Chronische Lumbalgie und Lumboischialgie

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Chronische Lumbalgie und Lumboischialgie
Chronische Lumbalgie und Lumboischialgie
Konservative Therapie aus sportmedizinischer Sicht
Dr. med. Bernd A. Kasprzak, Prof. Dr. med. Armin Klümper
Rund 70 % aller Deutschen haben mindestens einmal im Jahr akute Rückenschmerzen. [1] Bestehen die Beschwerden länger
als sechs Wochen, so werden sie als subakut
und bei mehr als zwölf Wochen als chronisch bezeichnet. Die Ursachen können sehr
vielfältig sein. Deshalb werden unspezifische und spezifische Lumbalgien und Lumboischialgien unterschieden. Nach Ausschluss von spezifischen Kreuzschmerzen
oder Lumbalgien aufgrund von Frakturen,
bakteriellen Infektionen, Nervenerkrankungen und Tumoren verbleiben noch 80
bis 90 % unspezifische Rücken- oder Kreuzschmerzen. [2] Typische Ursachen für unspezifische Kreuzschmerzen sind Über- und
Fehlbelastung, aber auch Bewegungsmangel und Inaktivität, muskuläre Dysbalancen durch Muskelverkürzungen und Muskelabschwächungen, Funktionsstörungen von
Lendenwirbelsäule (LWS) und Ileosakralgelenken, Mobilitätsstörungen der Faszienstrukturen (Hypo- und Hypermobilität),
eine veränderte Wirbelsäulenstatik durch
Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter, degenerative Schäden der kleinen Wirbelgelenke, der Bandscheiben, der
Wirbelkörper und des Spinalkanals, Stoffwechselstörungen durch Verschlackung und
Belastung mit Noxen sowie Toxinen, Störungen im Bauchraum und nicht zuletzt
durch chronischen Disstress oder seelische
Konflikterlebnis-Schocks.
Die unspezifischen chronischen Beschwerdebilder werden von der Klassischen Medizin (KM) physiotherapeutisch, psychotherapeutisch, durch symptomatische Schmerztherapie und operativ behandelt. [3]
Aus sportmedizinischer Sicht sind eine symptomatische Schmerztherapie mit Symptomunterdrückung oder Blockierung sowie
eine operative Entfernung der Symptomregion inakzeptabel. Gleichzeitig ist die Verwendung von Medikamenten mit Nebenwirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit nur im Notfall zu akzeptieren.
Im Gegensatz zur KM bekämpft die Sportmedizin keine Symptome, sondern stärkt die
Selbstheilungskräfte, entgiftet und ent-
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Abb. 1: Therapie von chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates
schlackt den Körper und fördert die Resilienz (seelische Belastbarkeit). [4] Zusätzlich
ist die aktive Mitarbeit des Athleten / Patienten zur Schaffung von Gesundheitsvoraussetzungen von großer Wichtigkeit. [4]
Dazu gehören optimaler Lebensrhythmus,
optimale Ernährung und Wasserzuführung,
Stärkung der körperlichen und seelischen
Belastungsfähigkeit, Vermeidung von Fehlbelastungen u. a.
In Abbildung 1 wird das Behandlungsprinzip dargestellt, welches in der Sporttraumatologischen Abteilung der Universität Freiburg unter Leitung von Prof. Klümper in den
1960er- und 1970er-Jahren erforscht und
danach ständig weiter entwickelt wurde.
In Abhängigkeit von der Stärke der Beschwerden und der Beschwerdevielfalt bei
einer bestehenden Multimorbidität sind unterschiedliche therapeutische Konsequenzen erforderlich.
Bei akuten Beschwerden sind physiotherapeutische Maßnahmen wie Wärme, Massage,
Osteopathie u. a. perkutane Anwendungen
zur Durchblutungsregulierung, Entzündungshemmung und Regenerationsanregung, Entlastung und Vermeidung von Fehlbelastungen sowie Abbau von Disstress
häufig ausreichend für eine schnelle Rückbildung des Beschwerdebildes.
