamlyn, the penguin History of Western Philosophy, Penguin Group Books, 1987, Seite 19
82
41
er das Konzept der Intersubjektivität für sich gebrauchen. Durch die Intersubjektivität ist
es ihm möglich sich dem Anderen mitzuteilen und diesen zu beeinflussen.
Der Körper spielt bei Merleau-Ponty genau wie bei Simone de Beauvoir eine sehr
wichtige Rolle. Bei Merleau-Ponty sehen wir, dass wir unser Körper sind. Uns von ihm zu
trennen ist nicht möglich und auch nicht wünschenswert, denn dadurch, dass wir uns
durch unseren Körper dem Anderen zeigen, können wir dem Anderen auf dieselbe Art
und Weise eine Bedeutung zusprechen, ihn also auch als ein Subjekt sehen.
„To present this correlation between the ontological and the ethical schematically, MerleauPonty’s fundamental suggestion that “I am my body” means that just as I must be the exterior that
I present to others, so too must the body of the other be the other him-or herself in a meaningful
sense (PP, Xii).”84
Bei Sartre ist der Blick immer vernichtend, hierdurch wird ein Subjekt-Subjekt Verhältnis
unmöglich gemacht. Bei Merleau-Ponty ist der Blick eine Art der Kommunikation (speech act),
welche zur Erfahrung in der Welt gehört. Bei Merleau-Ponty kann ein Du-Du beziehungsweise
ein Subjekt-Subjekt Verhältnis entstehen. Bei Hegel ist der Blick auch ein Machtsmittel, welches
jedoch appellierend (also positiv) ist und nicht vernichtend (negativ) so wie es bei Sartre der Fall
ist.
Dadurch, dass Merleau-Ponty phänomenologisch zu Werke geht und nicht
existentiell, ist es ihm möglich, die Welt durch die Wahrnehmung zu erklären, um die
Welt phänomenologisch wahrzunehmen, ist der Körper unumgehbar. Aber auch bei
Merleau-Ponty stoßen wir auf Grenzen, die wir bei Simone de Beauvoir umschiffen, denn
obwohl wir uns dem Anderen mitteilen können, kommen wir nie in die Position versetzen
den Anderen vollständig zu verstehen. Wir werden niemals eins mit dem Anderen sein!
„Communication is never entirely complete, and we never fuse with the other or entirely efface
them in his phenomenology. Seeing the other immediately on the surface does not entail being
him or her.”85
Da wir durch den Anderen beeinflusst werden, haben wir einen Kontakt zu dem
Anderen, welcher mehr ist als der mit einem Objekt. Wir passen unser Verhalten oft an
den Anderen an. Hierdurch wird deutlich, dass wir uns als Menschen, auch wenn wir in
84
85
Reynolds, Merleau-Ponty and Derrida, Seite 106
Reynolds, Merleau-Ponty and Derrida, Seite 108
42
der Situation des Anderen verweilen, doch eine andere Position als ein pures Objekt
haben86.
Da Simone de Beauvoir mit Merleau-Ponty befreundet war und seine Werke
gelesen hat, scheint es, dass Simone de Beauvoir eine Entwicklung durchgemacht hat, die
Jahre lang vernachlässigt wurde. Nämlich die, dass sie sich von den Ideen Sartres gelöst
hat und sich den Theorien von Merlau-Ponty und seiner Phänomenologie zugewandt hat
und einen Ausweg für die Unvereinbarkeit des Anderen und meiner Person in Das andere
Geschlecht gefunden hat. Dies steht der traditionellen Lesung de Beauvoirs Gegenüber, in
der immer noch behauptet wird, dass sie sich in ihrem Werk nur auf die Ideen Sartres
beruft.
Auch für Lévinas ist der Ausschluss des ethisch Anderen aus der Phänomenologie
ein großes Problem, auch wenn er nicht so positiv wie Merleau-Ponty ist. Bei Lévinas ist
der Unterschied zwischen dem Subjekt und dem Objekt größer als bei Merleau-Ponty und
er denkt, dass diese Form von Intersubjektivität nicht möglich ist, da sie zu optimistisch
ist.87
Für Lèvinas ist der Unterschied zwischen dem Anderen und mir selbst als Subjekt
sehr groß.
„According to Lévinas and Lefort alike, Merleau-Ponty superimposes the experience of
the body in the structure of our relations with the other, and without due consideration of the
differences between them.”88
Bei Merleau-Ponty hat der Andere eine starke Rolle, da er das Subjekt mit seinem
Verhalten beeinflusst. Der Andere kann das Subjekt überraschen und kann dem Subjekt
andere Möglichkeiten aufzeigen, an die das Subjekt selbst nicht gedacht hat.89
Im Gegensatz zu der Theorie von Merleau-Ponty und Sartre hat Lévinas die Idee,
dass sich der Andere, oder das Anderssein nicht an dem Subjekt, dem Selbst spiegelt, und
damit nur das ist, was es für das Bewusstsein ist, sondern bei ihm ist das Gegenteil der
Fall. Der Andere ist das, was sich dem Wissen und jedem Versuch es zu erfassen entzieht.
