gibt es das PDF.

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Die Wiedergeburt
René Berto ist der Mann hinter
Frau Conchita Wurst – aus dem
Tagebuch eines Managers, der
nach den Sternen greift.
Text von Birgit Schaller | Fotos von Karl Michalski
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Bestseller 9|10 2014
ein sehr junges Team. „Hier im Sou­
Bartkunst. Stein, Bronze und elegante
­entwickelte sich. Conchita selbst ist
terrain ist Conchis Bereich“, führt
Holzvertäfelungen, das Oktogon im
kein Marketingkonzept, versichern
­Berto durch die neuen Räumlichkeiten. Berto und Frau Wurst unisono, sie hat
100 Jahre alten Bank-Austria-Gebäude
Auf einem Tisch stehen zwei amüsante sich als Figur über viele Jahre entwiam Schottenring fasziniert mit edelsKleinigkeiten: Conchitas Konterfei
ten Materialien, Marmorsäulen, einer
ckelt. Tom selbst wurde am 6. Novemstrahlt vom Goldpapier eines MozartGlasdecke viele Meter über dem Bober 1988 in Gmunden geboren, wuchs
talers, daneben steht eine kleine Bade- im steirischen Bad Mitterndorf auf
den. Große Kulisse für großes Kino –
es ist die Präsentation der ersten öster- ente, sie hat langes, schwarzes Haar,
und lebte sein weibliches Alter Ego
Frau Wursts Augenaufschlag, und sie
reichischen Werbekooperation von
bereits in Kindertagen auf dem Dachträgt natürlich Bart. Geschenke, Ideen
Conchita Wurst. Im superengen, hautboden des Gasthauses seiner Eltern
farbenen Kleidchen auf 15-Zentimeter- für ein Merchandising?
im V
­ erborgenen. „Ich würde die
Stilettos lehnt die Queen of Austria
­beiden nicht auseinanderdividieren,
Eine große Chance
höchst aufmerksam am Rednerpult.
es bleibt ein Mensch, der Switch ist
„Diese Bank ist ein Partner, der an das „Ich habe für Sony Music und den ORF ganz easy“, sagt Berto.
glaubt, woran auch ich glaube. Es geht das Booking für die ‚Große Chance‘
gemacht. Tom kannte ich nur vom
um Toleranz und Respekt als Zeichen
Überredet
­Hörensagen. Aber eine Idee hatte ich
nach außen, aber auch im eigenen
2013 war Conchi, wie Berto sie gern
Haus. Nur motivierte Mitarbeiter, deren bereits; die von der Castingshow zum
nennt, für RTL mit „Wild Girls – Auf
Weltstar. Da hatten wir einen gemeinBedürfnisse wahrgenommen werden,
High Heels durch Afrika“ im Wüstensamen Traum“, erinnert sich Berto.
bringen gute Ergebnissen. Das weiß
camp auf Dreh. „Damals dachte ich,
Das war vor drei Jahren. Schon mit 17 ich probier es noch einmal“, erzählt
auch ich, jetzt, wo ich ein eigenes
Unter­nehmen führe und Verantwortung startete Tom Neuwirth bei „Starmania“ Berto – ohne Conchita zu informieren,
trage. So stehen wir gemeinsam für ein und wurde Zweiter, nach Platz sechs
unterbreitete er dem ORF, der gerade
bei der „Großen Chance“ folgte der
besseres Miteinander“, sagt Conchita
überlegte, den Song Contest mangels
Wurst und lächelt strahlend in Richtung erste Versuch für Eurovision 2012,
doch man musste sich der Boygroup
ihres Auftraggebers Willibald Cernko,
Vorstandsvorsitzender der Bank Austria. Trackshittaz geschlagen geben. „Es
Für die Bank erfüllt Conchita ab sofort war noch nicht der richtige Zeitpunkt,
„Conchita und Tom sind
wir waren nicht am Punkt“, sagt Berto,
eine Doppelrolle – als Integrations­
ein Mensch, ich würde sie
der schon Alf Poier für Eurovision
botschafterin und Werbetestimonial
nicht auseinanderdividieren.
1999 gut platzierte und danach höchst
mit Spaß am Shoppen.
Der Switch ist ganz easy.“
erfolgreich 16 „Superjahre“ lang maSzenenwechsel. Gegenüber dem
nagte, bis Poier wenig Toleranz für die
Millennium Tower befindet sich ein
neues ebenerdiges Büro. Groß gewach- junge Dragqueen zeigte und sich die
sen, im gemütlichen Freizeit-Style und Wege der beiden trennten.
Es folgte eine Zeit der Entwicklung. Erfolgs auszulassen, sein Konzept,
etwas außer Atem öffnet René Berto
Conchita löste Tom mehr und mehr ab, „nach dem Song Contest ist vor dem
die Tür, gerade hat er noch Kartons
der sich „nach einer kleinen Karriere“, Song Contest“. Der Rest ist Geschichte.
­geschleppt. Erst seit wenigen Tagen
so Conchita, ins Privatleben zurückzog. „Wir haben den Hype nach dem Sieg
werken hier sechs Menschen. Tische
Conchita trat indessen in Burlesqueund Sessel gibt es bereits, die Wände
gar nicht mitbekommen, wir waren zu
Shows im Untergrund auf, wurde als
sind weiß und leer. „Das ist Niki, die
beschäftigt. Ich erinnere mich an ein
persönliche Assistentin von Conchita“, polarisierende Figur greifbarer, auextremes Glücksgefühl, aber für uns
thentischer, der gemalte Bart wurde
stellt der Manager von Tom Neuwirth
gilt: Never believe in your own hype“,
zum realen Special Effect, das Styling
alias Conchita Wurst vor. Eine kleine,
sagt Berto, der Sprüche mag. Er blätperfektioniert, auch die Geschichte
quirlige junge Frau sagt Hallo. „André
tert in seinem Heft, das vollgeschrieder Tochter von Alfred Knack von
macht Social Media, Frau Purger das
ben ist, dreht es im Kreis, sucht und
Wurst und einer kolumbianischen,
Projektmanagement, Frau Reisinger
liest schließlich vor: „In der Ruhe liegt
­Zigarren rauchenden Schauspielerin
das Booking und Benjamin Hartl ist
die Kraft“ und „nicht der Manager ist
mein Assistent“, stellt er das Team vor, und samt Ehemann Jacques Patriaque
der glücklichste, der am meisten
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Schulkind bis zur Oma“, so Berto. „Als
heranzukommen, muss man Zeit
Geld verdient, sondern jener, der das
ich vor drei Jahren die Figur kennenManagement zu genießen weiß“, oder: ­einplanen, so ist das bei Weltstars.
lernte, da war sie nicht so entwickelt,
„Es ist alles nur Unterhaltung und
aber ich hatte das Gefühl, sie ist etwas
Crazy Girl im Crazy Horse
­keine Herzchirurgie.“ Aha.
Außergewöhnliches, etwas Großartiges.“
Der Terminkalender ist dicht: „Zwei
Berto spricht schnell, man fühlt ein
Drittel unserer Zeit sind wir unterwegs Trotzdem bleibt Berto realistisch: „Es
wenig, was es bedeutet, einen „Weltsind Nuancen, wie bei einem Olymund am Weg wird viel besprochen.“
star“ zu managen, er wirkt manchmal
Gerade ist Conchita vor dem EU-Parla- piasieg – da muss an einem Tag, wie
unter Druck, aber er nimmt sich Zeit.
dem 10. Mai, einfach alles stimmen.
Nach dem großen Erfolg im Mai trat er ment aufgetreten, betonte einmal
Wir spürten, dass etwas möglich ist,
mehr ihre Botschaft für Offenheit und
als „Master of Deceleration“, Meister
es hat sich langsam aufgebaut und
Liebe. „Morgen wird in Berlin synder Entschleunigung, auf, immer mit
schließlich haben wir Geschichte gechronisiert“, führt Berto weiter aus,
dem Ziel einer langfristigen, nachhal­
schrieben.“ Berto selbst entdeckte
tigen Entwicklung der Conchita Wurst: „Conchita spricht die Schneeeule Eva,
nach einer Karriere beim Wirtschaftseine sexy Spionin, im neuen Animati­„Alles zu seiner Zeit, ich muss nach
onsfilm ‚Die Pinguine in Madagaskar‘, verlag Ueberreuter die Liebe zu Musik
wie vor ständig entschleunigen. Viele
und Kultur, zunächst beim Festival
danach promoten wir die 15 Auftritte
stellen sich alles so easy vor, fragen
„Wien ist andersrum“, er betreute als
heute an und wollen Conchita morgen Anfang November im Crazy Horse in
Paris, sind in der österreichischen Bot- Pressesprecher das Orpheum und das
auf der Bühne sehen. Wir haben seit
Jazzfest Wien, bevor er ins Künstlerdem Sieg über 3.000 Anfragen erhalten. schaft eingeladen, um für den Euro­
vision Song Contest 2015 und die Stadt management wechselte.
