Der Spin macht es möglich
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Der Spin macht es möglich
NZZ Online http://www.nzz.ch/2006/09/06/ft/articleEFQ5K.print.html 6. September 2006, Neue Zürcher Zeitung Der Spin macht es möglich Eine neue Form der Elektronik auf dem Vormarsch Seit einiger Zeit ist eine neue Form der Elektronik auf dem Vormarsch, die neben der Ladung der Elektronen auch deren Eigendrehimpuls (Spin) nutzt. Diese Spintronik könnte die Speicherung von Daten revolutionieren und zum Bau neuartiger Computer führen. In den letzten Jahren sind Computer immer billiger, kleiner und schneller geworden. Einen Vergleich jedoch müssen sie nach wie vor scheuen: den mit einer einfachen mechanischen Schreibmaschine. Denn will man auf die Schnelle einen Brief verfassen, so muss man dazu auf der Schreibmaschine nur ein Blatt Papier einspannen. Computer dagegen benötigen schon zum Hochfahren, also zum Laden des Betriebssystems, eine Minute oder mehr. Natürlich hinkt dieser Vergleich, doch er zeigt einen wunden Punkt der modernen Datenverarbeitung auf: Schaltet man den Rechner aus, so verliert er augenblicklich sein Arbeitsgedächtnis. Beim nächsten Start muss das Betriebssystem erneut von der Festplatte geladen werden - und das dauert. Nichtflüchtiger Arbeitsspeicher Zwar gibt es bereits seit einigen Jahren nicht- flüchtige Speicherchips wie Flash Memory oder Memory Stick, die in iPods und Digitalkameras zu finden sind. Als Arbeitsspeicher für Computer sind sie allerdings ungeeignet, da ihre Schreib- und Lesegeschwindigkeit zu gering und ihre Lebensdauer zu kurz ist. Umso bedeutsamer ist die Pressemitteilung des Chipherstellers Freescale, in der kürzlich ein marktfähiges MRAM- Speichermodul (Magnetic Random Access Memory) vorgestellt wurde, das die Computerwelt bald grundlegend verändern könnte. Der neuartige Speicherchip behält sein Datengedächtnis auch ohne Strom, ist extrem schnell und verschleisst nicht. Um all das zu erreichen, nutzten seine Entwickler die Erkenntnisse einer neuartigen Form der Elektronik, die sich seit den neunziger Jahren rasant entwickelt hat und mittlerweile als Spintronik bekannt ist. Die Spintronik macht sich zunutze, dass Elektronen ausser ihrer elektrischen Ladung einen Eigendrehimpuls, den sogenannten Spin, besitzen, der sie zu winzigen Magneten macht. In herkömmlichen elektrischen Geräten merkt man davon nichts, da die Spins der einzelnen Elektronen wahllos in verschiedene Richtungen zeigen und sich ihre magnetischen Kräfte dadurch gegenseitig ausmitteln. Ganz anders verhält es sich in ferromagnetischen Materialien wie Eisen oder Kobalt: Hier richten sich die Elektronenspins parallel zueinander aus, so dass ein starkes Magnetfeld entsteht. Schon seit langem wird der Magnetismus technologisch genutzt, um Daten magnetisch auf Floppy Disks und Festplatten zu speichern. Die Ladung der Elektronen wiederum ist die Grundlage des elektrischen Stroms und macht die aus unzähligen Transistoren bestehenden logischen Schaltkreise eines modernen Computers erst möglich. Technische Anwendungen, in denen sowohl Ladung als auch Spin gezielt eingesetzt werden, waren bis vor kurzem allerdings rar. In der Speichertechnologie sind sie jedoch mittlerweile immer häufiger anzutreffen. Ein moderner Computer enthält im Wesentlichen drei Teile: den Prozessorchip, einen schnellen Arbeitsspeicher und einen Massenspeicher, die Festplatte. Während der Prozessor und der Arbeitsspeicher auf Halbleitertechnologie beruhen und mit Strömen arbeiten, werden die Daten auf der Festplatte in Form von kleinen magnetisierten Bereichen (Domänen) gespeichert. Das hat offensichtliche Nachteile: Zum einen müssen Daten ständig zwischen Festplatte und NZZ Online http://www.nzz.ch/2006/09/06/ft/articleEFQ5K.print.html Arbeitsspeicher hin und her geschoben werden, und zum anderen sind Festplatten deutlich langsamer als Arbeitsspeicher, nicht zuletzt deshalb, weil sie bewegliche Teile (Schreib- und Lesekopf) enthalten. Eines der Fernziele der Spintronik ist daher, alle drei Bestandteile eines Computers auf einem einzigen Chip zu vereinen. Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, gibt es doch schon Teilerfolge. Empfindlicher Lesekopf dank Spintronik Tatsächlich hat die Spintronik, vom Verbraucher kaum bemerkt, schon Mitte der neunziger Jahre ihr erstes kleines Wunder vollbracht. Zu jenem Zeitpunkt näherten sich die Speicherdichten von Festplatten langsam einer Obergrenze, da die magnetisierten Bereiche so klein wurden, dass sie mit herkömmlichen Sensoren kaum noch auszulesen waren. Damals begann sich Stuart Parkin vom Forschungslabor der IBM in Almaden (Kalifornien) für den sogenannten GMR-Effekt zu interessieren. Dieser Effekt - die Abkürzung steht im Englischen für Riesenmagnetowiderstand - war einige Jahre zuvor von Peter Grünberg in Jülich und Albert Fert in Paris entdeckt worden. Er beruht darauf, dass Elektronen wegen ihres Spins in einem Leiter, der zwischen zwei magnetischen Schichten eingebettet ist, unterschiedlich gut fliessen, je nachdem, ob die Schichten in dieselbe oder in die entgegengesetzte Richtung magnetisiert sind. Wird eine der beiden Schichten derart hergestellt, dass ihre Magnetisierung von einem äusseren Magnetfeld umgepolt werden kann, so entsteht ein «Spin-Ventil»: Die Richtung des äusseren Magnetfeldes entscheidet nun darüber, ob in dem eingebetteten Leiter mehr oder weniger Strom fliesst. Parkin gelang es, mit relativ einfachen Mitteln magnetische Schichtsysteme herzustellen, bei denen dieser Effekt gross genug war, um damit einen Lesekopf für Festplatten zu bauen. Tatsächlich waren diese Leseköpfe um ein Vielfaches empfindlicher als ihre Vorgänger, und so konnten die Speicherdichten nach der Einführung des GMR-Kopfes noch schneller wachsen als zuvor. Heute sind sie mit zehn Milliarden Bit pro Quadratzentimeter etwa 30-mal grösser, als es die alte Technologie zugelassen hätte. Angespornt von den Erfolgen mit GMR-Leseköpfen, versuchten IBM und andere Firmen wie Honeywell und Motorola in der Folge, einen Speicherchip zu entwickeln, der ebenfalls auf dem Prinzip des Spin-Ventils beruht, aber ganz ohne bewegliche Teile auskommt. Die Daten sollten in einem Netzwerk von Spin-Ventilen gespeichert werden, wobei an jedem Speicherplatz die Magnetisierung des Magnetfilms eine «0» oder eine «1» darstellen sollte. Anders als ein gewöhnlicher Speicherchip würde ein solcher MRAM-Chip die auf ihm enthaltenen Informationen auch ohne Stromzufuhr speichern. Tatsächlich wurde schon 1999 ein Prototyp vorgestellt. Allerdings erwies sich die neue Technologie zunächst als zu teuer und das Spin-Ventil als wenig geeignet. Die Motorola-Tochter Freescale wandte sich daraufhin einem anderen Spintronik-Bauelement zu, dem magnetischen Tunnelkontakt. Anders als beim Spin-Ventil sind die beiden Magnetschichten hier nicht durch einen Leiter, sondern durch eine Isolierschicht getrennt. Durch den quantenmechanischen Tunneleffekt können bei angelegter Spannung aber dennoch Elektronen fliessen - diesmal senkrecht zu den Schichten. Wieder hängt der Widerstand von der Magnetisierungsrichtung der beiden äusseren Schichten ab. Dieser Magnetowiderstand ist noch grösser als beim GMR-Effekt, so dass der Tunnelkontakt einen idealen Kandidaten für ein Speicherelement darstellt. Der jetzt von Freescale lancierte Chip enthält zwar nur vier Millionen solcher Elemente, doch diese Zahl wird wohl bald ansteigen. Auch wenn IBM vorerst keinen MRAM-Chip produzieren wird, hat Stuart Parkin die Forschung an neuen Speicherkonzepten längst nicht ad acta gelegt. Seine Vision übersteigt die Dimensionen des MRAM sogar noch um ein Vielfaches. «Rennbahn-Speicher» heisst die von ihm erdachte Technik, und sie lässt erahnen, dass Festplatten mit beweglichen Leseköpfen in einigen Jahren zum alten Eisen gehören könnten. Da die einzelnen Bauelemente herkömmlicher Speicherchips nicht beliebig klein gemacht werden können, will Parkin in die dritte Dimension ausweichen und dabei die Spintronik zu Hilfe nehmen. Das Prinzip ist einfach: Die Daten werden wie bei einer Festplatte in kleinen magnetischen Bereichen gespeichert. Anstatt auf einer rotierenden Scheibe befinden sich die Domänen jedoch in winzigen Nanodrähten, die aus einem Chip herausragen. Dabei haben auf jedem Draht etwa 100 Domänen Platz. Für jeden Nanodraht gibt es einen Schreib- und Lesekopf. Um die Daten auszulesen, werden die Domänen in den Drähten (nicht die Drähte selbst!) über den fest installierten Lesekopf