Die Zeit der Parasiten

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Die Zeit der Parasiten
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Die Zeit der Parasiten
SPIEGEL-Redakteur Claudius Seidl über Andreas Zielckes Buch „Der letzte Playboy"
er Tag, an dem der Ladykiller
starb, muß ein schöner Tag gewe­
sen sein, und die Stunde seines
Todes war vielleicht die stillste und die
heiterste.
Es war Sommer in Paris, der Morgen
hatte eben erst begonnen, und jener
Mann, der seinen Ferrari viel zu schnell
durch den Bois de Boulogne jagte, kam
aus einer Nacht voller Ausschweifung
und Alkohol. Womöglich hatte er den
Baum, der im Weg stand, zielstrebig an­
gesteuert. Womöglich fuhr er so be­
schwingt, daß er nicht aus dem Rhyth­
mus kommen wollte, nur wegen eines
banalen Ausweichmanövers. Der Baum
jedenfalls wich auch nicht aus, und der
Mann mußte nicht lang leiden.
Am 6. Juli 1965 verschied der Diplo­
mat Porfirio Rubirosa genau so, wie er
gelebt hatte: sehr heftig und sehr
schnell. Er hinterließ eine trauernde
Witwe, vier Ex-Gattinnen und eine un­
bekannte Zahl von Geliebten. Ein Le­
benswerk hinterließ er nicht. Die Nach­
rufer nannten ihn den letzten seiner Art,
und durch ihre Sätze schwang wenig Be­
dauern: Die Zeit der Parasiten und Ver­
schwender war endlich vorbei.
Der Münchner Schriftsteller und
Rechtsanwalt Andreas Zielcke hat nun
trotzdem übers Leben Rubirosas ein
Buch geschrieben, das sich manchmal
wie ein Essay und manchmal wie eine
Reportage liest - und das doch so nutz­
los wäre wie sein Gegenstand, wenn es
nur das hielte, was der Titel verspricht:
Es heißt „Der letzte Playboy“, doch es
D
beschreibt den ersten Bewohner der
Postmoderne*.
In Santo Domingo war, als Rubirosas
Karriere begann, noch nicht einmal die
Moderne angebrochen, und was ein
Playboy sei, davon hatte der junge Mann
damals nicht die kleinste Ahnung. Er
war nur ein schneidiger Offizier mit ei­
ner Schwäche für schöne Frauen und
keiner Angst vor sittenstrengen Män­
nern.
Der Diktator Trujillo war so ein
Mann, seine Tochter Flor de Oro war so
eine Frau - Rubirosa warb um sie, sie
gab nach, wofür der Schlächter Trujillo
seinen Soldaten erst verfolgen ließ, dann
aber zu seinem Schwiegersohn machte
und, damit die junge Familie ein Aus­
kommen habe, zum Diplomaten ernann­
te, der in der großen Welt zum Wohl des
kleinen Karibik-Staates wirken sollte. So
kam der Ladykiller nach Europa.
Er diente seinem
Herrn in Berlin und Pa­
ris, in Rom und später
in Buenos Aires und
Havanna, und weil er
diesen Job nicht beson­
ders ernst nahm, fand
er viel Zeit, nebenbei
„die lokalen Talente zu
testen“, wie Rubirosa
seine Lieblingsbeschäf­
tigung nannte. Flor de
Oro war auch nicht treu, die beiden
wurden bald geschieden - was Rubiro­
sa aber nicht am Sinn der Ehe zweifeln
ließ. Er heiratete Danielle Darrieux,
Frankreichs schönste Schauspielerin.
Er wurde der Gatte von Doris Duke,
Amerikas reichster Frau. Er feierte
Hochzeit mit der Woolworth-Erbin
Barbara Hutton. Und als er selbst
schon alterte, nahm er die 19 Jahre
junge Odile Rodin zur Frau.