Hierdurch bekommt es einen anderen, selbständigeren Status als bei zum Beispiel Sartre,
86
Reynolds, Merleau-Ponty and Derrida Seite 115
Reynolds, Merleau-Ponty and Derrida, Seite 124ff
88
Idem, Seite 135
89
Idem, Seite 127
87
43
wobei der Andere nur zu dem wird was er ist, indem er durch das Subjekt dazu gemacht
wird.
„As a consequence of this theoretical starting point it would seem that alterity can
be analysed only according to how it appears to consciousness, and is hence defined only
in terms of what it is for the self. For Lévinas, on the contrary, the other is precisely the
opposite to this, being primarily that which resists knowledge, as well as every attempt to
thematize or capture that alterity.” 90
Der Andere steht bei Hegel immer in Relation zu dem Einen, wie wir in seinem
Herren-Knecht-Verhältnis gesehen haben. Der Eine ist das Selbstbewusstsein, in dem sich
alles spiegelt. Der Andere ist in dem Sinne auch immer etwas befremdliches.91Dieses ist
wiederum kein neues Konzept, denn schon in der griechischen Philosophie finden wir die
Wissenschaft vom Fremden - die Xenologie - obwohl diese Wissenschaft nie eine
dominante Position in der Philosophie eingenommen hat.
Bei Hegel ist jedoch der Prozess des Fremdwerdens notwendig um das Fremdsein
aufzuheben92. Denn wenn wir nicht wissen, was das Fremde ist, so können wir uns dem
auch nicht annähern, denn erst durch die Entfremdung ist die Befreiung möglich.
Das Bewusstsein versteht sich als Subjekt von allen Objekten die es gibt, obwohl
es sich, so wie auch Merleau-Ponty es in Phänomenologie der Wahrnehmung beschreibt,
selbst als Objekt betrachten. Wenn wir bei Hegel die verschiedenen Stufen des
Bewusstseins durchlebt haben, so kehrt das Bewusstsein der objektiven Welt den Rücken
zu und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf das Subjekt, das in dieser Welt lebt und
diese wahrnimmt und rekonstruiert.93
Nachdem wir uns weiter entwickelt haben ist es bei Hegel möglich, dass aus dem
Ich, also aus dem Subjekt ein Wir, also eine Einheit von Subjekt und Objekt,
beziehungsweise dem Subjekt und dem Anderen wird und anders herum, dass aus dem
Wir ein ich wird. Wir werden eine Einheit.94
90
Reynolds, Merleau-Ponty and Derrida, Seite 151
Ritter, hisorisches Wörterbuch der Philosophie, Volumen 1, Der Andere Seite 296
92
Idem, Seite 1106
93
Fleischhacker, Louk, Hegel, Zelfbewustzijn, Begeerte en de Ander, uitgeverij Damon, 2004, Seite 26ff
94
idem, Seite 68
91
44
§3
Der Zweite
Das Zweite gibt es nicht so oft als Konzept in der Philosophie, wie es das Konzept
des Anderen, beziehungsweise des Andersseins gibt. Herakit spricht über die Gegensätze
und ihre Einheit. In diesem Kontext beschreibt er die Zwiespalt und von der Entzweiung
der man im Krieg95 begegnet, auch wenn er das Thema des Zweiten nicht weiter
ausarbeitet. Auch andere Philosophen nach ihm haben sich mehr mit dem Phänomen des
Anderen und weniger mit dem Aspekt des Zweiten beschäftigt. Hierdurch wird einem die
Wahl des Titels in der Übersetzung direkt deutlich. Aber es gibt auch andere Gründe,
warum Das andere Geschlecht besser zu Simone de Beauvoirs Buch passt, als das Zweite.
Das Zweite ist etwas zweitrangiges, etwas das nicht so viel Qualität besitzt wie das
Erste. Im Prinzip hat es die gleichen, oder vergleichbare Qualitäten, aber dann nicht im
gleichen Maße, bzw. nicht so hochwertig. Diesen Gedankengang findet man auch in der
Einleitung von Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht wieder. Die Sicht auf die
Frau ist durch Aristoteles und Thomas von Aquin verfasst und zeigt auch die Entwicklung
der Gedanken der Männer, nämlich, dass die Männer die Frauen nicht als gleichberechtigt
ansehen, sondern sie von etwas Minderwertigem, zu einem „Alien96“ gemacht haben, und
deren Auffassungen über Frauen im Laufe der Zeit:
„Das Weib ist Weib dadurch, dass ihm bestimmte Eigenschaften fehlen“, sagt Aristoteles.