hinweg geschoben. Das geschieht durch kurze Strompulse. In weniger als zehn Jahren, so NZZ Online http://www.nzz.ch/2006/09/06/ft/articleEFQ5K.print.html prophezeit Parkin, könnte der Rennbahn- Speicher auf den Markt kommen. Suche nach magnetischen Halbleitern Für ein Forschungsfeld, das kaum zwei Jahrzehnte alt ist, hat die Spintronik bereits bemerkenswerte kommerzielle Erfolge vorzuweisen. Von der Entdeckung des GMR-Effekts bis zu seiner Anwendung in massenproduzierten Laufwerk-Leseköpfen vergingen sogar weniger als zehn Jahre. Viele Bereiche der Spintronik befinden sich allerdings noch im Stadium der Grundlagenforschung. Grosser Lernbedarf besteht zum Beispiel bei den verwendeten Materialien, wie der theoretische Physiker Sankar Das Sarma von der Universität in Maryland betont. Die bisher entwickelten Technologien verwenden allesamt Metalllegierungen, während die Chip-Industrie mit Halbleitern wie Silizium oder Galliumarsenid arbeitet. Die aber sind nicht magnetisch, so dass die für die Spintronik nötige Ausrichtung der Elektronenspins nicht erfolgen kann. Um zu studieren, auf welche Weise ein Halbleiter am besten magnetisch gemacht werden kann, griff eine Forschungsgruppe aus Princeton kürzlich zu einem ungewöhnlichen Mittel. Mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops setzten die Physiker einzelne Manganatome auf die Oberfläche eines Galliumarsenid-Kristalls und massen die Eigenschaften des so konstruierten Materials. Mangan ist magnetisch und könnte, in geringer Konzentration unter den Halbleiter Galliumarsenid gemischt, für eine ausreichende Magnetisierung sorgen. Zwar wird sich das Verfahren der von Ali Yazdani geleiteten Gruppe nicht für eine Massenproduktion eignen, doch können aus den Messergebnissen wertvolle Informationen darüber gewonnen werden, wie hoch und wie gleichmässig das Mangan dosiert werden muss. Dieses «Doping» mit magnetischen Fremdatomen ist aber nicht der einzige Weg, Spintronik in Halbleitern zu betreiben. David Awschalom und seine Kollegen von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara stiessen bereits vor zwei Jahren auf einen Effekt, der Elektronen mit parallel ausgerichtetem Spin produziert, ohne auf Magnetfelder angewiesen zu sein. Dieser «Spin- Hall-Effekt» beruht darauf, dass Elektronen in Bewegung sich sozusagen ihr eigenes Magnetfeld erzeugen, das unter bestimmten Bedingungen die Spins parallel ausrichten kann. Rechnen mit dem Elektronenspin Auch in der Schweiz sind mehrere Gruppen in der Spintronik-Forschung aktiv. An der ETH in Zürich etwa untersucht Atac Imamoglu, wie mit Hilfe von Elektronen, die in sogenannten Quantenpunkten eingefangen werden, Lichtteilchen erzeugt werden können, deren Polarisierung vom Spin des Elektrons bestimmt wird. Zudem können auf diese Weise einzelne Photonen auf Abruf ausgesendet werden. Solche Einzelphotonen wiederum sind wichtig für die nächste Generation von abhörsicherer Datenübertragung, die die Gesetze der Quantenmechanik ausnutzt. An einer anderen, ebenfalls auf der Quantentheorie beruhenden Technologie arbeitet Daniel Loss in Basel. Bereits vor acht Jahren schlug er gemeinsam mit David DiVincenzo vom Forschungslabor der IBM in New York ein Verfahren vor, mit dem Elektronen in Quantenpunkten als Bits für einen Quantencomputer verwendet werden könnten. Vor wenigen Wochen veröffentlichte nun eine Forschungsgruppe um Lieven Vandersypen von der Universität Delft in den Niederlanden die Ergebnisse eines Experiments, in dem die Ideen des Basler Forschers in die Tat umgesetzt wurden. In Vandersypens Experiment konnte der Spin eines einzelnen Elektrons gezielt manipuliert werden, was für die Realisierung eines Quantencomputers entscheidend wichtig ist. Nach Meinung der meisten Experten wird es zwar noch einige Jahrzehnte dauern, bis tatsächlich ein funktionsfähiger Quantencomputer gebaut werden kann. Die Forschung daran läuft allerdings bereits auf Hochtouren. Und die Spintronik, so scheint es, wird auch hierbei ein wichtiges Wörtchen mitzureden haben. Oliver Morsch NZZ Online http://www.nzz.ch/2006/09/06/ft/articleEFQ5K.print.html Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2006/09/06/ft/articleEFQ5K.html Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG