Landgerichtsrat Moritz von Brigitte Gmelin
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Landgerichtsrat Moritz von Brigitte Gmelin
13. Kapitel Verfolgung jüdischer Richter Brigitte Gmelin Landgerichtsrat Maximilian Moritz Maximilian Moritz wurde am 26. Oktober 1882 in Miltenberg als Marx Moritz, Sohn des Viehhändlers Süsel (Siegfried) Moritz und dessen Frau Karolina, geborene Sommer, geboren. Er war das zweite von fünf Kindern, vier Söhnen und einer Tochter. Die Familie wohnte seit 1882 im Hause Nr. 392, betrieb im Hause Marktplatz 343 ein Lederwarengeschäft und hatte ein Haus am Burgweg 27. Eltern und Geschwister lebten – einige mit Unterbrechungen – und starben in Miltenberg, mit Ausnahme des jüngsten Bruders Oskar (geb. 1887), der im Anwesen Marktplatz 343 das Lederwarengeschäft weiterführte und der kommunistischen Partei nahe stand. Er und seine Frau wurden Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.1 Es ist hiernach anzunehmen, dass Marx Moritz seine Kindheit und Schulzeit in Miltenberg im Hause der Eltern verbrachte. Er war der einzige in der Familie, der studierte; die drei Brüder wurden Kaufleute. Im Jahre 1908 bestand er die zweite juristische Staatsprüfung mit der Note II 7/40. Nach längerer Praktikantenzeit bei dem Miltenberger Rechtsanwalt Rottmann und beim Amtsgericht Miltenberg – weil das Examensergebnis auf sich warten ließ – erhielt er seine erste Stelle bei der Justiz am 25. September 1909 als Amtsanwalt beim Amtsgericht Germersheim. Inzwischen hatte er die Änderung seines Vornamens Marx in Maximilian betrieben. Diese wurde durch Beschluss des Bezirksamtes Miltenberg vom 6. Mai 1909 bewilligt. Auf der Amtsanwaltsstelle Germersheim musste er trotz wiederholter Beförderungsge- | 512 suche bis zum Frühjahr 1913 ausharren, obwohl seine Vorgesetzten diese befürworteten und ihn gut beurteilten, auch hervorhoben, dass „die Geschäftslast in Germersheim … nicht bedeutend und der Aneignung einer besonderen Geschäftsgewandtheit nicht förderlich“ sei. Am 16. März 1913 kam er endlich als III. Staatsanwalt zum Landgericht Memmingen. Am 3. Mai 1913 berichtete die „Schwäbische Volkszeitung“ unter der Überschrift „Antisemitischer Liberalismus“: „Man schreibt uns aus Memmingen: Eigenartigen Anschauungen huldigt auch im 20. Jahrhundert immer noch ein Teil der sogenannten besseren Gesellschaft. Vor wenigen Wochen wurde ein Staatsanwalt hierher versetzt, gegen den durchaus nichts einzuwenden war als seine – jüdische Konfession; als sich nämlich dieser Herr auf verschiedene Aufforderungen hin durch einen höheren Landgerichtsbeamten als Mitglied der ‚Harmonie‘, eines geselligen Vereins von Beamten, Kaufleuten usw. vorschlagen ließ, wurde er bei der Wahl von der Mehrheit abgelehnt, damit der Verein ‚judenrein‘ bleibe. Mag man über die Berechtigung des Antisemitismus denken, wie man will, so muss man immerhin auch beim Gegner anerkennen, wenn er die Ehrlichkeit besitzt, seiner Gesinnung öffentlich in männlicher Weise Ausdruck zu verleihen; ein ganz anderes Urteil aber müssen jene über sich ergehen lassen, die offiziell judenfreundlich sind, die auf Judenkundschaft reflektieren, die jüdische Gastfreundschaft durchaus nicht verschmähen, die aber andererseits hinter dem Rücken, wenn sie glauben, in der Öffentlichkeit unent- 13.2 Landgerichtsrat Maximilian Moritz deckt zu bleiben, ihr wahres antisemitisches Gesicht zeigen … Merkwürdigerweise gehören die Gegner in vorliegendem Falle fast ausnahmslos der liberalen Partei an, die eigentlich sonst die in dieser Sache bewiesenen Grundsätze nicht vertritt.