Hinweise für Lehrer - bildungsserver

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Hinweise für Lehrer - bildungsserver
Abitur 2004 Deutsch Gk (Lehrer)
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Hinweise für Lehrer
Allgemeine Hinweise
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Den Prüflingen ist ein Nachschlagewerk zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zur
Verfügung zu stellen.
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Die Lösungshinweise sind eine Orientierung für den Lehrer. Sie erheben keinen Anspruch
auf Vollständigkeit und sind keineswegs vom Abiturienten lückenlos abzuarbeiten. Das Erwartungsbild muss vielmehr in Abhängigkeit von den im Unterricht geschaffenen Voraussetzungen durch den Lehrer präzisiert werden.
Gelangt der Abiturient zu anderen, vom jeweiligen Erwartungshorizont abweichenden Ergebnissen, sind diese zu akzeptieren, wenn sie der Aufgabenstellung entsprechen, sachlich
richtig und nachvollziehbar begründet sind.
Hinweise zur Korrektur und Bewertung
Für die Korrektur und Bewertung sind die überarbeiteten Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch vom 24. Mai 2002 verbindlich.
Weiterhin gelten:
–
die Arbeits- und Prüfungsverordnung gymnasiale Oberstufe (APVO – GO M-V) vom
16. Januar 1999
–
die Abendgymnasiumsverordnung (AbiAGyVO M-V) vom 20. September 1997
–
Verordnung zur Aufnahme, Ausbildung und Prüfung an Fachgymnasien (Fachgymnasiumsverordnung FGVO M-V) vom 10. Dezember 1999
–
der Runderlass des Kultusministeriums zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
vom 8. Oktober 1996
Der Abituraufsatz stellt eine komplexe Leistung dar, die mit einer Gesamtpunktzahl benotet
wird. Teilnoten werden nicht ausgewiesen.
Die Bewertung ist entsprechend den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung
(EPA Deutsch, S. 36 ff.) vorzunehmen. Es gibt keinen Fehlerindex für den Elementarbereich,
demzufolge müssen die Wörter nicht gezählt werden.
Die Gliederung ist nicht Gegenstand der Bewertung, sondern Teil der konzeptionellen
Vorbereitung auf den Aufsatz.
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Aufgabe I
Bertolt Brecht:
Bertolt Brecht:
Vergnügungstheater oder Lehrtheater (Text 1)
Auszug aus „Furcht und Elend des III. Reiches“, Szene 17
(Text 2)
Text 1:
Für die Lösung der Aufgabe ist es erforderlich, dass die unterschiedlichen Wirkungsstrategien
der dramatischen Konzepte herausgearbeitet werden:
Dramatisches Theater
–
illusionistisches Bühnenerlebnis, das Einfühlen in die Figuren und in die Handlung
ermöglicht, Katharsis, Erziehung des Zuschauers „Ja, das habe ich auch schon gefühlt.“ –
„Das Leid erschüttert mich [...]“ – „Ich weine mit den Weinenden [...]“
–
möglichst große Authentizität (Bühnenbild, Kostüme, Sprachgestus der Figuren,
Spannungsaufbau durch kontinuierlichen Handlungsverlauf nach festem Muster)
Episches Theater
–
Desillusionierung des Zuschauers, indem Vertrautes verfremdet und dadurch Erkenntnis
ermöglicht wird
–
Verfremdungseffekte als zentrale ästhetische Mittel (Bühnenbild, Projektionen,
Versatzstücke und Transparente, Sprünge und Brüche, häufig Verzicht auf kontinuierliche
Handlung, Montagestil, Vor- und Nachspiele, Kommentare, Hinwendung an die Zuschauer,
epische Erzählerfigur, Musik und Songs, sprachliche Brüche)
–
Distanz zu den Figuren und zum Bühnengeschehen als Voraussetzung, um Ursachen des
Dargestellten ergründen und gesellschaftliche Zustände verändern zu können („Das hätte
ich nicht gedacht.“ – „Das muss aufhören.“)
Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten:
Gemeinsam ist beiden Theaterkonzeptionen, dass sie auf die Veränderung der Gesellschaft zum
vermeintlich Besseren hinwirken wollen. Brecht spricht jedoch dem traditionellen bürgerlichen,
also dem dramatischen Theater diese Möglichkeit ab, da dem Zuschauer durch den linearen
Handlungsablauf die Vorgänge als folgerichtig und damit unabänderlich erscheinen. Deshalb
favorisiert er die stärker auf Analyse und Erkenntnistätigkeit orientierte Form seines modernen
epischen Lehrtheaters.
Text 2:
Der Abiturient soll prüfen, inwieweit Brecht in Szene 17 sein Theaterkonzept umsetzt. Dazu
muss er, ausgehend von Text 1, auch dramentheoretische Kenntnisse nutzen.
–
Montage von Einzelszenen („Das neue Kleid“ als 17. Szene) zum Rahmenthema
–
Gedichtstrophe als eine Art Prolog zur Szene, die das Geschehen in verallgemeinerter,
sarkastischer Form vorwegnimmt
–
Kontrast von lyrischer Sprache des vorangestellten Gedichts (Reim, Enjambements,
schrittweise verkürzte Verse) und Alltagsrede im Dialog in einer realistisch gestalteten
Momentaufnahme
–
austauschbare Figurentypen (der Mann, das Mädchen, SA-Leute)
–
offener Schluss, der den Leser zum Nach- und Weiterdenken veranlasst
Der Zusammenhang zwischen dem Titel des Stückes, der Szene und Brechts Kritik an den
Zuständen im faschistischen, von Furcht und Elend geprägten Deutschland muss erkannt und
erläutert werden. Der Text sollte als ästhetische Form des Widerstands beurteilt werden.
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Note „gut“
Der Abiturient muss ein differenziertes Textverständnis unter Beweis stellen, ohne dabei alle
Details der Texte erklären zu müssen. Ausgehend von den Textvorlagen muss er Aussagen über
dramenspezifische Entfaltungsweisen machen, sie überzeugend darstellen und deren Wirkung
erläutern. Er muss die epischen Elemente der Szene in ihrem Zusammenspiel mit der
realistischen Darstellungsweise und Brechts Gesellschaftskritik mit Bezug zum Titel des Stückes
herausarbeiten und belegen. Die sprachlich-stilistische Gestaltung der Arbeit muss korrekt und
in Wortwahl und Syntax differenziert sein. Der Aufsatz muss eine klare gedankliche Struktur
aufweisen, die sich sowohl im äußeren als auch im inneren Aufbau und in einer zweckmäßigen
Leserführung zeigt.
Note „ausreichend“
Für die Note „ausreichend“ genügt es, wenn die grundsätzlich verschiedenen Dramenkonzepte
erkannt, dargestellt und erläutert werden. Einzelne Elemente des epischen Theaters sind aus der
Kurzszene herauszuarbeiten. Die Arbeit muss für den Leser erkennbar geordnet und verständlich
formuliert sowie stilistisch, syntaktisch und orthografisch im Wesentlichen dem Gegenstand
angemessen sein.
Aufgabe II
Peter Bichsel:
Wie deutsch sind die Deutschen?
Der Autor setzt sich in seinem Essay mit Charakter/Bild/Ansehen der Deutschen auseinander.
Dabei untersucht er (als Schweizer) sowohl die Sicht auf die Deutschen von außen als auch das
Bild, das Deutsche (vermutlich) von sich selbst haben. Obwohl Bichsel feststellt, dass er über
Klischees spricht, greift er diese selbst auf und spitzt sie zu (deutsch = negativ). Der Autor relativiert diese negative Sichtweise, indem er ihr positive Seiten der damaligen Bundesrepublik
(Rechtsstaat, internationale Solidarität, Engagement für Frieden) gegenüberstellt. Am Schluss
seiner Betrachtung gelangt er zu einer provokanten Aussage über „die Deutschen“ und spielt auf
diese Weise mit den anfangs erwähnten Klischees, ohne zentrale Fragen zu beantworten.
Hauptgedanken des Textes:
–
die Deutschen sind die Opfer eines Klischees
–
Deutschsein gilt als negative Qualität
–
Deutschland ist immer noch verinnerlichtes Feindbild für Nichtdeutsche und für die Deutschen selbst
–
die Deutschen könnten infolge einer Fehleinschätzung zur potenziellen Gefahr werden
–
die Bundesrepublik ist ein erstaunliches Land, ein friedlicher Staat und eine Hoffnung
–
die Deutschen fühlen sich trotzdem kritisch beobachtet und negativ eingeschätzt
–
Unmöglichkeit und Unmenschlichkeit der an die Deutschen gestellten und von ihnen
angenommenen Forderung, ihr Deutschsein zu verbergen
–
den Deutschen gelingt das Leben nicht
Struktur/Gestaltungsmittel/Wirkung:
–
provozierende Aussagen und Thesen
–
Äußerung über Klischees und (un-)bewusstes Arbeiten mit Klischees
–
distanzierte und zugleich mitfühlende Haltung des Autors gegenüber seinem Gegenstand
–
philosophisch verallgemeinernder Schlusssatz als Ausdruck von Unsicherheit gegenüber dem
Leben an sich
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Wechsel von Sachlichkeit, Ratlosigkeit und Resignation
Kritik an den Schweizern und anderen Europäern sowie ihren Vorurteilen gegenüber den
Deutschen
feuilletonistischer Sprachstil, keine feste Argumentationsstruktur
Kontrastierung von Wir-Perspektive (Einbeziehung des Lesers) und Ich-Perspektive (letzter
Absatz)
Schlussfolgerungen durch Konditionalsätze markiert
Häufung von (rhetorischen) Fragen
Häufung von Schlüsselwörtern (deutsch, Erfolg, mißlingen, Bedingungen)
Anaphern zur Intensivierung: „Es mißlingt ...“, Fragesätze
Antiklimax: „wir fürchten ... wir geben keine Chance ... wir trauen ihnen zu“
Mögliche Erörterungsansätze:
–
Auseinandersetzung mit den im Essay verwendeten Klischees
–
berechtigte und unberechtigte Kritik an den Deutschen
–
deutsche Geschichte und Gegenwart
–
Ansehen der Deutschen in der Welt (Erwartungen an die Deutschen)
–
Aktualität der Aussagen (Feindbilder, Solidarität)
–
Verstehen und Analysieren des Textes auf verschiedenen Ebenen:
· Perspektive der Schweiz 1985 gegenüber „Deutschland“ (z. B. zwei dt. Staaten)
· Anspielungen auf die deutsche Vergangenheit
· Perspektiven des gegenwärtigen Lesers
Der Aufsatz wird mit „gut“ bewertet, wenn
–
die Hauptgedanken des Textes herausgearbeitet werden,
–
wesentliche sprachlich-stilistische Mittel des Autors in ihrer Funktion richtig dargestellt sind,
–
eine tiefgründige Auseinandersetzung mit ausgewählten Positionen des Autors angemessen
erfolgt,
–
er klar, logisch nachvollziehbar und leserfreundlich strukturiert ist,
–
Wortwahl und Syntax angemessen differenziert und variabel sind,
–
sichere Kenntnisse in Grammatik und Orthografie nachgewiesen werden.
Der Aufsatz wird mit „ausreichend“ bewertet, wenn
–
einige Hauptgedanken des Textes herausgearbeitet werden,
–
einige sprachlich-stilistische Mittel im Text richtig erkannt sind,
–
die Auseinandersetzung mit mindestens einer Position des Autors hinreichend erfolgt,
–
er nachvollziehbar strukturiert ist,
–
Wortwahl und Syntax im Wesentlichen der Aufgabenstellung angemessen sind,
–
grundlegende Kenntnisse in Grammtik und Orthografie nachgewiesen werden.
Aufgabe III
Wolfgang Borchert:
Vier Soldaten
Hinsichtlich Thema, Aufbau und Sprache ist „Vier Soldaten“ eine für Borchert typische
Kurzgeschichte. Sie besteht im Wesentlichen aus einem scheinbar belanglosen Dialog, der sich
aus der Extremsituation Krieg ergibt.
Vier Soldaten befinden sich während eines Gefechts im Unterstand an der Front. Die
Gefährlichkeit ihrer Lage, Todeserwartung und Todesangst verbinden sie miteinander und lassen
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sie mit „Galgenhumor“ reagieren. Die weitere Entwicklung der Ereignisse sowie das tatsächliche
Schicksal der vier Soldaten und damit der Ausgang der Geschichte bleiben offen.
Eine ausführliche schriftliche Analyse und Interpretation der Kurzgeschichte verlangt die
Aufgabenstellung nicht. Gedankliche Ansätze für den Brief und die Darlegung der Konzeption
ergeben sich für den Abiturienten aus folgenden inhaltlichen und formalen Aspekten:
–
Soldaten bleiben namenlos (Typisierung)
–
Gemeinsamkeit der verzweifelten Lage führt zu Sarkasmus und gegenseitigem Ermutigen
–
Todesangst führt zu Sprachlosigkeit
–
Beschreibung der Soldaten und Verdeutlichung der Situation durch zahlreiche
Adjektivkombinationen („schwarzgiftig“, „schwarzblau“), Epitheta („verlorene Gesichter“,
„hölzerne Köpfe“) und konkretisierende Substantive („aus Holz“, „Erde“, „Schneesturm“,
„Barthaar aus Hunger und Heimweh gemacht“)
Für die Bearbeitung der gestaltenden Aufgabe bleibt es dem Abiturienten überlassen, welche
Figur er wählt. Diese muss hinsichtlich ihrer Perspektive und Gefühlslage textadäquat konzipiert
werden (z. B. Angst, Sarkasmus, Todesmut).
Formale Ebene:
Die Aufgabe verlangt die Briefform (Anrede, Schlussformel etc.). Der Text muss folgende
Elemente aufweisen:
–
erkennbarer Anlass für den Brief
–
deutliche Bezüge zu den Geschehnissen in Borcherts Kurzgeschichte
–
Ausfüllen, Ausschmücken, Weiterdenken, Konkretisieren (z. B. zeitliche und räumliche
Umstände, Kleidung, Alter, Aussehen, Gedankenwelt, Beziehungsgefüge) des Textes
–
Eingehen auf den oder die Adressaten
Inhaltliche Ebene:
Die Gefühle, z. B. Angst angesichts des allgegenwärtigen Grauens, Verlassenheit, Ohnmacht
und Gedanken, z. B. Sinnlosigkeit des Krieges, falsches Heldentum, Verlust von Heimat und
Familie, müssen im Mittelpunkt stehen. Das kann seinen Ausdruck finden im Hervorheben von
scheinbar unwichtigen Details und Kleinigkeiten oder auch im Rückblick auf konkrete
Kriegssituationen (Enge des Bunkers/Unterstandes, Einschläge von Granaten, Geschützdonner
u. Ä.).
Sprachlich-stilistische Ebene:
Bei der Gestaltung des Textes kann sich der Abiturient an den Stil der Vorlage anlehnen und
dabei z. B. kurze Sätze verwenden, die Gedankenfetzen, plötzliche Einfälle oder Resignation bis
an die Grenze der Sprachlosigkeit ausdrücken. Werterhöhend ist es, wenn der Abiturient die
Technik des inneren Monologs oder des Gedankenstroms nutzt. Andere Passagen können auch
analysierenden bzw. reflektierenden Charakter haben. Eine expressive Wortwahl – in Anlehnung
an Borcherts Stil – ist zulässig (Jargon/Soldatensprache).