Bei starken Schmerzen mit chronischem
Verlauf haben sich zusätzlich orale Medikamente wie Magnesium und B-Vitamine zur
Muskellockerung sowie Enzyme, Teufelskralle, Kurkuma, Weihrauch, Omega-3Fettsäuren u. a. zur Reduktion von Entzündung und Schmerz bewährt. Bei massiven
Schmerzzuständen und starken Einschränkungen der Beweglichkeit wurden bereits
1964 von Prof. Klümper, zunächst unter
Röntgenkontrolle, peridurale und perineurale Injektionen erprobt. Dabei wurden
physiologische und homöopathische Substanzen verwendet.
Das Ziel war, bei einem Diskusprolaps
(Bandscheibenvorfall) die Unterstützung
der Selbstheilungskräfte und damit der Ver-
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such die Rückbildung des Prolapses zu beschleunigen. [5] Dadurch wurde der Therapieansatz der KM verlassen. Statt Hemmung, Unterdrückung und Blockierung der
Symptome wurden und werden wie gesagt
die körpereigenen Heilressourcen mobilisiert und gefördert. Da diese Therapiemaßnahmen von großem Erfolg gekrönt waren,
wurden sie auch bei den weniger spektakulären, aber sehr schmerzhaften chronischen Lumbalgien und Lumboischialgien
eingesetzt.
• Bei periduraler Injektion hat sich eine
Kombination folgender Medikamente bewährt: Je eine Ampulle Sensiotin (heute
Atrop. sulf. D6 und Hypericum D6), Discus
compositum, Traumeel und Auffüllen auf
10 ml mit Bicarbonate de Sodium.
• Perineural ist bei lumbaler Anwendung
die Kombination von je einer Ampulle
Solcoseryl, Disci bamb, Allya injektopas
und 5 ml Bicarbonate de Sodium optimal
wirksam.
• Werden die perineuralen Infiltrationen
bei Lumboischialgien im Bereich des
Ober-oder Unterschenkels durchgeführt,
so werden 10 ml Bicarbonate de Sodium
mit einer Ampulle Neytroph D7 kombiniert.
• Auch ein Ileosacralgelenk-Syndrom kann
Ursache oder zusätzliche Ursache von
chronischen Lumbalgien sein. Hier ist die
Therapie völlig abweichend. In diesen Fällen haben sich die „intraartikulären“ Injektionen mit je einer Ampulle Traumeel,
Rufebran rheumo, Rhus tox., 5-10 mg Triamcinolon und für beide IS-„Gelenke“ zusammen die Auffüllung auf 12 ml Bicarbonate de Sodium bewährt.
Eigene Untersuchungen zeigen, dass chronische Lumbalgien am häufigsten als aktivierte Spondylarthrosen auftreten. In diesen Fällen ist die Behandlung mit perineuralen Injektionen genauso zielführend wie die
Behandlung einer Radikulopathie (Nervenwurzelreizung).
Die Platzierung der Kanülen an die verschiedenen Wirkorte erfolgt als Stichkanalanästhesie mit einem 1%-igen Lokalanästhetikum.
Der Vorteil einer Injektionsbehandlung, im
Gegensatz zur oralen Medikation, besteht in
der Möglichkeit, die therapeutischen Substanzen in genügender Menge und direkt
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Abb. 2: (a) peridurale Injektion bei L3/4, freie Nadel L4/5; (b) perineurale Infiltrationen
bei Radikulopathie oder aktivierter Spondylarthrose; (c) perineurale Infiltrationen des Unterschenkels bei Lumboischialgie
zum Störzentrum zu befördern. Die orale
Medikation kann dagegen bereits im Darm
durch eine Störung der Resorption beeinträchtigt sein. Das betrifft besonders multimorbide Patienten. Hinzu kommt, dass bei
einer Entzündung mit Gewebeschwellung
der Lymphfluss und die mikrokapilläre
Durchblutung im Beschwerdebereich stark
beeinträchtigt sind. Das erklärt, weshalb
oral verabreichte Schmerzmedikamente
dann nur noch unzureichend oder nicht
mehr wirksam sind.
Durch die vorgestellte Injektionstherapie
wird nicht nur die entzündliche Schwellung
zurückgedrängt, sondern auch die mikrokapilläre Durchblutung verbessert und der
anabole Regenerationsstoffwechsel aktiviert. Dadurch wirken Schmerzmittel wieder
besser und länger und können schneller abgesetzt werden.