„Wir müssen das Wesen der Frauen als etwas natürlich Mangelhaftes sehen“. Und Thomas von
Aquin schließt sich ihm in der Auffassung an, die Frau sei ein „verfehlter Mann“, ein „zufälliges
Wesen“.97
Bei dem Anderen jedoch sieht das Verhältnis anders aus. Der Andere ist anders
und hat deshalb nicht die gleichen Qualitäten, sondern andere. Diese können besser oder
schlechter oder auch von gleicher Qualität sein. Sie sind nur nicht unbedingt dieselben
Qualitäten. Durch jemanden, der anders ist, kann man sich bedroht fühlen; von
jemandem, der zweitrangig ist nicht, denn man ist ihm schließlich überlegen.
95
Heraklit, Fragment aus; Mansfeld, die Vorsokratiker, Reklam, 1987, Seite 259
Ich verwende hier den Englischen Ausdruck da dieser ein viel gebrauchter Term in Philosophischen
Texten ist, und ich wahrscheinlich mit der Deutschen Übersetzung “Außerirdischer” mehr Verwirrung als
Klarheit schaffen würde.
97
De Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht , Seite 12
96
45
Zweitrangigkeit impliziert auch, dass man sich verbessern kann um erstrangig zu
werden – jedenfalls in vielerlei Hinsicht, denn oft wird man durch Übung besser und
erstklassig. Der Zweite ist gleichartig, aber er ist gleichzeitig weniger vom selben. Ob
man sich als Anderer aber so anpassen kann, dass man nicht mehr anders ist, ist noch die
Frage. Denn wenn man anders ist, muss man sich ganz neu entwerfen, ohne sich an dem
Vorbild des Ersten festhalten zu können. Hierdurch wird die Position der Frau zwar
schwieriger, aber gleichzeitig auch attraktiver, denn wenn man sich ganz neu entwerfen
muss, hat man mehr Möglichkeiten, als wenn man sich an einem schon existierenden
Beispiel orientieren und hieran messen muss.
In der Einleitung des Buches Das andere Geschlecht wird das Thema des Anderen
auf Seite 12-13 ausführlich behandelt, aber in keiner der Übersetzungen kommt das
Zweite wieder vor. Deshalb kann man sich jetzt die Frage stellen, warum Simone de
Beauvoir ihr Buch nicht auch im Original Das andere Geschlecht, sondern das zweite
Geschlecht nannte, aber dazu mehr im zweiten Teil dieses Kapitels.
Wie man in der Einleitung von Das andere Geschlecht sieht, kann ein Subjekt sich
nur kreieren, wenn es ein Objekt gibt, gegen das es sich absetzen kann.
„Ieder bewustzijn kan de Ander namelijk alleen waarnemen als een object en nooit als een
bewustzijn, d.w.z. als een niets. Hieruit kan geconcludeerd worden dat men elkaar dus nooit als
subject, als bewustzijn kan ontmoeten. Het is zelfs zo dat Ik alleen als bewustzijn kan bestaan
wanneer Ik de Ander tot object maak.98“
Das Objekt hingegen, hier die Frau, braucht den Anderen einerseits nicht, weil sie
kreiert wird und sich nicht selbst absetzt von dem Subjekt, sondern von diesem von der
Gruppe, Mensch, gelöst wird und als Objekt definiert wird. Andererseits aber braucht sie
den Einen, also indirekt ihren Anderen, weil sie sonst nicht kreiert werden würde und sich
so eine eigene Identität schaffen müsste. Erst wenn der Mann nicht mehr da wäre, müsste
sich die Frau gezwungenermaßen mit sich selbst auseinandersetzen und sich als Subjekt
definieren, durch ein anderes Objekt zu finden und sich von diesem absetzten zu können,
um sich dann selbst definieren und zum Subjekt zu machen.
Bei Simone de Beauvoir die Möglichkeit eines Subjekt-Subjekt-Verhältnisses,
oder anders ausgedrückt, es besteht die Möglichkeit dem Anderen wirklich zu begegnen.
98
Klaster, Jellie, Het verschijnen van de vrouw als Ander bij Simone de Beauvoir, Luce Irigaray en Julia
Kristeva, 1994, doctoraalsriptie (wijsbegeerte bibliotheek Amsterdam), begeleister Angela Grooten
46
Bei ihr können sowohl das Selbst als auch der Andere in eine Subjekt-Position und
gleichzeitig in eine Objekt-Position gelangen. Im Endeffekt kann hierdurch eine
Intersubjektivität hergestellt werden, die mindestens zwei Subjekte vereinigt. Dieses
geschieht in der Sexualität, beide Partner sind in dem Moment Subjektivität und
Objektivität.
