1 Prof. Dr. Thomas Klie, Theologische Fakultät der

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1 Prof. Dr. Thomas Klie, Theologische Fakultät der
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Prof. Dr. Thomas Klie, Theologische Fakultät der Universität Rostock
Sonntag Reminiszere, 4. März 2012, 18 Uhr
Predigt über 2. Korinther 4,5-18 Rahmen der Fastenpredigtreihe 2012: Die Kraft in den Schwachen
2. Leben in zerbrechlichen Gefäßen
Gnade sei mit Euch und Frieden – von Gott, unserm Vater und von Jesus Christus, unserm Herrn. Amen
Wäre Jesus heute ein Mitglied der allein seligmachenden evangelischen Kirche, dann hätte er zu Beginn
seines Fastens ein erlesenes Potpourri kleiner moralischer Verzichtsgründe zur Auswahl: dem Alkohol
oder dem Nikotin entsagen, Süßigkeiten in der Tüte oder Fleisch auf dem Teller lassen. – Und ganz
aktuell, liebe Gemeinde, könnte er in dieser seiner Passionszeit auch „auf falschen Ehrgeiz“ verzichten.
„7 Wochen ohne“ falschen Ehrgeiz hat die EKD gerade verkündet. Müßig die Frage, ob diese kleine
unschöne Charaktertrübung etwas wäre, was unserm HErrn zu verzichten überhaupt möglich wäre.
In der Schrift heißt es jedenfalls, dass Jesus nach seiner Taufe voll Heiligen Geistes vom Jordan zurück
kam und 40 Tage lang in die Wüste ging, um zu fasten. Und dort wurde er in Versuchung geführt. „Und
er aß nichts in diesen Tagen. Und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn.“
Die Leere der Einöde, die Leere des Magens – und beides erlitten im Widerstreit zwischen Wollen und
möglichem Versagen. Das christliche Fasten scheint mir doch um einiges ernster zu sein, als es unsere
spätmodernen Passions-Verrenkungen abbilden könnten, liebe Gemeinde.
Jesus zog sich zurück. In sich. Er aß nichts. Und danach hatte er Hunger. Und nachdem er das Fasten
gebrochen hatte, schritt er zur Tat. „In der Kraft des Geistes“, wie es heißt.
Das christliche Fasten ist eine ernste Sache. – Und Moral ist einfach nicht das Maß, mit dem man es
bemessen könnte. Und so ist auch ein Sortiment leicht verzichtbaren Überflusses nicht die Währung, in
der fasten sich rechnet. Sich Nicht-Notwendiges zu versagen, ist nett, aber „nett“ ist keine Vokabel aus
dem Lexikon des Glaubens.
Das christliche Fasten ist eine ernste Sache. – Es führt einen Christenmenschen an die Trennlinie
zwischen Leben-Müssen und Lebensgefahr. In die Wüste seines Wollens. Fasten entäußert das Leibliche
ins Bewusstsein. Führt die Leib-Seele (nach innen und außen) wieder zur Einheit: ‚dass unsre Sinnen wir
noch brauchen können.’
Essen ist ein Akt von banaler Alltäglichkeit. Und doch schwingt bei Verzehr und Verzicht immer auch
mehr mit. Im Essen findet ein Austausch mit der sozialen und natürlichen Umgebung statt. Einfach
weil alle Lebensmittel, die uns zur Verfügung stehen, aus der sozialen und natürlichen Mitwelt
stammen. Und damit ist jedes Essen, ist jedes Nicht-Essen auch Teil des Lebenskampfes, in den alles
Leben verstrickt ist. Einverleibungen vermitteln uns Erfahrungen von Zuwendung, Liebe und
Geborgenheit. Paradoxerweise aber auch: Erfahrungen von Ablehnung, Einsamkeit und Bedrohung.
Nicht mit jedem kann man essen gehen. Was man mag, entscheidet auch darüber, wen man mag. Nicht
jede Widerfahrnis „schmeckt“ einem. Manches schlägt einem auf den Magen oder es zergeht einem auf
der Zunge. – Die Bilder unserer Sprache spiegeln den symbolischen Mehrwert des Essens. Es ist darum
auch nicht weiter verwunderlich, wenn das Essverhalten in der Sphäre der Religion mit Bedeutung
aufgeladen wird.
In der Fastenzeit tritt der symbolische Mehrwert des Essens ganz besonders ins religiöse Bewusstsein.
Karneval – der Abschied vom Fleisch, wie man es gemeinhin übersetzt, ist immer auch mehr als ein
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zeitweiser Ausflug ins Vegetarische. Denn sinnvoller Verzicht macht Sättigungsgrenzen kenntlich. Auch
die Kernerfahrung unserer Zeit: die Übersättigung.
Kurzum: Wer fastet, erfährt ganz elementar ein „Leben in zerbrechlichen Gefäßen“.
Das zeigt sich nicht zuletzt auch beim Abendmahl, wo das gemeinsame Essen zu einem kulinarisch
kultivierten, neuen Verstehen wird. „Für dich zerbrochen, für dich vergossen.“ Wie jede
Nahrungsaufnahme vitalisierend wirkt (manchmal auch therapeutisch), so geht es erst recht beim
Abendmahl um den Gewinn elementarer Lebens-Mittel.