Völlig überflüssig wird damit der ohnehin
problematische Einsatz von 40 mg Cortison
oder mehr im Bereich der Wirbelsäule [11]
mit seiner blockierenden Wirkung auf
Schmerz und Entzündung. Beides sind Heilreaktionen, die im Notfall reduziert, aber
nicht blockiert werden sollten.
Auch die Begründung des Cortisoneinsatzes
und seine Diskussion in einer randomisierten Studie mit 461 Patienten im Britischen
Ärzteblatt [11] geht aus naturheilkundlicher Sicht von falschen Voraussetzungen
aus. Der Vergleich: epidurale Verabreichung
von 40 mg Cortison gelöst in 29 ml Koch-
salzlösung mit alleiniger epiduraler Injektion von 30 ml 0,9%-iger Kochsalzlösung (als
Placebomittel) ist die typische SymptomDenkweise der KM.
Am Beispiel von Cortison kann klar verdeutlicht werden, dass die KM das Prinzip
„Hemmen, Bremsen und Blockieren“ als
Kampf gegen die Krankheit betrachtet. Da
NaCl nicht hemmt oder blockiert, wird es
als unwirksam betrachtet und ist somit ein
Placebomittel. Die KM hat noch nicht
wahrgenommen, dass NaCl eine neurotrope Wirkung besitzt [12] und auf die Selbstheilungskräfte gerichtet ist. Zusätzlich bewirkt NaCl mit der Bindung von Säuren eine
Verbesserung der mikrokapillären Durchblutung [12] als wichtige Voraussetzung
für die Unterstützung der Selbstheilungskräfte. Deshalb ist NaCl auch kein Placebomittel.
Eigene Untersuchungen bestätigen seit Jahrzehnten die effektive therapeutische Wirkung
von Kochsalz als Bicarbonate de Sodium.
Beispiel aus der Praxis
Schwieriger ist die Behandlung unspezifischer Kreuzschmerzen bei Multimorbidität. Ein Beispiel mit den therapeutischen
Konsequenzen wird im Folgenden vorgestellt. In diesem Fall sind die Röntgenaufnahmen der LWS in zwei Ebenen von großer
Wichtigkeit, sie sind in Abbildung 3 dargestellt.
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Neben einem Kalkmangel im Knochen als
Kriterium einer reduzierten Festigkeit, verliert der Knochen bei Osteoporose vor allem
seine Elastizität! Diese Eigenschaft gewährleisten jedoch kollagene Fibrillen. Deshalb
genügt es nicht, allein mehr Kalzium in die
Knochen zu bringen. Denn der gesamte Knochenstoffwechsel muss parasympathischanabol aktiviert werden, um zugleich Festigkeit und Elastizität zu gewährleisten.
Der menschliche Körper befindet sich das gesamte Leben in einem ständigen Auf- und
Abbau also Umbauprozess und damit in einer dauernden Erneuerung seiner Körperstrukturen. Auf diese Weise kann sich der
Körper an veränderte Belastungsanforderungen anpassen.
Abb. 3: Röntgenbilder der LWS eines Patienten mit erheblichen chronischen Kreuzschmerzen
Diese Röntgen-Aufnahmen zeigen eine
Torsionsskoliose und Steilfehlhaltung der
LWS mit kyphotischer Knickbildung bei
TH12/L1, einer Osteochondrose bei L5/S1,
eine Spondylarthrose, eine Osteoporose
mit ausgeprägter Sinterungskompression
von L1 und ausgeprägter Calcifikation der
Aorta abdominalis (Abb. 3, Markierung mit
blauen Pfeilen).
Torsionsskoliose
Infolge dieser degenerativen Schäden ist
die muskuläre Stärkung der Bauch- und Rückenmuskulatur durch Heilgymnastik unbedingt erforderlich. Durch eine stabile Muskulatur können die Bandscheibenschäden
und die Kompressionsfraktur von L1 kompensiert werden. Allerdings ist aufgrund der
Torsionsskoliose eine völlig andere Gymnastik notwendig.