“The state emotional intoxication allows one to grasp existence in one’s self and in the other, as
both unity, each one is freed of his own presence and achieves immediate communication with the
other. … we can truly meet the other in sexual love.”99
In jeder Beziehung gibt es normalerweise eine Wechselseitigkeit in. Auch in der
zwischen Mann und Frau, da der Mann nicht die alleinige Verantwortung für die
Unterdrückung der Frau trägt, weil man annehmen muss, dass die Frau sich unterdrücken
lässt. Frauen werden schon als Kinder darauf trainiert sich als Objekt zu verhalten. Durch
ihre Mütter wird ihnen eingebläut, dass sie keine Widerworte geben sollten, wenn ein
Mann etwas sagt und dass sie sich zu benehmen haben. Bestimmte Verhaltensmuster
werden bei Mädchen unterdrückt bei Jungen aber verstärkt. Die Jungen sollen sich selbst
verwirklichen, während dieses bei Mädchen nicht der Fall ist100. Dieser Kreislauf scheint
beinahe nicht zu durchbrechen zu sein, denn wenngleich sich die Frauen auch darüber in
den Teenager-Jahren aufregen, so führen sie doch oft dieses Muster mit ihren eigenen
Kindern fort. Dies führt dazu, dass es schwierig Hegels Sklaven-Herren-Methode hierauf
anzuwenden, da hier die Sklaven, die Frauen, die eigene Situation oft gar nicht umkehren
wollen. Die widersprüchliche Abhängigkeit wird einseitig und somit gefährlich.
„However respected she may be, she remains subordinate, a second-rate figure, a
parasite.”101
Diese Passage bezieht sich auf die angebliche Gleichberechtigung der Frau, wenn
sie für den Haushalt zuständig ist. Sie, die Frau, wird oft respektiert, aber in
Auseinandersetzungen, wie man in Simone de Beauvoirs Buch sieht, sagt der Mann
schnell Dinge wie „Natürlich respektiere ich was du tust, aber wie solltest du dich denn
ohne mich ernähren?“. Hier wird genau wie in der oben beschriebenen Passage deutlich,
99
Vintges, Karen Philosophy as Passion, Seite 47
Vintges, Karen Philosophy as Passion, Seite 28
101
Idem, Seite 30
100
47
dass sie, auch, wenn es mit Worten behauptet wird, ganz und gar nicht gleich ist. Die Frau
wird nur so lange „gleich“ behandelt, wie sie sich in das Gefüge des Hauses fügt. Sobald
sie aber „rebellisch“ wird und sich gegen die Regeln des Hauses, also die Regeln des
Mannes auflehnt, wird sie direkt auf ihren Platz verwiesen und wird auf Ihre
„Zweitrangigkeit“ hingewiesen („Du kannst doch gar nicht ohne mich.“). Erst wenn sie
sich wieder in die unterlegene Position begibt und ihre „Fehler“ einsieht, wird ihr wieder
der nötige Respekt, der, wie wir hier genau sehen können kein echter Respekt ist,
entegegengebracht.
Ein weiterer Grund den Titel zu Das andere Geschlecht zu verändern und nicht die
originale, wortwörtliche Übersetzung „Das zweite Geschlecht“ zu wählen, ist der, dass
das Andere einen philosophischen Hintergrund hat, der dem Zweiten fehlt. Der Zweite
impliziert nur eine Zahl. Das war der Übersetzerin wahrscheinlich zu wenig.
§4
Die Folgen
Das Motiv, das dazu führt, dass die Frau zum Andern gemacht wurde, hat mehrere
Gründe. Als Andere repräsentiert die Frau alles das, was der Mann nicht ist. Die Frau
repräsentiert gleichzeitig alles, was der Mann liebt und begehrt, aber sie verkörpert im
selben Moment auch alles, was er hasst und fürchtet102. Sie verkörpert das Böse, weil sie
alles das ist, was der Mann nicht ist. Aber sie ist auch das Gute, da der Mann ohne sie
nicht leben kann, was hier mehr zu lesen ist als „sich fortpflanzen“. Durch diese Dualität
ruft sie ambivalente Gefühle im Mann hervor, denn die Frau verkörpert seine Angst vor
dem Tod und das Verlangen nach dem Leben in gleichem Atemzug. Durch diese Dualität
fühlt der Mann sich bedroht und die einzige Möglichkeit sich zu schützen sieht er darin,
die Frau zu unterdrücken und sich selbst in eine überlegene Situation zu begeben.
Hierdurch hat er die Möglichkeit, das, was die Frau so wichtig macht und was sie
auszeichnet als Individuum herunterzuspielen und das, was er hasst hervorzuheben - aus
Angst, sie könnte es als Waffe gegen ihn benutzen und sich selbst in eine überlegene
Position begeben.
Der Mann ist derjenige, der nimmt, während die Frau diejenige ist, die, sich selbst,
gibt. Wenn sie Glück hat, wird sie sich in der Leidenschaft als Subjekt wiederfinden, aber
102
Vintges, Karen, Philosophy as Passion, Seite 27
48
auch das ist nicht jeder Frau vergönnt. Sie muss die Passivität überwinden, um eine
ausgewogene und auf gegenseitigen Respekt basierende Beziehung zu führen.
Für Simone de Beauvoir war die Sexualität immer eine Möglichkeit sich als ein
„Selbst“
wiederzufinden.
