Spezielle Herausforderungen bei der Beweissicherung bei
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Spezielle Herausforderungen bei der Beweissicherung bei
Spezielle Herausforderungen bei der Beweissicherung bei sexuellem Missbrauch Dr. Daniela Dörfler Universitätsfrauenklinik, AKH Wien Abteilung für allg. Gynäkologie und gynäkolog. Onkologie Wien, 23.4.2015 Umstände sexuellen Missbrauchs • Opfer-Täter-Beziehung: Fremde : Bekannte ca. 10-40% : 60-90% • Häufigkeit und Dauer 50-70% einmalige Erlebnisse 25-50% mehrfach und über längeren Zeitraum • Art – Exhibitionismus und verbal 6,5-38% – Berühren der Genitalien 10-80% – Penetration 7-31% Aus Julius & Boehme, Sexuelle Gewalt gegen Jungen, VAP Göttingen, 1997 Häufiges Verschweigen, Mitteilung nach langer Zeit Vorgehen Sexueller Missbrauch Zustimmung Photodokumentation, Beweismaterial, Kleidung Anamnese Chron., länger her Spurensicherungsset „Sexualdelikt“ Innerhalb 72h Untersuchung, Missbrauchshinweise Dokumentation, STD Rechtsmed. Untersuchung, Abstriche lt Vorgaben, STD Nachuntersuchung und Behandlung Spurensicherungsset „Sexualdelikt“ • Informationsblatt – Vorgehen mit Beweismaterial, Opferschutz wichtige Tel.Nr.: Polizei, Frauenhaus, Frauennotruf, Männergewalt, Gerichtliche Medizin • Anamneseblatt – Einwilligung, Missbrauchsanamnese, Untersuchung und Spurensicherung, Abstriche, Blut, Urin Systematischer Ablauf der Untersuchung 1. Abstriche Oral: DNA 2. Bekleidung 3. Spuren am Körper 4. Körperliche Untersuchung 5. Anus und Rektum 6. Gynäkologische Untersuchung 7. Blut- und Urinproben 8. Diagnostik, Therapie, Beratung 1. Abstriche oral: mit 2 trockenen Wattetupfern (erspart Blutabnahme zur DNA des Opfers) 2. Kleidung: Einzeln in Papiersäcke 3. Spuren am Körper: Ejakulat?, Haare, Fingernägel, Abstriche 4. Körperliche Untersuchung Verletzungen/ Schmerzen Genaue Dokumentation, wenn möglich Fotodokumentation 5. Abstriche Anus/Rektum Mit jeweils 2 feuchten Wattetupfern 6. Gynäkologische Untersuchung 7. Blut/Urin • Serum für diagnostische Zwecke (HIV, Hepatitis, Syphilis… • EDTA- oder Heparinröhrchen (9ml) für Gerichtsmedizin (Mundhöhle – Kind) • Urin – nur bei Verdacht auf Beibringung von Drogen/Medikamenten 30-50ml in Urinbecher für Gerichtsmedizin Aufbewahrung: Alles Raumtemperatur Blut/Urin: 2 - 8º C 8. Diagnostik, Therapie, Beratung • • • • • • • Schwangerschaftstest Pille danach HIV-Prophylaxe (bei Notwendigkeit!) Medikamente Kontrolltermin Psychologisches Gespräch Information über Opferschutz „Pille danach“: Notfallkontrazeption 1.5 mg Levonorgestrel: 1x Gabe Ovulationshemmung: Verhindert Eisprung Kein Abortivum, keine teratogene Wirkung Over the counter Wirksamkeit > Einnahmezeitpunkt!!!! Bis 24 Stunden 98% 24 - 48 Stunden 85% 48 - 72 Stunden 58% Schützt vor 85% der zu erwartenden Schwangerschaften! NW gering Übelkeit 23.1%, Erbrechen 5.6% Levonorgestrel for Emergency Contraception: WHO fact sheet: März 2005 www.who.int/mediacentre/factsheets/fs244/en/pri nt.html Rabe T, Brucker C, J. Reproduktionsmed. Endokrinol 2004; 1 (3), 2002-221 Selektiver Progesteron-RezeptorModulator • Ulipristalacetat, Ella one® • innerhalb von 120 Stunden (5 Tagen) nach dem Geschlechtsverkehr • Der Eisprung wird verhindert • häufigste Nebenwirkungen Unterleibsschmerzen, Menstruationsstörungen, Übelkeit und Kopfschmerzen „Spirale danach“ • (Kupfer)spirale – Legen innerhalb von 5 Tagen nach Verkehr – Verhindert das Einnisten der befruchteten Eizelle – kein Abortivum Definition: Sexueller Missbrauch von Minderjährigen aktiver oder passiver Einbezug von Kindern oder abhängigen Jugendlichen in sexuelle Handlungen zu einem Zeitpunkt ihrer Entwicklung, zu dem sie den Inhalt und die Bedeutung dieser Handlungen nicht vollumfänglich begreifen und zu denen sie nicht bewusst einwilligen können, oder in sexuelle Handlungen, die soziale Tabus der Rollendefinitionen in der Familie verletzen Sexueller Missbrauch • Missbrauch von Macht • Täter in den meisten Fällen bekannt • meist chronischer sexueller Missbrauch • erhöhtes Risiko bei präverbalen Kindern, Geschwistern von Missbrauchsopfern, behinderten Kindern Prävalenz in nichtklinischen Populationen Autor (Land) Prävalenz n= Bange1992 (Deutschland) 8% 343 Bendixen1994 (Norwegen) 3,5% 486 Collings 1991 (Südafrika) 29% 326 Bagley 1994 (Kanada) 15,6% 750 Lopez 1995 (Spanien) 15% 904 Finkelhor 1990 (USA) 16% 1145 Baker & Duncan 1985 (GB) 8% 970 12,8% 263 7% 1942 Krugmann 1992(Costa Rica) Edgarth 1992 (Schweden) 20-25% der sexuell missbrauchten Kinder sind Jungen Aus Julius & Boehme, Sexuelle Gewalt gegen Jungen, VAP Göttingen, 1997 Anamnese • Bei der Dokumentation auf wörtliche Wiedergabe des Opfers achten • Keine Interpretationen • Keine Suggestivfragen • Allgemeinanamnese/Familienanamnese Die gynäkologische Untersuchung • INSPEKTION: Habitus Sekundäre Geschlechtsmerkmale äußeres Genitale Brust • Vaginoskopie (Kinder) / Spekulumuntersuchung • Rektale Untersuchung • Ultraschalluntersuchung Allgemeinuntersuchung • Verletzungen • Verhalten • Wachstum und Entwicklung (nach Tanner bei Kindern) • Allgemeinzustand • Ernährungszustand • Eventuell Pflegezustand Ursachen für genitale Traumata bei Kindern und Jugendlichen • Sexueller Missbrauch / Vergewaltigung • nicht durch sexuelle Gewalt bedingt Genitale Traumata ohne sexuellen Hintergrund Ursachen: – Unfälle bei sportlichen Aktivitäten • Inline-Skaten • Radfahren • Seilschwingen mit Sturz aus der Höhe • Rodeln • Schwimmbad – Sturz auf Kante etc. – im Rahmen von Beckenfrakturen – Mopedfahren - Autounfälle Bildquelle der Inline Skate Verletzung Eines 5-jährigen Mädchens: Herrmann B, Crawford J, Pediatrics 2002;110;e16. „Nichtsexuelle“ genitale Traumata – Lokalisation und Art der Verletzung Übersichtsarbeit der Mayo-Klinik, Rochester,USA J Pediatr Surg. 2010 May;45(5):930-3. * 167 Mädchen jünger als 16 Jahre von 1980 bis 2007 * mittleres Alter 6,9 Jahre * 70.5% Straddle Verletzungen, 23.5% Nonstraddle stumpfe Traumen, 6.0% Pfählungsverletzungen • Lokalisation: – Verletzungen der Labien 64% – Verletzungen des Dammes 7.8% – Hymenaleinriss 8.4% • Management der Verletzungen 87.9 % Beobachtung ohne Konsequenz – 12.1 % chirurgisches Vorgehen – Pfählungsverletzungen hatten höhere Wahrscheinlichkeit für Chirurgie – chirurgische Gruppe hatte häufiger multiple Verletzungen (60 % versus 25%) – • Schlussfolgerung – Hymenal- und Dammverletzungen hier eher selten! „Nichtsexuelle“ genitale Traumata – weitere Möglichkeiten • Nichtsexuell motivierte Gewalt gegen das Genitale: – Zufallsstichprobe von 1042 Buben und 958 Mädchen von 10 – 16 Jahre – 9.2% der Buben und 1.0% der Mädchen hatten im Jahr vor Befragung körperliche nichtsexuell motivierte Gewalt gegen das Genitale erfahren – ungefähr ein Viertel der Angriffe beinhalteten irgendeine Verletzung, aber nur 1 von 50 Fällen benötigte medizinische Hilfe – Angreifer meist Gleichaltrige – im Kontext von Gang-Attacken, “Raufen”, Abwehr von Mädchen gegen zudringliche Burschen JAMA. 1995 Dec 6;274(21):1692-7. • Fremdkörper in der Scheide: 4% aller gynäkologischen Beschwerden bei Mädchen unter 13 Jahren – rein rechnerisch bei 50% aller präpubertalen Mädchen mit Blutung ohne Ausfluss ist Fremdkörper in der Scheide die Ursache – Am J Dis Child. 1985 May;139(5):472-6. Genitales Trauma im Rahmen von sexueller Gewalt • Wesentlich mehr Literatur • Regionale Unterschiede in der Häufigkeit : Nigeria: 54% aller kindergynäkologischen Visiten wegen Scheidenverletzungen nach Vergewaltigung, am häufigsten in Altersgruppe der 8 –11-Jährigen (52.2%), häufigstes Symptom waren Blutungen (63.1%), der häufigste kindergynäkologische Eingriff war die Versorgung von vaginalen Lazerationen (54.8%) (1) – von 44 Frauen jünger als 21 Jahre in Arkansas USA, die wegen Genitalverletzungen chirurgisch versorgt wurden, waren 25% sexuell missbraucht worden, in 82% waren Hymen, Perineum, Vagina oder Anus verletzt (2) – Cincinnati,USA: 234 Frauen 14 – 29 Jahre, 50% African American, Prävalenz von Genitalverletzungen über 62%, jüngere Frauen signifikant höhere Anzahl an Verletzungen insgesamt und an Labien, Hüften, periurethral, Damm und Scheide (3) – 1) Trop Doct. 2007 Apr;37(2):90-2. 2) J Pediatr Adolesc Gynecol. 2008 Aug;21(4):207-11 3) J Obstet Gynecol Neonatal Nurs. 2008 May-Jun;37(3):282-9. Genitales Trauma im Rahmen von sexueller Gewalt •Tours, Frankreich : – 756 Frauen in Studie – mittleres Alter 16.5 Jahre – 86.3% der Fälle Kinder unter 15 Jahre – in 57% der Fälle war der Täter ein Familienmitglied, in 62.2% der Fälle den Opfern zumindest bekannt – Drogen spielten nur in 2.9% der Fälle eine Rolle Med Sci Law. 2007 Oct;47(4):315-24. • Philadelphia, USA: – 273 Mädchen jünger als 10 Jahre – 90% der Kinder mit positiven forensischen Befunden wurden innerhalb von 24 h nach der Tat gesehen – Abstriche vom Körper machen nach 24h keinen Sinn – 23.9% der Kinder hatten Genitalverletzungen Pediatrics 2000; 106;100. Genitales Trauma im Rahmen von sexueller Gewalt typisch für sexuelle Gewalt bei Mädchen im Vergleich zu erwachsenen Opfern sexueller Gewalt: – Seltener Waffengewalt eingesetzt (7% vs 26%) – Weniger physische Gewalt weniger extragenitale Verletzungen (33% vs 55%) – aber: Höhere Frequenz an genitalen Verletzungen (83% vs 64%) – typische Lokalisationen: • Labia minora • Hymen • Fossa navicularis • häufiger unspezifisches Erythem • seltener perianale Verletzungen als erwachsene Opfer Problem aus forensischer Sicht – rasche Heilung, daher zeitnah zum Geschehen Beurteilung erforderlich! Gynäkologische Untersuchung Traktionsmethode: Zug auf große Schamlippen - Normbefund Anamnestisch Sexueller Mißbrauch Traktionsmethode Anamnestisch Sexueller Mißbrauch Traktionsmethode Ballonkatheteruntersuchung Anamnestisch sexueller Missbrauch (anal) Veränderungen im anogenitalen Bereich • • • • Analdilatation Venöse Stauung Fissuren Narben Bei unklarem Genitalbefund in Rückenlage unbedingt Untersuchung in Knie-Ellbogen-Position! Genaue Kenntnisse der Normvarianten nötig! Narkoseuntersuchung nur in Ausnahmesituationen indiziert. Internationale Klassifikation der Untersuchungsbefunde praepubertärer Mädchen bei V.a. sexuellen Mißbrauch 1. normaler Untersuchungsbefund: keine Abnormalitäten, physiologische Varietäten 2. unspezifische Abnormalitäten: Rötung, Irritation, Abschürfung, Verletzlichkeit der hinteren Kommissur, Labialsynechie, Hymenalpolypen, Hymenalfurchen/einkerbungen 3. spezifische Abnormalitäten: hymenalvaginaler Riss, hymenal-analer Riss, STD 4. definitive Hinweiszeichen: Nachweis von