Die Torsion (Verdrehung) ist zwar eine sinnvolle Stabilisierung der LWS bei einer Skoliose, also einer seitlichen Verbiegung der
Wirbelsäule. Aber mit der Stabilisierung ist
eine Einschränkung der Beweglichkeit verbunden. Deshalb treten bei häufigen Bewegungen oder Belastungen der LWS in der Sagittalebene (Beugungen der Wirbelsäule
nach vorn und Überstreckungen nach hinten) Fehlbelastungen der kleinen Wirbelgelenke auf. Diese wiederholten Fehlbelastungen können langfristig zu einer Spondylarthrose führen. Das bedeutet: die wichtige
muskuläre Stärkung der Bauch- und Rücken-
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muskulatur darf bei der Gymnastik nicht in
typischer dynamischer Weise erfolgen, sondern muss isometrisch trainiert werden.
Die ap-Röntgenaufnahme zeigt, dass durch
die Torsion der LWS die dorsalen Dornfortsätze als fast gerade Linie zur Darstellung
kommen (Dornfortsätze mit roten Pfeilen
markiert). Deshalb können Krankengymnasten die Funktionsstörung von außen nicht
sicher beurteilen und benötigen unbedingt
die Diagnose der „Torsionsskoliose“.
Osteoporose und Aortensklerose
Die Diagnosen „Osteoporose“ und „ausgeprägte Aortensklerose“ haben für die Kreuzschmerzen erst im fortgeschrittenen Stadium Bedeutung – sind aber deutliche Schädigungen des Körpers mit der Gefahr von
Wirbelfrakturen und Durchblutungsstörungen, die therapeutisch beachtet werden
müssen. Den Befund eines Kalkmangels in
den Wirbelkörpern und eines Kalküberschusses in der Aorta und anderen Faszienund Knorpelstrukturen sehen die Autoren
bereits seit Jahrzehnten.
Diese Befunde weisen darauf hin, dass Osteoporose in den allermeisten Fällen keine
Kalkmangelstörung des Körpers, sondern eine Kalziumverteilungsstörung darstellt.
Deshalb ist die Empfehlung einer Kalziumgabe oder eine verstärkte Ernährung mit
Milchprodukten kontraproduktiv und nicht
mehr haltbar.
Eine verstärkte Osteoklasten-Aktivität
(Knochenabbau) ist somit nicht automatisch unsinnig oder pathologisch. Entsprechend dem biologischen Gesetz: „Was nicht
gebraucht oder benutzt wird – bildet sich
zurück“ kann eine verstärkte OsteoklastenAktivität durchaus sinnvoll sein. Das betrifft zum Beispiel die Situationen bei Inaktivität, Schwerelosigkeit oder geschädigten
Knochenstrukturen.
Diese Zusammenhänge werden von der KM
nicht wahrgenommen. Denn alle Symptome
werden als Ausdruck einer Erkrankung interpretiert. Die Therapie der KM bei Osteoporose besteht deshalb in der Hemmung, Unterdrückung oder Blockierung der Osteoklasten-Aktivität. [9] Auf diese Weise wird
jedoch die Heilung, nämlich der Knochenaufbau (Osteoblasten-Aktivität) in keiner
Weise gefördert.
Deshalb wird aus sportmedizinischer Sicht
(im Gegensatz zur KM) das gestörte Gleichgewicht von Auf- und Abbau des Knochens
in Richtung Knochenaufbau stimuliert, ohne die Osteoklasten-Tätigkeit zu hemmen
oder zu blockieren. Das bedeutet, den anabolen Aufbaustoffwechsel durch Bewegung,
Heilgymnastik und optimale Ernährung sowie Wasserzufuhr anzuregen und durch die
Therapie mit Magnesium, Vitamin D3 und
K2, Kieselerde (Silicea) sowie Kollagen-Aufbaumitteln und in ausgeprägten Fällen mit
anabolen Hormonen zu unterstützen.