Hier
geht
es
normalerweise
um
das
harmonische
Zusammenspiel der Geschlechter ohne einen Machtkampf. Man ist Subjekt und Objekt
zugleich und die Partner verschmelzen zu einer Einheit103, in der es ein Selbst aber keinen
Anderen mehr gibt. Die Einheit, die in so einer Situation geschaffen wird, sollte auch im
normalen Leben in dieser Art und Weise vorhanden sein. Dann gäbe es einen
unmittelbaren Kontakt zu dem Anderen, hier allerdings nicht als Andere im Sinne von der
Frau als Anderer, sondern als ergänzender Partner, indem alle Unterschiede verschwinden
und aus zwei Körpern einer würde.
Erst, wenn die Frau sich bewusst wird, was gespielt wird und sich damit
auseinandersetzt, kann der Kreislauf des immer wiederkehrenden Unterdrückers und der
Unterdrückten durchbrochen werden. Denn wenn sich diese Situation nicht ändert, wird
das nicht nur Nachteile für die Frau haben, sondern auch für den Mann, da die
Kapazitäten der Frauen nicht ausgelastet sind. So wird ein mögliches Potential nicht
erreicht und hierdurch geht die Entwicklung langsamer voran.
§5
Zwischenbilanz
Der für mich am naheliegendste Grund für den abweichenden Titel Das andere
Geschlecht anstelle von „das zweite Geschlecht“ ist der Unterschied der zwei Wörter in
der deutschen Sprache. Für mich hat der Klang, der sich bei der Andere formt, etwas
entfremdendes, etwas, das nicht dazugehört, was sich absondert oder abgesondert wird.
Der Zweite ist eher dei Geringschätzung des Ersten, also ähnlich aber nicht gut genug.
Darüber hinaus sollte das Werk von Simone de Beauvoir als ein philosophisches gelesen
werden und nicht nur als die Betrachtung eines Problems und das wird durch den Titel
Das andere Geschlecht erreicht.
Im Deutschen hätte der Titel „das zweite Geschlecht“ abstoßend wirken können,
da wie Simone De Beauvoir selbst sagt; schon genug Tinte geflossen ist in dieser
103
Vintges, Karen, Philosophy as Passion, Seite 47
49
Debatte104 und viele Leute, besonders in der Zeit, in der das Werk entstanden ist, nichts
über Frauen und sicherlich nicht von Feministinnen lesen wollten.
Der Andere hingegen weckt die Neugier. Wer ist der Andere? Wie sieht er aus?
Und was für einen Effekt hat der Andere auf uns?
Natürlich verrät der Untertitel; „Sitte und Sexus der Frau“ den wahren Inhalt,
wenn man diesen aber genau liest, geht es hier im eigentlichen Sinne um das Anderssein,
beziehungsweise um das anders geschaffen sein und zum Anderen verurteilt sein, und
weniger um die Qualität der verschiedenen Geschlechter.
Die Zweitrangigkeit wird in der deutschen Übersetzung als unzureichend
betrachtet, da die Übersetzerin wahrscheinlich gesehen hat, dass es Simone de Beauvoir
nicht primär um die Zweitrangigkeit sondern mehr um das Anderssein ging.
§6
Bilanz und Ansätze zu weiteren Untersuchungen
Ist der Andere nur ein Sprachkonzept und hierdurch multi-interpretabel?
Wenn wir die Ideen von Hegel in Bezug hierauf näher betrachten, können wir
sehen, dass Subjekt und Objekt oder auch Mann und Frau nur Abstraktionen der
Wirklichkeit sind und wir durch die Konzepte der Sprache beeinflusst werden.
„Taken separately, the Subject and the Object are abstractions […]. What exists in realityas soon as there is a Reality of which one speaks- and since in fact we speak of reality, there can
be for us only the Reality-of-which-one-speaks-what exists in reality. I say, is the subject-thatknows-the-object, or, what is the same thing, the-object-know-by-the-subject. (Intr. Hegel, p.
483).“105
Erst durch Sprache ist es uns möglich Dinge und Menschen zu kategorisieren, erst
durch Sprache und die Konzepte der Sprache wird es uns möglich gemacht den Anderen
zum Objekt zu machen. Hierdurch treten wieder neue Probleme auf, auf die an dieser
Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann, die aber Ansätze für weitere
Untersuchungen sind.
104
De Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht, Seite 9
105
Descombe, Vincent, Modern French Philosophy, Seite 47
50
Sehen wir Sprache als Konzept, so können wir behaupten, dass alles
philosophische Denken ein Bedenken menschlicher Sprachwirklichkeit ist. Diese
sprachwissenschaftliche Wende, auch „linguistic turn“ genannt, kann als Gefährdung des
disziplinären Selbstverständnisses aufgefasst werden.