“ Spöttischer hatte sich tags zuvor die „Neue Augsburger Zeitung“ geäußert: „‚Ein hübsches Geschichtchen‘ erzählt die Allgäuer Zeitung aus Memmingen.“ Es folgt derselbe Sachverhalt, und dann heißt es: „Nun ist Feuer im Hause Israels, das in Memmingen eine nicht geringe Anzahl Glaubensgenossen beherbergt. Also darum haben wir Juden uns so für die liberale Partei ins Zeug gelegt, haben in nicht zu kärglicher Weise auch finanziell dazu beigesteuert, dass der ‚große‘ Sieg über die ‚schwarze Gesellschaft‘ errungen wurde – und nun dieser Fußtritt! Das hätte man uns vor mehr als einem Jahr sagen sollen; dann adje, du 70 Stimmen-Sieg! So und so ähnlich entrüsten sich jetzt die liberalen Israeliten in Memmingen. Und wenn neuerdings der Ruf an sie kommt, gehen sie neuerdings hin und – wählen liberal!“ Der Vorfall füllte die Personalakten des III. Staatsanwalts Moritz mit allerhand Meldungen und Stellungnahmen seiner Vorgesetzten und deren Vorgesetzten, und es scheint sogar, dass er beim Justizminister persönlich vorgesprochen hat. Es ging um die Frage, ob das Geschehene ihn in seiner dienstlichen Stellung beeinträchtige (was schließlich verneint wurde) oder nur in seiner gesellschaftlichen (was bejaht wurde). Angeblich wollte Moritz nicht versetzt werden, nach einem Vermerk soll er sogar gebeten haben, ihn nicht zu versetzen. Er wurde aber mit einer in Personaldingen unerhörten Geschwindigkeit, nämlich bereits zum 1. November 1913 unter Beibehaltung seiner Funktion als III. Staatsanwalt an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Ansbach versetzt. Der Vorfall und die darauf folgende Versetzung müssen ihn schlimmer getroffen haben, als er sich selber eingestand. Er war fast das ganze Jahr 1914 krank, litt an einer hartnäckigen Furunkulose unbekannter Ursache (u.a. wurde Fischvergif- Hermine-Clara Moritz, geb. Mayer Maximilian Moritz tung vermutet) und an einer schweren Depression. Nachdem wiederholte kürzere Krankheitszeiten, ein Krankenhausaufenthalt und der reguläre Urlaub von einem Monat keine nachhaltige Besserung gebracht hatten, wurde er auf ärztlichen Rat für drei Monate vom Dienst befreit, um sich in einem Kurbad auszukurieren. Im August trat er die Badekur in Bad Tölz an. 513 | 13. Kapitel Verfolgung jüdischer Richter Am 19. Oktober 1914 meldete er sich als dienstfähig zurück. Zwar sei die Furunkulose noch nicht gänzlich ausgeheilt, trete aber nur noch vereinzelt und immer weniger auf, und sein sonstiger Zustand habe sich vollkommen gebessert. Der I. Staatsanwalt, der vor allem fürchtete, dass man ihm den schwer erkämpften Ersatzmann jetzt wieder wegnehme und Moritz dann doch nicht voll einsatzfähig sei, ließ ihn vom Bezirksarzt untersuchen. Dieser bestätigte die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit. Lange blieb Moritz der Staatsanwaltschaft allerdings nicht erhalten; denn es war Krieg. Unter dem 20. Februar schrieb der I. Staatsanwalt an seinen Vorgesetzten, den Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Nürnberg: „Der K. 3. Staatsanwalt Moritz hier gehört dem letzten Jahrgang (1882) der ungedienten Ersatzreserve an. Seine Einberufung ist noch nicht erfolgt, steht aber bevor. Er ist mein einziger Nebenbeamter …“ Die Bemühungen des Vorgesetzten um eine Unabkömmlichkeitsbescheinigung waren erfolglos. Ein kurzer Vermerk besagt: „III. StA Moritz rückt am 6. IV. 15 zum Heeresdienste ein.