Spinalkanalstenose
Die Diagnose „Spinalkanalstenose“ wird
häufig als Grund für ein operatives Vorgehen
bei einer chronischen Lumbalgie oder Lumboischialgie gesehen. Da im Spinalkanal der
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LWS kein Rückenmark mehr vorhanden ist,
sondern nur die Nervenstränge zu den verschiedenen Nervenaustrittsöffnungen verlaufen, tritt eine Nervenschädigung nur extrem selten auf. Entscheidend ist in dieser
Situation die Stabilität der LWS. Bei Spinalkanalstenose in Kombination mit Spondylolisthese (Wirbelgleiten) oder Segment- oder
Gefügelockerung ist die muskuläre Stabilisierung von entscheidender Bedeutung und
sollte isometrisch erfolgen. Im Gegensatz
dazu verstärken Übungen zur Verbesserung
der Beweglichkeit die Instabilität noch zusätzlich und sind deshalb kontraproduktiv.
Die Alternative eines operativen Vorgehens
bei Spinalkanalstenose sollte aus sportmedizinischer Sicht nur als letzte Option in Betracht gezogen werden. Diese ist gegeben,
wenn die klinische Symptomatik einer Claudicatio spinalis oder eines Kaudasyndroms
[6] vorliegt (vgl. Abb. 4).
Langzeitstudie
Über einen Zeitraum von 15 Jahren (20002015) erfolgte eine retrospektive Studie an
379 Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen. Dabei wurden die Beziehungen
zwischen den Beschwerdebildern und den
Röntgenbefunden untersucht und die vorgestellten Therapieoptionen überprüft.
Bei 241 Patienten bestand eine chronische
Lumbalgie (weiblich 134, männlich 107),
die sich in der Mehrzahl in einem Lebensalter zwischen 35-85 Jahren befanden.
Von den 138 Patienten mit einer chronischen Lumboischialgie (weiblich 86, männlich 52) hatte der Hauptanteil ein Alter zwischen 40-80 Jahren.
Abbildung 5 zeigt die detaillierten Röntgenbefunde bei Lumbalgie, Lumboischialgie
und Diskusprolaps. Dabei kommt ein hoher
Anteil von 67 % mit Fehlhaltungen (Steilfehlhaltung und Hohlkreuz) zur Darstellung.
Diese Fehlhaltungen der Wirbelsäule können durch eine qualifizierte Heilgymnastik
mittelfristig gut stabilisiert werden.
Einen noch höheren Anteil von ca. 80 % besitzt die Torsionsskoliose (Verbiegung und
Verdrehung der Wirbelsäule). Ein gleich hoher Prozentsatz von ca. 80 % wird auch bei
der Spondylarthrose festgestellt. Das ist
auch nicht verwunderlich, da bei Belastungen in der Sagittalebene die kleinen Wirbelgelenke falsch belastet werden und daher Schaden nehmen. Gleichzeitig wurden
Bandscheibenschäden bei 66 % nachge-
Bei Lumboischialgien, den Kreuzschmerzen
mit Ausstrahlung in die Gesäß- und Beinregion, sind die vorgestellten periduralen Injektionen und perineuralen Infiltrationen
von besonderer Wichtigkeit.
Das Schema in Abbildung 4 zeigt die Zuordnung der Symptome im Beinbereich wie
Schmerzen, Kribbeln, Taubheit, Muskelschwäche und Lähmungen mit ihrem Bezug
zu den LWS-Segmenten. [7, 8] Dabei sind
die betroffenen LWS-Segmente bei der klinischen Untersuchung druckschmerzhaft. Bei
vielen Patienten sind zwei oder drei Segmente gleichzeitig durch Druckschmerzhaftigkeit gekennzeichnet. In diesen Fällen
sollten nicht mehr als zwei peridurale Injektionen bei einer Behandlung erfolgen.
Diese Einschränkung erfolgt nicht wegen
der injizierten Substanzen, sondern wegen
des verwendeten Lokalanästhetikums für
die Stichkanalanästhesie. In den Periduralraum sollte nur sehr wenig oder gar kein Anästhetikum gelangen. Wird diese Empfehlung nicht beachtet, so kann ein Blutdruckabfall oder eine vorübergehende Lähmung
der Beinmuskulatur auftreten.
Bei Belastung von Segmenten der LWS ist
von einer Radikulopathie (Nervenwurzelreizung) oder einer aktivierten Spondylarthrose auszugehen. In beiden Fällen sind die perineuralen Infiltrationen besonders wichtig.