Wenn wir Sprache als ein Konzept betrachten, dann ist diese veränderbar und kann
dekonstruiert werden. Hierdurch können wir die Sprache immer wieder anders und neu
interpretieren. Auch hier ergeben sich natürlich Schwierigkeiten, aber diese sind
überwindbar. Sehen wir das Konzept „ Mann und Frau“, oder „weiblich und männlich“
als etwas, das von der Natur bestimmt ist, sind wir daran gebunden und können wir uns
von dem nicht mehr lösen. Sehen wir aber Begriffe wie „männlich“ und „weiblich“ als
Konzept so ergibt sich folgendes:
Das Konzept männlich und weiblich, wie wir es bei Ritter finden, ist aufgeteilt in
zwei Kategorien. Nämlich in männlich/weiblich und in weiblich/männlich. Die
Weiblichkeit gewinnt erst in der Kategorie weiblich/männlich und auch dann erst im 20.
Jahrhundert einen größeren Stellenwert. Davor, auch in der Kategorie männlich, sehen
wir, dass die Frau als etwas Schlechtes, Niederes interpretiert wird. Comte sagt dazu:
„Die Unterwerfung der Frauen, anders als andere geschichtliche überwundene Zustände,
der Unterwerfung notwendig unbegrenzt andauern wird (...), denn sie basiert auf einer natürlichen
Unterlegenheit, die durch nichts beseitigt werden könne.“106
Und auch um 1900 herum können finden wir, was im Laufe der Zeit in den
Köpfen der Menschen festgesetzt hat.
„ [Weiningers] Er spricht der Frau die Gedächtnisfunktion und somit die Fähigkeit ab, die
eigene Persönlichkeit im raumzeitlichen Wandel als identisch und kontinuierlich zu erleben.
Durch ihren Gedächtnismangel außerstande gesetzt, auch nur Identitätsurteile zu fällen, hat die
Frau keinen Zugang zu den Prinzipien von Logik und Ethik; sie ist seelenlos, hat „kein ich und
keine Individualität, keine Persönlichkeit und keine Freiheit, keinen Charakter und keinen
Willen“.“107
So findet man viele „Wissenschaftler“, die eine ähnliche Idee über die Frau haben.
Ein sehr bekanntes Beispiel ist Freuds Idee vom Penisneid. Die Frau definiert sich auch
106
107
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12, weiblich/männlich, Seite 363
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 5, männlich/weiblich, Seite 743
51
bei ihm durch das Fehlen dessen, was der Mann hat108. Erst durch Simone de Beauvoir
und die emanzipatorische Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam
Veränderung in dieses Denken und entstand der Feminismus auf gesellschaftlichem und
politischem Gebiet. Männlichkeit und Weiblichkeit sind keine vorauszusetzenden
Kategorien mehr, sondern zu erwerbende Eigenschaften, so wie Simone de Beauvoir
passend sagt:
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ ( „On ne nait pas femme: on le
devient“).109
Simone de Beauvoir hat den Weg für andere wichtige Philosophen und
Philosophinnen in der Gender-Debatte geebnet. Während Irigaray sich für das liebende
Verhältnis des homosexuellen Paares ausspricht und Kristeva das Weibliche als das
grundsätzlich Unsymbolisierbares darstellt, so fordern doch alle feministischen
Philosophinnen die Neudefinierung des Weiblichen. Um das jedoch bewerkstelligen zu
können ist eine Umstrukturierung des Denkens in der Kultur und Politik nötig, da die
Konzepte des Männlichen und Weiblichen wie beschrieben in unserer Gesellschaft
verankert sind. Butler geht noch einen Schritt weiter und definiert drei verschiedene Arten
von Geschlecht: das biologisch-anatomische Geschlecht („sex“), das soziale Geschlecht
(„gender“) und das sexuelle Begehren („desire“). Durch diese Ausdifferenzierung ist es
ihr möglich die Geschlechterrolle und alles was damit zusammenhängt zu entkoppeln.
Butler möchte ein „doing gender“ erklären, was jedoch an den Ideen der Kultur und der
Natur rührt und hierdurch umstritten ist.110
Wie wir sehen, ist Simone de Beauvoir nur der Anfang einer mittlerweile längeren
Tradition, aber auch heute haben wir uns noch nicht dahingehend emanzipiert, als dass
dieses Thema überflüssig wäre. Das Ziel der feministischen Genderphilosophie ist immer
noch die Dekonstruktion der Grunddefinitionen unsere Gesellschaft um, wie es nach
Deleuze und Derrida teilweise schon der Fall war, nicht mehr „die Frau“ als Konzept zu
haben.
Dieses sind Ansätze zu einer weiterführenden Arbeit und aus diesem Grund hier
nicht weiter ausgearbeitet.
108
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12, weiblich/männlich, Seite 366
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12, weiblich/männlich, Seite 367
110
Idem, Seite 367ff.