“ Sehr viel später, im Jahre 1933, reichte er Zeugenerklärungen zu den Akten. Der ehemalige Kompanieschreiber Otto Angermayer teilte mit: „M. rückte als Ers. Res. ein, kam als Utfz. zu meiner Komp. ins Feld wurde zum Vizefldw. als Zugführer und dann zum Ltn. befördert. Die ganzen Jahre hindurch stand er im Schützengraben. Die letzte Zeit des Krieges wurde er Komp.führer u. brachte als solcher die Komp. in die Heimat zurück. Außer den Kämpfen in den Vogesen stand er 1916 als Zugführer vor Verdun wo unser Rgt. fast vollständig aufgerieben wurde. Als Auszeichnung erhielt M. das E.K . II. Kl. Herr Moritz wurde im Febr. 19 von der Truppe entlassen.“ Der Freiherr von und zu Aufsess, im Jahre 1933 Präsident des Amtsgerichts München, ließ über die Beamtenabteilung der NSDAP erklären: „Moritz kam im Mai 1916 zu mir, nämlich der 2. Komp. des 5. Ers.Inft.Regts., ins Feld. Er war dort Unteroffizier und wurde von mir noch zum Vizefeldwebel vorgeschlagen. Ich kam am 1. März 1917 aus | 514 dem Regiment. Während meiner Anwesenheit im Regiment hat sich Moritz als guter, pflichtgetreuer U.O. und Zugführer gezeigt, der auch kameradschaftlichen Geist und soziales Empfinden für die Untergebenen an den Tag gelegt hat. Wir waren damals fortgesetzt mit kurzen Unterbrechungen in vorderster Linie und hat Moritz sich bei allen Unternehmungen als tapfer gezeigt und hat sich auch zu Patrouillen freiwillig gemeldet. Ich habe es an ihm besonders geschätzt, dass er trotz seiner Vorbildung und seines entsprechend höheren Alters als Ersatzreservist im Verkehr mit den Mannschaften und den U.O. vorbildlich sich benommen hat. Seinen soldatischen Leistungen entsprechend hätte er auch von mir zur Offiziersbeförderung vorgeschlagen werden müssen. Ich habe es nur deshalb nicht getan, weil ich schon damals die Einstellung hatte, dass das Offiziercorps frei von nichtarischen Angehörigen sein müsse … Ich bestätige … dass er nie versucht hat, irgendein Kommando ausserhalb des Schützengrabens zu bekommen, was sonst bei Juden üblich war. Bei U.O. und Vizefeldwebeln, die ich als besonders national gesinnt erkannt habe, war er jedenfalls in Achtung und erfreute sich besonderer Zuneigung in kameradschaftlichen Kreisen. Besonders hervorzuheben ist sein, sonst bei Juden nicht übliches, bescheidenes Wesen.“ Wie schon von Angermayer bestätigt, wurde Moritz, nachdem der Freiherr von und zu Aufsess nicht mehr sein Vorgesetzter war, doch noch zum Leutnant befördert (am 7. Juli 1917). Dies und auch die Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse (am 16. März 1917) wurde auch zu seinen Personalakten bei der Justiz gemeldet. Nachträglich, am 17. Mai 1920, kam noch eine Meldung in die Akten, dass dem Amtsrichter Maximilian Moritz „… mit Wirkung vom 27. Jan. 1919 der b. Militärverdienstorden 4. Klasse mit Schwertern verliehen worden sei.