Liturgie und Leben – Gottesdienste als Lebenshilfe

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Liturgie und Leben – Gottesdienste als Lebenshilfe
Generalvikariat
Impulstagung
«Liturgie und Leben – Gottesdienste als Lebenshilfe»
Franz-Xaver Herger, der inzwischen ausgeschiedene Moderator des Generalvikariats für die Kantone Zürich und
Glarus, gab den Anstoss: 2007 hatte er bei einer ähnlichen Veranstaltung in der Nähe von Erfurt die beiden
Referenten, Prof. Dr. Karl Schlemmer und Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, kennen gelernt und noch alles in
die Wege geleitet, dass sie auch nach Zürich kommen. Damit hat das neue Pastoralamt unter der Leitung von
Dr. Rudolf Vögele erstmalig eine solche Tagung durchgeführt – und ist sehr zufrieden.
Wenn zwei solch profilierte Theologen - der eine emeritierter Liturgiewissenschafter aus
dem bayrischen Nürnberg, der andere ehemaliger Dompfarrer und seit 2005 nun Weihbischof in Erfurt – sich auf den Weg machen, dann muss es sich auch lohnen. So entstand
die Idee, nicht nur Seelsorgende und andere liturgisch Interessierte auf den 11. September
08 einzuladen, sondern am Vorabend auch die Synodalen. Und was sie zu sagen hatten,
war für beide Gruppierungen interessant.
Karl Schlemmer, der zugleich Doktorvater von Reinhard Hauke ist, legte die theologische
Grundlage: Liturgie ist nicht nur Ausdruck und Feier unseres Glaubens, sondern auch
Chance, „die Menschenfreundlichkeit Gottes und die Liebenswürdigkeit des Christentums“
immer wieder erlebbar zu machen. Wenn wir als Kirche tatsächlich missionarisch, einladend
und den Glauben anbieten wollen, dann gelingt dies am ehesten, wenn wir zutiefst überzeugt sind, dass wir selbst „die Liebeserklärung Gottes an die Welt und an den Menschen“
sind – oder auch nicht.
Sehr anschaulich erläuterte Weihbischof Reinhard Hauke dann, was es in einem völlig anderen Kontext bedeuten kann, missionarisch und einladend zu sein. In Erfurt, also auf dem
Gebiet der ehemaligen DDR, leben heute viele Zeitgenossen, die in zweiter oder gar dritter
Generation keinerlei Bezug haben zu Kirche und zu christlichem Glauben. Im Gegensatz zu
vielen anderen Ländern gibt es dort nur sehr wenige „kirchlich Verletzte“ oder „moralisch
Vertriebene“. Die 3 bis 5 Prozent Katholiken sind eine Minderheit, aber eine gefragte Minderheit. Denn nach dem Untergang des kommunistischen Regimes ist es wieder möglich,
sich nach alternativen Sinnstiftungen zu erkundigen – warum nicht auch bei der katholischen Kirche.
So begann Reinhard Hauke als Dompfarrer, unterstützt durch seinen Bischof Joachim Wanke, den Domberg auch für Menschen zugänglich zu machen, die einfach nur suchen und
fragen. Seit dem Jahr 1987 findet an Heiligabend kurz vor Mitternacht im Erfurter Dom ein
Wortgottesdienst für Bürgerinnen und Bürger statt, die keine oder nur eine schwache Bindung an die Kirche haben und die Feier einer Christmette nicht mitvollziehen können. Die
katholisch sozialisierten Mitchristen haben weiterhin um 22 Uhr ihre traditionelle Eucharistiefeier, allerdings in der benachbarten St. Severi-Kirche.
Ein anderes Beispiel: nach dem Untergang der DDR
war auch das weit verbreitete und obligatorische Ritual
der „Jugendweihe“ passè. Freie humanistische
Organisationen füllten schnell die Marktlücke – warum
nicht auch die katholische Kirche, fragte sich Reinhard
Hauke. Und er kreierte für junge Menschen, die auf der
Schwelle zum Erwachsenenalter auch ihren Lebenssinn
suchen, eine „Feier der Lebenswende“. Dabei handelt
es sich bewusst nur um eine Segensfeier – nicht mehr,
aber auch nicht weniger. „Man kann und darf solchen
Menschen nicht Sakramente nicht aufzwingen, mit den
sie nichts anfangen können“, so Hauke in seinem durch
kurze Videofilme unterstützten Vortrag.
Ob der Segnungsgottesdienst am Valentinstag, das
monatliche Totengedenken, der Segnungsgottesdienst
für Kranke und ihre Helfer am Fest der Hl. Cosmas und
Damian oder einiges mehr: Die Beispiele lehren, dass
Menschen auch heute neugierig sind, was der
christliche Glaube für das eigene Leben zu sagen hat.
Und wir als Katholische Kirche im Kanton Zürich können von diesen Schilderungen lernen:
Die Situation, dass uns immer mehr Menschen begegnen, die keine oder nur eine schwache
Bindung an uns haben, kommt unausweichlich auf uns zu. Die Frage bleibt: Wie verhalten
wir uns, um (auch weiterhin) die Liebenswürdigkeit des Christentums erlebbar zu machen?
Ansätze dazu gibt es bereits, aber – so die einhellige Meinung aller Teilnehmenden – es
gibt auch noch genug zu verbessern.
Dr. Rudolf Vögele