Da ist ein wahrer Tsunami über uns
Wien Werbung zu machen.“
hereingebrochen, dem ich versuche,
Wir sind gar nicht abgehoben
Bisherige Highlights waren die
Herr zu werden.“ Ein wenig wirkt es,
„Frau Wurst ist für ihr junges Alter
­Modeschau mit Jean Paul Gaultier in
als wolle er sich entschuldigen. Ja,
sehr erwachsen, extrem professionell,
Paris oder der darauf folgende Dreh
um an Conchita oder ihren Manager
hoch diszipliniert und von großer
für Arte, „Durch die Nacht mit ...“,
­Ausdauer. Alles, was sie angeht, macht
Jean Paul eben, ein Shooting mit Karl
„Schon vor drei J­ ahren hatte ich
sie einfach perfekt. Sie hat außergeLagerfeld für das Magazin CR Fashion
das Gefühl, die F
­ igur Conchita
Book von Stilikone Carine Roitfeld, ein wöhnliches Talent und ist dabei sehr
Wurst ist etwas­Außergewöhn­
Blumen- und Liebesgruß von Sir Elton bescheiden. Wir sind alle gar nicht
­abgehoben – in der Firma sind TransJohn und David Furnish vor der BBCliches, etwas Großartiges.“
parenz, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit
Talkshow mit Graham Norton, der
zentrale Werte“, erklärt Berto. Die
Life Ball und vieles mehr. Jean Paul
­unstoppable GmbH gibt es seit Kurzem,
Gaultier sagte nach der Fashion Show
Geschäftsführer sind René Berto und
in Paris, wo Conchita Wurst zu „Rise
Like a Phoenix“ über den Laufsteg lief, Conchita Wurst, sie sind im Verhältnis
30 zu 70 an allen Einnahmen beteiligt,
treffend: „Conchita begründet ein
seien es Galas, Auftritte, CD-Einnahganz neues Genre. Sie ist ein Mann
men, auch an einem Merchandisingmit Bart, mit den Attributen der ManKonzept wird getüftelt und weitere
neskraft, aber zugleich sehr feminin.
Werbeverträge stehen vor der Tür –
Es ist eine unglaubliche Mischung. Es
nach dem Deal mit der Bank Austria
ist mutig und schön, sein Leben so zu
wird Conchita in Kürze in Frankreich
leben, wie man es will.“ Die Message,
„the unstoppable future of love, respect in der neuen Kampagne des Kopfhöreranbieters Parrot präsent sein. Auf Twitand tolerance“, ist allgegenwärtig.
ter ist Conchita übrigens völlig eigenDer Erfolg war kein Zufall. Für die
glamouröse Conchita war die Zeit reif. ständig und hat weit über 118.000
Followers. Im Moment hat Berto die
„Sie passt zum Zeitgeist, auch wenn
großen europäischen Märkte auf der
es anfangs Anfeindungen gab und
Agenda, Deutschland, Frankreich, UK,
­Ablehnung. Heute liebt sie jeder vom
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„Als Tom will ich nicht Haltung bewahren müssen“
Conchita Wurst im Gespräch. Die Queen of Austria
liebt die Bühne und ihr Alter Ego Tom Neuwirth.
Bestseller Ist die Figur Conchita Wurst gewachsen oder steht ein
Marketing­konzept dahinter?
Julian Laidig
Conchita Wurst Conchita Wurst kommt aus einer Underground-­
Spanien, schon zehn der 13 Länder,
die Conchita beim Eurovisionswettbewerb mit zwölf Punkten bedachten,
hat man besucht. Nach Übersee wagt
sich Berto erst, wenn er auch ein paar
Produkte vorweisen kann, ein Album,
ein Buch, eine DVD. Schritt für Schritt
eben. Der Fokus liegt auf Qualität. So
stehen die großen TV-Stationen wie die
BBC im Zentrum, Medien wie der Guardian, The Times oder Le Monde.
Boulevardzeitungen wie The Sun werden vorerst hintangestellt.
Ein Nadelöhr gibt es jedoch, Conchita ist Interpretin, nicht Songwriterin,
das Repertoire ist zurzeit auf die eigenen Songs „That’s What I Am“, „Unbreakable“, natürlich „Rise Like a
Phoenix“ und einige Covers beschränkt.