“ Nach seiner eigenen Erinnerung kehrte Maximilian Moritz bereits im Januar 1919 zur Staatsanwaltschaft Ansbach zurück. Mit Wirkung vom 1. April 1919 wurde er Amtsrichter im München. Im Mai erlitt er einen Nervenzusammenbruch 13.2 Landgerichtsrat Maximilian Moritz und musste ein Sanatorium aufsuchen. Erst am 20. Oktober 1919 konnte er seinen Dienst wieder aufnehmen. Er kam ins Grundbuchamt und später in die Vollstreckungsabteilung und ab Oktober 1920 gleichzeitig zum Streitgericht. Am 6. Mai 1920 heiratete er in Offenbach am Main die dort am 20. November 1891 geborene Kaufmannstochter Hermine Clara Mayer. Sie hatte eine zweijährige Ausbildung als Kindergärtnerin absolviert und zwei weitere Jahre eine Krankenpflegeschule besucht. Von 1914 bis 1918 war sie Hilfsschwester beim Roten Kreuz gewesen. Das Ehepaar wohnte im Hause Georgenstraße 114/I (später, ab Dezember 1931 Georgenstraße 128/II links) und bekam zwei Söhne, den am 11. Mai 1921 geborenen Sohn Ludwig Alfred und den am 23. Dezember 1922 geborenen Sohn Ernst August. Mit Wirkung vom 1. Juli 1923 wurde einer Reihe von Amtsrichtern, darunter Maximilian Moritz, der Titel „Oberamtsrichter“ verliehen. Es ist nicht erkennbar, welchen Vorteil dies brachte. Die „Dienstliche Würdigung“ vom 27. Januar 1925 zeigt, dass Moritz nun in seinen besten und aktivsten Jahren war: „MORITZ ist vorzüglich veranlagt, hat ein scharfes, sicheres Urteil, eine ausgezeichnete Auffassungsgabe und umfassende Kenntnisse. Auch steht ihm eine große Geschäftsgewandtheit zur Verfügung. Er ist nicht nur ein fähiger Jurist, sondern auch auf wirtschaftlichem Gebiete belesen und erfahren. Er überragt die tüchtigen Beamten … Seine Gesundheitsverhältnisse … scheinen wieder gute zu sein. MORITZ war seit jener Zeit nicht mehr krank und imstande, eine sehr große Geschäftsaufgabe ohne Schwierigkeiten zu bewältigen. Er eignet sich zur Beförderung als Richter und Staatsanwalt, auch in einem sehr großen Amte und in München.“ Das einstimmig zustande gekommene und von 16 übergeordneten Richtern am Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht unterzeichnete „Gesamturteil“ lautete: „besonders tüchtig“. Die erhoffte Beförderung ließ dennoch auf sich warten. Eine Stelle am Landgericht Straubing und eine am Landgericht Deggendorf, die ihm 1925 und 1927 angeboten wurden, lehnte er ab. End- lich, am 16. April 1930, kam mit Wirkung vom 1. Mai 1930 die ersehnte Beförderung zum Rat am Landgericht München I. Zusätzlich wurde er im Juli 1930 zum Leiter der Übungskurse für die Referendare ernannt. Auch die „Dienstliche Beurteilung“ vom 22. Mai 1931 ist wieder sehr rühmlich. „Landgerichtsrat Moritz ist ein Mann von gefestigtem Charakter, gesunder Lebensauffassung und hohem Pflichtgefühl; er hat eine grosse Verantwortlichkeit und Selbständigkeit, ist klug und maßvoll. … Er ist von unermüdlichem Fleiss und Eifer. Seine Leistungen sind nach jeder Richtung ausgezeichnet. Mängel bestehen keine. Moritz eignet sich für jede Beförderung, auch bei einer Behörde mit schwierigen Verhältnissen und grösster Geschäftsaufgabe, am besten wohl zum Rat an einem Oberlandesgericht.“ Das wieder von etlichen höheren Richtern unterschriebene einstimmige Gesamturteil lautet: „Ganz besonders tüchtig“. So ermutigt, stellte Maximilian Moritz am 14. November 1931 ein Gesuch um Beförderung auf eine A 2 a Stelle in München. Dass er in München bleiben wollte, begründete er: „Auf München beschränke ich mein Gesuch deshalb, weil mein ältester Sohn auf seinen Wunsch und auf Anraten seiner Lehrer sich auf den Rabbinerberuf vorbereiten soll, mit dieser Vorbereitung jetzt schon beginnen muss und den hierzu nötigen Unterricht in keiner anderen