Mit gezielten periduralen Injektionen und
perineuralen Infiltrationen können ausstrahlende Beschwerden sehr effektiv vermindert oder beseitigt werden.
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Abb. 4: Funktionelle Symptome der typischen lumbosakralen Kompressionssyndrome
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Dr. med. Bernd A. Kasprzak
Facharzt für Sportmedizin, Naturheilverfahren, war viele Jahre in der Luftfahrtmedizin und im Hochleistungssport tätig. Seit 1990 in eigener privatärztlicher Praxis mit Schwerpunkt
„chronische Erkrankungen des Bewegungsapparates“ niedergelassen.
Kontakt:
Theodor-Ludwig-Str. 24-26,
D-79312 Emmendingen
www.dr-kasprzak.de
wiesen, und bei 45 % bestand eine Osteoporose. Damit sind die aktivierte Spondylarthrose in Verbindung mit Torsionsskoliose, Fehlhaltung und Bandscheibenschäden
die Hauptursachen für Kreuzschmerzen.
Diese Feststellung wird von Schute [10] bestätigt, der die Spondylarthrose in 80 bis
85 % aller Wirbelsäulenbeschwerden als
Ursache sieht.
Die Patienten mit Lumboischialgie weisen
deutlich höhere Detailschäden auf (rote
Prozentzahlen) als die Lumbalgie-Vergleichsgruppe. Deshalb werden sie als die
stärker fortgeschrittenen Beschwerdebilder
betrachtet. Diese Situation stellt keine Beeinträchtigung der vorgestellten Therapie
dar. Sie ist jedoch ein Hinweis auf eine längere Therapiedauer.
Auf der Grundlage der durchgeführten Untersuchungen ist die Torsionsskoliose noch
vor Fehlbelastungen und Bandscheibenschäden die häufigste Ursache für das Auftreten einer Spondylarthrose. Allerdings
wird diese Diagnose sehr häufig übersehen,
und als Folge wird eine falsche Gymnastik
durchgeführt. Damit wird das Beschwerdebild noch verstärkt.
Die Patienten mit Diskusprolaps konnten
bei ihrer Vorstellung alle den diagnostischen Nachweis mithilfe von CT- oder MRTBefunden führen. Diese Untersuchungen
wiesen deutlich ausgeprägtere Schäden an
den übrigen Bandscheiben und einen höheren Anteil mit Torsionsskoliose auf. Das
lässt den Schluss zu, dass eine längere Fehlbelastung und Schädigung des Regenerationsstoffwechsels der Bandscheiben vorlag
und deshalb eine höhere Anfälligkeit für einen Diskusprolaps bestand. Gleichzeitig
zeigen die Untersuchungen, dass die Segmente L5/S1 und L4/5 am häufigsten von
einem Diskusprolaps betroffen sind.
Die Osteoporose ist zwar in den meisten Fällen nicht an der Schmerzproblematik beteiligt, liefert aber einen deutlichen Hinweis
auf einen gestörten Stoffwechsel mit Beeinträchtigung der Regenerationsfähigkeit.
Deshalb weist die Osteoporose immer auf
ein multimorbides Geschehen hin.
Die erfolgreiche konservative Therapie bei
Diskusprolaps wurde bereits in CO.med
11/2012 mit dem Titel „Diskusprolaps aus
sportmedizinischer Sicht“ [5] vorgestellt.
Die Auswertung der Behandlungsdauer bis
zur Beschwerdefreiheit (Abb. 6) zeigte deutliche Unterschiede im Therapiefortschritt
zwischen Lumbalgie, Lumboischialgie und
Diskusprolaps. Als beschwerdefrei wird definiert, wenn mehr als zwölf Monate nach der
letzten Therapie keine Beschwerden in der
behandelten Region mehr aufgetreten sind.
