Tiernotruf - animal direkt eV
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Tiernotruf - animal direkt eV
Tier-Notruf Südenhun auf dem Weg in ein besseres Jeder, der Urlaub im Süden macht, weiß, dass in Italien, Griechenland oder Spanien um Tiere meist nicht viel Aufhebens gemacht wird. Für so manche Hunde besteht daher die einzige Hoffnung auf ein lebenswertes Leben im Transport ins Ausland. 2. April 2006. Bei grauem Himmel und unfreundlichem Wetter beladen neun Männer und Frauen einen Kleintransporter für die Fahrt nach Süditalien. Doch was die Tierschützer im Fond verstauen, ist kein Urlaubsgepäck, sondern Hundefutter, Decken, Medikamente … Alles Hilfsgüter, die der kleine Göppinger Tierschutzverein „Animal Direkt“ für ein privates Tierheim in Süditalien gesammelt hat. Es ist bereits der dritte Arbeitseinsatz, den der Verein gemeinsam mit Aktivisten des Tierschutzvereins Filderstadt unternimmt. Bella Italia? Apulien ist ein armes, ländliches Gebiet, touristisch unerschlossen. Hier leben fast alle von der Landwirtschaft, der Lebensstandard ist niedrig. Wer einen Hund besitzt, nutzt ihn entweder zur Jagd oder als Kettenhund um das Haus zu bewachen. Taugt das Tier nicht mehr, kommt es weg: wird erschossen, ertränkt oder in einer Plastiktüte verschnürt in den Wald geworfen. Ein nichtsnutziger Hund ist nur ein Fresser zu viel. Doch seit Helga Garg ihre Auffangstation betreibt, bringen manche Menschen die Hunde Carmela hatte einen traurigen Start in ihr junges Hundeleben. Seite 48 Tier-Notruf de Leben Was treiben die da draußen nur??? Schuften unter der italienischen Sonne. zu ihr, statt sie zu töten. Ob Jagdhund ohne Talent, unerwünschter Welpe oder „ausgemusterter“ Hofhund – hier finden alle ein neues Zuhause. Doch leider denken immer noch nicht alle Italiener so. Immer wieder melden tierliebe Einwohner der Deutschen ausgesetzte oder verletzte Tiere. Dann fährt die passionierte Tierschützerin los und versucht zu helfen. Auf diese Art kamen auch Irma und Carmela zu ihr: Der wunderschöne Schäferhundmischling war einfach mit zusammengeschnürten Beinen über eine Mauer geworfen worden; neben sich eine Plastiktüte. Als Helga Garg an der Stelle ankam, hatte die geschwächte Hündin die Tüte bereits mit den Zähnen aufgerissen. Der Inhalt: drei Welpen, Irmas Welpen. Alle erst ein paar Tage alt. Trotz ihrer verzweifelten Versuche, die Kleinen zu befreien, war ein Welpe bereits tot, ein zweiter starb einige Tage später. Nur Carmela überlebte. So hat jeder Hund bei Helga Garg seine eigene traurige Geschichte. Doch obwohl die Menschen ihnen Auch Irma wollte keiner mehr ... in der Vergangenheit übel mitgespielt haben, sind die Tiere nicht nachtragend, im Gegenteil: Sie wetteifern um Streicheleinheiten, schmiegen sich an, sind dankbar für jede kleine Geste. Hilfe vor Ort Nach fünfzehn Stunden Fahrt treffen die Tierschützer aus dem Großraum Stuttgart schließlich in Coreggia ein. „Tierschutz vor Ort ist unser erstes Ziel“, erklärt Stefanie Braun-Scholz Aber auch das Schmusen von Animal kommt nicht zu kurz. Direkt ihr Bestreben. Das teilt sich in zwei Bereiche: Einmal unterstützt der Verein Helga Garg finanziell. Da sie von den italienischen Behörden keine Unterstützung bekommt, ist sie auf Spenden und private Hilfe angewiesen. Von den Spendengeldern werden die Hunde im Süden tierärztlich versorgt, geimpft und vor allem sterilisiert und Unermüdlich im Einsatz für Tiere: Helga Garg. Seite 49 Tier-Notruf kastriert. „Das ist besonders wichtig, um nicht noch mehr heimatsuchende Hunde zu bekommen“, schildert Stefanie Braun-Scholz die Maßnahmen. „Kastration ist für italienische Hundebesitzer nämlich kein Thema. Zu teuer!“, fügt sie hinzu. Eine schwere Entscheidung Die zweite Hilfsmaßnahme ist die persönliche Unterstützung vor Ort. Und das heißt nicht nur Material mitbringen, sondern vor allem tatkräftig anpacken: In den fünf Tagen in Coreggia bessert die Mannschaft aus Schwaben die bestehenden Zwinger aus, flickt Zäune, repariert Mauern und baut sogar einen neuen Zwinger. Die Zeit vergeht im Nu und schon müssen die Tierschützer wieder an die Heimfahrt denken. Doch sie fahren nicht alleine: Die nun leere Ladefläche des Transporters bietet zehn Hunden Platz für die Fahrt nach Deutschland. Die große Frage ist nur: Wer darf mit? „Der schwerste Da kommen selbst Schwaben ins Schwitzen. Bürsten ist ja soooo schön! Natascha genießt die Fellpflege. Moment der Reise ist, die Hunde auszusuchen, die wir mit nach Deutschland nehmen“, gesteht die zweite Vorsitzende im Gespräch. „Jeder hat im Laufe der Woche seinen Liebling gefunden, jedes Tier hätte es verdient, mitzukommen. Da wird einem das Herz schwer.