bayerischen Stadt so gut erhalten kann wie hier …“ Der Oberlandesgerichtspräsident, der vorher die lobenden Beurteilungen mit unterzeichnet hatte, meinte dennoch in seiner Stellungnahme ans Justizministerium: „… für den Richterdienst an einem Oberlandesgericht, auch am Oberlandesgericht München … vorbehaltlos geeignet. Seine Eignung liegt aber – wenigstens vorerst – nicht über der guten Mittellinie und rechtfertigt deshalb eine Beförderung ausser der Reihe nicht. Das Gesuch dürfte darnach reichlich früh gestellt sein.“ Es gab keine Beförderung mehr. Stattdessen wurde Moritz schon am 5. April 1933 die Leitung der Referendarausbildung genommen. Als Kriegsteilnehmer konnte er nicht ohne weiteres entlassen werden. Er musste aber auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeam- 515 | 13. Kapitel Verfolgung jüdischer Richter tentums“ vom 7. April 1933 einen Fragebogen ausfüllen, und darin gab er überraschenderweise an, dass er von September 1919 bis Februar 1933 Mitglied der SPD gewesen sei. Diese Parteizugehörigkeit, und vorerst nicht sein Judentum, brachte ihn in Gefahr. Er versuchte nun, in einer Weise, die man nur aus der Zeit heraus verstehen kann, seinen Eintritt in die SPD als Ergebnis einer persönlichen Freundschaft und seine Beziehung zu dieser Partei als praktisch überhaupt nicht bestehend darzustellen. In den Akten liegt eine handschriftliche Anlage zu dem betreffenden Punkt des Fragebogens, die zwar nicht von ihm geschrieben, aber offensichtlich von ihm diktiert ist: „Ich gehörte vom September 1919 bis einschließlich Februar 1933 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an. Politisch betätigt habe ich mich nie.“ Er schildert seine Kriegszeit, die daraus resultierende ständige Schlaflosigkeit, die schwierigen Nachkriegsumstände und seinen Zusammenbruch Anfang Mai 1919 und fährt fort: „Ich war in jener schweren Zeit in verzweifelter Stimmung, da ich fürchtete, meine Arbeitskraft nicht wieder zu erlangen, und trug mich ernsthaft mit Selbstmordgedanken. Da besuchte mich eines Tages ein hiesiger Anwalt und Studienkollege Dr. W., der von meiner Erkrankung gehört hatte, im Sanatorium. Er nahm sich in rührender Weise meiner Seelennot an und trug viel zu meiner Wiederaufrichtung bei, indem er mich von schlimmen Vermietern befreite, mir im gleichen Hause, wo er wohnte, ein Zimmer verschaffte und mir gegen Bezahlung in seiner Familie einige Monate lang Verköstigung und Pflege gewährte. Er gehörte, da er Hilfsarbeiter in einer sozialdem. Kanzlei war, der S.P.D. an und unter seinem Einflusse, dem ich bei meinem damaligen Nervenzustande und aus dem Gefühle der Dankbarkeit heraus leichter zugänglich war, trat auch ich der S.P.D. bei; er ließ mir in dem Sektionslokale, einer benachbarten Wirtschaft, im September 1919 eine Beitrittserklärung zur Unterzeichnung vorlegen. Ich hatte mich vorher nie mit Politik befasst und besuchte in den folgenden Monaten als politischer Neuling in seiner Begleitung zwei oder dreimal große öffentliche S.P.D. Versammlungen, um zuzuhören | 516 und mich zu informieren. Eine Sektionsversammlung habe ich nur ein einziges Mal etwa im Mai 1920 besucht. Trotz meines stark ausgeprägten sozialen Empfindens konnte ich eine innere Beziehung zur Partei von vornherein nicht finden und hielt mich seit Sommer 1920 – im Mai 1920 habe ich mich verheiratet – von der Partei und vom Besuch öffentlicher und geschlossener Versammlungen der S.P.D. u. sonstiger Parteien auch in Wahlzeiten vollständig fern. Ich leistete nie irgend welche Parteiarbeit, lernte persönlich keinen Parteifunktionär od. Abgeordneten kennen, suchte auch keine solchen Verbindungen herzustellen oder irgendeinen Vorteil durch die Partei zu erreichen, obwohl ich seit 1920 in meiner dienstlichen Laufbahn trotz bester Qualifikation immer mehr Zurücksetzungen gegenüber meinem Jahrgang zu erleiden hatte und mich heute, im 51. Lebensjahre und im 24. Jahre seit meiner ersten etatmäßigen Anstellung (1.IX.09) noch in der Eingangsgruppe der Richterlaufbahn befinde … Ich bezahlte in größeren Abständen den geringen Parteibeitrag von 15 Pfg. pro Woche … Der Weg zur N.S.D.A.P., den so viele mit dem gleichen nationalen und sozialen Empfinden, wie ich, betreten, blieb mir als Juden versperrt, eine Tragik, die ich mit vielen jüdischen Deutschen teile. Meine S.P.D. -Mitgliedschaft blieb infolge meiner absoluten Zurückhaltung in meiner dienstlichen und privaten Umgebung meines Wissens unbekannt; dies ist der Grund, warum ich diese Ausführungen im verschlossenen Umschlage einreiche …“ Diese Bekenntnisse und die oben schon zitierten Zeugnisse von Kriegskameraden, die ihm nicht nur Tapferkeit und Kameradschaftlichkeit, sondern auch „nationale Gesinnung“ bestätigten, haben letzten Endes nichts geholfen: Zwar verbot zunächst der „Reichsstatthalter in Bayern“, Ritter von Epp, dem Justizminister Frank die Entlassung von Moritz (und anderer Richter) nach § 4 des „Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, gab aber dann auf dessen Gegenvorstellungen vom 26. September doch nach und genehmigte mit Schreiben vom 11. November 1933 die Versetzung nach § 5 des genannten Gesetzes (d.h. entweder auf einen schlechteren Posten oder auf Antrag in den Ruhestand). 13.2 Landgerichtsrat Maximilian Moritz Als Maximilian Moritz dies eröffnet worden war mit dem Vorschlag, ihn als Amtsrichter nach Beilngries zu versetzen, war er so fassungslos, dass er nochmals eine schriftliche Gegenvorstellung mit den bereits bekannten Gründen abgab und bat, ihn, wenn schon zurückzustufen, wenigstens in München zu lassen, da ein zurückgestufter jüdischer Amtsrichter in einem kleinen Ort in einer unmöglichen Situation wäre und sein Amt nicht ordentlich ausüben könnte. Für den Fall, dass dieser Bitte nicht entsprochen würde, beantrage er die Versetzung in den Ruhestand. Der Bitte wurde nicht entsprochen, sondern er wurde mit Verfügung vom 30. November 1933 in den dauernden Ruhestand versetzt.2 Die Personalakten enden mit gleich zwei Schreiben vom 6. und vom 16. Mai 1939, in welchen ihm unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs die Zustimmung zur Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland bis Ende Mai 1941 erteilt wurde mit der Maßgabe, dass seine Versorgungsbezüge in voller Höhe auf ein inländisches Devisenkonto zu überweisen seien. Ab 1932 hatte sich Moritz in der Israelitischen Kultusgemeinde München engagiert. Im Münchner Israelitischen Kalender von 1932/33 erscheint er unter den Mitgliedern. In dieser Zeit wurde er Mitglied des Finanz- und Stiftungsausschusses und des Schulausschusses. In den folgenden Kalendern (1934/35, 1935/36 und 1936/37) erscheint er ebenfalls, und zwar immer noch als Landgerichtsrat Maximilian Moritz, Georgenstraße 