109
52
Fazit
Wir haben in dieser Arbeit gesehen, dass der Einfluss der Übersetzung sehr groß
ist. Darum ist es wichtig, dass der Übersetzer nicht nur in der Kunst des Übersetzens gut
ist, darüberhinaus wäre es auch noch wünschenswert, wenn der Übersetzer in der
jeweiligen Wissenschaft geschult wäre, um den gesamten Kontext seiner Arbeit zu
verstehen. So nämlich nimmt die Chance zu um zu einer guten und in sich und der
Wissenschaft stimmigen Übersetzung zu kommen. Wie wir gesehen haben, war das bei
der ersten Übersetzung von Simone de Beauvoir’s Werk Das andere Geschlecht nicht der
Fall. Au diesem Grund ist eine die zweite verbesserte Übersetzung zu Stande gekommen
aber, die aber immer noch fehlerhaft und auf philosophischem Gebiet unzureichend ist.
Obwohl man hier zu ihrer Verteidigung bemerken kann, dass die Übersetzung des Titels
dem philosophischen Kontext des Werks besser entspricht als es mit dem original Titel
der Fall ist. Das Werk den Titel Das andere Geschlecht und nicht das zweite Geschlecht
zu geben war wahrscheinlich eine wohl überlegte Entscheidung, die den Inhalt des
Buches unterstreicht. Hieraus können wir schließen, dass die Möglichkeit sehr wohl
besteht, dass die Übersetzung einem Werk gerechter wird, als es beim Original der Fall
ist.
Simone de Beauvoir geht in Bezug auf die Körperlichkeit weiter als Sartre dies tut.
Auch wenn sie Sartres Ideen als Ausgangspunkt ihrer Gedanken gewählt haben kann, so
geht sie mit Hilfe Merleau-Pontys Phänomenologie schon bald darüber hinaus. Während
Sartre sich vom Körperlichen lösen möchte, verbindet Simone de Beauvoir das Geistige
und das Körperliche miteinander und kommt damit der Phänomenologie einen
bedeutenden Schritt näher.
Simone de Beauvoir ist eine Phänomenologin, denn nur so kann man ihre
Philosophie und die Körperlichkeit in ihrer Philosophie erklären. Stuft man sie als eine
Existentialistin ein, so werden ihre Theorien unstimmig. Bei Simone de Beauvoir spielt
die Körperlichkeit eine wichtige Rolle, so wie das bei Merleau-Ponty auch der Fall ist.
Der Köper, oder auch der Leib, ist das Sprachrohr zur Welt. Ohne den Körper könnten
wir nicht wahrnehmen, deswegen ist dieser sowohl bei Simone de Beauvoir als auch bei
Merleau-Ponty von so großer Bedeutung. Bei den Existentialisten dahingegen ist der
Köper etwas zweitrangiges und zuweilen lästiges.
53
De Beauvoir veranschaulicht nicht nur, dass wir dem Anderen durch die
Körperlichkeit begegnen, sondern auch, dass wir durch eben diese Körperlichkeit die
Möglichkeit haben mit dem Anderen zu einer Einheit zu verschmelzen. Ein Beispiel
hierfür ist die Extase des Orgasmus‘. In Sartres Gedankenbauwerk ist ein solches nicht
möglich und sicher nicht wünschenswert, da es ein „sich verlieren“ mit sich mitbringt, das
ihm zutiefst widerspricht.
Etwa alle 25 Jahre werden Neuübersetzungen von Kant, Hegel etc. verlegt, um ihre
Werke der gegenwärtigen Zeit anzupassen. Werke von Freud, Heidegger oder Sartre
dahingegen werden nicht neu übersetzt geschweige denn verlegt. Möchte man mit den
weitergehende Untersuchungen nach Übersetzungen anstellen, lägen hier äußerst
interessante Ansatzpunkte wie zum Beispiel: Wieso eignen sich manche Texte besser um
übersetzt zu werden und gibt es Sprachen die sich für gute philosophische Übersetzung
besser eignen als andere?
Ein weiterer Punkt, den zu untersuchen sich lohnen würde, ist die Rolle der
Körperlichkeit und des Leibes bei Simone de Beauvoir im Vergleich zu einerseits Sartre
und Merleau-Ponty andererseits. Meiner Meinung nach bildet Simone de Beauvoir eine
Art Brücke zwischen beider Auffassungen, ob das aber tatsächlich auch dem Resultat
einer weiteren Forschung standhalten kann, wäre noch zu untersuchen.
54
Bibliographie
Bücher;
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De Beauvoir, Simone, The second Sex, Penguin Books / 1979, Harmondsworth,
Middelsex, originaler Titel: Le Deuxième Sexe
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1951, 2. Auflage Februar 2002, Hamburg, originaler Titel: Le Deuxième Sexe
De Beauvoir, Simone, de Tweede Sekse, Bijleveld/1978, Utrecht, originaler Titel: Le
Deuxième Sexe
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Hegel, Georg Willhelm Friederich, Phänomenologie des Geistes, Felix Meiner Verlag
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Merleau-Ponty, Maurice, Phänomenologie der Wahrnehmung, de Gryter & co. 1974,
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1952,1962,1991, 12. Auflage Januar 2006, Hamburg, originaler Titel: L’être et le néant.
