Obdachlosenärztin ausgezeichnet: Deutscher Stifterpreis 2015 geht
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Obdachlosenärztin ausgezeichnet: Deutscher Stifterpreis 2015 geht
Verschiedenes KV-Blatt 06.2015 Bundesverband Deutscher Stiftungen / Timon Pohl 38 Obdachlosenärztin ausgezeichnet Deutscher Stifterpreis 2015 geht an Jenny de la Torre Über diese Personalie kann man sich nur vorbehaltlos freuen: Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat den Deutschen Stifterpreis 2015 an die Berliner Ärztin Jenny de la Torre verliehen. Die 1954 in Peru geborene Medizinerin wird für ihr über 20 Jahre währendes Wirken für obdachlose Menschen ausgezeichnet. Sie erhielt den (nicht dotierten) Preis am 8. Mai im Rahmen des Deutschen StiftungsTages in Karlsruhe. benannte, mittlerweile gemeinnützige Stiftung gründen, um ihr Engagement langfristig auf eine solide Basis zu stellen. Ihr Kapital beträgt rund 850.000 Euro (Stand 2013); die tägliche Arbeit in der Ambulanz, in der Kleiderkammer, in der Sozialberatung und im Café erfolgt überwiegend auf der Basis von Spenden. Das KV-Blatt hat das Handeln de la Torres mehrfach publizistisch begleitet. Gesundheitszentrum in der Pflugstraße Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Prof. Dr. Michael Göring, begründet die Entscheidung wie folgt: „Die ‚Ärztin der Armen‘, wie sie in Berlin genannt wird, setzt sich für Menschen ein, um die viele von uns einen großen Bogen machen. Jenny de la Torre Castro wirkt mit ihrer Stiftung an der Schnittstelle von Gesundheit und Sozialem, um den am Rand der Gesellschaft Stehenden echte Teilhabe zu ermöglichen.“ Jenny de la Torre konnte 2002 die nach ihr Jenny de la Torre studiert in den 1980er Jahren in der DDR Medizin. Sie wird Fachärztin für Kinderchirurgie und promoviert zur Dr. med. Sie empfindet den auf Effizienz getrimmten Medizinbetrieb als seelenlos, da für das ausführliche Gespräch mit den Patienten keine Zeit bleibt. Sie beginnt 1994, in Eigenregie am Berliner Ostbahnhof Menschen ohne Wohnung zu behandeln. Geduldig und beharrlich wendet sie sich Jenen zu, die im Jargon der Sozialarbeit als „nicht wartezimmerfähig“ gelten – weil sie alkoholkrank und/oder drogenabhängig sind, offene Wunden haben und sich durch ihr Leben auf der Straße in einem Zustand der Verwahrlosung befinden. De la Torres Einsatz für die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft – allein in Berlin leben nach Schätzungen zwischen 4.000 und 8.000 Menschen dauerhaft ohne Obdach – zieht gleich gesinnte Unterstützer an. Im Jahr 2002 kann Jenny de la Torre mit dem Preisgeld der „Goldenen Henne“ in der Kategorie Charity ihre Stiftung gründen, Zustiftungen und Spenden namhafter Institutionen und Privatpersonen erweitern den Kapitalstock entscheidend. 2006 erfolgt mithilfe des Bezirksamtes Berlin-Mitte die Gründung eines Gesundheitszentrums in der Pflugstraße, wo sich aktuell 9 Hauptamtliche und 22 Ehrenamtliche um die Patienten kümmern. Für ihre beispielhafte Arbeit wird Jenny de la Torre mehrfach gewürdigt: 1997 erhält Verschiedenes KV-Blatt 06.2015 sie das Bundesverdienstkreuz, 2006 den Großen Verdienstorden des diplomatischen Dienstes der Republik Peru, 2010 schließlich die Ehrendoktorwürde der Charité, ihrer Ausbildungsstätte. Schwerpunkt ihrer Arbeit im Gesundheitszentrum ist die Behandlung von Krankheiten, die unweigerlich mit Obdachlosigkeit einhergehen. Ihre Patienten sind den Unbilden der Witterung schutzlos ausgesetzt, haben keinen geregelten Zugang zu sanitären Anlagen, worunter die tägliche Hygiene massiv leidet; Parasiten, Hautkrankheiten und schlecht heilende Wunden sind die Folgen. In den Anfangsjahren musste de la Torre auch bürokratische Hürden überwinden, war doch die Frage der Bezahlung der erbrachten medizinischen Leistungen offen. Gründen – Trennung, Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme, Schulden, Krankheiten – auf der Straße gelandet und brauchen im täglichen Kampf ums blanke Überleben all ihre Kraft. Sie sind zum Erhalt ihrer Würde auf die Hilfe anderer angewiesen oder in den Worten Jenny de la Torres: „Eine Gesellschaft, die so reich ist, wie die deutsche, muss es sich einfach leisten, sich um die Ärmsten zu kümmern.“ Mit diesem Credo ist die Ärztin die personifizierte Antithese zum neoliberalen Prinzip, das jeden Menschen für seinen Lebensstil und damit für seine Gesundheit selbst verantwortlich macht. Über mangelnde Nachfrage ihrer caritativen Medizin kann sich Jenny de la Torre nicht beklagen. Täglich kommen bis zu 80 Männer und Frauen ins Gesundheitszentrum zur Behandlung, auch aus dem Ausland, viele ohne Papiere und Versicherungen. Sich dieser Patienten anzunehmen, ihre Schmerzen zu lindern, ihnen zuzuhören und ihnen Perspektiven aufzuzeigen ist für Jenny de la Torre zum einen Alltag, zum anderen Auftrag. Die Verleihung des Deutschen Stifterpreises 2015 an die Medizinerin ist Anerkennung ihrer Haltung, die nicht nach dem „Warum?“ fragt, sondern tut, was möglich ist. Weiterführende Informationen zur Arbeit der Preisträgerin unter www.delatorre-stiftung.de Andrea Bronstering Hilfe zur Wiedereingliederung Mittlerweile hat sich das Gesundheitszentrum, das nach eigenen Angaben weltweit erste seiner Art, institutionell etabliert, Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand arbeiten ehrenamtlich neben Studierenden der Medizin. Darüber hinaus können die Patienten im Zentrum duschen, saubere Kleidung erhalten, eine warme Mahlzeit essen und einfach nur da sein, ohne sich für ihre Lebensumstände rechtfertigen zu müssen. Wer es wünscht, bekommt eine psychologische Beratung und Unterstützung in Sozial- und Rechtsfragen. Es gehört zum Konzept des Gesundheitszentrums, die Patienten neben der akuten medizinischen Versorgung, dahin gehend zu unterstützen, wieder eine eigene Wohnung zu finden und sich dergestalt wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dieses Angebot schließt die Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen ebenso ein wie die Vermittlung an Fachberatungsstellen. Für Jenny de la Torre ist Obdachlosigkeit kein sachlicher Terminus, sondern eine soziale Krankheit, die nicht verschwindet, wenn man sie ignoriert. Obdachlose sind aus verschiedenen Bundesarztregister Die KBV hält spezielle Auswertungen für den Bereich der Niedergelassenen vor Die Kassenärztliche Bundesvereinigung freut sich offenbar über ein steigendes Interesse an ihrer statistischen Arbeit. Nachgefragt werden nicht nur die allgemeinen Daten aus der Bundesarztregister-Statistik selbst (das KV-Blatt berichtete u.a. in der Mai-Ausgabe), sondern auch spezielle statistische Fragestellungen. So hat sich (Stichtag 31.12.2014) die Anzahl der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zwar insgesamt um 2.296 (1,4 %) erhöht, jedoch ist die Entwicklung in den einzelnen Gruppen sehr unterschiedlich verlaufen. Beispielsweise hat sich der Rückgang der Hausärzte im vergangenen Jahr wieder beschleunigt, nachdem sich der Abwärtstrend in den Vorjahren verlangsamt hatte. Gegenüber dem Vorjahreswert gab es ein Minus von 0,5 %. Bei den Kinderärzten betrug der Rückgang 0,3 %. Einen starken Anstieg gibt es bei den angestellten Ärzten und Psychotherapeuten. Ihre Zahl wuchs bis Ende 2014 auf 24.560 an, was einem Plus von 9,2 % entspricht. Der Anteil der Frauen in der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft stieg im Berichtszeitraum leicht von 42,3 % auf 43,2 % an. Derzeit arbeiten die KBV-Statistiker an einer regionalen Aufbereitung der Entwicklung im Arzt- und Psychotherapeutenbereich. Alle bislang verfügbaren Statistiken liegen als PDF-Datei vor und können heruntergeladen werden unter www.kbv.de/media/sp/2014_12_31.pdf red 39