128, seiner ständigen Adresse seit 1931. Im Jahre 1935 war er auch im Vorstand des Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden und beim Schiedsgericht für Gemeindevertreter.3 Nach der „Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 wurde Moritz unter der Nr. 19633 in das KZ Dachau eingeliefert. Erst am 13. Dezember 1939 wurde er entlassen.4 Sein jüngster Bruder Oskar, der „wegen Verherrlichung des Kommunismus“ schon vom 9. März 1933 bis 16. August 1935 im KZ Dachau gewesen war, wurde dort am 29. November 1938 nochmals eingeliefert und blieb bis zum 20. Dezember 1938.5 Inzwischen war es 1937 gelungen, die beiden Söhne nach England zu schicken.6 Der ältere Sohn, Ludwig Alfred, war später Professor für Classics an der Clifford University. Er ist 2003 gestorben.7 Der Jüngere, Ernst August, wurde im Jahre 1941 als „Deutscher“ in Kanada interniert. Dort erhielt er über das Rote Kreuz den letzten Brief seines Vaters, der ihm schrieb, dass er zum Barackenbau in der Knorrstraße eingezogen sei. Er lebte in Manchester als Wirtschaftsberater.8 Der Meldebogen weist aus, dass das Ehepaar Moritz ab 15. August 1941 im Hause Herzog-Wilhelm-Straße 5/II (jetzt Hausnummer 9) in Untermiete bei Wolfsheimer wohnte. Ab September 1941 mussten sie den Judenstern tragen. Ab 5. März 1942 war Moritz in das mit jüdischen Leidensgenossen überfüllte Haus Hohenzollernstraße 4, das ehemalige jüdische Lehrlingsheim, eingewiesen. Seine Frau befand sich zu dieser Zeit im jüdischen Altersheim in der Mathildenstraße9 und arbeitete dort vermutlich als Pflegerin. Schon im März 1939 waren alle Wertpapiere des Ehepaares eingezogen worden. Am 27. März 1939 mussten sie ihre Wertgegenstände (Schmuck, Tafelsilber und sogar eine goldene Zahnkrone) beim Städtischen Leihamt abliefern. Das Mobiliar und den sonstigen Hausrat mussten sie beim Auszug aus der Georgenstraße im Stich lassen. Alles wurde beschlagnahmt und zum Teil versteigert. Ebenso wurden alle Bankguthaben eingezogen, nachdem das Ehepaar „unbekannt verzogen“ und daher sein Vermögen „verfallen“ war.10 Am 3. April wurden beide Eheleute Moritz nach Piaski deportiert.11 Zeitpunkt und Ort ihres Todes sind unbekannt. Piaski war ein Durchgangslager, von dem aus die Deportierten, falls sie den dortigen Aufenthalt überlebten, in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor transportiert und dort ohne Registrierung ermordet wurden. Von diesen Transporten gab es, soweit bekannt, keinen einzigen Überlebenden. 517 | 13. Kapitel Verfolgung jüdischer Richter Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Debler, Ulrich: Die jüdische Gemeinde von Miltenberg, Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes, Bd. 17, Aschaffenburg 1995, S. 139f. Justizpersonalakten, Bayerisches Hauptstaatsarchiv. Münchner Israelitischer Kalender, Jahrgänge 1933/34 bis 1936/37, Monacensia. Einlieferungsliste des KZ Dachau, Gedenkstätte Dachau. Debler, a.a.O., S. 139. Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden, 1933 – 1945, hrsg. vom Stadtarchiv München, Bd. 2, (M – Z), S. 863. Cardiff News, January 2003, S. 10. Korrespondenz Dr. Andreas Heusler mit Ernst August Moritz, Stadtarchiv München. Meldebogen, Stadtarchiv München. Entschädigungsakten des Bayer. Landesentschädigungsamtes, AZ: EG 46209, Staatsarchiv München. Auskunft des Internationalen Suchdienstes Arolsen. | 518