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55
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1972-1982, Feministische Uitgeverij Sara/ 1983, Übersetzt von: Simone de Beauvoir
heute. Gespräche aus zehn Jahren. - Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, cop. 1983
Vintges, Karen, Filosofie als Passie, Proefschrift Universiteit van Amsterdam,
Prometheus /1992, Amsterdam
Vintges; Karen, Philosophy as passion, Indiana University Press / 1996, Bloomington
Übersetzt von; Filosofie als passie: het denken van Simone de Beauvoir. - Amsterdam:
Prometheus, 1992. - Proefschrift Universiteit van Amsterdam, originaler titel; Filosofie
als Passie
Wörterbücher;
Hamlyn, the penguin History of Western Philosophy, Penguin Group Books, 1987
Philosophielexikon, Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der
Antike bis zur Gegenwart, Anton Hügli und Poul Lübecke, Rohwolt Verlag, vierte
Auflage, November 2001, vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, Dänische
Original Ausgabe erschien 1983 unter dem Titel; “Politikens filosofi leksikon”
Philosophisches Wörterbuch herausgegeben von Georgi Schischkoff, Alfred Körner
Verlag Stuttgart, 22 aufl. 1991
Ritter, historisches Wörterbuch der Philosophie, ursprünglicher Titel: Wörterbuch der
philosophischen Begriffe / von Rudolf Eisler. – 1899
Van Dalen, Groot woordenboek, etymologisch woordenboek, 12e druk, 1992 (Band J-R)
Artikel;
56
Feministische Zeitschriften, Tradierung und Geschichte, Die Philosophin / 2005,
Tübingen
Klaster, Jellie, Het verschijnen van de vrouw als Ander bij Simone de Beauvoir, Luce
Irigaray en Julia Kristeva, 1994, doctoraalsriptie (wijsbegeerte bibliotheek Amsterdam)
Simons, Margaret (1983), The silencing of Simone de Beauvoir guess what is missing
from “the scond sex”, women studies International Forum
Vintges, Karen, Simone de Beauvoir: A feminist Thinker for the Twenty-first Century
(Auf Nachfrage bei der Autorin zu erhalten)
Websites;
http://lexikon.meyers.de/meyers/Existenzphilosophie
http://www.gak-speyer.de/archive/religion/materialien/exista2.htm
http://sammelpunkt.philo.at:8080/712/1/stoller.html
(zuletzt gesehen am 28.05.08)
57
Appendix
1) La querelle du féminisme a fait couler assez d’encre, á présent elle est á peu prés
close : Seite 11
In der Debatte über den Feminismus ist genug Tinte geflossen. Seite 9
2) On ne sait plus bien, s’il existe encore des femmes, s’il en existera toujours, s’il
faut ou non le souhaiter, quelle place elles occupent en ce monde, quelle place
elles devraient y occuper. Seite 11
Man weiß nicht mehr genau, ob es noch Frauen gibt, ob es sie immer geben wird, ob
dies wünschenswert ist, oder nicht welchen Platz sie in dieser Welt einnehmen,
welchen sie einnehmen sollten. Seite 9
3) Il saisit son corps comme une relation directe et normale avec le monde qu’il croit
appréhender dans son objectivité, tandis qu’il considère le corps de la femme
comme alourdi par tout ce qui le spécifie : un obstacle, une prison. Seite14
Er begreift seinen Körper als direkte, normale Verbindung zur Welt, die er in ihrer
Objektivität zu erfassen glaubt, während er den Körper der Frau durch alles, was
diesem eigentümlich ist, belastet sieht ihn als Behinderung, als Gefängnis betrachtet.
Seite 12
4) mais il ne va pas jusqu’á se faire leur champion. Seite 23
Er geht jedoch nicht so weit, sich zu ihrem Vorkämpfer zu machen. Seite 19
5) ...; à vrai dire j’en sais plus d’une qui n’aurait pas la patience d’accorder á M.
Mauriac un « ton d’indifférence polie ». Seite 26
Ehrlich gesagt kenne ich mehr als eine, die nicht die Geduld hätte, für Herrn Mauriac
einen „Ton höflicher Gleichgültigkeit“ aufzubringen. Seite 21
6) Un des bénéfices que l’oppression assure aux oppresseurs c’est que le plus humble
d’entre eux se sent supérieur un « pauvre Blanc » du Sud des U.S.A. a la
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consolation de se dire qu’il n’est pas un « sale nègre » ; et les Blancs plus fortunés
exploitent habilement cet orgueil. Seite 25
Ein Vorteil , den die Unterdrückung den Unterdrückern verschafft, besteht darin, dass
noch der Geringste von ihnen sich überlegen fühlt: ein „armer Weißer“ im Süden der
USA kann sich damit trösten, dass er kein „dreckiger Neger“ ist, und die
wohlhabenderen Weißen beuten diesen Dünkel geschickt aus. Seite 21
7) C’est souvent l’inégalité numérique qui confère ce privilège : Seite 17
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