Religiöses Essen und in unserem Fall: religiöses Nicht-Essen vollzieht man nicht, weil man das müsste. –
Freie Protestanten müssen gar nichts. Aber Fasten macht schon Sinn. Weil es einfach Zeitläufe im
Christenleben gibt, die das heilsame Leer-Werden fordern:
Zu allererst in dieser Passionszeit, in der wir Herzen, Mund und Hände in die Spur des Christus-Leidens
bringen. Zwar „tragen wir alle Zeit das Sterben Jesu an unserem Leibe herum.“ Aber zwischen dem
Aschen-Mittwoch und dem Oster-Sonntag wird dieses Mit-Leid-Tragen liturgisch synchronisiert.
Aber auch außerhalb der Passionszeit sei das Fasten angeraten. In Zeiten emotionaler
Schwangerschaften, in denen etwas Wichtiges in Geburtswehen drängt. Dann ist es „billig und
heilsam“, das Innen wieder in ein angemessenes Verhältnis zum Außen zu rücken.
Oder einfach nur, wenn wir mal wieder zur Besinnung kommen wollen. Mit einem meiner letzten
Täuflinge habe ich eine Woche lang gemeinsam vor seiner Taufe gefastet. –
Die Fastenzone, liebe Gemeinde, ist religiös nicht limitiert. Man muss – Gott sei Dank! – nicht fasten.
Aber fasten ist schon eine der ganz alten Stil-Gesten des Heiligen. Bedienen wir uns ihrer in großer
evangelischer Freiheit! Frei, also ohne Nötigung. – Aber wenn, dann evangelisch, also ‚mit Ernst, ihr
Menschenkinder’ ! –
In dem Text, der uns heute zu bedenken aufgegeben ist, heißt es:
„Denn wir werden in all’ dem bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben. In Zweifel versetzt, aber nicht
in Verzweiflung. Verfolgt, aber nicht verlassen. Zu Boden geworfen, aber nicht vernichtet.“
Wenn Paulus im selben Atemzug das eingängige Sinnbild vom „Schatz in irdenen Gefäßen“ bemüht,
dann schwingt klingt hier viel von diesen evangelischen Obertönen mit:
Auf der Ebene menschlicher Erfahrung werden hier Leidsituationen geschildert, die eigentlich das Ende
erwarten lassen. Aber überraschenderweise doch nicht zu diesem Ende führen. „Und ob ich schon
wanderte im finstern Tal“ – im 23. Psalm, in dem diese Fastenpredigt ausklingt, ist diese Erfahrung ja
schon vorgezeichnet.
Wovon allerdings der Psalm noch nichts weiß, das macht Paulus im Korintherbrief zur Pointe seines
Gedankengangs: Wenn das Gotteslicht in der Finsternis aufstrahlt, dann weiß man sich erleuchtet von
der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi. Auf der Ebene religiöser Erfahrung wird hier ein
Christus-Lied angestimmt. Das Durchleben von Leidsituationen ist in unserem Korinther-Text auf
paradoxe Weise als die Teilnahme an Tod und Leben des Gekreuzigten und Auferstandenen verbunden.
Auf das naive Gemüt mag das Wort vom „Schatz in irdenen Gefäßen“ faszinierend wirken, wie aus einer
Märchenwelt: die glänzenden, wertvollen Preziosen, strahlend schön. Und doch verborgen, versteckt,
verloren im Unscheinbaren, im Schutt der Geschichte und der Kirchengeschichte. Der Widerspruch
zwischen außen und innen löst sich nur in wenigen, dann aber ganz wertvollen Momenten auf. Im
Leidensweg Jesu – die Herrlichkeit Gottes. – So es einem geschenkt wird, kann man diese Erfahrung
auch beim Fasten machen: Die scheinbare Schwächung des Leibes durch Nahrungsentzug und die
Wiedergewinnung der inneren Kraft. Die Einsicht, die dann im Herzen aufscheint, ist dann wohl die,
dass „mich Gott mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens reichlich und täglich
versorget“.
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Wie der Schöpfer die Erde ins Leben rief, als sie „wüst und leer“ war, so weckt auch der Fastenleib die
Lebensgeister. Wer fastet, weiß, dass nur gefüllt werden kann, was zuvor leer wurde. Eine gesättigte
Lösung kann nichts mehr aufnehmen. Wer die Hände voll hat, kann nichts mehr entgegennehmen: Wes’
Mund nur zu reden vermag, der kann nicht mehr zuhören. –
Fast schon hätten wir Evangelischen es verlernt: Die Fastenzeit als Leibesübung im Dienste des Geistes.
Darum: Lassen wir uns einstimmen in den ‚fröhlichen Wechsel’, um inmitten der Glitzerwelt der Stadt
den wahren Glanz im Unscheinbaren wahrnehmen zu können.
Denn im schnellen Puls des Alltags hat es Gott schwer, uns an seinen Lebensrhythmus zu er-innern.
Langmut und Geduld gelten als göttliche Tugenden – Beschleunigung und Schnelle dagegen sind
diabolisch. Schneller, höher, weiter – Geschwindigkeitszunahme und Gewichtszunahme gehen ja oft
Hand in Hand. Wir haben keine Zeit, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen. Rasender Stillstand und
verstopfte Schnellstraßen allerorten. Aus den Fugen berstende Unrast – Geschwindigkeit ist Hexerei.
Die Fastenzeit sei uns dagegen eine Signatur der Entschleunigung wie der Entleerung. In der fragilen
Leere konzentriert man das Leben auf seine Essenz. Es wird gott-offen. Geistvoll.
Amen
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