Doch nun hat das Warten der Fangemeinde ein Ende, fünf Lieder liegen bereits am Tisch, eines, „My Light“, wird
als ­Single am 24. Oktober auf den
Markt kommen. Jede freie Minute wird
derzeit für die Arbeit im Ton­studio verwendet. Das ­Album wird erst 2015 fertig, jedenfalls rechtzeitig zum Song
Contest am 23. Mai. Dort wird die
Queen of Austria eine zen­trale Rolle
spielen. Für Privat­leben ist wenig Raum,
denn man hat ja noch so viel vor, etwa
einen Grammy zu ­gewinnen oder in
Las Vegas zu performen. Visualisierung,
Fokussierung und Ritualisierung sind
im täglichen Stress Bertos Mantras.
Wieder am Schottenring, im Zwie­
gespräch hinter verschlossenen Türen
in den hochfeinen Räumen der Bank
Austria blickt Frau Wurst mit ihren
­seelenvollen haselnussbraunen Augen
in die Ferne und verrät lächelnd, die
Hände femininer auf den überschlagenen Beinen verschränkt, als jede Dame
es könnte: „Wissen Sie, musikalisch
sind Céline Dion, Cher, Tina Turner,
Shirley Bassey meine Vorbilder. Ich
lerne gern von den Besten.“ Sie ist
eben ein Star, nein „Weltstar“, ver­
bessert Rene Berto überzeugt.
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Szene. Ich habe sehr lange Burlesque-Shows als Conchita mit Bart
moderiert. Ich habe in dieser Zeit nach und nach meine Qualitäten
schätzen gelernt. All das war und ist ein Entwicklungsprozess.
Die Figur ist gewachsen, hätte man sie am Reißbrett erfunden,
­wären wahrscheinlich viele Fehler nicht passiert. Vor drei Jahren
habe ich vieles gemacht, einfach um meine Rechnungen zu bezahlen. ­Heute hingegen haben meine Visionen und Einstellungen
eine Berechtigung und ich darf sie hinaustragen. Der Erfolg ist
ein großes Geschenk. Er gibt mir eine Freiheit, die ich sehr
genieße.
Gab es ein Vorbild, eine Figur, einen ­Menschen
in dieser Welt?
Wurst Nein, die gab es nicht. Auf musi­
kalischer Ebene sind da aber viele. Céline
­Dion hat mich immer sehr inspiriert, auch
viele andere wie Tina Turner, Cher oder Shirley
Bassey. Ich lerne von den Besten.
Conchita Wurst scheint eine Figur zu sein, die
sehr gut ankommt, Menschen berührt. Gibt es
Vorgaben für Frau Wurst, die ihre Person
­erfüllen kann und will?
Wurst Oh, diese Frage kann ich schlecht
­beantworten, denn ich mache nur, was ich
machen will, ja, machen muss, weil ich
nicht anders kann, aus einer natürlichen Notwendigkeit heraus. Somit denke ich eigentlich
nicht wirklich darüber nach, ob ich gut bei Menschen ankomme oder ob sie mich mögen. Natürlich
ehrt und freut es mich sehr, wenn das der Fall ist. Ich kann aber
nur empfehlen, keine Erwartungshaltungen zu haben. Man wird
sehr schnell enttäuscht und verletzt, obwohl die andere Person
gar nichts dafür kann. Ich bin nicht perfekt und werde es auch
nie sein, aber eines kann ich versprechen, ich werde immer ich
selbst bleiben und ich werde vor allem nie aufhören, für das
­einzustehen, woran ich glaube.
Welche Funktion hat Conchita Wurst für Sie persönlich?
Hat sie auch eine Schutzfunktion für Tom Neuwirth?
Wurst Tom ist die Person, die für das Privatleben zuständig ist.
Es hält mich am Boden, Tom und Conchita zu haben und zu
kennen. Conchita ist die Bühnenperson, weil sie das wirklich
besser kann. Tom ist einfach Tom. Jeder der beiden hat
­seinen Raum. Ich hatte eine kleine Karriere als Tom und
ich habe damals gelernt, dass ich ein Privatleben brauche.
Für mich wäre das Leben anders nicht möglich. Ich will
mit Freunden Kaffee trinken gehen, ohne in diesem
­Moment darauf achten zu müssen, Haltung zu
­be­wahren. Das ist die Aufgabe von Conchita.
In gewisser Weise schien die Zeit für Conchita reif
­gewesen zu sein?
Wurst Ja, absolut. Es hat alles gestimmt. Das Lied war
richtig. Das Gesamtkonzept war richtig. Ich war sehr gut
­vorbereitet. Das hat so sein sollen. Das war der Moment.