Abb. 5: Röntgenbefunde bei Lumbalgie, Lumboischialgie und Diskusprolaps
Abb. 6: Therapiedauer bei chronischer Lumbalgie, Lumboischialgie und Diskusprolaps
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Bei chronischer Lumbalgie sind mit der vorgestellten Therapie 35 % der Patienten bereits nach einem Monat beschwerdefrei, bei
chronischer Lumboischialgie 28 % und bei
Diskusprolaps 12 %. Hinzu kommt jedoch,
dass die z. T. massive symptomatische
Schmerztherapie, mit der sich die Patienten
vorstellten [5], bereits nach zwei bis vier Wochen wesentlich reduziert oder abgesetzt
werden konnte. Nach einem Jahr waren bei
Diskusprolaps ca. 73 % beschwerdefrei und
nur ein Fall wurde operiert. Von allen anderen
Fällen waren ca. 80 % nach einem Jahr ohne
Beschwerden. Von 136 Fällen mit Lumboischialgie wurden nur zwei Patienten (1 %)
operiert: ein Patient wegen Diskusprolaps
und ein Patient wegen Spondylolisthese.
Bei einem normalen Heilungsverlauf sollte
der Behandlungsabstand auf vier, sechs,
acht und zwölf Wochen verlängert werden
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können. Ist das nach ca. drei Jahren noch
nicht erreicht, so bestehen in den meisten
Fällen multimorbide Störungen des Körpers,
chronische Stresssituationen oder seelische
Konflikterlebnis-Schocks. Ist es nicht gelungen diese Problematik zu lösen, so ist die
vorgestellte Therapie trotzdem sinnvoll.
Denn auch bei diesen scheinbaren Therapieversagern ist es möglich, die körperliche Beschwerdesymptomatik, wenn notwendig
über Jahre, zu stabilisieren – und das ohne
Schmerztherapie mit ihren zum Teil erheblichen Nebenwirkungen.
Abschließend soll noch darauf hingewiesen
werden, dass auch bei homöopathischen
Medikamenten Unverträglichkeiten oder
allergische Reaktionen auftreten können.
Diese Unverträglichkeiten bestehen in weiter anhaltenden oder verstärkten Beschwerden nach der Behandlung ohne positive Therapiewirkung. Deshalb ist die Verträglichkeitsprüfung der verwendeten
Medikamente mithilfe eines naturheilkundlichen Testverfahrens wichtig. Das gilt
besonders für „of label use“ verwendete
Medikamente.
Zusammenfassung
Kreuzschmerzen oder Lumbalgien sind in 80
bis 90 % der Fälle unspezifisch. Bestehen sie
länger als zwölf Wochen, werden sie als
chronisch bezeichnet. Die Klassische Medizin behandelt diese Patienten symptomatisch mit Schmerzmitteln und operativ. Im
Gegensatz dazu wird hier ein konservativ
sportmedizinischer Therapieansatz vorgestellt, der die Symptome nicht bekämpft,
sondern die Selbstheilungskräfte unterstützt und fördert.
Für ausgeprägte Schmerzzustände mit starken Einschränkungen der Beweglichkeit wurden peridurale und perineurale Injektionen
mit Verwendung von physiologischen und
homöopathischen Substanzen entwickelt.
Im Gegensatz zur Schmerztherapie sind diese
Behandlungen ohne schädliche Nebenwirkungen und stärken die Selbstheilungskräfte
und damit die Regenerationsfähigkeit.
In einer Studie an 379 Patienten (durchgeführt von 2000 bis 2015) wurden Ursachen
der Beschwerdebilder untersucht und die Ergebnisse der vorgestellten Therapieoptionen dargestellt. Bei der Behandlung von
Lumbalgien, Lumboischialgien und Diskusprolaps haben sich peridurale Injektionen
und perineurale Infiltrationen mit physiolo-
CO.med Juli | 2016
gischen und homöopathischen Substanzen
hervorragend bewährt. Sie stellen eine effektive Alternative zur symptomatischen
Schmerztherapie oder operativen Eingriffen
dar und zeichnen sich durch ihre optimale
Verträglichkeit aus.
Literaturhinweis
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[12]Desnizza V (1995): Schmerzfrei durch Kochsalz. vgs
Verlagsgesellschaft Köln, 2. Aufl.
Prof. Dr. med. Armin Klümper
vormals Leiter der Sporttraumatologischen Abteilung der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, heute
als Emeritus lebend in Freiburg und
Südafrika.
Kontakt:
über Dr. med. Bernd Kasprzak
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