Die Wahl bestimmter Stilmittel ist in der anschließenden Reflexion zu begründen (z. B.
Wiederholungen, Personifikationen, Farbsymbolik u. a. m.).
Die Bearbeitung der Aufgabenstellung wird mit „gut“ bewertet,
–
wenn der innere Zusammenhang zwischen der geschilderten Situation bei Borchert und dem
eigenen Text deutlich und konkret vor Augen geführt wird (Kriterium der Kohärenz),
–
wenn die Gedanken und Gefühle der Figur lebendig und plastisch wirken und damit ihre
emotionale Situation verdeutlicht wird (Kriterium der Stringenz),
–
wenn die Wahl sprachlich-stilistischer Mittel zu einem vertiefenden Verständnis führt, z. B.
durch Verwendung bestimmter Symbolwörter (Kriterium der Stilistik),
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wenn die Konzeption des gestaltenden Interpretationsteiles überzeugend und differenziert
begründet wird.
Die Bearbeitung der Aufgabenstellung wird mit „ausreichend“ bewertet,
–
wenn der Abiturient die Ausgangssituation der Kurzgeschichte erfasst hat und diese im
Wesentlichen in seinem Text widerspiegelt (Kriterium der Adäquatheit),
–
wenn der eigene Text zu einem gedanklichen und für den Leser nachvollziehbaren Abschluss
geführt wird und nicht zu Beliebigkeit oder Ausschweifungen führt (Kriterium der
Zielorientiertheit),
–
wenn die Textform Brief grundlegend den formalen Anforderungen entspricht und keine
gravierenden Stilbrüche enthält (Kriterium der Stilistik),
–
wenn die Konzeption des gestaltenden Interpretationsteils in einigen Punkten begründet
wird.
Aufgabe IV
Novalis:
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Novalis’ kurzes Gedicht kann als programmatisch für die Epoche der Romantik gelten, als Zukunftsentwurf, in dem sich romantische Sehnsucht ausdrückt. Es ist eine Absage an eine Welt,
die nur von rational Messbarem, von „Zahlen und Figuren“ beherrscht wird und keinen Raum
lässt für Phantasie und Transzendenz. Die Überwindung dieser Trennung zweier Weltsichten
gelingt nur, wenn die Welt durch die Magie des dichterischen Wortes Erlösung erfährt, sie also
poetisiert wird. Mit seiner Vision erteilt der lyrische Sprecher eine Absage an ein entfremdetes
Dasein, das durch rein naturwissenschaftliche Deutung in seiner Vielfalt reduziert wird, wenn
den „ewigen Weltwahrheiten“ der Liebenden und der Poesie nicht genügend Raum gewährt und
damit die Bedeutsamkeit sinnlicher Erfahrung ignoriert wird.
Struktur/Gestaltungsmittel/Wirkung:
Das Gedicht ist gekennzeichnet durch kunstvolle Schlichtheit der Struktur und Einfachheit in der
Wortwahl (nur eine Strophe, Paarreime, vorrangig Jamben und weibliche Kadenzen).