“ Trotzdem muss bei der Auswahl der Tiere die Vernunft die Oberhand behalten. Es werden nur so viele Tiere mitgenommen, wie in den Partnertierheimen Platz haben. Vor der Reise sprechen die Mitglieder mit den kooperierenden Tierheimen und informieren sich, ob ein Plätzchen frei ist. Und dann werden die Hunde nach Vermittelbarkeit ausgesucht. Charakter, Größe, Alter, Rasse und Aussehen spielen eine Rolle. „Aber natürlich bekommen auch Tiere eine Chance, die im Süden keine haben und dringend Hilfe benötigen“, erklärt die Stuttgarterin die Auswahlkriterien. Trotzdem können natürlich nicht alle mit. Doch auch den Zurückgebliebenen ist durch die Spenden und den Arbeitseinsatz der Tierschützer geholfen, auch ihre Lebensbedingungen werden durch den tatkräftigen Einsatz verbessert. Vreni hat gleich als Erste ein neues Frauchen gefunden. Vier Pfoten auf großer Fahrt Schließlich steht fest, wer diesmal nach Deutschland fährt: Irma und Carmela sind dabei, Florence, die kleine Vreni, der schwarz-weiße Willi und fünf weitere. Alle Tiere werden vor der Fahrt noch einmal vom Amtstierarzt untersucht und gechipt und bekommen einen EU-Heimtierpass. Dann geht's ab in die Transportboxen und auf die Reise. Für die Tiere ist das offenbar kein Problem. „Die Hunde schlafen die meiste Zeit“, schildert Stefanie Braun-Scholz die Autofahrt. „Das monotone Schaukeln beruhigt sie und schläfert sie ein. Das ist besser als ein Beruhigungsmittel.“ Tier-Notruf Fragen an die Expertin Sechs Hunde werden in Bonlanden, in der Nähe von Stuttgart, im Tierheim der Tierfreunde Filderstadt untergebracht. Gespannt wartet man hier schon auf die „Italiener“ und die Freunde und Kollegen, die die Fahrt nach Italien mitgemacht haben. Dann ist es so weit: Sie sind da! Die Hunde werden erst einmal in den Auslauf gebracht, damit sie sich die Pfoten vertreten können, bekommen frisches Wasser und Futter. Allen geht es gut. Neugierig sehen die Hunde sich um, beschnüffeln alles ausgiebig und begrüßen die neuen Menschen um sie herum. Alle leben sich rasch ein – doch bei manchen lohnt es sich fast gar nicht: Die kleine Vreni hat bereits in ihrer ersten Woche in Filderstadt eine neue Besitzerin gefunden. Auch Irma und Willi haben mittlerweile ein neues Zuhause, Carmela ist reserviert und wird wie Florence schon in den nächsten Wochen abgeholt. Und auch Filippo, der letzte „Italiener“ dieser Fahrt, hat bereits Fans gefunden und wird sicher nicht mehr lange im Tierheim bleiben. Also alles in allem ein echtes Happy End. Warum Tiere aus dem Ausland? Man liest doch immer, die deutschen Tierheime seien voll. Das ist nicht ganz richtig, denn zwischendurch sind auch immer wieder Kapazitäten frei. Warum soll man dann nicht einem ausländischen Hund eine Chance geben, der sonst keine hat? Solange es in einem überschaubaren Rahmen bleibt und seriös betrieben wird, muss Tierschutz doch nicht an der deutschen Grenze enden. Wie lange bleiben die Südenhunde durchschnittlich im Tierheim? Die meisten sind nach zwei bis drei Monaten vermittelt. Wie viel wissen Sie über die Vergangenheit der „Italiener“? Dadurch, dass die Hunde vorher eine relativ lange Zeit bei Helga Garg leben, kann sie uns in der Regel viel über Charakter und Vorgeschichte der Hunde erzählen. Gibt es bestimmte Probleme, die bei Südenhunden öfter auftreten? Manche sind anfangs etwas ängstlich. Viele Dinge kennen die Hunde einfach nicht: starken Verkehr oder überfüllte Fußgängerzonen zum Beispiel. Aber daran kann man den Hund mit Training und Geduld gewöhnen. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Südenhunde nähmen den inländischen Tierheimhunden die Vermittlungschance? Das stimmt in unserem Fall nicht. Beim Großteil der Tierheimhunde in Deutschland handelt es sich um Problem- und Listenhunde, also Rassen, die als „Kampfhunde“ gelten. Diese Tiere können wir nur an erfahrene Hundehalter vermitteln. Vor allem Anfänger und Familien wünschen sich jedoch einen „einfachen“ Hund. Statt zum Züchter zu gehen, nehmen sie dann vielleicht einen „Südenhund“. Sie sehen, Tierheim- und „Südenhunde“ machen sich keine Konkurrenz. Warum nehmen Sie alle die Strapazen der langen Fahrt auf sich, lohnt sich das? (lacht): Natürlich lohnt sich das! Denn es ist einfach toll, wenn man sieht, wie die Hunde sich einleben und aufblühen. Wie sie sich darüber freuen, dass jemand mit ihnen Gassi geht, dass sie endlich Hund sein dürfen, rennen, schnüffeln, spielen. Und wenn man irgendwann den strahlenden neuen Besitzer sieht, der mit dem glücklichen Hund an der Leine das Tierheim verlässt, kann ich nur wiederholen: Es lohnt sich! Wir danken Animal Direkt (www.animaldirektev.de) und den Tierfreunden Filderstadt (www.tierschutz-filderstadt.de) für die freundliche Unterstützung. In Stuttgart heißt es: Raus aus den Boxen! Uschi Bäder ist seit über 20 Jahren im Tierschutz aktiv. Seit sechs Jahren engagiert sie sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Tierschutzverein „Tierfreunde Filderstadt“ und war bei jedem der Arbeitseinsätze in Coreggia dabei. Im Tierheim findet man schnell neue Freunde. Seite 51