Sperma, Schwangerschaft einer Jugendlichen Klassifikation der Untersuchungsbefunde bei V.a. sexuellen Missbrauch nach Adams 2008 1. Normvarianten, Normalbefunde Hymenalseptum Halban Reaktion Hymenalseptum quer Klassifikation der Untersuchungsbefunde bei V.a. sexuellen Missbrauch nach Adams 2008 2. Unspezifische Hinweiszeichen Erythem Ödem nach Unfall Fluor vaginalis Lichen sclerosus Urethralpathologien Tumor Fremdkörper Fissuren Unspezifische chronische Vulvitis Lichen sclerosus Verletzung Klassifikation der Untersuchungsbefunde bei V.a. sexuellen Missbrauch nach Adams 2008 3. Verdächtige Befunde: Konkavität des Hymens (notch, cleft) Erythem Ödem Schürfung ohne Unfallanamnese Perianale Narbe Dilatation des Anus Klassifikation der Untersuchungsbefunde bei V.a. sexuellen Missbrauch nach Adams 2008 Für ein stumpfes Trauma oder Penetrationstrauma beweisend: Frischer Hymenaleinriß Hymenalblutung, Hymenaleinriß bis zur Basis Konkavität des Hymens auch in Knie Ellbogen Lage, Perianale Einrisse Pos. Gonokokkenkultur, Syphilis, Trichomonaden oder Chlamydien in Vaginalkultur HIV wenn keine andere Übertragung Beweisend für sexuellen Mißbrauch • • • • Geständnis des Täters oder Augenzeugen Nachweis von Spermien Schwangerschaft Photo-/Videodokumentation des Übergriffes Veränderungen im anogenitalen Bereich • Normalbefund bei 17-82% • Beweisende Befunde nur bei 3-16% Bays & Chadwick, Medical diagnosis of the sexual abused child. Child Abuse Negl, 91-110, 1993 • Genitalverletzungen meist unfallbedingt oder entzündlich, nur in 1,5-7% wegen sexuellem Missbrauch! DeJong, Genital and anal trauma, Luwig&Kornberg, Child abuse, Churchill Livingstone, 1992 Spermiennachweis • Vaginal/ Cervikal: Nachweis von Spermatozoen: 24 - 72 h Mikroskop. Spermiennachweis: 4 Tage nach GV Phosphataseaktivität: bis zu 5 Tage nach GV Immunolog. Nachweis von Sperma-Antigenen: bis zu 10 Tage postkoital Fregin 1984, Eisenmenger 1996, Müller 1975, Keil 1976, Madea 2003 Spermanachweiszeiten • Analabstrich - bis 24h • Abstriche nach Oralverkehr - bis 12h, aber oft negativ Aus Rechtsmedizin systematisch, Unimed, Bremen 2006 Beweislast STD • • • • • • Syphilis Gonorrhöe - 2,3-11% Herpes genitalis Chlamyda trachomatis 4-17% Trichomonas vaginalis Condylome (??) • HIV +++ +++ ++ ++ ++ ++ +++ 10-90d 3-7d 2-20d variabel 2-24d Monate 6 Wo - 18Mo intrauterine / perinatale Infektion grundsätzlich möglich Nach Handbuch Gerichtl. Medizin, Brinkmann & Madea, Springer, 2004 STD nach Missbrauch Ein unauffälliger Befund schließt einen Mißbrauch niemals aus. Interdisziplinäre Zusammenarbeit!!! Bei Verdacht auf Intoxikation – Blut abnehmen und gerichtsmedizinisch-toxikologisch untersuchen lassen •Blutalkohol •Benzodiazepine •MDMA, THC etc. Am besten nach „k.o.-Tropfen Protokoll“ Nur mit Zustimmung Patientin, Verweigerung dokumentieren ! Je besser die Dokumentation bei der Erstvorstellung war, umso genauere Aussagen lassen sich im Gutachten machen Je oberflächlicher die Dokumentation war, desto unpräziser muss dass Gutachten sein Wenn es überhaupt noch nie zu einer Untersuchung mit der dezidierten Fragestellung „Abklärung nach sexuellem Missbrauch – Vergewaltigung“ stattfand und der Vorfall Monate oder Jahre zurückliegt, kaum Chancen auf ein eindeutiges Gutachten. Opferschutzgruppe AKH Wien Krisenambulanz, 8c, Abteilung für allg. Gynäkologie Leitung: Dr. Daniela Dörfler Terminambulanz: Donnerstag Terminvereinbarung: 01 40400 28040/ 29040 [email protected] Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!