Es besteht aus einer einzigen spannungsvollen hypotaktischen Satzkonstruktion mit parallel
gebauten Konditionalsätzen (wenn nicht/wenn), durch Paarreime und Anaphern verbunden:
erster Konditionalsatz
- Absage an „Zahlen und Figuren“ als Symbol für rationalistisch-mathematisches Zweckdenken, das die „Kreaturen“ (natürlich empfindende unverwechselbare Wesen) missachtet
zweiter Konditionalsatz
- auch Kunst und Dichtung („die, so singen“) vermitteln Weltwissen durch einfühlsame
Naturverbundenheit
- Liebende („küssen“) wissen „mehr“ von der Welt als die „Tiefgelehrten“
- ironische Verkehrung durch Wortspiel (hochgelehrte Aufklärer - „Tiefgelehrte“)
dritter Konditionalsatz
- Welt wird erst wieder „Welt“, wenn Entfremdung überwunden wird, Menschen sich auf
sich selbst besinnen
vierter Konditionalsatz
- Erweiterung durch „dann“ für ersehnte Utopie
- Antithese „Licht und Schatten“ als Symbole für Aufklärung/Ratio bzw. Phantasie/Irrationalität
- Verb „gatten“ für Vereinigung und Überwindung von Grenzen
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Gewinn „echter Klarheit“ durch „wahre Weltgeschichten“ der Poesie
- „Märchen und Gedichte“ als Bild einer utopischen Harmonisierung der Welt
Hauptsatz (Schlussverse)
- Schließen des Spannungsbogens, Schwerpunkt der utopisch-visionären Aussage
- Beschwörung, ein einziges „geheimes Wort“ genüge, die „verkehrte“ Welt
zu überwinden
- Akzentuierung durch männliche Kadenzen, metrischen Wechsel, Adverb „dann“,
- Großschreibung „Einem“ verdeutlicht Aufwertung des dichterischen Zauberwortes
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Literaturgeschichtlicher Hintergrund:
Auf Grund des Themas und der Wortwahl ist das Gedicht des Autors eindeutig der Romantik
zuzuordnen. Der Abiturient muss wesentliche Merkmale dieser Epoche darstellen und mit der
Analyse des Textes verbinden können, z. B.
–
Streben nach Poetisierung der Welt
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Verschmelzen aller Künste zu einer Universalpoesie
–
Einheit von Kunst, Religion und Philosophie im Werk der Poeten
–
Aufhebung der Trennung von Rationalität und Irrationalität/Vernunft und Phantasie/
Wirklichkeit und Traum usw.
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Motive der Romantik (Nacht, Mond, Reise, Abschied, Schloss, blaue Blume)
–
Suche nach dem „Ursprünglichen“ in Märchen- und Volksliedforschung, Hinwendung zum
Mittelalter, Aufblühen der Germanistik und Philologie usw.
–
eventuell biographische Bezüge
Der Abiturient soll darlegen, ob und in welcher Weise die von Novalis erhobene Forderung für
die heutige Zeit bedeutsam ist. Dabei ist denkbar, dass über das Verhältnis von Wissenschaft und
Welterkenntnis sowie den Zusammenhang von Individuum und Gesellschaft reflektiert wird.
Möglich wäre auch, dass der Abiturient auf Weltdeutungen zeitgenössischer Künstler eingeht.
Ebenso kann er andere aktuelle, gesellschaftlich relevante Fragestellungen aufgreifen, z. B.
Probleme der Gen- oder Embryonenforschung oder das Aufeinanderprallen unterschiedlicher
kultureller Identitäten als Ausdruck der Verschärfung der Gegensätze.
Der Aufsatz wird mit „gut“ bewertet, wenn
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die Programmatik des Gedichts typisch romantisch erkannt und bewertet wird,
–
Inhalt-Form-Beziehungen sicher herausgearbeitet werden,
–
der Text exakt und begründet in den literaturgeschichtlichen Kontext eingebettet wird,
–
in der Interpretation das Allgemeingültige und Überzeitliche dargestellt wird,
–
er klar, logisch nachvollziehbar und leserfreundlich strukturiert ist,
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Wortwahl und Syntax angemessen differenziert und variabel sind,
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Der Aufsatz wird mit „ausreichend“ bewertet, wenn
–
das Gedicht in Inhalt und Form im Ganzen richtig beschrieben wird und romantische
Auffassungen benannt werden,
–
Zusammenhänge zwischen Inhalt, Form und Aussage in Ansätzen dargestellt werden,
–
die Zuordnung in die Epoche der Romantik erfolgt und begründet wird,
–
er nachvollziehbar strukturiert ist,
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Wortwahl und Syntax im Wesentlichen der Aufgabenstellung angemessen sind,
–
grundlegende Kenntnisse in Grammatik und Orthografie nachgewiesen werden.