„Solange ich verheiratet war, war ich
ziemlich treu“, verriet Rubirosa in ei­
nem Interview mit Oriana Fallaci - und
dieses „ziemlich“ hat er immer großzü­
gig interpretiert: Man sagte ihm Affä­
ren mit Evita Perön und Rita Hayworth nach, mit Zsa Zsa Gabor, Ava
Gardner und ungezählten weniger be­
rühmten Damen. In den Pausen spielte
der Playboy passabel Polo, fuhr Auto­
rennen und feierte Feste, womit seine
* Andreas Zielcke: „Dcr
letzte Playboy“ . Steidl Verlag, Gottingen: 112 Seiten;
24 Mark.
Playboy Rubirosa mit Ehefrau Odile Rodin (r.), beim Ausritt mit Geliebter Zsa Zsa Gabor:
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DER SPIEGEL 47/1992
„Ich war ziemlich treu*
DEUTSCHLAND
bisher lediglich ihre Geburtsnamen,
sondern zusätzlich auch all die Namen in
eine Ehe einbringen können, die sie
durch frühere Eheschließungen erlangt
haben - was Wunder, daß die Adelsver­
bände aufheulen.
Gottlob fiktives, aber im Rahmen des
neuen Namensgesetzes durchaus mögli­
ches Szenarium aus der Welt des deut­
schen Hochadels: Angenommen, die
sechs Kinder des Prinzen und der Prin­
zessin zu Salm-Salm heiraten sämtlich
unter Niveau und machen ihre Ehepart­
ner zu Prinzen und Prinzessinnen zu
Salm-Salm.
Weiters angenommen, die sechs jun­
gen Salmis werden geschieden, ihre ehe­
maligen Trauscheingefährten heiraten
erneut und geben den Prinzennamen an
ihre jeweiligen Männer und Frauen so­
nes Statt angenommen und ihn damit
ganz legal zum Prinzen Frederic von
Anhalt gemacht hatte; als solcher rühmt
er sich, fünf Prinzessinnen auf dem Ehe­
wege geschaffen zu haben - eine von ih­
nen ist Zsa Zsa Gabor, das unverwüstli­
che Busenwunder.
Noch mehr Anlaß zu mancherlei Ge­
brumm gab den Klatschfliegen in und
außerhalb der Adelsgesellschaft Carl
Alexander, ein junger Mann ohne große
Munterkeit des Geistes, dafür aber aus
dem Kaisergeschlecht der Hohenzollern
gebürtig: Erst machte der 21jährige die
um 30 Jahre ältere Angela Stölzle per
Heirat zur Prinzessin, jetzt schneidet er
dem türkischen Nacktmodell Hülya die
Cour - er habe sich, so seine wenngleich
etwas ungehobelter formulierte Begrün­
dung für den Wechsel, die Frau seines
Zsa Zsa Gabor, Prinz Frederic von Anhalt:
wie die in den diversen Vorehen ihrer
Partner angesammelte Kinderschar wei­
ter - spätestens nach zwei Jahrzehnten
sind den bedauernswertenzu Salm-Salms
schließlich mehr als ein halbes Hundert
Prinzen und Prinzessinnen erwachsen,
die zu ihrer Familie gehören wie Tollbee­
ren an einen Christbaum.
Einen Vorgeschmack auf dieses
„Sodom und Gomorrha“ (v. Dewitz)
wird schon seit Jahren dem Erbprinzen
Eduard v. Anhalt zuteil, dessen Familie
sich in den letzten Jahren geradezu kar­
nickelhaft vermehrt hat - und zwar, von
seinen zwei Töchtern einmal abgesehen,
ohne testikuläres Zutun seinerseits.
Schuld daran ist vielmehr das längst da­
hingegangene „Tantchen“, die Prinzes­
sin Marie Auguste, die vor vielen Jahren
einen gewissen Robert Lichtberg an Soh-
Prinzessinnen geschaffen
Herzens immer mehr als rosige Apfel­
blüte denn als reifen Boskop vorgestellt.
„Gegen den Namensklau kann man
sich nur dadurch schützen“, appellierte
Jurist v. Dewitz an den Arterhaltungsin­
stinkt der Aristokratie, „daß man auf ei­
nen gemeinsamen Ehenamen verzich­
tet.“ Um dieses Vorgehen aber „mit ad­
ligen Traditionen einigermaßen verträg­
lich zu gestalten“, müsse gewährleistet
sein, daß die Kinder „ausschließlich den
Geburtsnamen des Vaters als Familien­
namen führen“.
Ansonsten aber gilt für den deutschen
Adel und seinen demnächst anhebenden
Abwehrkampf gegen die Kanaille, was
ausgerechnet Cromwell, der Königs­
meuchler, seinen Soldaten zuzurufen
pflegte: „Betet und haltet euer Pulver
trocken.“
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